Donnerstag, 31. März 2016

Wednesday probably - Besuch in Paris





"unser Lischen hat nur geschmunzelt ..."


Subject:  Wednesday probably

Liebe Marlena

Vor ein paar Jahren waren wir die ganze Familie für ein paar Tage in Paris, per Eisenbahn von Basel bis in die Gare du Nord, Halbpension in einem Hotel Nähe der ehemaligen Hallen (le ventre de Paris nach Zola), also ziemlich zentral. Es war nicht weit zum Louvre, Gare d'Orsay, Sainte Chapelle und so fort. Doch meine grosse Entdeckung, muss ich dir schon wieder etwas beichten, war das Warenhaus Printemps. Irgendwie geriet ich mit meinen Töchtern in die Abteilung der Spiel- und Sportwaren. Und sie genossen es, alles anzuschauen und die Unterschiede zu einem schweizerischen Warenhaus herauszufinden. Und als wir schliesslich schon etwas müde und durstig waren, entdeckten wir, dass es im obersten Stockwerk ein Restaurant gab. Wir fuhren mit dem Lift hinauf. Das Haus war überigens ein altes Jugendstilhaus, und in der Mitte gab es einen zentralen Hof. Die Stockwerke türmten sich um diesen Hof wie Balkone in die Höhe mit schönen Jugendstilgeländern. Vom obersten Stockwerk konnten wir also hinunter in den Bauch dieses schönen alten Hauses sehen und mit einer „göttlichen" Perspektive die Menschen, also die Kunden dieses Warenhauses, weit unten beobachten. Aber das war noch nicht der „clou", meine Liebe, den ich dir erzählen wollte. Wir suchten nun dieses Restaurant auf und entdeckten dabei, dass es oben auf dem Dach noch eine Terasse gab. So stiegen wir ein Stockwerk höher und erreichten eine schöne, grosse und sonnige Terasse, von wo man einen wunderschönen Ausblick über Paris, die Seine und die Ile de la cité (wie schreibt man das??) hatte. Das war für mich eine echte trouvaille. Seither habe ich mir eingeprägt, dass man sich Paris von den Dächern der grossen Warenhäuser anschauen muss. Und meine belle-soeur (ein schönes Wort, schreibt man es so?) hat das auch bestätigt. Wir werden also, Marlena, darauf kannst du dich verlassen, oben auf Printemps ein kleines Wässerchen trinken und in die Strassengassen von Paris hinuntergucken, bis hinauf zum Arc de Triomphe, mit Sacré Coeur im Rücken, über das Pariser Rathaus hinweg bis hinüber zur Sorbonne und zur Kuppel des Panthéon. Das ganze Panorama ist von dort wunderbar zu sehen.

Nun ja, eigentlich wollte ich dir erzählen, wie ich bei diesem kleinen Aufenthalt mit A. den Louvre besuchte. Meine Frau war mit der jüngeren Tochter irgendwie unterwegs und es ging schon gegen Abend. Ich redete auf A. ein, dass es eine Todsünde sei, Paris zu besuchen ohne den Louvre gesehen zu haben, das sei sozusagen wie ein Big Mac ohne Ketchup oder so. Sie wollte von diesem Louvre gar nichts wissen, fürchtete, es würde öde und langweilig werden. Schliesslich hatte ich sie soweit, dass wir etwa um 1600h, beim heiligen Versprechen, nicht länger als eine Stunde, die Karten lösten und ich sie also in diesen Louvre schleppte. Wir eilten förmlich durch die langen Gänge, wir fuhren Slalom zwischen den amerikanischen Touristen, wir hätten am besten die Inline-Skates mitgenommen, so eilig gingen wir den Klassikern entlang. Bei einigen besonders berühmten, etwa bei der Mona Lisa – wie ich mich erinnere – musste man sozusagen erst die Fliegen vor dem Bild verscheuchen, damit man kurz einen Blick drauf werfen konnte. Die Fliegen entpuppten sich als die mit Fotoapparaten bewaffneten Scharen von Japanern. So habe ich mir mit A. den Louvre angeschaut, in einer knappen Stunde, es war praktisch ein Jogging Parcours. Und heute erinnert sie sich bloss noch an diese kleine Mona Lisa, die hinter dickem Glas und einer Traube von Japanern kaum zu sehen gewesen war. Doch unser Lischen hat nur geschmunzelt, das kann ich dir versichern, angesichts unserer Eile, so wie sie immer schmunzelt, angesichts des Lebenstempos unserer Tage. Jemand (weiss nicht mehr wer) hat einmal geschrieben, er hätte den Eindruck, Mona Lisa schaue ihn an wie seine Frau, wenn er nach Mitternacht heimkomme und behaupte, er hätte noch im Büro gearbeitet. Das hat er – so finde ich – schön und treffend gesagt. Sie lächelt in der Tat irgendwie ungläubig!

Aber im Grunde genommen wollte ich nur auf deinen Vorschlag eintreten, für den Louvre einen Tag zu reservieren. Es können meinetwegen auch zwei Tage sein, obwohl man ja in diesen Museen totmüde wird (und dann den Arm auf die Schulter seiner Freundin legt, um sich etwas abzustützen, wie du hilfsbereiter Weise vorgeschlagen hast), und obwohl es in Paris noch andere Sehenswürdigkeiten zu berücksichtigen gäbe. Schliesslich möchte ich, dass du mir einmal rasch die Sorbonne zeigst. Die kenne ich noch gar nicht und die würde mich sehr interessieren, obwohl ich irgendwo unter meinen alten Fotos eine Abbildung eines schweren klassizistischen Hofes habe, den ich mal in der Sorbonne geknipst hatte. Und gleich daneben habe ich ein Foto aus einer wunderschönen Bibliothek in der Nähe des Panthéon, benannt nach der Stadtheiligen, wenn ich mich nicht irre.

Nun ja, wir sind wieder einmal in Paris gelandet. Das ist unser kleinster gemeinschaftlicher Nenner, wie man in der Mathematik und im Bruchrechnen sagen würde. Unsere Wege führen nicht nach Rom, sondern nach Paris, meine Mausfreundin. Und hat nicht jemand, im Kampf der Konfessionen, gesagt, Paris sei eine Messe wert?, oder eine Sünde?, das weiss ich nun nicht mehr so genau, ist aber im Grunde auch kein grosser Unterschied.

Damit bin ich ziemlich nahtlos und organisch bei Faust und meiner katholischen Schule gelandet. Es ist in der Tat möglich, dass die katholische Mentalität der Grund war, weshalb wir uns nie an die Lektüre des Faust vorgewagt hatten. Ich kann mich noch schwach erinnern, wie uns der Professor (an dieser Schule nannte man damals die Lehrkräfte noch Professor, heute – so glaube ich – nicht mehr) damals mit geteilt hatte, er würde uns den Faust erlassen. Wir waren alle erleichtert und wir hatten den Eindruck, es sei die reine Barmherzigkeit des Lehrers, und nicht der profane und laszive Inhalt des Faust. Na ja, „lasziv" ist ein bisschen dick aufgetragen!



Es ist wunderschön, Marlena, wie du von deinen Jugenderinnerungen sprichst und von den Personen, die dich damals beeindruckt und geprägt haben. Es ist eine richtige Ahnengalerie, die du mir vorführen kannst. Und im Zentrum thront dein Grossvater mit seinen eindrucksvollen violetten Augen. Oder der Wiener Arzt, den du schon früher erwähnt hattest. Die Episode aus dem Zirkus hat mir besonders gut gefallen. Sie zeigt, wie schön es ist, wenn Erwachsene ihren Kindern die Welt zeigen und sie in die vielen schönen, geheimnisvollen und interessanten Bereiche des Lebens einführen können. Dein Onkel muss ein sehr jovialer Mensch gewesen sein mit einem guten Auge für alles Interessante und Aussergewöhnliche. Ich habe diese „Einführung in die Welt" auch immer genossen, als meine Töchter noch kleiner waren. Wir sind einmal in aller Eile und Hals über Kopf einem Heissluftballon nachgefahren, weil ich ihnen ein solches Ungetüm aus der Nähe zeigen wollte. Er landete schliesslich etliche Kilometer entfernt, aber wir konnten diese Landung aus nächster Nähe beobachten. Allerdings kann ich mich auch erinnern, wie ich mich für die Menschen geschämt habe, wenn meine Töchter etwa zufälligerweise in den Fernseh-Nachrichten irgend etwas Schlimmes gesehen hatten und dann wissen wollten, wie es sich damit verhalte. Ich habe mich wirklich geschämt für Kriegsszenen oder Verbrechen oder andere schlimme Sachen. Und es ist wohl genau diese Schamgrenze, die das Fernsehen aufbricht, von der der Mediensoziologe Postman mit seiner These vom „Ende der Kindheit" spricht. Kennst du seine Theorie? Sie ist ein bisschen amerikanisch, das heisst effekthascherisch und simpel. Postman meint: seit der Renaissance gibt es eine Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenen, besonders in der Zeit des Bürgertums seit der französischen Revolution. Die Grenze ist entstanden durch die „Gutenberg Galaxy" (wie Mac Luhan sagt), die Verbreitung der Literalität auf grosse Teile der Menschen in den modernen Gesellschaften. Kinder, solange und soweit sie nicht Lesen konnten, waren in diesen Zeiten geschützt vor den überwältigenden Informationen von Sex and Crime. Die Lesefähigkeit bildete sozusagen erst den Zugang zur Welt der Erwachsenen, war eine Art Zensurgrenze. Heute aber, durch das Bild und durch das Fernsehen vor allem, ist dieser Schutz für die Kindheit nicht mehr aufrecht zu erhalten. Kinder werden heute mit denselben Informationen überschüttet wie die Erwachsenen. Es wird ihnen alles zugemutet. Und in diesem Sinne spricht er, in Anlehnung an Ariès, vom „Ende der Kindheit". Die These Postmans hat schon etwas für sich, auch wenn er eine etwas allzu vereinfachte, eben amerikanische Variante darlegt. Man hat beispielsweise in Krankheitsstatistiken festgestellt, dass heutige Kinder nicht mehr so sehr an den alten, typischen Kinderkrankheiten erkranken, sondern an denselben Leiden, wie die Erwachsenen. Das sind vor allem psychoorganische Leiden und Allergien, im Zusammenhang mit nervöser Belastung. Man kann auch in Kriminalitätsstatistiken sehen, wie die Grenze zwischen Kindern und Erwachsenen langsam verblasst. Die Vergehen von Kindern und Jugendlichen mit Schusswaffen der letzten Jahre in Amerika, aber auch in Europa, weisen in diese Richtung. Das Alter des Drogenkonsums sinkt. Und wenn man früher sagen konnte, die Kinder seien wie kleine Erwachsene gewesen, so muss man heute sagen, die Erwachsenen sind oft ziemlich wie kleine Kinder (Kleidung, Verhalten etc.) geworden. Die Generationen haben sich irgendwie angeglichen. Du hast es auch erwähnt bei den Jugendlichen, die à la americaine schon wie Ehepaare zusammenleben.

*

Doch wir haben von deinen schönen Erinnerungen gesprochen. Es macht dich wirklich schön, Marlena, wenn du von diesen Bildern sprichst! Es gibt dir eine Ausstrahlung wie jene von Chagalls Geiger, wie eine Sonnenblume van Goghs, und ich bin sicher, man wird es dir auch physisch ansehen, was ich nun ja aus diesen 2000km nicht feststellen kann (bin leider zu kurzsichtig!!), aber doch schwer vermute.

Ich finde es – nebenbei gesagt – auch eine Pflicht, unseren Kindern von diesen alten Zeiten und ihren Personen zu erzählen. Man soll es zwar nicht übertreiben, denn die Kids haben schnell genug. Aber ein bisschen hören sie doch hin, und wenn sie älter werden, werden sie sich wieder daran erinnern. Das ist auch der Grund, weshalb ich jedes Jahr unseren Familienbrief für alle unsere Bekannten und Verwandten in aller Welt schreibe. Ich erzähle, oder besser, wir erzählen, was in unserem Familienkreis im vergangenen Jahr passiert ist. Das gibt 5 – 10 Seiten jedes Jahr. Und das tun wir jetzt schon seit 10 Jahren. Eigentlich ist es schade, dass wir nicht schon bei Geburt der Kinder angefangen haben, denn es gibt bei kleinen Kindern soviele drollige Vorkomnisse und auch Gespräche, die man leider später wieder vergisst. Insgesamt sind es etliche Papierseiten, die zusammengekommen sind. Und wenn unsere Töchter einmal ausziehen werden, oder heiraten oder was weiss ich, dann werden wir ihnen diese Art Familienchronik mitgeben. Sie sollen sich erinnern! Man soll sich seiner Familie erinnern, das ist eine Wurzel des Selbstbewusstseins. Vielleicht sind es ja nicht ihre wirklichen Erinnerungen, aber es sind Erinnerungsstützen und aides mémoire. Doch im Moment ist der jährliche Brief einfach ein Kontakt mit unseren vielen Bekannten. Vor allem ältere Tanten und Onkel schätzen die Informationen und meine Zeichnungen dazu sehr. Die jüngeren Freunde melden sich gelegentlich oder schreiben eine Karte. Insbesondere wenn man sich nach langer Zeit wieder trifft, hat man das Gefühl, man sei immer irgendwie in Kontakt gestanden und man hat so auch Gesprächsthemen zur Verfügung. Das ist sehr gut, obwohl es jedes Jahr eine Anstrengung ist, diesen Brief zu schreiben und sich auf die Themen (manchmal sogar auf Formulierungen) zu einigen.

Ich muss an meine Arbeit, meine Liebe. Sonst bin ich es, der bloss 80% erreicht. Du erstaunst mich überigens. Ich habe nie und nimmer gedacht, dass Lehrkräfte auf der Gymnasialstufe soviel für ihre Lektionen vorbereiten. Vor allem natürlich in den mathematischen Fächern glaube ich nicht, dass sie das tun. Aber du scheinst ja mit deinen vielen Arbeiten und Preparationen wirklich eine ausergewöhnliche Ausnahme zu sein. Unter all diesen Studienrätinnen und Studienräten, den schwedischen ebenso wie den schweizerischen, scheinst du doch eine echte Musterschülerin zu sein. Ich hoffe, deine Schüler wissen das zu schätzen! Mindestens sie, denn ich tue es nicht sonderlich, angesichts der knappen Zeit, die dir übrig bleibt.

Ich mag dich trotzdem sehr
...

Re: Jugenderinnerungen und Faust


Subject: Tuesday evening.


Lieber Mausfreund!


Ich kann es einfach nicht lassen. Habe deinen schönen Brief nochmals durchgelesen und nun muss ich dir doch ein paar Zeilen schreiben trotz Mangel an Zeit. Wenn ich so weitermache bin ich bald bei den 80 % Arbeit und 100% Lohn die du mir vorschlägst. Zu meinem Trost sage ich dass nicht immer die lange vorbereiteten Stunden die besten sind und hoffe dass mir das Schicksal morgen hilft.

Ja, deine Beichte habe ich entgegengenommen.. und du kannst sicher sein dass ich es nie jemanden verraten würde ;-))) Was für eine Todsünde du da begangen hast! Oder habt ihr vielleicht nicht sowas lesen dürfen an deinem katholischen Gymnasium? Würde mich nicht wundern denn es wird viel gesündigt im Faust wie Liebe vor der Hochzeit, Mord, uneheliches Kind und das schrecklichste am Ende des 1. Teils. Goethe hat ihn wohl schon mit 18. Jahren geschrieben und den 2. (nicht zu geniessen) erst als er 80 war? Weiss nicht ob ich mich richtig erinnere.
Die schönen Stimmen der Schauspieler würde ich dich gern hören lassen. Ich werde mich bemühen deinen Defekt zu verringern :-)

Das was du mir von S's Familie erzählt hast klingt so wunderschön, wie in einem Märchen. Ich sah neulich einen Dokumentärfilm über eine Frau aus dem Iran (sie lebt seit vielen Jahren hier in Exil) die ihren ersten Besuch bei den Verwandten in Teheran machte. Es hat mich fasziniert. Gewiss, man sah die Armut, die jetzt dort herrscht aber ich kann nicht verstehen wie ein Mensch, der an die Lebensart dort gewöhnt ist, sich in unserem Lande zurechtfinden kann. Das Leben ist so grundverschieden. Hier leiden viele Leute an Mangel an sozialen Kontakten. Nur sehr nahe Verwandte die in der Nähe wohnen treffen sich manchmal. Oft kennt man nicht einmal seine eigenen Kusinen.

Dir hat das Wochenendleben in meinem Elternhaus gefallen? Das freut mich. Es war auch schön. Es ist herrlich für ein Kind Erwachsene froh zu sehen und lachen zu hören. A propos interessante Leute möchte ich dir von einem anderen kleinen Erlebnis erzählen das mir in Erinnerung kommt. Mein Onkel war mit uns Kindern in den Zirkus gegangen (Zircus Scott glaube ich). Es wurde ihm wohl etwas langweilig und so begann er mit jemanden von den Zirkusleuten zu sprechen. Nach der Vorstellung wurden wir in einen Zirkuswagen eingeladen wo uns ein Paar in den mitleren Jahren zum Kaffee einlud und von ihrem interessanten Leben erzählten. Sie waren Löwenbändiger gewesen hatten aber mit der Zeit (aus Altersgründen) auf Seelöwen umgesattelt. Sie zeigten Fotos und wir Kinder staunten nur so.

Die jungen fröhlichen Menschen die ab und zu bei unseren Festen auftauchten habe ich schnell wieder vergessen - sie gehörten sozusagen zu den Kulissen oder waren irgenwelche Statisten. Dagegen haben einige Freunde meiner Eltern einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. U.a. der Arzt (auch Veterinär) aus Wien der eine Schwedin geheiratet hatte und später mit ihr nach Schweden gezogen ist. Viel von dem was ich über Wiener Leben und Athmosphäre kenne habe ich durch ihn gelernt. Er gehörte zur Prominenz in Österreich und du kannst dir sicher vorstellen was das bedeutet in dieser k&k Monarchie, wie du sie zu nennen pflegst.

Wenn die Wiener witzen wollen, nehmen sie ganz einfach einen schöne klassische Melodie und singen dazu einen ganz schrecklichen Schmähtext. So kann ich noch heute gewisse schöne romantische Musikstücke kaum hören ohne dabei sofort an irgend einen ganz wahnsinnigen Text zu denken :-)


Dann hatten wir eine Freundin meiner Tante. Sie war Künstlerin und sehr originell. Eigentlich sah sie aus wie ein kleiner Mann mit O-Beinen. Aber ich sage dir: Nie in meinem Leben habe ich ein so weibliches Geschöpf kennengelernt. (Ihre Bewegungen und Art zu Reden) Ich freute mich in meinem Herzen wenn sie ihren Besuch ankündigte. Dann blieb sie meistens eine Woche und wir halfen ihr Ausstellungen zu arrangieren. Ihr Mann war ein noch grösserer Künstler und es war interessant zu sehen wie verschieden sie eine Landschaft malten. Seine gingen in "Moll" wenn man so ein Wort verwenden darf und ihre waren hell und sonnig, die Freude selbst. Natürlich konnte ein solches Paar nicht zusammenleben - es hätte ihrer Kunst geschadet. Eigentlich war er ein Portrait-maler.

Und nun zu dem Mann an den ich dachte als du mir von dem Onkel deiner Freundin erzähltest. Er war ein pensionierter General der persönlicher Adjutant beim alten König gewesen war. Manchmal erzählte er ein wenig davon aber seine eigentliche Grösse war sein anspruchsloses Wesen. Er war wie ein zweites Familienmitglied. Ich hatte ihn sehr gern (vielleicht weil er mich an meinen geliebten Grossvater erinnerte). Auch er liebte es zu malen und seine Wände waren voll von wunderschönen Gemälden die er selbst gemacht hatte.

Übrigens. für den Louvre brauchen wir wohl mehr als einen Tag, oder? Ich höre dich schon mir die Barockmalerei erklären :-) Ich glaube ich muss ein wenig aufpassen sonst geht es mir wie dir ;-)


"Meine Ruh ist hin

Mein Herz ist schwer

Ich finde sie nimmer

Und nimmermehr.... "


Armes Gretchen, hat sich in Faust verliebt.:-)

Ich Grüsse dich herzlich

Deine Mausfreundin
Marlena

PS

Habe gerade dein Mail von heute gesehen.. noch nicht gelesen.

Mittwoch, 30. März 2016

das Bild von Visp - Jugenderinnerungen




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Ich muss noch etwas zum Bild von Visp sagen, das du beigelegt hast. Es ist ja fast ein bisschen zuviel, einen solch schönen Brief und dazu noch dieses Bild. Dieses Bild, das ist wirklich meine Jugend. Ich hatte im Haus meiner Eltern unter den 3 Dachzimmern das schönste und das grösste. Und aus dem Fenster hatte ich genau diese Sicht in die Berge, die du mir hier zeigst. Das berührt mich sehr, dass eine Mausfreundin aus Schweden, 2000 km entfernt, mir meine eigene Landschaft zeigt.
Diese Berge habe ich angeschaut, wenn ich morgens erwacht bin. Manchmal im Winter war es sehr kalt, weil ich immer bei offenem Fenster geschlafen habe. Einmal war der Ofen eingefroren und damit gesprengt. Oder die Fenster waren voller Eisblumen, wenn sie tagsüber geschlossen waren. Im Sommer konnte man morgens früh schon die goldnen Gipfel mit dem ewigen Schnee sehen, die ich immer als eine Art Luxus angesehen habe. Oder aber, ich erinnere mich auch, wie ich an Samstag Abenden, bei Vollmond, in diese markanten Berge hinausgeschaut habe, in diese Landschaft im bleichen Mondlicht, und wie ich von der weiten Welt geträumt habe. Ich wusste damals noch nicht, was aus mir werden würde. Ich hatte noch keine Ahnung von meiner Studien- oder Berufswahl. Ich wusste nicht, ob ich einmal eine Familie, dh. eine Frau haben würde. Alles war noch offen, noch solcherart voller Möglichkeiten, die junge Menschen auch etwas unsicher machen.

Es ist wirklich MEIN Panorama, was du mir hier geschickt hast. Das frühere Foto, mit dem stumpfen Berg am Ende des Tales, das ist auch sehr schön. Aber dieses hier ist das Bild in meinem Fenster, das war sozusagen das Gemälde an meiner Wand. Der Blick geht in Richtung Zermatt, wo das berühmte Matterhorn steht, und dahinter ist dann bald einmal Italien. Ich danke dir, meine Marlena, du hast mich auf meinem sentimentalen Bein erwischt. Ich hatte hier wirklich ein schönes Zimmer mit Blick auf die Hauptstrasse (das war in jenem Alter auch nicht unwichtig, zu sehen, wer gerade vorbeiging). Ich hatte einen grossen Tisch (jener mit Druckknopf unter der Tischplatte, der früher einmal in Florenz gestanden hatte), einen Kleiderschrank, ein kleines Büchergestell und das Bett, das für den Tag von der Putzfrau wie ein Coach arrangiert wurde. Meine Schulhefte und -bücher hatte ich in einem Wandschrank liegen, der unter der Dachschräge eingerichtet war. Das war eine riesige Abstellfläche (remember?) und sehr bequem, ich konnte für jedes Fach eine eigene Beige errichten. Und dazu - nicht unwichtig - hatte ich einen Transistorradio, den ich mir in jenen jungen Jahren selbst verdient hatte. Er kostete etwa 220.- ( ich erinnere mich ziemlich genau, obwohl es über 30 Jahre her sein muss), was heute ein ungeheurer Preis wäre. Der Händler in Visp hatte noch Mitgefühl und gewährte mir eine kleine Ermässigung. Meistens hörte ich damals den Sender France Intère (oder wie schreibt man das eigentlich?), also französische und nicht englische Sender, wie unsere Jungen dies heute tun. Am schönsten war jeweils der Samstag Nachmittag. Wir hatten anfangs am Gymnasium samstags noch Schule bis etwa 1630h. Stell dir das vor, wenn man den heutigen Schülern den freien Samstag wegnehmen würde!! Diese lange Arbeitswoche war offenbar unentbehrlich für das Internat, denn die Schule und ihre Verantwortlichen (in Sutanen) hätten Probleme gehabt, ihre internen Schüler über zwei volle Tage zu beschäftigen und vom Unsinn abzuhalten. Deshalb hatten wir nur Mittwoch nachmittags frei, sonst gar nie. Später wurde noch der Samstag Nachmittag frei. Das war schon ein riesiger Luxus. Da bereitete unsere Mutter jeweils nach dem Mittagessen einen Dessert mit einem schwarzen Kaffee, und es gab Diskussionen in der Familienrunde. Fand ich sehr schön. Mein Vater verschwand dann irgendwann, denn er hatte noch eine Kaffeerunde mit seinen Rotary-Kollegen. Und anschliessend pflegte ich am Kiosk beim Bahnhof die Zeitung zu kaufen, und in meinem Zimmer die Weltwoche zu lesen und dazu Radio zu hören. Manchmal kamen wohl noch etwas Hausaufgaben für die Schule dazu. Wenn ich aber auf dem Weg zum Bahnhof einen Kollegen angetroffen hatte, dann wurde wohl aus der Zeitungslektüre nichts. Wir diskutierten dann auf der Strasse, schlenderten herum, schauten den Mädchen nach und tranken vielleicht irgendwo ein Bier und waren die Faulenzer im Dienst. Wir lebten damals sehr bescheiden und ohne grosse Ansprüche. Das war einerseits die damalige Zeit, andererseits lag es auch an diesem eher armen Bergkanton Wallis, wo alle Leute noch heute ziemlich bescheiden sind. Und wir vertrödelten als Jugendliche unendlich viel Zeit, das muss ich auch sagen, wenn ich es mit meinen beiden Töchtern vergleiche.

Nimmst du auch Beichten ab, ... meine liebe Marlena? Tust du das? Wenn ja, dann hätte ich im Moment eine grosse Beichte. Ich zögere etwas, dir das so offen und unter 4 Augen zu beichten. Aber ich muss ja wohl. Und ich hoffe, du wirst mir keine allzu strenge Strafe und Wiedergutmachung auferlegen. Ich meine, 10 "Mutter Maria .." (was meine Kollegen in der Schule zu beten hatten), 10 wäre die oberste Grenze. Obwohl mein Vergehen vielleicht schwer wiegt.
Eigentlich ist es kein Vergehen, sondern eine Unterlassung. Eine fahrlässige noch dazu. Ich schäme mich etwas, dir das zu erzählen, liebe Marlena, und ich kann nur hoffen, du wirst das nie gegen mich verwenden, niemals!
Nein, Spass beiseite! Ich habe Goethes Faust nie gelesen. Niemals! Ehrenwort! Ich habe ihn auch nie vermisst. Erst an der Universität kannte ich eine Komilitonin, die vom Faust geschwärmt hat. Und da ist mir aufgefallen, dass ich diesen Hit der deutschen Literatur nie wirklich zur Kenntnis genommen habe. Das ist mein Defekt! Wie ein kleiner Sehfehler, oder ein Muttermal an der falschen Stelle!

Ich will dir jetzt auch nicht gleich versprechen, dass ich das noch nachhole. Vielleicht erzählst du mir davon, so kann ich es mir ersparen.
Ach, es tut gut, von der Jugend zu erzählen! Erzählen an sich ist gut, und mit der Jugend kommt auch die jugendliche Energie und Kraft zurück. Das ist wie eine Therapie, das ist reculer pour mieux sauter!
Ich danke dir und umarme dich
...

Re: Epistel - von der Langeweile


Liebe Marlena
Du schreibst wundervolle Briefe, wenn du Zeit hast, Marlena. Ich habe dein Schreiben vom Samstag sehr genossen. So bekommst du in meiner Vorstellung Blut und Leben. So wirst du schön, meine Liebe.
Mit Begeisterung habe ich von deiner Jugend gehört in einem Haus, wo viele Leute ein und ausgingen. Das muss ja etwas ganz Besonderes gewesen sein. Ich kann mir die zwei Mädchen vorstellen, wie sie durch den Türspalt die Gesellschaft erforschen mit den extravaganten und originellen Figuren. Das muss ein wirklich weltläufiges Haus gewesen sein, wo du aufgewachsen bist.
Meine Frau ist auch in einem grossen Haus aufgewachsen. Ihr Vater hat immer gerne Gäste gehabt und hat sie sehr grosszügig bewirtet. Seine Hochzeit soll eine ganze Woche gedauert haben, erzählt man sich noch heute. Und da gab es ein besonderes Fest jedes Jahr, wozu er eigentlich verpflichtet war. Das kam so: Als die Eltern meines Schwiegervaters sich ein Kind erhofften, konnte seine Mutter nicht schwanger werden. Und so gab sie das Gelübde ab, dass sie, falls sie eine erfolgreiche Geburt erleben könnte, jährlich ein Essen für die armen Leute geben würde. Und schliesslich wurde der Vater meiner Frau geboren und ab diesem Zeitpunkt sollte jedes Jahr dieses gelobte Fest stattfinden. Man hatte spezielles Geschirr, womit die Armen und Verwandten, die davon wussten, womit sie die Mahlzeit zu sich heimnehmen konnten. Und als S's Vater als ältester Oberhaupt der Familie geworden war und gleichzeitig auch Vorsteher der Stadt wurde, da musste er selbst dieses jährliche Festessen organisieren. Ich habe es einmal erlebt während eines Sommers, da ich in Teheran war. Man hatte speziell einen Koch und eine Köchin angestellt, und den ganzen Tag waren sie damit beschäftigt, das Schaffleisch zuzubereiten, das Gemüse zu rüsten und eine Art Gulasch kochen zu lassen. Dazu gab es kiloweise Reis, wirklich eine riesige Menge, in in diesen modernen Kantinen. Und jeder konnte kommen und wurde bedient. Es war eine Grosszügigkeit, wie man sie in Europa nicht mehr finden kann. Aber es ist natürlich auch die Familienehre, um die es geht, und der Respekt der Leute, die von einer solchen Wohltätigkeit profitieren, ist der Familie sicher. Heute ist S's Vater tot, und ihre Mutter führt diese Tradition weiter. Und später wird es ihr ältester Bruder tun müssen.
Damit will ich sagen, dass es ausserordentlich ist, in einer solchen Familie zu leben, so wie du sie auch gehabt hast. Daraus solltest du das Gefühl gewinnen, eine ganz spezielle und und einmalige Jugend gehabt zu haben. Und daher kommt auch das Gefühl, ein einzigartiger Mensch zu sein.
Du darfst nicht sagen, dein Leben sei zeitweise nicht interessant. Das ist ein Vergehen gegen das Leben, meine Liebe. Also, ich weiss natürlich, wie du das meinst, und gelegentlich sage ich von mir dasselbe. Aber es ist im Grunde genommen sehr ungeschickt, sein eigenes Leben so anzuschauen. Man muss es sofort ändern. SOFORT! Ich finde, wir haben die Aufgabe, unser Leben schön und lebendig und attraktiv zu machen. Jeder tut das auf seine Weise. Der eine mag es sehr ruhig, der andere rennt ständig in der Gegend herum. Ich selbst mag eher die Ruhe, die stillen Abende bei der Lektüre unter dem Lichtkegel der Lampe. Meine Frauen zuhause reklamieren gelegentlich, weil ich abends stets zuhause sitze und nicht gerne mehr unterwegs bin. Ich glaube, dass meine interessanten Dinge vor allem in meinem Kopf abgehen.
(---)
Ich glaube, das ist es, was das Leben voll macht. Vor allem müssen wir es selbst machen. Das Leben an sich ist noch gar nichts, ist bloss eine biologische Tatsache, monoton wie der Herzschlag, eingleisig wie der Gang der Ernährung, unspektakulär wie ein Hickauf, voller unangenehmer und langweiliger Pflichten, voller Sorgen und Unannehmlichkeiten. Man könnte gut und gerne darauf verzichten.
Also, meine liebe Marlena, der langen Rede kurzer Sinn: wenn man in einer solchen Familie aufgewachsen ist, wie du sie mir - allerdings nur sehr kurz und skizzenhaft, erzähl mir mehr davon, ich bitte dich - wie du sie schilderst, da KANN man kein zeitweise langweiliges Leben führen. Das ist ganz und gar unmöglich, oder anders gesagt VERBOTEN. Du bist ein aussergewöhnlicher Mensch. Das widerspricht doch der Langeweile um 180°. Es ist das pure Gegenteil. Es ist wie Wasser und Feuer, meine Liebe.
Ich muss aufpassen, ich werde zu pädagogisch, dh. lehrerhaft. Das ist immer schlecht, nicht wahr, meine sympathische Frau Studienrätin.
Ich behaupte also steif und fest, ob ein Leben interessant und aufregend und wundervoll und spannend und auch schmerzvoll vielleicht ist, das entscheidet sich in erster Linie im Kopf, und nicht sosehr im Leben selbst. Natürlich ist der Kopf auch ein Teil des Lebens, nicht ganz unabhängig davon. Er kann nicht völlig autonom entscheiden. Aber er kann entscheiden.
Ach meine liebe Marlena, was erzähle ich dir hier so lange und so kompliziert und so umständlich. Ich finde mein Leben gelegentlich totlangweilig, einfach öde und die Monotonie in Reinkultur, kurz und gut das ALLERLETZTE.
*
Aber von Dir einen Brief zu erhalten, stellt alles auf den Kopf, das inspiriert mich, das beflügelt mich, das ist so ein kleiner Edelstein im Bodenpflaster des Lebens. Da bist du eben doch meine heimliche Geliebte und meine Muse! Du bist ein besonderer Mensch, sonst würde ich niemals mit dir korrespondieren. Du sprichst von einem Tag Paris. Ich bitte dich, es war von EINER Woche die Rede! Darunter gehe ich nicht, nie und nimmer. 7 Tage ist das Minimum für Paris, sonst beleidigen wir die gute alte Stadt. Und wenn ich dazu noch den Arm um deine Schulter legen darf (möglicherweise um eine Stütze zu erhalten, wie du sagst; das ist sehr samariterlich gedacht, für diese wohlwollende und unschuldige Fantasie geb ich dir einen speziellen diskreten Kuss - unter 4 Augen, versteht sich, nicht gleich auf der Champs Élysées), dann weiss ich nicht, ob auch 7 Tage genügen würden.

Ich muss noch etwas zum Bild von Visp sagen, das du beigelegt hast. Es ist ja fast ...

Dienstag, 29. März 2016

Epistel


Lieber ...!

Ich habe dich heute im Swisstalk verpasst - vielleicht nur mit Sekunden. Aber es macht nichts denn eigentlich hätte ich nur eine ganz kleine Weile mit dir chatten können.

Ich liege auch mit meiner Arbeit nach... aber das ist eher normal. In diesem Beruf kann man immer noch etwas tun und es kommt vielleicht ein bisschen auf das Ambitionsniveau an. Die sehr heterogenen Klassen machen dass man immerzu selbst extra Material herstellen muss um die Studien zu erleichtern. Natürlich könnte ich nur 80 % arbeiten, aber wahrscheinlich würde ich genauso viel Zeit darauf legen aber mit nur 80 % Lohn. Deswegen zögere ich.
Aber genug davon jetzt.
Ich war eigentlich etwas erstaunt als ich sah dass Erich Kästner die Geschichte von dem schweigsamen Fräulein geschrieben hatte. (Sie steht in einer kleinen schon veralterten Anthologie, zusammengestellt für das Gymnasium). Eine andere kleine Geschichte aus demselben Buch ist "Ein alter Mann stirbt" von Luise Rinser. Sie ist traurig und schön und zeigt wie kompliziert das Verhältnis zwischen Eheleuten sein kann. Sie endet mit den Worten:
"Altersschwäche", schrieb der Arzt auf den Totenschein. Ich aber begriff, woran sie gestorben war, und mich schauderte davor, zu sehen, was für unheimliche Formen die Liebe annehmen kann."

Damit wäre ich wieder ganz unwillkürlich bei meinem Lieblingsthema gelandet ;-)
Heute werde ich einen stillen Abend im Kreis der Familie verbringen. Das wäre fast unmöglich gewesen bei meinen Eltern... Immer war etwas los und das Haus voller Gäste wenn wir nicht selbst wo eingeladen waren. Mein Onkel liebte es Menschen um sich zu haben, je origineller desto besser. Schauspieler, Sänger, Künstler und Weltenbummler ohne eigentlichen Beruf mengten sich zu unseren nahen Freunden. Es wurde gelacht, getanzt und gesungen bis in die späte Nacht. Ich hatte an solchen Abenden oft eine Kusine in meinem alter zu Besuch und wir schlichen leise die Treppe hinunter um einen flüchtigen Blick (?) von diesem heimlichen Leben der Erwachsenen zu bekommen.

Es ist komisch wie du mich wieder an Sachen denken lässt die ich glaubte längst vergessen zu habe. Manchmal kommt es mir vor als hättest du die Schleusen zu meiner Vergangenheit geöffnet und nun quellen die Erinnerungen nur so hervor.
Ich glaube nicht du sondern ich liege auf der Couch und ich erkenne die Gefahren dabei. :-)
Du meinst 2000 Km schützen uns gegen unerwünschte (?) Gefahren... Wir werden sehen..

Es ist inzwischen Sonntag geworden. Ich höre mein Lieblingsprogramm im Radio. Redakteure einiger der grössten Zeitungen unterhalten sich in amüsanter Form über die grossen Ereignisse der Woche. Man hat Leichen in der politischen Garderobe gefunden. Die U-bootkränkungen sind auf dem Weg ihre natürliche Erklärung zu erhalten. Das schwedische Militär hat nämlich heimlich (ohne das Wissen der Regierung?) mit der Nato zusammengearbeitet und die vermuteten russischen U-boote waren wahrscheinlich meistens amerikanische die also die geheime Erlaubnis hatten dort zu operieren. Welch ein Doppelspiel des Militärs! Man musste ja sogar tun als ob man sie suchte und bekämpfte.

Norwegen hat eine neue Regierung gebildet, mit dem jüngsten und schönsten Staatminister je. Er ist erst 41 Jahre alt und nach einer Rundfrage hat es sich gezeigt dass fast alle Frauen ihn sehr gern als den Vater ihrer Kinder oder als ihren heimlichen Liebhaber sehen würden.

Man spricht auch viel von unserer Alkoholpolitik. Die EU will dass sich Schweden dabei dem übrigen Europa anpassen soll. Wir haben sehr hohe Steuern und der Staat würde viel Geld verlieren wenn wir die Möglichkeit hätten diese Getränke im Ausland zu kaufen.

Thema "unheimliche Geliebte".. Diese Woche haben wir die Erlaubnis erhalten unsere Schokolade als Schokolade bezeichnen zu dürfen (obwohl sie nicht den Qualitäts-forderungen der EU entspricht). Freue dich also dass du bei dir das beste geniessen kannst.

Und schliesslich diskutiert man die Arbeitszeit. Während andere Länder diese reduzieren, ist sie bei uns in den letzten Jahren gestiegen. Auch in meinem Beruf merkt man davon. Früher hatte man 6-7 Klassen, heute 9 - 11.

Zu Goethes Faust möchte ich dir sagen dass ich die Gründgens-Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses ( Deutsche Grammophongesellschaft, Literarisches Archiv) besitze. Wenn du das einmal gehört hättest würde dir der Faust auch gefallen. Es ist mit Schauspielern wie Paul Hartman, Gustaf Gründgens und schliesslich Käthe Gold als Gretchen. Es ist ganz einfach einmalig. Ich habe übrigens die Universität mit dieser Vertönung bereichert (sicher zu grosser Freude aller Deutschstudierenden). Denn es nur zu lesen kann nie dasselbe sein.

Was könnte ich dir sonst noch erzählen? Mein Leben ist zeitweise ziemlich uninteressant und manchmal träume ich davon es radikal zu ändern. Möchte eine Zeit in die Welt hinaus, neue Milieus erleben... aber ich habe einen "husband" (dieses komische Wort :-), der mich ans Haus bindet und so werde ich wohl alle diese Träume weiterhin nur in meiner Fantasie ausleben können. Manchmal stelle ich mir einen Tag mit dir in Paris vor und was wir alles tun würden. Natürlich gehen wir auf derselben Strassenseite. Du legst sogar dabei deinen Arm um meine Schulter (vielleicht nur weil du von dem vielen Wandern müde geworden bist und mich als Stütze benutzen willst ;-) Aber es ist trotzdem schön und du erzählst mir so viel von dem ich noch nichts gewusst habe. Ich werde fast krank vor Sehnsucht wenn ich daran denke....
Ich liebe Paris. Es ist mit meiner Jugend verbunden genau wie das Wallis mit deiner.

Du sprichst von Musik. Ich glaube Musik spielt in meinem Leben dieselbe Rolle wie die Malerei in deinem. Sie tröstet mich, begeistert mich und ich hole Kraft daraus. Ob ich selbst ein Instrument spiele? So möchte ich es nicht nennen :-) Aber Klavier und Gitarre habe ich gelernt. Mein Onkel, der Geige spielte, wollte dass ich auch dieses Instrument lernen sollte, aber es gibt Grenzen ;-) Gitarre habe ich gelernt um mich selbst beim Singen zu begleiten. Sicher sind einige der Chansons von denen du sprichst auch auf meinem Repertoire gewesen. In meiner Jugend bin ich manchmal aufgetreten und in der Schule musste ich immer solo singen bei verschiedenen Anlässen. Leider auch zu Hause in der Familie. Dabei fühlte ich mich meistens wie ein dressierter Affe ;-) und zum Schluss weigerte ich mich es zu tun.

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an
mit klarem, metallenem Schlag:
mir zittern die Sinne. Ich fühle, ich kann -
und ich fasse den plastischen Tag
.....

Das werde ich nun auch tun.
Lass es dir gut geh'n
Love
Marlena

Sonntag, 27. März 2016

Re: Täglich zum Zweiten



Lieber Mausfreund!

Jetzt schäme ich mich fast ein bisschen. Du glaubst ich will dich verführen weil ich dir diese Literatur sende. Wie soll ich dir das nun erklären? Ich schicke dir Sachen die mir gefallen haben und an die ich mich deshalb gut erinnere. Damals als ich sie zum ersten mal las war ich ganz sicher verliebt (kann mich nicht erinnern dass ich es mal nicht gewesen wäre ;-) Ich könnte dir natürlich auch Goethes Faust senden. (Ach ja, ist ja auch dasselbe Thema) Gibt es denn überhaupt was das nicht von Liebe handelt? Der Panther vielleicht (du weisst Rilkes Versuch ein ganz objektives Gedicht zu schreiben, wie eine Statue von Rodin). Ja, das ist schön!!! Immer wenn ich es höre muss ich an einen Besuch in Kolmården (grosser Tierpark) denken. Ich stand vor dem Tigerkäfig, ganz nahe, nur eine Glasscheibe trennte mich von den wilden Katzen. Ein grosser Tiger ging so auf und ab genau wie in Rilkes Gedicht, blieb aber plötzlich stehen, zu mir gewandt, und schaute mir direkt in die Augen. Es war ein Erlebnis das ich nie vergessen werde, so ein Augenblick wo die Zeit aufhört zu existieren.... dann nahm er wieder sein "vorübergehn der Stäbe" auf. Vielleicht ist dieses Gedicht das schönste das ich überhaupt kenne.


Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.


Das was du von Rilkes Versen sagst finde ich sehr interessant. Ich habe es eigentlich nie richtig analysiert, weiss nur dass der Rythmus seiner Reime mich fasciniert und so sehr tat, damals bei den Vorlesungen an der Uni in Uppsala, dass ich fast begann in diesem Rythmus zu denken. ;-) Auch wie er die Vokale verwendet z.B. dieses "Stäbe gäbe". Man fühlt richtig die Müdigkeit und Monotoni. Aber sicher kannst du dieses Gedicht auswendig (wer kann das nicht ;-)

Ich habe den Studientag hinter mir. Es war schön und wieder nicht schön. Wenn man so das Spiel beobachtet (alle kämpfen für sich) wie jeder versucht durch Andeutungen den Chefs klar zu machen dass gerade sie ein höheres Gehalt verdienen, dann kann einem fast schlecht werden dabei. Ein Vortrag (2 Stunden lang) mit einer monotonen Stimme ohne Diktion vorgetragen hätte mich zu Tode gelangweilt wenn nicht der Kollege, der neben mir sass, durch schriftliche Kommentare das ganze etwas aufgemuntert hätte. (Jetzt staunst du, hättest du wohl nicht von Marlena gedacht).
Lollo singt hinter mir für Issi. Es klingt wie ein schönes kleines Frühlingslied. Anna trainiert am Klavier (sie soll in einem Musical mitwirken, das bald hier stattfinden wird) Es sind Schüler der Musikschule und des Tanzstudios. Einige davon sind von Weltrang.

Ich werde dich jetzt verlassen müssen.
Ich will nicht dass du unnötig dick wirst und so wäre es wohl garnicht so schlecht wenn du deine Zeit ein bisschen verteilen könntest zwischen deiner Geliebten und unseren Mails.
Mails sind, so weit ich weiss, nicht fett- noch kariesbildend. Sie sind ziemlich ungefährlich, glaube ich.
Wünsche dir noch einen schönen Abend
Marlena

Samstag, 26. März 2016

Heute

Osterhexen


im Garten

 an alle lieben Leser

Glad Påsk


Frohe Ostern
 
Happy Easter

 
Joyeuses Pâques  

*


Täglich zum zweiten



Hör mal meine Marlena
Mit deinen vielen Texten über die Liebe, von der Liebe, in Liebe, willst du meine Gefühle anstacheln? Du willst wohl Öl ins Feuer giessen? Du willst mich verführen mit Rilkes Liebeslyrik? Willst du vielleicht, dass ich mich in platonischer Sehnsucht verzehre? Und dann auch noch Kästners mehrdeutige Geschichte über die Liebe und die Gardinen! Wohin wird das noch führen, wo wird es enden? Ich bitte dich, soll ich mich hier denn an Schokolade zu Tode fressen??
Marlena, sei ein bisschen vorsichtiger und schicke doch mal einen Text über die Zwietracht oder über einen tüchtigen Streit, oder sonst eine wilde und ärgerliche Sache!
*
Den berühmten Peter von Roten habe ich nicht geliebt, doch verehrt habe ich in. Ich habe regelmässig seine Kolumnen gelesen, die er in der Zeitung hatte. Er war über Jahre auch Politiker in Bern gewesen. Ich habe ihn einmal an einer Kunstvernissage sprechen hören. Er hat eine gute halbe Stunde frei und anregend gesprochen ohne einen Text oder die kleinste Notiz. Er hatte ein ungeheurer reiches Wissen. Er war anders als sein Bruder, der Vater meiner Freundin, der als Bauingenieur doch eher nüchtern war. Letzterer ist letztes Jahr gestorben und war auch ein Skorpion, nebenbei gesagt. In den paar Gesprächen, die wir zusammen hatten, hatte ich immer den Eindruck, wir würden uns gut verstehen. Er hatte den gleichen Jahrgang wie mein Vater, und in der Tat hatten die beiden früher in derselben Firma gearbeitet, mein Vater als Elektro- und er als Bauingenieur.
Mein Vater ist eben auch ein sehr nüchterner Mensch, ein technischer Mensch. Ich danke Gott, dass damals im Wallis, als ich ans Gymnasium kam, an der Schule noch keine technische Abteilung bestanden hatte. Es gab nur Abitur mit Griechisch und Latein, oder mit Latein und Englisch. Wäre das anders gewesen, dann hätte mich mein Vater bestimmt in die mathematische Abteilung gesteckt, und heute wäre ich irgend ein Ingenieur oder Techniker oder ein anderer homo faber. Ich danke Gott, dass das nicht geschehen ist. Ich bin doch nun ein barocker Mensch: ich mag barocke Feste, barocke Menues mit barocken Weinen, barocke Bilder inklusive barocke Frauen. Vielleicht mag ich sogar ein barock überladenes Schreibpult im Büro? Ich bin eben im tiefsten Herzen wohl ein sehr katholischer Mensch, das meint doch nur sinnlich und den Dingen dieser Erde zugetan. Vielleicht war ich in einem früheren Leben ein dicker Landpriester in schmutziger Sutane in Portugal, oder meinetwegen in Sizilien. Kennst du Rilke im Stundenbuch:

Ich habe viele Brüder in Sutanen
Im Süden, wo in Klöstern Lorbeer steht.
Ich weiss, wie menschlich sie Madonnen planen,
und träumen oft von jungen Tizianen,
durch die der Gott in Gluten geht.

Ja, sie planen ihre Madonnen wirklich sehr menschlich und erotisch und begeistern sich an Tizians glühender Farbenpracht, und sie nehmen den jungen Frauen die Beichte ab und erregen sich daran. Ach, wie schön menschlich ist doch die Welt, und vor allem auch die katholische Kirche, wo es stinkt vor Geld, vor Gezänke und vor Homophilie! Daraus liesse sich ein feiner Fellini Film machen! Diese Italiener sind nicht weit von den Persern entfernt. Vielleicht hat mich das einmal angezogen? Beide sind sie, wenn sie reich und elegant sind, auch sehr smart und schick und wohl auch furchtbar arrogant. Sie sind wirklich als alte Kulturnationen letztlich miteinander verwandt und immer auch ein bisschen korrupt.
Das wollte ich dir noch rasch sagen, an diesem Freitag, deinem Konferenzentag, wo du doch sicherlich etwas von der täglichen Verantwortung des Unterrichtes entbunden bist.
Morgen ist Samstag, und ich wünsche dir einen schönen und frühlingshaften!

...

Freitag, 25. März 2016

Kästners Kästner


das junge Paar


Liebe Marlena
Ach, das war eine Geschichte von Erich Kästner! An ihn hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht. Kästner war nun ja in der Tat einer, der viele heimliche und unheimliche Geliebten hatte. Zu Kästner, respektive zu seinem Sohn, kann ich dir eine kleine Anekdote erzählen.
Wir waren vor etlichen Jahren zur Hochzeit von Stefan Kästner eingeladen. Seine Braut war die Tochter einer Freundin meiner Frau, und weil die Hochzeitsfeier in der Nähe von Zürich stattfand, luden sie uns dazu ein. Kästner selbst war ja nun schon lange tot. Aber seine Frau, respektive Freundin, also die Mutter des Bräutigams war natürlich zugegen. Wir haben dem jungen Paar damals ein Bild geschenkt, das ich selbst gemalt hatte. Ich glaube zwar nicht, dass sie dieses Bild heute noch in ihrer Wohnung hängen haben. Aber immerhin haben sie damals gute Miene zu diesem etwas subjektiven Geschenk gemacht. Nun hat S's Freundin, also die Brautmutter uns erzählt, wie die ganze Familie vor dem Hochzeitstag auf Nägeln gesessen ist und in Angst und Spannung der Dinge harrten, die da kommen sollten. Denn alle fürchteten, dass Stefan Kästner im letzten Moment einen Rückzug machen würde, weil er sich vor einer wirklichen Bindung fürchtete. Er hat es dann offensichtlich nicht getan und das Paar bezog dann eine gemeinsame Wohnung in München. Der junge Käster arbeitete dort damals als Pianist. Seine Frau war eine hübsche Jüdin mit schwarzen Haaren, dunkeln Augen und einem Teint. Der Bräutigam glich überigens seinem Vater ziemlich stark. Vor allem die starken Augenbrauen, wie ich fand, waren wie die seines berühmten Vaters. Und er war scheu und war auch etwas klein, wohl wie es sein Vater gewesen sein musste.
Erich Kästner, den ich im Übrigen sehr schätze, hatte nun bestimmt seine Probleme mit den Frauen. Es ist bekannt - und sicherlich weißt du das auch Marlena - dass er einen echten Mutterkomplex hatte. Man kann das ja in seinen Kinderbüchern nachlesen, wie der Mustersohn sich um seine tüchtige und sich aufopfernde Mutter bemüht. Kästners Mutter, das muss seine unheimliche Geliebte gewesen sein. Noch in fortgeschrittenem Alter hat er ihr täglich geschrieben, täglich, meine Liebe, und hat ihr seine schmutzige Wäsche geschickt und über all seine Liebschaften offenherzig erzählt. Er konnte wunderhübsche, charmante Briefe schreiben, unser Erich Kästner. Und so hat er sein Leben lang nicht geheiratet. Ich habe mal ein Büchlein rezensiert, in welchem seine Freundin Kästners Briefe an sie und ihren Sohn aus dem Tessin veröffentlicht hat. Kästner hatte Alkoholprobleme und war im Tessin zur Kur. Allerdings hat er sich dort regelmässig den Whisky im Teeglas servieren lassen.
Diese Briefe, so kann ich mich erinnern, waren sympathisch und lebendig, wie man sich Kästner nun mal vorstellt. Aber eines hat mich gestört. Er hat seiner Freundin und Mutter seines Sohnes immer wieder Geld geschickt in kleinsten Portionen und hat immer wieder von diesem Geld gesprochen. Das fand ich echt kleinbürgerlich und irgendwie knauserig. Er war doch damals kein armer Mann mehr! Aber sonst ist er schon ok, unser Kästner, ein grosser Humanist und ein guter Pädagoge.
Es gibt eine eindrückliche Stelle in seinem biographischen Buch "Als ich ein kleiner Junge war", wo er beschreibt, wie für ihn das Weihnachtsfest stets eine Marter war. Die Mutter hatte Geschenke für ihn und der Vater hatte Geschenke für ihn. Und er als sensibles Kind hatte den Hochseilakt zu bestehen, seine Dankbarkeit und seine Aufmerksamkeit auf beide Elternteile gleichmässig zu verteile, um nicht den einen vor dem anderen zu vernachlässigen. Er muss das gewesen sein, was wir in der Familientherapie ein drianguliertes Kind nennen, also ein Kind im Dreieck mit seinen Eltern, parentifiziert und schwer mit Erwachsenenproblemen belastet. Es gibt ja heute noch die Hypothese, dass er vielleicht ein unehelicher Sohn, das Kind mit dem Hausarzt der Familie, gewesen sein könnte, dass also sein Vater, ein einfacher Handwerker, nicht wirklich sein Vater gewesen wäre. Aber, das wollen wir diesem guten Erich Kästner lassen, er hat das beste daraus gemacht. Seine Jugendbücher sind heute noch wundervoll zu lesen. Kürzlich gab es eine Fernsehsendung, in der einige ehemalige Geliebte Kästners zu Wort kamen. Sie sind heute alle Damen in hohem Alter und sehen nicht mehr allzu blühend aus. Aber alle haben über ihn mit viel Respekt und Begeisterung gesprochen, keine schien mir irgendwie enttäuscht oder beleidigt gewesen zu sein. Er muss sie wirklich verwöhnt haben und muss ein charmanter Liebhaber gewesen sein. Er wäre darin wirklich ein gutes Vorbild für mich.
Dass sich also Kästner in seiner Geschichte als Künstler mit einer deutlich jüngeren Frau beschäftigt, ist durch sein Leben gut motiviert. Ich denke, die Frauen waren ihm insgesamt etwas unheimlich und überwältigend. Und so ein junges hübsches Fräulein war leichter zu "apprivoiser", zu einem Teil seiner selbst zu machen. Er gibt seinem schweigsamen Fräulein zum Schluss der Geschichte unendlich viel Macht. Je weniger sie sagt, desto mehr ist er ihr ausgeliefert und mit ihr verstrickt.
Was sagen denn deine Schüler zu dieser Geschichte? Was sagen die emanzipierten jungen Schwedinnen und jungen Schweden zu einer solch ungleichen Paarung? Man kann die "Szenen einer Ehe"(das ist der deutsche Titel von Bergmans Film) schon im voraus riechen, die aus dieser Paarung entstehen werden, nicht wahr?
Und die Moral der Geschichte? Soll ich mich hüten, mich in Zukunft zu sehr in Texten, Gedanken und Erzählungen zu verausgaben? Vielleicht muss ich mich mehr zurückhalten, mich mehr auf die Zeichnung konzentrieren, und die grossen Worte beiseite lassen. Doch irgend einmal wird die Zeichnung zu Ende sein. Und dann werden wir sie über dem Sofa aufhängen. Über welchem Sofa, das wird dann die grosse Frage sein!
Weißt du, warum ich Zeichnen und Malen sosehr mag? Weil man dabei einen sogenannten "Flow" erleben kann. Ich vergesse die Zeit, ich kann so vertieft sein in das, was ich tue, dass ich in einen paradiesischen Zustand gerate. Es ist wie eine Ekstase, ein Art von Somnambulismus, oder wie kann man das nennen? Das gelingt nachtürlich nicht jedesmal. Manchmal bin ich auch sehr unzufrieden und verärgert, wenn mir das Werk nicht gelingen will. Das geschieht vielleicht noch häufiger als dieser Flow. Doch letzeres ist eine Art Jungbrunnen. Du fühlst dich nachher so, wie du dich nach der Sauna fühlst, oder nach einem Autogenen Training oder einer Akupunktursitzung. Du fühlst die ganze Leichtigkeit des Seins.
*
Rilkes Liebesgedicht aus Capri kenne ich, wenn vielleicht auch nicht so eingehend. Weißt du, was mir bei Rilke schon in meinen jungen Jahren stets gefallen hat, das ist dieses Ajambement. Ich glaube so nennt man das, diese poetische Gewohnheit Rilkes, den Hiatus in die Mitte der Zeile zu setzen, so dass dann die Sprache über den Reim hinwegfliesst. Das war Rilkes Spezialität. Für mein Gefühl erreicht er damit diese geschmeidige Kombination von Reim und Sprachfluss. Wenn der Reim und der Hiatus (nennt man das so, dieser kleine Unterbruch in der Zeile, dieses kurze Innehalten um Luft zu holen oder so??) zusammenfallen, dann gibt es so einen mechanischen und monotonen Rhythmus, wie bei Liliencron. Ich vermute, die so schwebende Sprachmelodie bei Rilke kommt daher. Lass mich dir auch ein Rilkegedicht zitieren, das mir sehr gefällt, weil ich dabei immer an meine beiden Töchter denken muss. Es geht so:

Die Schwestern
Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten
Anders an sich tragen und verstehen,
so als sähe man verschiedne Zeiten
durch zwei gleiche Zimmer geh n.

Jede meint, die andere zu stützen,
während sie doch müde an ihr ruht;
und sie können nicht einander nützen,
denn sie legen Blut auf Blut,
wenn sie sich wie früher sanft berühren
und versuchen, die Allee entlang
sich geführt zu fühlen und zu führen:
Ach, sie haben nicht denselben Gang.

Dazu muss ich sagen: Das letzte Wort des ersten Abschnitts schreibe ich geh n, weil mein Schreibprogramm das Wort stets korrigiert und "gehen" daraus machen will. Diese Computerprogramme sind echt stur und naiv, muss ich schon sagen! Offensichtlich haben sie nie was von Poesie gehört!!!
"die Allee entlang sich geführt zu fühlen und zu führen", dieses feminine üüüüü finde ich so zart schwebend und fein, dass es mich rührt, zusammen mit diesem bei Rilke häufigen Bild der Allee, des Weges an sich. Und dann diesen Schlusssatz, der alles wieder öffnet. Wenn man schon meint, man hätte die Wahrnehmung der Geschwisterlichkeit erfasst, so ist doch plötzlich alles wieder offen und überraschend und das Leben bricht herein.
Auch schön und festgefügt die Symmetrie der ersten und der letzten Zeile: Sieh, wie sie, .........Ach, sie haben .... Ich bin ja nun kein Literat und kann nicht erklären, was denn daran so genial ist. Es berührt mich einfach, und manchmal werde ich wirklich neidisch, wenn ich höre, wie er das sagen kann. Obwohl ich bei Rilke nicht wirklich höchst neidisch werde. Er ist dann doch etwas feminin. Aber beispielsweise bei John Updike (er muss Holland stämmig sein, wie ich annehme, und litt früher sehr an Neurodermitis, wie ich in einem Interview gelesen habe) oder in jüngeren Jahren gelegentlich bei Günter Grass (unser neuer deutscher Nobelpreisträger) konnte mich der blanke Neid überfallen, weil ich einen Gedanken, eine Beobachtung mitsamt ihrer Formulierung einfach genial und einmalig und unwiederholbar fand. Updike ist ja nun wirklich ein begnadeter Erzähler mit einem Charme und einer Eloquenz, die man nur beneiden kann. Grass ist dagegen etwas gröber und eckiger, wie die Deutschen nun eben mal sind.
Damit muss ich nun unser literarisches Kolloquium definitiv beenden. Es ist schon spät, aber nicht abends, wie bei dir meist, sondern morgens, und die Arbeit wartet ungeduldig auf mich.
Ich wünsche Dir alles Schöne, meine liebe Marlena
Gruss
...

PS Du hast es auch mitbekommen, dass wir eine wahre Marlene-Renaissance haben, mit der Verfilmung der Dietrich. Ist ein schöner Name "Marlena" (obwohl ich hier auf dem Laptop im Tempo und auf Anhieb immer Malrena schreibe), bei uns in der Schweiz praktisch nicht zu finden. In Deutschland wohl eher?


Donnerstag, 24. März 2016

Oh sweet song!





Blauer Geiger Marc Chagall



How shall I hold my soul and yet not touch
It with your own? How shall I ever place
It clear of you on anything beyond?
Oh gladly I would stow it next to such
Things in the darkness as are never found
Down in an alien and silent space
That does not resonate when you resound.
But everything that touches me and you
Takes us together like a bow on two
Taut strings to stroke them to the voice of one.
What instrument have we been lain along?
Whose are the hands that play our unison?
Oh sweet song!

(Rilke)
(Capri 1907)


*

Mittwoch, 23. März 2016

Besser spät ...



 Lieber ...!

Heute früh, auf dem Weg zur Arbeit, habe ich es deutlich gespürt. Ein ganz besonderes Licht, die Farbe des Himmels und die Bäume, immer noch Silhouetten, aber nun schon mit einem leichten lila Schimmer in den Kronen, deuten es an: Der Frühling ist unterwegs. Ich mag diese Zeit so sehr, diese Vorahnung von dem Schönen, das bald kommen wird. Noch weiss ich dass es eine Zeit dauern wird bevor es soweit ist, aber dann kommt plötzlich der Augenblick wo ich alles aufhalten möchte... noch eine Weile warten ...


Es ist so auch in dem Text von Erich Kästner den ich dir geschickt habe. Ich möchte nicht, dass das Bild fertig wird, ich möchte noch keine Gardinen... ich möchte den Mann weiter erzählen hören denn ich ahne was er damit meint und es ist schön ihm zuzuhören :-)

Eigentlich habe ich es dir aus keinem besonderen Grund geschickt (glaube ich). Aber unser Mailen hat mich an diese kleine Geschichte erinnert.. vielleicht weil er immer viel mehr sagt als sie ;-)

Wozu wir sie verwenden? Nur so zum lesen und uns über den Inhalt zu unterhalten. Es geschieht dann mit kleinen Gruppen von älteren Schülern die schon ein Bisschen besser Deutsch können.


Wie du siehst ist es wieder sündig spät geworden. Ich glaubte ich würde ganz frei sein heute Abend aber es kam anders und erst jetzt komme ich zum Schreiben. Mit grosser Spannung habe ich von deiner unheimlichen Geliebten gelesen und ich muss zugeben dass ich zuerst ein wenig eifersüchtig war auf sie ;-) Wer möchte nicht gern so schön und tief geliebt werden.. Und dann habe ich wieder herzlich gelacht weil du so lustig bist und aus Erleichterung, denn es freut mich dass ich dich nicht mit einem so attraktiven Wesen teilen muss.


Du schreibst mir so viel interessante Dinge und gern möchte ich alle beantworten. Ich tue es auch, aber meist nur in Gedanken.. und wie sollst du es wissen können.

Du hast ihn gern gehabt diesen lieben und berühmten Onkel deiner Freundin. Das kann ich verstehen. Es gab unter den Freunden meiner Eltern ähnliche Leute die ich nie vergessen werde. Sie veränderten geradezu meine Auffassung von den Menschen, vom Leben und sogar von der Ewigkeit. Denn du musst es zugeben: Es gibt Leute die ganz einfach nicht aufhören können zu existieren. Oder leben sie nur in uns weiter? Vielleicht ist das ihre Ewigkeit?

Eigentlich wollte ich heute ein längeres Mail schreiben.. aber es kommt nächstes Mal.


Ich kann es nicht sein lassen. Schicke dir noch ein Gedicht von Rilke. Dieses kennst du ganz bestimmt, aber vielleicht hast du es lange nicht mehr gelesen.


LIEBESLIED

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt?
Wie soll ich sie hinheben über dich
 zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied. 



*

Ich wünsche dir eine gute Nacht (oder einen schönen Tag)

Marlena

Dienstag, 22. März 2016

Re: ... oder doch?

Subject: folie à deux

Mein schweigsames Fräulein !

Die Geschichte ist mir gestern Abend immer wieder durch den Kopf gegangen. Sie erlaubt bestimmt unterschiedliche Lesarten und hat vieldimensionale und mehrstöckige Interpretationsräume. Und dazu kommt die spannende Frage, was du mir denn nun damit sagen wolltest?

Brauchst du die Geschichte wirklich in der Schule? Als Diktat, oder als Grammatikübung, für das Training der direkten Rede? Oder als Einführung in die Liebe? Wenn ja, mehr als Lehrstück oder mehr als Warnung? Als Argument eher für oder gegen die Jugend? Oder als Hinweis, dass oft alles mit harmlos erscheinenden Vorhängen beginnt? Wenn es überhaupt erst so spät anfängt!

Wer hat die Geschichte geschrieben? Ein Mann oder eine Frau? Ein junger Mensch oder ein älterer?

Ach, was kann ich dazu sagen? Das ist sozusagen beredte Schweigsamkeit, die du betreibst. Du sprichst nicht selbst, sondern du lässt eine Geschichte sprechen? Das ist raffiniertes Schweigen, stummes Sprechen. Und die Geschichte aus deinem Mund kann alles bedeuten, von der Kritik bis zur Liebeserklärung so ziemlich alles. Doch du, mein lieber „armer" Krebs, du bist keine Frau für vorschnelle Liebeserklärungen. Das bist du wohl nicht.

Es gäbe viele Analogien zu entdecken: Die stille Frau und der redsame Mann; die junge Frau und der gesetzte Mann; die Kindlichkeit und die Erwachsenheit; die Liebe als das grosse Thema unseres Lebens; die Kunst als die Lebensarbeit.

Einzig das Gefälle im Verhältnis von Kind und Erwachsenem in der Geschichte scheint mir etwas vormodern. Heute erfassen Kinder meist rascher, worum es eigentlich geht, als wir Erwachsenen. Sie sind – wie du das gesagt hast – unsere lebendigen Manuale. Kinder sind nicht länger hilfloser als Erwachsene. Das ist eine alte bürgerliche Vorstellung, die am Verschwinden ist. Es ist die Vorstellung von der Zerbrechlichkeit und der Schwäche der Kinder und der Jugend. Sie sind vorbei. Die Jungen sind daran, uns zu überholen. Bald müssen wir von ihnen lernen, und nicht mehr umgekehrt!

Dass der Sündenfall Evas und Adams eine Falschmeldung sei, das habe ich schon immer vermutet. Aber ist es nicht so, dass uns Falschmeldungen im Leben meist mehr beschäftigen als alles andere? Warum denn sollte uns der liebe Gott in einen solchen Hinterhalt laufen lassen? Ist er heimtückisch und böswillig? Oder gar neidisch? Dieser liebe Gott hat es von Anfang an darauf angeleg, davon bin ich überzeugt. Und dann hat er die Verantwortung auf uns arme Menschen abgewälzt. Aber das ist nicht sosehr das Thema der Geschichte!

*

Du fragst nach meinen unheimlichen Geliebten. Nun ja, ich habe eine, aber ich ...

Nichts Persönliches - oder doch?


Subject: Nichts Persönliches - oder doch?


Lieber ...!

Ein bisschen Literatur für den Abend. Es ist ein Text den ich manchmal in der Schule verwende. Vielleicht gefällt er dir auch.

Marlena

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Das schweigsame Fräulein

Sie war sehr jung, sehr unerfahren und sehr wissbegierig. Er war genau so wissbegierig, nicht eben unerfahren und fast zwanzig Jahre älter. Trotzdem hätte er von ihr manches lernen können; denn sie war, wenn auch ein Mädchen, eine Frau, und er, wenn auch ein Mann, ein Kind. Aber sie kamen nicht auf diesen naheliegenden Gedanken. Oder scheuten sie sich darauf zu kommen?

In den Tagen, da sie ihn heimlich besuchte, damit er ihr schönes Gesicht wieder und wieder zeichne, um den Zauber ihrer Züge aufzuspüren, sagte er gelegentlich: "Sie dürfen getrost sprechen, während ich arbeite. Ich will sie ja nicht photographieren. Reden Sie getrost, mein Kind."

"Ich bin kein Kind", antwortete sie dann ruhig. Und so redete er statt ihrer, indes sein Blick gespannt zwischen dem Gesicht und dem Block hin- und herwanderte. Sie schwieg, schaute ihn unverwandt an und sagte nur manchmal: "Aha." Oder: "Ja, ja." Oder: "So, so."

*

"Lesen Sie zuweilen Liebesromane?" fragte er eines Tages. Und als sie, wie gewöhnlich, schwieg, fuhr er fort: "Lassen Sie's sein. Man kann nichts daraus lernen, mein Kind."

"Ich bin kein Kind", sagte sie ruhig.

"Nirgendwo", sagte er, "wird so viel niederträchtig geheuchelt, nirgends werden Wirklichkeit und Wahrheit so kaltblütig unterschlagen wie in den Liebesromanen. Wenn ein Schriftsteller beschreiben will, wie jemand jemanden umbringt, oder in kleine Stücke schneidet, oder sich selbst aufhängt, oder eine Stadt anzündet, oder ein Tier quält, sind seiner Genauigkeit keine Grenzen gesteckt. Niemand käme auf die Idee, ihm seine Gründlichkeit zu verübeln. Keine Behörde würde versuchen, sie ihm zu verbieten. Manche Romane sind wahre Handbücher für angehende Räuber und Mörder. Unterfängt sich aber ein Dichter, Dinge der Liebe zu schildern, die ja doch das grösste, wenn nicht das einzige Glück für uns Menschen bedeutet, ist er so gut wie verloren. Er täte besser, sich umzubringen, bevor es die anderen tun. Das Scheusslichste darf er entschleiern. Das Schönste mit Worten auch nur anzudeuten, ist ihm verwehrt. Es dennoch zu versuchen, wäre Todsünde. Die Grundlagen des Staates, der Kirche und der Gesellschaft würden sonst wanken. Und die Gebäude, die darauf errichtet worden sind, müssten einstürzen wie Kartenhäuser. Die Hüter der Konventionen zittern Tag und Nacht vor der elementaren Gewalt des Glücks und der Liebe."

Sie sah ihn unverwandt an und murmelte: "Aha."

*

"Im Grunde", sagte er ein andermal, "ist es zwei Menschen, die sich lieben oder sich doch zu lieben glauben, völlig unmöglich, einander wahrhaft nahezukommen. Vermutlich werden Sie diese Behauptung bezweifeln, mein Kind."

"Ich bin kein Kind", erwiderte sie sanft.

"Ein französischer Dichter unserer Tage", fuhr er fort, "hat die Unmöglichkeit, einander vollkommen zu begegnen, in einer recht düsteren Allegorie zu anschaulichen versucht. Jeder der beiden Liebenden, meint er, sei wie in einem groben Leinensack eingenäht, so dass er nichts sehen und sich kaum bewegen könne. In dieser betrüblichen Verfassung stünden sie sich nun gegenüber, spürten die beglückende Nähe des anderen, fühlten die Welle der ans schmerzliche grenzenden Zuneigung, sähen Dunkelheit, Leinwand rühre täppisch an Leinwand, unbeholfen und unzulänglich, und keiner der beiden wisse eigentlich, wer denn nun und wie in Wahrheit der andere sei.

- Der Vergleich klingt nicht sehr poetisch und nicht gerade tröstlich, aber ich befürchte, dass er zutrifft. Es heisst in der Bibel, dass schon Adam und Eva den Apfel vom Baume gepflückt und verzehrt hätten. Ich halte das für eine Falschmeldung. Man hat nur vergessen, sie zu dementieren. Er hängt noch immer hoch oben im Baum, der geheimnisvolle Apfel, und ist den Menschen ewig unerreichbar."

Sie schaute ihn unverwandt an und sagte leise: "So, so."

*

"Man verfällt nur allzu leicht - was man doch längst weiss, vergessend - der Meinung", sagte er eines schönen Nachmittags, "die hierzulande offizielle Ächtung der Liebe sei alt wie die Welt. Wie aber verhält es sich denn wirklich? Wurde die Liebe immer und wird sie etwa überall versteckt, als sei sie eine Sünde und Schande? Als gehöre sie ins Gefängnis, und man täte recht, von ihr zu schweigen wie von einer Verwandten, die silberne Löffel zu stehlen pflegt? Es war nicht immer so, das weiss jedes Kind."


"Ich bin kein Kind", antwortete sie ruhig.


"Es war nicht immer so", wiederholte er. "Denken Sie nur an die alten Griechen, die der leiblichen Schönheit in den Tempeln anbetend huldigten. Es war und ist nicht überall so. Denken Sie nur an die indischen Lehrbücher der Liebe. Und vergessen Sie nicht die natürliche, offenherzige Auffassung des Japaners, die er von Dingen und Vorgängen hat, die man im heutigen Abendlande in geradezu kindischer Manier totschweigt oder unappetitlich bekichert. Wie aber, frage ich, kann man denn aufrichtig vom seelischen, vom himmlischen Anteil der Liebe sprechen, wenn man die irdische Liebe verachtet, ächtet, und sich ihrer schämt? So wird nicht nur ein Teil, so wird das ganze zur Lüge."

Sie blickte ihn unverwandt an und sagte: "Ja, ja."

*

So und ähnlich redete er, während er sie immer und immer wieder zeichnete. Und so und ähnlich schwieg sie dazu. Bis dann jener Nachmittag nahte, da er, den Kopf schief haltend, die letzte Zeichnung prüfte, dem Blatt ein wenig zunickte und sagte:

"Besser kann ich's nicht, mein Kind."

Sie schwieg.


"Es wäre leichtfertig", fuhr er fort, "Sie weiterhin um Ihre Besuche zu bitten. Die Zeichnung ist, an meinem Talent gemessen, nicht übel. Wollen Sie sich das Blatt ansehen, mein Kind?"

Sie stand schweigend auf und trat hinter ihn.

Er räusperte sich. Dann fragte er: "Darf ich's Ihnen schenken - mein Kind?"

"Nein", sagte sie. "Wir hängen es dort drüben übers Sofa."



Er drehte sich erstaunt zu ihr um. Sie lächelte ein wenig, blickte sinnend von einem Fenster zum andern und meinte: "Neue Vorhänge sollten wir besorgen.

Wenn es - dir recht ist."

Er sah sie unverwandt an und murmelte, nach ihrer Hand greifend:

"Oh, ich Kind."


Montag, 21. März 2016

Bonne nuit!


Lieber ...!

Bin im Moment schwer überlastet mit Arbeit und finde nicht die nötige Ruhe zum Schreiben. Dagegen denke ich viel und gern an dich und alle Themen die du in deinen Briefen berührst. Deine Worte "arbeiten" in mir und wie soll ich mich dagegen wehren können?

Schön wie du dein Büro beschreibst.. nun kann ich dich richtig vor mir sehen wenn du am arbeiten bist. .."wo es Abstellflächen gibt da stelle ich auch etwas ab.." Ich habe wieder herzlich gelacht. Du hast wirklich Humor. Anna weiss bereits was los ist wenn sie mich irgendwo im Haus plötzlich lachen hört. Nun, leider bin auch ich so dass ich gern was abstelle.. und so sieht es hier zeitweise garnicht aus wie in dem wohlgepflegten Heim eines Krebses :-)..Ich komme einfach nicht nach.. Sorry! Man müsste auch den Krebs analysieren und herausfinden wie er ist wenn er in ein falsches Milieu gerät. Aber das wäre eine ganz andere Geschichte.

Die Anekdote mit dem Hufeisen hat mir sehr gefallen.

Du musst eine interessante Person im Gesellschaftsleben sein. Ich bedaure sehr dass ich dich nicht von nahe beobachten kann und dir zuhören.

Es ist spät und ich muss weiterarbeiten. Eigentlich möchte ich was anderes tun:

"Ich möchte jemanden einsingen
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte jemanden kleinsingen
und begleiten tagaus und tagein.."


So ähnlich geht es jedenfalls..
Kennst du es? Unser lieber Rilke.

Wünsche dir eine gute Nacht

Je t'embrasse
Marlena

Kapitelwechsel - mein Büro




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Meinen Vortrag habe ich noch nicht gehalten. Er ist auch noch nicht ganz bereit. Im Moment haben wir noch Fasnachtsferien und alle Basler sind mehr oder weniger verrückt. Ich aber sitze in dieser Zeit am liebsten im Büro. Jetzt ist es schön ruhig. Und in den letzten Tagen konnte ich einige meiner „stinkenden Leichen" aufräumen und desinfizieren. Es sieht schon viel besser aus hier in meinem Büro, und ich kann wieder etwas atmen. Ich kann dir mal mein Büro beschreiben:

Wenn du von unserem Wartezimmer hereinkommst, schaust du direkt auf die Fensterfassade. Von hier aus sehe ich auf den Platz hinunter, der fast mitten im Städtchen ist. Hier gibt es immer etwas zu sehen, und wenn ich an irgend einer Frage herumdenke und überlege, dann stehe ich am Fenster und schaue hinunter. Und nicht selten sehe ich natürlich von meinem Hochsitz (2. Stock) Leute, die ich kenne. Ich kann dann nur hoffen, sie sehen mich nicht. Sonst denken sie nämlich, ich würde nichts arbeiten und bloss den halben Tag zum Fenster hinaus schauen. Wenn du also hereinkommst, siehst du direkt zu den Fenstern hinaus auf das alte Stadtzentrum mit einer frühgotischen Kirche und einem Stadtturm. Es ist ein ziemlich hübsches Städtchen, aber die Leute sind ziemlich kleinkariert. Wenn du jetzt also unter der Türe stehst, die etwas rechts von der Mitte der Wand hereinführt, dann siehst du in der rechten Ecke mein Pult und in der linken Ecke eine kleine Sitzgruppe mit rundem Tisch. Die Farbe oder Holzart des Pultes kannst du nicht – immer noch – nicht erkennen, denn das Pult ist schwer beladen mit Akten und Papieren und Blättern uns so weiter. Das Pult steht etwas schräg im Raum, damit es nicht so schwer wirkt. Und über dem Pult hängt ein riesiges Bild von Basel, ein Bild aus dem Jahre 1935, das aber ziemlich modern wirkt. Man sieht den Rhein und ein Dampfschiff und die Wellen und ein sehr aufgewühlter, wolkiger Himmel. Man denkt an Gewitter oder Regen. Es ist ein bisschen dramatisch gemalt. An der Wand in deinem Rücken steht mein Büchergestell. Hier sind meine privaten Bücher, die meisten sind noch von der Universitätszeit, aufgereiht. Das Büchergestell platzt aus allen Nähten, denn ich habe zu wenig Platz oder zu viele Bücher, wie man es auch drehen will. In der Ecke habe ich einen Schaukelstuhl, wie ihn einmal John F. Kennedy in seinem Büro gehabt hatte. Ich habe ihn mir organisiert, weil es heute so viele hypermotorische Kinder gibt, die nicht still sitzen können. Lieber laß ich sie schaukeln, als dass sie mir die Wände hochklettern, habe ich mir gesagt. Und seither steht dieser Stuhl hier in der Ecke. Manchmal lese ich dort und lehne mich weit zurück und packe meine Füße auf den kleinen runden Tisch. Das ist nicht unbequem. Entlang der linken Wand zum Fenster hin habe ich zwei Aktenschränke mit einem Aufbau. Diese Seite ist überbepackt mit Jugendbüchern, die ich hier zur Dekoration aufgestellt habe. Es sieht hier aus wie in einem Buchladen, und wenn Leute in mein Büro kommen und diese Wand sehen, dann fangen sie meist mit grossen Augen an zu strahlen. Am Fenster vorne links steht mein Computer. Hier schreibe ich meistens. Das Laptop mit dem Internetanschluss habe ich allerdings auf einem kleinen mobilen Boy direkt am Fenster. Hier sitze ich zum Beispiel wie im Moment nach dem kurzen Mittagessen, um die Mails durchzukabeln. In der Mitte vor dem Fenster steht eine grosse Pflanze, die mir meine Mitarbeiter vor ein paar Jahren geschenkt haben. Es sieht aus wie eine Palme, oder vielleicht doch eher wie Zuckerrohr?. Sie trennt den PC Sitzplatz vom Pult. Das wirkt nicht schlecht so. An den Wänden hängen 4 Bilder, die alle vom selben Maler sind. Sie sind nicht absolut meine Lieblinge, aber sie waren diejenigen, die ich im Archiv hatte finden können. Mindestens schaffen sie eine gewisse Einheit und sie sind von einem Maler, der mindestens hier in der Region bekannt war. Das Problem meines Büros liegt darin, dass ich viel Abstellfläche habe. Und das ist mein Fluch. Denn wo es Abstellflächen gibt, da stelle ich auch etwas ab. Ich kann die Arbeiten und Aufgaben, die noch nicht beendet sind, nicht in Schubladen oder Kasten versorgen. Ich würde sonst befürchten, sie zu vergessen. Ich muss sie immer wieder sehen. Ich muss mich durch sie mahnen lassen. Und so liegt einfach alles, was im Moment ob ist, liegt einfach herum. Meist finde ich es wieder. Manchmal nach längerem Suchen. Manchmal gar nicht mehr!!

So also sieht es bei mir aus. Und hier verbringe ich die 10 bis 12 Stunden pro Tag. Natürlich habe ich noch jede Menge privater Kleinigkeiten hier, Fotos, Cartoons, alte Pfeifen, eine Schale voller Bälle (vom Golfball bis zum Baseball Ball, inklusive Boule oder Petaingue (schreibt man das so?), ein Bild der Nofretete, jener ägyptischen Statue, die ich diesen Winter in Berlin gesehen hatte. Normalerweise habe ich auch ein Radio hier und kann in ruhigen Zeiten CDs hören. Aber zur Zeit habe ich meinen Apparat einem Onkel ausgelehnt, damit er mit seinen 92 Jahren noch etwas Beethoven-Symphonien hören kann. Es war sein wunsch. Aber wenn ich richtig ausgerüstet bin, kann ich hier meine französischen Chansons hören. Oder ich höre sehr gerne Chopins Klavierstücke oder Schubert. Nun ja, das ist Romantik, wie könnte ich das verleugnen?

Ich muss enden, meine liebe Marlena. Die Zeit ist rasch um und ich muss hier noch einiges tun. Ich hoffe, bald von dir zu hören. Mach es gut, mein „armer Krebs". Denn so arm bist du wirklich nicht.

Ich küsse dich

Sonntag, 20. März 2016

meine astrologischen Erkenntnisse


Subject: Bon soir

Mein „armer" Krebs

Das „arm" stammt von dir, nicht von mir, meine liebe Marlena. Vergiss das nicht.

Wie du, so habe auch ich mich in die Literatur gestürzt und die Horoskope studiert und analysiert und interpretiert. Wie du so habe auch ich einige ganz phantastische Erkenntnisse ans Licht befördert. Wie du, so fange auch ich an, „wissenschaftlich" mit dir zu korrespondieren. Wir müssen die Sache auf den Punkt bringen. Es soll endlich Klarheit herrschen. Unsere Tagebücher und Gute-Nacht-Geschichten sollen allmählich substanziellen Gehalt und Wahrheit transportieren, nicht bloß subjektive Vermutungen und individuelle Ahnungen. Und dann wird alles gut werden.

Wie du, so habe auch ich festgestellt, dass wir ein wunderbares Team wären oder sind (was soll ich jetzt sagen?). Wir würden eine erfolgreiche Firma abgeben, meine Liebe, es ist wirklich ganz phantastisch. Krebs und Skorpion passen wirklich so gut zusammen, eine Idealpaarung geradezu, so dass man uns verbieten muss, dass wir zufälligerweise zur selben Zeit am selben Ort verkehren, beispielsweise im ST!!. wir würden uns gegenseitig in die Arme laufen. Kein Mensch auf dieser Welt könnte die Verantwortung für ein solches Ereignis übernehmen. Es ist, wie du immer wieder sagst, wir leben gefährlich, wir leben haarscharf am Abgrund und wir müssen unsere ganze Aufmerksamkeit darauf verwenden, nicht in einem Duett abzustürzen.

Unsere einzige Rettung ist eigentlich, dass du als Krebs ein ungeheuer treues und anhängliches Wesen bist. Du lässt dich keinesfalls auf Abenteuer ein. Du bist so häuslich und hängst sosehr an Vergangenheit und am Bisherigen, dass du dich nicht auf irgendwelche französische Eskapaden einlässt. Als Krebs, soviel ist mir klar geworden, bist du so solide und loyal, dass du dich niemals dahin reißen ließest, mit einem leeren Whiskyglas auf dem Tisch zu tanzen. Niemals. Never in life! Als Krebs bist du geradezu geschaffen für ein schönes und ruhiges bürgerliches Leben im trauten Heim mit deinen Lieben. Man soll dich da nicht provozieren und vertreiben wollen. Soviel ist mir klar, meine Liebe.

Es ist merkwürdig, fast alles, was ich über den Krebs gelesen habe, habe ich über dich schon irgendwie gewusst, oder geahnt, oder irgendwie fantasiert. (Nun ja, vielleicht überschätze ich mich ex post ein bisschen??) Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass du sehr loyal bist, dass die Familie dein ein und alles ist, dass du sehr viel Wert auf Häuslichkeit legst (hast du selbst gesagt), dass du dich nicht auf Eskapaden erotischer oder anderer Natur einlässt (hast du selbst angedeutet), dass du eine elegante Zurückhaltung lebst (hast du oft gezeigt), die mit Diskretion (hast du selbst geschworen) einhergeht, dass du eine gute Erzählerin bis (wenn du Zeit hast; hast du mehr als bewiesen), dass du etwas von deinen Stimmungen abhängig bist (nun ja, wer ist das nicht?), dass du in deiner Liebe zur Natur Bescheidenheit, Heiterkeit und Mitgefühl beweist (hast du mir deutlich erzählt), dass du keine Gefühle vortäuschen willst oder kannst (habe ich festgestellt bei Pariser Fantasien), dass du keine männlichen Draufgänger magst, sondern eher rücksichtsvolle und behutsame Typen (hast du indirekt ziemlich klar gesagt), und dass du auf Komik hell und heftig lachen kannst (hast du mir bewiesen bei der Szene „Mann in Küche"). Also, ich habe wirklich wenig Neues gelesen über den Krebs, denn ich habe dich schon gekannt. Über den Skorpion habe ich vielleicht mehr neues gehört!

Natürlich bin ich sofort meine Bekannten und Freunde nach Krebsen durchgegangen. Ich habe echt im trüben Wasser nach Krebsen getaucht. Doch ich muss zugeben, bisher hatte ich in Horoskope so wenig Interesse gefunden, dass ich nicht weiß, ob ich noch andere Krebse kenne. Im Moment bist du mein einziger Krebs. Und ich bin fasziniert, wie gut wir zusammen passen. Ich passe besser zum Krebs als zum Stier, wie ich schwarz auf weiß festgestellt habe! Stell dir mal vor, Marlena. Wie soll ich dies meiner Frau nur beibringen? Es ist sensationell. Es könnte eine ganze Ehe durcheinanderbringen. Und wir könnten wirklich zusammen eine Internet-Firma gründen und Kinderbücher produzieren, schwedisch-deutsche Gutenachtgeschichten oder – weiß der Himmel – Rilke-Sonette oder Postkarten mit platonischen Liebesgrüssen unter die Leute vertreiben. Du müsstest einfach auf meine Leidenschaft (sprich Verrücktheit) achtgeben. Darfst mich nicht zu sehr zwicken oder verletzen, weil ich ja sonst offenbar Gift speie – wie schrecklich – über 3000km weit und in einem hohen Bogen, wie man sich leicht vorstellen kann. Und ich werde dich ganz behutsam an der Hand nehmen, wie du es gerne magst, und deine großen mütterlichen Fähigkeiten genießen. Und so wird unsere schwedisch-schweizerische Koproduktion ein Erfolg werden. Darauf kannst du zählen, meine Liebe.

Soweit meine astrologischen Erkenntnisse. Ich habe sie – gewollt oder ungewollt – etwas ironisch formuliert, weil ich nicht genau weiß, was ich dabei glauben soll. Mann muss ja nur genug daran glauben, dann wird es schon stimmen. Kennst du diese wunderbare Anekdote über Nils Bohr, den berühmten dänischen (so glaube ich) Atomphysiker? Er hat Leute in sein Landhaus eingeladen. Und die Gäste haben sich gewundert, warum er über dem Eingang ins Haus das Hufeisen eines Pferdes angebracht hat. Solche Hufe gelten bekanntlich als Glücksbringer. Und sie haben Bohr gefragt, ob es denn wirklich so sei, dass er als Naturwissenschafter an solche Dinge wie ein Hufeisen glaube?? Und Nils Bohr, weise wie er war, hat gesagt: „Nein, ich selbst glaube natürlich nicht daran. Aber es gibt Leute, die sagen, es helfe auch bei jenen, die nicht daran glauben!".

Intelligent gesehen, nicht wahr? Ist eine meiner Lieblingsanekdoten, ganz einfach, weil sie mehrdimensional und vielstöckig ist. Sie ist wirklich sehr weise und köstlich zugleich!

So steht es also in den Sternen, dass wir im ST aufeinander fallen mussten. Es gibt wohl wirklich keine Zufälle, und nun kleben wir hier im E-mail zusammen. Und du gräbst jeden Abend, unter Lebensgefahr, wie du sagst, nach Gold. Und ich sitze hier in Basel und hoffe, dass du es auch findest.

Kapitelwechsel
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Gute Nacht!


Subject: Gute Nacht!

Date: Mon, 13 Mar 2000 22:46:46

Lieber ... !

Ich habe bis jetzt gearbeitet und bin zum Umfallen müde. Aber ich muss dir doch schnell für deinen wunderschönen langen Brief danken.
Ich fühle mich wie ein Goldgräber der plötzlich einen richtigen Fund gemacht hat und nun Angst hat jemand könnte es entdecken und ihn womöglich sogar umbringen um an den Schatz ranzukommen.. ;-)))

Ich schreibe dir bald ein längeres Mail. Bis dahin wünsche ich dir alles Gute
Marlena

Nicht schlecht dieses Horoskop, oder?

Der Skorpion 24. Oktober bis 22. November

Hat zumeist ein liebenswürdiges, aber tiefgründiges Wesen. Ihm kann man nichts vormachen; er wird sehr schnell herausfinden, ob die Gefühle echt sind oder gespielt, die man ihm entgegenbringt. Eine Beziehung mit ihm ist nicht immer einfach, da er in seiner Sensibilität sehr verletzt reagieren kann. Dann speit er Gift. Er muss aufpassen, dass er dabei nicht zerstört, was ihm so wichtig ist. In der Liebe fordert er totale Hingabe, weshalb wohl kein anderes Sternzeichen so tiefe Erlebnisse ermöglicht, wie der Skorpion. Er ist ein leidenschaftlicher Liebespartner, aber er wird immer wieder loslassen müssen, sonst wird die Beziehung mit ihm zum Gefängnis.

Freitag, 18. März 2016

Gedanken über das Chatten (Honni soit (3)

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Du siehst, meine liebe Marlena, ich bin sehr grosszügig. Ich gebe dir die Möglichkeit, kurze Mails zu schreiben, aber ebenso die Möglichkeit, lange Mails zu hacken. Aber – unter uns – ich mag die längeren lieber. Und wenn du siehst, wie ich mich heute, nach deinen drei Mails, ins Zeug lege und abrackere und schreibe und schreibe und schreibe, so merkst du, dass für jedes deiner Worte etwa 10 zurückkommen. Jedes Wort bezahlt sich zehnmal aus. Ist das nicht eine stattliche Rendite? Davon können die modernen share holder nur träumen, von 1000% Gewinn. Das muss doch einfach jede schwedische Muse umwerfen! -- ;-)), wie du zu tippen pflegst --.


Was war unsere Kapitelüberschrift? Richtig, ich bin gerade dabei, dich für unschuldig zu erkläre, auch wenn du gelegentlich sündhaft kurze Mails hintippst, mehr gechattet als wirklich geschrieben, mehr Andeutungen als wirkliche Mitteilungen, eigentlich Gesten statt tatsächliche Handlungen. Überigens ist Chatten keine Schwäche von mir. Ich habe es eine zeitlang (neue deutsche Rechtschreibung: „eine Zeit lang") versucht, um – sozusagen beruflich - herauszufinden, was junge Leute daran finden. Ich kannte es vorher absolut nicht. Und welche Erfahrungen habe ich gemacht? Nun ja, was soll ich sagen? Es gibt den Sonntag-Nachmittag Chat. Ich nenne das, ironischerweise, den Babystrich. Da sind junge Mädchen am Werk, die sind manchmal süss und manchmal sehr beschränkt. Meist chatten sie über Banalitäten, mindestens soweit ich das mitbekommen habe. Dann gibt es den Montag-Abend-Chat. Der ist überbelegt, weil alle frustriert sind Montag abends und sich gegenseitig etwas streicheln und küssen möchten. Ich habe festgestellt, dass Büroleute im Vorteil sind beim Chatten. Sie sind schneller im Schreiben und wirken damit etwas cleverer und intelligenter, als sie vielleicht wirklich sind. Es gibt dann die Jungen, die in Schweizerdialekt chatten. Das ist modern, meine Töchter schreiben ihre Mails auch in Dialekt. Aber sie chatten nicht im ST, soweit ich weiss. Zwischendurch gibt es einige wenige Personen, die sehr witzig und rasch und clever chatten. Da macht es dann sogar ein bisschen Spass. Aber schnell wollen sich die Leute schliesslich persönlich kennenlernen. Sie schicken Fotos und so weiter. Ich finde, das verdirbt den Reiz. Der Chat ist bloss deswegen reizvoll, weil man sich nicht kennt. Die Fantasien spielen eine grosse Rolle. Das Ganze lebt eigentlich von Fantasien, von frustrierten und von übersteigerten. Es ist ja doch die absolute Verstellung. Männer geben vor, Frauen zu sein, Alte als Junge, Verheiratete als Ledige und alles auch umgekehrt. Man darf und kann fast nichts glauben, denke ich. Und das ist es dann auch. Du wenigstens, liebe Marlena, kannst behaupten, du chattest um Deutsch zu üben. Obwohl das Deutsch-Niveau im ST nicht sonderlich hoch ist, unter uns gesagt. Aber damit hast du zumindest eine gute Begründung. Ich habe absolut keine. Ich darf eigentlich gar nicht chatten. Mailen ok, aber nicht chatten!

Kapitelwechsel

Ich werde also die Krebs-Skorpion Variante in allen Aspekten studieren. Allerdings kann ich nicht auf deine schwedischen Quellen zurückgreifen. Das ist mir dann schon etwas zu umständlich in deiner Muttersprache. In alten Zeiten hat mir eine Freundin einmal ein Buch über die Sternzeichen geschenkt. Das werde ich hervorsuchen, wenn ich es noch finde. Und ich werde dir dann haargenau mitteilen, welches unsere Chancen und unsere Risiken sind, Marlena, welches die erogenen Zonen und die geheimen Träume und die Lieblingssteine und was auch immer, sieh dich also vor! Damit werden wir die Architektur unseres Maus-Freundschft auf ein solides Fundament stellen. Wenn man üblicherweise sagt: „Der Berg hat eine Maus geboren", so werden wir hier sagen „Die Maus wird einen Berg gebähren". Ich sag es dir, Marlena, du wirst noch staunen!

Ich muss jetzt aufhören, meine Liebe, sonst bringe ich Dich arg unter Leistungsdruck. Doch lass dich nicht beeindrucken, Marlena!

Ich umarme dich auch bei kurzen Mails, bei langen drücke ich dich - pardon madame