Mittwoch, 29. Januar 2025

Wieder mal

 29/1   (Jahr 6)

Liebe Marlena

Ich sitze wieder mal im Büro und schreibe an einem FU-Konzept. Wenn ich Dir meine bisherigen Entwürfe senden würde, Du hättest ein paar Tage zu lesen und zu beissen. Aber es ist alles nicht halb so interessant und eigentlich ziemlich langweilig. Ich bin auch nicht so besonders geeignet, ein solches Konzept zu schreiben. Ich bin kein Konzeptschreiber. Ich schreibe lieber Texte über andere Dinge, die, wenn es gelingt, etwas fantasievoll sind und die Leser zum Schmunzeln (manchmal vielleicht auch zum Weinen) bringen. Aber eben, bei der Arbeit braucht man kaum solche Texte. Konzepte müssen klar und rundum durchdacht sein. Ach, das ist meine Sache nicht. Und ich bin gespannt, wie die Leute nächste Woche auf meine Versuche reagieren werden.
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Ich bekomme hier von allen Seiten Komplimente, weil ich offenbar von Aegypten einen braunen Teint mit zurückgebracht hätte. Ich habe das selbst kaum bemerkt. Ich mag es nicht besonders, in der Sonne zu liegen. Und ich hatte ständig meine weisse Baseball-Mütze, jene mit dem ausladenden Vordach, welches die Nase vor der Sonne schützt. Aber offenbar ist die Sonne von allen Seiten durchgedrungen.



Es ist schon alles wieder ziemlich weit weg, was wir in Aegypten erlebt haben: das schöne, dunkelblaue Rote Meer, die wundervollen Paradiesfische, die riesigen Steinhaufen von Pyramiden, mit deren Steinen man ganze Kleinstädte aufbauen könnte, die lustigen Kamele, die auf uns immer so exotisch und ein bisschen überheblich wirken, das fantastische Hotelbuffet mit den unzähligen Gerichten und Gewürzen und Früchten und Süssigkeiten. Wir hatten im Hotel ein Schweizer Ehepaar kennengelernt, die aus der Gegend von Luzern stammen. Und zum Schluss der Ferien hatten wir verabredet, dass die sich zuerst melden würden, die ihr Normalgewicht wieder erreicht haben. Ich kann Dir flüstern, Malou, sie haben sich noch nicht gemeldet. Und ich selbst bin auch noch ein gutes halbes Kilo daneben. Nur S hat, so glaube ich, ihr normales Fliegengewicht längst wieder. Aber die Wette war pro Paar, nicht pro Einzelperson. Und so liegt es ganz bei mir. Aber das Luzerner Paar ist ein bisschen älter als wir und beide sind ziemlich schlank. Ich glaube, sie haben vielleicht nicht den Mut, wirklich auf diese Wette einzugehen. Wahrscheinlich haben sie ihre Normgewichte längst wieder erreicht. Sie sind auch beide ziemlich sportlich. Er besonders, sie wohl in Anpassung an ihn. Na ja, da kann ich schwerlich mithalten.

Und schon bald werden wir hier wieder 14 Tage Schulferien geniessen. In einer Woche ist es soweit. Dann fahren viele Familien in die Berge zum Skifahren, wo es zur Zeit sehr viel Schnee gibt. Und die anderen gehen an die Basler Fasnacht. Die findet immer in der zweiten Ferienwoche statt. Und dabei sind alle Basler aus dem Häuschen. Nicht so wie die Deutschen es sind in ihrem Karneval. Die Basler Fasnacht ist eher nobel und sehr diszipliniert. Eine katholische Fasnacht ist ein Chaos dagegen. Im Wallis gab es damals kaum eine Fasnachts-Tradition. Man sah bloss am sonnig-kalten Nachmittag ein paar Kinder in farbigen Kleidern und mit rot gemalten Bäcklein im Gesicht. Daneben brav ihre Mütter, die zum Rechten sahen. Aber lustig war das bestimmt nicht wirklich. Nur abends gab es dann die Fasnachtsbälle, wo die Walliser Frauen hinter den Masken mal aus sich heraus konnten. Das war natürlich für uns Gymnasiasten ziemlich aufregend, zur Abwechslung für einen halben Abend einer gestandenen Frau ein bisschen am Busen herumdrücken zu können. Aber die Bälle waren geschlossen und kosteten Eintritt, so dass wir da nur ausnahmsweise auftraten. Und das war es dann auch schon. Nichts Umwerfendes. Schon war wieder Aschermittwoch und alle redeten vom Fasten und vom Gebot, dass man sich mit Bier und Wein zurückhalten sollte. Da gingen wir wieder auf die Kunsteisbahn, spielten Eishockey und vergassen die Sache rund um Fasnacht und Fasten.

Und jetzt muss ich wieder an mein Konzept. Es entwickelt sich leider nicht von allein. Man muss es richtig hämmern und schlagen.
Ich wünsche Dir mit Deiner Familie ein schönes Wochenende.
Mit lieben Grüssen

...

Dienstag, 28. Januar 2025

Fortsetzung: In einem Wüstendorf


Liebe Marlena
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Das ist auch persisch, dieses Spiel. Sie bieten dir was an, und du geniesst die Geste, aber du denkst nie im Leben daran, es auch zu akzeptieren. Du könntest es annehmen. Aber du denkst nicht daran. Und der andere, der es dir anbietet, denkt eigentlich auch eher, dass du es nicht nehmen wirst. Er meint es eher als freundschaftliche Geste. Aber wenn du es nimmst, ist er auch glücklich, dass er dir etwas offerieren konnte. Wir haben in diesen Dörfern immer privat gegessen. Meist haben sie Brot und Käse serviert, vielleicht noch Früchte. Zum Schluss Tee. Exklusiv war ein Ei. Da haben sie aber immer angedeutet, dass sie nicht viele Eier hätten. Und nach dem Essen hatte der Dolmetscher den Auftrag, zu fragen, wieviel wir für dieses Essen schuldeten. Niemals wollten sie Geld. Sie haben sich standhaft gewehrt. Und so haben wir das Geld stets nach dem Essen unter die grosse Metallplatte gesteckt, auf der sie serviert haben. Wir haben ja immer auf dem Boden gesessen. Und ich bin überzeugt, sie waren sehr froh, wenn sie später das Geld dort entdeckten. Sie sind wirklich sehr arm und genügsam, und dabei so höflich und bescheiden, dass wir Europäer das fast nicht begreifen. Doch man darf das nicht als persönliche Qualität verstehen, es ist nicht die Persönlichkeit des einzelnen, es ist die Ordnung in der Gesellschaft. Und sie ist auch sehr hart, wie du aus dem Buch von Mamoody entnehmen wirst. Jeder, der diese Regeln nicht akzeptiert und mitmacht, wird spüren, wie stark die Konvention ist. Es ist wie ein grosses Räderwerk, das dich auch erdrücken kann.
In einem Dorf kann eine Frau, die ihrem Mann untreu wird, gesteinigt werden. Das ist sehr brutal. Aber dass sie überhaupt untreu werden kann, ist schon ein sozialer Defekt. Ich meine, alles in der Gruppe ist so eingerichtet, dass sie nicht untreu werden soll. Und trotzdem wird sie es. Ich glaube, dass man sie steinigen kann, weil ohnehin alle denken, sie sei krank und nicht normal. In unserer Gesellschaft wäre das Aanaloge, sie für den Rest des Lebens in eine Psychiatrische Klinik zu sperren. Ich glaube, das wäre ungefähr der Vergleichsfall. In einem persischen Wüstendorf würde man sie steinigen (das vermute ich, ich bin mir nicht ganz sicher, aber es wird ja auch kaum vorkommen). Ich habe mal die Lebenserinnerung einer Kurdin gelesen, die später in Deutschland als Frau eines Arztes gelebt hat. Das war sehr eindrücklich. Und sie erzählte, wie sie als Mädchen eine solche Steinigung erlebt hat. Sie ging nicht auf Details ein. Und sie hatte auch schon ein bisschen einen Europäischen Blick. Das heisst, sie sah die Ungeheuerlichkeit. Aber in der Erinnerung als Mädchen hatte sie es damals akzeptiert wie eine Tradition, wie ein Fest, das man eben so feiert und nicht anders. Ein trauriges Fest eben, wie eine Beerdigung. Diese geschlossenen Gesellschften sind so hart wie Darwins Gesetz des Stärkeren in der Natur, so kommt es mir vor.
Und wenn du sagst, Marlena, Iran sei gefährlich, so ist es dies. Ich glaube, man muss sehr sensibel sein und versuchen, diese vielen ungeschriebenen Gesetze nicht zu verletzen. Sonst regt man die Ordnungskräfte, die erbarmungslos sind. Und machmal weiss man eben nicht, dass man sich daneben benimmt. Und dann kann es gefährlich sein. Aber ich glaube, das ist vor allem in den Dörfern oder in den einfachen Schichten so. Es gibt ja viele sehr gebildete und sehr tolerante Perser. An die werde ich mich halten.

Es ist schön, mit Dir so in aller Ruhe zu plaudern, ohne die Hektik, die wir manchmal hatten, und ohne die Störung durch die Tagesgeschäfte. Du hast dich oft gesehnt nach einer schönen und ruhigen Liebe. Im Moment haben wir sie, nicht wahr? Und ich stelle mir vor, irgend einmal nach einer Woche kommst du nach Kalix, bestellst den PC und findest dann dieses Mail. Und du freust dich ein bisschen und kannst es in aller Ruhe lesen in dieser stillen und hellen Bibliothek dort oben im Norden. Und dann wird dein Herz wieder voll sein - so hoffe ich doch - für eine weitere Woche. Eben so wie ein Kamel-Reservoir.
*
Jetzt, wo du so weit weg bist, höre ich deinen Namen wie Musik in meinem Ohr. Ich habe nie jemanden gekannt, der Marlena geheissen hat. Und der Name ist ja auch eher selten hier. Und darüber bin ich froh. Du bist für mich wirklich die einzige Marlena, die es auf dieser Welt gibt. Und das ist schön. Jede zweite oder dritte wäre zuviel. Eine genügt mir.
Ach, Marlena, du merkst es, ich könnte Elegien schreiben, Ach-Elegien.
*
Ist es bei euch auch so kalt. Hier ist es vielleicht 15°, und nach der Hitze der letzten Tage ist das wie ein Einbruch der Eiszeit. Und es regnet so, als ob die Sonne endgültig aufgegeben hätte. Und ich sitze hier allein im Büro. Alle anderen sind im Moment in den Ferien. Ich geniesse das allerdings. Und später muss ich mich an den Artikel machen. Habe ich dir erzählt, dass ich am Samstag während 5 Stunden mit dem Redaktor zusammengesessen bin. Er ist wirklich ein lieber Kerl, und er hat noch fast mehr daran gearbeitet als ich. Und er ist gutmütig, und er ist tolerant. Komisch, das Schriftliche von ihm wirkt so definitiv. Und am Telefon war er immer so kurz, ich hatte den Eindruck, er sei so ein herausgeputzter und überkontrollierter Typ. Nein, er ist eigentlich so wie ich, also ein Spitzenprodukt, vielseitig, diskussionsfreudig. Nur mit den Details versteht er sich besser als ich. Er ist mit dem Velo zu mir ins Büro gefahren, und es hatte sehr viel Wind und Regen. Schon darin kannst du sehen, welch ein Typ er ist. Und er trinkt nicht Kaffee, sondern Früchtetee. Ich glaube, er ist ein bisschen Alternativ. Aber so, dass man es noch akzeptieren kann. Ich habe dann halt meinen Kaffee allein geschlürft (und an Marlena gedacht). Wir sind eigentlich sehr schlau, wir zwei. Wir trinken doch, während der Schulzeit, immer Kaffee zusammen. Und jetzt, wenn ich Kaffee trinke, irgendwo oder irgendwann, denke ich an Marlena. Und man trinkt ja soviel und sooft Kaffee pro Tag. Du weißt, was ich meine, meine Liebste? Du bist mir wie dieses kleine Stücklein Schokolade, das sie manchmal zum Kaffee servieren. Die Franzosen würden vielleicht sagen, ein amuse-bouche. Aber damit meinen sie eine Vor-Vorspeise, also nichts Süsses eigentlich. Trotzdem bist du mein amuse-bouche.
Ich hoffe, dass ihr dort oben gut ankommen werdet und dass ihr es schön habt.
Mit "ziemlich" intensiver Liebe

mein Schatz, dieses "ziemlich" muss ich mal erklären. Ich glaube, du hast es manchmal ein bisschen ironisch zitiert. Und eigentlich bedeutet ziemlich ja eben nicht "sehr" viel, nicht "absolut" viel, sondern bloss "ziemlich" viel. Aber wenn man es als Understatement formuliert, dann bedeutet es wieder maximal viel. Dann heisst es so viel wie "über alle Massen", soviel, dass dafür die Worte fehlen, so dass man dann dieses vieldeutige und unscheinbare "ziemlich" nimmt).
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...





In einem Wüstendorf

 


Liebe Marlena
Sind Kamele Wiederkäuer? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sie könnten es schon sein. Ich habe sie in Erinnerung, wie sie daliegen und kauen. Sie haben also nicht bloss den Vorteil, dass sie Reserven speichern können, sie können sich auch noch mit sich selbst beschäftigen, sie können daliegen und vor sich hinkauen wie ein amerikanischer Base-Ball-Spieler, der seine Mannschaft soeben in Führung gebracht hat. Sie sehen ja so zufrieden aus, die Kamele. Es gibt in Persien auch Kamele, aber sie sind eigentlich nicht heimisch. Wenn es sie hat, kommen sie aus dem arabischen Raum.

Ich habe einmal ein paar Tage in einem persischen Wüstendorf gelebt. Das war mit dem deutschen UNO-Experten und dem persischen Übersetzer. Wir konnten bei einer Familie, ich glaube, es war die Familie des Dorfvorstehers, wohnen. Die Frauen und Töchter haben uns das Essen bereitet. Das war sehr einfach. Aber während des Essens sind die Frauen in der Küche verschwunden. Du hast sie immer nur im Türrahmen gesehen. Und es hat mich manchmal merkwürdig berührt, wenn sich die Blicke ab und zu kurz begegnet sind. Man merkte, es ist eine intelligente Person, aber sie wird hier nicht als Person zugelassen. Und dann kann man sich überlegen, was eine solche Person wohl denken mag, ob sie sich ihrer Situation bewusst ist. Es gab nicht soviele solche Blicke. Bei den meisten konntest du sehen, dass sie sich in ihre Situation geschickt haben. Sie wissen nichts anderes und nehmen es, wie es kommt. Aber manche Blicke waren ein bisschen anders. Und da hatte ich manchmal das Gefühl: sie weiss es, dass es ungerecht ist! Aber wenn man es sich wirklich überlegt, wussten auch diese es nicht. Sie wussten vielleicht ein bisschen mehr. Aber wirklich wussten sie es nicht. Denn es ist nicht primär eine Sache des Wissens, sondern eher der Lebenspraxis. Und die war ja wohl eindeutig. Doch ich wollte Dir von diesem Wüstendorf erzählen, das mir durch die Kamele in den Sinn gekommen ist. Wir waren dann abends oben auf dem Dach. Sie haben uns Tee gereicht in diesen kleinen Gläsern mit einer Untertasse, die sehr tief ist. Der Tee ist ja immer brandheiss. Und wenn man so sehr Durst hat, dass man sofort trinken möchte, dann schüttet man ein bisschen Tee in die Untertasse und schwenkt sie kurz, damit er abkühlt und gerade trinkwarm wird. Aber noch so schlürft man den Tee in kleinen Zügen. Es sind nicht die grossen Schlücke, die wir hier nehmen. Und dazu halten sie dir eine Dose mit Zuckerstücken hin. Die stammen von gebrochenen Zuckerstöcken und sind sehr hart. Die legst du auf die Zunge und lässt jetzt den Tee darüberrieseln. Das schmeckt sehr fein, weil nicht jeder Schluck gleich schmeckt. Manchmal erwischt man eine Welle der Süsse, und manchmal wieder dringt mehr der leicht bittere Geschmack des Schwarztees durch. Das ist also ein richtiges Zeremoniell. Wenn man so zusammensitzt und redet und Tee trinkt, dann holen sie immer wieder. Man trinkt ja dann ganz langsam. Und dieses kleine Teeglas mit der Untertasse, das du in Händen hälst, bietet dir jede Menge Möglichkeiten, mit Gesten zu spielen, auch die Wertschätzung dem Gastgeber gegenüber zu zeigen. Du stellst das leere Glas ja nicht einfach wieder so zurück auf den Boden, sondern du tust das, als ob es das Wertvollste Ding auf der Welt sei, als ob der kleinste Kratzer die grösste Katastrophe der Welt wäre. Ich glaube, es ist ein ganzer Kanon, der hier spielt, ein Zusammen- spiel von Regeln. Und erst jetzt, da ich Dir davon erzähle, wird es mir mehr bewusst, wie ich auch mitmache, ohne die Regeln so bewusst zu kennen, einfach, weil ich die umgebenden Menschen imitiere.
Als wir in diesem Dorf eingetroffen waren, sind wir im Wohnraum zusammengesessen. Und sie haben für jeden von uns eine kleine Flasche Pepsi Cola hingestellt. Ich hatte einen riesigen Durst, und ich hatte das Gefühl, ich brauchte mindestens eine Literflasche Pepsi. Aber das Fläschchen war nicht gekühlt, denn sie haben dort keine Kühlschränke (wenn ich mich richtig erinnere). Doch ich habe alle meine Willensstärke zusammengenommen und dieses Pepsi, das ich mit einem Zug hätte austrinken mögen, ich habe es stehen lassen. Diese Menschen haben praktisch kein Geld. Und ein Pepsi ist für sie der absolute Luxus. Es ist eigentlich viel zu teuer, dieses braune Zuckerwasser. Es ist schon bei uns viel zu teuer. Aber für diese Menschen ist es vielleicht so, wie für uns eine gute Flasche Bordeaux. Sie haben auch selbst keines getrunken. Es war nur für die Gäste, weil es so exklusiv war. So habe ich es stehen gelassen, und habe mit Sehnsucht auf den Tee gewartet, den sie später serviert haben.

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Ach nein...

 

Ämne: Re: zum Sonnabend
Datum: den 12 november 

Ach, mein Liebling, du sollst dich doch nicht zurückhalten. Von dir will ich mich doch nicht erholen. Die beste Erholung die ich mir vorstellen kann, ist wenn du bei mir bist, wenn auch nur in einem Mail..
Danke für deinen lieben Brief. Ich bin so froh, dass du mir von deiner teuren Zeit schenkst. Manchmal bekomme ich fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich denke, dass ich dir die Zeit stehle, die du vielleicht für deine Arbeit brauchst.
Es war schön, eine Weile mit dir zu chatten, obwohl ich mich etwas gestresst dabei fühlte.. erstens weil der Chat nicht richtig funktionierte, und zweitens weil ich wusste, dass ich jede Sekunde gestört werden könnte, was dann auch passierte.
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Soweit hatte ich dir gestern Abend geschrieben und als ich auf die Uhr sah,  war es schon nach zwei Uhr morgens. :-)
Ach .., du glaubst ich bin ein trauriger Mensch, der sich oft einsam fühlt. Ich bin ganz sicher dass mich meine Mitmenschen nicht so betrachten. Im Gegenteil glaube ich sogar dass ich glücklich erscheine  und meine nächste Umgebung damit anstecke. Woher diese Freude kommt, wissen sie natürlich nicht. Wie könnten sie ahnen, dass ich in den wunderbarsten Mann der Welt verliebt bin. Aber ich bin  auch sonst ein froher Mensch. Ich kann mich über kleine Dinge freuen und es gibt so viel auch im Alltag, was das Leben schön macht. Die viele Arbeit und der damit zusammenhängende Zeitmangel ist natürlich etwas sehr negatives. Aber ich bin da in guter Gesellschaft. Wir sprechen darüber unter Kollegen und sind uns einig dass man zuviel von uns verlangt. Diese ständigen Umorganisationen, die vielen Konferenzen und die viele Extraarbeit, die eigentlich die Chefs tun sollten.. Aber weisst du, ich habe begonnen die ”Gustavsche Methode” anzuwenden. Mal sehn, ob mein Chef etwas davon merken wird. ;-)

Du fragst so lustig wie ein Mann sein sollte in meinen Augen. Ach, Schatz, das weisst du doch. So wie du. Du hast alles. Und dann glaubst du ich könnte dich langweilig finden. Nein, weisst du, das würde ich nie tun. Da bin ich ganz sicher. Und gerade wenn du so ”bärenruhig” hinter deinem Schreibtisch sitzen würdest, würde ich es extra geniessen, weil ich wüsste was dieser in den Augen der anderen stille Mensch in seinem inneren trägt. Dieses Privilegium einem anderen Menschen so nahe zu sein ist wohl das schönste was es gibt.
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Mein Brief über die Verwandschaft hat dir so gefallen und ich war fast daran ihn zu löschen,  weil ich dachte dass es dich  nicht interessieren könnte. Und nun denke ich daran dass du mir die Möglichkeit gegeben hast dich in verschiedenen Milieus vor mir zu sehen.. und dass ich vielleicht, weil ich dir nicht so oft von solchen Dingen erzähle, in deinen Gedanken wie in einem Vakuum lebe. Vielleicht hast du deswegen den Eindruck dass ich einsam bin. Aber am Abend, mein Liebling, wenn ich fertig bin mit meinen Pflichten dann fühle ich mich schon manchmal etwas verloren.. nur weil du mir eben so sehr fehlst und weil ich dich sehnsuche und maladiere. Es ist eine Qual, aber eine süsse Qual :-)
*
Ich werde dir bald wieder schreiben.. muss aber dies nun absenden.
Ich umarme dich und küsse dich,
mit viel S
Marlena

Montag, 27. Januar 2025

Nochmals Varlin ...

 

Lieber ...,
Ich habe ein wenig im Internet herumgesucht und schau hier, was ich gefunden habe. Von diesem Film hast du mir doch gerade erzählt, oder?
...

Varlin

Varlin, der Clown, Varlin, der zornige Kerl, Varlin der Querschläger. Varlin, der Vagabund, der es mit knapp zwanzig Jahren nicht mehr aushält in der Schweiz, der nach Berlin und Paris geht, um Maler zu werden, später dann lange Jahre in Zürich lebt und arbeitet, ohne sich zugehörig zu fühlen. Varlin, der im Alter erst zur Ruhe und aus den finanziellen Nöten kommt. In VARLIN porträtiert Friedrich Kappeler, der sich mit Dokumentarfilmen wie «Der schöne Augenblick», «Adolf Dietrich, Kunstmaler» und «Gerhard Meier Die Ballade vom Schreiben» den Ruf eines begnadeten Dokumentar-Porträtisten holte, den Schweizer Maler, dessen Bilder von zurückgehaltener Energie bisweilen zu zerplatzen scheinen. Die gutbürgerlich geprägte Schweizer Kunstszene kann zu Lebzeiten des Künstlers mit dem figurativ malenden Juden, der zudem noch freche Sprüche klopft, nicht viel anfangen. Freunde findet er vor allem unter Aussenseitern und Schriftstellern. In den Nachkriegsjahren macht sich Varlin, stets malend, auf ausgedehnte Reisen. Der Zürcher Szene immer überdrüssiger werdend, wird nach seiner Heirat mit Franca Giovanoli das Dorf Bondo im bündnerischen Bergell zum bevorzugten Wohnsitz. Hier schafft Varlin von 1963-1977 sein qualitativ und quantitativ herausragendes Spätwerk.

In seinem Film VARLIN lässt Regisseur Friedrich Kappeler den 1900 geborenen und 1977 verstorbenen Maler in Begegnungen mit dessen Bekannten und Verwandten, in seinen Bildern und Schriften wieder zu Wort kommen. Und was man da nebst bekannten Werken wie «Die Heilsarmee» und den Porträts von Hulda Zumsteg, Max Frisch, Hugo Loetscher oder Friedrich Dürrenmatt entdeckt, ist ein Mann voller Widersprüche. Ein mutiger und scharf denkender Künstler einerseits, ein unsicherer und verletzlicher Gefühlsmensch andererseits ein Maler, der mit Pinsel und Farbe die Pracht von Alltagsgegenständen, aber auch die Brüchigkeit der menschlichen Existenz einfing.

*

In Dürrenmatts unmittelbarer künstlerischer Nähe gab es eine prominente Inspirationsfigur, die ihn in seinen eigenen dunklen Visionen bestärkte: der Künstlerfreund Varlin, dessen böse Bilder und Abbilder der Gesellschaft (so z. B. "Die Völlerei" und "Die Heilsarmee") zweifelsfrei ihre - schwarzen - Spuren in Dürrenmatts Malerei hinterliessen.

 
Die Völlerei

 
Dürrenmatt lernte Willy Guggenheim, genannt Varlin, 1961 in der Zürcher "Kronenhalle" kennen und blieb ihm bis zu dessen Tod 1977 freundschaftlich verbunden. Künstlerisch verkörperte Varlin für ihn den Typus des hartnäckig um und mit Realität ringenden figurativen Malers, der die Welt so (finster) sah, wie er sie porträtierte. Nicht weniger wichtig war für Dürrenmatt die Art und Weise der materiellen Realisation der Varlinschen Porträts und Geschichten auf dem Bildträger: wilde, zuweilen pastos-zerklüftete, zuweilen weiche, flächige Bildhäute; beschränkte Tonvariationen, dominiert von Schwarz, das seinen Schatten auch auf alle anderen Farben wirft - alles in allem die totale Absage an jegliche Ästhetik und Vollkommenheit.

Varlins Malerbrief aus Neapel aus dem Jahr 1963 beginnt mit einer Hymne auf die Farbe Schwarz als Zeichen für moderne, ungeschminkte Wirklichkeit:

"Schwarz, diese noble Farbe, die schon seit Plato Erkennen und Vergessen bedeutet, wurde von den modernen Malern in Reaktion auf sinnlich verlogene bourgeoise Farbensymphonien zur führenden Farbe erhoben. Ganz Kühne vermischen auf unpräparierten Kohlensäcken mit der Farbe noch Schutt und Dreck. Wundert man sich da, dass ausländische Maler im patinalosen Zürich nur zum Inkasso erscheinen und nach ein paar Gesprächen in der "Kronenhalle" sofort wieder verschwinden?"

 

 

Subject: über Varlin, Renaissance und ... na ja,

.... du wirst schon sehen ...


Liebe Marlena
Diese Ausstellung war sehr schön gestern. Der Maler heisst Varlin. Er war ganz bekannt, als ich in Zürich angefangen habe zu studieren. Damals hatte er gerade den Kulturpreis der Stadt Zürich erhalten und Dürrenmatt hielt seine Laudatio. Er hat die Schweiz einmal an der Biennale in Venedig vertreten. Sonst blieb er aber bloss innerhalb der Schweizergrenzen bekannt, im Ausland wohl kaum. Obwohl er während Jahren in Paris gelebt hatte.

Als ich zu malen begann, habe ich narürlich viel bei ihm abgeschaut. Varlin ist ein blendender Portraitist. Er malte ein bisschen spontant, mit momentanen Eingebungen. Das ist gut für Porträts, dann wirken sie lebendiger. Er hat wirklich schöne Porträts gemacht, damals von den grossen Intellektuellen: Frisch, Dürrenmatt, Gasser, Loetscher usw. Und sie waren ja von der schreibenden Zunft, sie haben später beschrieben, wie sie diese Sitzungen bei Varlin im Atelier erlebt hatten. Bei Dürrenmatt hatte ich so etwas wie einen Machtkampf herausgehört. Man muss sich vorstellen, Dürrenmatt war international bekannt, und Varlin wollte ihn porträtieren. Ich habe daraus gelernt, dass man als Porträtist immer die richtige Distanz zu seinem Objekt, also dem Menschen finden muss. Du darfst ihn nicht zu sehr bewundern, sonst bist du als Maler gehemmt. Du darfst ihn auch nicht verachten, sonst bist du zu sarkastisch und überheblich. Du darfst ihm nicht zu nahe stehen, sonst bist du zu romantisch und gefühlsbezogen. Du darfst ihm aber auch nicht zu weit weg stehen, sonst interessiert er dich nicht, und das Porträt wird nichtssagend. Und diese Position zu finden, ist das allerschwerste. Es dünkt mich ein bisschen wie beim Backgammon Spiel, wie ich es dir beschrieben habe. Die Hauptsache geht im Kopf ab, nicht auf der Leinwand. Wenn es im Kopf stimmt, dann wird es auf dem Bild auch einigermassen stimmen, falls du ein bisschen Maltechnik hast.
Und in diesem Text von Dürrenmatt konnte man lesen, wie die beiden gekämpft haben. Varlin musste zusehen, dass er sich diesem kolossalen Monolithen Dürrenmatt, der ja auch körperlich gross und dick war, dass er sich diesem Brocken gewachsen fühlte. Und dazu verwendete er - so scheint es - etliche Finten. Er hat mehrmals neu angefangen bei der Bildskizze. Oder er hat schnell wieder abgebrochen, um mit ihm zum Essen zu gehen. Er hat die Leinwand nicht auf die Staffelei gestellt, sondern irgendwo im Atelier an eine Wand gelehnt, so dass das Bild immer wieder umzufallen drohte.

Zum Schluss hat Varlin diesen grossen Dürrenmatt auf dem Bett liegend gemalt, auf einer jämmerlichen Matratze, die richtig durchgearbeitet und gepflügt (erinnerst du dich an dieses Wort?) wirkte. Und ich glaube im Arm hielt er einen Hund oder sowas, weiss ich nicht mehr so genau. Das Bild ist dunkel, aber von dort drüben leuchtet dieses Mondgesicht Dürrenmatts mit dem kleinen Mund. Eigentlich wirkt es wie das Gesicht eines Babys. Ich glaube, es ist nicht sein bestes Porträt. Aber immerhin ist es Dürrenmatt.
Dürrenmatt hat Varlin sehr geschätzt. Und in seinem Arbeitszimmer in Neuenburg hatte er ein riesiges Gemälde mit ein Paar Gestalten der Heilsarmee (salvation army). Seine Figuren auf den Bildern haben wirklich eine gute Präsenz. Gestern habe ich auch mein Lieblingsporträt gesehen. 



Es zeigt Hugo Loetscher, den Schriftsteller. Er sitzt in einem hochformatigen Bild in der unteren Hälfte ziemlich lässig auf einem Fauteuil und raucht (damals hat er noch andauernd geraucht, heute nicht mehr) und schaut mit seinen Schweinsäuglein und den grossen Ohren zum Bild heraus auf den Betrachter. Er hat ihn wirklich erwischt. Es ist wirklich Hugo Loetscher. Kein anderer könnte so dasitzen, mit einer Mischung aus Nonchalence und leichter Arroganz. Er ist ja sehr schwatzhaft, dieser Hugo Loetscher. Und morgens kannst du ihn im Grancafé am Limmatquai in Zürich bei der Zeitungslektüre sehen. Er ist jetzt dick geworden. Wahrscheinlich weil er nicht mehr raucht. Er wirkt nicht sehr stilvoll, sondern ein bisschen burschikos. Und er schwatzt drauflos, wenn man ihn lässt. Das mag ich auch nicht besonders,  aber er ist heute, neben Bichsel, der bekannteste Schweizer 

*

Ach, Marlena, ich erzähle dir soviel von diesem Varlin, den du noch nie gesehen hast. Vielleicht langweilt dich das eher. Wenn du mal in die Schweiz kommst, werde ich dir Bilder zeigen.
Nach der Ausstellung sind wir essen gegangen und haben noch geplaudert. Es war ein milder und schöner Sommerabend. Und viele Leute waren unterwegs. Und als ich heimkam, habe ich noch ein bisschen gelesen:

Rom lag am Anfang des 15. Jahrhunderts, also vor der Zeit der
Renaissance, darnieder. Die Tempel eingestürzt, die Häuser baufällig,
ganze Stadtteile verlassen, überall Schlammlöcher, Hunger, es
mangelte an allem. ...

Sonntag, 26. Januar 2025

Re: Bei Tageslicht über die Nacht

 

Ämne: Re: Bei Tageslicht über die Nacht
Datum: den 10 november 14:25

Meine liebe Marlena
Dein wunderbarer Brief hat mich sehr berührt. Du schreibst so ruhig und überlegt und reif, es ist einfach herrlich. Und es stimmt mich auch ein wenig melancholisch. Die Art, wie Du die Menschen betrachtest und wie Du alte Erinnerungen andeutest und die Zeiten überblickst. Es ist wirklich wunderschön. Du weißt doch sicher, Marlena, dass das eine Kunst ist? Es gibt wenige Leute, die das so können wie Du. Und ich fühle mich geehrt, dass ich es bin, der solch zauberhafte Zeilen bekommen darf. Ich danke Dir wirklich sehr, meine Liebste.

Weißt Du, ich bin auch glücklich, einiges über Deine lieben Bekannten und Verwandten zu hören. Manchmal habe ich den Eindruck, Deine Arbeit und Dein Haushalt überschwemmen Dich förmlich. Und dann erscheinst Du mir so einsam in Deinem Häuschen zusammen mit Anna. Das, obwohl ich sehr gut weiss, dass Du bei Deiner Arbeit ja jede Menge Kontakt hast und dass Du ein offener und sozialer Mensch bist. Darunter können sich Lehrer ja wohl nicht zu sehr beklagen, unter Mangel an Kontakt. Schon eine einzige Unterrichtsstunde ist ein Bombardement von Strokes, nicht wahr? Und dann hast Du die vielen Kolleginnen und Kollegen, in deren Kreis Du eine wichtige Rolle spielst. Das weiss ich alles, und doch erscheinst Du mir manchmal in meiner Vorstellung oft so einsam. Vielleicht ist es so, weil Du - wie Du sagst - Deine innersten Gedanken mit mir teilst?

Das hat mir auch gut gefallen, wie Du Dich in meinen Fantasien eingenistet hast. Na klar, wir werden später einmal im Süden leben und ab und zu werde ich Dich besuchen, oder umgekehrt. Ich werde Dich natürlich auch porträtieren, unter dem Titel "Die Schöne aus dem Norden". Aber das soll nicht geschehen, wie beim jungen Fräulein, das so schweigsam ist. Es soll eine schöne und lebendige Diskussion sein. Es soll ein vergnügtes Hin und Her geben. Ich will keinesfalls allein referieren. Das mache ich absolut nicht gerne. Ich höre gerade so gerne zu wie Du. Aber ich muss Dich doch warnen. Wenn man jemanden liebt, ist es sehr schwierig, die Person zu malen. Kannst Du Dir das vorstellen? Man ist dann gebunden mit unzähligen Rücksichten und subjektiven Gefühlen, so dass man gar nicht frei und herzhaft die Person wahrnehmen kann. Man will ihr kein Unrecht antun. Alles ist mit süssen Schleiern halb verhüllt. Und das macht keine guten Porträts. Ich habe das lange nicht begriffen. Aber beim Malen ist das grösste Problem die richtige Distanz, oder die richtige Nähe, wie man es nimmt. Man darf der Person nicht zu nahe stehen, durch Gefühle oder andere Bindungen oder Abhängigkeiten, aber man darf natürlich auch nicht zu entfernt sein, sonst fehlt das Interesse und der Eifer. Wenn, dann muss man sich eben in einer Diskussion nähern und in die richtige Position bringen. Man muss sich gut positionieren, in einem psychologischen Sinne.
Ich habe einen Schweizer Maler, den ich besonders schätze (Varlin, so der Name des Malers, Künstlername). Er hat viele prominente Leute gemalt wie Dürrenmatt, Frisch, Loetscher und andere. Einerseits kann man aus den Erinnerungen der Porträtierten hören, wie diese Sitzungen abgelaufen sind. Andererseits beschreibt auch Varlin solche Situationen. Er war nebenbei ein exzellenter Schreiber. Und irgend einmal, als ich mich mit diesen Gedanken beschäftigt habe, ist mir aufgegangen, wie die Sitzungen und das Getue Varlins einzig und allein das Ziel hatten, die richtige Distanz und ein Gleichgewicht zwischen den Personen herzustellen. Diese Personen waren ja weltberühmt und reich, und er selbst war höchstens regional ein wenig bekannt und eigentlich ein armer Schlucker. Er ist immer ein bisschen verkannt geblieben. In den Malsitzungen muss nun Varlin sehr unruhig agiert haben, immer wieder neu angefangen, von einer weiteren Seite einen neuen Versuch gemacht haben. Er hat seine berühmten Leute auch umherdirigiert, Dürrenmatt lag schliesslich auf einer losen Matratze im Bett. Und auf einem weiteren Porträt hält er in seiner ganzen Massigkeit ein zartes Hündchen in Armen, so glaube ich mich zu erinnern. Ich denke, mit Dürrenmatt konnte es Varlin besser als mit Frisch. Frischs Porträt ist nur sehr rudimentär, nicht beendet, und ein wenig kühl und hart. Lustlos, so würde ich das nennen. Ich glaube, mit Dürrenmatt fühlte er sich echt verwandt. Und auch umgekehrt, wie Dürrenmatt selber schreibt. Dürrenmatt hat ja selbst auch gemalt, schon seit jungen Jahren. Mit besonderer Liebe hat er ganze Zimmerwände oder WC-Flächen al fresco behandelt.
Habe ich Dir nicht von meinem Varlin geschrieben? Gerade diesen Sommer gab es eine Erinnerungsausstellung in Aarau. Ich habe sie gleich dreimal besucht. Und es war - so glaube ich - 25 Jahre nach der ersten Aarauer Ausstellung. Damals hatte ich in Olten gewohnt und gearbeitet. Es war meine erste Arbeitsstelle. Na ja, es war diese glückliche Oltner-Zeit am Anfang unseres Familienlebens und meines beruflichen Lebens. Und ich hätte nur allzu gerne ein Bild von Varlin gekauft. Es waren seine letzten, grossen Bilder, die in Aarau ausgestellt waren. Doch die Preise erwiesen sich als etwas zu hoch für mich, der ich noch nicht zu lange ein festes Gehalt hatte. Die Bilder waren um die 10'000sFr.. Und mein Salär lag bei etwa 3500sFr., wenn ich mich richtig erinnere. Doch wenn ich die Preise der Gemälde heute, nach seinem Tod, anschaue, dann hätte ich wirklich unbedingt ein Bild von Varlin kaufen sollen. Es hätte sich sehr gut ausgenommen in unserer Stube, hätte fast eine ganze Wand bedeckt. Und sein Preis wäre mit einem Faktor 10 gestiegen. Wir hätten geradezu eine Diebstahlsicherung einbauen müssen. Denn ich glaube nicht, dass unser Hund, dieser rote Spaniel namens Dido, ich glaube nicht, dass sie das Bild wirklich bewacht und verteidigt hätte. Sie war viel zu vertrauensselig und hat sich mit jedem angefreundet, der ein liebes Wort für sie übrig hatte. Sie war ein wenig liederlich in dieser Beziehung.
Ach, das Leben besteht zum grossen Teil aus verpassten Gelegenheiten.
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Ich erzähle zuviel von dieser Malerei. Und dabei ist das doch eine visuelle Angelegenheit. Ich möchte Dir das alles so gerne zeigen. Da würde ich richtig in Begeisterung geraten.
*
Ach, ich habe soeben Deinen Brief nochmals gelesen. Ich kann das gar nicht alles verstehen, weshalb er mich so beeindruckt. Er ist einfach wunderschön und hat so eine Weite. Weite macht mich immer ein bisschen melancholisch. Sowohl die räumliche als auch die zeitliche Weite. Ja, und dann überlege ich mir, was Du Dir denn von einem Mann wünschst. Einerseits magst Du einen aufgedrehten Typen wie Alois, einen hochtourigen Italienier im Quadrat, oder einen Draufgänger wie jenen Schauspieler, wie heisst er schon, derjenige aus dem Kuckucksnest (Jack Nikolson; ist das ein gebürtiger Schwede?) Andererseits hast Du zu Hause einen metallblauen Mann, der ja ziemlich distanziert zu sein scheint. Und bei mir hast Du auch die Vorstellung (oder vielleicht den Wunsch) gehabt, ich sei ein ruhiger Braunbär am Schreibtisch, der sich bloss jede halbe Stunde zu einer Bewegung entschliesst, und der vielleicht seine wildesten Aktionen vornehmlich in der Fantasie austobt.
Aber eines kann ich Dir vielleicht noch sagen, meine liebe Marlena, in diesem grossen Quiz. Ich glaube, ich bin ruhiger, als man mich aus meinen Briefen und Sätzen und Fantasien vermutet. Vielleicht würdest Du wirklich erschrecken, wie langweilig manchmal sein kann. Kürzlich ist mir aufgefallen, wie lebendig meine beiden Töchter sind. Wir waren irgendwo zu Besuch und ich glaubte, sie hätten sich verlaufen. So bin ich den Weg zurück. Und von weitem haben sie mich gesehen und laut und lustig reagiert. In meiner Ursprungs-Familie hätte man das niemals gemacht. Wir waren alle ziemlich ruhige Kinder, vor allem auch ausser Haus. Nun ja, vielleicht waren ja damals Kinder allgemein viel ruhiger als heute. Aber ich war stolz, dass meine Töchter so lebendig und aufgestellt sind und so spontan reagieren können. Und da spielt sicher das persische Blut eine nicht zu unterschätzende Rolle. Besonders B ist auch eine gute Schauspielerin. Sie kann sehr lustig sein und echt in Fahrt geraten. Sie macht dann Sprüche und Spässe, hat aber immer noch ein gutes Gefühl dafür, was erlaubt und was nicht mehr erlaubt ist. Ich bin manchmal ganz fasziniert von ihr. Ich glaube, sie hat eine gute künstlerische Ader. A ist ruhiger. Ich glaube, sie ist mir ähnlicher. Oder anders gesagt: sie gleicht in der Art sehr meiner älteren Schwester. Und diese ist eine ziemlich ruhige Person.
*
Und ich freue mich auf den Moment, da wir uns im Süden gelegentlich treffen. Und ich werde Dein Porträt malen. .... Und ich werde ewig daran malen, so dass Du immer wieder vorbeikommen musst. Es wird meine "Unvollendete" werden und bleiben. Immer werde ich noch dieses oder jenes verbessern wollen, hervorheben oder in den Hintergrund drängen. Und ich freue mich wirklich auf die entspannten Gespräche, die wir haben werden. Ich höre schon Deine wunderbare Kristallstimme durch den Terpentingeruch bis zu mir dringen. Ach, es wird wunderbar werden. Und dann und wann machen wir in meiner rudimentären Küche einen feinen starken Kaffee und knabbern an einem Biskuit. Es könnte alles so schön sein, Marlena.
Und so maladiere ich noch ein wenig vor mich hin.
Mit süssen Küssen
...





Samstag, 25. Januar 2025

Bei Tageslicht :-)


Ämne: Bei Tageslicht :-)
Datum: den 10 november 12:59

Lieber ...
Ach, wenn ich so bei Tageslicht daran denke, was ich dir zu später Abendstunde geschrieben habe, dann wundere ich mich über meine Verwegenheit. Eigentlich schade, dass du mir nicht auch mitten in der Nacht schreiben kannst. Dann wäre vielleicht das "équilibre" wieder ein wenig hergestellt. ;-) Aber vielleicht macht es nichts. Es ist schön, diese Gefühle für jemanden zu haben und warum sollte ich es dir nicht sagen können.

Mit S und K und M (auch bei Tageslicht)
Deine
Marlena

Nähe ... :-)

 

Ämne: Nähe.. :-)
Datum: den 9 november 

Lieber ... ,
Schon wieder ist es so spät geworden bevor ich mit der Arbeit fertig bin. Ich habe eine schriftliche Prüfung konstruiert und nun fühle ich mich ziemlich leer im Kopf und muss erst wieder umschalten. :-)

Ich danke dir herzlich für deine lieben Mails. Gestern wusste ich so viel, was ich dir schreiben wollte und jetzt weiss ich nicht genau, wo ich anfangen soll. Ich glaube wirklich, dass wir etwas überfordert sind, meine Kollegen und ich. Ich sehe wie sie in kurzer Zeit älter und müder geworden sind und es tut mir leid um sie. Auch ich fühle mich oft am Rand meiner Kräfte. Ich freue mich auf das Wochenende, wo ich mich etwas erholen kann.
*
Es war schön bei meiner Schwägerin. Alles war sich ähnlich. Das schöne Haus, ganz im englischen Stil gebaut in einem attraktiven Viertel von Stockholm mit vielen grossen Gärten und nahe zur Natur. Auch die Einrichtung war immer noch so spartanisch wie früher, sehr originell und etwas von Japan inspiriert. Nun ja, er ist Architekt und hat seine Ideen. :-) Per-Olof war alt geworden, aber nur im Aussehen, denn als Person war er immer schon ”alt”. Er hat auch früher nicht so richtig an unseren Aktivitäten teilgenommen sondern meistens einen bequemen Lehnstuhl und ein gutes Buch bevorzugt. Ausserdem war er immer allergisch gegen Mücken und ging schon deswegen nicht gern hinaus. Er hat etwas englisches an sich und ich könnte ihn mir gut als Lord auf einem englischen Gut vorstellen. Ein Teil seiner Vorfahren stammen ja auch aus England. Barbro ist wie immer noch die stille angenehme Person von früher. Doch kann ich sehen, dass ihr Kummer Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hat. Sie hat sich in den letzten Jahren sehr in Hilfsorganisationen engagiert, vielleicht auch ein wenig, um zu vergessen.
Sie waren sich sonst ziemlich ähnlich. Man weiss, dass sie immer etwas ganz besonderes zum Dinner anbieten, etwas das sie lange und sorgfältig zubereiten. So lange, dass die Gäste manchmal, unter Vorwand ein wenig frische Luft zu holen, an eine Wurstbude schleichen und um ihren schlimmsten Hunger zu stillen.;-) Nun, dies ist ein Spass den man sich so zwischen Geschwistern und Schwägerinnen erzählt. Meistens fahren wir auch zu ihrem Sommerhaus, das in den Schären liegt und übernachten dort. Aber diesmal war das Wetter nicht so gut.
Ja, es ist schön, ein paar Stunden mit netten Leuten zu verbringen. Leider fehlt uns meistens die Zeit dazu.
*
Gestern hatte ich ein langes Mail von meinem Vetter Gustav der bei IBM arbeitet. Es wundert mich immer, wie schön er sich ausdrücken kann. Nun war er gerade von einer Reise aus Paris zurückgekommen, wo er eine Woche mit seiner Frau verbracht hatte, und erzählte mir sehr malerisch von seinen Eindrücken. Wenn ich alle diese schönen Namen sehe, dann bekomme ich fast wie Heimweh. Ich habe doch mehrere Sommer dort gelebt.

Gustav hat immer sehr intensiv gearbeitet, aber vor einem Jahr hat sein Herz protestiert. Es war kein Infarkt, aber trotzdem eine Warnung, dass er es etwas ruhiger nehmen sollte. Und nun schreibt er so lustig:

"Ich bin wohl ein bisschen mehr französisch geworden, da ich nicht mehr alles so ernst nehme. Ich tue was ich schaffe und manchmal lasse ich sogar Dinge liegen. Komischerweise merkt niemand einen Unterschied. Ich habe auch die Reflexion gemacht, dass die Menschen, die nicht so viel tun, mehr Zeit haben zu sagen, was sie tun und deshalb als mehr arbeitsam aufgefasst werden als die, die so viel zu tun haben, dass sie keine Zeit finden zum reden."

Ich glaube er hat eine sehr wichtige Entdeckung gemacht und auch ich werde versuchen, manchmal "etwas liegen zu lassen".
Die Mutter von Gustav, die Schwester meiner Mutter, ist meine einzige noch lebende Verwandte aus der älteren Generation. Eigentlich sollte ich sie etwas öfter besuchen. Nicht nur, um ihr einen Gefallen zu tun, (sie bittet mich immer zu kommen), sondern auch weil sie die einzige Person ist, die noch erzählen kann über meine Vorfahren. Und du weisst, dass ich alte Menschen liebe. Ich bin manchmal fast neidisch auf dich, weil du noch so viele ältere Familienmitglieder am Leben hast. Es ist lieb, dass dich dein Vater besucht hat an deinem Geburtstag. Hoffentlich hast du ihn nicht angesteckt.
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Ach ..., wie nett von dir dass du mich wissen lässt wer du bist. Eigentlich habe ich es schon gewusst. Ich kenne deine heimlichen Träume. Vielleicht wirst du sie auch einmal verwirklichen. Wenn du in Rente bist, wirst du an einem schönen Ort irgendwo im Süden wohnen, wo die Sonne scheint. Du wirst deine Bilder malen und ab und zu wirst du mich besuchen. Denn ich werde nicht allzu weit von dir wohnen. Du hast einen schönen Traum und ein wenig erinnert er mich an die Geschichte von Kästner. Ich wäre dann gern das "schweigdsame Fräulein", das dir zuhören würde, während du mein Portrait malst. Ach, mein Schatz, unser Leben ist so voll von schönen Träumen. Und sie sind ein Teil von uns und machen uns glücklich und traurig zugleich, denn wir ahnen, dass sie vielleicht nie wirklich werden.
*
Ich habe noch einmal deine Beschreibung von dir durchgelesen. Also zwei ziemlich verschiedene Persönlichkeiten, die sich ergänzen und zu einem spannenden ganzen werden. Ach mein Liebling, ich will doch garnicht dass du ein stiller langweiliger Büromensch werden sollst. Als solchen kann ich mir dich überhaupt nicht vorstellen. Ich sehe in dir alle Eigenschaften und Möglichkeiten. Ich bin hungrig nach allem was dich betrifft. Ich möchte ".. bis an deinen Rand dich denken", d.h. dir so nahe kommen wie es nur möglich ist. Und du bist mir nahe, chéri. Meine innersten Gedanken gelten immer dir.   ...



Mittwoch, 22. Januar 2025

"Das wäre schön ..."

 Liebe Marlena

Vielleicht habe ich Dir einmal beschrieben, welche Arbeitssituation ich mir am meisten wünschte. Ich würde am liebsten im Atelier malen, Porträt malen, und dabei gleich noch psychologische Beratung machen. Das heisst, die Leute kommen eigentlich wegen eines Porträts, oder vielleicht einfach, weil sie sich unterhalten, weil sie plaudern möchten. Aber so beiläufig, wie durch Zufall, vielleicht mit einem Glas Wein, würden wir auf diese oder jene Fragen zu sprechen kommen, auf dieses oder jenes Problem. Ich denke, das wäre eine ideale Situation, um Leute zu beraten. Man sollte sie beraten, während sie es gar nicht merken, dass sie beraten werden. Das ist die Kunst. Und daneben liegt mein dicker gescheckter Spaniel auf dem roten Sofa und öffnet ab und zu das Auge, um nachzusehen, ob die Welt noch in Ordnung ist.
Das wäre schön, glaub mir Marlena. In dieser Situation wäre ich selig. Und wenn gerade kein Kunde im Atelier ist, würde ich lesen, oder meine Palette putzen. Es riecht immer nach Terpentin, im Atelier. Und das finde ich fein. Und im Hintergrund würde eine leise Musik laufen, die das Herz beschwingt. Französische Chansons, das wäre schon ok, vielleicht nicht immer, aber doch oft.
*
Das heisst doch eigentlich, dass mein Idealbild das des Künstlers ist, und sicherlich nicht das des Beamten, des Verwaltungsmenschen, der jeden Tag hinter seinem Pult sitzt und nach §§§§ arbeitet.   (--)

*
Und jetzt, Marlena, wirst Du aus mir klug? Habe ich irgend eine Frage beantwortet, die vorher noch unklar war, und jetzt klar? Ach, ich glaube es nicht. Ich bin vielleicht ein wenig undurchsichtig. Und ich bin, wie du sagst, geräumig. Man könnte einige Kommoden bei mir einstellen. Und ein paar alte Kisten dazu.
*
Mein Schatz, ich muss jetzt an eine Sitzung. Ich komme dann zurück und schicke dieses Mail ab. Ich bin unter Zeitdruck. Verzeih mir. Auf jeden Fall wünsche ich Dir einen schönen Abend. Ich küsse Dich in der Dämmerung.
...


Dienstag, 21. Januar 2025

Wer ich bin?

Liebe Marlena

Ach meine Liebe, ich glaube, Du möchtest wirklich wissen, wer ich bin. Willst Du das wirklich, Marlena? Ich meine, all die Typen neben dem stillen und kontemplativen Kerl hinter dem Ofen, die ich auch noch bin oder sein könnte.
Ach, wie soll ich über mich schreiben?
Ich glaube, ich habe Dir davon erzählt, dass wir am Ende eines Führungsseminars eine Auswertung gemacht haben. Der Leiter des Kurses gab jedem und jeder Teilnehmerin eine persönliche Qualifikation. Mir hat er gesagt, er hätte den Eindruck, ich schwanke zwischen weiser Gelassenheit und dem Drang, etwas tun zu müssen. Und er gab mir den Rat, die beiden Tendenzen nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzung aufzufassen. Das fand ich ziemlich gut, wie er mich charakterisiert hat. Ich glaube wirklich, dass ich von Natur aus ein ziemlich kontemplativer Typ bin. Ich liebe die ruhigen Betrachtungen. Aber andererseits fühle ich ständig die Verpflichtung, aktiv zu sein, etwas zu tun. Das tue ich aber eher aus einem Pflichtgefühl denn aus wirklicher Begeisterung. Im Grunde wäre ich am liebsten ein Philosoph, oder ein Sufi, oder eben, wie schon oft gesagt, ein Clochard. Das ist ja alles ungefähr dasselbe, nur ein bisschen in unterschiedlichen oekonomischen Verhältnissen.
Und im Kurs selbst war ich erstaunt, wie mich viele der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer als "gelassen, weise, ausgeglichen, mit guten Ideen" beschrieben haben. Ich kam mir fast ein wenig vor wie der Medizinmann. Nun ja, sie wussten alle, dass ich Psychologe bin, und viele Leute haben ja einen gewissen Respekt vor diesen merkwürdigen Fachleuten. Und ich war natürlich tendenziell auch etwas älter als die meisten von ihnen. So gerät man mehr und mehr in die Rolle des Grossvaters, oder besser in die Rolle des Supervisors. Was ja mehr oder weniger dasselbe ist.
*
Ämne: RE: mittwochs
...
Na ja, die Passage, die ich geschrieben haben soll, die Du zurückschickst, weil Du den Sinn nicht ganz erfasst, diese Passage verstehe ich auch nicht ganz ;--))
Ich wollte damit sagen, dass man für Rilke in sozusagen einer Stimmung eines Sufi sein muss. Er ist so kontemplativ und in allgemeinen Bezügen aufgehoben, dass nicht versteht, wer hart in den Interessenkonflikten des Lebens eingespannt ist. Ich glaube, ich kann ihm nur in sehr kontemplativen Momenten richtig folgen. Und wie Du sagst, er wohnt in einer ziemlich sublimierten Welt, weit enthoben von den praktischen Dingen des Lebens. Das kann wohl nur, wer von allen praktischen Nöten der Existenz erlöst ist. So gibt es eben verschiedene Welten, in denen man Leben kann. Und der Bewohner der einen versteht nur schlecht jenen der anderen Welt. Das ist schon alles.
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Ich habe hier zwei Bücher gefunden von Rumi. Du erinnerst Dich, wir haben mal von den Sufis gesprochen und der islamischen Mystik. Im Kurs wird Rumi ab und zu zitiert. Eigentlich hätte ich Lust, die Bücher zu kaufen. Aber das sind Gedichte, und sie sind natürlich ins Englische übersetzt. Ich weiss noch nicht, ob ich zugreifen soll. In Deutsch habe ich noch nie etwas von ihm gesehen, habe allerdings auch nicht danach gesucht. Offenbar ist Rumi in Amerika ziemlich populär. Na ja, vielleicht nicht gerade bei Bush und seinen Co-Boys!!
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Kommntarer:

Här kände jag mig besläktad: Ich glaube wirklich, dass ich von Natur aus ein ziemlich kontemplativer Typ bin. Ich liebe die ruhigen Betrachtungen. Aber andererseits fühle ich ständig die Verpflichtung, aktiv zu sein, etwas zu tun.
Men sen börjar han prata om den där pliktkänslan, som för mig är ett olustigt sätt att arbeta på. Men jag har ju mina krav.
Idag läste jag det första brevet högt, och njöt av tyskan, och av att förstå allt. Utom ett ord: Gelassenheit. Är det lättja? Låt-gå-mentalitet?


Svar:

Har alltid förstått Gelassenheit som "upphöjt lugn"
(engelska: poise)
  1. Här ytterligare intressant information om ordet:
    Often translated as "releasment," Heidegger has described gelassenheit as "the spirit of disponibilité [availability] before What-Is which permits us simply to let things be in whatever may be their uncertainty and their mystery." Heidegger borrowed the term from the Christian mystical tradition, proximately from Meister Eckhart.

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Montag, 20. Januar 2025

Handwerker


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Gute Zeit

 

Lieber ...,
Du wünschst mir eine gute Zeit, und heute Abend habe ich sie. Ich bin nämlich Strohwitwe. Bin ich ja eigentlich immer, aber heute gehört das Haus nur mir und ich kann dir nach Herzenslust schreiben, gerade in dem Moment wenn ich Inspiration habe, d.h. jetzt. :-)

Ich habe mit großem Interesse deine Schreibpläne wahrgenommen und bin erstaunt wie wissenschaftlich du ans Werk gehst. Es wäre schön, wenn du damit Erfolg hättest und das wünsche ich dir aus vollem Herzen. Doch glaube ich immer, dass das schönste Buch von dir deine Memoiren sein müssten. :-)
Doch wenn du einmal einen Namen hast...

Beim lesen deines Mails musste ich an die Zeit zurückdenken, als Anna noch klein war und abends vor dem Einschlafen immer wollte, dass ich ihr etwas vorlesen sollte.. Oft war ich schon sehr müde nach einem strengen Arbeitstag, zu müde um etwas zu lesen, aber noch nicht zu müde um etwas zu erzählen.



Du kennst sicher die Bücher über Pettson. Ich denke sie müssen auch ins Deutsche übersetzt sein. Und zu diesen Büchern habe ich immer neue Kapitel aus meiner Fantasie erzählt. Findus, der Kater, hatte plötzlich ein kleines Liebchen im Wald gefunden, mit der er sich heimlich traf, Pettson selbst kriegte von mir eine "faster Olga" (faster ist Tante = Vaters Schwester). Diese kam oft ohne Ankündigung und schaute bei ihm nach dem Rechten. Auch eine kleine Mausfamilie habe ich erfunden, die abends, wenn Findus endlich eingeschlafen war, hervorkam und in der Küche nach Nahrung suchte. Ich musste mich nicht einmal anstrengen beim erzählen. Es kam alles so spontan zustande.
*
Du erzählst von den Mahlzeiten in deinem Büro und dabei denke ich mit Nostalgie zurück an die schönen Stunden, die ich zusammen mit Kollegen in der Schulkantine verbracht habe. Unsere Schule war sehr gross und an einem normalen Arbeitstag traf man meist nur Kollegen aus demselben Fachbereich. Es gab eine Zeit, wo wir ein gemeinsames Lehrerzimmer und gemeinsame Pausen hatten. Man konnte also täglich mit den meisten anderen Lehrern dort zusammenstrahlen und Gedanken austauschen. Dann kam jemand auf die Idee, die Lehrer sollten in jedem Fach ihr eigenes "Kaffeezimmer" haben und auch die gemeinsamen Pausen verschwanden. Und so blieb dann eigentlich nur noch die Kantine, wo man "die anderen"treffen konnte. Natürlich gab es auch Leute, die sich eigenes Essen mitbrachten, aber die wussten sicher nicht was sie verpasst haben in der Kantine. Das Essen war hervorragend. Ein Salatbüffet dazu zwei wahlfreie warme Speisen (viele nahmen von beiden), Milch, Bier oder Mineralwasser. Und nachher noch Kaffee mit einem kleinen Gebäck dazu. Und das alles für etwas mehr als 3 Euro. Aber das schönste dabei waren doch die Leute und die fröhliche Stimmung.

*
Gestern konnte ich nicht einschlafen. Weiss eigentlich nicht warum. Als ich schließlich auf die Uhr sah, war es schon nach 3 Uhr morgens. Dann muss ich doch noch ein paar Stunden geschlafen haben. Um halbzehn musste ich los. Der alte Herr mit dem neuen Hörapparat musste nochmals ins Krankenhaus, um das neue Gerät zu kontrollieren. Aber  gegen halbzwölf war ich schon wieder zu Hause.
Er ist ein sympathischer Mensch und nicht ungebildet, obwohl er nicht studiert hat. Habe ich dir gesagt, dass er 3 Punkte eingraviert hat in der Falte zwischen Daumen und Zeigefinger? Es kann bedeuten, dass er mal im Gefängnis gesessen hat. Man nennt dieses Zeichen "luffartecken" (vagabondenzeichen). Es kann auch anderes bedeuten und vielleicht war er einst nur ein Junge, der sich selbst so was eingravierte um though (tuff?) zu sein. Ich glaube ich frage ihn nächstes Mal danach.. :-)

Heute hatten wir endlich wieder etwas kühles Wetter mit Temperaturen gleich unter Null. Die letzten Tage waren ziemlich trostlos mit Wind und Regen. Dann bevorzuge ich diese kalte Luft. Aber der Himmel ist grau.

(---)

Ich habe nochmals den Artikel "Das lange französische Gedicht" durchgelesen. Der erste Teil kommt mir etwas kryptisch vor. Ich vermisse eine Logik (vielleicht bin ich auch nur zu dumm um sie zu sehen) aber der Artikel weckt Fragen und ich würde gern diese Cécile W bitten mir zu erklären wie sie dies und jenes meint. Mir kommt dabei ein schwedisches Zitat in den Sinn: "Das dunkel gesagte ist das dunkel gedachte". Ihr Bedauern über den mangelhaften Literaturunterricht erkenne ich. Das gilt auch für unser Land. Doch man versucht es nun zu ändern. Ich muss unwillkürlich an das beigefügte Bild denken. Vielleicht sind wir nun schon am letzten Stadium der Entwicklung gelandet.

Nein, ich mache nicht Spass. Ich meine es wirklich.
*
Du schreibst immer so schön, mein lieber Mausfreund. Auch heute noch bist du ein Glückspender in meinem Leben.. eine Droge, von der ich abhängig geworden bin. Es freut mich, dass es dich trotz deines schönen RL immer noch als Mausfreund in meinem Leben gibt.

(---)

Siehst du, es ist schon wieder etwas spät geworden. So lasse ich dich nun und wünsche dir eine gute Nacht bzw. einen guten Morgen.

Mit lieben Gs und Ks
Malou


Samstag, 18. Januar 2025

Folke - ein jährlicher Gast

 (R)

 Lieber ... !

Ich sitze im Augenblick in einem veritablen Chaos. Du weisst wie es ist, wenn man Bücherschränke ausräumt und die ganze Bodenfläche verdeckt ist, so dass man sich kaum bewegen kann. Es braucht starke Kräfte dass ich mich hinsetzte und alles liegenlasse. Meine Sehnsucht mit dir zu sprechen ist doch stärker als mein Drang hier so schnell wie möglich Ordnung zu schaffen.

(---)

Unser Gast ist ein hochinteressanter Mensch. Er ist ein alter Studienkamerad von K und sie wohnten damals in einem berühmten Studentenhotell für männliche Studierende im Zentrum von Uppsala. Sie hatten ihre Zimmer im selben Korridor. Alle lebten eng zusammen und kannten sich sehr gut, und niemand konnte eigentlich Geheimnisse vor den anderen haben. Es gab viele Originale, die später auch auf verschiedenen Gebieten Karriere machten und Folke (unser Gast) war schon damals einer der originellsten, und obwohl man ihn vielleicht nicht gerade bewunderte, so sah man doch sehr zu ihm auf.
...
Seit vielen Jahren ist er unser Gast während einer Woche (meistens sofort nach Schulschluss). Wenn ich die beiden so sehe und höre, dann denke ich an dich und W. Eigentlich könnte ich ihnen dauernd zuhören, denn wenn zwei so begabte und interessante Leute zusammenkommen dann werden viele Themen angeschnitten, und der eine versucht dem anderen mit neuen Erfahrungen zu imponieren. Vor einer Weile war die Rede von Stalingrad und grauenvollen Details aus dem Krieg, z.B. wie man sehen konnte, wenn jemand starb, dass sein Bart plötzlich lebendig wurde, und die Läuse in grossen Scharen schnell hinüberwanderten zu einem noch lebenden Körper. Folke hat wie K auch Geschichte studiert. Er war eine zeitlang Direktor aber die ”Papierarbeit” hat ihm nicht besonders gefallen und so ist er wieder Studienrat geworden. Er schreibt ausserdem Rezensionen für eine lokale Zeitung über Bücher, die er (wie ich behaupten möchte) nie gelesen hat ;-) Nun, so ist es wohl oft mit solchen Herren. Sie lesen ein paar Zeilen hier und ein paar Zeilen da und dann kopieren sie ganz einfach eine schon irgendwo veröffentlichte Rezension mit ein paar eigenen Zutaten. Und warum sollte es eigentlich dadurch an Wert verlieren? ;-)
Ich gehe ab und zu eine Weile zu ihnen hinunter und sehe nach, ob sie mich sehr vermissen ;-) Dann kehre ich beruhigt wieder zu meinem Ferngeliebten an den PC zurück.

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Erläuterungen zu Folke

 

Lieber ...,

Lieber ...,
Es ist wieder einmal spät am Abend. Ich sollte nicht mit dem Schreiben warten bis jetzt, denn abends bin ich meistens ziemlich müde und alle schönen sonnigen Gedanken, die ich während des Tages mit dir geteilt habe, sind ein bisschen matt und grau.. aber da bin ich nun wieder ..

Heute ist Folke nach einer guten Woche wieder abgereist. Es ist schön für K, sich mit ihm über alte (gute?) Zeiten unterhalten zu können und auch für mich sind die Gespräche meist sehr interessant und belebend.
Folke hat sich kaum verändert seit den Uppsalajahren, die Frage ist nur, ob das etwas Positives ist. Er ist ein sehr vermögender Junggeselle und ziemlich apart. Wenn er was persönliches erzählt, hat er die schlechte Angewohnheit die Personen immer bei Vornamen zu nennen, so als ob es selbstverständlich wäre für den anderen, wer damit gemeint ist. Meistens spielt es ja keine grosse Rolle, aber einmal erinnere ich mich, dass wir dachten, dass diese Eva die abends unter seine Decke schlüpfte, eine schöne Frau sei, bis wir auf meine indiskrete Frage hin erfuhren dass es sich diesmal um eine Katze handelte.

Nun habe ich es zur Gewohnheit gemacht, sofort zu Fragen "Wer ist X?" um nicht solche Missverständnisse aufkommen zu lassen, wobei er immer ein wenig beleidigt aussieht, als ob er sagen wolle: "Was, du kennst nicht X?" oder "Du bist wirklich sehr indiskret". Diesmal habe ich ihm auch gesagt, dass ich demnächst ein Buch herausgeben werde mit dem Titel "Erläuterungen zu Folke". Ich glaube, das hat ihm ziemlich geschmeichelt.
....

Und nun sitzen wir in der Badewanne, Doppelwanne, und gern würde ich manchmal aussteigen und zurückgehen ins Turmzimmer.. erinnerst du dich noch? Es war so schön dort neben dir zu sein und dich erzählen zu hören und ich wusste genau wo ich dich hatte.. zumindest körperlich.. Aber das war in meiner "wilden Jugend" und nun bin ich alt und klug..
Du scheinst dich darüber zu amüsieren. Mit klug meine ich, dass ich eine Erfahrung reicher geworden bin, aber klug bin ich wohl erst, wenn ich meine Handlungen von dieser neuen Erfahrung beeinflussen lasse..

"They say you learn from your mistakes - it´s a lie"

 singt die Sängerin in "Vaya con Dios".

Hattest du nicht diese CD gekauft (oder gestohlen?) :-)



RE: Berufsbeginn ...

 Lieber ...,

Donnerstag, 16. Januar 2025

Berufsbeginn - Altersheime u.a.m.

 

Berufsbeginn - Altersheime - Röntgenaufnahme - Seeräuberbart


Liebe Marlena

Gestern war ich den ganzen Tag sehr beschäftigt. Ich habe endlich damit angefangen, die eingegangenen Bewerbungen zu studieren. Ich glaube, es sind um die 30 Leute, die sich für unsere zwei halbe Stellen interessieren. Und so, wie alles ausschaut, können wir eine halbe Stelle vergeben, die andere werden wir intern zuteilen.

Das war also ein ziemlich strenger Tag. Und es ist ein sehr zweifelhaftes Vergnügen, sozusagen den lieben Gott für diese Menschen zu spielen. Ich mache mir zwar nicht mehr soviele Sorgen darüber wie früher, aber immerhin. Vor allem sehe ich diese vielen jungen Leute, die soeben ihr Studium abgeschlossen haben und die nun voller Optimismus und Tatendrang eine Stelle suchen. Wenn ich es vergleiche mit jener Zeit, als ich eine Stelle suchte, na ja, vielleicht war es nicht ganz anders. Habe ich Dir schon mal erzählt, wie es damals zuging.

Ich hatte also mein Lizentiat im Sack. Mein Professor hatte geraten, daraus eine Dissertation zu machen, und er machte mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Ich brauchte bloss noch etwa 40 Seiten zu schreiben. So stellte ich mir vor, dass ich mich als Arbeitsloser melden sollte, um daneben in aller Ruhe und Gemütlichkeit meine 40 Seiten zu schreiben. Aber unsere Arbeitslosenkasse machte es mir zur Pflicht, ihr nachzuweisen, dass ich mich auch schön an verschiedenen Arbeitsstellen beworben hatte. So schrieb ich meine Bewerbungen an psychiatrische Kliniken hauptsächlich. Das war ziemlich die einzige Variante, die ich mir als Arbeit vorstellen konnte. Nun, daneben hatte ich ja noch die Arbeit an der Hochschule für angewandte Psychologie mit diagnostischen Aufgaben im Verkehrsbereich. Damit hätten wir auch überleben können. Und S hatte auch ihre Arbeit. Ich machte mir absolut keine Hoffnungen, innert nützlicher Frist eine passende Stelle zu finden. Schliesslich wollten sie mir sogar auf dem Arbeitsamt eine Stelle geben. Ich wäre verantwortlich geworden, mit arbeitslosen Leuten Waldwege zu reparieren und andere Arbeiten in der Natur durchzuführen. Gleichzeitig kam dann dieses Angebot aus Olten, wo man einen Psychologen in einem Drop-In suchte. An einem regnerischen Tag fuhr ich in diesen Ort und stellte mich vor einer ganzen Kommission von Leuten vor. Olten war mir ein absolut unbekannter Ort. Er galt und gilt zwar als Eisenbahnknotenpunkt der Schweiz, und jedes Kind hatte in der Schule gelernt, dass bei uns alle Wege über Olten führen. Aber niemand war je dort dem Eisenbahnwagen entstiegen, um sich das hübsche Städtchen anzuschauen. Ich entschied mich für Olten, weil ich fand, das Züricher Angebot wäre nicht wirklich für einen Psychologen. So hatte ich eine Arbeitsstelle, wo ich doch gar noch nicht so schnell arbeiten wollte. Und so kam ich in diesen hübschen Ort am Jurasdüdfuss an meine erste Stelle, wo ich unendlich viel Freiheiten und auch freie Zeit hatte. Die ersten Monate reiste ich mit der Eisenbahn hin und her. Ich hatte jede Menge Zeit, während der gut zweimal 30 Minuten Eisenbahnfahrt Zeitungen zu lesen.

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Ja, die Altersheime! Auch die Perser verstehen nicht, wie schlimm wir unsere alten Leute behandeln. Ich erinnere mich an jene erste Zeit, als wir in Teheran in den Ferien weilten. Plötzlich tauchte in der Familie Simines eine alte Tante auf. Sie sass schon am Morgen früh mitten in der Stube auf dem Teppich, rauchte eine Zigarette nach der anderen und kreischte mit rauher Stimme lautstark in der Wohnung herum. Alle Familienmitglieder waren mit ihren Dingen beschäftigt, und dazu gab sie ihre Kommentare oder sie versuchte irgendwelche Plaudereien zwischen verschiedenen Räumen. Jeder in der Familie war sehr freundlich mit ihr, vor allem die Kinder, wie mir auffiel. Sie lächelten, wenn sie etwas gefragt wurden, gaben geduldig Antwort und liessen sich durch durch diese alte Frau von ihren Tagespflichten abhalten. Für mit mit meiner europäischen "Ordentlichkeit" war das alles ziemlich fremd. Und ich erfuhr, dass sie sozusagen eine Pensionierte sei, eine ältere Tante, die ihr Leben damit zubrachte, ihre Verwandtschaft zu besuchen und damit ihren Lebensabend zu verbringen. Sie blieb vielleicht eine Woche in einer Familie, sass mitten in der Stube, rauchte diese dünnen persischen Zigaretten, schlürfte ihren Schwarztee, rührte aber absolut keine Hand, um etwas im Haushalt mitzuhelfen, hatte hingegen für alles und jedes irgend einen Kommentar, und liess sich dann vom Schwiegervater in die nächste Familie transportieren. In meinem Erleben war sie sehr unangenehm. Aber für die Familie war sie nichts Ungewöhnliches, eine Tante eben, die zum Leben gehörte, es sogar bereicherten.

Siehst Du Marlena, deshalb stelle ich mir vor, einen Teil meiner Pension im Iran zu verbringen, auf irgend einem wunderbaren persischen Teppich zu sitzen, überzuckerten Tee zu schlürfen, würzigen Tabak zu rauchen, den Respekt der Leute rundum zu geniessen und die Welt mit meinen Sprüchen zu beglücken.

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Finde ich toll, dass Du die Röntgenaufnahmen bekommen hast. Weshalb rahmst Du sie nicht, um sie dann vors Fenster zu hängen. Man könnte sie auch unter das Glas des Tischchens in der Stube legen. Und die kannst sie noch interessanter gestalten, indem Du mit einem Filzstift irgendwelche Bemerkungen, Markierungen, Pfeile, Ausrufezeichen darauf zeichnest. Ich bin überzeugt, dass sich damit etwas Interessantes machen lässt.

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Nein, ich habe meinen Seeräuberbart wieder entfernt. S  mag das absolut nicht. Er ist also ein geeignetes Mittel, sie ab und zu ein wenig zu ärgern. Im Iran ist ein solcher Dreitagesbart heute wieder ein Zeichen armer Leute. Aber unmittelbar nach der islamischen Revolution war er absolut in Mode bis weit hinauf in der sozialen Schichtung. Deshalb nenne ich ihn einen Islamistenbart. Vielleicht ist er meine letzte naturwüchsige Möglichkeit des Protestes gegen Künstlichkeit und steriles Zweckdenken in unserem Leben? Und er gibt dem Gesicht die Patina und den Duft des Lebens, nicht wahr?

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Mein jüngster Bruder wohnt nicht im Wallis, sondern in Luzern. Onkelchen war und ist sein Pate, deshalb muss er ihn heute speziell berücksichtigen und ab und zu besuchen. Er weilte oft, nachdem unsere Mutter nach der Geburt gestorben war, in Lenzburg. Onkelchen und Tantchen hatten sich ihm gegenüber immer irgendwie als Ersatzeltern gefühlt und ihn behütet und verwöhnt. Ich glaube, sie wollten ihn sogar adoptieren, was mein Vater aber nicht akzeptiert hatte.

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Heute muss ich die zweite Hälfte der Bewerbungen durchschauen. Und ich muss morgens daran gehen, sonst komme ich nicht vorwärts.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag

Mit lieben Grüssen
...



Dienstag, 14. Januar 2025

Interessantes Thema?

Liebe Marlena

...

Ich war rasch im Städtli, wie wir sagen, und dabei habe ich meinen Chef getroffen. Wir begegnen uns wie eher flüchtig Bekannte. Er grüsst freundlich, nicht mehr, ich auch, nicht mehr. Wir hatten beide einen grossen Hut auf, er einen schnittigen und geformten, ich so eher eine existenzialistische Filzbeule. Aber wir haben beide den Hut nicht abgenommen beim Gruss. Ich habe wenigstens die Hand gehoben, weil ich dachte, ich müsste doch irgendwie ... die Kopfbedeckung lüften. So einen lauen Hitlergruss habe ich gemacht. Nein, es ist nicht die richtige Bezeichnung, aber Du weißt jetzt vielleicht, was ich meine. Er hat sein schnittiges Möbel auf dem Kopf nicht bewegt. Und ich habe mir gedacht, wie man denn einen solchen Hut tragen kann, wenn man nicht mit ihm umzugehen weiss.

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Doch das ist kein interessantes Thema.

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Re:

Lieber ... ,

Wieso sollte es kein intressantes Thema sein, dieses kleine Drama in einem Akt, das sich dort auf der Strasse ausgespielt hat. ;-) Ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert und du musst mir verzeihen aber ich habe auch Anna diese Passage vorgelesen. Sie hat ein sicheres Gefühl für Nuancen und wir haben beide herzlich gelacht über deinen Humor. Ich teste immer ein wenig ob sie deutsch versteht.. sprechen kann sie es ja leider kaum.

Weisst du, ... werde nicht eingebildet, wenn ich dir das sage. Aber ich hab wirklich noch nie einen Menschen getroffen, oder besser gesagt gekannt der Dinge so treffsicher beschreiben kann wie du. Und glaub mir, ich vergleiche dich nicht mit Dummköpfen. Es sind Skribenten, Schriftsteller und äusserst gebildete Leute.

A propos eingebildet: Ich musste lachen über deine Worte neulich, dass du vestehen kannst "dass du mir nicht aus dem Sinn gehst". Bist du immer so sicher in solchen Dingen???  Aber du wirst natürlich nicht auf die Frage reagieren.

*

K hat gerade angerufen und Anna sagt dass er schon wieder so ganz schrecklich erkältet ist. Er wird es ganz einfach nicht los. Ab und zu wird es etwas besser nur um dann wieder in voller Stärke hervorzubrechen. Hoffentlich steckt er uns nicht an jetzt sodass wir  nichts unternehmen können.

Wie sehr ich deine Bekannten beneide. Geld und Zeit etwas damit zu tun, wer träumt nicht von einem solchen Glück. Und wenn sie den Mann liebt, was spielt dann das Alter für eine Rolle.

Diese Damenparties kenne ich ein wenig.und das erste Mal hat es mich sehr überrascht, denn so elegant und verführerisch machen wir uns nicht wenn wir unter nur Schwedinnen unsere "Damenkränzchen" haben (oder wie du sie nun nennst). Aber mit dem Essen und dem "rundherum" geben wir uns auch grosse Mühe. Soweit ich weiss gibt es kein Land in Europa das so freikostig ist wie Schweden wenn es gilt Gäste zu verwöhnen.  ...

So, nun habe ich ein wenig geplaudert in die Finsternis hinaus. Schreib mir bald wieder, mein lieber Mausfreund,

Ich grüsse dich herzlich

Marlena



Sonntag, 12. Januar 2025

Ämne: RE: +++ ---

 

Ja, Malou
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Du hast Recht, ich habe Malraux gedacht und Du hattest Mauriac gemeint. Und jetzt willst Du mich mit ihm gleich erschlagen und gibst mir eine Liste von 5 Titeln vor! Du bist aber ziemlich hart im austeilen, Malou! Ich habe dieses Wochenende eine dicke Biographie über Immanuel Kant begonnen und werde diesen und vielleicht den nächsten Monat damit mehr als beschäftigt sein. Wie könnte ich da Mauriac noch oben aufs Brot streichen?  ...

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Lieber ...

Ach, du verwirfst meinen Vorschlag.. :-(  Du bleibst lieber bei Kant, den du doch sowieso schon genügend kennst.. (Ich gebe zu, er ist auch hier wieder "auf der Tapete") - aber mit Mauriac würde sich für dich eine neue Welt öffnen.
Ich habe dir nur einige Titel von Romanen genannt die ich selbst gelesen habe. Ich frage mich, ob du überhaupt einen dieser Romane als "christliche Literatur" bezeichnen würdest. Ich glaube kaum. Gerade deswegen, weil ich glaube, dass du falsche Vorstellungen von ihm hast, möchte ich, dass du einen Versuch machst ihn zu lesen. Er wird dich nicht bekehren.. ;-) Das versichere ich dir...
Seine Bücher sind deprimierende, tief pessimistische Schilderungen seiner bürgerlichen Umgebung. So hatte er auch die ganze bürgerliche Kritik gegen sich.
OK, ich werde dich nicht bedrängen.
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Die kleine Animation war eine kurze japanische Story. Ich weiss nicht, was mit den Studenten los ist (nun meine ich diejenigen, die Anna bei ihrem Studium trifft) ) denn sie scheinen alle ganz verhext zu sein von japanischen Kurzfilmen. Es gibt sogar welche, die deshalb japanisch studieren neben ihrem technischen Studium. ...
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Ja, ich glaube dir schon, dass du dich in deinem Club in solcher Umgebung recht jung fühlst. Ich glaube überhaupt, dass unsere nächste Umgebung eine grosse Rolle spielt. Aber ich fühle mich nicht jung, wenn ich Åke und Garry  betrachte. Im Gegenteil. Das ist mir erst aufgefallen, als ein junger Kandidat bei uns im Arbeitszimmer auftauchte. Er bringt eine herrliche Frische in den Raum und man fühlt sich fast, als wäre man zurückversetzt in die ersten Jahre im Beruf. Optimismus und Glaube an die Zukunft. Na ja, er hat noch nicht angefangen zu arbeiten. Wenn ich die anderen jungen Lehrer betrachte, sind sie schon nach kurzer Zeit von dem Stress des Berufes beeinflusst. Es war fast ein bisschen ein Schock, als mir klar wurde, wie diese "Altmänneratmosphäre" mein Milieu bestimmt hat.
Jetzt muss ich ein wenig arbeiten. Vielleicht komme ich nachher nochmals zurück..
Bis dahin, sei lieb gegrüsst,
Malou

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Ämne: RE: supplément

Liebe Malou
Bist Du lieb, wie Du soviel Geduld hast mit mir und dem Mauriac. Weißt Du, wenn ich mal irgendwo ein Buch antreffe, werde ich es mir bestimmt aneignen und vielleicht sogar lesen, jetzt, da ich weiss, dass er Dein Favorit gewesen ist. Aber auf der anderen Seite beschreibst Du ihn als depressiv. Nun, was sollte ich denn von ihm erwarten?

Vielleicht haben wir viele Illusionen aufgegeben, aber wir sollten den jungen Menschen das nicht zeigen. Man kann sie immer noch verbessern, und dazu braucht es Mut. Und diesen müssen wir den Jungen wünschen. Ach, ist es nicht ein Dilemma, in dieser rasch sich ändernden Zeit in fortgeschrittenem Alter zu sein. Manchmal habe ich eine tiefe Sehnsucht nach alten Zeiten, ich kann gar nicht genau sagen, wonach. Und dann versuche ich mich zu beruhigen, dass ich mich eigentlich nur nach meiner Jugend zurücksehne.

Wir waren mal in Kempten in den Ferien. Das liegt im südlichen Bayern, wenn ich mich recht erinnere. Und an einem Samstag Morgen bei schönstem Sonnenschein gingen wir dort durch die Strasse der kleinen Stadt. Und die Leute waren vergnügt, grüssten sich, nahmen sich Zeit für einen Schwatz, plauderten auf der Schwelle der kleinen Läden. Ach, es war alles so beschaulich und hübsch und sauber und sonnig, dass man sich in die alten Zeiten zurückversetzt meinte. Einer dieser Momente ist mir noch heute tief in Erinnerung geblieben, obwohl das jetzt bestimmt 20 Jahre her ist.

Jetzt muss ich aber bestimmt heim. Das war nur ein kleiner extra Gutenachtkuss.
Mit lGuK
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