Donnerstag, 31. Mai 2012

As usual ...

Ämne: As usual..
Datum: den 12 maj 2002 23:17

Lieber ... ,

Kennst du ihn, diesen Schlager? "People always stop and stare, I guess they just don't see you there, don't they know you'll always be right here, as usual."

Danke dass du mir noch ein paar Zeilen geschrieben hast. Ja, ich spüre dass du weit weg bist, eben weil ich nicht weiss ob du meine Mails erhalten kannst. Aber ich schreibe dir trotzdem.

Heute früh bin ich um 5 Uhr aufgewacht und habe mir vorgestellt dass du nun vielleicht gerade in Teheran gelandet bist. Erst wollte ich mir das Buch "Nicht ohne meine Tochter" hervornehmen und nochmals das Kapitel lesen wo sie am Flugplatz in Teheran ankommen. Aber das Buch liegt am "Nordpol", wie du es nennst und so musste ich mich mit meiner Erinnerung daran begnügen. Vielleicht seid ihr auch von vielen lauten Menschen abgeholt worden - aber so früh am Morgen? Und du bist der Mittelpunkt.. das weiss ich.. und alle werden dich so sehr belagern und beanspruchen dass dir vielleicht nicht einmal Zeit für einen Gedanken in den hohen Norden übrig bleibt. Dafür denke ich um so mehr an dich. Habe gerade im CNN weather gesehen dass es heute in Basel nur 11 Grad war und in Teheran 27. Du armer! Aber morgen wird es etwas kühler dort.. nur 23 Grad.
Wir haben wunderschönes Sommerwetter gehabt (23 Grad hier bei uns) bis heute Nachmittag. Da kam ein grosses Gewitter, ein wahrer Wolkenbruch. Mehrere nach einander sogar. Ich hatte einen meterhohen Stapel mit Papieren auf die eingeglaste Terrasse unserer Nachbarn getragen. Dort steht ein grosser leerer Tisch auf dem man ganz vortrefflich Papiere sortieren kann und gleichzeitig das Gefühlt hat draussen in der Natur zu sein. Ach, ich hab vergessen zu sagen dass wir das Haus betreuen während sie für eine Woche mit ihrer Tanzgruppe in Deutschland sind.
Und bei dieser unangenehmen Pflicht (die Papiere also) habe ich zum Glück ein paar alte Mails gefunden die ich ausgeschrieben hatte und so warst du doch gegenwärtig. U.a das Mail wo du mir ganz vorsichtig deine kleine Statur verrätst. Ich muss immer lachen wenn ich das lese. Es ist ganz outstanding..!!! Ach wie sehr ich deinen Witz vermisse!
Übrigens kann ich dir verraten dass es in L geregnet hat. Heute Abend um 21.00 Uhr hab ich hingeschaut. Es war schon ganz dunkel und die Lichter haben sich in der nassen Strasse gespiegelt. Bei uns war es um die Zeit noch hell wie am Tag.

Ich muss ins Bett. Habe morgen viel zu tun, u.a. ein paar mündliche Abschlussprüfungen in Französisch. Aber das klingt sicher schlimmer als es ist.
Ich vermisse schon jetzt deine Mails (=dich).. Schick ein kleines Lebenszeichen wenn es möglich ist.
So wünsche ich dir noch einen richtig guten Aufenthalt. Geniesse auch ein wenig für mich. :-)

In Gedanken bei dir,
Marlena

Re: Nachtigall und Tänze

Ämne: A bientôt..
Datum: den 10 maj 2002 23:40

Lieber ...,
Hier sitze ich in Annas Zimmer vor ihrem PC. Sie selbst sieht ihr Lieblingsprogramm im Fernsehen und unten hört K das Spiel Schweden - Finnland wo gerade ein Schwede von einem finnischen Spieler schwer verletzt worden ist. Du hast recht wenn du kondolierst denn dieses Wochenende hätte anders aussehen können, hätten die Schweden gestern gewonnen. Bei uns hat man es nicht im Fernsehen gezeigt aber die dramatischen Stimmen im Radio waren womöglich noch erschütternder.

Ich habe einen Kopfhörer auf und höre mir Vogellaute an. "90 wohlbekannte Vögel" heisst das Band und ich lasse es laufen bis nr 48 kommt: die Nachtigall. Dazu werde ich deine Beschreibung lesen und sehen ob sie stimmt. Ach, ..., wenn du so weitermachst werde ich noch gebildet. ;-) Erst Vögel und dann auch noch Tänze. Aber ich muss sagen dass ich dankbar bin dass ich nicht die Tanzinstruktionen gelesen habe. Ich glaube ich hätte schon im vorhinein aufgegeben und mich niemals auf eine Tanzfläche gewagt.. Ja, ich tanze gern und wie meine Kavaliere sagen "leicht wie eine Elfe". :-). Ich passe mich eben meinem Tanzpartner an.. das glaube ich kann ich gut und so kann ja eigentlich nichts falsch gehen auch wenn der Partner kein exzellenter Tänzer sein sollte. :-)

Übrigens, wenn du dann zu den lateinamerikanischen Tänzen kommst würde es mich schon interessieren wie sie den "Forro" beschreiben. Der Brasilianer sagt es ist ein Wunder dass die Frauen nachher nicht alle schwanger sind. Ich habe den Tanz auch einmal in einem Fernsehprogramm gesehen und muss zugeben dass dieser Kommentar berechtigt scheint.
*
Während ich so dahinplaudere denke ich dauernd an deine Worte .. "und dann bin ich weg, wie du weißt" Nein, ..., wie sollte ich das wissen. Du hast wirklich nie ein Wort darüber gesagt und ich bin ganz unvorbereitet darauf. Und nicht einmal richtig verabschieden kann ich mich von dir.. Das Leben ist hart. Aber natürlich freue ich mich sehr für dich. Es wird dir gut tun das Milieu zu wechseln und so richtig vom Alltag Pause zu machen. Und vielleicht findest du doch irgendwo ein kleines Internetcafé von wo du ein Lebenszeichen senden könntest.
Wie gut ich mich erinnere an dieses Internetcafé in Sorrento wo ich am liebsten täglich hingegangen wäre um nach dir zu schaun. Und wie ich mich gefreut habe über deine schönen Mails, besonders das wunderbare Geburtstagsmail.
*
Jetzt kommt gleich die Nachtigall. Hier wo ich wohne höre ich sie nie aber wo ich früher wohnte (und wo K immer noch wohnt) konnte man ihren klaren lauten Gesang nachts hören. Jetzt habe ich sie.. ja, herrlich klingt es!!! Aber wie du sagst ist auch der Gesang der Amsel sehr schön. Und Amseln haben wir ab und zu auch hier im Garten. Du meinst die Schwarzdrossel,.mit dem gelben Schnabel ("Koltrast" auf schwedisch). Dieser Vogel ist so beliebt bei uns dass er zu unserem Nationalvogel gewählt worden ist.
*
Jetzt habe ich einen wunderbaren Film gesehen. Ich bin ganz sicher dass er dir auch gefallen hätte. K hatte ihn schon mal im Kino gesehen und hat ihn uns empfohlen. Es braucht viel bevor er so was tut. Der englische Titel ist "Good Will Hunting" und eine der Hauptpersonen ist ein Psychologe. Ich habe viel an dich gedacht und hoffe dass du, falls du ihn nicht schon gesehen hast doch bald die Möglichkeit haben wirst es zu tun. Mir zuliebe.. bitte, bitte.. :-)

Es ist spät geworden und ich möchte versuchen dies abzusenden damit du es doch noch erhältst bevor du fährst.
Ich wünsche dir eine schöne interessante Zeit und komm bald wieder.
Gott beschütze dich.
Mit lieben Grüssen
Marlena

PS Es war wieder ein dramatisches Spiel heute und die Schweden haben schliesslich gewonnen. Du kannst uns gratulieren. :-)

May I have a dance ??

Ämne: may I have a dance ??
Datum: den 10 maj 2002 17:04

Liebe Marlena
Ich weiss nicht, ob ich nochmals zum Schreiben komme bis Samstag. Und dann
bin ich weg, wie Du weißt. Heute bin ich seit 6.30h im Büro und habe eine
Menge getan. Es ist nicht schlecht, einen solchen Point of no return zu
haben. Da muss man ran und kann nicht lange fackeln. Man wird ein wenig
langsam so im täglichen Trab. Mindestens sind jetzt einige Dinge vom Tisch,
wenngleich nicht ganz alle. Weil alle Mitarbeiter heute eine Brücke machen
und frei nehmen, bin ich allein hier in der Klause. Im Moment kommt am Radio
gerade das Wunschkonzert für die Kranken. Du siehst, ich liege völlig
richtig hier.

Aber ich muss noch zwei Bewerberinnen absagen. Das ist hart und schwer. Ich
habe Mitleid mit ihnen. Sie sind jung und möchten so gerne arbeiten. Eine
von beiden können wir zwar für eine gewisse Zeit als Aushilfe einstellen.
Aber der anderen muss ich absagen. ...
*
Gerade rezensiere ich ein Lehrbuch, Instruktion von Standardtänzen. Das gibt
es langsamen Walzer, Wiener Walzer, Tango, Quickstep und Slowfox. Ich weiss
nicht, wer sowas aus dem Buch lernen kann. Es wirkt alles kompliziert und
man strengt den Kopf an, um sich vorzustellen, wie es sein müsste. Und wenn
man dann dasteht, weiss man sicherlich nichts mehr. Es gibt zwar viele
Bilder mit Paaren, die wundervoll dastehen und den Oberkörper elegant
zurückbiegen um praktisch zur Decke zu schauen. Und daneben instruieren
Tabellen, was die Füsse zu tun haben, wann eine 1/4RD (eine Viertel Drehung
nach Rechts offensichtlich) fällig ist. Es gibt einen ganzen Katalog von
Abkürzungen zu lernen.  ...
---
Ich habe noch ein Büchlein mit Lateinamerikanischen Tänzen. Aber die erspareich Dir jetzt. Darunter liegt gleich "Aufzeichnungen aus Amerika" von
Charles Dickens. Und schliesslich noch um die 15 Exemplare dieser
Übungshefte, die zur Zeit in allen Buchhandlungen für Schüler herumliegen.
Ich glaube, die Leute können gar nicht gut davon bekommen.
*
Und zum Schluss kondoliere ich Dir Schwedin für die Niederlage Eures
Eishockey Teams. Schade, wäre doch schön gewesen, zuhause in den Final zu
kommen. Da hätte ich auch noch mitgefeiert.
Ich wünsche Dir eine gute Zeit.
Mit einem lieben Gruss
...

Mittwoch, 30. Mai 2012

Schöne Schweiz

.
                                                                                Foto: Chris

Dienstag, 29. Mai 2012

Perserkriege - Reise in den Iran


Ämne: Perserkriege
Datum: den 7 maj 2002 07:54

Liebe Marlena

---

Ja, ich habe mich schlussendlich entschlossen, diese zwei Wochen auch in den
Iran zu reisen. S meint, es wäre für sie zu anstrengend, alles allein
in die Hand zu nehmen. Und wenn man sich vorstellt, dass sie mitten in
Teheran irgend etwas organisieren muss, was im Iran jederzeit vorkommen
kann, dann würde die ganze Reisegruppe bloss herumstehen und würde sich
langweilen. Meine Aufgabe wird also sein, die Leute ein wenig zu unterhalten
und ihnen Dinge zu zeigen, wenn kein Reiseführer zur Verfügung steht. Ich
weiss natürlich einigermassen, woran Schweizer interessiert sind und was sie
freut. Wir werden quer durch das ganze Land reisen, von Theran in den Norden
ans Kaspische Meer, dann hinunter nach Schiras und nach Isfahan. Das sind
repräsentative Orte. Und ich habe darauf bestanden, dass wir in Isfahan
insgesamt vier oder fünf Tage bleiben. Denn ich glaube, für einen Europäer
ist Isfahan die Stadt, die den europäischen Fantasien des märchenhaften
Orientes am meisten entgegenkommt. Und zugleich ist Isfahan klein,
übersichtlich, sauber, also darauf, was wir bei uns Tourismus nennen, am
besten vorbereitet. Es gibt dort auch viele Reisende, aber die meisten von
ihnen sind Perser selbst. Und dann werden wir auch nach Schiras fliegen. Ich
war damals, auf meiner ersten Reise, man könnte sagen im Honey Moon,
erstmals in Schiras. Aber damals war ich ziemlich übermüdet und heute habe
wenig Erinnerungen übrig. Man nennt Schiras die Stadt der Rosen und des
Weins, wie sie Hafez besungen hat. Ich bin gespannt, wie es heute dort ist.
Im Reiseführer, den ich studiert habe, klingt es ganz attraktiv. Aber darauf
kann man sich nicht immer verlassen. Und Wein gibt es sicherlich keinen mehr
dort heute. Den haben die Revolutionsführer den Schirasi gründlich
ausgetrieben. Damals, vor 30 Jahren, war Schiras der Ort für
Hochzeitsreisende. Die jungen Paare haben sich am Grabmal des grossen Hafez
fotographieren lassen und sich dabei die ewige Liebe versprochen.
Und natürlich ist nicht weit von Schiras Persepolis, das alle Touristen
gerne sehen. Meine Erinnerungen daran sind aber sehr rudimentär. Wir hatten
damals ein Taxi genommen, um hinaus zu den Ruinen zu fahren. Allein schon
die Tatsache, für einen Tag einfach ein Taxi zu mieten, fand ich damals
ausserordentlich. Und es war heiss wie Anton. Ich hatte einen riesigen Durst
und litt unter der Vorstellung, dass man in diesem heissen Land nicht
einfach Wasser trinken durfte. Das war beinahe unterträglich für einen
Walliser, der normalerweise mitten unter besten und trinkbaren Quellen lebt.
Persepolis war vor 30 Jahren noch kaum für die Touristen arrangiert und
vorbereitet. Es lagen Steine und Architekturreste wild herum. Es gab keine
Informationen, kein Restaurant, gar nichts. Nur alte Steine mitten in der
Wüste. Ich war also nicht sonderlich beeindruckt, obwohl die Anlage sehr
gross ist.
Du siehst, es gibt viele gute Gründe, endlich wieder einmal in den Iran zu
reisen und diese Dinge anzuschauen. Ich habe mich kürzlich mit dem Bild
Alexanderschlacht von Altdorfer beschäftigt, ein riesiges Gemälde, das heute
in der Alten Pinakothek in München hängt. Es wurde nach 1400 gemalt und
zeigt vor der Insel Zypern und dem 7-armigen Nil im Hintergrund die beiden
Heere Alexanders und Darius'. Auf einer Art Tafel, die vom Himmel hängt, ist
das Bild beschrieben und erklärt, wie gross die beiden Heere waren, um zu
unterstreichen, dass Alexander im Grunde einer riesigen Übermacht gegenüber
gestanden hatte. Die Perserkriege sind europäische Urgeschichte. Durch den
erfolgreichen Abwehrkampf der Griechen gegen die Perser sind erstere gross
geworden, ähnlich wie später die Römer durch die Punischen Kriege. Und die
grossen Griechen muss man ja wohl als Urzelle Europas betrachten, die mit
ihrer einzigartigen Kultur Europa bis ins Innerste geprägt haben.
Spasseshalber erzähle ich gelegentlich, dass bei uns heute der Bosporus
mitten über den Tisch und durchs Bett geht, und dass wir abends zum Spass
Perserkriege spielen. Vielleicht weißt Du das nicht, aber ich bin immer noch
dabei, Europa gegen diese absolutistischen Mächte aus dem Orient zu
verteidigen ;--))
Mit einem lieben Gruss
...

ein Nachtigallen-Open

 .


Ämne: ... das macht es hat die Nachtigall die ganze nacht gesungen ... (Theodor Storm)
Datum: den 9 maj 2002 17:13

Liebe Marlena
Heute ist Auffahrt. Das wird beu Euch nicht anders sein als bei uns.
Eigentlich ein Feiertag. Da kommt mir in den Sinn, dass auch Mohammed
aufgefahren ist, und zwar von Jerusalem, von der berühmten Moschee mit der
goldenen Kuppel. Und er sei geradewegs in den 7. Himmel gefahren, der
Glückliche. Kürzlich habe ich gelesen, dass er dort oben die Hand von Ali
gesehen habe, die Hand also seines Schwiegersohnes, wenn ich richtig
orientiert bin. Was sonst noch geschehen ist, weiss ich nicht mehr. Er hatte
dort wohl mit Gabriel geschäftlich zu tun. Und er habe Allah Auge in Auge
gegenüber gestanden! Immerhin, der Kerl!

So sitze ich heute im Büro und versuche, einige Bücher zu rezensieren. Ich
habe gestern 53 Stück aus der Bibliothek mitgenommen. Es muss eine
Affekthandlung gewesen sein. Und jetzt steht dieser hohe Turm vor mir im
Büro auf dem Pult und sieht aus, als ob ich hoffnungslos mit Arbeit
überschüttet sei. Na ja, bin ich ja auch. Im liebe diesen gewissen Eindruck
der Unordentlichkeit inmitten der Bücher. Habe ich Dir mal erzählt, wie
Piagets Büro in den letzten Jahren ausgesehen hat. Ich glaube ich habe das.
Es war ein Schock, mitanzusehen, wie er im Papier ersoffen ist. Aber
offensichtlich fühlte sich das alte Männchen dort heimisch.
Normalerweise nehme ich mir Bücher zuerst vor, die mich besonders
ansprechen. Das sind originellere Bilderbücher, oder Sachbücher über ein
Thema, was mich besonders interessiert. Dieses mal habe ich zwei
Taschenbücher über Vögel. Beide finde ich exzellent. Das eine behandelt 80
verschiedene Singvogel-Arten in unseren Gegenden. Alle sind beschrieben und
werden auf einem klaren und scharfen Farbfoto porträtiert. Und auf einer CD
kann man sich ihren Gesang, die Rufe und Wanrrufe anhören. Seit Jahren
versuche ich mir in Erinnerung zu rufen, wie damals in meiner Jugend die
Nachtigall geklungen hat. Meine Oma hatte reklamiert, dass sie nicht
schlafen könne, so laut und intensiv muss der Klang gewesen sein. Und ich
hatte sie kaum gehört. Jetzt habe ich hier ein Tonbeispiel, und ich muss
sagen, ja, genau so war es. Es erinnert mich an warme Sommernächte,
vielleicht mit Vollmond, da ich mit den Kollegen noch beim Gartentor weiter
diskutierte. Die Erinnerung vermischt die Stille der Nacht, die leicht
alkoholisierte Stimmung, der laue Geruch der Luft, die Sorglosigkeit
angesichts des Wochenendes und dieses wunderbare Schlagen der Nachtigall zu
einem Gesamtkunstwerk. Ich weiss auch noch, wo im Garten sie meist war. Wir
hatten eine Reihe von Apfelbäumen, die das Steinweglein säumten. Und dort
muss sie gewesen sein. Sie kann nicht hoch auf dem Baum gewesen sein,
sondern ungefähr auf meiner Ohrenhöhe. Offenbar baut sie ihr Nest meist am
Fuss eines Strauches, also eher tief. Die Nahrung besteht aus Insekten und
anderen Kleintieren und wird auch überwiegend am Boden gesucht. Im Herbst
nimmt sie auch Beeren und Samen. Sie lebt nicht überall in Mitteleuropa,
aber gerne in Gärten und Parks sommerwarmer und trockener Gebiete. Wir
hatten dort auch ein Mirabellen-Baum. Ich glaube, so heissen sie. Sie waren
kleine gelbe Steinfrüchte, die mit dem Sonnenschein scharlachrot gesprenkelt
wurden, nicht rundum, sondern bloss an gewissen Stellen. Sie schmeckten
wunderbar, besonders, wenn sie noch ein wenig unreif und knackig waren. Und
der Baum schenkte uns jedes Jahr viele Kilos.
Der Gesang der Nachtigall (Luscinia megarhynchos), die ja sehr unscheinbar
aussieht, besteht gewöhnlich aus 4 Teilen: Auf die leise Einleitung folgt
ein Abschnitt mit melodischen, auf- und absteigenden Figuren; die nächste
Phrase besteht aus rhythmischen, einsilbigen Wiederholungen (Schlagen),
worauf meist ein Finale angehängt wird. Charakteristisch sind im zweiten
Teil Serien lauter, anschwellender Pfeiftöne. Der Warnruf ist ein
ansteigendes "hüit", der Erregungsruf ein gezogenes, tiefes Knarren, das
auch mit dem Wanrruf kombiniert wird "hüit-trrrk".
Überigens, der Gesang der Amsel ist auch sehr schön. Aber die Nachtigall ist
reiner, etwas eleganter, und eben eindrücklicher, weil in der Stille der
Nacht so solitär. Aber die Amsel ist ein guter Ersatz. Und sehr ähnlich ist
der Gesang des Sprosser (Luscinia luscinia) , der sogenannten "östlichen
Nachtigall", deren Brutgebiet sich von einer Linie Dänemark-Ungarn bis
Westsibierien erstreckt. Im breiten Grenzgebiet von Schleswig-Holstein über
Brandenburg bis Tschechien kommen sowohl Nachtigall wie Sprosser vor. Der
Sprosser bevorzugt feuchtere Gebiete, meidet geradezu trockene Standorte. Er
sieht aber praktisch aus wie eine Nachtigall und ernährt sich auch gleich.
Habt Ihr in Schweden Sprosser?
Spasseshalber habe ich mir vorgestellt, die paar Minuten Nachtigallen-Gesang
immer wieder zu kopieren und aneinander zu reihen, um ein 8 stündiges
Tonband für die ganze Nacht zu haben. Das wäre dann die perfekte Illusion.
Vielleicht würde der Gesang andere Nachtigallen anlocken, und dann hätten
wir im Garten ein solches Pfeifkonzert, dass kein Mensch mehr schlafen kann,
ein Nachtigallen-Open sozusagen. Lustiger Gedanke, nicht wahr?
Da kommt mir in den Sinn, dass Deine Anna doch sosehr an Vögeln interessiert
ist. Ich gebe Dir hier die Daten der beiden Büchlein.
Singvögel (mit Kasette); Lohmann Michael u. Roché Jean C., blv
Verlagsgesellschaft München 2002
Vögel Beobachten; Bezzel Einhard, blv Verlagsgesellschft München 2002
Sie kosten je weniger als 20 DM, das ist doch, besonders inklusive CD, sehr
günstig.
Vielleicht habt Ihr allerdings in Euren Breitengraden andere Vögel als wir
hier.
*
Jetzt lass ich die Vögel noch etwas zwitschern im CD-Player, und dann muss
ich heim. Der Hunger meldet sich langsam.

Einen schönen Feiertag wünsche ich Euch
Gruss
...

Montag, 28. Mai 2012

Kleine Pause


Ämne: Kleine Pause
Datum: den 7 maj 2002 21:14

Lieber ...,

Ich habe bis jetzt fest gearbeitet und nun bin ich eine Pause wert. Es ist so schön draussen heute Abend und drüben am Waldrand leuchtet die rote Scheune im Abendlicht. Ganz windstill scheint es auch zu sein. Eigentlich sollte ich alles liegen lassen und einen Spaziergang machen. Aber was man gern möchte und was man kann ist nicht immer dasselbe. Ich muss hier bald weitermachen.

Wie humoristisch du bist.. Diese Perserkriege die du führst sind vielleicht garnicht so schlecht.. ;-) Es reinigt die Luft .. Du weisst wie schön klar die Luft sein kann nach einem richtigen Gewitter. Bei uns gibt es keine solche Kriege. Hier herrscht bewaffnete Neutralität.. ein kalter Krieg wenn du so willst. Beide Seiten haben zu starke Waffen um das man wagen würde einen Krieg zu entfachen.

Du planst bestimmt schon die Reise. Wann werdet ihr denn fahren? Oder versuchtst du den Tag dem Schicksal zu verbergen damit es nicht wieder eingreifen kann? Ich freue mich jedenfalls mit dir und kann mir keinen besseren Reiseführer vorstellen als dich. Und sicher hast du doch schon alles bereit. Ich meine du warst doch schon gut vorbereitet damals am 11 September. Ach, wie ich alle diese Leute beneide, die deine Führungen geniessen werden. ...
---
Sag mal was haben denn A und B für eine Religion? Sind sie in der Kirche getauft? Du weisst Anna gehört ja der schwedischen Kirche an (sowie K) d.h. sie ist darin getauft. Und dann ist sie "aus Versehen" in der katholischen Kirche zur Kommunion gegangen. In der alten Klosterruine in Ayia Napa (Cypern). Es war ein Sonntag den ich nie vergessen werde. Ein junger, bildschöner Priester der auf englisch eine Predigt über die Liebe hielt.. und dann meine kleine Anna die genau wie die Leute neben ihr in der Kirchenbank die Zunge herausstreckte und eine Hostie bekam. Ich sass auf der anderen Seite weiter hinten und konnte nicht eingreifen. Und nachher dachte ich wozu alle Gebote und Vorbereitungen auf diesen Moment. Ein unschuldigeres Kind hätte man kaum finden können. Und ich bin wie du weisst in der schwedischen Kirche getraut worden. Es gibt Dinge in meinem Leben worüber ich nicht stolz bin.. ich denke selten daran aber ich weiss dass es irgendwo in mir dieses Gefühl gibt.

Dieses Mail hat eine komische Wendung genommen. Du darfst darüber schweigen. :-)

Nun muss ich weitermachen. Wünsche dir einen schönen Tag morgen und freue mich schon auf ein Mail von dir,
Mit lieben Grüssen
Marlena

Pfingsten - damals im Wallis

(R)

Liebe Malou
Die deutsche Sprache reicht nicht aus, um unser Wetter zu beschreiben. Dazu würde man eine Menge Kraftausdrücke benötigen und sie in die Luft hinaus donnern. Es ist wirklich saukalt und unfreundlich. Ich habe - habe ich das nicht schon mal geschildert, um dich zu Tränen zu rühren? - ich habe unsere Tomaten wieder zurück unter die Plastikdecke geschickt. Das will heissen: vor ein paar Tagen hatte ich den Plastik entfernt und pro Pflanze einen Stock eingesteckt. Das sind so gewundene Metallstöcke, die der Pflanze Halt geben, ohne dass man sie binden muss. Aber dann vor 2 Tagen, als ich die Wetterprognosen für Pfingsten gehört hatte, habe ich alles wieder abgebaut und zugedeckt. Das ist ein Rückzug um knappe zwei Monate. Ist das nicht wahnsinnig.
Aber ich muss gestehen, gleich heute Morgen, bei Wind und Wetter, ist mir eine Erinnerung aus meiner  Jugend zurückgekehrt. Und wenn ich es mir genau überlege, hängt das mit dem Wetter zusammen. Damals, in der Zeit der Sekundarschule, hatten wir jeweils an Pfingsten ein Pfadfinderwochenende. Man zog aus mit Zelt und Kochgeschirr und hat das längere Wochenende von Pfingsten in Gottes freier Natur verbracht. So haben wir verschiedene Gegenden des Wallis kennengelernt. Ich erinnere mich an den Pfinwald, diesen altertümlichen südlichen Wald, der die Sprachgrenze bildet, und der in alter Zeit ein fast unüberwindliches Hindernis voller Räuber und Weglagerer gewesen war. Als wir dort in den Zelten lebten, war feines Wetter. Und sonntags waren die Gebüsche voller Liebespärchen, die sich auf ihren Wolldecken am Boden gütlich taten. Das Wallis war damals - ist es wohl noch heute - sehr konservativ. Und die jungen Leute durften nicht einfach so 'karisieren', wie sie es nannten. Also zogen sie sich in den Pfinwald zurück.
An einem Pfingstwochenende, eben an jenem, das mir jetzt wieder in Erinnerung ist, da fuhren wir hinauf in die Derborence. Derborence heisst ein Roman von Ramuz, dem bekannten Westschweizer Schriftsteller. Und das Gebiet ist bekannt wegen seines kleinen Sees, wegen des Bergsturzes, der sich vor längerer Zeit dort einmal ereignet hatte, und wegen der Tatsache, dass das ganze Gebiet heute unter  Naturschutz liegt. Wir waren also um die 20 junge Leute dort oben. Und mindestens während eines Tages hat es geregnet und war kalt, dass wir uns entschlossen, in die Berghütte zu gehen, um uns ein bisschen aufzuwärmen und auszutrocknen. Wir stiegen also in dieses Haus hinauf. Dort war ein alter Mann mit einem Mädchen, die uns freundlich empfingen. Vielleicht war es wirklich diese Kälte, die dafür verantwortlich war, dass ich mich augenblicklich in diese charmante junge Frau verliebte. Ich weiss nicht mehr wie sie ausgesehen hat. Ich weiss nicht mehr, wie wir mit ihr und ob überhaupt gesprochen haben. Ich weiss bloss noch, dass mich die Situation an die Szenen aus dem Jugendroman 'Heidi' erinnerten. Und ich weiss noch, dass sie mir das ganze Wochenende nicht mehr aus dem Kopf gingen. Und es war kalt und unfreundlich, und die Wolken hingen tief den Berggipfeln entlang, so dass man den Eindruck hatte, man lebte unter einem Pfannendeckel.
Es gibt eine hübsche Kurzgeschichte von Heinrich Böll mit dem Titel 'Die ungezählte Geliebte'. Darin hat ein junger Mann im Nachkriegsdeutschland die Aufgabe, die Fussgänger zu zählen, die eine Brücke benutzen. Er tut das geflissentlich und genau, doch er erlaubt sich die Freiheit, jedesmal, wenn seine geheime Liebe passiert, sie nicht mitzuzählen.

(date 2 June 2006 07:33)

Sonntag, 27. Mai 2012

Alibaba, Pfingstrosen und Lyrik


Ämne: Alibaba
Datum: den 29 maj 2004 10:28
(R)

Liebe Malou
Macht einen ziemlich wissenschaftlichen Eindruck, wie Du meine Mails
beantwortest ;-). Und dann bringst Du mich wieder in Verlegenheit, wenn Du
sagst, wie sehr ich Dein Leben bereichere. Das beruht alles auf
Beidseitigkeit, meine Liebe. Und ich lache vor mich hin, wenn ich daran
denke, wie erstaunt Du damals warst, als ich nach meinem Mail am nächsten
Tag schon eine Antwort haben wollte. Du warst amusiert und erstaunt, nicht
wahr? Ich glaube nicht, dass Du damals an ein Daily glauben konntest. Na ja,
ich wusste das auch nicht so genau, aber ich wusste, dass es nur als Daily
funktioniert. Wenn man eine Woche warten muss, wartet man nach einem halben
Jahr 3 Wochen, und im nächsten Jahr 2 Monate. Man wird dann wohl einfach
nicht richtig warm. Nun ja, ich denke, mir würde es so gehen.
....

Lustig, wir treffen uns in den Pfingstrosen. Es sind irgendwie prächtige
Blumen, nicht wahr? Sie machen grosse Versprechungen für den Sommer. Ich
mag sie auch ganz gerne, wenn sie schon völlig offen und in Blüte stehen.
Als Rubensblüten sozusagen! Aber ich weiss nicht, welches Klima sie mögen.
Bestimmt sind sie nicht so heikel und sicherlich verlangen sie auch nicht
zuviel Hitze. Schweden müsste ideal sein dafür. Sie haben offensichtlich
süssen Saft, wie die Ameisen zeigen, die sie ebenso lieben ich das tue.

Ja, das Pfingstwochenende werde ich mit meinen 40 Büchern verbringen wie
Alibaba mit seinen 40 Räubern. Im Persischen bedeutet die Zahl 40 einfach
soviel wie "viel". Gestern habe ich eines gelesen über Lyrik. Ich war
begeistert. Das Büchlein erläutert alles über Reime, Versmasse,
Strophenformen, moderne und traditionelle Lyrik, und dies alles in leichter
und vergnüglicher Form. Es ist sehr gut gemacht und zugleich lehrreich mit
den vielen Beispielen als alter und neuer Zeit. Es ist so verführerisch
geschrieben, dass man gar nicht merkt, wie man hineingerät. Und das ist die
volle Absicht des Autors, denn im allgemeinen können moderne Menschen mit
Lyrik nicht zuviel anfangen. Dabei ist es doch eigentlich eine sehr aktuelle
und verspielte Kunstform. Ich habe mir vorgenommen, sie vermehrt im Auge zu
behalten. Damit meine ich jetzt nicht nur Rilke mit seinen Sonetten, sondern
auch neuere und unkonventionellere Formen.
Ich habe doch seit längerem ein Beispiel hier an meiner Pinwand aufgehängt,
das mir gut gefällt: Es stammt von Erich Fried, und ich glaube, ich habe es
Dir schon einmal (vielleicht mehrmals) zitiert. Seit ich auf dieses kleine
Gedichtlein gestossen bin, suche ich in Buchantiquariaten nebenbei immer
auch ein bisschen nach Erich Fried. Das Gedicht geht so:

Erinnern
Das ist
vielleicht
die qualvollste Art
des Vergessens
und vielleicht
die freundlichste Art
der Linderung
dieser Qual.

soweit sogut.
Ich wünsche Dir die schönsten Pfingstrosen.
MlGuK
...

Freitag, 25. Mai 2012

Pfingstwochenende


den 6 juni 2003 08:07
Re: Pfingstwochenende


Liebe Marlena

Nun ja, was meinst Du, Marlena, wieviel man an einem solch heissen Vorsommerabend - oder ist es schon wirklich Sommer - wieviel man trinkt. Es war echt warm in seiner Bibliothek und seine Lili hat die halbe Zeit gehechelt, als ob sie irgendwo am Strand in Rimini an der Sonne liegen würde. Ist sie hysterisch? Auf jeden Fall ist sie ein unruhiges Tier, das immerzu mit seiner Schnauze zwischen die Beine kommt und das Allerheiligste anschubst, weil sie wohl spielen möchte. Es ist ziemlich unangenehm und ich habe W aufgefordert, sie wirklich etwas zu erziehen. Ich mag das nicht besonders, und wenn es so weitergeht, werde ich einen Lokalwechsel vorschlagen. Wäre schade um seine schöne Bibliothek.

*

Du scheinst voll im Finale Deines Schuljahres. Und, wenn ich das richtig wahrnehme, sind alle ein bisschen in Euphorie: die Lehrkräfte ebenso wie die Schüler. Na ja, ich kenne das. es sind die schönsten Stunden in der Schule. Man geniesst sie rundum, obwohl sie eigentlich in den Räumen abspielen, wo man bislang vor allem Marter erlebt hat. Es ist dieses Aufatmen, das allen so gut tut.

Bei uns gibt es das auch ein bisschen, denn Ende Juni stehen auch bei uns die Sommerferien vor der Türe. Und dann sieht man unsere Leute nur mehr sehr selten bis gar nicht, und erst Mitte August fängt dann das neue Schuljahr wieder an. Die meisten kompensieren ihre vielen Überstunden. In früheren Zeiten war das eine Zeit, wo man sorglos lesen und aufräumen konnte. Heute bleibt während des Jahres in der Regel soviel liegen, dass man (respektive ich) durcharbeiten kann. Es geht also durch, aber alles - sagen wir - im zweiten Gang.

*

So hatten wir wieder mal ein Weekly. Ws Freundin war in einem Konzert und ist kurz vor 22h auch noch eingetroffen. W hat mir seine Arbeiten in der Garage und Gartenhaus gezeigt, die er in den letzten Wochen vollbracht hat. Er hat sich eine hübsche Werkstatt eingerichtet. Und vorne dran ist ein gedeckter Sitzblatz mit einem Kamin. Ich habe sofort angemeldet, dass wir dort mal abends ein Picknick machen sollten. Und W hat freudig zugesagt. Die Ecke des Gartens ist wirklich ziemlich gemützlich und auch durch Bäume abgedeckt, so dass man aus den Wohnblöcken, die jetzt dort stehen und schon bezogen worden sind, nicht direkt in Ws Pfanne sehen kann.

*

Und dazu steht ein längeres Wochenende vor der Türe. Ich bin noch gar nicht wirklich dazugekommen, mich darauf zu freuen. Es wird hauptsächlich regnen, wenn man den Prognosen glauben will. Das ist schade, macht aber keinen besonders grossen Unterschied. Na ja, doch ein bisschen. Schönes Wetter um Pfingsten wäre doch angenehmer. Ich werde wohl ein bisschen aufzuräumen versuchen, sowohl zuhause und hier im Büro. Man fühlt sich danach einfach leichter und neugeborener. Und manchmal findet man alte Dinge, die wirklich überraschend sind. Ich liebe es, alte Texte von mir zu finden. Ich kann sie dann lesen, als ob sie aus fremder Feder stammten, und ich kann sie dann irgendwie objektiver beurteilen als jene, die ich soeben geschrieben habe. Es wäre wirklich praktisch, man hätte einen Schalter im Kopf, mit dem man die Zeiten umschalten kann. Ich wäre schon mit einer völlig einfachen Kombination zufrieden: 10 Jahre zurück, Jetzt, 10 Jahre danach. Weshalb sind wir nicht ein bisschen raffinierter konstruiert? Weshalb haben wir nicht einen solchen Vor- und Rücklauf, wie sie jedes einfache Videogerät eingebaut hat? Das sollte doch nicht so kompliziert sein!

*

Na ja, ich habe - um offen zu sein - auch nicht wirklich erwartet, dass K oder Du das Buch von Tabucchi lesen würden. Ich tue das ja im Gegenfall auch nicht. Ich glaube, ich fange erst an, mich langsam einem Buch zu nähern, wenn es mir mehrere Leute empfohlen haben und wenn ich dazu auch vielleich in der Zeitung gelesen oder am Fernsehen gehört habe. Ich warne Leute, die mir Bücher schenken, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich sie in der Regel nicht lese. Es ist merkwürdig. Doch die Lektüre eines Buches braucht einen ganz bestimmten Einstieg. Das sollte man mal wissenschaftlich untersuchen. Würde der Buchindustrie sicherlich viel nützen, wenn man darüber mehr wüsste. Es gibt doch diese kleinen Karten in den Büchern, die man neu gekauft hat. Mit ihnen wollen die Verlage herausfinden, wie man dazu gekommen ist, gerade dieses Buch zu kaufen. Aber sie fragen bloss, wer das Buch empfohlen hat: Freund/in, Buchladen, Zeitungsinserat etc. Ich glaube, es spielen sehr viele unbewusste Faktoren mit, insbesondere natürlich auch die Aufmachung des Buches, das Bild auf den Klappen, das Format, die Reihe und was auch immer. Und das literarische Quartett war bestimmt ein sehr wichtiger Faktor.

*

Wir sind hier auch im Finale, was unseren Erziehungsdirektor betrifft. Nach 12 Jahren tritt er zurück. Wir haben in nächster Zeit eine Buchvernissage. Seine interessantesten Reden sind zusammengefasst und herausgegeben worden. Er hat all seinen Chefs ein Gratisexemplar versprochen. Leider kann ich nicht hingehen, weil ich zu diesem Zeitpunkt besetzt bin. Und schliesslich findet Ende Juni ein Abschlussapéro statt. Nun ja, wir sind alle gespannt, wie die neue Phase werden wird. Für mich ist es schon das dritte Zeitalter, und man sagt, das erste Zeitalter sei das goldene gewesen. So jedenfalls hatten die alten Römer gedacht. Ich werde sehen.

*

So wünsche ich Dir ein feines Wochenende. Hoffentlich ist Dein Haus jetzt wieder einigermassen so, dass Du es geniessen kannst.

Mit lieben Grüssen
...

Donnerstag, 24. Mai 2012

Sommerferien, Iran, Geburtstagsfeier und Handy

(ungekürzt)

Ämne: Nasser Freitag
Datum: den 8 juni 2001 14:26

Liebe Marlena
Na ja, der Tag der Lehrkräfte ohne Schüler scheint ja nicht sehr effizient und effektiv gewesen zu sein. Ich weiss ungefähr, wie das ist, und wie man sich agbends fühlt. Das ist auch der Grund, weshalb ich kaum je an irgendwelche Symposien, Fortbildungs- oder Informationsveranstaltungen gehe, wo viele Leute sind. Du hast völlig recht, man kann dabei wirklich nur Hinterköpfe studieren und kommt zu tristen Ergebnissen. Deshalb bleibe ich viel lieber zuhause oder im Büro und nehme mir ein Buch vor.
*
Und dann sagst Du, ab Mittwoch nächster Woche hättest Du "auch" Ferien. Was meinst Du denn mit "auch"? Wer sind denn die anderen? Wer spricht denn heute schon von Ferien? Wir haben doch erst eben Juni angefangen. Ferien werden im Juli kommen. Aber doch nicht heute schon!! Die Hitze ist doch wohl bei Euch im Norden auch noch nicht so hoch, dass man nicht mehr im Schulzimmer sitzen und Ovid übersetzen oder Integral-Rechnungen lösen könnte? Ich meine, gibt es denn irgend welche vernünftigen Gründe, Sommerferien schon im späteren Frühling anfangen zu lassen? Sommerferien müssten doch, wenn der Name zutrifft, irgend was entfernt mit Sommer zu tun haben! Alles andere sind vielleicht Frühjahrsferien, Vorsommerferien, verlängerte Wochenende an Auffahrt und Pfingsten vielleicht. Aber doch nicht gleich Sommerferien! Und schon Ende Mai darüber reden zu lassen? Das ist ja echt verschoben. Das ist ein enormes time-lag, das ihr dort oben in Schweden habt. Das ist ja wie in den Verkaufsläden, wo sie die Osterhasen aus Schokolade bereits in den letzten Januartagen in die Fenster stellen. Nein, so was von verkehrter Welt!
*
Auch wir horchen etwas aufmerksamer auf Informationen aus dem Iran. Im Moment gibt es Wahlen. Und Chatamy (wie schreibt man das bloss??) wird wieder gewinnen, obwohl alle Menschen enttäuscht sind und vielleicht weil die Opposition weiss, dass er mit grosser Zurückhaltung regiert. Wir sind mal gespannt, wie das ausgehen wird. Und unsere Reisegruppe natürlich auch. Wir werden sehen, und hoffen natürlich, dass die Verhältnisse einigermassen stabil bleiben. Ich glaube, dass die Menschen - mindestens die Menschen in den Städten - mehr Öffnung des Landes und mehr wirtschaftliche Entwicklung möchten. Aber die Mullahs lassen es sich gut gehen in dieser Situation. Und sie haben die Situation einigermassen unter Kontrolle. Zwar hat man mir schon letztes Jahr erzählt, die Mullahs seien in der Zwischenzeit ziemlich verhasst bei der Bevölkerung. Sie würden sich nicht mehr auf die Strasse wagen, weil die Menschen sie beschimpfen. Und ich meine festgestellt zu haben, dass im letzten Sommer vor allem in Teheran wirklich kaum je ein Mullah zu sehen gewesen war. Nur in Isfahan habe ich Mullahs gesehen, als ich mich einmal vom Bazar in eine theologische Schule verirrt habe. Das war überigens eine heikle Situation. Irgend ein Irrer hat mich dort in der Schule erblickt und wollte unbedingt, dass ich mich neben ihn auf die Bank setze. Er zog zu diesem Zweck einen sorgfältig gefalteten Plastiksack aus seiner Hose und bereitete ihn auf der Steinbank aus - als ob er sich lange auf diese Situation vorbereitet hätte -, damit ich meine Hosen nicht beschmutzen sollte. Für einen Moment war ich bereit, mich hinzusetzen. Und so fing er eine Diskussion an und begann über Khomeyni zu schimpfen, dass ich, noch bevor ich in die Kritik einstimmen konnte, misstrauisch wurde. Wollte er mich provozieren, damit ich hier in diesem hübschen Hof der theologischen Schule unvorsichtigerweise Dinge äussern würde, aufgrund derer man mich verhaften könnte?? So hielt ich mich vage zurück und beschränkte mich darauf, die Schönheit des Landes und die guten Sitten zu loben. Und dann empfahl ich mich rasch, obwohl der Kerl mit seinem miserablen Englisch liebend gern noch weiter diskutiert und seine Verschwörungstheorie dargelegt hätte. Ich erhob mich und eilte ohne links und rechts zu sehen dem Ausgang zu. Und kaum war ich draussen, kam ein junger Typ und wünschte gleich noch einmal, mit mir zu diskutieren. Er lud mich in ein und diesselbe Schule ein. Das erschien mir dann alles doch eher verrückt, so dass ich vorgab, ich sei leider in höchster Eile, um nicht einen Termin zu verpassen. Nun ja, man weiss nicht genau, was man davon halten soll. Das ganze System macht einen misstrauisch. Und andererseits weiss man, dass die Iraner gerne mit Fremden reden und sich bloss über die Welt informieren lassen möchten. Sie lieben den Kontakt über alles. Sie sprechen Fremde auf der Strasse mit "Hello Mister" an, wie in einem echten Entwicklungsland. Das wäre vor 25 Jahren niemals geschehen. Und es ist wirklich erstaunlich, dieses Verhalten, wenn man bedenkt, wie wohlerzogen die Perser sind. Ob arm oder reich, sie wissen stets, wie sie sich zu verhalten haben. Sie sind wirklich sehr gut erzogen und rücksichtsvoll im Kontakt.
*
Die Geburtstagsfeier gestern Abend war schön. Mein Freund ist Professor für Bilogie und führt heute, in seinen älteren Jahren ein Institut, welches die universitäre Interdisziplinarität der Wissenschaften zum Ziele hat. Er hat in den letzten 10 Jahren viele interdisziplinäre, oder wie er es vorzieht zu nennen, transdisziplinäre Vorlesungen und Veranstaltungen organisiert. Dieses Institut war eine Stiftung, die von unserem Kanton finanziert worden ist. Und mein Chef ist heute noch Stiftungspräsident und sehr stolz auf diese Initiative. Und ich glaube, dass dies auch wirklich eine sinnvolle und zukunftsträchtige Offensive gewesen ist und heute noch ist.
Wir waren 50 Leute und trafen uns in einem gepflegten Hotel auf dem Land. Zum Apero standen wir draussen auf der Terasse herum und nippten an den Champagne-Gläsern. Das nenne ich das Defreezing einer Einladung, und für mich ist sie in der Regel der angenehmste Teil. Die Gesellschaft war ziemlich gemischt, reichte von alt bis jung, vom Professor bis zum Studenten, vom Einheimischen bis zum Nigerianer. Und es gab - neben einem vorzüglichen Essen mit Fisch - eine sehr ruhige und entspannte Athmosphäre. Alle waren wir zufrieden und glücklich, wie es mein Freund und seine Frau mögen. Ich hoffe, mein 60stes Geburtstagsfest werde auch einmal so seren und abgeklärt verlaufen.
*
Ich muss Dir leider mitteilen Marlena, dass ich kein Handy habe. Schon viele Menschen wollten mir so ein Ding andrehen. Ich war bisher erfolgreich in meiner hartnäckigen Abwehr. Solch eine "elektronische Kröte" kommt mir nicht in den Sack, pflege ich zu sagen, und dabei die Augenbrauen zu heben. Bisher hat das 100% gewirkt. Ich weiss wirklich nicht, warum ich ein Handy brauchte. Nein, ich leiste mir das Privileg, kein Handy zu haben und in einer splendid-isolation vor mich hin zu leben. Allerdings weißt Du, dass man aus dem Iran auch im Internet nicht leicht kommt. Die Anschlüsse sind teuer und oft so besetzt, dass es nicht möglich ist. Auf jeden Fall hat letztes Jahr ein Verwandter, der uns seine Einrichtung zeigen wollte, es nicht erreicht, ins Netz zu kommen. Und wie ich kürzlich hörte, hat man in Teheran etliche Internet-Cafés schliessen lassen. Ich glaube, wir müssen uns auf Rauchsignale beschränken.
*
Und jetzt muss ich dringend nochmals an die Arbeit. Es ist Freitag Nachmittag und regnet wieder in Strömen. Ich weiss wirklich nicht, womit wir das verdient haben.
Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende
Allerliebste Grüsse
...

Mai

date 17 May 2005 06:12
subject Re: 16. Mai

Liebe Malou
Das erstaunt mich wirklich, dass ihr im sozialistischen Schweden am
Pfingstmontag gearbeitet habt. Ich meine natürlich, diejenigen die
arbeiten, haben gearbeitet. Wir haben am Fernsehen gesehen, wie die
Franzosen sich darin uneinig sind, ob sie arbeiten sollen oder nicht.
Jeder habe es auf seine eigene Art gemacht, wurde berichtet. Aber bei
uns war einhellig Feiertag. Ausgenommen vielleicht das Wetter, das hat
sich einen üblen Arbeitstag vorgenommen. Es hat geregnet und war kühl,
also ob es nie von so etwas wie Sommer gehört hätte. Nun ja, immerhin
waren wir frei und konnten ein bisschen herumhängen.

Und jetzt also wieder an der Arbeit. Wie schnell die Zeit vergeht,
diese herrlichen Tage von Auffahrt bis Pfingsten. Jetzt kommt bloss
noch Fronleichnam! Aber davon hört man hier in der Region nichts, denn
hier ist man nicht katholisch. Höchstens dass die Leute aus
katholischen Gebieten an Fronleichnam in die Stadt fahren, um
einzukaufen. Ïch glaube mich daran zu erinnern, dass dann Zürich immer
verstopft war von Innerschweizern. Aber hier in Basel glaube ich
nicht, dass dies so sehr ins Gewicht falle.

Aber der Himmel ist immer noch trüb. Es hängen Nebelfetzen an den
Hügeln rund ums Städchen. Und die Temperatur ist - sagen wir - frisch.
Es ist nicht wirklich Sommer. Und auch Pfingstrosen habe ich nirgendwo
gesehen bislang. Ich werde in den nächsten Tagen ein besonderes Auge
auf sie halten. Aber ich glaube wirklich nicht, dass sie schon so weit
sind. Aber dafür sind die Kastanienbäume schön in Blüten. Es gibt ja
die roten und die weissen. Hier auf dem Turmplatz steht ein
Weisser. Er ist in den letzten Jahren sehr gewachsen und reicht jetzt
schon zur Dachtraufe im 3. Stock. Es ist ein schön gewachsener Baum.
Doch zu einer Seite nimmt er Rücksicht auf die Hauswand. Ist es nicht
merkwürdig, wie Pflanzen Rücksicht nehmen und gegenseitig, oder
gegenüber Gebäuden Abstand halten? Na ja, es gibt natürlich auch
Pflanzen, die gerne umarmen, die zupacken, wie die Kletterpflanzen,
Efeu oder andere. Aber Bäume halten respektvoll Abstand. Im Tropenwald
würde ein wildes Durcheinander entstehen, wenn sie aneinander geraten
würden.

Ich hoffe, das Wetter wird im Laufe der Woche etwas milder und
sonniger. Es kann nicht ewig so kühl und unfreundlich bleiben. Ich
habe heute morgen sozusagen meine Winter-Montur angezogen, dh. unter
dem Hemd ein warmes Leibchen. Das ist um diese Jahreszeit wirklich
ausserordentlich. Aber euch geht es da ja besser. Ihr habt bestes
sonniges Wetter, nicht wahr? Ihr seid einfach zu beneiden.

MLG
...

Mittwoch, 23. Mai 2012

Zügelei

25 January 2007 20:55
subject: Das Liebesgeschrei der Primaten !


Liebe Malou

Wie geht es dir meine Liebe. Ich weiss, ich bin sehr absorbiert. Und das ist
nicht nur wegen des Schnees, der gestern gefallen ist. Ich bin schwer
beschäftigt. Als du mich letzthin gescholten hast, dass ich meine
Zügelei so in die Länge ziehe, habe ich heute eine Firma angerufen, um
die Sache an die hand zu nehmen. Ich kann das schon rascher machen, es
bleibt dann einfach ziemlich viel Unordnung hinter mir zurück. Und das
wollte ich irgendwie vermeiden.  Aber einen gewissen Zeitdruck durch
einen Termin kann ich - so glaube ich - gut gebrauchen.
Kürzlich hat mich eine Bekannte angerufen. Als sie hörte, dass ich noch
zuhause sei, hat sie gelacht und gedacht, ich würde das nie schaffen.
Ich wäre noch zu sehr verknüpft mit S. Aber das glaube ich nicht. Mein
Problem ist wirklich die Zügelei. Ich wünschte mir alles wäre hinter mir
und ich würde dort in der Nähe Affenhaus leben und nachts das
Liebesgeschrei  der  Primaten hören. So wird es Ende dieses oder anfangs
nächsten Monats sein. Ab Mitte Februar kannst du mich besuchen Malou.
Dann ist alles bereit. Meinst du, du kannst dich mal von K losreissen?

Und wenn du hier alles gesehen hast, wirst du ganz froh und zufrieden
zurück in dein schönes Einfamilienhaus kehren. Und wirst vielleicht
bloss mehr das Affengeschrei vermissen.
......

Ja, du glaubst es kaum. Hier hat es ca. 10 bis 15cm geschneit. Es
sieht alles aus wie ein Weltwunder. Und man fragt sich, wie sich der
Himmel selbst überlistet hat, um uns eine solche Pracht zu bescheren.
Es ist wirklich lange her, seit er das zum letzten Mal gemacht hat.
Nur euch dort oben berücksichtigt er bevorzugt. Aber hier lässt er
bald Wüsten entstehen.  Ich hoffe doch sehr, dass sich das ändern
wird..

Ich wünsche dir einen feinen Abend.

Mit lieben Grüssen und Küssen in Qs
...

Dienstag, 22. Mai 2012

Montag, 21. Mai 2012

Lust-, Pflicht - und Denkmails

Subject: dimo
Date: Tue, 13 May 2003 08:04:08 +0200

Liebe Marlena
Das muss ich zuerst korrigieren! Du sagst, ich betone immer wieder, dass ich
nicht aus Lust schreibe. Nein, das stimmt nicht. Und es ist ein bisschen
komisch, wie ein solcher Eindruck entstehen kann.
Heute morgen beispielsweise hat mich der Gedanke aus dem Bett gehievt, dass
ich im Box ein Mail von Dir finden würde. Ist also durchaus eine Motivation,
den Tag überhaupt anzufangen. Und dabei ist viel Lust, nicht wahr.
Aber im Hintergrund habe ich diese Sicherung in Form der Devise: jeden Tag
ein Mail, d.h. irgendwann im Tag muss ich mir eine halbe Stunde nehmen
dafür. Und die halbe Stunde kommt nicht aus Lust zu mir, ich muss sie mir
holen. Weil ich den PC hier habe, kann das auch nicht abends um 22h
geschehen, wenn man schon entspannt ist und die Lüste automatisch aufkommen.
Na ja, so ungefähr, verstehst Du?
Vielleicht scheint es, dass ich den rituellen Teil betone, weil ich diesen
Aspekte im Leben zur Zeit für ziemlich wichtig halte. Als 68er waren wir
wirklich gewohnt, aus blosser Lust und aus dem Bauch heraus - wie sie hier
sagen - zu leben, ohne Planung, ohne sich allzu viele Gedanken um den
nächsten Tag zu machen. Und in letzter Zeit versuche ich eben, die Vorteile
der Gewohnheiten, der Rituale, der Pflichten auch für mich zu entdecken.
Ich bin wirklich eine Hochbegabung, mein Leben ziemlich unorganisiert hinter
mich zu bringen. Und manchmal denke ich, dass das in meiner Position ein
wahrer Skandal sei und nehme mir viele Dinge vor, die ich nie in meinem
Leben erfüllen könnte. Kurz und gut: beste Voraussetzungen, um unglücklich
zu sein.
Irgendwie habe ich noch immer die Künstler-Existenz als Lebensideal. Ziel
des Künstlers ist es sozusagen, jeden Moment zu einer Ausnahmesituation zu
machen, jeden Moment auf den Höhepunkt des Lebens zu katapultieren. Und das
kann nur gelingen, wenn die eigene innere Konstellation mit den äusseren
Ereignissen eine geniale Verbindung eingeht. Jeder Moment sollte sozusagen
zum kleinen Kunstwerk werden! Und damit ist der Moment ein momentum
absolutum, ein autonomer Moment, der nur aus sich selbst beurteilt werden
kann. Der nächste Moment ist wieder anders und mit dem vorhergehenden nicht
zu vergleichen. Es gibt keine Steigerung, es gilt nicht, Momente in eine
Reihe zu kriegen, um eine langfristige Entwicklungen zu schaffen, es gibt
keine Unterordnung des einen Momentes unter den anderen (wie man sich z.B.
eine Vorbereitungsarbeit auf eine wichtige Prüfung vorstellen könnte). Ich
glaube, diese Vorstellungen gehen in die Richtung des Existenzialismus. Und
in jener Kunstgeschichte-Vorlesung, die ich zusammen mit A.besucht
hatte, hatte Prof. B. einen Zusammenhang zum Impressionismus von Monet
entwickelt, der in seinem Malstil, einer Art Pointilismus, eben diese
Summierung unendlich vieler kleiner Zeitpunkte, inszeniert hat. Auch ein
impressionistisches Bild ist schliesslich nichts anderes als die Spiegelung
eines schönen (und weiss Gott ephemeren, d.h. vergänglichen) und luftigen
Augenblicks.
Es gibt zur Zeit im Kunstmuseum Basel eine hübsche Ausstellung mit
expressionistischen Bildern und Fotos aus jener Zeit. Man kann daraus sehen,
wie sehr sich die Impressionisten auf das damals moderne Leben gestürzt
haben. Diese Erkenntnis war für mich wirklich neu! Sie haben die Strassen
von Paris gemalt (es gibt ein paar wunderbare Bilder von Monet, auch
Pisarro), die damals gerade von Haussmann neu gestaltet worden waren, sie
haben das Strandleben gemalt, also jene Freizeit-Phänomene der
Industriegesellschaft, sie haben Pferderennen, Bahnhöfe, Stadtparks, oft die
Landschaften und viele andere Aspekte des damals aktuellen Lebens gemalt.
Das war alles gar nicht besonders romantisch, sondern das moderne Leben
damals. Und auf den Fotos kann man sehen, wie einfach und ohne Glanz das
Leben damals wirklich war.
*
Soweit zum Thema Lust und Pflicht.
*
Lustig, dass ihr bei euch in Schweden einen richtigen Streik habt. Ich
glaube, ich habe in meinem ganzen Leben nie einen Streik erlebt. Bloss im
Wallis gab es manchmal Zugsverspätungen, weil die Italiener oder die
Franzosen gestreikt haben. In der Schweiz gilt Streik als Unart, als eine
Sache für Leute mit schlechtem Geschmack fast. Man kann lauthals
reklamieren, man kann trödeln bei der Arbeit, aber streiken, das tun wir
nicht. Wenn wir öffentlich demonstrieren, so tun wir das am
Samstag-Nachmittag. Und wir betreten dabei nicht den öffentlichen Rasen. Das
muss ja echt aufregend sein, wenn Teile der Schule streiken. Ich beneide
dich!
*
Du brauchst keine Gedanken wegzuzensieren in Deinen Mails!
Letzten Sonntag bin ich zufällig am Fernsehen in einen Vortrag einer Mainzer
Professorin geraten. Ich habe den Anfang nicht mitbekommen, aber ich nehme
an, sie sei Kommunikationsspezialistin, oder Professorin für Semiotik oder
so was Verrücktes. Sie hat sich Gedanken gemacht über die Kommunikation per
Internet. Na ja, jedenfalls habe ich sie so interpretiert. Und sie hat
einige Dinge gesagt, die wir längst besprochen und diskutiert haben. Sie hat
beispielsweise nicht von Person, sondern von Persona gesprochen, also von
einer fiktiven Figur, die einen selbstgewählten Namen und selbst
zugeschriebene Eigenschaften hat. Persona sei eine symbolisch hergestellte
Figur. Das heisst, was ich immer gesagt habe: es gibt nichts ausserhalb des
Textes. Alles ist Text. Das ist sogar noch dort so, wo, wie im ST alles
aussieht wie ein Dialog, der in Echtzeit abläuft.
Ist es nicht merkwürdig, dass sich jetzt schon Philosophen mit diesen Fragen
beschäftigen? Mich interessieren sie, weil ich denke, dass sich über lange
Zeit das Subjekt, diese Konstruktion individueller Existenz also, verändern
wird. Ich glaube, dass das "Subjekt", wie wir es heute kennen, eine Leistung
der Schriftkultur ist. Wenn das Buch als Leitmedium untergeht, dann wird
sich auch das Subjekt verändern. Ich erinnere mich daran, wie A. aus
Ecuador zurückgekehrt war und seither die Schweiz lobt, weil man hier mit
jedem Menschen, den man z.B. auf der Strasse trifft, sprechen könne. Sie hat
dort drüben bemerkt, dass man mit Analphabeten nicht sprechen kann, weil sie
in einer völlig anderen Welt leben und andere Anschauungen haben. Sie
brauchen ihre Sprache anders als wir es tun, vielleicht ähnlich wie sie mit
ihren Händen umgehen?
Denken wir nur an Mrs Dalloway und an andere wunderschöne Romane des 19.
Jahrhunderts, deren Funktion wohl nicht mehr und nicht weniger darin
bestand, den Menschen zu zeigen, wie sich ein Subjekt jener Zeit fühlt und
wie es denkt. Sie hatten durch und durch pädagogische Absichten. Die
Liebesromane besonders. Sie waren eigentliche Lektionen, um die Liebe zu
demokratisieren, dh. zu verbürgerlichen, und daraus ein pures - eben
romantisches - Gefühlsereignis zu machen.
Ich finde dieses Thema hochinteressant und habe mir vorgenommen, in nächster
Zeit mal einen Artikel darüber zu schreiben. Ich möchte mir das wirklich mal
näher anschauen.
*
Kurz und gut, Du brauchst nicht weg zu zensieren. Was ich von Dir denke, das
betrifft ohnehin nur Deine Persona, nicht Dich selbst. Wer Du bist, wie kann
ich das denn wissen?
*
Und damit ist bewiesen: es gibt nicht nur Lust- oder Pflichtmails, es gibt
auch Denkmails. Und dann gibt es vielleicht auch noch Tagebuchmails. Sie
sind, wenn ich richtig sehe, vielleicht alte Nachfahren jener Zeit im
vorletzten Jahrhundert, als man noch die Zeit und Musse hatte, Tagebuch zu
schreiben.
*
Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit lieben Grüssen
...

Heute

.
im Garten

Beautiful morning..

Datum: den 13 maj 2003 07:59

Lieber ...,
Guten Morgen! Ich hoffe, dass du diese Nacht besser geschlafen hast und nun voll Tatendrang den neuen Tag erfasst.
Wie war der Ausflug gestern? Wart ihr zufrieden mit dem Essen? Wo genau bist du denn gewesen? Ich habe mich nur ausgeruht. Die Müdigkeit hat den ganzen Tag angehalten und ich habe nichts gescheites gemacht. Warum muss man das immer? Wenn ich Bilder aus dem Irak, Syrien und ähnlichen Ländern sehe, was nun öfters vorkommt, dann sieht man die Männer ruhig auf den Strassen zusammen sitzen, eine Wasserpfeife rauchen und, wie es scheint das Leben geniessen. Während wir Europäer, mit irgendwelchen beruflichen Gedanken in der Geogarphie herumrasen. Klar der Schein kann trügen. Aber unglücklich sehen sie nicht aus bei ihrem Müssiggang, diese Orientalen.
*
Ich hatte mich auf Regen eingestellt und doch sieht der Himmel ziemlich freundlich aus an diesem Morgen. Der Tag beginnt besser als der gestrige.
*
Ich warte darauf, dass Anna im ICQ erscheint. Möglicherweise hat sie heute verschlafen. Und ihr Handy ist abgestellt. So kann ich sie auch nicht wecken. Du siehst, ich kann nicht richtig loslassen obwohl ich weiss, dass sie ihr Leben gut in der Hand hat. Ich möchte auch wieder einmal hinfahren. Linköping ist eine wunderschöne Stadt und der Weg dorthin muss nun, in seiner Frühlingspracht, besonders schön sein. Längere Strecken mit dem Auto zu fahren (am Steuer natürlich) ist die reinste Therapie, finde ich. Nichts hindert einen daran, seinen Gedanken freien Lauf zu geben.
*
Am Samstag war ich in einem grossen Einkaufscentrum mit meiner Kollegin G. Sie hat kein Auto und so war sie froh, dass sie einkaufen konnte ohne an die lästige Busreise denken zu müssen. Wir hatten es gemütlich und sind ein paar Stunden (!) dort herumgegangen und haben auch Lunch gegessen. Sie tut mir leid die arme. Seit ein paar Jahren ist sie krankgeschrieben. Erst ganzzeit und jetzt auf Halbzeit. Und sie gehört zu den wenigen Lehrern in ihren Fächern, die noch Ambitionen haben, den Schülern etwas beizubringen und die auch, im Gegenteil zu den anderen, ihre Fächer beherrscht. Du musst wissen, dass die übrigen Kollegen nicht immer besonders nett sind zu ihr. Sie sind ganz einfach neidisch, dass sie nicht Vollzeit arbeiten muss. Nun hat sie einen Poesikurs zusammengestellt mit allem was das verlangt an Arbeit und Können und der inkompetente Direktor hat den Kurs an einen anderen Lehrer verteilt. Aber sie sagt nichts dazu. Sie nimmt es für was es ist: Inkompetenz!
Sie hat Bücher in ihrer Schublade, die sie geschrieben hat. Ich werde versuchen eines davon lesen zu dürfen. Ich finde Bücher soll man nicht in der Schublade verwaren. Die soll man publizieren. Das dumme bei meinen schreibenden Bekannten ist, dass sie oft das sprachliche über den Inhalt dominieren lassen. Vielleicht ist es eine Lehrerkrankheit.. :-)
*
Der Bauer fährt auf den Feldern herum und hinter ihm fliegt eine ganze Schar von Vögeln, u.a. Möwen.
Oh, ich sehe, ich muss mich beeilen, damit ich nicht zu spät komme zu meiner ersten Stunde.
So grüsse ich dich lieb und wünsche dir einen schönen angenehmen Tag,
Marlena

Sonntag, 20. Mai 2012

Samstag, 19. Mai 2012

Frans und Ustinov


date 9 May 2005 06:21
subject Re: Siehst du..
 --
Am Nachmittag habe ich im Getümmel Frans angetroffen. Er war ganz abwesend, schlenderte in seinem hellen Regenmantel im Strom der Leute und hielt in der Rechten seine verlöschte Pfeiffe. Frans ist ein Club-Kollege. Und letztes Jahr hatte ich ihn ebenso an dieser Messe getroffen. Letztes Jahr hatte er einen grossen Bildband über die Rheinschifffahrt gekauft, daran erinnere ich mich sehr gut, weil ich immer noch das Titelbild auf dem Einband im Gedächtnis habe. ...

Nun ja, ich traf also unseren Frans und wir plauderten ein wenig dahin. Schliesslich schlug ich vor, dass wir irgendwo ein Kaffee trinken sollten. Es war nicht leicht, ein leeres Tischchen zu finden. Aber schliesslich wurden wir hinten, in der Caffeteria fündig. Frans bestellt in der Regel einen doppelten Espresso. Ich lud ihn dazu ein, denn ich erinnerte mich, dass ich ihn schon letztes Jahr an der Bar eingeladen hatte, dass er aber damals schliesslich die Zeche bezahlte, weil die Dame an der Theke kein Kleingeld auf meine Note hatte. So konnten wir nach langer Zeit doch soetwas wie Gerechtigkeit zurückgewinnen.
Ich habe ein paar Bücher gekauft. Aber im Grossen und Ganzen habe ich versucht, mich zurückzuhalten. Jäggi, die grosse Buchnandlung Basels, hatte eine grosse Abteilung mit sogenannten Hörbüchern, also mit CDs. Ich habe eine gekauft von Ustinov. Er ist letztes Mal gestorben. Ich habe ihn immer sehr gemocht und geschätzt. Ich glaube, er war ein äusserst vielseitiger Mensch und geschäftlich wohl ausserordentlich erfolgreich. Und dazu hatte er am Genfersee in der Schweiz gelebt, das habe ich ihm immer zugute gehalten, wo er doch in England aufgewachsen und zur Schule gegangen war. Kurz und gut: auf dieser CD spricht Sir Peter Ustinov über Vorurteile. Er spricht in seinem gebrochenen Deutsch (ich glaube, sein Vater war deutscher Muttersprache gewesen). Und er spricht, wie ich meine, sehr intelligent und menschlich. Er kommt für mich als Humorist in die Nähe von Chaplin. Der hatte neben bei gesagt auch am Genfersee, ein bisschen weiter oben, gelebt. Ustinow war als Schauspieler kein schöner Mensch. Er wirkte immer etwas ungelenk und hatte schon in jüngeren Jahren ein Bäuchlein. Ich erinnere mich an ein Foto, wo er neben Sophia Loren steht. Neben der eleganten, gazellenhaften Loren wirkt der gute Ustinov wie der Dorftrottel. So war er für komische Rollen prädestiniert. Hat er nicht in einem grossen Film Nero gespielt. Ich denke, diese Rolle passte gut zu ihm, ich meine zu seiner körperlichen Konstitution. In späteren Jahren, als er dann älter wurde, hat er ziemlich gut ausgesehen. Er war ein würdiger älterer Herr mit einem guten Humor, verspielt und voller Lebensweisheit. Er konnte ohne Ende lustige Anekdoten erzählen und hatte dabei, das war sofort deutlich, einen exzellenten Sinn für die Pointe.
Kurz und gut: ich habe jetzt die persönliche Stimme Ustinovs zuhause, und darüber bin ich ganz glücklich.

MLG
...

Basler Buchmesse


date 9 May 2005 06:21
subject Re: Siehst du..

...

Ach, was kann ich dir erzählen von diesem langen Wochenende? Vielleicht von der Basler Buchmesse? Gerade höre ich, dass sie einen Rekordbesuch hatten. Es waren 405 Verlage, die ausgestellt haben, und es waren 40300 Besucher während der 3 Tage. Und dabei hatten gleichzeitig in Solothurn die Literaturtage stattgefunden. Darüber ist man zufrieden im dritten Jahr dieser Veranstaltung. Ich kann bestätigen, dass diese Messe ganz in Ordnung war. Ich war am Samstag schon um 930h, als geöffnet wurde, vor dem Eingang. Damals gab es noch nicht zuviele Leute, und man konnte bequem in den einzelnen Ständen herumwühlen und sich einen Überblick verschaffen. Nach und nach zogen die Zuschauer an. Und gegen Mittag war es schon ziemlich warm unter den grossen Leuchtern. Man hatte drei oder vier verschiedene Publikumsforen oder Arenen eingerichtet, in den ständig Diskussionen oder Lesungen stattfanden. Einige kleine Verlagen waren so verlegen, ihre Autorinnen und Autoren direkt am Stand lesen zu lassen. Doch das waren veritable Spiessrutenläufe. Es gab dann einige Agenten, die im Publikum Zettel verteilten über die Autorin, die gerade in Aktion war. Aber manchmal hörte man absolut nichts, denn die armen Leute mussten ohne Mikrophon auskommen. Bei irgend einem deutschen Esoterik-VErlag geriet ich an eine Blondine. Sie war recht hübsch und, wie man sehen konnte, las aus einem ihrer Manuskripte. Kein Mensch hörte zu. Man konnte auch nichts hören, weil sie eine fast tonlose Stimme hatte. Ich ging in ihre Nähe, versuchte, in einigen Büchern zu blättern, um gleichzeitig zu hören, worüber sie überhaupt las. Es war ein Text über eine Relaxation-Methode. Für mich hörte es sich an wie autogenes Training. Sie las weiter ähnlich, wie wenn man am Fernseher den Ton ausgeschaltet hätte. Und inzwischen hatte sie auch bemerkt, dass sie einen Hörer gewonnen hatte. Zwischen ihren Blicken auf das Manuskript schaute sie mich immer wieder, und wie mir schien, ziemlich verzweifelt an. Ich glaube, sie war froh, dass sich einer genähert hatte, und dass nicht alle Leute einfach achtlos vorbeigingen, während sie lass. Sie war eine ganz hübsche Blondine, hatte halblanges, volles und goldenglänzendes Haar und ein Gesicht mit Sommersprossen. Sie war gut geschminkt. Allerdings trug sie einen wollenen Pullover unter ihrer Jacke, ich glaube, es war eine Wildlederjacke. Diese Wolle sah etwas robust und provinziell aus. Aber sonst war sie ganz ok und sie umklammerte mich mit ihren schönen, grossen blauen Augen um mich in der Nähe zu behalten, und um nicht wieder wie Demosthenes mit den Steinen im Mund hinaus ins rauschende Meer zu reden. Und ich fügte mich ihrem Hilferuf und blieb einen Moment, blieb solange, bis ein paar neue Leute stehen blieben, um dann diskret zu verschwinden. Ja, sie las über autogene Entspannungsübungen. Und sie las so, als ob sie annahm, ich würde das alles zum ersten Mal hören. Nein, sagte ich leise und ebenso tonlos wie sie sprach, nein Helga, sagte ich, das kenne ich nachgerade schon sehr mehr als genug. Nein Helga, ich kenne das alles zur Genüge. - - Ich glaube, dass sie Helga heissten müsste. Denn sie sah in ihrer Blondheit und ihrer gewissen Bodenständigkeit eben aus wie eine Helga. Oder hätte vielleicht Margot besser gepasst?

Am Nachmittag habe ich im Getümmel Frans angetroffen. Er war ...

Interview mit Schriftsteller

date 9 May 2005 06:21
subject Re: Siehst du..

Liebe Malou
Es ist kaum zu glauben, dass diese Frei- und Feiertage schon vorbei sind. Es ist wie damals, als wir noch zur Schule gingen. Wir hatten uns so sehr auf die paar freien Tage gefreut, dass wir nicht daran glaubten, dass wir je zum Normalleben zurückkehren mussten. Wir genossen die freie Zeit, trödelten dahin, verschleuderten unsere wertvolle Lebenszeit an Nichtigkeiten, und plötzlich war wieder Montagmorgen und der Lehrer sass im alten Ernst vor uns und versuchte zu überzeugen, dass wir alle zur alten Arbeitshaltung zurückkehren sollten. Der Rektor hatte sogar oft den Spruch auf den Lippen: Es ist nichts schwerer zu ertragen als ein paar freie Tage. Und wie er damit recht hatte! Und wie es zutrifft!

Ich hatte mal ein Interview gesehen mit einem deutschsprachigen Schriftsteller. Wie hiess er bloss. Ich habe nie etwas von ihm gelesen. Aber er ist sehr populär. Auf jeden Fall ist er ein sehr hässlicher und neurotischer Mensch. Ich glaube, er kann sich mit Schreiben knapp über Wasser behalten. Ich meine damit, wenn er nicht die Regelmässigkeit des Schreibens hätte, würde er verkommen im Alkohol, im Suizid oder weiss Gott wo. Er hat damals im Interview, und in seiner bröckelnden und stotternden Sprache erzählt, wie er es schafft, solch dicke Bücher zu schreiben die von sovielen Leuten gekauft und - so muss man annehmen - oft auch gelesen werden. Und er hatte zwei Dinge erzählt, die mir sofort eingeleuchtet haben. Er hat gesagt, dass er jeden Tag von 8 bis 12 und von 14 bis 18 Uhr arbeite. Und dies jeden Tag, wohlgemerkt, auch an Sonntagen. Er dürfe keine Ausnahme machen, sonst würde er aus dem Tritt geraten und dann wäre nicht sicher, ob er den Roman zu Ende bringen könne. Erinnert das nicht an einen Seiltänzer, der nicht links und nicht rechts, vor allem nicht in die Tiefe sehen darf, der unablässig auf das Seil vor seinen Füssen starren muss und sonst nichts? Und die zweite Sache, die er erwähnt hat, hat mich ebenso überzeugt. Er hat gesagt, dass er abends, bevor er seinen Feierabend eröffne, einen halben Satz zu schreiben beginne. Dahinter steht die Einsicht, dass es morgens um 8 Uhr, um mit der Arbeit zu beginnen, am leichtesten sei, einen begonnenen Satz erstmals zu beenden, um dann weiterzuschreiben. Natürlich sind das ein bisschen kleinliche Tipps von einem armen und gequälten Menschen. Aber sie haben doch was an sich. Auf jeden Fall sollte man sie sich merken, wenn man in diesen Aspekten Probleme hat.

Ach, was kann ich dir erzählen von diesem langen Wochenende? Vielleicht von ...

langes Wochenende

date 7 May 2005 07:41
subject Re: Siehst du..

Liebe Malou
So ein langes Wochenende hatten wir lange nicht mehr. Es ist beinahe eine Woche. Am Montag habe ich gleich noch die Sitzung ausfallen lassen, so dass die Samstagsarbeit auch dahinfällt. Es ist wie in den Werkstätten des Himmels: nichts zu tun und eine weite Sicht hinaus auf die Welt.

Heute werde ich in Basel an die Buchmesse gehen. Das ist doch eine hübsche Sache, nicht gleich so gross wie die Frankfurter oder die Leipziger, aber immerhin. Und dabei ist sie erst ein paar Jahre alt. Es gibt auch eine Abteilung für Kinder- und Jugendbücher. Vielleicht muss ich dort auch eine kleine Runde drehen?

Und das Wetter? Nun, es scheint ein bisschen durchzogen wie eine gute Speckseite. Blauer Himmel mit einigen Wolkenstreifen. Aber es ist ok.

Ich wünsche dir ein gutes Wochenende
MLG
...

Freitag, 18. Mai 2012

PCs vom Himmel

.
date 5 May 2005 16:05
subject   Siehst du..

Liebe Malou
Ach, sei nicht so ungeduldig. Ich schicke dir die Bilder, wenn ich mal dran vorbeikomme. Ich kann doch jetzt nicht alles durchsuchen, bis ich sie finde. Das wäre wirklich ungebührend aufwendig.

Ich habe ein paar Rezensionen geschrieben und ein paar Kaffees getrunken. Beides ist nicht zu verachten. Und dazu wollte ich ein bisschen aufräumen im Büro. Habe mir gedacht, dass ich vielleicht so vorankomme, wenn ich jedes Mal ein bisschen was tue, nicht perfektionistisch, sondern im Imperfekt sozusagen.

Das Wetter ist ein bisschen windig und kühl. Für Mai etwas zu wenig mild, denke ich. Aber wir haben ja Geduld.

Du bist eine Könnerin zusammen mit deiner Tochter. Ganze Anlagen installiert ihr gemeinsam? Und ich habe bloss versucht, eine Hörspiel CD zu kopieren, und es ist nicht gelungen. Ich glaube, sie ist gesperrt. Ich muss Walter fragen, wie sowas zu tun ist. Mit diesen Dingen fühle ich mich wirklich wie ein Nicht-Schwimmer-Kind im tiefen Wasser. Es ist meist ziemlich vom Zufall abhängig, ob ich vorankomme oder ob ich Wasser schlucke und mich hustend und schimpfend zurückziehe. Es ist einfach widerlich, dass man bei der Arbeit mit soviel Unkenntnis und Unklarheit umzugehen hat. Manchmal könnte ich die ganze Anlage hinunter auf den Turmplatz schmeissen. Aber das habe ich dir sicher schon früher verraten. Eigentlich könntest du in der Terror-Prävention einen kleinen Beitrag leisten und unseren Geheimdienst auf dieses Gefahrenpotential aufmerksam machen. Ich meine, PCs die vom Himmel fallen, ist doch schon ziemlich gefährlich, oder?

Na ja, ich überschlafe meinen Ärger noch einmal und werde morgen weitersehen!
MLG
...

Re: Auffahrt

date 4 May 2005 09:31
subject Ach,

mein lieber lustiger Mausfreund!
Da finde ich wieder ein so humoristisches Mail, das mir den Tag
verschönert. Na ja, nicht nur humoristisch sondern auch ein wenig
lästerlich. Aber wie du ja weisst, vertrage ich ziemlich gut auch
Spass über solche Dinge (schon von K daran gewöhnt ;-)

So so, du steckst sie wirklich ins Gefrierfach, deine heissen Briefe..
und nachher legst du sie wohl in die Microwelle?

Ich schliesse meine ein, in ein kleines Schmuckkästchen, das ich in
mir trage. Dort sind sie gut geschützt gegen alle Angriffe der Zeit.
Der Inhalt bleibt intakt. Klingt das nicht schön? Eine Liebe die nie
verdirbt?

Ja, wir haben schon wieder Feiertage. K kommt heute nach Hause. Wenn
das Wetter etwas besser wird, werden wir uns im Garten zu tun machen.
Sonst haben wir nichts Besonderes vor.

Der Verlust meiner wertvollsten Bilder schmerzt mich immer noch, aber
jetzt wie ein Dorn in der Haut, nur wenn ich ihn berühre. Du könntest
meine Pein ein wenig lindern, indem du mir die deinen nochmals
schickst. Warum tust du es nicht?

Ich muss mich jetzt ein wenig hier beschäftigen. Wenn mir Zeit übrig
bleibt, schicke ich dir noch ein paar Zeilen.

Bis dahin alles Liebe,
Malou

Heute...

..
 ... im Garten

Donnerstag, 17. Mai 2012

Auffahrt und Banntag

date 4 May 2005 08:42
subject Re: Nein...

Liebe Malou

Klar, die Liebesbriefe passen v.a. ins Tiefkühlfach, weil sie glühend heiss und natürlich überaus verderblich sind. Man muss sie behandeln wie die Gene und eigentlich sollte man sie in flüssigem Stickstoff lagern. Natürlich werden sie in einer solchen Lage sehr schnell abkühlen, wirst du entgegnen. Und damit hättest du auch recht. Allerdings können sie nicht wirklich verderben bei einer Kaltlagerung.

Heute haben wir Mittwoch. Das Wetter ist ziemlich freundlich, eigentlich gutes Maiwetter. Und ab Morgen haben wir doch schon Wochenende. Ist es nicht toll, dass er 'aufgefahren' ist? Davon stammt ja doch die 'Auffahrt'. Schade, dass nicht mehr Menschen zu verschiedenen Tagen im Jahr echt aufgefahren sind. Das hätte uns mehr Feiertage gebracht. Es gibt doch schöne Gemälde, die Marias Himmelfahrt zeigen. Die haben mir immer gut gefallen. Und ich hatte den Eindruck, dass die Weltraumfahrt und all die NASA Dinge eigentlich uralt seien. Vor allem mag ich jene Bilder, die noch um die ominöse Wolke, mit der Maria aufsteigt, rund viele Menschen und Figuren zeigen, die die Auffahrt zu einem echten Happening machen.
Und am Freitag sind dann die Büros der Verwaltung offiziell geschlossen. Man darf natürlich arbeiten, aber für das Publikum sind sie geschlossen.
In unserer Gegend finden an Auffahrt in vielen Gemeinden Banntage statt. Da gehen die Bewohner der Gemeinde in einem folkloristischen Zug rund um und schreiten die Gemeindegrenzen ab. Ich glaube, diese Tradition kommt aus einer Zeit, als die Grenzsteine gerne versetzt wurden, um damit die eigenen Äcker zu vergrössern. Heute ist das nicht mehr der Grund. Übrigens hat .. seinen Banntag am Montag gehabt, eine Ausnahme, auf die sie sehr stolz sind. Obwohl ich jetzt ungefähr 25 hier wohne und arbeite, war ich nie an einem solchen Anlass gewesen, obwohl immer wieder Männer die Bemerkung gemacht haben, sie würden mich einladen. In ... muss man dazu eingeladen werden. Und man muss Mann sein. Das weibliche Geschlecht ist nicht zugelassen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich nie auf eine solche Einladung eingegangen bin. Der Abmarsch der Männer in Viererkolonne, das Knallen mit alten Gewehren, das singen von vaterländischen Liedern: ich hatte mir das nie als sehr erstrebenswert vorgestellt. Doch andererseits gibt es Leute, die behaupten, um in hier Kontakte zu schaffen, müsse man am Banntag teilnehmen. Das hingegen kann ich einsehen. Es ist wie im Wallis. Wenn man mal mit jemandem ein Glas zuviel getrunken hat, ist man auf ewig sozusagen miteinander verbunden.

Ich habe beinahe vergessesn, das Ding zu versenden. Man wird hier so leicht abgelenkt.

Ich wünsche dir schöne Auffahrt. Aber bitte, fahr nicht zu hoch ...

MLG
....

Botero und MB

date 3 May 2005 14:26
subject Botero und MB

Lieber ...,
Danke für deine schnelle Antwort. Was ich eigentlich mit meinem Mail
sagen wollte: in dem leeren Loch, das allen Befürchtungen nach, unsere
Generation hinterlassen wird, wird man jedenfalls ein Zeichen von
Leben finden: deine wunderbaren Mails.. Ich muss sie nur auf Papier
bringen. ;-) und dann wohl auch noch in den Gefrierschrank legen, so
wie du es machst mit deinen Liebesbriefen. Warum eigentlich? Sind sie
so heiss?

Übrigens, eine CD speichert 650 MB (megabyte) und ein MB sind
1 000 kilobyte. Ein ziemlich grosses mail umfasst 5 K... So müssten
130.000 lange mails auf einer einzigen kleinen CD Platz haben. Kann
das möglich sein?

Bei mir hier unten steht:
You are currently using 48 MB (2%) of your 2157 MB

Das ist unsere Korrespondenz seit September 2004 glaube ich... aber
Bilder nehmen viel Platz.

Übrigens, als ich nach dem Boterobild suchte, habe ich entdeckt dass
auch mein Folder mit dem Titel "Kunst" gelöscht ist. :-( Das meiste
kann ich im Internet wiederfinden... aber deine Bilder musst du
nochmals schicken.

Ich betrachte das kleine Liebespäärchen, das in unseren nächsten
Nistkasten eingezogen ist. Ein schöner Anblick.

Auch den Anblick von Boteros dicken Menschen geniesse ich. Komme mich
fast etwas anorektisch vor im Vergleich.

Ich grüsse dich nochmals lieb
Malou

Mittwoch, 16. Mai 2012

Re: Garten .. nochmals


date 25 May 2005 13:29
subject :-))


Oh, du bist schrecklich ...,
fast genau wie der Junge Ganove von Arzt an den ich heute Morgen
geraten bin. Doch dann hat zum Glück "mein Arzt", ich meine der, der
mich am Sonntag getroffen hat, hereingeschaut. Am Sonntag hatte mich K
zur Handkirurgischen Abteilung (welch abschreckender Name!) ins
Krankenhaus  gebracht. Ich hatte eine Remisse dorthin bekommen.

Und was haben sie getan? Geschaut, ein wenig berührt und nochmals eine
neue Dosis von denselben Tabletten verschrieben. Dazu diesmal auch
etwas schmerzstillendes.
Mein Mittelfinger rechts (heisst es so? der lange?) ist mehr als
doppelt so dick wie an der anderen Hand und etwas bläulich um den
Knöchel herum. Und wie gesagt jede Berührung mit dieser Hand schmerzt.
Sogar wenn ich die Hand vorsichtig durch einen Ärmel ziehen will.
Klar, weiss ich doch, dass ich auch mit den Füssen mails an meinen
lieben Mausfreund schreiben lernen könnte. Aber welcher Mann will
schon mit den Zehen einer Frau geliebkost werden? Mir geht es also
nicht um das Schreiben.. sondern um ganz andere Dinge *s*
Es ist lustig sich dich in der Rolle des Gärtners vorzustellen. Ja,
die Rosen sind voll Dornen. Und ich bin sie doch wirklich gewöhnt.
Stell dir vor, jeden Sommer wenn ich nach Norrland rauf komme, muss
ich die trockenen Äste der Rosensträucher wegschneiden. Ich habe doch
unzählige Dorne in der Haut gehabt in meinem Leben ohne dass je sowas
passiert ist. Manchmal (und sogar auch diesmal) sah mein Arm aus alt
hätte ich mich mit einer wilden Katze geschlagen.

Ach, ich langweile dich. Verzeih mir. Jedenfalls lieb von dir, dass du
mir gute Besserung wünschst.

Auf dem Heimweg bin ich dann noch mitten im Zentrum stehengeblieben um
dort für mein Vögelcheni im Zoogeschäft frische Hirse zu kaufen.. und aus
der kleinen Bäckerei habe ich mir ein herrliches dunkles Brot geholt.
Anschliessend habe ich mir hier im Lebenmittelgeschäft noch Yoghurt
mit Acidophilus gekauft. Das sollte ich nehmen wegen all der guten
Bakterien die das Penicillin leider auch tötet. Und so habe ich auch
gleich Proviant für den Rest der Woche gekauft sodass ich mich nun,
wie die Bären in meine Höhle zurückziehen kann. Aber für morgen hat
man uns bis zu 25 grad Wärme versprochen (jetzt 15) und so werde ich
wohl doch ein wenig herausschauen müssen.

Mit diesem Internet fühle ich mich trotzdem mit der Welt verbunden.
Ist eine gute Sache, wenn man allein lebt.

---
Die Zeit vergeht schnell. Bald fahren K und ein paar andere
Kollegen nach New-York. Ich habe mich auch angestrengt um sie für
dieses Ziel zu begeistern und es freut mich sehr, dass sie es
schliesslich gewählt haben.

So lasse ich dich wieder
mit lieben Grüssen wie immer,
Malou

Nochmals..

date 25 May 2005 12:03
subject Re: ...

Liebe Malou
Hast du im Sinn, der Vereinigung der Fussmaler beizutreten? Du kennst
die Fussmaler? Sie machen ziemlich respektable Bilder, die sie mit
einem Pinsel malen, den sie mit dem Fuss führen. Das sind meist
invalide Menschen, die die Arme amputiert oder gelähmt haben. Könntest
du dich nicht entschliessen, einen Umschulungskurs als
Zehenschreiberin zu machen. Ich glaube, das wäre gut möglich. Es gibt
doch sogar Leute, die total gelähmt, mit dem Blick der Augen das
elektronische Gerät steuern und so einen Text, oder irgendwie eine
Aussage machen.
Ich will damit bloss sagen, dass du die Hoffnung nicht verlieren
solltest. Es gibt jeweils immer noch weitere Lösungen im Leben. Und
nicht das ganze Glück kann an einem einzigen Finger hängen. Das ist
unmöglich. Die Natur ist nicht so sehr spezialisiert. Die Natur ist
wie fliessendes Wasser. Es findet immer einen Weg, solange ein
leichtes Gefälle herrscht.
Hier haben sie heute Markt. Irgend einen Frühsommer-Markt. Vielleicht
sieht man ihn im Web-Cam. Ich sehe von meinem Fenster die ersten
Stände auf dem Platz dort unten. Aber es hat nicht allzu viele Leute.
Ich werde jetzt ein kleines Schläfchen nehmen. Ein Power-Nap, habe ich
gehört, nennt man diese Bequemlichkeit. Das ist doch ein guter Begriff
für ein schlaffes Nickerchen.
MLG
...

Gartenarbeit


date 25 May 2005 07:21
subject Re: ...

Liebe Malou
Ich wollte dir bloss melden, dass das Wetter sich eines Bessern
besonnen hat. Es herrscht heute morgen ein strahlend blauer Himmel.
Gerade fliegt weit in der Höhe ein Flugzeug von rechts nach links und
hinterlässt einen weissen Streifen. So wird man im Himmel alles über
und alles unter dem Strich unterscheiden können.

Gestern habe ich abends oft an deinen Finger gedacht. Ich habe ein
wenig im Garten gearbeitet. Und zwar galt es unseren grossen Tuja-Baum
mit der elektrischen Heckenschere, die ich von Walter ausgeliehen
hatte, zu schneiden. Er hat doch viel zuviel gewuchert. Und die
Kletterrosen, die ich vor einigen Jahren zu seinem Fuss gepflanzt
hatte, sind im wilden Grün fast untergegangen. Doch jetzt steht er
wieder ziemlich stramm, wie ein Gardist vor dem Buckingham-Palace, in
unserer Garten-Landschaft, und oben schauen die Rosenbüschel wie die
Bärenmütze heraus, von denen ich hoffe, dass sie bald zur Blüte
kommen. S war weg, und so konnte ich keine Gartenhandschuhe finden.
Das war ziemlich unangenehm, mit diesen Rosen zu hantieren. Und noch
heute morgen fühle ich einige Stiche in der Hand. Aber ich glaube
nicht, dass sich der Schmerz verstärken wird. Ich glaube, es geht bald
wieder zurück.

Ich wünsche dir gute Besserung.
MLG

Dienstag, 15. Mai 2012

Pfingstrosen ... und Ameisen

.



Liebe Malou
Sie sieht noch ein bisschen jämmerlich aus, die Pfingstrose. Aber es
wird schon werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so difizil
sei, wie du gelesen hast. Na ja, vielleicht ist das in nordischem
Klima anders. Jedenfalls im Wallis sind sie sehr üppig gewachsen und
haben im Frühsommer geblüht wie Frauen im besten Alter. Schön, dass du
plötzlich zur Erfüllung deines Wunsches gekommen bist. Ich werde
dasselbe versuchen. Doch bei mir ist die Wahrscheinlichkeint nicht so
hoch, dass mir jemand eine Blume für den Garten bringt. Ich habe
keinen grossen Namen als Gärtner. Noch nicht, muss ich vielleicht
sagen. Vielleicht siehst du mich in 5 Jahren nicht mehr anders als mit
einer grünen Schürze und erdverschmutzten Händen. Wer weiss? Ich
kann mir das schon vorstellen, nicht als Ganztagesbetätigung, sondern
als Part-Time-Job sagen wir jeden Morgen von 7h bis 10h. Das ist für
mich die beste Zeit, im Garten zu arbeiten. Wenn dann die Sonne kommt,
dann verschwinde ich in der schattigen Wohnung. Dann werde ich mich
ins Atelier zurückziehen und mit den Modellen spassen, die sich ja
doch bis um diese Zeit eingefunden haben sollten ;__)) Und dann habe
ich auch diese Grosszügigkeit in der Hand, die sich dadurch einstellt,
dass der Körper von einer Anstrengung schon ein bisschen müde ist.
Diese leicht zitterige Bewegung ist das beste für die Öl-Malerei,
natürlich bei grösseren Formaten. Es gibt übrigens sehr schöne
Gemälde, die Pfingstrosen zeigen. Ich glaube, über sie bin ich
überhaupt zur Wertschätzung gekommen. Du siehst, welche Umwege ich
mache. Am ehesten kommt mir dabei Manet in den Sinn. Aber auch von
Corinth habe ich eins in Erinnerung, und bestimmt ist auch Renoir
nicht daran vorbeigekommen. Und jedes mal ist es diese satte,
sommerliche Üppigkeit, die im Vordergrund steht. Nicht die sengende
Sommerhitze, die alles austrocknet, sondern die mehr feuchte Wärme,
die die Pflanzen ins Kraut schiessen lässt.
Und dann wirst du natürlich Ameisen haben, die die Pfingstrosen auch
sehr schätzen. Ich glaube, sie haben einen süssen Saft, was die
Ameisen aufs Äusserste lieben. Wahrscheinlich fahren sie gemeinsam an
schönen Sommerabenden in diese Pfingstrosen und betrinken sich
tüchtig, singen zweideutige Lieder und flirten rundum nach
Möglichkeiten, die sich da ergeben. Nur die Königin bleibt reserviert
und nobel in ihrer Höhle sitzen, legt ab und zu ein Ei, und lässt sich
von ihren Mitarbeitern, wenn sie torkelnd zurückkehren, von ihren
Trinkfreuden und feuchten Abenteuern in den Pfingstrosen erzählen.
Dazu lächelt sie bestimmt so geheimnisvoll wie eine ägyptische Sphinx,
und man weiss nicht genau, ob dies Verachtung bedeutet oder ein
kleiner Rest von Begeisterung und mitempfundener Freude. Und bestimmt
wird sie dann die Augenbrauen heben und bedeuten, dass sie selbst, sie
als Mutter aller Mütter, sie als Eiermaschine des ganzen Stammes
sozusagen, dass sie selbstverständlich keinen süssen Drink riskieren
will.

---


date 14 May 2005 08:17

kommunizierendes Gefäss

.

 (R)
---

Marlena, ich glaube, wir haben noch ein kommunizierendes Gefäss gefunden, neben Paris, neben dem katholischen Fegefeuer, neben dem Latein, neben den gleichaltrigen Kindern, neben der Pädagogik, neben Rilke. Ich bin sicher, du hast keine Ahnung, was das sein könnte. Nun denn, es sind die Rosen und der Löwenzahn im Garten. Davon könnte ich dir auch ein Liedlein singen. S. sticht auch Löwenzahn mit dem Eisen aus dem Rasen, und macht sich die Nägel kaputt, während ich das eher unnötig finde. Die Rosen sind mein Ressort, die Blumen des reinen Widerspruchs. Ich habe vor etwa 5 Jahren 4 Stöcke gepflanzt. Und jetzt leben noch drei davon. Einer ist etwas kränkelnd. Ich versuche auch, ohne Chemie auszukommen. Die wunderbar grünen und blühenden bürgerlichen Gärten sind ja die grössten Giftgruben Europas. Ich versuche also, die Läuse mit Brennesselwasser zu vertreiben. Aber das braucht leider alles viel Zeit. Und diesen Schorf, den sie auf den Blättern haben, bringe ich überhaupt nicht weg. Aber ich liebe sie, die Rosen. Sie sind dunkelrot, hellrot und apricot, würde ich sagen, ziemlich ungenau nichtwahr? Dazu muss ich dir eine kleine Geschichte erzählen.

Ich habe dir von Professor Emil Staiger erzählt, die Kapazität in deutscher Literaturgeschichte und in existentialphilosophischer Hermeneutik, der Kenner Rilkes und Goethes und all dieser Grössen.
Er war...

Re: Gefahr

Ämne: Turm zu Babel ? Nee, das nicht
Datum: den 29 oktober 2000 13:53

Liebe Marlena
Dein Mail ist nicht so komisch, wie Du sagst, sondern schön gefasst, wie ich finde, und echt poetisch. Ich finde es zauberhaft, wie Du die Fragen in den Raum stellst. Es ist sehr zart, ja zärtlich und auch behutsam.
Ach unser Turm! Steht er so schief? Hat er solche Risse? Und Du meinst, er eigne sich bloss noch für gelegentliche Wallfahrten? Nein, meine Liebe, das finde ich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass wir bei irgendwem Fehler suchen müssen. Fehler sind ja nicht besonders nützlich. Also, weshalb sollte man sie suchen, gar finden?
Ich kann Dir nur beschreiben, wie es für mich ist. Du meinst, dass ich zuviel arbeite. Das glaube ich eigentlich nicht. Aber ich bin in der letzten Zeit ziemlich unkonzentriert bei meiner Arbeit. Ich zögere, die wichtigen Aufgaben anzupacken. Ich lasse mich von vielen kleinen Fragen und Dingen, Telefonaten, Terminen etc. etc. ablenken. Ich ärgere mich über diese dumme Computerisierung. Ich fühle mich irgendwie müde und ohne Energie. Ich werde leicht krank, wie ich bemerkt habe. Irgendwie habe ich im Moment nicht die nötige Widerstandskraft. Und das geht nun schon einige Zeit so. Die Ferien in Persien waren nur eine kleine Pause. Es hatte alles schon vorher angefangen.
Vielleicht findest Du, meine Mails seien nicht mehr so begeistert und gefühlvoll und lange wie am Anfang? Ich hatte kürzlich auch den Eindruck, dass Du es im Moment bist, der sich für unseren Turm einsetzt, und weniger ich. Du hast Dich sehr bemüht und hast sehr liebe Mails geschrieben. Das habe ich wohl bemerkt. Ich habe es genossen, aber ich konnte nicht so richtig mitziehen.
Ach Marlena, mach Dir nicht zuviel Sorgen und hab ein wenig Geduld mit mir. Was soll ich denn tun, bevor es zu spät ist? Sag es mir, und ich werde es tun. Aber das meinst Du wohl nicht. Du wirst sagen, das sei meine Sache, herauszufinden, was nötig ist. Marlena, es wird bestimmt wieder aufwärts gehen. Ich glaube, man kann nicht dauernd in Hochstimmung leben. Manchmal gibt es einfach Flauten und Ebben und fade Zeiten. Und irgendwie muss ich hier in meiner Arbeit wieder den richtigen Rhythmus finden. Und schliesslich geniesst man die neuen Höhepunkte umso mehr.
*
Aber ich habe Freude, weil Du mir den Eindruck gibst, Du wenigstens seist im Moment munter und wohlauf. Und dieses Mail, obwohl es vielleicht nicht nur fröhlich geraten ist, hat sehr viel Charme. Und damit, meine Liebe, kannst Du mich jederzeit erwärmen. Auf jeden Fall hat es mich sehr gerührt. Und wenn Du mir noch genauer beschreiben kannst, worin für Dich die Schiefe und die Risse bestehen, dann bin ich Dir dankbar. Ich will nicht, dass der Turm verkommt.
Ich würde Dich fürs Leben gerne umarmen jetzt, Marlena.
Mit ...
..