Sonntag, 30. Januar 2011

Sharm el Sheikh 2005

 ... ein gutes Fotosujet

date 24 January 2005 07:44
subject Re: ???


Liebe Malou
Danke Dir für die Mails. Ich hatte zwar einen Rattenschwanz von
mindestens 20 erwartet. Aber man muss sich nun einmal mit den
Realitäten zufrieden geben.

Die Zeit dort unten in Sharm el Sheikh war gut. Es war ja in der Tat
ein Hotel der SAS, Radisson, dieselbe Kette, wo wir montags am Mittag
unser Clubessen in Basel haben. Aber ich habe nicht viele Schweden
oder Nordländer beobachtet. Einmal war ich auf einem kleinen
Tauchboot, womit wir das Riff und die wunderbaren Fische beobachtet
haben, neben ein paar Dänen. Sie waren schon älter, nett aber hässlich
und sie benutzen eine fürchterlich klingende Sprache. Aber im Hotel
gab es viele Russen (Ukraine), Italiener, Franzosen, Deutsche und ein
paar Schweizer. Wir waren oft mit einem Paar zusammen, das aus Luzern
kommt. Sie waren ziemlich nett und auch unternehmungslustig.

Die Russen gelten dort unten als absolut kulturlos und ohne
sprachliche Möglichkeiten. Und man konnte es am Buffet bemerken, wie
sie gewohnt waren, um ihre Lebensressourcen zu kämpfen. Sie waren laut
und unangenehm, nahmen nicht Rücksicht auf andere Leute.

Die Temperaturen waren, na ja: mild. Am meisten Einfluss hatte der
Wind. Er wehte fast ständig entweder von Mekka oder von Kairo her. Und
wenn man aus dem Meerwasser stieg, war es kühl. Aber die meisten
Touristen lagen in der Sonne herum meist hinter Paravents, und
rösteten sich goldbraun. Das mochte ich nicht. Ich machte lange
Wanderungen, fast Märsche muss man sagen, oder ich hing in der
Hotelhalle herum und las. Und gelegentlich besuchte ich das
Fitnesscenter und die Sauna, meist abends, um so zu tun, als ob ich
die gewonnen Kilos wieder loswerden wollte.

Das Rote Meer ist nicht rot, wie Du vielleicht denkst ;-)). Es ist
dunkelblau und sehr klar. Man sieht über mehrere Meter Meerwasser
hinunter bis auf den Grund. Und die hübschen Fische, die alle wie in
einem riesigen Aquarium herumschwimmen, kann man schon vom Ufer aus
beobachten. Und dazu ist es salzig wie eine verdorbene Bouillabaise
(schreibt sich das so?).

Für einen Tag waren wir in Kairo und haben - zusammen mit dem
erwähnten Paar - die Stadt und die Pyramiden von Giseh angeschaut.
Pyramiden sind sehr steinig, das lass Dir gesagt sein. Wir waren schon
morgens dort drüben auf der Westseite des Nils und konnten anfangs
nichts sehen wegen des Nebels. Aber gegen Mittag löste sich diese
Brühe auf und es war eindrücklich zu sehen, wie die riesigen Dinger
langsam zum Vorschein kamen. Vor den grandiosen Steinhaufen tigerten
eine ganze Menge von Aegyptern mit ihren Kamelen herum, um ein gutes
Fotosujet abzugeben. Sie waren absolut komisch und sehr agil, konnten
in fast allen Sprachen ihre Angebote und Preisvorstellungen ausrufen.
Ich sass schliesslich auch auf einem solchen Wüstenschiff und ich kann
Dir sagen, Malou, wenn es geruht, sich zu erheben, hat man den
Schreck, kopfüber ins nichts zu fallen. Es erhebt ja, weil es in der
Wüste auf wirklich niemanden Rücksicht nehmen muss, erst den Hintern.
Und wenn man oben sitzt, scheint es so, als ob es einen vorwärts
Purzelbaum zu machen gedenkt. Wenn man sich nicht wirklich krampfhaft
am Nocken hält, dann liegt man unversehens im Wüstenstaub. Auch sein
Gang ist nicht besonders angenehm, einfach zu grossschrittig für uns
Menschen. Es schauchkelt vor und rückwärts, und man kann bestimmt ganz
leicht seekrank werden.

Wir haben in Kairo auch den Bazar, das ägyptische Museum und ein
Papyrusmuseum angeschaut. Alles hat mich ziemlich an Teheran erinnert.
Doch die Ägypter sind durch ihren Tourismus etwas verwöhnter. Sie
neigen körperlich oft zur Fülle, haben aber Charme und viel
kommunikative Fähigkeiten. Sie sind freier als die Perser. Man sieht
zwar viele Mädchen mit Kopftüchtern, aber durchaus auch solche ohne.

Etwa 20 km von unserem Hotel gab es die Ortschaft Sharm el Scheikh.
Ihre ersten Häuser sollen von den Israelis nach dem 5 Tage-Krieg und
der Eroberung des Sinai gebaut worden. Aber heute ist es wieder fest
in ägyptischer Hand. Der Hafen mit den Hotels ist sehr hübsch und
sauber. Aber der alte Markt ist so schmutzig, wie ich noch nie eine
Ortschaft gesehen habe. Und dabei gibt es fast nur Geschäfte für die
Touristen mit Souvenirs, neben ein paar anderen für alltägliche
Gebrauchs- oder Lebensmittel. Das konnte ich nicht begreifen. Als
Ausrede gibt es nur den Wind, der eben den Dreck des Nachbars vor die
eigene Tür bläst und die Reinigung zu einer Sisyphusarbeit macht.

Das Wasser war um die 25° und wie gesagt überhaus klar und sauber. Mit
Brille und Schnorchenl konnte man den Riffs entlang segeln und die
Wunderwelt beobachten. Das war eindrücklich.

Und jetzt, wie gesagt, bin ich hier in der Kälte zurück. Die Nase
läuft wieder. Und das Pult ist voller Arbeit.
Wie geht es Dir. Habt ihr Eure Romreise schon geplant, oder reicht der
Wortschatz noch nicht. Und wie geht es mit der schwedischen
Stromversorgung? Sien wieder alle mit Elektrizität versorgt? Das ist
ja doch im Winter besonders wichtig.

Nebenbei gesagt, schadest Du Malou meinem guten Ruf wenn Du schreibst:
Du wirst wohl dies erst lesen, wenn du wieder im Büro bist und dann
wirst du wahrscheinlich so viel zu tun haben, dass du es nur ein
bisschen beschnuppern wirst. Ach, wie schade! Aber es ist nicht so,
dass ich alles überlese. Ich erinnere mich sehr gut an Inger,
ehemalige Schönheit mit klaustrophoben Tendenzen. Oder an Deine
Römer-Brieffreunde, sie in der Stadt, er auf dem Gut. Olala! Du bist
ein Glückspilz, hast eine Freundin mit einem italienischen
Schwiegersohn. Was eigentlich könnte man sich mehr wünschen?

Liebe Grüsse und Küsse

Fortsetzung "sinnliche Prosa"

Ämne : Naipaul?
Datum : Thu, 17 Jan 2002 
...
Mit dieser Strategie weiss ich nicht, ob ich einmal, vielleicht demnächst,
bei Naipaul landen werde. Es hängt wohl von den Umständen ab und
von der Frage, wie sehr Du ihn lobst? Du hast das schon getan. Aber
die Tatsache, dass er Nobelpreisträger ist, macht mich immer noch
misstrauisch. Was ich vorziehe, sind wirkliche Entdeckungen. Eigenhändige
Entdeckungen! Verstehst Du, man sucht doch ein wenig Abenteuertum in
der Lektüre, Entdeckungen, und nicht bloss ausgetretene Pfade, wo schon
soviele andere durchgewandert sind.
Es ist wie wenn Du allein auf eine Reise gehst. Irgendwie gibt es doch
da die geheime Hoffnung, in der Eisenbahn, im Schiff, auf dem Forum
Romanum oder unter der spanischen Treppe eine nette Person zu treffen,
die genau so allein herumgeht, um die Welt zu erkunden. Und genau das
wäre dann das Romantische daran, diese plötzliche und unvorbereitete
stille Seelenverwandtschaft und Gemeinsamkeit, allerneueste Dinge zu
erleben und Erkenntnisse zu haben.
Überigens habe ich in der Buchhandlung festgestellt, dass Irving ein neues
Buch geschrieben hat. Und er schaut wieder mit demselben Gesicht vom
Umschlag, dieses Ringergesicht. Er muss ziemlich klein sein, dieser Irving.
Und er ist ein armer Sklave, dass er alle zwei Jahre einen 400-Seiten-
Roman herausgeben muss, jetzt, wo die Leute seinen Namen kennen und
bereit sind, sich durch die sexuellen Abenteuer der Hauptfigur durchzulesen.
Ich weiss auch gar nicht, weshalb es dazu nicht schon gute Software gibt.
Das sollte doch weiss Gott möglich sein. Man tippt anfangs die Eckwerte
ein, Alter, Charakter und Aussehen der Hauptfiguren. Man wählt das Klima,
beispielsweise melodramatisch, voller Action, kontemplativ oder so ähnlich.
Man sollte sich überlegen, ob man eine Sexszene alle 10 Seiten möchte,
oder ob eine alle 20 Seiten genügen könnte. Vielleicht kann man die
Frequenz mindern, indem man den Grad der Abartigkeit erhöht,
beispielsweise Sex mit Minderjährigen, Verkehr an unerwarteten Orten,
in den exotischsten Stellungen? So ungefähr könnte man doch ein
Rezept erstellen.
*
Und zum Schluss, liebe Marlena, musst Du mir erklären, was das Wort
"abpolletiert" bedeutet. Es ist ein hübsches Wort. Und es steht im
Zusammenhang mit Politik und Katastrophen. Sicherlich ist es ein
wundersamer Vorgang, ähnlich wie ein deus ex machina. Nicht wahr?
*
Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit einem lieben Gruss
...

Samstag, 29. Januar 2011

Nur so

Date: Mon, 26 Mar 2001

Lieber ...
...
Nun ist K wieder abgereist und ich werde mich eine Weile mit Vorbereitungen für Morgen beschäftigen. Ich muss lachen, wenn du von einem ”alten General” sprichst. Wenn er wenigstens alt wäre. Aber er ist jünger als ich und wie du sagst sehr unerfahren in der Pädagogik was ihn auch zu einer leichten Beute aller Bluffer macht. Mehrere Kollegen haben schon diese Befahrungen geäussert wenn sie sehen von welchen Leuten er sich beeinflussen lässt. Aber man weiss ja nicht was er im Inneren denkt obwohl er schon ein paar Mal Ideen hervorgebracht hat, die uns den Atem stocken liessen. Du brauchst mich also nicht um meinen Chef zu beneiden. Dagegen würde ich Dir so liebe Kollegen wünschen wie ich sie in meiner Nähe habe. Wir verstehen uns und leiden zusammen. Vielleicht ist deshalb unser Umgang so fröhlich und lustvoll.. weil wir ganz einfach dem Schweren etwas entgegensetzen müssen.
Jetzt beginne ich langsam eine Erleichterung zu spüren in meiner Arbeit. Die kommende Woche sind 2 von meinen Klassen auf ”Pryo” (ungefähr Berufsorientierung) und ich werde die freie Zeit benutzen um ein wenig Ordnung in unserer Institution zu schaffen und natürlich auch hier zu Hause.. à la Feng Shui.. ;-)))
Ach, chéri, ich muss lachen über deine wilden Vermutungen. Wenn ich eine Leidenschaft finde dann werde ich Dir gern darüber berichten. Erzählst du mir von deiner???
Nein, weisst du, ich suche nichts Aufregendes mehr im Leben.. ich wünsche mir Stille und Harmonie.. aber..
Als ich gestern nach ein paar Gedichten von Paul Celan suchte (er ist im Moment auf der Tapete, wie wir sagen) fand ich ein anderes kleines Gedicht von einer mir unbekannten Dichterin.

O sag es meinen Augen nicht,
Dass du sie suchst - sonst könnt es sein,
Indes der Herbst schon Kränze flicht,
Bräch’ einmal noch der Lenz herein!

O sag es meinen Träumen nicht,
Dass du sie kennst - sonst könnt es sein,
Nach allem lächelnden Verzicht
Käm einmal noch des Wunsches Pein!

O sag es meinem Herzen nicht,
Dass du mich liebst - sonst könnt es sein,
Ich liess noch spät im Abendlicht
Des Glückes ganze Torheit ein!

Gisela von Berger

Zwischenmail

( ungekürzt)
Subject: zum steilen Wochenanfang
Date: Mon, 26 Mar 2001 19:07:56 -0000

Liebe Marlena
Oooch, womit habe ich das verdient, dass Du so lange Mails schreibst. So muss ich sie gar nicht mehr verdünnen. Weißt Du, was ich meine, wenn ich sage, ich verdünne Deine Mails. Normalerweise wünschte ich mir so oft längere Mails von Dir. Und um die Illusion zu erhalten, habe ich meist die Zeilen am PC ganz kurz gemacht. So wurde der Text sehr lang. Der Text war zwar nicht eigentlich länger, aber der Eindruck war länger.
Ich weiss kaum, wo ich beginnen soll. Du erwähnst soviele Dinge. Vielleicht bei Celan. Als ich am Anfang meines Studiums war, hatte ich eine Zeitlang versucht, Celan zu lesen. Ich erinnere mich, auch ein Büchlein gekauft zu haben. Aber er ist doch sehr esoterisch. Und dann habe ich ihn wieder vergessen und erst jetzt, vor einigen Monaten, als A. sich auf die Abiturprüfungen vorbereitete, ist sie plötzlich wieder mit diesem Namen gekommen. Offensichtlich gibt es einen Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Aber ich glaube nicht, dass er ein Typ für mich ist.
Das Gedicht, das Du zitierst, finde ich schön, sprachlich schön. Ich kenne sie aber nicht, Gisela von Berger. Noch nie gehört, diesen Namen. Muss vom Stil her Anfang Jahrhundert sein. Oder nicht? Ist schön gesagt, auch mit diesen Wiederholungen. Das intensiviert die ganze Sache. Intensiviert und dramatisiert. Ja, klingt sehr edel, weil die Sprache etwas altertümlich anmutet. Hat aber einen wunderschönen Rhythmus. Ja, es könnte echt von Dir sein, Marlena.
Du scheinst auch wirklich in lyrischer Stimmung zu sein, so wie Du die Natur und die ersten Blumen und die Vögel schilderst. Ja, hier ist es mittlerweile auch Frühling geworden. Der Boden fängt an zu trocknen, und morgens, wenn man aus dem Haus geht, fragt man sich, ob man nicht doch etwas zu warm gekleidet ist für den Mittag. Es ist gut so. Ich glaube, ich habe selten in meinem Leben sosehr auf die Ankunft des Frühlings geachtet wie dieses Jahr. Ich habe das Gefühl, ich trete aus einem dunkeln Stollen hervor. Oder so ähnlich. Nie zuvor hatte ich ähnliche Gefühle. Es muss das Alter sein.
Und die Vogelvilla, die K gebaut hat, finde ich sehr amusant. Die Vögel scheinen es bei Euch wirklich besser zu haben als bei uns. Bei uns gelten sie als „Wildtiere“, bei Euch sind sie praktisch ehrenwerte Gäste, für die man den roten Teppich ausrollt.
Deine Bemerkung über Feng Shui musst Du mir noch etwas genauer erklären. Das fand ich interessant. Wie teilt man sich die Wohnung auf? Und wie sollte man damit umgehen? Das habe ich nicht genau begriffen. Weshalb ist die Küche Dein Liebesleben? Warum gerade Küche, und nicht Treppenhaus oder Keller? (Kleiner Scherz, aber ernsthafte Frage!). Und wozu soll denn diese Konzeption dienen. Um Ordnung zu kriegen im Leben? Oder zur Selbstdiagnose? Lebenskunst? Oder gar zur Wohnungsrenovation??? Ich habe es wirklich nicht genau begriffen. Es scheint mir irgend eine psychologische Methode zu sein, so, wie man sie in den Illustrierten findet. Lustig und leicht handhabbar. Erzähl mir etwas mehr, Marlena.
*
Das Foto, das einsame, wenn ich mich richtig erinnere, wurde in der Wohnung eines Arbeitskollegen bei einem Bürofest aufgenommen. Links und rechts sind viele Leute, die aber abgeschnitten worden sind. Ich kann darauf also bloss so einsam sein, wie man in der Masse einsam sein kann. Nicht wirklich. Du meinst doch das Bild, auf dem ich ein Glas in der Hand habe, nicht wahr? Das kann nicht in Iran sein, denn dort hält man nicht Weingläser in der Hand.
Und das Bild mit dem Hut finde ich immer noch schrecklich, retouchiert oder nicht retouchiert.
*
Und dass Ihr Schweden jetzt die EU Präsidentschaft innehabt, das haben wir hier in der Schweiz alle bemerkt. Der letzte Glochard weiss es mittlerweile. Die Aussenministerin war bereits in Bern und hat unseren Joseph Deiss geküsst. Habe ich mit eigenen Augen gesehen. Und sie trägt eine ähnliche Brille wie Du sie trägst. Sind solche Gläser in Schweden üblich. Wirken etwas intellektuell!
Aber lassen wir die Franzosen aus dem Spiel. Sie sind eher Spieler und Gaukler und Diplomaten als wirklich Baumeister. Na ja, wir werden ja sehen.
Ich wünsche Dir noch einen schönen Abend
Mit einem lieben Gruss
...

"sinnliche Prosa"

Corot  Forum Romanum



Liebe Marlena
 ...
Ich habe gestern in Basel ein Büchlein einer russischen Schriftstellerin
gefunden. Wenn ich ehrlich bin, so muss ich zugeben, dass ich zugegriffen
habe, weil mir der Einband besonders gut gefallen hat. Es ist eine
Romansicht von Corot. Romantisch also, die Ansicht über das Forum
Romanum hinweg zu den barocken Kuppeln und warmroten Fassaden
im Abendlicht.
Die Schriftstellerin heisst Viktorija Tokarjewa und ist offenbar schon
über 60 Jahre alt. Auf dem Umschlag hinten ist ein Foto zu sehen, etwas
unscharf, aber doch nicht ohne Ausdruck. Sie hat grosse, schöne Augen
und ein freundliches Lächeln. Wirkt sehr feminin, aber Du solltest jetzt
nicht annehmen, ich hätte das Buch wegen dieses Teils des Umschlages
genommen. Es war wirklich mehr wegen Corot und der Assoziation
"Rom".
Und in der FAZ wird offenbar über sie geschrieben"Die sinnliche Prosa
der Tokarjewa hat viel von den physiologischen Skizzen der russischen
Literatur des 19. Jahrhunderts. Die Verbindung zu Cechov wird sichtbar:
in Ironie und Skepsis ebenso wie im Denkhorizont. Gute Aussichten für
eine russische - und wieder europäische - Literatur nach dem sozialistischen
Realismus". Ich kann Dir noch nicht genau erklären, wie sie die vier
Geschichten inszeniert. Doch man fühlt sich unversehens mitten drin. Und
sie findet wunderschöne und erfrischend originelle Vergleiche:
"gegen Mittag legte sich Dämmerung auf die Erde wie frühes Alter",
"Tamara war wie ein doppelter Heizkörper: breit, heiss und stickig wie eine
überfüllte Strassenbahn im Sommer", "Tamara sprach über Menschen wie
über Cocktails", "das ganze Leben eine nicht enden wollende Dienstreise",
"das zum Klumpen geronnene Entsetzen".
Ach, alle drei Zeilen findet man solch kleine Bilder, und meist sind sie neu
und gut, plastisch und entlarven sozusagen das Leben. Ich will Dir jetzt
nicht die erste Geschichte nacherzählen. Aber ich war doch erstaunt, wie
sehr sie mich fesseln konnte.
Du siehst, meine Lektüren sind nicht sehr geplant. Sie sind abhängig von
schönen Einbänden und Sonderangeboten im meinem Buchladen. Aber
das hat immerhin den Vorteil, dass ich gelegentlich auf schöne
Ueberraschungen treffe. Ich habe so schon etliche Schriftsteller
kennengelernt, die ich als gross bezeichnen muss. Aber niemand in
meiner Umgebung kennt sie. Sie sind sozusagen meine Geheimtipps.
Geheimtipps, die ich aber niemandem weitergeben kann. Meine
Umgebung zuhause oder im Büro liest nicht so viel. Und wenn, dann
wollen sie wohl ihre Trouvaillen selber machen.
....
(weiter morgen)

Domodossola

Sacro Monte Domodossola

Freitag, 28. Januar 2011

ungekürzt

Ämne: Re: weekend
Datum: den 9 maj 2003 13:14
Lieber ...,
Bin ich wirklich schon mal wortkarg gewesen? Kann ich mir garnicht vorstellen. Und ich bin mir auch garnicht bewusst, dass ich dir diesmal viel geschrieben hätte.
Ja doch, es ist wirklichlich bald vier Jahre.. na ja genauer gesagt 3,5 Jahre her, das wir uns kennengelernt haben. Man sagt dass das ungefähr 25 Jahre im RL entspricht. Und es freut und wundert mich zugleich, dass wir immer noch so beharrlich miteinander korrespondieren.
Aber weisst du, neulich einmal, als du geschrieben hast du hättest dir vorgenommen "ein Mail pro Tag" zu schreiben, da bin ich etwas erschrocken. Wenn ich mir so was vornehmen würde, würde ich es sofort als eine Pflicht betrachten und es würde mich in Stress bringen. Es klingt auch etwas ähnlich wie "eheliche Pflicht" oder lass uns sagen "virtuelle Pflicht". Gott sei Dank habe ich immer noch grosse Lust dir täglich, manchmal sogar mehrmals täglich, zu schreiben. Und es ist mit der Zeit sogar etwas leichter geworden. Wie kann ich dir das erklären? Früher waren meine mails immer viel länger als die, die du schliesslich an deinem PC gefunden hast. Es stand unendlich viel zwischen den Zeilen. ;-) Ich habe gelernt mich etwas leichter zu zensurieren..
*
Ach, oben unter dem Dach also? Genau wie ich. Sogar ein schräges Dach, das dem Schlafzimmer ein bisschen den Eindruck von einer Hütte verleiht. Irgendwie kuschelig und gemütlich. Und mein Fernseher steht in dem grossen Allraum, der fast das ganze obere Stockwerk ausmacht. Neben dem Schlafzimmer liegt dann noch Annas Zimmer (heutzutage meine Rümpelkammer, ja leider!) und ein kleines Badezimmer samt Garderobe. Eigentlich eine Kammer. Und vom Fenster im Allzimmer habe ich Ausblich über die Felder und den Garten. Es gibt auch einen Balkon. Du siehst, ich habe ein eigenes kleines Appartement, nur für mich allein. Aber wenn ich dir schreibe tue ich es hier unten in K's Büro an dem kraftvollen PC. Oben habe ich auch nicht Internetanschluss.
*
Ja, du hast Recht. Das Wort "bohemisk" gibt es nicht im Deutschen. Eines von den schönen Wörtern die kein direktes Gegenstück haben auf deutsch. Und doch ist es ein so vielsagendes Wort. Du solltest es ganz einfach importieren. :-) Ich habe übrigens schon öfters Wörter verwenden wollen, die keine direkte Übersetzung haben. Sie zu beherrschen ist die Seele einer anderen Sprache zu kennen.
*
Ach, eigentlich hatte ich ja nicht Alva Myrdal als Vorbild. Aber diese Ehe, mit zwei freien Persönlichkeiten, die trotz der räumlichen Entfernung (kam ja öfters vor) zusammenhielten, hat mir imponiert. Vielleicht ein Bisschen wie Sartre und de Beauvoir, aber die späteren hatten wohl keine sexuelle Beziehung. Das finde ich auch etwas komisch. Du nicht?
*
Es ist lustig, wie ich dich konkret vor mir sehen kann. Du schreibst mir so schön von deinem Alltag, dass ich dich wirklich beobachten kann. Ich sehe dich auf den Strassen von Basel, in der Sonne, ein wenig von Wind umweht und ich schmunzle wenn du plötzlich vom Weg abweichst und in einen Bücherladen hineinschlüpfst. Wie lustig du das beschrieben hast, wenn du ein Buch herausnimmst aus dem Regal.. Für solche und ähnliche Schilderungen sollte man dir einen Nobelpreis in Literatur verleihen. Kümmere dich nicht um die Sils-geschichte. Sicher waren nicht besonders begabte Leute in der Jury. Persönlich finde ich du solltest deine Memoiren schreiben. Tust du ja übrigens schon und ich hebe sie auf. Denn ich bin ganz sicher, dass sie einmal später gelesen werden, als ein literarisch hochstehendes Zeitdokument wenn nicht anders.
*
Ja, die Kinder sind wirklich unsere Achillesferse. Das ist sehr gut ausgedrückt.
*
Ich glaube heute spielt Schweden gegen Slowakien, die Weltmeister. Oh, das wird spannend und aufregend. Werde wohl K ab und zu die Augen (oder Ohren) zuhalten müssen, damit er keinen Herzschlag erleidet. Leider haben wir nicht TV3, die die Sendungsrechte aufgekauft haben. So wird er sich mit dem Radio begnügen müssen. Aber du hast die Möglichkeit es zu sehen. Wirst du das tun?
*
So lasse ich dich nun, mein lieber Mausfreund. Und ich hoffe, dass du mir bald wieder schreibst und nicht nur aus Pflicht.

Mit lieben Grüssen
Marlena
PS Will nicht unser zweites Thema vernachlässigen: Sonne und leichter Wind!

Donnerstag, 27. Januar 2011

Holocaust Forum

Date: Sun, 30 Jan 2000 14:36:26 +0000
Sonntag Nachmittag:

Lieber ...!
Ein so schönes, inhaltreiches Mail habe ich noch nie gesehen. Es wird leider einige Zeit dauern bevor ich auf alles auch schriftlich reagiert habe. Im Moment habe ich nicht Zeit zum schreiben, aber hab Geduld mit mir.... es wird bald werden :-)

....
Es war interessant zu lesen was die NZZ über das Holoc.Forum geschrieben hat. Ich habe so einiges davon gesehen und gehört. U.a. das was in der Synagoge vorgetragen wurde. Was man auch über das Forum sagt, so hat es mich tief beeindruckt und ergriffen. Es ging natürlich um die Vernichtung aber eigentlich handelte es um die menschliche Natur im allgemeinen und dass wir immer auf der Wache sein müssen gegen die dunklen Kräfte in uns.
...
Re:
...
PS: Gerade höre ich, dass mein Chef auch in Stockholm am Holo Forum war. Er ist voll der schönen Worte und ist befriedigt, dass Europa die Bemühungen der Schweiz in den letzten zwei Jahren wahrgenommen hat. Er ist ein sozialdemokratischer Gouverneur.

Mittwoch, 26. Januar 2011

Marcel Reich Ranicki

Lieber ...,
Mit unserem Gast neulich habe ich mich auch ein wenig über diesen
Marcel Reich Ranicki unterhalten. Er nannte plözlich seinen Namen und
ich wurde neugierig. Leider können wir ja nicht diese sicher sehr
interessanten Sendungen hier sehen. Unser Gespräch endete damit dass
ich mir im Internet seine Memoiren bestellen wollte. ”Mein Leben”
nennt er sie schlicht, glaube ich. Aber es ist erst im Oktober
lieferbar. Ich werde mir ein paar interessante Bücher mitnehmen in den
Norden und natürlich auch das ”Italienisch-Buch”. Meine Vorsätze sind
sehr gross, mal sehen was daraus wird ;-)
*
Re: Marcel Reich Ranicki
....
Überigens, du hast Marcel Reich-Ranicki erwähnt. Du wolltest seine
Biographie lesen? Lass mich dich ein bisschen warnen: Marcel
Reich-Ranitcki ist zwar so etwas wie der deutsche Literaturpapst
geworden. Aber man muss wissen, dass er in akademischen Kreisen nicht
so ernst genommen wird. Er betreut den Literaturteil der Frankfurter
Allgemeinen und alle kennen ihn, weil er in seiner Fernsehsendung "Das
literarische Quartett" zu den Büchern pointiert Stellung nimmt. Aber
man muss auch sagen, er hat einen konservativen Geschmack und er ist
alt geworden. Er mag Bücher, die linear geschrieben sind, die man
leicht versteht. Er vertritt sozusagen den Geschmack des
Fernsehpublikums. Und es gibt ja fast nur noch Bücher von diesem
Niveau. Wenn ein Buch im Quartett gelobt wird, dann ist es am nächsten
Tag in den Buchhandlungen ausverkauft. So hat er eine grosse Wirkung
auf den Markt. Natürlich ist er nicht allein. Aber man sieht auch,
dass die Sendung ein bisschen wie eine Show aufgezogen wird. Sie
inszenieren geradezu einen Streit, und die Leute mögen das. Das
Schweizer Fernsehen hat auch eine Literatursendung. Und sie ist feiner
und intelligenter, manchmal vielleiht nicht so spannend.
---
Also, Marlena, wenn Du Reich-Ranickis Biographie liest, dann gehörst
du zu den alten Leuten. Das macht noch nichts, ist nicht schlimm. Aber
man muss es wissen. Sein Leben selbst ist sicherlich nicht
uninteressnt. Er ist Jude, ging in Berlin zur Schule, wurde nach dem
Krieg nach Polen abgeschoben, und kam dann zurück nach Deutschland.
Während der Nazizeit hat ihm und seiner Frau ein einfaches Ehepaar das
Leben gerettet, indem sie sie versteckt und durchgefüttert haben. Und
ich glaube, Reich musste ihm als Entgelt Geschichten erzählen. Reich
hat einen Sohn. Er ist Professor für Mathematik in Edinburg. Das ist
es ungefähr, was ich von ihm weiss.
*

Dienstag, 25. Januar 2011

"Ferien vom Ich"

20 November 2007 14:39
subject Ferien vom Ich

Lieber ...,
Auf diesen Titel  "Ferien vom Ich"  bin ich mal in meiner Jugend
gestossen und er ist in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Ob es der
Klang der Worte war oder die Vorstellung man könnte sich selbst
entkommen, weiss ich nicht mehr. Vielleicht ist es gerade das, was ich
jetzt versucht habe.
Schreiben verlangt immer, dass man sich mit sich selbst konfrontiert.
Wie kann man sein Inneres ruhen lassen, wenn man darin herumgraben
muss, um etwas Stoff für ein Mail zu finden? Ich meine, wenn die
Gegenwart nichts Interessantes zu bieten hat, von dem man erzählen
könnte.
OK. Ich lasse es. Eigentlich macht es mir immer noch Spass zu
schreiben. Aber ich brauche Abgeschiedenheit (heisst es wirklich so?)
um schreiben zu können. Vielleicht könnte ich sagen "privacy". Du
Glückspilz hast das sicher in Überfluss. Hast du denn immer noch
keinen Computer bei dir zu Hause? W wollte dir doch einen
installieren, oder?
*
Nein, du irrst dich. Ich will überhaupt nicht mit dir in einen
Religiondisput eintreten. Ich glaube wir haben ungefähr die gleiche
Vorstellung.. oder lass mich sagen, wir sind gleich unsicher. Und dass
ich sehr skeptisch gegenüber der Vorstellung der Evolution sei, stimmt
auch nicht. Man muss eben zwischen dem Menschen als biologisches
Geschöpt und geistiges Wesen unterscheiden. Die Frage,
was ein Mensch ist, ist noch lange nicht gelöst.
*
Du meinst ich hätte dich vielleicht in Rom bekehren können? Haha..
jetzt muss ich wieder herzlich lachen. Nein, mein lieber Mausfreund,
ich hatte ganz andere Pläne und sie hatten nichts mit Religion zu tun.
;-)

Hier ist es grau und neblig. Trotzdem haben wir unsere Runde über die
Felder gemacht. Und ich dachte dabei an England und dass die Frauen
dort so schöne Haut haben, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit.
Weisst du, dass ich einmal Königin Elisabeth und ihre Schwester
Margret ganz nahe gesehen habe? Ich hätte sie berühren können. Und
dabei ist mir aufgefallen wie wunderschönen Teint beide hatten. Ich
war noch ein Kind, habe es aber nie vergessen.

Und du? Ist es bei dir auch so grau wie hier? Hast du dein Wochenende
als Strohwitwer überlebt?

Lass von dir hören. Ich brauche ein wenig Harroin.
Mit lieben Gs und Ks
Malou

Montag, 24. Januar 2011

Ich kämpfe



Ich kämpfe um stabile Gewohnheiten. Und ich fange an, sie zu beachten,
bis mir wieder neue Ideen kommen. Sicher habe ich einige Konstanten in
meinem Leben. Aber ich lebe eben auch sehr aus dem Bauch. Ich liebe es,
in die Stadt zu gehen ohne irgendwelche genauen Pläne, einfach so. Dann
lande ich in den Buchladen, beim Zeitungslesen in Café, vielleicht in einem
Museum, im Basler Münster, am Rhein. Es ist nicht besonders extravagant.
Aber es ist nicht geplant. Wenn ich lese, habe ich gerne zwei oder drei
Bücher vor mir, damit ich auswählen kann, wonach ich gerade Lust habe.
Ich bin nicht launisch. (Unter launisch verstehen wir Menschen, die
gelegentlich mit schlechter Laune herumgehen, die unerträglich sind, die
in solchen Momenten ohne speziellen Grund widrig anzuschauen und nicht
auszuhalten sind). Aber ich brauche Abwechslung. Die reine Repetition,
sogar den Gedanken daran, macht mich krank. Strenge Gewohnheiten halte
ich für etwas Tierisches. Es gibt doch diese hübschen Bilder v.a. Bonnards,
der seine Frau bei der Toilette gemalt hat. Diese monotonen Gewohnheiten,
die jeden Tag kommen und soviel Zeit in Anspruch nehmen, ich halte sie
wirklich für animalisch, ein reines Ritual mit dem eigenen Körper ohne
produktiven Sinn, reine Wiederherstellung. Das macht auch den Reiz der
Bonnard-Bilder aus: die Frau bei ihrer eigenen Wiederherstellung.
*

Sonntag, 23. Januar 2011

Gartenarbeit

(Fortsetzung
Du siehst Marlena, meine Briefe geraten langsam zum Tagebuch, wo ich in meinen alten Erinnerungen krame und alte vergessene Bilder wieder an die Oberfläche hole. Es ist natürlich sehr angenehm und schön, sie einem lieben und aufmerksamen Menschen erzählen zu können. Doch vielleicht sind sie für dich nicht sonderlich interessant.
Hast du deine Extra-Arbeit für die Schule geschafft? Hast du dich sehr geärgert darob? Wäre es nicht einfacher und unterhaltsamer, solche Arbeiten in einem Team mit einer Kollegin oder einem Kollegen zu erledigen? Warum fragen sie immer dich, wo du doch noch etwas Freizeit haben solltest, um ein paar schöne Mails zu schreiben? Und den Baum im Garten, hast du ihn schneiden können? Ich kann dir sagen, dass ich meine zwei kleinen Bäumchen am Sonntag Nachmittag rasch geschnitten habe. Und die Vorstellung, dass du vielleicht zur selben Zeit in deinem Garten stehst, vielleicht in einer etwas dickeren Jacke und mit einer grünen Gärtnerschürze, um euren Baum zu schneiden, diese Vorstellung hat mir sehr geholfen. Sonst hätte ich die Aufgabe wieder hinausgeschoben. Und das wäre schlecht gewesen, denn die Äste waren schon voller Triebe. Hast du gelernt, wie man Bäume schneidet? Ich habe selbst eigentlich keine Ahnung davon und ich studiere immer viel, wo und wie und warum ich abschneiden soll oder eben nicht soll. Vielleicht müsste ich mal eine Instruktion lesen! In meinem Elternhaus in Visp hatten wir viele Bäume im Garten. Doch für die Arbeiten, die einen Fachmann erforderten, schickte die Firma stets einen Gärtner. Er besorgte alles und man konnte ihn da und dort um Rat fragen. Bloss den Rasen hatte man noch selbst zu schneiden. Das war ziemlich bequem und wir waren verwöhnt. Hinter dem Haus hatten wir ein wahres Wunderwerk von einem Birnbaum. Er trug nur alle zwei Jahre Birnen. Aber in diesen zweiten Jahren warern es immer reichlich viele. Der Baum war über und über behangen mit hellgrünen grossen Früchten. Man pflegte sie noch grün zu pflücken, um sie dann sorgfältig im Keller auf die Hurd zu legen. So färbten sich die Birnen innert einigen Wochen gelb und gelber, bis man sie schliesslich zuckersüss und fast butterweich essen konnte. Ach, was haben wir damals Birnen gegessen! Ich habe diesen süssen herbstlichen Geschmack noch heute auf der Zunge. Und vor allem klingt in Mund und Gaumen dieses saftig-weiche Fruchtfleisch mit einer etwas herben, mit braunen Punkten besetzten, gelben Schale nach.

Philemon und Baucis

..
Und er erzählt von seiner Elisabeth, mit der er ein Leben lang gemeinsam dieses Geschäft  geführt hatte und die immer eine etwas eigensinnige Frau gewesen war. Er sagt, und das fand ich rührend, er sagt, dass er sich heute besser mit ihr unterhalten könne, da sie gestorben sei. Früher seien sie immer wieder in Streit geraten, weil Elisabeth partout auf ihre Meinung zu beharren pflegte. Aber heute, da sie tot ist, sei das alles viel leichter und besser geworden. Sie sei jetzt umgänglicher.
Es ist schön zu hören, wie zwei Menschen zusammen in Loyalität und Liebe gelebt haben, und zu hören, wie relativ Liebe im praktischen Alltag ist. Wir jüngeren Generationen halten die Liebe für eine rein romantische, rein gefühlsmässige Angelegenheit. Doch früher war das primäre Ziel der Ehe die nackte materielle Existenz und das oekonomische Überleben. Gerade die höheren gesellschftlichen Kreise haben nicht aus Liebe geheiratet, sondern um die Interessen ihrer Familien zu wahren. Wenn sich daraus Liebe ergeben haben sollte, so war es ein Glücksfall.
Und dabei fällt mir bei K und E die schöne Geschichte von Philemon und Baucis ein, die man in Ovids Metamorphosen finden kann. Die alten und armen Eheleute Philemon und Baucis haben sich mit der gastlichen Aufnahme von Jupiter und Merkur (waren es diese beiden?) einen Wunsch verdient. Und sie wünschten sich, dass keiner den anderen überlebe, dass keiner das Schicksal zu ertragen habe, den Tod des andern betrauern zu müssen. Dieser Wunsch wurde ihnen gewährt und sie sind beide in je einen Baum verwandelt worden, die in naher Nachbarschaft noch heute beisammen stehen sollen.

Ich danke dir für die Fotos, Marlena. Du hast wirklich hart gearbeitet und sie in wiederholten Versuchen zu mir nach Mitteleuropa herunter zu katapuliteren versucht. Ich kann dir sagen, sie sind angekommen. Das Schloss sieht natürlich in Natura noch viel romantischer und schöner aus. Besonder in der Herbstsonne habe ich es in herrlichster Erinnerung. Oder in der Nacht, wenn es rundum beleuchtet ist, schaut die Anlage auf dem steilen Hügel aus wie im Märchen. Und unmittelbar an diesem Hügel haben wir gewohnt. Und oft sind wir Buben in diesen Wäldern herumgezogen und haben gespielt, den Hund des Nachbars ausgeführt, oder im Winter auch Schlitten gefahren.
....

Samstag, 22. Januar 2011

Tessin

 Januar 2011                                                                                              Foto: Chris

Männer und Liebe

den 11 juni 2003 08:15
Re: Fenyletynamil und Oxytocin
...
Aber damit hast Du, Marlena, die Gender-Thematik noch nicht angesprochen. Ist denn die Liebe, soweit sie chemisch ist, bei Männern und Frauen dieselbe? Die Soziobiologie (heisst sie wirklich so?) hat doch in den letzten Jahren festgestellt, dass Männer in der Evolution völlig andere Ziele verfolgen als Frauen. Frauen suchen zum Schutz ihres Nachwuchses ein starkes Manntier, um geschützt und ernährt zu sein und ihr Nest behütet zu haben. Am liebsten mögen sie einen mit Mercedes. Und die Männer sollen - gemäss Auftrag Evolution - ihre Gene möglichst weit in der Welt herumspritzen, um ihr eigenes Erfolgsmodell zu multiplizieren. Familie liegt eigentlich nicht in ihrem Programm. Familie ist für ihre Mission hinderlich. Sie sind dazu verurteilt, herumzuvagabundieren und Weibstiere zu bespringen. Das klingt zwar zynisch, ist aber der Grundgedanke, den ich in den letzten Jahren gehört habe.
*
Auf welcher Stufe Du dich im Moment findest, das weiss ich nicht. Kommt drauf an, welches von den Dingen Du schluckst: Fenyletylamin oder Oxytocin. Vielleicht ist es ratsam, einen Shake mit je einem Kaffeelöffel von beiden zu schütteln, gemischt mit etwas Bananenmilch. Das stärkt für die kommenden Eruptionen. Und sagt man denn nicht, die Schokolade sei die Liebe der alten Leute. Also, vergiss nicht, in den Bananenshake noch etwas Schokoladenpulver beizumischen. Dann wirst Du im 7. Himmel landen, wenn nicht gar im 8.
*
Natürlich bin ich gespannt, wie sich die Medikamente bei Dir ausgewirkt haben. Erzähle mir bitte bald davon.
Mit lieben Grüssen
...

Freitag, 21. Januar 2011

Chemie der Liebe

den 11 juni 2003 08:15
Re: Fenyletynamil und Oxytocin

Liebe Marlena
Deine Lektion über die Chemie der Liebe hat mich schwer beeindruckt. Um die Sache kurz zu machen: schicke mir von jedem Stoff eine gute 12-Monatspackung. Dann werden wir weitersehen.
Die bedenkenswerteste Sache, die Du dabei erwähnst, ist die Toleranzbildung. Die Verliebtheit muss also wieder verschwinden. Das wissen wir nun ja alle (Marlena vielleicht einmal ausgenommen), und als Aussenstehender kann man nur froh darüber sein, dass das so ist. Vier Jahre lange Verliebtheit ist ungefähr wie eine schwere Krankheit, kurz eine Folie. Das zu behandeln, sollte man nicht zögern.
Oxytocin dagegen scheint mir eine gute Pille zu sein, weil sie für das habit-forming - wie Du sagst - zuständig ist. Das ist gut. Habit-forming, was kann man sich darunter vorstellen? Vielleicht die Bildung von Gewohnheiten wie etwa Gute-Nacht-Küsschen, Auto-Türe-Öffnen, Einkauf-Tüte-Tragen und Sich-Beim-Schnarchen-Zurückhalten und all die vielen anderen kleinen Dinge, die die tägliche Liebe ausmachen? Es ist doch irgendwie merkwürdig, wie die Liebe funktioniert. Einerseits redet man von ihr als von dem grossen Gefühl, das man haben sollte. Und dann sind es die kleinen Dinge und Gewohnheiten, die die Liebe unterhalten. Das ist wie eine Zangengeburt. Die kleinen Gewohnheiten bringen das Gefühl, und das Gefühl erleichtert die kleinen Gewohnheiten. Aber auf jeden Fall muss man sie selber machen, wie jede solide Lebensaufgabe. Man sollte vergessen, die Liebe wäre eine narkotische Überwältigung als Geschenk des Himmels, die einfach darnieder stürzt und uns trifft. Nein, so einfach hat es uns die Natur nicht gemacht. Die Liebe ist harte Arbeit. Man könnte mit Freud analog der Trauerarbeit auch von Liebesarbeit sprechen. Und die kleinen Verliebtheiten in der Jugend sind bloss Praktika und Hausaufgaben für die spätere, die ernstzunehmende.
...
(morgen weiter)

Donnerstag, 20. Januar 2011

"daily chore"

Ämne: Re: warm bis heiss
Datum: den 10 juni 2003 14:25

Lieber ...,
Es ist bereits zwei Uhr vorbei und ich warte auf den Maler. Immer noch keine Spur von ihm. So habe ich angerufen und gefragt wo er bleibt.
"Er ist krank heute" heisst es.
"Und warum teilen Sie mir das nicht mit?"
"Haben wir nicht angerufen am Vormittag?" fragt er blöd.
Und nun wissen sie nicht wo er ist und werden ihn suchen und dann wiederkommen. Sag mal, wo leben wir denn hier? Ich meine, wenn jemand krank ist muss man doch nicht nach ihm suchen.. dann ist er doch zu Hause, oder?
Weisst du, mit Handwerkern zu tun haben in Schweden das ist so eine Sache. Ein richtiges "U-land" sind wir auf dem Gebiet. Und wenn was kaputt ist kommt meistens so ein Idiot und schaut sich zerstreut das Ding an um dann für ein paar hundert Kronen zu sagen, dass man es nicht reparieren kann.
Ist es bei euch in der CH auch so? Du hörst ich bin wütend.
*
Draussen scheint die Sonne zwischen ein paar Gewitterwolken hervor. Es ist ziemlich schwül. Ich habe den Rasen gemäht vor dem Haus. Dort gibt es eigentlich nur vereinzelte Grashalme die im Moos hervorschaun. Aber diese wenigen Dinger wachsen ziemlich schnell und es sieht doch besser aus wenn man mit dem Rasenmäher ab und zu darüber geht.
*
Ich habe die Tankstelle hier ganz in der Nähe angerufen und gefragt ob sie vielleicht mein Auspuffrohr kontrollieren und ev. ein neues einmontieren können. Muss gleich nochmal anrufen, weil der Verantwortliche selbst nich da war. Das RL ist zeitweise etwas lästig.
Du siehst, du hast es schön ruhig in deinem sicher angenehm kühlen Büro und bist von derlei Sorgen befreit. Ich denke ich würde gern mit dir tauschen.
*
Schreibst du mir noch ein paar Zeilen.. es würde wie ein Beruhigungsmittel wirken. So glaube ich jedenfalls.
À bientôt, j'espère,
Marlena

Mittwoch, 19. Januar 2011

Kommatieren?

Ämne: Keinen Frieden.. ;-)
Datum: den 6 december 2002 15:31

Lieber...,
Möchte dir nur schnell ein paar Zeilen senden bevor ich mich ganz meinen häuslichen Pflichten widme.
Wie geht es mit deiner Erkältung? Hoffentlich ist es schon wieder besser. Eine Kollegin von mir kurierte sich immer mit heissem Johannisbeersaft. Aber es gibt natürlich auch andere "Säfte" die, wenn man sie heiss einnimmt eine Wirlkung haben.

Ja, ich habe noch mein Pseudo "Marlena" im ST. Aus nostalgischen Gründen. :-) Und wenn ich mal reingehe ist es meistens um zu verhindern dass sie es entfernen. Das tun sie nämlich wenn man eine längere Zeit nicht eingeloggt ist.
Aber weisst du, dieser Chat hat sich so sehr zum schlechteren verändert, dass er wohl längst seinen "guten Ruf" von damals verloren hat. Jedenfalls langweile ich mich furchtbar wenn ich mal ein paar Minuten dort bleibe. Ich glaube kaum dass man heute noch solche Menschen wie dich dort finden könnte. Konnte man eigentlich auch damals nicht. Ich danke meinem glücklichen Stern, dass du dich dorthin verirrt hattest.
 
Ja, ich weiss, ich werfe mit Korken um mich.. Aber wenn du mich weiterhin damit reizen willst so werde ich das Kommatieren auch noch lernen. Bitte, bitte, erspar es mir!!!

Ich leide an "Harroinmangel". Ich liebe dieses Wort, denn es sagt genau was ich meine und ich weiss dass du es verstehst.

Möchtest du etwas dagegen tun?

Mit einem lieben Gruss wünsche ich dir noch eine schöne Fortsetzung des Tages,
Marlena

Blick durchs Fenster

wo ist die Skipiste?

Förresten.. jag kanske skulle skriva några ord på svenska för omväxlings skull. Men vad säger då mina läsare i Singapore eller Australien? Fast de kanske bara var flyktiga besökare, såna som, drivna av hunger, slank in på närmaste krog.
Önskar alla en fin dag.
Malou

Nochmals Nobelpreisträger

12 okt 03
Lieber ...
Hatte ich dir geschrieben von dem jungen Chemipreisträger (Nobelpreis) der nicht glauben wollte, als ihm sein Assitent sagte er hätte den Nobelpreis bekommen. Dann ist er an den Computer gegangen und hat bei "Google" nachgesucht unter Nobelpreis und hat dort seinen Namen entdeckt.

Es ist herrlich zu sehen, wie sehr sich die Leute freuen, wenn ihnen diese Ehre verliehen wird. Ich freue mich schon auf das schöne Nobelfest.

Ich glaube, das Buch "Der Junge. Eine afrikanische Kindheit" von dem Südafrikaner Coetzee über das Schicksal eines Kindes, wäre was für dich. Ich kaufe mir meistens ein Buch von dem Literaturpreisträger. Diesmal weiss ich aber nicht welches ich wählen soll.
 *
Lieber ...,
Gut dass Coetzee nicht dein mail lesen kann. Ich glaube kaum, dass er sich zu den Menschen zählt mit denen du ihn da vergleichst. sicher würde er sich fragen, wie man überhaupt bei ihm auf solche Gedanken kommen kann. Er ist schliesslich ein angesehener Literaturprofessor an einer Universität, die sich, wie er selbst in seinem Interwiev meinte, durch höhere Qualität von den anderen unterscheidet.
Aber etwas stimmt natürlich nicht bei einem Menschen, der nicht lächeln oder lachen kann. Ist er vielleicht ein bisschen autistisch? Und ist es nicht ein wahres Kunststück, wie ein solcher Mensch sein Publikum zum lachen und weinen bringen kann mit ein paar einfachen, alltäglichen Worten. Jedenfalls bin ich neugierig geworden, was sich in seinem Inneren regt und so werde ich mir ein Buch von ihm vornehmen. Vielleicht schon am Wochenende.

Montag, 17. Januar 2011

Honi soit qui mal y pense

Jardin du Luxembourg - Fontaine de Médicis

(Ungekürzt diesmal über Musterschüler, Paris, Psychoanalyse, Chats und Horoskope)

Liebe Marlena
Am Montagmorgen 3 neue Mails in meiner Box zu finden, das ist schon ein Rekord, um nicht zu sagen eine Sensation. Ist es der Frühling? Oder war es deine einsame Stimmung? Oder beides? Was heisst hier Fleissarbeit? Das ist wie die Arbeit eines Musterschülers? Weißt du, was ein Musterschüler ist? Das sind diejenigen Schüler, die alles für ihre Lehrkräfte tun, die immer aufmerksam sind, alle Hausarbeiten bis zum Hintersten und Letzten gemacht haben und an den Lippen der Lehrerin hängen. Sie sind in der Klasse nicht sehr beliebt, ja sie sind geradezu ekelhaft, weil sie den Masstab der Lehrkraft unnötig in die Höhe treiben. Sie sind die, die die Lehrkräfte verwöhnen, so dass diese pädagogischen Menschen schliesslich nicht mehr auszuhalten sind. Kurz und gut: Musterschüler sind einfach unmöglich und asozial!!
In unserer Klasse des Gymnasiums hatten wir einen Musterschüler. Er war so wie ein Musterschüler aussehen muss: Brille, bleiches Milchgesicht, noch ohne Bartwuchs, schlappe Statur und im Turnen eine Null. Er hat immer alles gewusst, was man lernen konnte. Wenn die Mädchen vorbeigingen, hat er weggeschaut. Er war irgendwie saft- und kraftlos. Wir haben ihn nicht geplagt oder gehänselt, aber wir haben ihn eigentlich auch nicht respektiert. Wir haben ihn – mit einem Wort – geschont. Und da ich, und vielleicht 2 oder 3 andere ebenso gut waren in der Klasse, hatten wir die heikle Aufgabe, uns von diesem Niklaus abzugrenzen. Man ist gerne gut in der Klasse, aber man möchte gleichzeitig auch eine soziale Position haben. Und so darf man sich mit den Lehrkräften nicht überidentifizieren. Man muss ab und zu auch einen Streich spielen und zeigen, auf welcher Seite der Front man eigentlich steht. Man darf nicht immer nur Note 6 herumzeigen. Das ist sehr schlecht für das Image als Schüler. Man muss auch mal eine ungenügende Note haben und sie dann allen und deutlich herumzeigen. Da und dort muss mal eine Prüfung in die Hose gehen, weil man am Vorabend absolut keine Zeit hatte, die Lektion zu lernen. Man muss - mit anderen Worten - den Klassenkameraden beweisen, dass es noch andere, noch wichtigere Sachen im Leben gibt als bloss die Schule und die Zensuren (in der Schweiz nennt man die Zensuren „Noten").

In der 5. Klasse gab es an unserer Schule traditionellerweise einen Feiertag in Gedenken an den heiligen Chrysostomos (ich habe Dir gesagt, es war eine katholisches Internat, ehemalige Jesuitenschule, dh. die hellsten Köpfe der Katholiken). Alle Schüler der Klasse hatten ein Gedicht zu rezitiern. Ich aber wurde damit beauftragt, die offizielle Rede als Schüler zu halten. Das Problem war, dass ich damals gar nicht wirklich realisiert hatte, dass dies im Grunde genommen eine Ehre war. Ich war eher verärgert und unwillig, dass ich noch eine Rede schreiben musste, während meine Kollegen bloss ein Gedicht auswendig lernen konnten. Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Rede aufbaut. Ich war nicht katholisch und hatte keine Ahnung, was es mit diesem heiligen Chrysostomos auf sich hat. Wie gedenkt man denn einem katholischen Heiligen? Ich hatte wirklich keine Ahnung! Mein Lehrer hat mir sehr wenig geholfen. Ich glaube, er hat versucht, sich respektvoll zurückzuhalten und wollte mich einfach machen lassen. Er hat es wahrscheinlich gut gemeint. Und ich war echt unsicher und habe meine Rede geschrieben, habe sie zuhause vor dem Spiegel immer wieder geübt und an jenem Tag, vor allen Eltern und Schülern, dann auch gehalten. Ich war furchtbar aufgeregt. Ich hatte die ganze Zeit vorher das Gefühl, dass ich demnächst zur Guillotine geführt würde. Alle meine Kollegen schienen vergnügt und lachten und machten ihre Scherze. Und ich sass dabei, niedergedrückt von der schweren Last und Verantwortung der ganzen Welt zusätzlich derjenigen des heiligen Chrysosomos auf meinen Schultern. Ziel wäre gewesen, die Rede frei, dh. auswendig zu halten. Aber irgend einmal wusste ich nicht mehr weiter. Und so habe ich meine Papiere hervorgekramt und dabei erwähnt, dass der Pfarrer dies in der Kirche auch so tue. Mein Lehrer hatte mir vorher unter vier Augen empfohlen, falls ich den Faden verlieren würde, mit einem solchen kleinen Scherz den Faden wieder zu finden. Das war meine erste Rede in meinem frühen Leben. Ich habe sie überlebt, Malrena, die Rede, nein die Guillotine! Und das kommt – weiss Gott – selten vor!

Für das Abitur (in der Schweiz „Matura" = bac.) gab es an der Schule die Tradition, dass die Klasse eine Karte drucken lässt, die man dann verkaufen sollte, um einen finanziellen Zustupf für die Maturareise zu erhalten. Die Klasse hat meinen Entwurf gewählt und so war ich damit beauftragt, die Karte zu gestalten und dann auch drucken zu lassen. Wenn ich die Karte heute anschaue, muss ich sagen, sie war eigentlich sehr mittelmässig.Doch damals wusste ich das nicht so genau. Ich hatte damals zuwenig Erfahrung und hätte mit der Druckerei besser verhandeln sollen, damit sie farblich schöner herauskommt. Ich denke, meine Töchter sind heute besser informiert im gleichen Alter und wüssten sich rundum besser zu helfen.

Ich glaube, die Zeit am Gymnasium war meine glücklichste Zeit der Jugend. Von meinen Eltern her hatte ich absolute Freiheiten. Ich konnte kommen und gehen, wann immer ich wollte. Ich konnte abends oder morgens heimkehren, sie haben sich nie um mich Sorgen gemacht. Und ab und zu musste ich, wie gesagt, über die Fassade klettern. Leider habe ich mit meinen ehemaligen Klassenkameraden heute wenig Kontakt mehr, weil die meisten von ihnen im Wallis leben, und ich nun ja praktisch am anderen Ende der Schweiz. Nur den einen oder anderen sehe ich noch gelegentlich. Ich vermisse das sehr, denn alle sind sie heute in verantwortungsvollen Positionen tätig. Und wenn ich im Wallis leben würde, könnte ich – je nach Bedarf – den einen oder anderen anrufen und um Rat oder Unterstützung bitten. Es wäre absolut kein Problem. Jugendfreundschaften halten länger als alles andere. Hier jedoch, in der Region Basel, habe ich nur Leute, die ich erst später im Leben kennengelernt habe. Ich habe nie mit ihnen vor einer Prüfung gezittert, nie mit ihnen eine Nacht lang gebechert und Lieder gesungen, und nie zusammen um ein Mädchen rivalisiert. Sie sind für mich absolute Nobodies!

Wir waren beim Thema „Musterschüler", wenn ich mich richtig erinnere. Es ist immer gut zu wissen, in welchem Kapitel man sich gerade befindet. Du hast also einen Sonntag wie eine Musterschülerin verbracht und die Hausaufgaben von vorne bis hinten gemacht! Ich gratuliere dir dazu, Marlena! Es ist wahr, manchmal enttäuscht mich ein bisschen, dass deine Mails kurz sind. Und ich frage mich, wie geht das denn zusammen: ich schreibe Romane und du schreibst Stichworte! Das kann doch auf die Länge nicht gut gehen in diesem Ungleichgewicht! Aber ich habe zwei Argumente, die dich vor diesem harten Gericht entlasten, meine liebe Angeklagte. Einmal stelle ich mir vor, dass du in deinem Dreieckleben eben mehr unter einen Hut bringen musst als ich es tue. Du hast deine Anna, du hast den Haushalt und du hast deine Berufsarbeit. Ich dagegen habe nur meine Arbeit und noch etwas Familienzeit, die auch nicht mehr so ausgiebig ist, seit die Töchter gross sind und ihre eigenen Freizeitvorlieben haben. Allerdings arbeite ich ziemlich viel. Oft bin ich morgens um 0700h im Büro und bleibe bis abends 1900h. Wenn ich eine halbe Stunde Mittag abziehe, macht das 11,5 Stunden. Das ist zwar lange, aber es ist natürlich nicht durchgehend so intensiv wie eine Unterrichtsstunde vor einer ganzen Klasse quicklebendiger Schülerinnen und Schüler. Ich stelle mir also vor, dass du deine Zeit besser einteilen musst als ich. Und wenn deine Mails knapp und kurz sind, dann ist es vielleicht deswegen. Kürzlich habe ich mir auch überlegt, dass die Fremdsprache Deutsch ein Grund dazu sein könnte. Du hast einmal erwähnt, dass es dir nicht so leicht fällt, zu schreiben. Vielleicht musst du da und dort ein Wort im Wörterbuch nachschlagen? Es ist möglich, dass ich es unterschätze. Weil du völlig fehlerfreie Briefe schreibst, nehme ich an, dass du fast so rasch schreibst wie ich das tue. Und das ist wahrscheinlich nicht so? Meistens vergesse ich wirklich, dass Deutsch nicht deine Muttersprache ist. Erst jetzt, mit deinen Angaben über das Horoskop, ist es mir wieder in Erinnerung geraten.

Und der zweite mildernde Umstand ist vielleicht auch ein egoistischer. Ich habe erwähnt, dass es wohl eine glückliche Fügung ist, dass du sozusagen am anderen Ende Europas wohnst. Stell dir vor, du würdest in Zürich wohnen und ich hier in Basel. Meine Zensur (dh. Selbstkontrolle) wäre viel strenger und höher. Ich würde mir stets überlegen, ob ich dir sowas erzählen kann oder nicht. Ich würde viel kritischer sein. Gerade weil du so weit weg bist, kann ich dir frisch von der Leber weg schreiben. Du bist für mich – habe ich das nicht schon gesagt, und du hast nicht darauf reagiert? – du bist eine Art Muse. Vielleicht ist das ein merkwürdiges, eine Art himmlisches Wesen. Man könnte auch sagen, du bist mein Dr. Freud. Ich liege hier auf deinem Sofa und erzähle nach der Regel der freien Assoziation, wie das die Psychoanalyse vorschreibt. Und je weniger Dr. Freud sagt und bloss „hmmmm" murmelt, desto mehr kommt der Patient ins Reden. Jeder echte Patient – so die Theorie – entwickelt mit der Zeit eine „Übertragungsneurose", dh. eine Art von Verliebtheit in den Analytiker und begibt sich so in eine kindliche Abhängigkeit. Du bist meine „Frau Dr. Sigmuse Freud", meine Liebe, nur damit du weißt, wo wir stehen! Mit anderen Worten will ich damit sagen: Dir zu schreiben ist auch ein Vergnügen an sich. Natürlich freut mich zu wissen, dass du meine Mails liest und dass du Freude daran hast und dass du auch antwortest und dich von ihnen anregen und stimulieren lässt. Ohne das würde es gar nicht funktionieren. Natürlich ist für mich auch wichtig zu wissen, dass du eine attraktive und intelligente Frau bist, die ich respektieren und hoch schätzen kann. Aber schlussendlich ist es – und der Begriff „Tagebuch" sagt es eigentlich – auch für mich selbst ein Vergnügen, zu schreiben, über mich und das Leben nachzudenken, gewisse Fragen in Worte zu fassen, gewisse Bilder oder Formulierungen zu finden, die ich in meiner Arbeit, in meinen Vorträgen oder in meinen Beratungen wieder brauchen kann. In diesem Sinne ist es ein bisschen mein Tagebuch. Das ist sehr nützlich einerseits und sehr angenehm andererseits. Ich habe schon erwähnt: für mich ist es, als ob ich mich eine halbe Stunde auf die Veranda an die Sonne lege (Ozon hin oder her!), warm emballiert (das süsse Wort hat mich amüsiert), und vor mich hin träume. Das ist sehr entspannend. Es ist ebenso weich und komfortabel wie auf der Coach der Psychoanalyse, und ich kann mich ein bisschen in die Frau Dr. Sigmuse Freud verlieben. Das wäre niemals möglich, wenn du in Zürich leben würdest. Stell dir vor, ich würde mir deinen Zürcherdialekt vorstellen. Schrecklich!!! Ich wüsste ungefähr, in welchem Quartier du wohnst. Undenkbar!!! Ich kennte vielleicht die Schule, wo du unterrichtest. Unmöglich!!! Kurz und gut, ich müsste in meinen Briefen jedes Wort zweimal drehen und überlegen. Es wäre absolut unmöglich. Ich könnte dir blosse Küchenrezepte und Wetterberichte und Fahrpläne schreiben, sonst gar nichts. Aber so fern wie du bist, in Stockholm, das ist unendlich weit, das ist doch fast nicht mehr auf dieser Welt, das ist so unbestimmt und ungenau wie eine helle Nebelwand. Und das eben ist Psychoanalyse. Die Frau Dr. Sigmuse Freud sitzt oben, zu Kopf des Patienten, damit er sie nicht sehen kann. Nur so funktioniert diese geheimnisvolle, jetzt 100 Jahre alte Psychoanalyse.

Mit anderen Worten, wenn wir die Champs Élysèes (du weißt, was das Wort bedeutet: die Felder des Elysiums, der Glückseligkeit (war sicherlich früher das Feld der Gefallenen!), eine solch schöne Bezeichnung gibt es nur bei den Franzosen, vielleicht neben der chinesischen Bezeichnung „Platz des himmlischen Friedens", das ist auch schön gesagt, nicht wahr?) besuchen, dann gehst du – wie abgemacht! - auf der linken Strassenseite, und ich auf der rechten, aber, hör zu meine Liebe, aber du kommst von oben herunter vom Arc de Triomphe in Richtung Place de la Concorde, und ich gehe von der Concorde hinauf zum Triumphbogen. Und in der Mitte sehen wir uns von weitem (ca. 10 Fahrspuren oder so) flüchtig und etwas ungenau, zwischen den vielen Leuten hindurch. So wie sich Krebs und Skorpion mit gebührlichem Abstand begegnen, jeder den anderen respektierend angesichts der Zangen, Scheren, Stacheln und Giftreservoirs. Und so funktioniert das auch mit der Psychoanalyse, meine Liebe!

Ich habe – nebenbei – vor einiger Zeit einen kleinen Fotoband über Paris gekauft. Es sind Schwarz-Weiss-Fotos aus dem Jahre 1961, also reine Nostalgie. Das hat mir so gut gefallen, dass ich es auf der Stelle gekauft habe. Natürlich habe ich, wenn ich Bücher kaufe, immer kleine Entschuldigungen¨vor mir selbst. Ich habe mir gedacht, ich würde es meiner Schwägerin Michèle schenken, denn sie hat oft Heimweh nach ihrem Paris, wo sie aufgewachsen ist. Ich könnte es natürlich auch dir schenken, Marlena, denn du hast offensichtlich ab und zu ebenso Heimweh nach Paris. Aber du bist einfach zuuuuuuuu weeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiit weeeeeeeeeeeeg!!!!!

By the way, wenn ich dich aufs linke Seine Ufer einladen könnte, ich glaube, ich würde am liebsten mit dir in den Jardin du Luxembourg gehen. Ich schätze, das ist mein liebster Park in Paris. Zugegeben, er ist ein bisschen sinnlich leicht und verführt zu erotischen Abenteuer. Aber es ist doch ein sehr romantischer Park mit diesem grossen Weiher und den Kastanienbäumen, die schon im späten Sommer leicht rötlich angehaucht sind. Wie heisst es: Hony soit qui mal y pense? Und von Weitem erblickt man die Kuppel des Panthéon.

Du siehst, meine liebe Marlena, ich bin sehr grosszügig. Ich gebe dir die Möglichkeit, kurze Mails zu schreiben, aber ebenso die Möglichkeit, lange Mails zu hacken. Aber – unter uns – ich mag die längeren lieber. Und wenn du siehst, wie ich mich heute, nach deinen drei Mails, ins Zeug lege und abrackere und schreibe und schreibe und schreibe, so merkst du, dass für jedes deiner Worte etwa 10 zurückkommen. Jedes Wort bezahlt sich zehnmal aus. Ist das nicht eine stattliche Rendite? Davon können die modernen share holder nur träumen, von 1000% Gewinn. Das muss doch einfach jede schwedische Muse umwerfen! -- ;-)), wie du zu tippen pflegst --.



Was war unsere Kapitelüberschrift? Richtig, ich bin gerade dabei, dich für unschuldig zu erkläre, auch wenn du gelegentlich sündhaft kurze Mails hintippst, mehr gechattet als wirklich geschrieben, mehr Andeutungen als wirkliche Mitteilungen, eigentlich Gesten statt tatsächliche Handlungen. Überigens ist Chatten keine Schwäche von mir. Ich habe es eine zeitlang (neue deutsche Rechtschreibung: „eine Zeit lang") versucht, um – sozusagen beruflich - herauszufinden, was junge Leute daran finden. Ich kannte es vorher absolut nicht. Und welche Erfahrungen habe ich gemacht? Nun ja, was soll ich sagen? Es gibt den Sonntag-Nachmittag Chat. Ich nenne das, ironischerweise, den Babystrich. Da sind junge Mädchen am Werk, die sind manchmal süss und manchmal sehr beschränkt. Meist chatten sie über Banalitäten, mindestens soweit ich das mitbekommen habe. Dann gibt es den Montag-Abend-Chat. Der ist überbelegt, weil alle frustriert sind Montag abends und sich gegenseitig etwas streicheln und küssen möchten. Ich habe festgestellt, dass Büroleute im Vorteil sind beim Chatten. Sie sind schneller im Schreiben und wirken damit etwas cleverer und intelligenter, als sie vielleicht wirklich sind. Es gibt dann die Jungen, die in Schweizerdialekt chatten. Das ist modern, meine Töchter schreiben ihre Mails auch in Dialekt. Aber sie chatten nicht im ST, soweit ich weiss. Zwischendurch gibt es einige wenige Personen, die sehr witzig und rasch und clever chatten. Da macht es dann sogar ein bisschen Spass. Aber schnell wollen sich die Leute schliesslich persönlich kennenlernen. Sie schicken Fotos und so weiter. Ich finde, das verdirbt den Reiz. Der Chat ist bloss deswegen reizvoll, weil man sich nicht kennt. Die Fantasien spielen eine grosse Rolle. Das Ganze lebt eigentlich von Fantasien, von frustrierten und von übersteigerten. Es ist ja doch die absolute Verstellung. Männer geben vor, Frauen zu sein, Alte als Junge, Verheiratete als Ledige und alles auch umgekehrt. Man darf und kann fast nichts glauben, denke ich. Und das ist es dann auch. Du wenigstens, liebe Marlena, kannst behaupten, du chattest um Deutsch zu üben. Obwohl das Deutsch-Niveau im ST nicht sonderlich hoch ist, unter uns gesagt. Aber damit hast du zumindest eine gute Begründung. Ich habe absolut keine. Ich darf eigentlich gar nicht chatten. Mailen ok, aber nicht chatten!

Kapitelwechsel

Ich werde also die Krebs-Skorpion Variante in allen Aspekten studieren. Allerdings kann ich nicht auf deine schwedischen Quellen zurückgreifen. Das ist mir dann schon etwas zu umständlich in deiner Muttersprache. In alten Zeiten hat mir eine Freundin einmal ein Buch über die Sternzeichen geschenkt. Das werde ich hervorsuchen, wenn ich es noch finde. Und ich werde dir dann haargenau mitteilen, welches unsere Chancen und unsere Risiken sind, Marlena, welches die erogenen Zonen und die geheimen Träume und die Lieblingssteine und was auch immer, sieh dich also vor! Damit werden wir die Architektur unseres Maus-Freundschft auf ein solides Fundament stellen. Wenn man üblicherweise sagt: „Der Berg hat eine Maus geboren", so werden wir hier sagen „Die Maus wird einen Berg gebähren". Ich sag es dir, Marlena, du wirst noch staunen!

Ich muss jetzt aufhören, meine Liebe, sonst bringe ich Dich arg unter Leistungsdruck. Doch lass dich nicht beeindrucken, Marlena!

Ich umarme dich auch bei kurzen Mails, bei langen drücke ich dich - pardon madame
...

J'ai presque peur ..

Subject: J'ai presque peur..


Lieber ...,
Dein Mail hat mich ganz sprachlos gemacht. Ich bin so überrascht.
Ich dachte wirklich dass nur noch ich ... in jedem Mail habe ich mich
angestrengt nicht zu zeigen wie viel du für mich bedeutest, weil ich
Angst hatte, dass es dich stören würde, dass ich mich aufdränge.. dass
ich dir zu nahe trete.. Ich weiss wirklich nicht was ich denken soll.

Morgen, ja morgen kann ich dir vielleicht wieder normal schreiben,
auch über alltägliche Dinge. Heute sende ich dir nur dieses Gedicht.
Es kann meine Worte ersetzen.

http://poesie.webnet.fr/poemes/France/verlaine/53.html

HS (Hoffnung, Sehnsucht)
Marlena

Noch einmal ..

heute

Sonntag, 16. Januar 2011

"sic"


Liebe Malou
Merci für die Fortsetzung. Du beschreibst deinen Alltag. So
detailliert und abgerundet, wie noch nie vorher. Inklusive P1 am
Morgen. Merci Malou.
Liest du Zeitungen nur online? Das versuche ich auch, aber ich mag es
nicht recht. Meist drucke ich die Artikel aus, damit ich dann etwas
Papier in der Hand habe. Dieses Papier passt doch dann besser zum
Morgenkaffee. Diese Variante finde ich atmosphärisch besser. Aber ich
gebe gerne zu, dass sie auch Nachteile hat. Insbesondere liegen bei
mir, im Büro wie zuhause, unzählige solcher Artikel und Reportagen und
Studien herum.  Ich versuche zwar, jene Texte, die ich besonders gut
finde, rot mit "sic" zu markieren. "Sic" ist ein altes Bettler- und
Hausiererzeichen. Damit haben sie Haustüren braver Bürger mit Kreide
markiert, um ihren  Mitbettlern zum signalisieren, dass man an dieser
Adresse wohl ein warmes Süppchen und einen Bissen harten Brotes
bekommen kann. Und die übrigen, dh. all jene ohne 'sic', die müsste
ich dann eigentlich wegwerfen. Und das tue ich eben nur sehr
inkonsequent. Voilà!

Freitag, 14. Januar 2011

...

Hans Erni: Lecture de la fiancée - Lektüre der Braut

Donnerstag, 13. Januar 2011

6 Jahre schon

date 23 April 2006 20:39
subject :-)

...
Immer wieder staune ich darüber wie schön und interessant dein Leben
ist. Ich kenne es doch so gut. Glaubst du irgendein Paar auf der Welt
kann mit uns wetteifern was die Länge unserer Korrespondenz betrifft?
Ja, gewiss, es gibt Korrespondenzen die Jahre hindurch angehalten
haben. Aber sie sind aus Zeiten, wo ein Brief ein paar Tage brauchte
um den Empfänger zu erreichen. Man denkt nach 6 Jahren von täglichem
Gedankenaustausch müsste man allmählich alles gesagt haben und in die
"Stille einer Ehe" eintauchen. Doch immer wieder warte ich eifrig und
gespannt auf deine Gedanken und Reflexionen über das Leben.
Heute kann ich nicht mehr schreiben. Aber morgen, nach dem Termin beim
Arzt, komme ich wieder.
Das Engelein, ja, es ist wirklich schön und der herrliche Blick durchs Fenster!

Morgen ausführlicher.
Bis dahin alles Liebe und Gute,
Malou

Tjugondag Knut

Bild 13 januari 2011


Datum: den 15 januari 2001 13:01
...

Am Samstag war "der 20. Tag Knut" an dem man feierlich den Weihnachtsbaum zum Fenster hinaus wirft. Aber ich kann mich nicht von dem Ding trennen. Er ist so wunderschön und immer noch ganz frisch. (mein Bekannter hat ihn mir sicher direkt aus dem Wald geholt) und so lasse ich ihn noch einige Zeit stehen und mein Gemüt wärmen mit seinem schönen Glanz.. K fährt Mitte diese Woche nach London und ich würde nun am liebsten einen Flug in den Süden machen. Irgendwohin wo die Sonne scheint und das Meer glitzert. Anna kam gerade vorbei und zeigte mir ein Bild von Tunisien aus einer Reisebroschüre und meine Sehnsuche ist gross. :-)

Mittwoch, 12. Januar 2011

Rilke

Ich kann es nicht sein lassen. Schicke dir noch ein Gedicht von Rilke. Dieses kennst du ganz bestimmt, aber vielleicht hast du es lange nicht mehr gelesen.

LIEBESLIED

(Capri 1907)

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich
der aus zwei Saiten e i n e Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied.

Wünsche dir eine gute Nacht (oder einen schönen Tag)

Marlena

Dienstag, 11. Januar 2011

Götter

 ...
Also, ich bin sehr freidenkerisch, ungefähr so wie Rilke, schätze
einen tüchtigen Engel oder einen Gott, um mit ihm zu rechten. Ich sage
immer, die Götter sollen diese Differenzen und Unterschiede in ihren
Doktrinen selbst und unter sich ausmachen. Ist doch nicht das Problem
der Menschen, oder? Wenn die Götter Konkurrenzprobleme haben, sagen
wir Allah und der liebe Gott und Jehova, oder wie er heissen mag, so
bitte, sollen sie sich in Ruhe zusammensetzen und die Sache gütlich
regeln. Sie könnten beispielsweise eine rotierende Präsidentschaft
einrichten. Oder sie könnten mit Konsens entscheiden. Aber was rede
ich da den Göttern hinein? Die Kerle dort oben können das selbst
wissen, sonst sollen sie ihre Frauen fragen!

Sonntag, 9. Januar 2011

wenn nicht wenn wäre...

Lieber Mausfreund,
Es ist bereits zehn Uhr abends und ungefähr um diese Zeit werde ich
wieder wach.. Ja, es ist komisch, wo ich doch am späten Nachmittag
schon todmüde sein kann. Aber, vielleicht hat das mit meinen späten
Gewohnheiten zu tun. Oft komme ich erst nach Mitternacht ins Bett und
wenn ich dann noch etwas lese,  kann es halbzwei werden. Voilà!

Nachts werden manchmal sehr interessante Programme im Fernsehen
gezeigt, Reprisen von Dingen, die ich verpasst habe. Neulich habe ich
einen Film, oder sagen wir lieber ein Portrait von Norman Mailer
gesehen. Es war fesselnd und ich habe gedacht, dass er dir ziemlich
ähnlich ist. Lebendig, humorvoll und begeisterungsfähig.. dieses schöne
Wort, das ich neulich von dir gelernt habe. Und mir kam der Gedanke,
dass du in 25 Jahren wahrscheinlich so ähnlich aussehen wirst. Dabei
denke ich vor allem an seine schönen blauen Augen.

Ich weiss nicht richtig, was mit mir los ist. Irgendwie habe ich meine
Handlungkraft verloren. Manchmal denke ich, ich stecke vielleicht in
einer Depression. Vielleicht sollte ich meinen Arzt um Glückspillen
bitten?
Du hast mir heute im Chat mehrere gute Vorschläge gemacht, wie ich
mich aus diesem Zustand herausziehen könnte. Ich danke dir dafür und
ich verstehe, dass du es gut meinst. Aber weisst du, im Moment habe
ich keine Lust unter Menschen zu gehen. Es gibt ein paar alte Leute
für die ich zuständig bin, wenn sie irgendwohin Begleitung brauchen.
Meist sind es Besuche im Krankenhaus oder beim Zahnarzt. Es sind
liebe Menschen und ich merke, dass sie sich wohl fühlen in meiner
Gegenwart. Es ist ein schönes Gefühl,  etwas für jemanden zu bedeuten.
*
Klar bin ich auch stolz, dass die schwedische Fussballmannschaft
weiterspielen kann. Als sie gegen Spanien verloren hatten, dachten wir
es ist aus. Die letzten Spiele waren deshalb besonders spannend. Und
dass England rausgefallen ist, ist nicht leicht zu verstehen. Hat
natürlich damit zu tun, dass sie nicht mehr Svennis, ihren
schwedischen Coach, haben. ;-)) Sicher kennst du ihn aus den
Skandalblättern.
...
Wie schön, dass du das Bedürfnis hast morgens ein paar Zeilen zu
schreiben. Auch ich würde mich sehr gern an den PC setzen und den Tag
mit dir beginnen.. wenn nicht wenn wäre.. :-)

Du wolltest mir Bilder schicken und ich warte schon darauf.
Ich habe mir gerade ein paar italienische Lehrbücher bestellt. Es war
nicht so leicht sie zu finden, denn sie sind schon an die 10 Jahre
alt. Bisher hatte ich sie mir in der Bibliothek geliehen aber ich
möchte sie gern selbst besitzen. Es ist ein wunderbarer Kurs.
Eigentlich stammt er von BBC und ist sehr intelligent gemacht. Glaube
ich habe dir das schon mal erzählt. Ich habe mir auch schon die
Kassetten dazu besorgt, damit ich die richtige Aussprache lerne. Und
wozu das alles? Mein nächstes Leben möchte ich in Italien verbringen.
;-)))
Spass beiseite. Ich habe eine stehende Einladung dorthin. Eigentlich
sind N und Lo die einzigen von meinen Mailkontakten, denen ich noch
schreibe. Die anderen liegen in Quarantäne. Von Brasilien kommen ab
und zu Files, die Pierro an alle seine Bekannten verschickt. Ich bin
wohl auch auf der Adressliste und gehöre somit zu seinen
Undisclosed-Recipients. ;-) Im übrigen haben wir keinen Kontakt mehr.

Ich wünsche dir einen feinen Tag.
Mit lieben Gs und Ks in Qs
Malou

 (date: November 2007)

Kleines Verslein ;-)

Liebe Marlena
...
Ich weiss, dass du ein geduldiger Mensch bist.
Dazu kommt mir eine lustige kleine Szene in den Sinn. Wir hatten
vor Jahren einen Mitarbeiter zu verabschieden, der in Pension ging.
Und dieser Abschied sollte bei unserem Büroessen stattfinden. Ich
habe für unseren Kurt einen kleinen Vers gezimmert, nicht Rilke-
Niveau, versteht sich, aber lustig und machnmal ein bisschen frech.
Wir haben ja hier im Raum Basel eine Tradition, von der Fasnacht
her. An Fasnachten schreiben sie hier Verse und singen sie vor, und
die können echt witzig und saftig sein, so dass es einen in der
Magengegend kitzelt.
Ich habe also meinen kleinen Vers gehabt. Und weil der nicht gar so
lange war, und man ohnehin eine kleine Einleitung geben sollte, habe
ich das so gemacht. Ich habe denn Vers angekündigt und - sagen wir -
die erste Zeile zitiert, um dann wie auf einen plötzlichen Einfall
eingehend, noch dieses vorauszuschicken. Und dann kam ich nach
einiger Zeit wieder auf mein ursprüngliches Vorhaben zurück, habe
die erste Zeite zitiert, um dann noch jenen Einfall zu haben. Du
verstehst was ich meine. Man kündigt ein Verslein an, und in der Tat
kommt ein ganzer Rattenschwanz von scheinbar spontanen Gedanken
und lustigen Erinnerungen und ironischen Bemerkungen, so dass zum
Schluss das Verslein eine absolute Nebensache wird. Und die Zuhörer
werden immer gespannter und hören hin und wollen endlich dieses
Verslein hören, während sie immer wieder andere Gedankengänge zu
hören bekommen.
Finde ich ein gutes Arrangement, um die Leute bei Laune zu behalten
und hat eine belebende Wirkung auf das Publikum. Wenn man noch
weiter gehen will, kann man zum Schluss das Verslein überhaupt
weglassen.
*

Samstag, 8. Januar 2011

Besser spät...



 Ingrid Thulin

Ämne: Besser spät..
Datum: den 9 januari 2004 01:03

Lieber ...,
Eigentlich ist es schon zu spät und ich bin zu müde um ein anständiges Mail zu senden. Aber vielleicht findest du doch ein unanständiges besser als gar keines. ;-))

Zuerst muss ich doch protestieren gegen das "junge Ding". So nennt man doch nicht eine Frau am Rande ihres "besten Alters".. ;-) Aber ich glaube ich kenne mich ziemlich gut aus was "Lehrkräfte in fortgeschrittenem Alter" betrifft. Als ich nämlich an diese Schule kam, war ich noch sehr jung. Ich denke die meisten von den Kollegen, die hier arbeiteten waren so 15 Jahre älter als wir jungen Eindringlinge. Zuerst standen sie wohl (so wie wir sie sahen) unserer Elterngeneration näher. Aber dann mit der Zeit wurden wir alle immer mehr gleichaltrig. Man vergass den Altersunterschied. Und dann sah man sie langsam alt werden. Man sah wie sie langsamer wurden, vergesslicher und etwas rigider. Es gab Leute, die nicht mehr gut hörten und deswegen von Schülern und sogar von neuen jungen Kollegen, die nicht besser wussten, als etwas "dumm" betrachtet wurden, obwohl sie Giganten waren im vergleich zu diesen, ich meine was ihr Können (ihr Niveau) betraf. Leider gibt es bei uns nicht die Möglichkeit, von der du erzählt hast. Und die Aufgaben, vor die man sie stellte, wurden immer schwieriger. Das ganze begann damals, als man die etwas weniger theoretischen zweijährigen Linien des Gymnasiums zu dreijährigen machte und ganz einfach mit den anderen zusammenschlug. Besonders für Lehrer in Mathematik und Sprachen bedeutete das eine grosse Umstellung.
Ach, ich langweile dich schon. Sorry!
*
Heute ist die Schauspielerin Ingrid Thulin gestorben. Sie war eine von den Favoriten Ingemar Bergmans und hat in vielen seiner meist berühmten Filme gespielt. Sie war mit Harry Schein verheiratet (einst ein naher Freund von Olof Palme).  Man sagt sie wären seit 30 Jahren verheiratet gewesen aber sie hat die meiste Zeit in Italien gelebt und er in Stockholm. Eine perfekte Ehe, wie mir scheint.. ;-) Ach nein, ich persönlich glaube eher an eine tragische Ehe und es wundert mich nur, dass sie an ihm festgehalten hat. Aber das bleibt ihr Geheimnis.

*

ein postmoderner Clochard


Liebe Marlena

Du bist im Moment mein grosses Publikum. Das genügt für den Augenblick. Und ich gehöre auch dazu. Ich weiss oft anfangs noch nicht, was ich schreiben will. Ich setze mich einfach zur Entspannung an den Labtop und fange an. Es ist, wie andere Leute an den Strand und in die Sonne liegen und anfangen zu dösen oder fantasieren. Also, lass Dir gesagt sein, Marlena, Du bist mein grosses Publikum. Aber du bist natürlich auch Partner. Ich höre gerne von Dir, ich höre gerne mehr von Dir, wie das Leben dort im hohen Norden so spielt und wem die Sonne scheint und wie du mit Deinem „dreieckigen" Leben (Beruf, Haushalt, Kind = 3) zu Rande kommst. Und natürlich mag ich Deine Komplimente. Das sind die Pralinen im Text, oder wie könnte man sie sonst nennen? Auf jeden Fall ist es sehr anregend, mit einer wachen Frau zu korrespondieren. Das stimuliert mich, das aktiviert meine Fantasie, das motiviert mich irgendwie und steigert die Spiritualität, wie es jedes Tagebuch eben auch ein bisschen tut. Darum habe ich Dir gesagt, Du seist meine Muse. Vielleicht bin ich in Revanche dein „Musiker" (ist natürlich ein Scherz: Musiker ist nicht die männliche Form von Muse; Muse gibt es nur als weibliche Form). Das ist nun eben einmal so auf der Welt. Nur schöne und kluge Frauen können Musen sein. Alles andere sind Musiker, Posaunisten, Violinisten wenn nicht Streicher allgemein, Paukisten (gibt es dieses Wort), Flötisten und ab und zu ein Saxophonist. Aber nicht Musen eben, Musen eben nicht.

Du siehst, Marlena, ich spiele eben auch gerne mit Wörtern. Ich bin ein ziemlich verspielter Mensch. Das weiss ich und das merken wohl auch andere Leute. Ich bin manchmel sehr wenig zielorientiert. Ich bin manchmal ein richtiger Trödler (das Wort brauchen wir in der Umgangssprache für jemanden, der sich viel Zeit nimmt und nicht vorwärts macht, der dahintrödelt und „dem lieben Gott die Zeit stiehlt") und beschäftige mich mit Dingen, die absolut sekundär, unnötig und überflüssig sind. Und die wichtigen Sachen lasse ich liegen. Das ist wohl eine diskrete Art der Opposion. Ich habe sie schon beim Studium bemerkt. Damals liebte ich es, Bücher zu lesen, die sonst niemand gelesen hat, Fragen zu bearbeiten, die völlig marginal erschienen, und die offiziellen Aufgaben liess ich liegen oder machte sie in Windeseile im letzten Moment. Und hier bei der Arbeit ist es ähnlich. Ich habe jede Menge zu tun, aber nein, er schreibt diese Mails an seine schwedische Freundin. Ist er nicht unmöglich! Ein Tagedieb des modernen Lebens und ein postmoderner Clochard.

Freitag, 7. Januar 2011

Fantasien haben lange Beine

...
Du siehst, wohin mich meine Fantasie trägt? Sie hat eben etwas lange
Beine! Wir sagen im Deutschen „Lügen haben kurze Beine", doch ich
sage: Fantasien haben lange Beine! Und das ist doch ein gutes
Stichwort, „Fantasien haben lange Beine", ist geradezu ein Slogan für
die Postmoderne, für die globalisierte Welt. Siehst du Marlena, das
macht mir mein Tagebuch wertvoll, dass ich manchmal Erkenntnisse
oder Erfindungen mache, die ich sonst einfach niemals im Leben
machen würde. Das sind vielleicht kleine Sachen. Aber alle grossen
Sachen haben klein angefangen. Das meine ich, wenn ich sage,
Du inspirierst mich.
---

(15 Februar 2000)