Ämne: RE: tropfnasserdonnerstagmorgenumsiebeninderfrüh
Datum: den 25 mars 2004 08:10
Liebe Malou
Höre
ich richtig? Du hast wieder ein Mail in den Wind gesetzt? Das hört sich
an wie Flaschenpost, die man, wie Du weist, irgendwo und irgendwann
aussetzt, in der Hoffnung, irgendjemand würde sie dann finden. Nein,
soviel Gottvertrauen sollte verboten sein.
Lustig der Name
Marienberg. Klingt wie ein Pilgerort mit einer grossen, schönen Kirche
auf dem Berg oben, wohin die Menschen an hohen kirchlichen Feiertagen
herpilgern, um in sich zu gehen und den lieben Gott wieder einmal zu
fragen, was er denn meint zum bösen Lauf unserer, oder vielleicht besser
‚seiner’ Welt. Wenn man denkt, dass in der alten Zeit viele christliche
Kirchen an Standorten und auf den Mauern von alten Gebäuden des
Mitrakultes gebaut worden waren, und wenn man bedenkt, dass nach der
französischen Revolution Kirchen in Ställe und Munitionslager umgebaut
worden waren, so kann man sich heute leicht vorstellen, aus einer
hübschen gotischen Kirche ein grosses Einkaufszentrum zu gestalten. Na
ja, es wäre vielleicht ein bisschen hoch mit seinen Spitzbogenfenstern.
Und in die Türme könnte man je einen geräumigen Lift einbauen, mit dem
man oben das gemütliche Turmcafé erreichen kann. Man hat von dort oben
einen hübschen Ausblich über die Stadt, die sich den Marienberg
hinunterzieht. Und die Beichtstühle im Erdgeschoss werden als
Kuschelecken von den jungen Kunden geliebt, wo sich die Neuverheirateten
oder solche, die es werden wollen, eng an einander schmiegen können, um
sich von den Strapazen des Einkaufs ihrer Haushalteinrichtung zu
erholen.
Was Du über die Wahrheiten sagt, zeigt, dass Du echt
platonisch denkst. Das haben wir ja schon bei der platonischen Liebe
festgestellt. Platonische Liebe, platonische Wahrheit, ist alles
einerlei. Auf jeden Fall ist es natürlich auch tief katholisch, so wie
das alles eben nur auf dem Marienberg sein kann.
Wenn ich Dich
heute nach L. einladen würde, müsstest Du den Perlzmantel
einpacken. Und vielleicht ein paar hohe, wasserdichte Stiefel. Es ist
fotzeliges Wetter, so dass man keinen Hund auf die Strasse lassen würde.
Heute Morgen, als ich mir mein Frühstück bereitete, hat es sogar
geschneit. Jetzt regnet es unverdrossen. Vom Kamin im Haus gegenüber
steigt ein kleines Räuchlein. Dort wird offenbar tüchtig geheizt. Und
die Strassen sind leer. Kein Mensch geht bei einem solchen Wetter vor
die Tür. Keiner!
Heute habe ich um 10 eine Sitzung in Basel,
deshalb bin ich mit dem PW hergefahren. Und so konnte ich auch
vermeiden, all zu lange durch die Nässe zu gehen. Als ich früher ab und
zu bei meiner Oma in Liestal in den Ferien weilte, war ich stets erfreut
über die feuchten Strassen nach dem Regen, die kleinen Weglein, die oft
mit Moos und oder feuchtem Laub belegt waren. Das fand ich ganz
ausserordentlich angenehm und komfortabel weich, denn vom Wallis her
waren wir Feuchtigkeit nicht gewohnt, dort war alles trocken, hart und
spitzig
Was in aller Welt ist Distanzunterricht? Lass mich raten.
Dort lernt man die Distanzen im Wiestaleltall, die Kilometerzahl von der Erde
zum Mond beispielsweise, oder jene bis zum Mars. Solch einen Unsinn
mussten wir mal lernen. Ach nein, jetzt erinnere ich mich:
Distanzunterricht ist Unterricht zuhause, damit die Schüler, die einen
weiten Weg haben, zuhause bleiben und von der Zeit profitieren können.
So was gibt es bestimmt auch in Australien, wo Kinder über das Radio
instruiert werden. Ach wie wünschte ich mir Distanzunterricht. Ich
würde mich im Bett unterrichten und vorerst mal alle meinen alten Träume
repetieren. Vielleicht sogar auswendig lernen, wenn das gefragt wäre.
Und um 10 liesse ich mir - am Bett - einen süssen Espresso servieren, um
so organisch zur Lektüre der Tageszeitung über zu gehen, und um
schliesslich bei irgend einer hübschen Lektüre zu landen. Wenn es hoch
kommt, würde ich zum Mittagessen aufstehen. Aber dann gleich für die
Siesta wieder abtauchen. Siesta ist auch eine Art Distanzunterricht. Man
versucht dabei, von der Hektik des Tages ein wenig Distanz zu gewinnen.
Und nach 16Uhr würde ich mir die Freiheit nehmen, schulfrei zu machen.
Denn die Zeit brauche ich natürlich für meine Hausaufgaben. Ach, wie
wünschte ich mir Distanzunterricht, und warum - zum Teufel - ist die
Schweiz ein so kleines Land, wo jeder kleine Lausbube in einer halben
Stunde auf dem Schulhof sein kann, um die Fenster des Schulhauses mit
Schneebällen zu bewerfen.
Von den Tauben heute morgen natürlich
keine Spur. Wo wohnen sie bloss? Ich meine, haben sie eine feste
Adresse? Vielleicht in einem Gartenhaus, wo sie durch die Luke
einsteigen können, um es sich in der Ecke auf den Stuhlpolstern
gemütlich zu machen und ihre Orgien zu feiern? Oder in einem Dachstock,
rundum behangen von Spinnennetzen, wo es trocken ist, was Tauben
bestimmt mögen? Übernachten sie in grösseren Gruppen oder bloss zu
zweit? Gibt es auch Singles, die sich jede Nacht woanders verkriechen
und Wärme suchen? Ach die Tauben, man weiss so wenig über sie.
In
Basel ist man dran, Abfalltrainer auszubilden. Sie werden später die
Aufgabe haben, die Bevölkerung aufzuklären, besonders auch
fremdsprachige Menschen, wie man mit dem Abfall umzugehen hat. Abfall
ist ja bekanntlich geradezu zu einer Wissenschaft geworden. Die
Pet-Flaschen, die Glasflaschen, die Büchsen, das Papier, die
Küchenreste: alles wird separat gesammelt und recyclet. Ach, die guten
alten Zeiten sind vorbei, wo man die Dinge einfach so wegwerfen konnte.
Heute überlegt man sich die Probleme schon beim Einkauf, und man zögert.
Jetzt
habe ich die Tauben erspäht. Es ist eine Gruppe von 15 bis 20 Tieren.
Und sie fliegt in unregelmässigen Kurven grosse 8-förmige Figuren über
verregneten Ort. Wahrscheinlich werden sie sich später auf dem Dach
gegenüber am Wasserturmplatz über diese Frühgymnastik brüsten und sich
dabei die Schnäbel zerreissen. Sie fliegen alle so überzeugt. Keine
scheint zu zögern. Keine will ausbrechen und sich ausruhen. Es sieht aus
wie ein eine gut verabredete Sache.
Ach, es ist schon spät. Ich
muss mich meinen kleinen Sorgenkindern widmen, die hier auf dem Pult und
überall im Büro herumliegen. Die armen Waisenkinder warten nur darauf,
dass man sich mit ihnen beschäftigt.
Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit l GuK
...
Ämne: Schneeflocken, Tauben, Kraniche, Abfall u.a.m
Datum: den 25 mars 2004 18:15
Lieber ...,
Lustig,
wie du mir immer wieder "katholische Eigenschaften" zuschreiben willst.
:-) Und wie ich sehe hat mein Gottesvertrauen schliesslich doch geholfen
und auch die Flaschenpost hat ihr Ziel erreicht.
*
Gestern Abend
kam ein Anruf. "Bist du das Marlena?" sagte eine sehr greisenhafte
Stimme, die ich nicht richtig einordnen konnte unter meinen Bekannten.
Einen kleinen Moment hoffte ich es könnte Jan sein. Er war mal mein
bester Freund (Bruder, Vater und alles was man sich noch wünschen kann
zugleich). Ich habe ihn schon lange für tot gehalten, weil er mir sonst
sicher mindestens einmal im Jahr von irgendeinem Kontinent ein
Lebenszeichen geschickt hätte.
Es war leider nicht Jan, sondern
Lennart, ein früherer Kollege, der auch Deutsch gab und der schon ein
paar Jahre in Pension ist. Jetzt hält er ab und zu Vorträge für andere
Pensionisten über alles mögliche. Er gehörte zu den äusserst gebildeten
Studienräten, die noch eine gediegene klassische Bildung erhalten haben.
D.h. Leute, die so 10 Jahre älter sind als meine versäumte Generation.
Nun wollte er einen Vortrag über den zweiten Weltkrieg halten und dabei
suchte er die "Briefe aus Stalingrad", von denen er dem Publikum einige
vorlesen wollte.
So habe ich heute ein wenig in unserer
Institution herumgestöbert auf den Büchergestellen, wo wir alte Bücher
aufbewahren, von denen wir uns bisher nicht trennen konnten, die wir
aber längst vergessen haben. Leider gab es sie nicht, die Briefe aus
Stalingrad. Dagegen habe ich ein paar wunderbare Anthologien mit
deutschsprachigen Schriftstellern gefunden, zum Teil auch solche, die
ich bisher nicht kannte. Und da ich weiss, dass heutzutage niemand mehr
so viel Deutsch kann, dass er sie lesen würde (darin sind auch die
Lehrer einbegriffen) so habe ich sie mir mit nach Hause geliehen. Ich
werde fast traurig, wenn ich sehe auf welch hohem Niveau einmal der
Deutschunterricht gestanden hat. Heutzutage wären diese Bücher sogar für
die Studenten an der Uni zu schwer. Und es tut mir auch leid um die
Schüler, die nicht richtige Literatur zu lesen bekommen sondern nur
ziemlich alltägliche, kindische Texte ohne grossen Sinn. OK... ich muss das Thema verlassen.
*
Nein,
Marieberg ist wirklich nicht was du dir vorstellst. An und für sich
lustig zu sehen, was deine Fantasie damit macht. Marieberg ist ein
IKEA-ähnliches Gebäude von aussen gesehen.. (siehe Bild unten) 32.000
kvadratmeter Fläche, 2.200 Parkplätze .. du siehst, es ist ziemlich
gross, aber innen doch ganz schön und gemütlich. sogar mit ein Bisschen
Natur in der Mitte mit plätscherndem Wasser. Und ganz in der Nähe gibt
es viele andere grosse Kaufhäuser.. u.a. auch IKEA.
*
Jetzt
schneit es wieder. Es ist Kuschelwetter. Ich meine am liebsten würde man
unter eine warme Decke verschwinden mit einem interessanten Buch. Aber
vorher möchte ich noch meine frierende Seele mit etwas Tee erwärmen.
Kommst du auch? ;-)
*
Wenn du so deine Tauben beschreibst, dann
weckt das viele schöne Erinnerungen an Bücher, die ich als Kind gelesen
habe oder dann später mit Anna. Bücher in denen Tiere die Hauptpersonen
sind und es uns Menschen nachmachen. Ach wie sehr ich diese Bücher
mochte. So viele schöne Bilder sind auf meiner Netzhaut
hängengeblieben.. denn es gab sie, die schönen Illustrationen dazu.
Fast
möchte ich mir ein Buch von dir wünschen, wo du über deine Tauben
schreibst. Und ich möchte Illustrationen dazu sehe, mit dem Gartenhaus,
wo sie durch die Luke einsteigen können, um es sich in der Ecke auf den
Stuhlpolstern gemütlich zu machen und ihre Orgien zu feiern?
Das
wäre doch was, oder? Hat doch noch niemand vor dir gemacht. Und Kinder
werden sich ewig freuen, wenn sie eine Taube erblicken und an deine
schönen Geschichten denken. Mach es doch!
Hast du übrigens die schönen Bilder von den tanzenden Kranichen gesehen, die ich dir mal beigelegt hatte?
Wenn
ich an Kraniche denke, muss ich wieder zurückdenken an Uppsala, wo der
alte blinde Mann (dem ich manchmal die Zeitung vorlas) in seinem
Rollstuhl mir das Gedicht "Die Kraniche des Ybikus" (von Schiller glaube
ich) vorsagte. Und wie ich entdeckte, dass sich in einem kaum mehr
funktionierendem Körper eine ganze Welt von Schönheit verbergen kann.
*
Der
Distanzunterricht ist nur dazu da, um zu beweisen, dass es dieses
Fernsehstudio gibt und dass es seine Berechtigung hat. Vielleicht ist
es etwas spannend für die Schüler ein paar Tage so zu arbeiten aber wie
die meisten selbst sagen es "gibt ihnen nichts" und sie hätten mehr
gelernt wenn sie stattdessen ihren gewöhnlichen Unterricht gehabt
hätten.
*
Ach, erst jetzt beginnt ihr euren Abfall zu sortieren?
Das tun wir schon seit ein paar Jahren. Flaschen, Dosen und Kartons
sowie Zeitungspapier wird in dafür aufgestellte Behälter gelegt. Und hat
man einen Garten, dann gibt es da meistens auch einen Kompostbehälter.
*
Nun muss ich schliessen und hier ein wenig Ordnung bringen. Auch einen Test korrigieren, den ein Klasse heute geschreiben hat.
Ich grüsse dich lieb und wünsche dir einen schönen Abend bzw einen schönen Tag morgen,
K+S
Malou