Dienstag, 30. März 2010

Ungekürzte Antwort "virtual life"

den 20 april 2000 17:28
Re: Pour elle seule, hélas!


Liebe Mausfreundin
Ich habe mir dieses Gefängnis nochmals angekuckt, nur weil du sagst, die Zensur hätte etwas strenger sein sollen. Was meinst du denn damit, meine Liebe? Findest du, es sei nicht jugendrfrei? Ich bitte dich, mehr Zensur als Gefängnis gibt es überhaupt nicht. Gefängnis ist die strengste Zensur, hat absolut nichts zu tun mit real-life. Das ist virtual-life bei Wasser und Brot in Reinkultur. Das ist der Vorhof des Fegefeuers.
Kennst du das Fegefeuer? Ich meine, ich frage nicht, ob du es aus eigener Erfahrung kennst, sondern ob dir der Begriff bekannt ist? Als katholische Seele musst du das Fegefeuer kennen. Ich war immer begeistert vom Fegefeuer und ich habe immer bedauert, dass die Protestanten nicht eine ähnlich praktische und gutgeheizte Institution haben. Das Fegefeuer wurde erst im Spätmittelalter von der Pariser-Schule erfunden. Weiss nicht mehr, wer die Führer waren: Albertus Magnus, Thomas von Aquin? Damals kam in Europa der Handel auf. Und bisher hatte es nur Himmel und Hölle gegeben für die guten und die armen Seelen. Himmel und Hölle, das war sozusagen der soziale Wohnungsbau, nur das Nötigste für einfache Leute. Aber Händler und Kaufleute sind nicht mehr so einfache Leute, die kommen in der Welt herum, die haben Ansprüche, die wollen ein bisschen Komfort, die haben schon etwas feinere Manieren. Und für sie hat man an die Zweizimmerwohnung mit Himmel und Hölle noch ein Fegefreuer angebaut. Es ist sozusagen der Korridor und das Vorzimmer. Es ist für all die, für die noch nicht klar ist, ob sie in den Himmel oder in die Hölle kommen. Im Fegefeuer hast du noch einen Verhandlungsspielraum. Und das ist doch das, was die Handelsleute des Spätmittelalters gewohnt waren. Sie wollten handeln und - wie sagt man - bargain, sie wollten markten und feilschen mit dem lieben Gott. Sie waren nicht gerne vor vollendete Tatsachen gestellt. Das war nicht ihr Leben. Und so hat man im sozialen Wohnungsbau noch einen Korridor, das Fegefeuer, angebaut. Und dort können die armen Sünder leiden und braten und dampfen bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Und dann wird sich entscheiden, ob sie ihre Sünden abbüssen konnten, oder ob sie dann doch lebenslänglich bekommen würden. Natürlich wurde damit auch nötig, die Theorie etwas zu differenzieren. Wer gelangte direkt in die Hölle und wer hatte noch eine Chance via Fegefeuer. Kurz und gut, es galt ein paar neue §§ zu erfinden, um den Verkehr im Jenseits übersichtlich zu gestalten und allzuviele Pannen zu vermeiden. Ich glaube, nirgends sind Himmel und Hölle so menschlich und heimatlich eingerichtet wie bei den lieben katholischen Seelen. Und es würde mir nichts ausmachen, auch eine davon zu sein. Ich hätte bestimmt einen Fensterplatz im Fegefeuer. Zweithinterste Reihe womöglich. Aber vielleicht nehmen sie mich ja nicht, weil ich keine echte katholische Seele bin. Ich wäre im Fegefeuer einer dieser Immigranten ohne "green card". Das wäre sehr schlimm, da will ich doch lieber versuchen, gleich direkt in den Himmel zu kommen.
Soviel zum Fegefeuer.
Das ist wohl mein Bild für virtual-life. Ich versuche mich damit abzufinden, ganz im vitual-life zu bleiben, nicht auszubrechen, dem Wärter vor dem Eingang keinen Verdacht zu liefern. Es gibt nichts ausser den Text. Lass uns Paris und Rom und Wien vergessen. Wir sitzen auf unseren knarrenden Pritschen. Und ich weiss gar nicht, wie du heute morgen wieder davon herunter gekommen bist? Ich muss noch geschlafen haben.
Unter uns gesagt, ich habe auch nicht gewusst, dass es im Gefängnis so gemütlich sein kann. Und weißt du, als ich angefangen habe zu schreiben, habe ich davon überhaupt noch nichts gewusst. Ich habe mich bloss gewundert, wieviele Seiten Mails wir schon haben. Das gab die Assoziation der Ordner, der Gerichtsakten quasi. Dann kam die Erinnerung, dass du mal von lebenslänglich gesprochen hast. Und dann, na ja, du weißt schon, schiesslich hast du dich ja selbst über das Schlupfbett geärgert. Es ist ein bisschen wie im Traum, die Bilder kommen wie von selbst. Ich bin echt erstaunt, wie das funktioniert. Aber das Gefängnisbild finde ich schön. Ich glaube, ich stelle einen Antrag auf doppelt-lebenslänglich. Was müsste man wohl dafür "ausgefressen" haben? Vielleicht Bigamie?
Ich könnte dir jetzt erzählen, wie Friedrich Dürrenmatt eine schöne Rede gemacht hat, als Pavel, der tschechische Präsident und ehemalige Schriftsteller, bei uns in der Schweiz zu Besuch war. Ich glaube, es war Dürrenmatts letzte Rede. Er hat wunderbare Reden geschrieben und gehalten in seinem Leben. Echt komisch und kritisch. In der Pavel-Rede vergleicht er die Schweiz mit einem Gefängnis, weil wir nun ja ein konservatives Land sind und nicht zu Europa gehören und und viele Schweizer gegenüber Fremden recht mistrauisch sind. Aber davon muss ich dir ausführlicher ein andermal erzählen.
Kehren wir zu unseren wundervollen, knarrenden Pritschen zurück. Du fragst dich immer wieder, liebe Marlena, ob es mich wirklich gibt. Es gibt mich nicht wirklich, sondern nur virtuell. Ich bin für dich ein Wesen dieser neuen Cyber-Kultur. Ich komme nicht aus der alten Raum-Zeit-Kultur, Raum und Zeit als PRINCIPIUM INDIVIDUATIONIS. Damals, in unseren alten Zeiten, hatte jedes Individuum und jedes Ding einen eindeutigen Koordinatenpunkt in der 4 dimensionalen Raumzeit. Etwas konnte nicht gleichzeitig sein und nicht sein, oder konnte nicht etwas sein und gleichzeitig etwas anderes sein. Heute ist das anders. Du hast es ja immer geahnt: ich bin hier in Basel, aber abends bin ich für einige Zeit in Stockholm, und gelegentlich surfe ich im Net, und dabei bin ich X und H (dieser widerliche Kerl) und wer weiss, vielleicht noch ein paar andere unapetietliche Typen? Das ist virtual-life. Es ist wie in den Nachthimmel schauen. Du siehst die Sterne, aber du kannst nicht sicher sein, dass es die Sterne gibt. Vielleicht erreicht dich bloss ein letzter Lichtstrahl und morgen ist es aus. Man kann wirklich nichts mehr genau wissen. Und es könnte immer auch anders sein.
Wir armen Seelen hängen ja so an der Wirklichkeit, ohne zu wissen, ob es sie auch gibt oder ob das nicht alles vielmehr Hirngespinste sind.
Ich glaube, es ist das soziale Leben, das soziale SPIEL sozusagen, das unsere Wirklichkeit aufbaut. Es ist wie mit den Sprachen. Andere Sozietäten haben andere Sprachen und andere Wirklichkeiten. Die Perser nicken, wenn sie nein sagen wollen. Und du könntest verzweifeln, wenn du das nicht weißt. Und wenn sie dich zum Kaffee einladen, musst du erst dreimal ablehnen und bedauern, bis du dann doch gehst und eigentlich nie was anderes gewollt hast, als einen Kaffee zu trinken. Die Perser haben echt viele §§§§ in ihrem sozialen Umgang, das kann ich dir sagen, Marlena. Bei Partys oder Anlässen machen sie Fotos, und die Menschen stehen steif nebeneinander und lächeln in die Kamera. Es gibt totlangweilige Fotos, aber sie machen sie immer wieder. Mittlerweile denke ich, es geht ihnen nicht um das Foto, es geht darum, mit der Kamera zu zeigen, dass es ein aussergewöhnlicher Moment ist, und dass man es schätzt, beisammen zu sein. Man könnte glattweg eine Kamera ohne Film dafür benutzen oder sonst eine leere Blechbüchse.
Es gibt also nichts ausserhalb des Textes. Wer hat das gesagt, Lacan, oder Derrida, es war sicherlich einer dieser elitären französichen Intellektuellen, die an der Ecole Normale Supérieure studiert haben, und die ich über alles bewundere? Sie heisst doch so, ENS, nicht wahr? Viele französischen Geistesgrössen waren an dieser Schule.
Alles, was existiert, existiert nur im Text. Und auch ich existiere für dich nur im Text. Damit musst du dich begnügen, meine Liebe. Wenn du dich verliebst, verliebst du dich in einen Romanhelden, von dem du noch nicht weißt, ob er in einem seiner verrückten Abenteuer umkommt, sich vielleicht mit einem A. oder C. duelliert und für den Rest des Romans in den Zeilen herumhinkt und den rechten Arm in der Schlinge trägt, oder ob er eher munter in einem Fortsetzungsroman alt, senil und dement wird, um ganz langweilig und monoton in einem bürgerlichen Bett dahinzuscheiden.
Ich glaube, Verlaine hat das auch begriffen. Seine Geliebte ist ziemlich deutlich eine virtuelle Geliebte. Hör mal an:
" et qui n'est, chaque fois, ni tout à fait la même
Ni tout à fait une autre".
Ist diese Unschärfe nicht genau die Virtualität? Und so bin ich für dich.
*
Liebe Marlena, vielleicht liest du das jetzt so, als ob ich dir etwas erklären wollte. Ich will dir nichts erklären, ich verstehe es selbst nicht genau. Ich versuche sozusagen zu überlegen. Es ist gut, schriftlich zu überlegen, dann muss man langsamer denken! Ich versuche, mir das auszumalen. Und es ist zum ersten Mal. Es ist neu für mich. Ich weiss es noch nicht, was ich hier schreibe. Ich bin eben am Entdecken. Deshalb geniesse ich es auch, zu schreiben und zu wissen, dass ein lieber Mensch das nachher liest, begeistert vielleicht ist, vielleicht auch verzweifelt und schimpfend, dass man das Zeug kaum verstehen könne.
Ich glaube einfach, dieses real und dieses virtual ist heute eine wichtige Dimension in der Zeit der Postmoderne. Es gibt einen cultural turn. Und die Welt wird sich rapide verändern und sie wird nicht mehr sein, wie sie gewesen ist. Und das Fegefeuer vielleicht auch nicht mehr.
*
Du schreibst:" Weisst du, ..., ich lache mich halb kaputt über deine lustigen Einfälle. Deine Fantasie ist unbezahlbar." Ach Marlena, ich möchte nicht einfach lustige Einfälle haben. Es sind vielleicht ein paar lustige dabei, aber ich hoffe, sie sind manchmal komisch, ironisch, tiefsinnig, geistreich, mit einer tieferen Bedeutung, wenn man ihr nachgeht, manchmal mit einem Anflug von Weisheit, luzide wäre ein schönes Wort, das mir gefallen würde, aber das sind sie vielleicht nun doch nicht gerade. Vielleicht habe ich einfach zu hohe Ansprüche? Aber ich nehme dein Kompliment gerne aus deinem schwedischen Mund entgegen und es freut mich. Ich weiss, wie du das meinst. Und ich bitte diesen schwedischen Mund, nicht zu sagen, er "lache sich halb kaputt". Das klingt so schlimm, wie von einer Studienrätin zu sagen, sie sei süss. So etwas lassen wir die Putzfrau sagen, oder die Frau am Kiosk, die mir am Samstag die NZZ verkauft und mit deren Stimme man die 5 Stockwerke Treppenhaus bis zum Dach füllen kann. Ich würde dich gerne küssen, wenn ich sowas sage. Ich würde das alles in einen süssen, feinen Vorabendkuss verpacken. Aber wir sind im Text und nur im Text! Und womöglich die Zensur! Wir kommen noch auf den Index! Tu comprends?
*
Marlena, ich glaube, wir haben noch ein kommunizierendes Gefäss gefunden, neben Paris, neben dem katholischen Fegefeuer, neben dem Latein, neben den gleichaltrigen Kindern, neben der Pädagogik, neben Rilke. Ich bin sicher, du hast keine Ahnung, was das sein könnte. Nun denn, es sind die Rosen und der Löwenzahn im Garten. Davon könnte ich dir auch ein Liedlein singen. S. sticht auch Löwenzahn mit dem Eisen aus dem Rasen, und macht sich die Nägel kaputt, während ich das eher unnötig finde. Die Rosen sind mein Ressort, die Blumen des reinen Widerspruchs. Ich habe vor etwa 5 Jahren 4 Stöcke gepflanzt. Und jetzt leben noch drei davon. Einer ist etwas kränkelnd. Ich versuche auch, ohne Chemie auszukommen. Die wunderbar grünen und blühenden bürgerlichen Gärten sind ja die grössten Giftgruben Europas. Ich versuche also, die Läuse mit Brennesselwasser zu vertreiben. Aber das braucht leider alles viel Zeit. Und diesen Schorf, den sie auf den Blättern haben, bringe ich überhaupt nicht weg. Aber ich liebe sie, die Rosen. Sie sind dunkelrot, hellrot und apricot, würde ich sagen, ziemlich ungenau nichtwahr? Dazu muss ich dir eine kleine Geschichte erzählen.
Ich habe dir von Professor Emil Staiger erzählt, die Kapazität in deutscher Literaturgeschichte und in existentialphilosophischer Hermeneutik, der Kenner Rilkes und Goethes und all dieser Grössen. Er war schon älter damals, ein kleiner Mann mit einem etwas grossen Kopf, wenn er dort oben auf dem marmorenen Rednerpult in der schönen Aula der Zürcher Universität dozierte. Dort hatte einmal Churchill nach dem Krieg gesprochen und das vereinte Europa propagiert. Aber es hat bei uns Schweizern nicht eingeschlagen. Eine Studentin erzählte mir, dass sie gleich in der Nachbarschaft Prof. Staigers ihr Studentenzimmer habe. Und sie beobachte den kleinen Professoer jeden Sonntag Morgen, wie er mit einer grünen, frisch gebügelten Gärtnerschürze auf Zehenspitzen fast aus dem Haus trete und in den Garten wandle - geradezu rituelle Gebärden - um dort eine Rose, eine einzige, zu schneiden und sie mit abgespreiztem Finger - so wie die Damen die Teetassen zum Mund führen - mit preziöser Geste ins Haus zu tragen. Das ist ein schönes Bild und passt zu Staiger. Und wenn es nicht wahr war, so war es gut erfunden.
Und du wirst es vielleicht noch weniger glauben, Marlena, aber ich tue in Erinnerung an dieses Bild dasselbe. Gut, ich tue es vielleicht nicht gerade am Sonntagmorgen, gut, ich trage keine grüne Schürze, gut, ich spreize vielleicht nicht den kleinen Finger. Aber ich finde es schön, immer - oder fast immer - eine einzige Rose auf dem Tisch zu haben. Ich habe früher einmal für S., als ich noch sehr verliebt war, eine kristallene Vase gekauft, eine Kugel praktisch, mit einem langen, dünnen Rohr. Dort findet gerade eine Rose Platz. Ich schneide alle Blätter weg und lasse nur das oberste, damit das Grün einen schönen Kontrast zur Blüte macht. Ich gebe ein bisschen Zucker ins Wasser. Und dann steht sie da und besonders schön ist, wenn sie - vor dem dunkeln Hintergrund der Möbel - vom Spot angeleuchtet wird. Anfangs ist sie knackig und fest und steif wie ein junges Mädchen. In der zweiten Woche wird sie voluminös, locker und vielfältiger, wie eine Frau im besten Alter. Und schliesslich lässt sie sich etwas gehen, gibt da und dort ein Blatt ab, verliert ihre Kräfte, bis man sie wieder erlösen muss. Das ist schön und ungefähr ein Zyklus von guten 14 Tagen. Bis dann ist draussen im Garten wieder eine neue Blüte herangewachsen. So leben wir mit den Blumen des reinen Widerspruchs, und sie sind mein Job geblieben. Ich ziehe die Dornen der Rose den Zähnen des Löwen eindeutig vor. Soviel Mut hätte ich nie, gegen eine riesige Löwenmeute mit Löwenzähnen anzugehen. Ich bin ein ziemlich feiger Mensch.
*
Brennesseln finden auch wir rund um unseren Garten herum gerade. Es gibt da eine Wiese, die ist ziemlich voll an den Rändern. Brennessel deutet auf guten Boden hin, nicht wahr? Die Brennessel-Suppe macht ihr zu Ostern? Wir lieben sie auch und sie sei sehr gesund, behauptet S., blutreinigend. Und einmal hatten wir sie in Basel mit kleinen Wachteleiern drin, in einem schicken Restaurant, als jemand seinen 50sten gefeiert hat. Das war wirklich sehr köstlich und exquisit, aber eben, leider nur alle 50 Jahre möglich. Erzähl mir später vom Vogelsee und eurem Ausflug. Ich glaube, du bist ein Familienmensch, Marlena, ein richtiges Hausmütterchen. Bist du das nicht? Und dass du deine Mails unter Lebensgefahr schreibst, bricht mir das Herz bringt mich ziemlich in die Bredouille. Wie kann ich soviel Schuld auf mich nehmen? Ist denn zweimal lebenslänglich nicht genug? Willst du mich im Fegefeuer zum Inventar machen, zur Kommode des Teufels, oder zu seinem Adjudanten? Willst du mich schlussendlich à point haben und gar kein bisschen seignant? Ungefähr so hart wie ein gedörrter Hering, falls ich mir unter einem gedörrten Herring hier als Alpenländer überhaupt das Richtige vorstelle? Ich bitte dich Marlena, mach mich nicht unglücklich! Schalte schleunigst den PC aus und wähle 0... Soll ich dir die internationale Verbindung heraussuchen? Und lass zweimal läuten! En cas de guerre, wie abgemacht!
Doch dass ihr um diese Jahreszeit schon Gewitter habt, erstaunt mich sehr. Bei uns gibt es sie im Sommer, wenn die Temperatur sehr hoch ist. Aber noch nicht um diese Zeit.
*
Ich wünsche dir noch einen schönen Abend, meine Liebe
Gruss

Ungekürzt diesmal

den 20 april 2000 08:40
Re: retrospektiv


Mein lieber Mausfreund!
Es ist schon spät geworden an diesem ungewöhnlich schönen Tag. Die Luft war so mild heute dass sie mich plötzlich an schöne Sommerabende in Italien erinnerte. Ganz windstill auch. Ich habe wirklich fleissig gearbeitet im Garten. Der ganze Rasen ist voll von Löwenzahn den ich mit einem Eisen entferne. Wir streuen nicht gerne Gift. Dann habe ich noch die Rosen beschnitten und auch ein paar Sträucher, deren Namen ich nicht weiss auf deutsch.
Das Gras beginnt, wenigstens stellenweise, ziemlich lang zu werden und die Knospen an den Obstbäumen sind schon gross. Bald ist sie hier, die lange ersehnte Jahreszeit, wenn alles wächst und blüht.
Wir haben im Moment ein prächtiges Gewitter mit Blitzen, die den ganzen Nachthimmel erhellen und respekteinjagendem (?) Donner. Vielleicht sollte ich den PC abstellen? Aber ich riskiere mein Leben für dich, mein lieber Mausfreund. Sonst glaubst du vielleicht sogar doch dass ich wieder eine Notlüge erfinde um meine Stille zu erklären.

Danke dir herzlich für die schönen Briefe heute. Ich werde sie gleich im Bett nocheinmal durchlesen. Die Dissertation (oder war es Dissektion?) unserer Mausliebe. Ach, Schatz, wie bist du lieb. Wir haben "das Schönste" im Leben gefunden und sogar ewig soll es sein, "until death do us part" oder wie es heisst. Ich kann manchmal kaum glauben dass es dich wirklich gibt obwohl mich deine Mails doch ständig davon überzeugen. Ja, ich printe sie und manchmal wenn ein Brief von dir in meinem Schoss liegt streiche ich zärtlich mit der Hand über das Papier als wäre es ein Teil von dir.. :-)
Ich habe mir eine Kassette geholt heute, auf der einige von Verlaines Gedichten von einer wunderbaren Männerstimme vorgelesen werden. Ich habe mich ganz einfach danach gesehnt sie wieder zu hören. Vielleicht schicke ich dir einmal ein Band mit etwas Musik und dann werde ich dir auch die Vertönung von diesem Gedicht mitschicken und natürlich ein paar Auszüge aus dem Faust, damit du einmal die fantastischen Stimmen der Schauspieler hören kannst.
Verlaine hatte ein ziemlich turbulentes Leben mit viel Alkohol u.a. Er träumte von einer Frau die ihm die nötige Ruhe schenken könnte. In unserer Zeit hätte er vielleicht eine Mausfreundin gehabt. ;-) Hier eins seiner schönen, musikalischen Gedichte:

Je fais souvent ce rêve étrange et pénétrant
D'une femme inconnue, et que j'aime, et qui m'aime,
et qui n'est, chaque fois, ni tout à fait la même
Ni tout à fait une autre, et m'aime et me comprend.

Car elle me comprend, et mon coeur transparent
Pour elle seule, hélas! cesse d'être un problême
Pour elle seule, et les moiteurs de mon front blême,
Elle seule les sait rafraîchir, en pleurant.

Est-elle brune, blonde ou rousse? - Je l'ignore.
Son nom? - Je me souviens qu'il est doux et sonore
Comme ceux des aimés que la Vie exila.

Son regard est parreil au regard des statues,
Et pour sa voix, lointaine, et calme, et grave, elle a
L'inflexion des voix chères qui se sont tues.

*
Es ist wieder ein neuer Tag. Plötzlich weiss ich es. Ich weiss was du tun solltest. Diplomat werden. Ein Topdiplomat, der um die Welt reist und mit seinen Worten das Unmögliche erreicht.
Ach, ich wusste nicht, wie schön es in einem Gefängnis sein kann :-)
Vielleicht hätte man etwas zensurieren sollen. Aber dann wäre es wohl weniger schön gewesen.
Weisst du, .., ich lache mich halb kaputt über deine lustigen Einfälle. Deine Fantasie ist unbezahlbar.
*
Heute wird ein sehr schöner Tag. Wir werden vielleicht zu einem grossen Vogelsee in der Nähe fahren. Das tun wir immer um diese Zeit. Und dann werden wir junge Brenn-nesseln pflücken, denn eine Brennesselsuppe gehört auch zu unserer Osterfeier, mit einem darin schwimmenden Ei.
Leider muss ich erst noch mit Anna in die Stadt zum Zahnarzt Man muss etwas korrigieren weil es ihr weh tut. Das zerhackt den Tag ein wenig.

Muss mich leider schon verabschieden.
Bleib mein allerliebster Mausfreund und schreib mir bald wieder
Deine süchtige Mausfreundin
Marlena

Pour elle seule, hélas..

Liebster Mausfreund

Verlaine ist mein absoluter Favorit unter den französichen Dichtern.
Ich habe mir eine Kassette geholt heute, auf der ein paar seiner
Gedichte von einer wunderbaren Männerstimme vorgelesen werden.
Ich habe mich ganz einfach danach gesehnt sie wieder zu hören.
...
Verlaine hatte ein ziemlich turbulentes Leben mit viel Alkohol u.a.
Er träumte von einer Frau die ihm die nötige Ruhe schenken könnte.
In unserer Zeit hätte er vielleicht eine Mausfreundin gehabt. ;-)
Hier eines seiner schönen, musikalischen Gedichte:

Je fais souvent ce rêve étrange et pénétrant
D'une femme inconnue, et que j'aime, et qui m'aime,
et qui n'est, chaque fois, ni tout à fait la même
Ni tout à fait une autre, et m'aime et me comprend.

Car elle me comprend, et mon coeur transparent
Pour elle seule, hélas! cesse d'être un problême
Pour elle seule, et les moiteurs de mon front blême,
Elle seule les sait rafraîchir, en pleurant.

Est-elle brune, blonde ou rousse? - Je l'ignore.
Son nom? - Je me souviens qu'il est doux et sonore
Comme ceux des aimés que la Vie exila.

Son regard est parreil au regard des statues,
Et pour sa voix, lointaine, et calme, et grave, elle a
L'inflexion des voix chères qui se sont tues.

Montag, 29. März 2010

Eine kleine Nachtmusik

Subject: Eine kleine Nachtmusik
Date: Fri, 12 May 2000 20:16:37 GMT


Liebste Marlena
Noch einmal musste ich rasch ins Büro, und da kann ich es eben nicht lassen und muss dir eine gute Nacht wünschen. Ich weiss, wir übertreiben im Moment, das würde jeder Aussenstehende sagen. Aber die haben eben keine Ahnung von einer echten und kondensierten und weitestgehend platonischen Maladie. Keine Ahnung haben die.
Das kann ich dir sagen, meine Liebe, die platonischen Gefühle sind die stärksten und die schmerzhaftesten. Denn die Gefühle haben keinen Widerstand, sie gehen los und hinaus. Das wirft uns einfach um. Dh nicht uns, aber in der Regel wirft das die Menschen um. Sie werden sehr extrem. Es ist ja dann wie eine Paranoia.
Aber wir haben unser schönes Gärtchen Maladi und wir lassen uns nicht in die Irre treiben ... Ich muss dir gestehen, ich habe heute abend nochmals rasch deine Fotos angeschaut.
So, meine liebe, nun überlasse ich dich wirklich ganz und gar deiner Familie. Und erst am Montag sehen wir uns wieder. Wenn ich es denn solange aushalte. Aber ich habe mir vorgenommen, wirklich übers Wochenende dich nicht zu beunruhigen, wie es vor deiner Pragerreise war. Das war nicht gut, für beide von uns nicht.
Ich küsse dich mit den teuersten, die ich habe
Gruss und M
...

In Eile und Maladi!

den 12 maj 2000 15:37
In Eile und Maladi!


Mein liebster Mausgeliebter!
Ich bin in Eile, möchte dir aber doch schnell für deine schönen Briefe danken. Du schreibst so wunderbar dass ich ganz stumm werde. Es ist auch ein anderes Gefühl für das ich nicht richtig die Worte finde.
Und doch weiss ich garnicht wieso gerade das chatten gestern etwas geändert hätte. Ich habe doch nur Dinge gesagt die du schon längst gewusst hast. Weisst du .., wir müssen vorsichtig sein. Es tut weh deine Mails zu lesen und nicht bei dir sein zu können.

Ach, ich schreibe und delete und schreibe und delete.. und jetzt werde ich weiterarbeiten müssen.
Heute Abend nehme ich dich mit zu dem Fest. Alle reden schon davon und es muss etwas ganz besonderes werden. Ich werde dir morgen davon erzählen.

Wenn ich dazu komme schreibe ich dir noch heute ein paar Zeilen.
Ich bin so glücklich dass es dich in meinem Leben gibt
in Maladi
Marlena

Amour fou und Maladi

Subject: Amour fou und Maladi!
Date: Fri, 12 May 2000 13:16:24 GMT


Liebe Marlena

An diesem Freitag dem 12. Mai 2000 denke ich eigentlich überhaupt nichts anderes als an dich.
Ist das gemeint, wenn du sagst, man versinke in der Maladi? Ich kann schon hinauskommen, aber im Moment möchte ich irgendwie gar nicht. Ich bade richtig in dieser Maladi, ich suhle mich, ich bin hier drin wie in einem türkischen Bad, wo sie Tea for two pfeiffen, wie in einer Maladi-Sauna, wo die Wärme fast zum Siedepunkt hochgeht. Jetzt würde ich gerne mit dir telefonieren um dich zu hören und um dich zu fragen, wie es dir geht und um dich ein bisschen hochzuheben, wenn du das denn brauchst.
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Ich bin eigentlich recht guter Dinge, vergnügt, aber sehr unkonzentriert. Glücklicherweise ist Freitag. Morgen Abend haben wir wieder eine Einladung, wie letzten Samstag. Da geht es zuhause immer etwas hektisch zu. ...


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Und am Sonntag ist Muttertag. Ich habe mit meinen Töchtern abgemacht, dass sie kochen. Ich bezahle ihnen einen Pauschalbetrag (ungefähr so, wie wir im Restaurant bezahlen müssten) und sie können damit einkaufen und den Rest für sich behalten. Ich glaube, das ist eine gute Sache. Und ich hoffe, es wird essbar werden und sie würden nicht zuviel sparen wollen und allzu billig einkaufen.
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Und jetzt gehe ich noch rasch ins Netz, um die Temperatur zu messen. ;-----)
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G+MMM

Sonntag, 28. März 2010

Ratlos (2)

Du hast Camus zitiert, und schätzt ihn als Mensch mehr als Sartre. Geht mir genauso. Sartre ist ein bisschen ein Monster, intellektuell natürlich viel raffinierter. Aber Camus ist ein guter Mensch und war sicherlich ein attraktiver Mann.

Ich habe oft eine Fantasie, und sie kommt - so glaube ich - aus einem Text von Camus. Das ist mir jetzt wieder eingefallen. Eine wunderschöne Situation ist für mich folgende. Sommer, heiss, südliches Klima, gleissende Sonne, Leute auf der Strasse, ich in einem dunkeln Zimmer mit geschlossenen Läden, das Licht kommt zu den Spalten herein und schneidet die Luft, die Decke ist hoch, wie die Zimmer im Süden sein sollen, ich barfuss, einen kühlen Drink, ich höre Sinatra, diese Big Band Musik und lese dazu Hemingway oder auch was anderes, das ist dann nicht mehr so wichtig, das Telefonbuch vielleicht exklusive. Dies ist für mich eine absolut schöne Situation. Das Zimmer natürlich etwas kühl, und die Musik, und die gute Lektüre. Früher hätte ich noch eine Gauloise dazu geraucht. Aber da bin ich nun durch. Vielleicht würde ich heute eine Zigarre nehmen, ausnahmsweise. Und du kannst deine einzige Zigarette des Jahres anzünden, die du dir aufgespart hast, weil du in keinem ungarischen Jazzkeller mehr warst, mittlerweile.

Nein, ich stelle mir die Situation oft allein vor, nur für mich, aber wenn ich zu dir spreche, möchte ich natürlich, dass du auch dabei bist. Und wir würden über das Gelesene diskutieren, ganz ruhig, in dieser schönen lockeren Atmosphäre, lange Diskussion über das Platonische und das Nicht-Platonische und was dazwischen liegen könnte?

*
Es regnet etwas draussen. Ein Frühlingsregen. Und wenn die Sonne wiederkommen wird, wird alles in die Höhe schiessen, alles wird wachsen so dass wir nur noch staunen können, wie grün die Welt sein kann.
Und dann wird der Sommer da sein und du wirst in die Ferien reisen. Wie ist das eigentlich. Du hast gesagt, ihr fahrt nach Norrland. Fahrt ihr jetzt dort oder nach Italien oder beides. Fahrt ihr nicht durch die Schweiz nach Italien. Na ja, ihr werdet wohl fliegen. Wink ein bisschen, wenn ihr über den Alpen seid!

Ich werde dir nach den Ferien viel von Persien erzählen können, wenn ich dort lebend wieder herauskomme. Aber ich glaube schon, die Familie X hat auch ziemlich Einfluss. Es ist wie bei den Römern, es gibt Clans, und man muss hohe Leute kennen, die dir in der Not helfen können. Es ist wirklich mittelalterlich. Aber das macht es auch interessant.

*
Wie geht es dir jetzt gerade. Sag mir, wie es dir geht und wie ich etwas für dein Wohl tun kann. Das würde ich sehr gerne tun, was immer du brauchst.

Meine liebste Marlena

Ich kann meine Seele wirklich kaum mehr halten

Darum rasch ein Kuss und - simsalabim - weg ist er

Ratlos

Subject: Re: Danke gleichfalls!
Date: Fri, 12 May 2000 10:38:45 GMT


Liebe Marlena

Noch bin ich ganz durcheinander und gehe im Büro ratlos auf und ab.
Ach, du hast es gut mit deiner Arbeit, meine Liebe, wenn du mal in der Klasse stehst, dann musst du arbeiten, vierzig Augen oder mehr zwingen dich dazu. Du kannst nicht entrinnen, du kannst deine Gedanken nicht gehen lassen. Das ist vielleicht anstrengend, aber doch, am Schluss hast du gearbeitet. Ich hingegen gehe auf und ab und ab und auf, und mein Körper ist ein bisschen heiss, als ob das Fieber gleich käme. Vielleicht habe ich wirklich eine Chesterfield-Erkältung. Doch der Husten ist wieder weg, die Maladi hat mich wohl doch warm behalten.

Und ab und auf und auf und ab. Ich höre jetzt italienische Opernmusik, du weißt wie sie klingt, sehr melodramatisch, manchmal ergreifend, sehr italienisch, theatralisch, barock muss man eigentlich sagen. Es kommt einem nahe, aber nicht so, dass man auch gleich weinen könnte.

Ich werde am Mittag rasch zur Bibliothek gehen und schauen, ob sie Barbaras Biographie haben. Wahrscheinlich würde ich nicht die ganze lesen, aber ein paar Auszüge.

Weißt du, was ich mir gedacht habe: bring das Bild von Prag nach Rom mit, klar, und komm nicht in letzter Sekunde zum Flughafen. Komm eine Viertelstunde früher, ich bitte dich. Ach, ich male mir dies alles so aus, und ich werde einen Dumont Führer für Rom holen. Dumont sind die besten, nach meiner Erfahrung. Ich habe auch noch zwei oder drei andere Bücher über Rom. Alles werde ich studieren, damit du keine freie Minute haben wirst. Du kannst die Verantwortung für die Musik übernehmen, oder sonst was, Essen und Trinken, Drinks. Nein, eigentlich sollten wir nicht solche Aufteilungen machen. Aber ich habe mir vorgestellt, dass ich mit dir auf dem Petersplatz tanzen wollte, mitten auf dem schönen Platz, den Michelangelo gestaltet hat, mitten unter diesen flatternden und schmutzigen Tauben, und ohne Whiskey Glas in der Hand. Die ganze Welt wird sich drehen, und es wird eine absolut katholische Geste sein.
*
Du siehst, es ist wie mit dem Treffen zwischen Dir und A., ich male mir schon alles so aus, dass es für dich gar nicht sehr angenehm ist. Darum will ich es dabei bewenden lassen.
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Der Chat gestern war für mich absolute Spitze, vielleicht etwas lang, wenn sie hier meine Telefonrechung sehen, aber sonst wirklich sehr schön. Ich habe dich noch nie so nah gehabt, Marlena, es war eine echte gegenseitige Liebeserklärung und noch vieles dazu. Und du hast vieles gesagt, so dass ich dich besser verstehe und sozusagen exakter liebe.
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So wollte ich dir sagen, dass ich hier ganz aus dem Konzept geraten bin und den Faden zu meiner Arbeit kaum finde. ...

Und unser Management-Kurs ist mir wieder in den Sinn gekommen. Das waren ja alles Kaderleute aus der Verwaltung, Männer und Frauen, Polizisten und Dienstleiterinnen und Pressesprecherinnen und so fort. Und zum Schluss sassen wir alle in einer Runde und jeder musste eine Person auswählen und diese Person sollte ihm sagen, was ihm aufgefallen sei an ihm, irgend etwas Persönliches, eine Anerkennung, ein positives Bild. Und ich war so erstaunt, wieviele Personen mich als Person gewählt haben, und sie meinten ich sei eine Art von weise und ruhig und gerecht und stehe über den Dingen. Soviele wollten sich von mir charakterisieren lassen. Ich fühlte mich stolz, aber auch etwas geniert angesichts soviel Anerkennung. Und ich habe bei mir gedacht, dass es auch schön sei, etwas älter zu sein. Die Leute akzeptieren dich mehr mit deinen weissen Haaren, habe ich mir gedacht.

Und jetzt stehe ich hier wie ein kleiner Junge, und niemand kann mir sagen, was mit mir geschehen ist.

Ich habe mir Sorgen gemacht zu sehen, dass du vor 4 Uhr in der Früh schon wieder auf warst. Und dass du ja noch 3 Stunden gearbeitet hast nach unserem Chat, und ich bloss Wein getrunken. Ja, meine Liebe, ich hätte dir so gerne bei deiner Arbeit geholfen, hätte ich nur gekonnt. Es wäre mir wirklich ein grosses Vergnügen gewesen, denn, wie du sagst, diese Maladi gibt auch viel Energie, wenn man sie denn richtig einsetzen kann.
*
Du hast Camus zitiert, ...

Freitag, 26. März 2010

ROMA AETERNA

Dass für mich bei dir ein Bild von Prag hängt, das ist ein zuckersüsser Gedanke. Du bist so lieb, daran gedacht zu haben. Und ich sehe daran nochmals, wie ernst dir ein Treffen mit A. war. Dabei hatte ich doch anfangs gedacht, du zögerst und hast nicht den Mut dazu. Häng es auf bei Dir. Es ist ja für mich merkwürdig, wie stark du mich mit Prag in Verbindung bringst, eine Stadt, die ich noch nie gesehen habe, die voller Touristen ist, die einige unfreundliche Tschechen zu bieten hat, neben den paar Brücken und der Burg. Aber von dir, meine liebe, lasse ich mir das gerne bieten. Ich überlege mir schon irgendwie im Hinterkopf, wie ich einmal nach diesem Prag komme. Einmal schon. Aber im moment ist mir Rom viiiiiieeeel wichtiger. Das kannst du mir glauben. Ich setze praktisch alles auf diese Karte.

Wenn wir zusammen Rom nicht schaffen, werden wir uns im Leben wahrscheinlich nie sehen. Du sagst, wir können uns sehen, wenn die maladi vorbei und bloss noch Freundschaft ist. Wie stellst du dir das denn vor. Eine platonische maladi hält ewig, das solltest du doch jetzt nachgerade wissen. Und ein Römisches Tagebuch hält vielleicht nicht ewig, aber bis an unser Lebensende wird es halten. Da bin ich mir sicher. ...

*
Ich möchte dir soviel erzählen, was mir noch in den Sinn kommt. Du würdest es nicht glauben, und deine Tintenpatronen würden nicht hinreichen. Dein Drucker würde gar nicht mehr stoppen und du müsstest die Feuerwehr kommen lassen, weil das Papier im Zimmer steigt und steigt und langsam bis zur Decke reicht. Und deine Nachbarn würden mit sorgenvoller Miene sehen, wie es schon zu den Fenstern hinaus quillt, das Papier mit den Kilometermails.
*
Und wenn du es vielleicht vergessen haben solltest: ich liebe dich. Ich weiss zwar nicht, wie das gekommen ist und wie man überhaupt sowas machen kann, eine mehr oder weniger imaginäre Frau zu lieben. Aber durch das, was zu mir gedrungen ist, durch deine Zeilen und deine Bilder kann ich sagen, ich liebe dich. Und das ist, du weißt es, die grössere Puppe als die Maladi. Aber die maladi darf nicht das einzige Ziel unserer Romreise sein. Verstehtst du mich? Hast du andere Vorschläge? Gegenvorschläge? Anträge? Rekurse? Proteste? Küsse?

Ich wünsche dir einen aufregenden Tag, wie der meine ist.
Dein ...

PS: dieses "Dein", ich habe es immer gehasst, wenn die Leute in Briefen diesen Abschluss schreiben. Dein so und so, ich fand das immer so komisch, so übertrieben affektiert. Und ich kann mich nicht erinnern, dass ich es je in einem Brief gebraucht hätte. Aber irgendwie möchte ich mich wirklich hingeben zu dir, dazu würde dir sicherlich eine schöne Zeile von Rilke einfallen. Vergiss nicht, eine Rilke Ausgabe mit nach Rom zu nehmen. Die werden wir auch brauchen. Dafür lassen wir Kafka zuhause, den armen Tropf.

Ciao, und lerne noch ein bisschen Italienisch, wir werden das brauchen, ich kann nur pane und vino sagen, und piano piano amore mio. Das vielleicht noch, in einem schönen Moment.

Montag, 22. März 2010

ROMA AETERNA "Römisches Tagebuch"

Subject: ROMA AETERNA und die strada del sole und solche Sachen
Date: Fri, 12 May 2000 07:54:38 GMT


Liebe Marlena
Ach, ich fange nochmals mit dem ach an. Das erinnert mich an Rilke und seine Elegien, die Klagelieder, die diesen speziellen Ton haben. Dieses ach, das für Männer ja ein bisschen preziös und sentimental und auch feminin tönt. Ich brauche es gerne, dieses ach, das hast du sicher schon bemerkt, Marlena.

Wie gesagt, ich habe mich heute verschlafen. Soll ich dir alles erzählen. Es ist vielleicht ebenso dramatisch wie deine Nacht, bei der ich sehe, dass du schon vor 4 in der Früh wieder am PC gesessen bist. Ach, wie hätte ich nach diesem Chat gestern gerne .. Sowas gehört doch auch zu einer echten maladi, oder etwa nicht?
...
Also, zu meiner Nacht. Ich bin etwas vor 2400 zu Bett gegangen. Ich wollte noch etwas lesen, und habe ein Buch über gotische Malerei mitgenommen. Das hat viele Bilder, habe ich mir gedacht, denn zum Lesen war ich schon etwas müde. Und dann bin ich wieder aufgestanden. ...
Die Nacht war warm. Etwa 300m oberhalb gibt es Nachts immer ein Fenster, mit Licht, fast immer. Ich stelle mir vor, es ist eine Frau, die nicht schlafen kann. Ich habe mir noch nie einen Mann dort vorgestellt. Immer eine Frau, allerdings eine alte und leidende Frau. Manchmal ist um drei in der Nacht dort noch Licht.

Und ich habe nicht gewusst, dass das auch Marlena sein könnte, die um drei schon wieder am PC sitzt.
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Und ich will dir erzählen, was ich in dieser Nacht gedacht habe.
In meinem bittersüssen auf und ab Gehen. ...
...
Und was ich gedacht habe? Es tut mir leid, vielleicht magst du es nicht. Vielleicht hast du das Gefühl, ich will dich zu irgendwas drängen, wozu du eigentlich noch nicht bereit bist. Vielleicht denkst du sogar, ich will dich erpressen dazu. Doch das will ich nicht. Das nun wirklich nicht.

Aber für mich ist definitiv geworden. Ich werde nächstes Jahr nach Rom gehen. Zuerst hatte ich mal an 2 Wochen gedacht. Jetzt bin ich schon bei drei Wochen. Ich will nicht sagen, ich möchte mit dir nach Rom gehen. Ich möchte, dass wir uns in Rom treffen, für drei Wochen. Das kann im Sommer sein oder im Herbst, oder auch im Frühling. Aber im Frühling für mich am wenigsten. Ich möchte, dass wir zusammen Rom von unten bis oben, von links bis rechts, von hinten bis vorne erleben. Es sollen 3 intensive Wochen sein. Wir werden alles sehen, vom Vatikan und der Peterskirche bis zum Forum Romanum. Alles. Ich werde mich ein bisschen vorbereiten, lesen, Stadtpläne studieren. Und wir werden beide ein leeres Tagebuch mitnehmen. Und nach dem Mittagessen, in der Siesta, werden wir jeweils unsere Erlebnisse aufschreiben, du die deinen und ich die meinen. Du machst das ja vielleicht in Schwedisch, und es wird ganz deine eigene Welt sein. Die Erlebnisse sind alles, Rom, die Stadt, der römische Katholozismus, unsere Liebe, vielleicht auch mal kleine Aerger und Müdigkeiten und was auch immer. Du schreibst alles aus deiner Sicht als Frau von Schweden. Ich schreibe alles aus meiner Sicht als Mann aus der Schweiz. Ich werde auch Zeichnungen machen, das mache ich gerne, wenn ich Zeit und Geduld habe. Und wir werden viele Fotos machen.

Und nach drei Wochen gehen wir wieder heim, du zu den Deinen und ich zu den Meinen. Und dann werden wir unsere Erlebnisse in Mails bearbeiten und daraus ein Büchlein machen. Es könnte heissen "Das römische Tagebuch" und es wäre gestaltet wie ein Duett, mit einer Frauenstimme und einer Männerstimme. Sehr romantisch, aber wichtig, diese zwei Stimmen, das ist modern, finde ich, denn die Frauen sehen die Welt anders als die Männer, das sollte zum Ausdruck kommen. Und dann veröffentlichen wir das Büchlein. Wir können das unter einem Pseudonym veröffentlichen. Ich glaube, wir können das gemeinsam schaffen. Und es wäre für mich fast ein Lebenshöhepunkt, wenn wir das schaffen. Und ich würde für den Rest meiner Jahre davon zehren und es würde mir bleiben wie eine Insel mitten im Meer.

Verstehst du mich? Ich möchte nicht nur in meiner Verliebtheit mit dir nach Rom. Ich möchte dir natürlich gerne Rom zeigen, das du noch nie gesehen hast. Ich möchte aber auch, dass du mich in eine Messe mitnimmst, dass du mir dein Rom zeigst. Aber ich möchte nicht nur verliebt sein, ich möchte daraus ein Lebensprojekt machen, ein kleines Kunstwerk machen. Und das "Römische Tagebuch" wird das Produkt dieses Projektes sein.
Wir werden immer darauf stolz sein. Vielleicht wird es kein Bestseller. Aber ich glaube, wir können uns gegenseitig sosehr inspirieren, dass es schon ziemlich gut herauskommen wird. So, wie du mir Prag beschrieben hast, kann ich sehen, dass du dazu fähig bist, das zu beschreiben.

Das einzige Problem ist, dass dein Teil eigentlich in Schwedisch, mein Teil in Deutsch wäre. Und dafür gibt es nun ja kein eigenes Publikum. So müssten wir vielleicht deinen Teil ins Deutsche übersetzen und den meinen ins Schwedische. Und dann hätten wir zwei Varianten.

Ich will jetzt nicht schon deine Bedenken vorausdenken. Ich für meinen Teil werde ohnehin allein in die Ferien gehen. S hat das schon 2 oder 3 mal gemacht. Und ich habe es immer angekündigt. Du musst dir keine Gedanken machen um meine Familie. Das ist meine Angelegenheit. Du musst dich nur um deine Familie kümmern. Ich werde ohnehin gehen, ob du kommen kannst oder nicht. Du musst mir vielleicht nicht jetzt schon sagen, ob du das einrichten kannst. Aber wenn es dir möglich ist, wäre es gut, wenn wir bis zum Sommer die Termine absprechen könnten. Und wenn du es nicht tun kannst, sag es mir. Ich nehme es dir nicht übel. Ich weiss dann, dass es in deiner Situation einfach nicht möglich ist. Ich spüre deine Liebe deutlich, und ich weiss, wenn du kannst, wirst du es tun. Und wenn du nein sagst, dann sind es Gründe, die nicht in dir selbst liegen. Vielleicht kannst du mir nicht alles erklären. Aber ich werde es akzeptieren, ohne es dir übel zu nehmen. Es soll an unserer maladi nichts ändern. Ich will dich also nicht erpressen.

Das wäre wirklich ein Höhepunkt in meinem Leben, das Römische Tagebuch. Ich bin schon ganz vernarrt in den Gedanken und ich sehe die Orte in Rom, die wir anschauen werden. Wir können nicht den ganzen Tag im Hotelzimmer sitzen und flirten, meine Liebe, es wird harte Arbeit werden. Mach dich also auf einiges gefasst. Nimm deine Vitamintabletten mit. Aber wir werden mit vollen Taschen zurückkommen. Und wir werden daraus etwas Schönes machen. Es wäre wirklich die Geschichte einer amour fou.

Das also habe ich gestern Nacht überlegt. Und ich bin 100% sicher, dass es etwas Gutes werden wird. Ich weiss auch, wo der schwache Punkt liegt. Es ist der letzte Tag dieser 3 Wochen, wenn wir Abschied nehmen müssen. Das ist richtig, das wird ein heikler Tag werden. Aber genau darum dürfen wir nicht nur wegen unserer Liebe nach Rom, wir müssen wegen Rom nach Rom.
Das ist unser Hauptprojekt. Und die maladi ist bloss die Brille, die wir tragen, wenn wir zusammen Rom erkunden. Und das Tagebuch ist sehr wichtig. Nimm ein dickes mit, Marlena, und einen Reservestift. Und wir werden römisch essen und römisch lachen und römisch weinen und römisch lieben. Vielleicht wird es dir einen kleinen Teil davon geben, was du in all den Jahren gesucht hast. Aber die Stadt Rom wird uns helfen, dass wir nicht in der maladi versinken. Ich weiss nicht, ob wir auch eine Privataudienz beim Papst kriegen, das weiss ich nicht. Aber sonst werden wir fast alles kriegen, was wir wollen, da bin ich sicher.
Ich habe auch an Anna gedacht, was aus ihr wird in diesen drei Wochen? Zur Not könntest du sie auch mitnehmen. Wir würden dann zu dritt in die Messe gehen.

Und dann gehen wir heim und bearbeiten unser Projekt weiter, bis man ein Büchlein herausgeben kann. Es war schon immer eines meiner Lebensziele, ein Buch zu machen. Diesen Wunsch habe ich schon lange in mir. Ich habe schon eine Ausstellung meiner Öl-Bilder gemacht, das war vor knapp 20 Jahren.
Und ich habe auch einige Bilder verkauft damals. Aber dann hatte ich neben der Arbeit immer weniger Zeit zum Malen. Malen braucht viel Zeit, braucht noch mehr Zeit als Schreiben. Und die Ölfarben trocknen ein, wenn du nicht täglich dran gehst, und das ist ärgerlich. Schreiben ist geradezu leicht dagegen.

Sag mir Bescheid, wenn du weißt, ob du beim Projekt "Römisches Tagebuch" mitmachen kannst. Wenn du nicht kannst, dann sag nicht zu schnell Bescheid. Dann warte noch bis zu den Sommerferien. Und ich bitte dich, denke dabei nur an dich und deine Situation, nicht an meine. Ich werde hier damit schon fertig.

Vielleicht werden die drei Wochen auch unser ganzes Leben verändern. Wer weiss? Vielleicht werde ich dann meinen guten Job hier hinschmeissen und meine alten Tage in Stockholm unter einer Brücke leben. Wenn ich allerdings an dieses schöne Winterbild denke, das du mir geschickt hast, wo die Nebel aus dem Wasser steigen, dann fröstelt mich schon ein bisschen, ehrlich gesagt. Aber vielleicht gehen wir auch als Schriftsteller Duett nach Rom.

Ich finde, ein Buch im Duett zu schreiben, ist absolut neu. Ich kenne keines bisher. Und es entspricht der modernen Welt, wo man den Blickpunkt der Frau und jenen des Mannes nicht mehr zusammenbringen kann. Es sind zwei unterschiedliche Arten, in der Welt zu sein. Und das muss herauskommen. Wir können also nicht nur miteinander verschmelzen, wir müssen auch Gegenpositionen suchen, wir müssen uns kritisieren, inspirieren, befragen, weiterhelfen, korrigieren. Ach, wie stelle ich mir das alles schön vor. Und bei all dem bist du für mich so lebendig, wie ich dich nie lebendiger erlebt habe. Man könnte das Buch auch Amour fou nennen, aber soweit wollte ich jetzt noch nicht gehen. Als Arbeitstitel ist Römisches Tagebuch besser. Und mit der Zeit fällt uns vielleicht noch ein besserer Titel ein. Es wird der Höhepunkt meines Lebens. Und wir werden beide eine neue Vitalität daraus gewinnen. Ich bin ganz betrunken von der Idee.

Ich hoffe bloss, dass es mit Anna und K für dich möglich ist, so etwas Grosses zu machen. Verdient hättest du es ja längst, eine Pilgerreise nach Rom. Wir würden auch regelmässig Postkarten unseren Lieben heim schicken, damit sie nicht annehmen, wir wären in Rom vertrocknet oder gar versauert.

Ach, am liebsten wäre mir, du würdest heute abend ja sagen und wir könnten gleich anfangen mit der Organisation.
Nicht gleich Lire wechseln, aber immerhin Termine, Hotel, Reiseführer, ich wäre wirklich sehr eifrig. Sag mir Bescheid, liebste, aber den negativen, sag ihn nicht zu früh. Schlaf ein paarmal drüber. Wenn du denn überhaupt noch schlafen kannst bei diesem aufregenden Leben.

*

Und wenn du es vielleicht vergessen haben solltest: ich liebe dich. Ich weiss zwar nicht, wie das gekommen ist und wie man überhaupt sowas machen kann, eine mehr oder weniger imaginäre Frau zu lieben. Aber durch das, was zu mir gedrungen ist, durch deine Zeilen und deine Bilder kann ich sagen, ich liebe dich. Und das ist, du weißt es, die grössere Puppe als die Maladi. Aber die maladi darf nicht das einzige Ziel unserer Romreise sein. Verstehtst du mich? Hast du andere Vorschläge? Gegenvorschläge? Anträge? Rekurse? Proteste? Küsse?

Ich wünsche dir einen aufregenden Tag, wie der meine ist.
Dein ...

Sonntag, 21. März 2010

Reich-Ranizky

Lieber ...,
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Mit unserem Gast neulich habe ich mich auch ein wenig über diesen Marcel Reich Ranizky unterhalten.
Er nannte plözlich seinen Namen und ich wurde neugierig. Leider können wir ja nicht diese sicher sehr interessanten Sendungen hier sehen. Unser Gespräch endete damit dass ich mir im Internet seine Memoiren bestellen wollte. ”Mein Leben” nennt er sie schlicht, glaube ich. Aber es ist erst im Oktober lieferbar. Ich werde mir ein paar interessante Bücher mitnehmen in den Norden und natürlich auch das ”Italienisch-Buch”. Meine Vorsätze sind sehr gross, mal sehen was daraus wird ;-)
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Subject: Re: Ti voglio bene
Date: Fri, 07 Jul 2000 17:06:05 GMT

Liebe Marlena,
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Überigens, du hast Marcel Reich-Ranicki erwähnt. Du wolltest seine Biographie lesen? Lass mich dich ein bisschen warnen: Marcel Reich-Ranitcki ist zwar so etwas wie der deutsche Literaturpapst geworden. Aber man muss wissen, dass er in akademischen Kreisen nicht so ernst genommen wird. Er betreut den Literaturteil der Frankfurter Allgemeinen und alle kennen ihn, weil er in seiner Fernsehsendung "Das literarische Quartett" zu den Büchern pointiert Stellung nimmt. Aber man muss auch sagen, er hat einen konservativen Geschmack und er ist alt geworden. Er mag Bücher, die linear geschrieben sind, die man leicht versteht. Er vertritt sozusagen den Geschmack des Fernsehpublikums. Und es gibt ja fast nur noch Bücher von diesem Niveau. Wenn ein Buch im Quartett gelobt wird, dann ist es am nächsten Tag in den Buchhandlungen ausverkauft. So hat er eine grosse Wirkung auf den Markt. Natürlich ist er nicht allein. Aber man sieht auch, dass die Sendung ein bisschen wie eine Show aufgezogen wird. Sie inszenieren geradezu einen Streit, und die Leute mögen das. Das Schweizer Fernsehen hat auch eine Literatursendung. Und sie ist feiner und intelligenter, manchmal vielleicht nicht so spannend.
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Fast-Unfall

Subject: Schwesterherz
Date: Sat, 20 May 2000 06:13:10 GMT


Meine liebe Marlena

Ach, es ist schön, wieder mit dir zusammen zu sitzen und ein bisschen zu erzählen. Ich habe zwar erwartet, dass ich in meinem Inbox ein grösseres Mail von dir finden würde. Doch mindestens habe ich bemerkt, dass du an mich gedacht hast.

Wo soll ich denn anfangen? Ach ja, Freitag Morgen hat für mich mit diesem Fast-Unfall begonnen, auf dem Zebrastreifen (vielleicht nennt man das so in Deutsch?). Er hat mich wirklich beinahe überfahren und es war eine Frage von Zentimetern Ich wollte ihm nachher beinahe die Scheibe seines Autos einschlagen, habe mich aber dann ein bisschen zurückgehalten. Er war ein Franzose, vielleicht 25 oder 30. Ich habe bemerkt, dass er selbst auch erschrocken war. Er hat einfach geschlafen, nichts als geschlafen am Morgen um halb sieben.

Als meine Töchter noch mit dem Velo zur Schule gefahren sind, habe ich sie immer gewarnt, dass morgens die Autofahrer zur Hälfte noch schlafen. Sie meinen es nicht böse. Noch schlimmer. Sie haben überhaupt keine Absicht. Sie sind blind. Sie fahren dich blind zu tode ohne böse Absicht. Das ist das schlimmste. Wenn eine Absicht da wäre, könnte man sich danach richten und ausweichen, kalkulieren und so weiter. Aber nein, sie fahren blind in dich hinein.

Sag deiner Anna, sie soll besonders morgens aufpassen mit dem Velo. Die schwedischen Autofahrer werden nicht viel anders sein als die schweizerischen.

Was hättest du denn gemacht, Liebste, wenn er mich zu Tode gefahren hätte. Du hättest von mir einfach nichts mehr gehört. Was hättest du gedacht. Was hättest du getan. Na ja, immerhin hättest du noch meine Adresse, hättest fragen können, was denn mit mir los sei. Und dann hättest du noch Blumen für mein Grab schicken können. Ist doch eine schöne Vorstellung. Wenigstens auf meiner Seite! Aber vielleicht ein bisschen makaber für einen frischen Samstag Morgen. Also wechseln wir das Thema.
...

Samstag, 20. März 2010

kleine handliche Theorie

Lieber ...,
Eigentlich hätte ich doch jetzt Zeit alle meine Post zu beantworten und ich verstehe nicht warum ich es so hinausschiebe. Dabei kommt mir wieder deine "kleine handliche Theorie" in den Sinn. Schau mal hier, wie du es einmal erklärt hast. Genau so ist doch.

Liebe Malou
Ach nein, das kann ich jetzt gar nicht akzeptieren. Es ist doch nicht so, dass man nichts zu schreiben hat, wenn nichts passiert. Im Gegenteil, je weniger passiert, desto mehr läuft im Kopf. So muss es doch sein. Es ist doch alles eine Frage des Kopfes. Das solltest Du doch weiss Gott wissen.... Es ist eher eine Frage der eigenen Aktivität. Wenn man viel zu tun hat, ist man im Schuss. Man ist auf ‚aktiv’ eingestellt, und wenn man dann eine freie Minute hat, dann ist man eben aktiv und schreibt. Hingegen in jenen entspannten Momenten, da man am liebsten auf dem Sofa herumliegt, den Kater am Bauch krault, oder die Wölklein am Himmel zählt, in jenen Momenten ist der Schalter auf passiv. Und es ist undenkbar, auch nur eine Zeile zu schreiben, obwohl man eigentlich im Moment viel Zeit hätte. Ich glaube, bei mir funktioniert das System so.


Freitag, 19. März 2010

My one and only..

Subject: My one and only ...

Nein, mein Liebling! So ist es wirklich nicht. Ich könnte hier sitzen, tage und nächtelang und dir ununterbrochen schreiben ohne dich vor mir zu haben. Es ist nur dass ich dauern im Beruf kreativ sein muss. Immer neue Möglichkeiten ausdenken wie ich den "unmöglichen" Schülern was beibringen könnte. Und dann muss ich ...

Wenn du wüsstest wie gern ich dir lieber schreiben würde.. du würdest dich wundern.

Ach, wäre ich doch Pippi. Sie ist ein frischer Wind.. und ganz von Maladi befreit ;-)))

Ich liebe dich, .. Auch ich sollte es mehr für mich behalten. Aber wenn ich es nicht sagen darf dann wird es zuviel in mir.. dann maladiere ich noch mehr.. (unser lustiges Wort das so gut zu meinen Gefühlen passt, d.h. ich denke in Liebe an dich sodass es fast schmerzt wie eine Maladie).
Wenn ich dir so schreibe dann bist du ganz nahe.. als wärest du vor mir und doch kann ich dich nicht umarmen.. nur in Gedanken.. was ich auch nun tue.
...
K+S+M

Donnerstag, 18. März 2010

Pippilotta und all das ..

Liebe Marlena
Gerade studiere ich an meinem Artikel über die Erziehung herum. Und wieder kommt mir das Bild in den Sinn, wo du in der Dunkelheit neben Anna liegst, neben der kleinen Anna, und ihr Geschichten erzählst, die du gleich selbst erfindest. Das ist ein so schönes Bild. Meine Mutter hat meinen jüngern Geschwistern auch Geschichten erfunden. Sie war und ist ein echter Lindgren Typ, meine Mutter. Und ich erinnere mich, sie hat in ihren Geschichten Ereignisse des Tages miteingeflochten, um sie mit meiner Schwester am Abend vor dem Schlafen zu verarbeiten. Aber die Geschichten, so wie du, noch in der Dunkelheit zu erzählen, das ist noch mehr, das nämlich bringt Licht ins Dunkle. Stell dir vor, wenn dir jemand im Dunkeln eine Geschichte erzählst, fängst du an, zu imaginieren, und dann kann es nicht mehr dunkel sein. Es ist einfach nicht mehr möglich, dunkel zu sein. Kinder haben vielleicht Angst vor der Dunkelheit, weil sie noch nicht viele Geschichten in sich und assimiliert haben. Wenn sie das einmal haben, haben sie nicht mehr Angst vor der Dunkelheit. Geschichten sind das beste Medikament, gegen Dunkelheit. Ich werde in meinem Artikel von meiner schwedischen Freundin erzählen, die ihrer Tochter in der Dunkelheit geschichten erzählt hat. Und das werde ich in der Zeitung veröffentlichen, sieh dich vor Marlena.
*
Ich habe vor einiger Zeit ein gutes schwedisches Buch rezensiert. Es ist geschrieben von Vivi Edström, eine emeritierte Professorin für Literatur, speziell Kinderliteratur, an der Universität Stockholm. Das Buch ist 1992 in Schweden erschienen, wurde von der Schwedischen Akademie als herausragende Monographie und von der Carlo-Collodi-Stifung, Italien, mit dem internationalen Rolando-Anzilotti-Preis ausgezeichnet. Es ist wirklich ein gutes Buch und analyisert das ganze literarische Werk Lindgrens. Für meine heutigen Überlegungen ist vor allem die Figur Pippilotta wichtig. Vielleicht weisst du, Marlena, dass eine international bekannte Schweizer Künstlerin, die sich auf Video spezialisiert hat, sich Pippilotti nennt. Sie ist komisch und hat einen guten Sinn für Alltagskomik. Sie ist wirklich eine Pippi.
Pippi Langstrumpf, wie sie im Deutschen heisst, ist eine wichtige Kinderfigur, die m.e. immer noch sehr aktuell ist. Ich kenne im Moment nichts aktuelleres. Frühere weltbekannte Figuren waren Kästners Emil, oder Twains Tom Sawyer. Beides sind einmal Buben. Pippi ist aber ein Mädchen. Das ist wichtig. Und was für ein Mädchen ist sie. Sie träumt eigentlich von einer Seeräuberkarriere, und ist nur zufällig in die Stadt und die Zivilistion geraten. Eigentlich sucht sie die Freiheit und die weite Welt. Das ist top modern. Sie denkt weltweit. Sie ist ohne Eltern, dh. ohne Erziehung, subersiv, macht all das, was andere nicht dürfen. Vor allem kontrastiert sie sich gegenüber den hochanständigen Annika und Thomasse. Und wie sie aussieht, unsere Pippi: Sommersprossen und rote Haare, als Eigenschaften, für die sich bisher jedes Mädchen geschämt hätte. Sie aber findet sich bezaubernd, und ist sehr zufrieden mit sich selbst. Pippi ist expansiv, kreativ, testet alle Grenzen und ist zum Risiko bereit. Das sind geradezu männliche Eigenschaften, wenn man in alten Kategorien denkt. Pippi ist nicht eine Figur, sondern sie verbindet viele Figuren, sie spielt viele Rollen. Sie ist ein Experiment-Ich, wie Kundera sagt. Das ist sehr modern, das ist essayistisch, wie die modernen Bastelexistenzen. Und aus diesen verschiedenen Positionen liest und deutet Pippi die Welt auf ihre eigene Art und Weise. Sie ist eine Wilde mit grossen Gesten in einer statischen und eng geordneten Welt. Das Leben ist für sie eine Bühne, sie macht Showeinlagen, sie zeigt, dass das Leben Spiel ist, und sie mag gar nicht, in den Zirkus gehen. Und sie ist sogar eine mythische Figur mit einer übernatürlichen Stärke. Sie kann ihr Pferd herumtragen. Sie will auch nicht erwachsen werden. Das ist ein interessanter Punkt. Weshalb sollte sie auch erwachsen werden. Sie hat alle nötigen Grundlgen, um in der Welt zu bestehen. Erwachsen sein würden ihr keine Vorzüge mehr bieten.
Ich glaube, man kann heutigen Eltern immer noch empfehlen, den Kindern Pippi zu erzählen, vorzulesen und so fort. Es ist die Figur, die die Kinder in die Postmoderne hinüberbegleitet. Es ist m.E. immer noch die modernste Figur in der Kinderliteratur.
Dagegen war Kästners Emil ein braver Junge, ein Muttersöhnchen gewissermassen, wie Kästner selbst. Er achtete ängstlich auf das Geld und wie er seiner Mutter immer wieder beistehen könnte. Emil ist mutig, er hat einen fairen Charakter, er ist tüchtig, in der Schule der Klassenprimus, in der Freizeit hilfreich für seine Mutter. Aber er ist kleinbürgerlich, er hat nicht wirklich grosse Vorstellungen der Welt. Er sieht mehr Gefahren als Möglichkeiten in der weiten Welt. Und er grenzt sich ab gegenüber der Welt der Erwachsenen. Nur in seiner Verstrickung mit der Mutter kommt er mit den Erwachsenen, vor allem in ihren materiellen Nöten, in Kontakt. Emil ist die Figur einer Gesellschaft knapper materieller Ressourcen, eine Figur der Kriegsgenerationen. Pippi dagegen ist die Figur einer reichen Gesellschaft, die Möglichkeiten hat, die wählen kann, die sich Fantasien leisten kann. Tom Sawyer scheint mir in gewisser Weise der amerikanische Bruder von Emil. Er ist aber ein wenig weniger bürgerlich, hat einen grösseren Aktionsradius als Emil, der wirklich mit seinem Mütterchen eingeschlossen ist in ein Kleinstadtklima. Und als er einmal nach Berlin fährt, bricht gleich das grosse Abenteuer über ihn herein. Er weiss sich zwar zu helfen, in der Solidarität der Kinder untereinander. Aber er ist kein Stadtmensch.
Ach, das ist vielleicht ein bisschen langweilig für dich, Marlena. Aber ich habe doch versprochen, ich wollte das mal mit dir diskutieren. Und jetzt, da ich es erzähle, wird mir vielleicht einiges klarer.
*
Ich habe mich gefragt, warum du sowenig Lust hast, mitzuschreiben. Du sagst, du kannst nicht schreiben, dh. es kommt dir nicht. Ich kann mich erinnern, dass du mehrere Male geklagt hast, dass du nicht mit mir am ST sprechen kannst, denn dann könntest du nachher auch schreiben. Ist es so, dass du eine konkrete Person gegenüber haben musst, um schreiben zu können. Du brauchst sozusagen einen sinnlichen Bezug. Du musst den anderen riechen, damit du schreiben kannst, damit dir die Ideen kommen. Und du hast bestätigt, dass du scheibfaul bist und dass Leute ein Jahr auf deinen Brief warten müssen. Angesichts dieser schwerkranken Diagnose kann ich mich nun allerdings nicht beklagen. Du schreibst auch viel klarer als ich. Du weißt genauer, was du sagen willst, habe ich oft den Eindruck? Also, ich finde, wir müssen das Zusammen machen. Du hilfst mir und ich helfe dir. Das wäre echt schön.
*
Du wolltest keinen Kommentar geben über unser Foto der Familie. Nun, ich weiss, du bist sehr diplomatisch. Aber du hast dann doch etwas gesagt. Nur über mich hast du absolut nichts gesagt. Welchen Eindruck hast du denn bei mir. Ich bin dort ja noch jung. Das war vielleicht vor 10 Jahren. Ich weiss es nicht einmal mehr genau. Die Zeit geht so schnell. Also, wenn du kannst, bitte, sag doch was Nettes über mich. Oder bin ich dir dort so unsympathisch???
*
Jetzt möchte ich wirklich wissen, ob du mir nicht doch ein kleines Mail geschickt hast. Du hast doch versprochen, mein Hotmail-Adresse zu ändern. Na also, und du darfst sogar meinen Namen auswählen. Sowas überlasse ich meinen Geliebten, nur ihnen. Sonst würde ich das schon selbst machen.
Ich wünsche dir einen schönen Abend. Hast du den Tag gut überstanden? Bist du irgendwo in einer Lektion eingeschlafen, wie es den Schülern gelegentlich passiert, wenn sie die ganze Nacht Feste gefeiert hatten?
Ich liebe dich, blutrote Marlena, und ich weiss, dass ich es nicht sagen sollte.
G+K+S+M
...

Prag noch einmal

Prag noch einmal
Fri, 26 May 2000 05:40:10 GMT


Liebe Marlena
...
Du wirst es vielleicht für eine Ente halten, aber ich muss dir sagen, gestern Abend war ich für eine gute Stunde in Prag. Nun, es gab eine Sendung am Fernsehen, und die hiess "Karel Gott führt durch das musikalische Prag". So irgendwie. Du wirst ihn doch kennen, diesen Gott, mit seiner göttlichen Stimme. Er hat einen solchen Anschlag, der sehr süsslich wirkt. Ich habe das immer für eine tschechische Spezialität gehalten, denn die italienischen Tenöre zeigen das nicht. Es sind diese Mellismen, die wie ich glaube aus dem Osten kommen und dir ans Herz zu gehen versuchen. Man hört sie ja auch bei der arabischen oder der persischen Musik, und wohl auch bei den Türken. Ja, bei den einen geht es wirklich ans Herz und bei anderen weniger. Karel Gott ist ja der Liebling der Schwiegermütter, ist er das nicht?
So hat also Gott gesungen und im Hintergrund, oder auch in speziellen Szenen hat man Bilder von Prag gesehen. Normalerweise hätte ich diese Sendung nicht mit solcher Aufmerksamkeit angeschaut. Aber gestern wollte ich ein bisschen etwas von diesem Prag erhaschen, das du so gelobt hast.
Angefangen hat er natürlich mit der Karlsbrücke, die ich nun ja schon von deiner lieben Postkarte kenne. Sie sei die zweitälteste Brücke Europas. Und sie erinnert mich ein bisschen an die mittlere Brücke Basels, oder aber jene vor der Engelsburg in Rom. Dort hat es auch beidseits schöne Statuen. Im übrigen erinnerte ich mich, dass Kundera eine Romanpassage in einem Haus unmittelbar bei dieser Karlsbrücke spielen lässt. Gott hat nun erzählt, dass man diese Brücke besonders robust und stabil bauen wollte unter Kaiser Karl IV, und dass er befahl, in den Mörtel Eigelb zu geben. Und die Bauern der Region sollen tonnenweise Eier herbeigeschleppt haben. Aber keines der Eier sei je im Mörtel gelandet. Alle hätten sie so aufgefressen. Und deshalb sei die Brücke heute eben ein bisschen wackelig.
Auch die landschaftliche Situation Prags hat mich ein bisschen an die Schweiz erinnert. B, wo ich arbeite, liegt zum Beispiel ganz ähnlich so zwischen den Hügeln wie Prag. Und ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer tschechischen Ärztin, die mir sagte, sie fühle sich hier so wohl, weil die Landschaft sei wie in Tschechien.
Karel hat dann auch erwähnt, dass Prag einst das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gewesen sei, also das Herz Europas, und dass dort die erste Universität Europas entstanden sei, wo man Deutsch ohne Akzent gesprochen habe. Und er hat auf Mozarts Pragreise hingewiesen, die ja von Mörike beschrieben worden ist (das Buch wollte ich lesen, als du in Prag warst, aber ich hatte dann doch nicht die Zeit), wo er die Uraufführung seines Don Giovanni feierte und von den Menschen als Liebling von Prag gefeiert wurde. Eine Szene spielte im hübschen Jagdschloss Veltrusy mit seinem wunderschönen französischen Garten. Und den rosengarten Konopiste erwähnte er speziell für Liebende, weil er einen intimen und sehr romantischen Charakter hat. Man sah den Wenzelsplatz und einige Ansichten des respektablen Nationalmuseums. Und schliesslich wurde auch das Schloss Konopiste 50 km ausserhalb Prags gezeigt, das Kronprinz Ferdinand ausgebaut hatte, mit seinem englischen Garten. Angefangen und geendet hat die Sendung mit dem Kloster Strahof, aus dessen wunderschöner barocken Bibliothek. In solche Bibliotheken bin ich verliebt. Wir haben ähnliche in St. Gallen und in Einsiedeln. Ich könnte dort stundenlang verweilen zwischen den alten Büchern. Und dann sah man noch den Lucerna Saal, den er mit dem Pariser Odeon verglich und wo er scheinbar seine Karriere angefangen hatte und immer wieder aufgetreten ist.
Ja, Marlena, es scheint mir eine sehr schöne Stadt, Prag, nicht zu gross, mit diesen wunderhübschen Bürgerhäusern. Und die Barockbauten können mich ohnehin immer wieder begeistern. Das Strassenpflaster, das du so unvergesslich geschildert hast, haben sie nicht so detailliert gezeigt, dass ich hätte schlitteln mögen. Aber man konnte auf der Karlsbrücke auch die unendlich vielen Touristen sehen. Es ist wirklich grässlich, wie sie wie die Heuschreckenschwärme daherkommen und mit ihren Augen alles kahlsehen. Es ist eine Seuche, der moderne Tourismus. Und natürlich machen wir mit, weil wir auch gerne solche Städte anschauen.
Karel Gott ist ein Tenor, und er hat einen Witz über die Tenöre erzählt. Er meinte, es gäbe ebensoviele Tenorwitze wie Blondinenwitze. Da war also ein altender Tenor, der ein bisschen Probleme hatte mit seinem Gedächtnis. Aber er schaffte seine Arbeit im allgemeinen noch ganz gut. Doch einmal stand er wieder auf der Bühne, der Dirigent gab ihm den Einsatz, aber er blieb stumm. Nochmals gab ihm der Maestro - diesmal deutlicher - den Einsatz: nichts. Die Soufleuse lag schon beinahe auf der Bühne und zischte ihm die Stichworte: Una furtiva lacrima...., die übrigen Sänger wollten ihm unter die Arme greifen und zischten die Zeilen una furtiva lacrima. Mit verzweifeltem Blick grollender Stimme gab der alternde Tenor zurück: mein Gott, nicht den Text, die Melodie!!!
So habe ich nun doch noch etwas von unserem Prag mitbekommen. Und ich kann mich umso mehr auf Rom konzentrieren.
*

Dienstag, 16. März 2010

Kürze des Lebens

(Fortsetzung von "das Leben nachholen)
Liebe Marlena
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Ich wollte was anderes sagen. Ich hatte doch einen Satz von Dir in Erinnerung. "Ach wie schön und sorglos das Leben damals war!" Die Melancholie des Abschieds, der immer schon stattfindet, die mit diesem Seufzer aufsteigt (ich hatte dort "Säufzer" geschrieben, entschuldige, war falsch, kommt nicht von saufzen) ist das, was uns zur Kunst des Lebens führt, zum savoir vivre. Ohne das Bewusstsein der Kürze des Leben kommt man nicht zur Überzeugung, das Leben intensivieren zu müssen. Unser biologisches Leben ist so kurz, freilich mit den ca. 80 Jahren Lebenserwartung länger denn je, aber immer noch so kurz, dass man sich überlegt, wie man mehr daraus machen kann. Es ist wie ein Acker, den man nicht der Natur zu überlassen bereit ist, weil er dann einfach zu wenig Früchte erbringen würde. Man fängt also an zu denken und kommt zur agri-cultura. Und hier, bei unserem Leben, kommt man zur vita-cultura, zur ars vivendi. Das Leben ist wie ein Kelim. All meine Träume und meine Hoffnungen und meine Gefühle und meine Erkenntnisse muss ich zwischen die beiden Enden stopfen, so dass es insgesamt eine sehr intensive und farbenstarke Musterung ergibt. Und solche Musterungen geometrischen Figuren, die wir auf den Teppichen und Kelims finden, sind in ihrer Regelmässigkeit und Regelhaftigkeit Behauptungen zur Ewigkeit. Gerade die Regelhaftigkeit weist über den Teppich hinaus, transzendiert das kleine Stück geflochtenen Stoffes und verweist auf Höheres, eben auf soetwas wie Ewigkeit. Da sind wir wieder bei unserem Platon angelangt.
Die Kürze des Lebens legt uns nahe, dieses unser Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten, es nicht der Natur oder irgendwelchen äusseren Einflüssen zu überlassen, sondern selbstmächtig selbst zu entscheiden. Das ist der Aufstand der Kultur gegen die Natur in uns Menschen. Es geht darum, sich selbst zu stärken, sich zu Gestalten, den Härtegrad des eigenen Selbst zu erhöhen, das relative Gewicht zu verbessern, um in der Welt der Schmerzen, der Schicksale und der Unruhe besser bestehen zu können. Das ist Seneca mit seiner Stoa. (Es gibt ein gutes Buch über Seneca von einem Skandinavier, ist er ein Däne? Er heisst Sörensen oder so, allerdings nicht wirklich mit einem "ö" geschrieben, sondern irgendwie mit o und /. Ach was habt ihr dort im Norden oben auch für Buchstaben!!!) Die Lebenskunst führt zur Gelassenhei. Das ist offensichtlich ein Programm gerade für südliche Menschen, die im eigenen Naturel wenig Gelassenheit haben, die aufbrausen, die leicht kochen und explodieren und sich verausgaben. Das ist eine Philosophie des Iberers Seneca, mit der südlichen Natur fertig zu werden.
Erst wenn wir unser Ende im Geiste akzeptieren, können wir unser Leben geniessen als ars vivendi. Erst die Begrenztheit, die etwas durch und durch Menschliches ist, bringt uns die Lebenskunst. Ewig zu leben bringt keine Kunst. Ewig zu leben ist die reine Monotonie, unerträglich lange und langweilig. Das wäre Leben im Überfluss. Das knappe Leben macht Leben wertvoll, bringt uns dazu, Leben zu veredeln, noch mehr daraus zu machen, zu vertiefen,zu intensivieren, wo man nicht extensivieren kann. Es ist doch erstaunlich, wie kranke Menschen, zB. Aidskranke, oder alte Menschen, im Bewusstsein ihres Endes das Leben geniessen können. Sie sind sehr wählerisch, sie sind sich ihrer sehr bewusst, sie finden jeden gelebten Tag so köstlich und grossartig, wie wir ihn normalen Lebenden niemals finden würden. Das Leben auf dem Hintergrund des Nicht-Lebens zeigt das Juwel. Es ist diese alte Figur - Grund Beziehung, die als Gesetz der Wahrnehmung immer wieder auftaucht. Das lässt sich vielleicht auch dort sehen, wo man im Fernsehverhalten die kannibalische Sucht der Menschen erkennt, sich am Unglück anderer Menschen zu weiden. Sie bauen sich selbst am Unglück anderer Menschen auf, am liebsten unbekannter Menschen. Das ist sozusagen die hintere Seite des Darwinismus.
Liebe Marlena, das war jetzt vielleicht nicht sonderlich klar geschrieben und gut überlegt und sehr verständlich. War sozusagen Tagebuch pure, eigene Ideen skizziert, mehr für mich selbst als für irgend jemanden anders geschrieben. Vielleicht werden meine Gedanken damit klarer? Hoffentlich verwirren sie dich nicht allzu sehr! Du bist ein feiner Mensch und ich möchte zu dir Sorge tragen, meine Mausfreundin.

Sonntag, 14. März 2010

über Ironie

Gerade lese ich einen Artikel, dass die Zeit der IRONIE vorbei sei. Soll ich ein bisschen ausholen? Das lenkt uns vielleicht ab.

Ironie und Moderne gehören zusammen. Sie sind ein Zwillingspaar. Es gibt im 20. Jahrhundert kaum einen Schriftsteller von Rang, der sich als unironisch bezeichnen liesse. Das vergangene Jahrhundert hat bombastische, hybride und teilweise verheerende Weltveränderungen gebracht. Aber im Geistigen war es in einer diametral entgegengesetzten Tonart. Es war ein Zeitalter der Verstellung, der Untertreibung, der Verkleinerung, kurz: der Ironie. Den programmatischen Auftakt bildete 1903 die Novelle von Thomas Mann "Tonio Kröger". Für das Adjektiv unironisch finde der junge Autor ein ganzes Arsenal von Synonymen: pathetisch, sentimental, schwerfällig, täppisch-ernst, unbeherrscht, ungewürzt, langweilig, banal. Er nennt 9 Ausdrücke für das Unironische, und das Unironische selbst steht in der Mitte zwischen unbeherrscht und ungewürzt. Die Kette ist aufgebaut nach einer Art Antiklimax, vom Pathetischen herabstürzend zum Banalen.

Aber das Ironische war schon zu Manns Zeiten ein alter Hut, gut hundert Jahre alt. Und bei Tonio Körger fehlt der Begriff "unmodern". Denn Moderne und Ironie gehören zusammen. Ironie ist nach der Französischen Revolution in Mode gekommen. Sie war als methodisches Instrument und geistige Haltung natürlich viel älter. Wurzeln gehen zurück bis Sokrates, Cervantes, Diderot, Sterne und vielen anderen. Aber erst mit der Wende zum 19. Jahrhundert wurde Ironie zur privilegierten und beliebten Ausdrucksform der Elite. Es gab auch Skeptiker. Nietzsche meint, sie verderbe den Charakter, sie gleiche einem bissigen Hund, "der noch das Lachen gelernt hat, ausser dem Beissen". Und Kiergegaard nennt sie ein "Niezuendekommen in negativer Freieit" ein "Herumirren im Nichts". Kundera nennt den Roman als die ironische Kunst schlechthin. Und er Zitiert Sciascia: "Nichts, was schwieriger zu verstehen wäre, nichts, was weniger zu entziffern ist als Ironie". Doch jeder monderne roman zeichnet sich aus durch seine "ihm wesensgemässe Ironie". Das ist die offizielle Lesart der klassischen Moderne, von Mann über Kafka, Musil, Broch bis zu Green, Brodkey. Es ist eine Cheflinie, eine Geisteshaltung einer bildungsbürgerlichen Elite. Doch mittlerweile ist sie in die Defensive geraten. Das junge Feuilleton spricht geradezu veräntlich vom "Ironiekult", dem endlich eine Ende gemacht werden müsse.

Schön und gut, doch was ist das Gegenteil von Ironie? Man hat sich in der begrifflichen Not auf das "Pathetische" geeinigt. Sie steht bei Thomas Mann auf Platz eins. Das Pathetische, der sogenannte hohe Ton, scheint seit Schiller ziemlich ausgestorben. Das Pathetische und das Ironische unterscheiden sich vor allem in ihrem Verhältnis zum Schmerz.

Einer der wenigen Anti-Ironiker ist Peter Handke. Er hat sich in den 80er Jahren notiert: "Vermeide das Ironische; es zeigt deine Verletztheit (...) suche den Ernst". Denn Ironie ist ein Mittel, Abstand zu schffen, sich zu verstecken, Schmerz und Verletztheit zu leugnen. Und nach handkes Dialektik zeigt man eine Wunde gerade dadurch, dass man sie geflissentlich zu verstecken sucht.

Zur Leidenschaft hat der moderne Mensch ein gebrochenes Verhältnis. Er stellt sich gönnerhaft neben sie, belächelt sie milde: das ist eine klassische Thomas Mann Attitüde. Dessen Antipode ist Kafka. Martin Walser erkennt bei ihm das Begriffspaar "Mitleid und Furcht". Bei Kafka vermischen sich pathetische und ironische Elemente auf brisante Weise. Sie provozieren Reaktionen von Lachen, Heulen bis Zähneknirschen.

"Eine unheimliche Begleiterscheinung des ironistischen Zeitalters des menschlichen Selbstverständnisses besteht darin, dass in ihm die Menschen verlernt haben, zu weinen", sagt Hermann Schmitz. Weinen befreit. Es ist in erster Linie ein physiologischer Affekt, weniger eine geistige Tat.

Lachen befreit auch. Und einer der Endzwecke der Ironie ist gerade das Lachen. Aber Ironie irritiert.

Wenn also Pathos, Ernst - im Sinne Handkes - die Nachfolge von Ironie antreten würde, wäre das nicht die schlimmstmögliche Wendung. Pathos und Ernst könnten auch Gegengifte sein gegen die Infantilisierung durch ubiquitäre Entertainment in der Gesellschaft.
*
So lass uns weinen, Marlena. Ich habe das Gefühl, mit dir zusammen zu weinen, das wäre etwas Wunderschönes. Lachen, das kann man leicht mit vielen Menschen gemeinsam. Aber Weinen, das ist schon eine höhere Kunst und braucht mehr Vertrauen und Gegenseitigkeit. Haben wir das nicht schon gemacht, zusammen geweint?

Vielleicht muss ich mir die Ironie ein bisschen abgewöhnen. Dann bin ich wirklich postmodern.
*
Es ist ein merkwürdiges Mail, nicht wahr. Doch bei all dem, ich denke allzuviel an dich. Ich denke ständig daran. Das ist doch nicht die Möglichkeit für mich, ein Mann in diesem Alter! Ist das jetzt wohl die maladie d'amour, die ich einmal als so schön und romantisch gelobt habe?

Und trotzdem küsse ich dich so sehr wie eh und je

GKH

Mein Vollmondblues

Subject: Mein Vollmondblues
Date: Wed, 17 May 2000 14:54:44 GMT


Liebste Marlena
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Ich bin einfach ziemlich blue, wenn du weißt, was ich meine. Ich bin über Mittag rasch im Städtchen gewesen, um frische Luft zu schnappen. Normalerweise bleibe ich im Büro. Ich muss versuchen, mich abzulenken. Es ist richtig, was du sagst. Stell dir vor, wo wir angefangen haben! Du bist die Champs Élisèes auf der rechten Strassenseite hinaufspaziert und ich auf der linken Seite hinunter. Und in der Hälfte haben wir uns kurz gesehen, flüchtig und nur zwischen anderen Menschen. So was von unschuldig! Und heute? Ach, deine Küsse sind so süss. Ich darf sie mir nur in Schwarz-Weiss und mit Untertiteln vorstellen! Keinesfalls farbig und keinesfalls synchronisiert. Das wäre zu lebensecht und zu intensiv! ...

Ach, es gibt soviele Frauen hier in der Schweiz, blonde, blauäugige, schöne blasse Wesen. Ich weiss bloss nicht, warum wir es uns so schwer machen müssen? Wieso so weit, Marlena, kannst du mir das sagen? Wie überhaupt kommst du dazu, im ST herumzuwandern, zu flanieren, und noch dazu im all zu plaudern? Du könntest dich doch in Deutschland umschauen, oder in Frankreich? Warum in aller Welt gerade in der Schweiz? Und dann diese Liebesgedichte Rilkes und und all die schwersüssen Zeilen! Ach, Marlena, sag nicht ich hätte dich verführt! Ich hab mir nichs weiter vorgestellt als einen kleinen Chat. Nichts Weitergehendes. Ich habe mir unter Marlena auch nicht so ein Wesen gedacht, wie du jetzt hervorgetreten bist, aus der Schaumkrone, wie Venus bei Botticelli. Wie konnte ich wissen, dass sich ein Mensch wie du im ST herumtreibt?

Du siehst, ich bin wirklich blue und ein bisschen bekloppt! Ich schreibe auch ziemlich ironisch, das merkst du sicher. Ich möchte nicht, dass du das ernst nimmst und persönlich. Es ist ironische gemeint. Du kannst es gleich abtropfen lassen.
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Gerade lese ich einen Artikel, dass die Zeit der IRONIE vorbei sei. Soll ich ein bisschen ausholen? Das lenkt uns vielleicht ab.
...

Kleiner Witz

Zur Tatsache, dass man in Rom auf seine Handtasche sehr acht geben muss, habe ich einen kleinen Witz.

Drei Piloten diskutieren, wie man in Europa bei Nebel am besten landen kann. Der Pilot der British Airways sagt: "Well boys, landing in London ist very easy, even when it is foggy. Du fliegst immer straight on. Und wenn du den Big Ben hörst, du stichst down and there you are!". Da kommt der quirlige Franzose von der Air France: "Et pour arriver à Paris, das is facile, mon dieu, très facile, du älst das main gauche hmm den linghe And, , aus dem Coquepite, und wenn tu sens das Tour Eiffel, dann du bist à Paris, définitivement!" Und zum Schluss kommt dann noch Giovanni, der Kleine von der Alitalia: "Allora amici, in Roma zu landen e molto facile, tu älstä il mano sinistra, die linke Andä aus das Cockpitä und wenn die Uhrä ist wegä, Madonna mia, è certo, du bisä a Roma.

Rom

Liebe Marlena
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Gestern abend habe ich zufällig am Fernsehen einen Film, den Rest eines Filmes über den Vatikan und den heutigen Papst gesehen. Ich hätte mir gewünscht, du würdest das auch sehen. Es ging eigentlich darum, die Bedeutung dieses Papstes zu zeigen. Man behauptet, er hätte einen grossen Einfluss gehabt auf den Fall des eisernen Vorhanges, nicht zuletzt, weil er ein Pole ist. Und er hätte viel erreicht, indem er die Menschenrechte betont und unterstützt habe. Er ist ja in der Tat viel gereist.

Es gibt doch diesen kleinen Witz, den du sicherlich kennst. Weißt du warum der Papst, wenn er aus dem Flugzeug steigt, jeweils den Boden des Landes küsst? Nun ja, was würdest du den machen, wenn du heil von einer Alitalia Maschine herunter komms?

Doch es gab auch einige kritische Köpfe, einer von ihnen Prof. Küng, ein Schweizer Theologe in Tübingen. Sie haben ihm vor Jahren die Lehrerlaubnis entzogen, ich glaube, weil er die Unfehlbarkeit des Papstes bezweifelt hat. Ich habe Küng mal in Basel gehört. Er ist ein brillanter Kopf, er hat eine exzellente Rhetorik, echt katholisch geschult. Hat mir sehr gut gefallen und war eine oder zwei Klassen besser als Prof. Eberhard Richter, der berühmte Psychiater jener Zeit. Küngt hat den Papst als sehr konservativ charakterisiert.

Doch das war alles nur halb so wichtig. Wichtig waren mir die Bilder Roms, der Platz vor dem Petersdom (Flugaufnahme), i Svizzeri (dh. die Schweizer Gardisten), die Engelsburg, das Kolosseum, der Vestatempel (habe ich kürzlich erwähnt und wusste den Namen nicht mehr, ein wunderhübscher Rundbau aus dem 2. Jh. V.Chr.). Und alles in diesem warmen Sonnenlicht und dem dunkeln Olivegrün der Pinien. Und die Brüder in ihren Sutanen. Und wieviel Barock da herumsteht? Und die Schwestern, die immer ein bisschen geniert vorbeigehen. Es ist alles so nahe beieinander und bequem zu erreichen. Ach, du weißt schon, was ich sagen möchte.

Ich habe eine lustige Fantasie gehabt. Ich habe mir vorgestellt, ich hole dich am Flughafen in Rom ab. Und du kommst an mit deinem Gepäck. Und wenn wir uns erkannt haben, würden wir uns in die Arme fallen. Das wäre ein Moment, der gar nie aufhören sollte. Ich würde dich vielleicht sogar heben und herumdrehen, als Vorübung für den Tanz auf dem Petersplatz ;---). Vielleicht würde ich das aber auch nicht, wenn du eher elegant daherkommen würdest, dann dürfte ich sowas nicht tun. Ich würde einen Borsalino tragen, diesen hellen Sonnenhut mit schwarzem Band, und ein weisses Jacket, fast wie in einem Fellini Film. Und dann, das ist nun eben der Clou meiner Fantasie, dann habe ich plötzlich bemerkt, dass uns die Italiener das gesamt Gepäck klauen würden, wenn wir sosehr nur uns umarmen und die ganze Welt vergessen. Ich habe beschlossen, ich muss eine zweite Person mitbringen, vielleicht einen Träger vom Hotel, der während diesem unendlich schönen und langen Moment nur das Gepäck bewacht. Ich muss ihm einen rechten Stundenlohn bezahlen, denn es könnte leicht eine Stunde daraus werden.

Du siehst, das hört sich bereits an wie Detailplanung. Ist es aber nur bedingt. Aus Persien bin ich mir solche Situationen voller potentieller Diebe gewohnt und ich bin sicher, die Römer werden mir nichts klauen. Da sind sie bei mir am falschen Ort. Geschworen habe ich damit allerdings noch nicht! Nun ja, ich weiss dass die Römer in diesen Dingen sehr gewandt sind, nicht alle, aber zumindest diejenigen, die wir hier im Auge haben.

Aber ich habe vom Film gestern abend erzählt. Der gute Papst ist wirklich sehr alt geworden. Und er hat einen Tremor, der auffällig ist.

Samstag, 13. März 2010

lebenslänglich

Re: Mein Fenster-dein Fenster-unser Fenster

Lieber Mausfreund!
Möchte dir noch schnell ein kleines Mail schreiben während ich an den
PC rankomme :-)
Nun habe ich meine ersehnten Osterferien schon begonnen. Eine gute
Stunde vor A und K. Hier ist es ziemlich graukalt. Aber was macht das
schon.
Falls du Peter Bichsel triffst dann lass ihn schön grüssen aus
Schweden (von Tante Gunilla falls er sich erinnert ;-) Sag ihm dass
wir immer noch unsere Schüler mit seiner Stimme und "Ein Tisch ist ein
Tisch" maltraitieren. Die Schüler haben es gern.

Bist du nun sprachlos geworden? So sündig ist deine liebe
Mausfreundin. Verstösst an einem Abend plötzlich gegen alle §§§§
Ich denke eben: Was macht es schon, da ich schon lebenslänglich
bekommen habe ;-)

Manchmal schläft mein Verstand ein und ich wecke ihn nicht. Ist so
schön sich nur seinen Gefühlen hinzugeben *lacht*

Malrena, Malvoisie, Maladi(e) = Malheur???

Ich wünsche dir noch einen schönen Tag
Marlena

Du kannst mir jederzeit ein Mail schreiben nur das Antworten kann
etwas schwieriger werden.

Freitag, 12. März 2010

im Fitnesscenter

Ämne: samedidadu
Datum: den 4 januari 2003 14:21


Liebe Marlena
Samstag Morgen! Vielleicht weißt Du nicht mehr, was das bedeutet?
Du hast ja immer noch Ferien, während wir armen Proleten arbeiten
wie die Hunde. Na ja, ich will nicht klagen.
Heute morgen war ich zum 2. Mal im Fitness. Stell Dir vor! Niemals
im Leben hätte ich gedacht, dass man mich auch mit 10 Pferden nicht
in solch ein Lokal voller sadistischer Maschinen bringt. Immer hatte
ich die Vorstellung, Fitness hole man sich im Wald und auf dem Feld,
mit echt viel Schwitzen und Kratzern von Baumzweigen. Doch ich
glaube, jetzt mache ich mal eine Weile diese künstliche Tour.
Mindestens mache ich dann etwas. Ich glaube, man hat in Sachen
Körperkultur, Sport und Physiologie, Sportmedizin echt viele
Fortschritte gemacht in den letzten sagen wir 20 Jahren. Die
Vorstellung, 30 Minuten wie wild durch den Wald zu laufen,
um dann verschwitzt und ausgekotzt (wie wir sagen) heimzukehren,
ist offenbar völlig verkehrt. Man muss sich gar nicht zuviel ausgeben,
sondern auf den Puls achten. Na ja, Du wirst das schon kennen. Für
mich ist es neu, obwohl ich schon länger davon gehört hatte. Ich
probiere es mal aus, obwohl ich nicht garantieren kann,
dass ich aus mir einen echten Body-Building-Gorilla schaffen kann.
Ich glaube, dafür ist es echt zu spät. Lustig in diesem Fitnesscenter
sind die Leute. Da trifft man echt eine komische Auswahl. Es gibt ein
paar prima und hübsche Frauen, die sich offenbar ihre anmutende
Figur bewahren wollen. Bei den Männern stolzieren ein paar von
jenen Atheleten herum, die sich echt stark fühlen und ihren Luxus-
körper vor sich hertragen wie einen Wanderpokal. Am liebsten
würden sie eine kleine Taxe verlangen, damit man sie anschaut.
Und dann gibt es diese pummeligen, disproportionierten Damen,
die wirklich bedauernswert sind undbei denen man sich fragt, was
sie denn der Natur zuleide getan haben, dass diese so zurückschlägt.
Sie quälen sich eisern über die Maschinen und durch die Kurse, und
man sieht ihnen an, dass sie einerseits auf äusseres Aussehen nicht
zuviel geben wollen, dass sie aber andererseits definitiv eine bessere
Figur machen möchten. Sie sind freundlich, aufgeräumt und rück-
sichtsvoll. Und dann sind noch ein paar Würstchen, bei denen siehst
du, dass sie dringend ihr Ego aufbauen müssen. Sie sind bleich und
dünn, ihr Körper ist sowas von dürr und steiff, dass man sie sich nicht
vorstellen sollte, wie sie ein Wellblech herunter rutschen.
Na ja, dann gibt es auch noch die Durchschnittlichen, die +-, so wie
mich. Sie sind vielleicht leicht über ihrem Gewicht (so wie ich), haben
eine milde Tendenz zur Melancholie (so wie ich), denken an ihr Alter
und beugen vor (so wie ich)...

Bonjour tristesse ...

Liebe Marlena
Ich glaube, ich möchte am liebsten mit der Italobar von gestern und
einer veritablen Liebeserklärung anfangen. Zwar bin ich ein bisschen
spät. Es ist schon zehn Uhr und ich habe deinen Morgenkaffee weit
verfehlt. Tut mir leid, meine Liebe, aber ich bin erst um 0300h ins
Bett gekommen und so habe ich bis etwa 0900 geschlafen. Das ist eine
Ausnahme, so lange schlafe ich seit Jahren nicht mehr. So lange habe
ich als Student geschlafen, aber nicht mehr heute.
*
Dieser Besuch in der Italobar gestern war wundervoll, meine Liebste.
Es war fast wie echt, und ich habe es genossen wie echt und die
Erinnerung ist geblieben wie echt. Du warst so hinreissend schön, dass
ich es dir nicht beschreiben kann: wie du mitgespielt hast, wie wir
miteinander geplaudert haben, wie freundlich du warst, zu mir, zu
Laura, überhaupt, wie wir die ganze Breite und Weite des Lebens
gestreift haben im Gespräch, von traurigsten Momenten wie der Tod
deiner lieben Tante oder meiner Mutter bis hin zur merkürdigen
Geschichte des blouson noir von Visp und zu lustigen Momenten, die das
Leben auch bereit hat. Und wie du freundlich warst zu dieser kleinen
Laura, die ich mit ihrem Freund gerne zu einer Runde eingeladen hätte,
deine Bemerkung, ob wir sie adoptieren sollten, und wie du dich zum
Schluss bei ihr verabschiedet hast. Es war alles so umwerfend schön an
dir, dass du wieder einmal denkst, ich mache dich wie Pygmalion zu
meinem Kunstwerk. Das mache ich sicherlich auch, denn nur so wirst du
Fleisch und Blut für mich. Aber es ist nicht alles selbst gemacht.
Viel habe ich so gesehen bei dir wie ich es beschreibe. Du sitzt tief
in meinem Herzen, liebe Marlena, ich wollte das zwar nie, so tief
wollte ich nie. Aber ich glaube, es ist nichts zu machen, und wenn
immer wir uns treffen, geht es ein bisschen tiefer.

Petrarca

den 22 september 2003 06:58
Re: Herbstlich

Liebe Marlena
Ja, diese Biographie über Petrarca ist interessant. Ich hatte wirklich nicht allzu viel über ihn gehört bisher. Ps Bruder war Geistlicher. Petrarca selbst war eigentlich Jurist, hat aber sein Studium, das er in Monpellier angefangen und in Bologna fortgesetzt hat, nicht beendet. Durch den frühen Tod seines Vaters sind die beiden Brüder dann reich geworden. Und so konnte Petrarca sich dieser Briefschreiberei widmen. Er war oft Berater von hohen geistlichen Würdenträgern und hatte freundschaftliche Beziehungen zu vielen grossen Leuten in Europa. Und Cicero ist wirklich eines seiner grossen Vorbilder.

Am interessantesten finde ich die Änderungen seines Weltbildes vor dem Hintergrund jenes Dantes, wie er es in der Divina Commedia dargestellt hat. Beide, Petrarca und Dante, waren von ihrer Abstammung her Florentiner. Und beide lebten im Exil sozusagen. P hat immer wieder gegen dieses Avignon gewettert und alle seine Bemühungen in den Versuch gesteckt, einflussreiche Männer zu gewinnen, damit die Kurie der katholischen Kirche zurück nach Rom gehe.In seinem Herzen lebte er für Rom. Gegenüber Dantes vertikalem Weltbild, das durch die Perspektive der göttlichen Allmacht gesehen ist, gibt sich Petrarcas Weltbild horizontal. Es ist wie eine Landschaft, in der man dahinpilgert, und immer neue und verschiedene Erfahrungen macht. Das Wesentliche ist in Petrarcas Welt die Vielheit, gegenüber jener der Einheit bei Dante. Die vielen neuen Erfahrungen, die neuen Dinge, die im Horizont auftauchen, zeigen eine Art Unübersichtlichkeit, wie wir sie heute wieder konstatieren. Individuelle Perspektivität ist das neue Charakteristikum der Weltsicht. Und das ist nun wirklich sehr modern.

*

Donnerstag, 11. März 2010