Montag, 31. Dezember 2012

Gott Nytt År!




Ich wünsche Dir von Herzen
ein schönes, glückliches,
gutes neues Jahr 2013.

Marlena





.

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Sonntag, 23. Dezember 2012

God Jul och Gott Nytt År




önskar jag er alla
Malou




Samstag, 22. Dezember 2012

Schweden 22. Dezember



Danföredanföredopparedan


Ja, so heisst er dieser Tag.:          
Der-Tag-vor-dem-Tag-vor-dem- Eintunktag...   

Es hat mit dem Weihnachtsschinken und der
Brühe zu tun, in die man Fladenbrot (?) eintunkt.
Ich bin froh, dass ich alles, oder fast alles, was mich aus dem
Haus treibt, hinter mir habe. So spät wie gestern Abend haben
Anna und ich noch an mehreren Tankstellen in der Region
nach einem Baum gesucht. Und schliesslich haben wir zum
Glück einen akzeptablen gefunden. Es gab sonst nur noch
schreckliche Monster.
Heute werden wir Weihnachtsgebäck machen. Ein Stollen,
ein Rosinenpfefferkuchen und Vanillekipferl (altes
österreichisches Rezept) gehören dazu. Das Saffronsgebäck
habe ich ja schon zu Lucia gebacken. Und morgen wird dann
der Baum geschmückt. Wir setzen immer eine Ehre darin
den "Allerschönsten" zu haben.. *s*
Ich schicke dir ein paar Bilder mit von aktuellen Dingen.
Der Baum (von vorigem Jahr), das Schneebild, weil es
wahrscheinlich am "julafton" (Weihnachtsabend) so hier
aussehen wird.. *hoffentlich* und dann der Schinken, ein
absolutes "muss" auf jedem schwedischen "julbord".
....
(R) Dezember 2004

Freitag, 21. Dezember 2012

Blick durchs Fenster




                                                                        heute


Dienstag, 18. Dezember 2012

Re: Real life..

(ungekürzt)

Chère, voilà une confession sans retenue aucune ... (Rilke)

Liebe Marlena
Dein Sonntags Mail ist schön, ein bisschen nachdenklich, aber schön. Und ich hoffe, dass die sonnigen Grüsse nicht nur vom Wetter, sondern von dir direkt stammen, also von deinem sonnigen Gemüt.
Ach, das Rilke Gedicht ist wirklich sehr dramatisch, eine Dramatisierung der platonischen Liebe. Sie ist stärker als der Körper, sie braucht den Körper nicht. Sie ist die absolute Vergeistigung, schon in der Nähe des Religiösen. Der Gedankengang scheint mir natürlich auch etwas masochistisch. Und er scheint mir feminin. Liege ich da richtig?
Weißt du, dass Rilke eine Schwester hatte, die aber früh, kurz nach der Geburt schon gestorben war? Offenbar hatte seine Mutter ihn dann bis ins 5. Lebensjahr wie ein Mädchen gekleidet und erzogen. Er hat doch schon sehr feminine und sensitive Züge.
Wenn ich das Gedicht lese und mir vorstelle, dass du es sagst, zitierst, dann wird es mir etwas komisch ums Herz. Einerseits ist es so intensiv in der Konsequenz des Gedankengangs und der Selbsthingabe bis hin zum verbrannten Hirn, so dass nur noch Blut bleibt. Andererseits denke ich an dich, wie ich dich auf den zwei Bildern sehe. Also, diese zwei Vorstellungen möchte ich nicht zu nahe zusammen bringen. Ich sehe dich lieber blühen, Marlena. Nun ja, die eine Vorstellung ist eben 100% platonisch und die andere ist zu einem schönen Teil Fleisch und Blut, also ziemlich lebendig.
Was mich amüsiert hat ist die Tatsache, dass du nach dem Gedicht gesucht hast, wie ich fast gleichzeitig nach meinen Büchern gesucht habe. Gibt es wirklich solche Parallelen zwischen Stockholm und Basel? Du hast dieses schöne Gedicht gefunden und ich habe gefunden:
2 Bände Rainer Maria Rilke Chronik seines Lebens und seines Werkes
Rainer Maria Rilke Duineser Elegien
Letzteres ist ein kleines dünnes Büchlein. Ich habe es erst im August 98 gekauft. Ich kann mich noch gut erinnern. Ich wusste sehr wohl, dass ich diese Duineser Elegien schon zuhause hatte. Trotzdem habe ich das Büchlein in jenem Sommer gekauft. Ich fand, es sei so schön klein und man könne es überall mitnehmen.
Und die 2 Bände habe ich mal in einem Antiquariat billig gekauft. Es ist eine minutiöse Chronik seines Lebens und man kann praktisch für jeden Tag sehen, wo er gerade war und an wen er Briefe geschrieben hat. Er war ja ein grosser Briefeschreiber.
Ich will mal suchen, wann er in Ronda war und was er dort geschrieben hat. Er schreibt über Ronda am 31. Dezember 1912 an Rodin in Paris:
"Ronda où je suis à présent est un pays icomparable, un géant de rocher qui supporte sur les épaules une petite ville blanchie et reblanchie à la chaux et qui, avec elle, fait un pas sur la mince rivière, tout comme Saint Christophore avec l'enfant Jésus; je comprends qu' on trouve partout ici son image dans les églises; et il est tout fait pour en être le Patron".
Oder am 17. Dezember schreibt er an Fürstin Turn und Taxis von Ronda:
"Hier wäre nun freilich auch der Ort, recht spanisch zu leben und zu wohnen, wäre nicht die Jahreszeit...zum Überfluss hat der Teufel den Engländern eingegeben, hier ein wirklich ausgezeichnetes Hotel zu bauen, in dem ich natürlich nun wohne, neutral, theuer und wie es sich der und jener wünschen würde, und dabei bin ich schamlos genug, zu verbreiten, dass ich in Spanien reise".
Oder weiter "...ich bin seit Cordoba von einer beinah rabiaten Antichristlichkeit, ich lese den Koran, er nimmt mir, stellenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft drinnen bin, wie der Wind in der Orgel. Hier meint man in einem Christlichen Lande zu sein...Jetzt ist hier eine Gleichgültigkeit ohne Grenzen, leere Kirchen, vergessene Kirchen, Kapellen die verhungern."
Auch in seinen Briefen ist Rilke sehr bildhaft, originelle Bilder, finde ich.
*
Du sagst, es sei wie Heroin, und später die Frage, ist es real life oder ist es virtual life. Und dann erwartest du noch dazu, dass ich streng sei und dir ins Gewissen rede. Ach Marlena, ich bin überhaupt kein strenger Mensch. Dazu eigne ich mich nicht sonderlich. Ich bin large, manchmal sehr, auch mit mir selbst.
Was real und was imaginativ ist, daran bin ich auch am Überlegen, meine liebe Mausfreundin. Ich glaube, wir sind noch sehr dazu erzogen worden, Realität und Fantasie zu trennen. Die heutige Jugend sieht Science Fiction Filme, Horror Filme, realistische Filme, alles durcheinander. Ich glaube, sie unterscheiden nicht mehr so genau zwischen Vorstellungen und Wirklichkeiten. Das ist wohl auch eine Folge des Wohlstandes. Nur materieller Wohlstand erlaubt zu träumen, von den paar Dichtern einmal abgesehen, die trotz Armut geträumt haben.
Ich finde auch, dass Vorstellungen sehr wirklich, vielleicht müsste man sagen wirksam sein können. Oder die Worte, wie du feststellst. Alles geht im Kopf ab. Die Skirennfahrer machen Mental Training, die Generaldirektoren machen psychologische Kurse, die Leute machen jetzt Telefonsex (ich sage zu S. im Spass, ich wünsche mir mal Telefonsex, das sei wirklich etwas, was ich noch nicht kenne. Aber ich habe noch nicht das passende attraktive Telefon gefunden! Die Handys sind mir zu dünn und das Telefon in der Stube ist mir zu hart).
So kann man sich auch eine unterhaltsame Stunde machen, indem man Wäsche bügelt. Es gibt doch diese wunderbare Szene bei Tom Sawyers, als er für Tante Polly den Zaun streichen muss. Sicherlich kennst du sie, Marlena, von Mark Twain. Das ist sehr psychologisch gemacht. Hat mir als Junge immer gut gefallen. Vielleicht war es sogar ein Motiv-Grund (eines unter mehreren) für mich, Psychologie zu studieren. Was ist really real, und was ist not really real. Ach, wer könnte das beantworten?
*
Doch, ich kann dir etwas dazu sagen. Es ist mir vor ein paar Tagen eingefallen, und ich wollte es dir bei Gelegenheit schreiben. Jetzt schreibe ich etwas früher, obwohl es vielleicht gut gewesen wäre, dies oder jenes noch kurz nachzulesen. Es gibt in der deutschen Literatur den grossen Dichter der Aufklärung, Gotthold Ephraim Lessing. Schon sein Name ist Musik. Er hat im 18. Jahrhundert gelebt und viel geschrieben, unter anderem ästhetische Schriften (Laokoon) und Musterdramen (Emilia Galotti). Das bekannteste dieser Dramen ist Nathan der Weise. In diesem Drama, nach der aristotelischen Regel der Einheit von Ort, Zeit und Handlung geschrieben, kommt es zur Frage, welche Religion die wahre sei: Christentum, Judentum oder Mohammedanismus? Und die Frage wird anhand einer Parabel gelöst, die Lessing aus dem Decamerone von Boccacio hat. Es ist die sog. Ringparabel. Ein Mann hat drei Söhne und gedenkt vor seinem Tod, seinen wunderschönen Ring dem Ältesten zu vererben, denn er ist edel und gut. Er spricht mit dem zweiten Sohn und bemerkt, dass er ihn als Vater ebenso liebt. Und beim dritten desgleichen. Und so entschliesst er sich, zwei Duplikate des Ringes machen zu lassen und jedem seiner Söhne einen zu vererben. Und jeder der drei Söhne meint, er hätte den einzigen und echten Ring.
Ich glaube, Lessing treibt die Geschichte noch weiter, indem es heisst, die Söhne streiten sich, wer den echten Ring hat. Und der Vater sagt ihnen, am Leben und der Art, wie sie edel und gut sind, wird man erkennen, wer von ihnen den echten Ring habe.
Ist das eine Antwort, meine Liebe? An der Serenität im Alltag wird man erkennen, ob die Mausfreundschaft real ist. Ich glaube, bei mir wirkt es schon ein bisschen. Willst du wissen wie? Früher, wenn ich mitten in der Nacht aufgewacht bin, habe ich mich oft geärgert, weil ich schon an den Morgen dachte, da ich wieder früh aus den Federn muss. Heute geniesse ich es, im Bett nachzudenken, was wir reden, was ich dir erzählen kann, nun ja, du weißt, die Kilometermails, die nie geschrieben werden. Oder am Morgen katapultiere ich mich um 530h aus dem Bett mit der Vorstellung, dass im Büro ein Mail auf mich wartet. Jetzt verstehst du vielleicht meinen Hilferuf nach einem Bergarbeiter-Steak.
Aber Marlena, lass mich auf diesen Punkt kommen. Vielleicht magst du das nicht. Aber irgendwie muss ich. Du kannst mir sagen, falls du nicht darüber reden willst. Ich habe den Eindruck, du hast Schuldgefühle. Und ich habe den Eindruck, dass für dich irgendwo ein grosses Problem ist. Ich vermute, es liegt zwischen dir und deinem Mann? Ach, ich wollte dich nie so direkt fragen. Aber es taucht in deinen Briefen immer wieder irgendwie auf. Ich habe mal gedacht, es sei wie ein Seufzer, der durch deine Zeilen geht.
Wenn ich jetzt könnte, würde ich gerne mit ein paar Rilke Zeilen enden. Aber ich weiss nicht, ob es mir so gut gelingt wie dir?

Ach, wen vermögen wir zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, dass wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Strasse von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.

Aus der 1. Elegie, und es geht für mich dabei um die Vergänglichkeit, ob der ich ziemlich in Melancholie geraten kann. Doch Melancholie ist nicht Trauer, oder?
Ich umarme dich in Gedanken
G&K

Freitag, 14. Dezember 2012

Ein "Mausleben" - Real life?








(ungekürzt)

Mein lieber Mausfreund!

Vielleicht wartest du auf ein langes Mail von mir und weisst nicht dass ich mich schon seit Stunden mit dir unterhalte in meinen Gedanken. Ich spreche mit dir, erzähle dir alles Mögliche, stelle dir Fragen (die man nur einem Mausfreund stellen kann) und nun endlich sehe ich ein, dass du davon nichts wissen kannst wenn ich mich nicht wirklich an den PC setze. Diese kleine Geste aus dem realen Leben braucht es doch um ein Mausleben führen zu können.
Ein Gedicht von Rilke ist mir heute öfters in den Sinn gekommen. Ich erinnerte mich nur an einige Strofen und natürlich an den Rythmus, der es irgendwie atemlos und dramatisch macht. Nach einigem Suchen habe ich es wiedergefunden. Es ist sehr schön und doch musste ich plötzlich lachen als ich dachte was du wohl denken würdest wenn ich es dir schicke. "Brich mir die Arme ab.." Ich will ja schliesslich nicht dass du mich verstümmelst .. ;-)

Aber abgesehen davon ist das Gedicht sehr schön:

Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füsse kann ich zu dir gehn,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.


*
Es ist bald Abend. Anna hat heute den ganzen Tag Generalprobe gehabt und jetzt ist sie bei der ersten Vorstellung des Musicals in dem sie Klavier spielt im Orchester. K sieht sich Pferderennen an und ich wollte eigentlich (das Los der Frauen) einen Haufen Wäsche bügeln. Zum Glück gibt es einen Mausfreund damit ich es noch etwas hinausschieben kann.
Deine Mails sind so schön! Ich kann nicht genug kriegen davon. Immer wieder suche ich nach neuen Mails von dir. Manchmal komme ich mir vor wie eine Harroinsüchtige die fiebrig auf die nächste Droge wartet. Ich weiss, du hattest mich gewarnt..
*
Es ist erstaunlich welche Macht Wörter haben. So bin ich dir z.B. dankbar dass du das Wort "Mausfreund/in" erfunden hast. Ein Mausleben kann doch nichts anderes als schön, leicht und unkompliziert und erlaubt sein.. Es ist wie ein Lieblingsbuch auf dem Nachttisch. Man kann hineinschlüpfen und den Alltag für eine Weile vergessen. Man kann ein Kapitel darin lesen und nachher gestärkt in das "real-life" zurückkehren. Ist es so für dich?

(Oder ist mein "real-life" das Buch, in dem ich ab und zu ein Kapitel lesen muss? Sicher wird dich diese Frage provozieren und du wirst mir eine strenge Rede halten :-)
Aber sag mir. Was ist mein wahres Leben? Wenn ich z.B. wäsche bügle und dabei in Gedanken mit dir die Champs-Elysées runtergehe, wer könnte dann behaupten mein Leben sei langweilig? Welche von den beiden Aktivitäten gilt?
*
Es ist inzwischen Abend geworden. Anna ist wieder zu Hause von dem Musical. Es war wieder ein grosser Erfolg. Morgen werden noch zwei Vorstellungen gegeben.
K spielt seine Musik (im Moment solche die du nicht magst). Sie gefällt mir, aber sie passt nicht zu meiner Stimmung und ich kann mich nicht dagegen abschirmen denn es gibt keine Tür zu schliessen. Das "Allrum" ist nur durch eine Treppe mit der unteren Etage verbunden. Ich liebe solche offene Planlösungen aber es hat nicht nur Vorteile. :-)
*
Sonntag Morgen.
Ich war gerade im ST und habe ein kleines Mess von dir gefunden. Genau eine halbe Stunde nach dir. Dabei erinnerte ich mich dass du ja jetzt deinen Laptop zu Hause hast und vielleicht ein Mail von mir erwartest.
So schicke ich diese erste Hälfte (?) meines Mails jetzt schon ab.
Fortsetzung folgt..
Liebe sonnige Grüsse
Marlena

Mittwoch, 12. Dezember 2012

dauern oder trauern?


Ämne: Re: dauern oder trauern ?
Datum: den 21 oktober 2000 12:17


Liebe Marlena
Ja, Kopfschmerzen sind sehr unangenehm, da kann Dich niemand beneiden. Mit Kopfschmerzen kann man nichts tun ausser schlafen, wenn man denn schlafen kann.
Aber das finde ich nun ja sehr süss, Du liegst unter der Decke und liest Rilke, vom mönchischen Leben. Nicht nur der Autor passt, auch das Thema passt, meine Liebe. Ach, ich würde gerne dabei sein, wenn Du das liest und Dir Deine Gedanken machst. Ich habe das nie so sorgfältig gelesen, das Buch vom mönchischen Leben ...

"Du bogst mich langsam aus der Zeit,
in die ich schwankend stieg;
ich neigte mich nach leisem Streit:
jetzt dauert deine Dunkelheit
um deinen sanften Sieg."

Das erinnert mich ein bisschen an jenes Gedicht, das ich Dir einmal zitiert habe, an dieses grandiose Zwiegespräch, nein es ist ein Monolog, denn Nachbar Gott schweigt bekanntlich.

Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal
In langer Nacht mit hartem Klopfen störe, -
So ists, weil ich dich selten atmen höre
Und weiss: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gieb ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.

Du schlägst vor, dauert mit trauert zu ersetzen. Spontan war ich mit Dir einverstanden, denn es passt lautlich ebenso, und es wäre plastischer, psychologischer, kolorierter irgendwie. Dauert ist irgendwie hart und trauert wäre irgendwie weich. Kann man es so sagen?
Aber passt es auch inhaltlich? Es geht um einen leisen Streit zwischen dem Du und dem Ich. (ich brauche im folgenden "Du" und "Ich" wie Namen, nicht als Personalpronomen. Ich hoffe, Du weißt, wie ich es meine.) Und die Dunkelheit ist der Triumpf des Du über das Ich. Verstehe ich das richtig? Das grandiose Du lässt das Ich den Sieg durch seine Dunkelheit spüren. Es ist die Geste des Siegers über den Besiegten. Deshalb glaube ich, dass die Dunkelheit eine gewisse Härte hat, und weniger trauert denn dauert. Die Trauer wäre auf der Ich-Seite, die das zu erdulden hat, dieses Hinausgebogensein aus der Zeit, gegen das das Ich sich in leisem Streit wehrt.
Siehst Du Marlena, auf diesen Schluss käme ich ungefähr. Aber ich bin ja kein Philologe. Und dazu bin ich keine Frau. Und jetzt könnte man weiter interpretieren, und das vielleicht aus einer feminineren Sicht:

Das Du feiert wohl einen sanften Sieg, aber gerade die Tatsache, dass er sanft ist und dass der Streit leise war, zeigt, dass das Du mit dem Ich Mitgefühl hat. Die Trauer wäre dann die Auflösung dieses milden Konfliktes zwischen Du und Ich. Das Du bestraft mit Dunkelheit, aber contre coeur, also mit Trauer. Die Trauer verbindet wieder. Das wäre ebenso schön, und wie ich finde, femininer, das heisst versöhnlicher empfunden. Was meinst Du dazu, Marlena?

"Du bogst mich langsam aus der Zeit,
in die ich schwankend stieg;
ich neigte mich nach leisem Streit:
jetzt dauert deine Dunkelheit
um deinen sanften Sieg."

Ach, Marlena, es ist wunderschön, mit Dir solche Dinge zu diskutieren. Das könnte ich nächtelang tun, bei Kerzenlicht und einem milden Wein. Und zum Schluss würde ich Rilke fast so gut kennen wie Du. Und natürlich stelle ich mir das alles im Wallis vor, wenn die Blätter treiben, und Du aber vielleicht doch eher in Uppsala.
Ich habe die Passage immer wieder hineinkopiert, damit ich sie vor mir habe. Und jetzt lasse ich sie einfach stehen. Sieht doch ganz gut aus.

Doch es geht hier um den Tod, oder nicht? Aber wir wollen doch ewig leben, Marlena!!!
Ich küsse Dich, meine ferne Mausgeliebte
...

Sonntag, 9. Dezember 2012

Gedanken über das Beten


Rom


Lieber ...,
---
Du sprichst von Beten in deinem Mail und ich bin nicht sicher ob du das ernstlich meinst oder ob du nur Spass machst. Betest du wirklich?

Ämne: domo
Datum: den 12 december 2002 09:05


Liebe Marlena
Ja, es hilft auch bei jenen, die nicht daran glauben. Wir haben die
Resultate zwar noch nicht bekommen, aber wir beten immer noch. Und
wenn ich sage "beten", dann meine ich irgendwie eine wohlwollende
Gedankenflut in die richtige Richtung. Ich glaube auch nicht, dass der liebe
Gott durch unsere Gebete wie mit einer Feder im Nacken gekitzelt wird und
dann aufmerkt. Und bei Allah glaube ich es noch weniger. Na ja, vielleicht
würde, von der feinen Feder gekitzelt, der liebe Gott aufschrecken und auch
Allah wecken, der im Nebenzimmer vor sich hindösen scheint, und gemeinsam
würden sie sozusagen den Wind in die richtige Richtung lenken. Das wäre
natürlich schon möglich. Doch sooooo glaube ich nicht dran. Aber natürlich
weiss ich auf eine Art, dass meine Gedanken irgend etwas in der Welt
verändern, wenigstens doch an mir selbst. Es gibt diesen englischen Forscher
Sheldrake, der sich mit Phänomenen dieser Art auseinandersetzt. Ich habe mal
ein Buch über ihn gelesen. Muss ein lustig-komischer Kerl sein.
Wenn ich also "beten" sage, so meine ich eine Art Fürbitte, wie die
Katholiken das doch stark haben. Und auf irgend eine geheimnisvolle Weise
nehme ich an, dass meine Gedanken ein bisschen etwas erleichtern können.
Oder vielleicht können sie es auch nicht. Das spielt eigentlich keine Rolle.
Vielleicht könnte ich sagen, ich wünsche es mir einfach. Es ist ein Wunsch
in die frische Luft hinaus. So etwa! Ein Wunsch wie ein Ruf in die Berge
hinein, in der Hoffnung, es kommt ein Echo zurück. Manchmal kommt auch
keines. Ob die Götter wegen meiner Wünsche auch noch Wolken verschieben und
an den langen Fäden des Schicksals herumzerren, das überlasse ich ihnen. Das
weiss ich nicht, denn sie haben es mir ja nie verraten. Aber wenn sie es
denn nicht tun, so ist es doch für viele Menschen eine tröstliche
Vorstellung.
Gerade gestern habe ich gehört, dass in Spanisch Schutzengel Angelo della
guardia oder so heisst. Eigentlich also Wachengel. Über diese Idee haben wir
doch sicherlich auch schon diskutiert. Es ist eine schöne Vorstellung, einen
Schutzengel zu haben. Und ich erinnere mich an die kleine Anekdote, die
meine Mutter erzählt hat. Als die kleinste Schwester noch sehr klein war,
wurde sie im Kinderbett und angesichts der Engelchen ermahnt, ruhig zu
bleiben und zu schlafen. Sie hat sich beschwert und ihrer Ungeduld heftig
Ausdruck gegeben und gesagt, sie könne dieses nächtliche Geflatter der Engel
rund um ihr Bett ohnehin nicht ertragen.

Liebe Marlena, ich muss kurz bleiben. In einigen Minuten fahre ich ab zu
einem Termin an der örtlichen Schule hier. Und da darf ich nicht zu spät
sein. Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit einem lieben Gruss
...

Samstag, 8. Dezember 2012

mildes Winterlicht

heute

14 Uhr




eine Stunde später



.

11 Dezember 2002

---
Hier ist es kalt geworden, richtig winterlich und ich glaube in Stockholm war sogar blauer Himmel gestern am Nobeltag. Kauf dir doch ein paar Zeitschriften und schau dir an wie schön das Fest war. Und übermorgen kommt die Lucia zu den Preisträgern. Ich glaube darauf warten sie schon.

Der kleine Japaner hatte 50 Journalisten/Fotografen mitgebracht. Armer Kerl. Und immer wieder beteuert er "I am a normal person" weil sich niemand mehr ihm gegenüber benimmt als ob er es wäre. Ja, die Japaner sind mächtig stolz auf ihren jungen Preisträger und du scheinst es ja auch zu sein auf euren Chemisten.

Blick durchs Fenster




 Wintermorgen

Freitag, 7. Dezember 2012

Weihnachtsgeschenke..

... ein leidiges Geschäft

Ämne: Re: Post-Nikolaus
Datum: den 7 december 08:34

Liebe Marlena
Heute ist St. Nikolaus vorbei. Aber ich habe keinen einzigen von diesen alten Figuren gesehen. Ich habe nicht einmal sein Läuten gehört. Siehst Du, so weit ist man von diesen Bräuchen weg, wenn die Kinder einmal grösser sind. Dann sind es nur noch schöne Erinnerungen.
Es ist regnerisch und trüb. Eigentlich wäre es jetzt schön, wenn wir schon ein bisschen Schnee hätten. Schnee am St.Nikolaus, das wäre am allerschönsten. Aber das hatten wir seit Jahren nicht mehr. Auf jeden Fall nicht so schön, wie es auf Deinem Bild gezeigt wird.
...
Ich habe noch absolut keine Weihnachtsgeschenke organisiert. Das hasse ich jedes Jahr. Und jedes Jahr nehme ich mir vor, sie doch schon im Sommer zu kaufen, oder doch mindestens zu überlegen, was ich schenken könnte. Na ja, die Kinder sind noch relativ einfach. B. sagt immer deutlich und klar, was sie sich wünscht. A. weiss sich nie was zu wünschen. Ihr kann man getrost ein wenig Bargeld geben. Sie findet dann während des Jahres schon etwas, was sie sich damit kaufen kann. S liebt am meisten Schmuck und Kleider und Parfum und solche Dinge. Da kenne ich mich schlecht aus und will mich auch gar nicht einarbeiten. Deshalb haben wir hier immer eine schwierige Situation. Wenn ich ihr ein Buch schenke, ist sie eher enttäuscht, denn Bücher bedeuten ihr nicht so viel wie sie mir meist bedeuten. Und auf Kleider oder Schmuck wage ich mich nicht hinaus. So müssen wir immer irgendwelche Notlösungen finden. Und für meine Eltern machen wir nicht mehr allzu grosse Geschenke. Nur wenn es gerade eine gute Idee gibt, wie vor ein paar Jahren ein Radio für meine Mutter. So ähnlich. Du siehst, Weihnachtsgeschenke ist ein leidiges Geschäft. Und wir haben auch vereinbart, dass wir eigentlich nichts zu geben beabsichtigen. Aber irgend etwas Kleines möchte man halt schon dem anderen in die Hand drücken. Ich werde also mal überlegen!
*
Habe ich Dir erzählt von meinem Kurs. Nun ja, es ging um Leistung, Motivation und um Belohnungen. Wir hatten eine Expertin aus Zürich. Und die Chefbeamten sassen dazu beisammen. Einige hatten sich entschuldigt. So waren wir eine kleine Runde. Die Kursleiterin ist nicht schlecht, aber sie ist auch ein wenig unverbindlich. Sie kommt so irgendwie ins Plaudern. Und das bringt eigentlich nicht so viel. Sie stellt zuwenig Forderungen an den Kurs. Es ist wie bei der Lehrerschaft. Wenn sie keine Forderungen an die Kinder stellt, dann lernen die Kleinen nichts, oder bloss wenig. Und so war es denn auch. Ich habe mir zwar einige Dinge aufgeschrieben. Oder sie hat Blätter verteilt. Wirklich grosse Erkenntnisse haben wir nicht mitgenommen.
Aber der Kontakt zu den Kollegen ist gut. Das ist eine schöne Gelegenheit, mit den andern Chefs zusammenzusitzen und ihre Probleme, aber auch Überlegungen, anzuhören.

Und jetzt sitze ich wieder in meinem Büro und sehe am frühen Morgen zu, dass meine Marlena ihre Tageszeitung bekommt ;---)
Ich wünsche Dir einen wunderschönen Tag mit blauem Himmel, Schnee und Sonnenschein. So etwa könnte man sich das vorstellen.
Kuss und Gruss
...

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Nikolaustag

Datum: den 6 december 

Liebe Marlena

---

Es gibt zwei Arten von St-Nikolaus. Im Wallis, also einem katholischen Teil des Landes kommt der St.Nikolaus mit dem Bischofsstab. Er sieht wie ein Bischof aus, hat natürlich aber auch Bart und ein Gehabe wie St. Nikolaus. Und daneben kommt Schmutzlich, er ist ganz schwarz. Man könnte denken, es sei der Teufel, oder mindestens sonst ein nicht sonderlich vertrauenswürdiges Wesen.
Und dann gibt es den St. Nikolaus in reformierten Gebieten. Dort hat der Mann einen meist roten Anzug mit einer Kaputze und einen langen weissen Bart. Meist hat er auch noch ein riesiges Buch, aus dem er den Kindern die Sünden und Straftaten des Jahres vorhält.
*
Ich kann mich an eine Nikolaus-Szene im Kindergarten erinnern. Wir hatten
eine Bank rundum im Raum und sassen gespannt da, bis das grosse Unikum
hereintrat. Und siehe da, der Kerl hatte einen Sack auf dem Rücken, an dem
ein Sack hing. Und aus dem Sack ragte ein Bein in Strumpf und Schuh.
Natürlich wollten wir Kleinen sofort wissen, was mit dem Bein los sei. Und
der komische Kerl meint, dies sei Vreni, die eben nicht folgsam gewesen sei.

Lange Jahre konnte ich kein Mädchen ertragen namens Vreni. Ich
verabscheute sie richtiggehend, nur weil sie hiessen, wie dieses Mädchen,
von dem ich glaubte, es wäre wirklich im Sack des St. Nikolauses
weggetragen worden.

Mittwoch, 5. Dezember 2012

bald Weihnachten..


date 9 December 2005 14:38
subject: Re: "Meine Augen trinken nicht Wasser"


Liebe Malou

Einen Purzelbaum habe ich geschlagen. Denn halbwegs hatte ich dich bereits für verschollen erklärt. Vielleicht eine schwere Krankheit? Ein Unfall? Bloss ein Defekt am PC? Vielleicht ein häusliches Drama?

Ich hätte daraus hundert Romane schreiben können. Du bist mir zuvorgekommen.

--

Ich habe mich einigermassen erholt von meiner Grippe. Aber der Husten ist noch da und damit kann ich immer noch zarte Jungfrauen und dünne Tännlein umhusten. Und die Bernhardiner denken, ich spreche einen seltenen lokalen Dialekt, vielleicht von der Südseite des Grossen St. Bernhard?

Im übrigen geht es auf Weihnachten zu. Es gibt viel zu tun. S macht ihre Frauenparty. Immer wieder müssen wir meinen Vater füttern und betreuen. Heute Morgen hatte es ein wenig Schnee auf den Wiesen, nicht viel, vielleicht einen knappen Zentimeter. Aber es ist doch der Eindruck entstanden, es könnte Dezember sein. Und gestern hatte ich mein Weekly verpasst. W hat mir noch ein Geburtstagsgeschenk gebracht und ins Türgitter geklemmt. Ein Buch mit dem Thema: Der Tod. Er erspart mir nichts, mein Freund.

Von den Tauben auf dem Dach gegenüber gar nicht zu reden.

Schöne Grüsse
...

Samstag, 1. Dezember 2012

Blick durchs Fenster




Eine schöne Adventzeit wünsche ich euch allen.




.

Montag, 26. November 2012

Du, Nachbar Gott


Liebe Marlena
...
Und ich habe diese hübsche sprachliche Wendung nur
wegen dir gefunden, wegen dieser Marlena, 2000km weit
weg irgendwo im kühlen Norden. Und natürlich dank unserer
(platonischen) Intimität und den ziemlich dichten Gefühlen
und den malvoisiierenden Vorstellungen, die wir beide hier
gärtnern. Ich danke Gott, dass es dich gibt. Ohne dich wäre
ich ein bisschen einsamer und verlorener auf dieser Erde.
Hör mal an, Rilke hat mich erstaunt:

Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, -
so ists, weil ich dich selten atmen höre
und weiss: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gieb ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.

Ich finde das ganz enorm. Hörst du, er tröstet ihn, er
möchte ihm helfen, er will bereit sein, im Dunkeln einen
Drink zu reichen, hörst du das? Er sieht noch eine kleine
Überlegenheit seines Nachbars, aber es ist doch ein Nachbar,
der Gott heisst, fast schon auf gleicher Ebene. Beinahe mit
ihm angestossen hat er. Und das war mindestens vor 100
Jahren geschrieben. Grossartige Brüderschaft!
Mit einem allerliebsten Gruss

Sonntag, 25. November 2012

Wenn es nur einmal ..


Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen—:

Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.


(Rilke)



.

Freitag, 23. November 2012

nicedaymakers



14 February 2007 14:38
Subject:  We are nicedaymakers


Liebe Malou
 Ach wie schön, bei diesem tristen unseligen Nieselregentag ein Mail
 aus einer warmen Stube zu erhalten.

Also should I make a nice day? Ja, es ist ganz im Sinne der modernen
 Lebensführung, da man nicht mehr Opfer, sondern Täter sein soll. Man
 stelle sich eine Welt voller Täter vor. Das ist schrecklich, nicht
 wahr? Wo bleiben dann die Opfer? Vielleicht die Kinder? (kennen wir ja
 schon ein bisschen) Die Tiere? (auch bekannt) Oder vielleicht die
 Natur? Am besten ist, wenn die Täter es sich selbst antun. Dann sind
 sie ihre eigenen Opfer. Ich glaube, das wäre ein prima
 Lastenausgleich.

Was tust du denn an einem so gewöhnlichen, ereignislosen, monotonen,
 kalten Winternachmittag? Ich würde jetzt am liebsten eine Siesta
 nehmen. Das ist etwas vom Besten.

Dein Gesprächston hat sich verändert Malou. Du bist etwas spitz und
 aggressiv geworden, unterschwellig aggressiv? Wie kommt das? Habe ich
 dir etwas Schlimmes angetan? Bin ich einfach bloss Opfer, oder bin ich
 irgendwie irgendwo Täter?

Liebe Nachmittagsküsse
...

Donnerstag, 22. November 2012

Nice day


14 February 2007 14:25

Lieber ...,

Weisst du, dass es nicht mehr heisst "Have a nice day"?
Jetzt heisst es "Make a nice day". Ich glaube das ist ganz in deinem Sinn.
Also:
make a nice day, love
Malou

Mittwoch, 21. November 2012

Re: Klarissimo


Lieber ...,

Zuerst herzlichen Dank für dein liebes Mail und auch die früheren, in
denen du Dinge schreibst, die immer noch „in mir arbeiten".

Du glaubst also, dass mein Leben „ruhig und zufrieden" dahinläuft. Und
dabei weisst du nicht, dass ich mich manchmal nach ein paar wirklich
ruhigen Stunden in einem Büro sehne. ;-)

Ich wollte dein Mail schneller beantworten, aber wir hatten Gäste am
Wochenende und heute ist Anna zu Besuch. Wir haben gerade unser Dinner
gehabt und ich habe es sehr genossen wieder einmal an einer lebhaften
und interessanten Konversation im Kreis der Familie teilzunehmen.
---

Ja, ich verstehe deine Angst vor dem „schleichenden Untergang".
Es ist wie du sagst ungeheuerlich, ungerecht und absolut brutal. Warum
uns alles das Schöne zeigen, um es uns dann zu nehmen? Und gerade in
Zeiten, wenn wir glücklich sind, macht uns der Gedanken an die
Vergänglichkeit fast wahnsinnig.

Gestern habe ich erfahren, dass mein Cousin in Uppsala nicht mehr
lange zu leben hat. Sein ganzer Körper ist von Krebs angegriffen.
Stell dir vor, er ist drei Jahre jünger als ich. Aber er ist tapfer
und versucht die Menschen in seiner Umgebung aufzumuntern. Ich habe
ein längeres Telefongespräch mit ihm gehabt. Vielleicht habe ich dir
mal von ihm erzählt, wie er als 6-jähriger Eintritt nahm von den
Kindern der ganzen Nachbarschaft für einen Blick in unsere Badewanne,
wo der weihnachtliche Karpfen herumschwamm. Er hat ein spannendes und
auch glückliches Leben hinter sich. Seine Frau, sie ist übrigens auch
Künstlerin wie deine B, hat eine schwere Zeit vor sich.

*

Ach, das ist alles so traurig. Auch unser Gespräch heute Abend war
nicht sehr erfreulich. Vielleicht lag es an mir. Es tut mir Leid. Ich
will dir doch nur gut.

Ich liebe es, von den kleinen alltäglichen Dingen in deinem neuen
Leben zu lesen, wie z.B. von dem Café gegenüber, wo du deinen Hunger
stillen kannst. Es klingt alles so friedlich und perfekt für ein
harmonisches Leben. Und dann hast du die Affen. Weisst du, dass auch
ich täglich ins Affenhaus gehen kann? Im „Animal Planet" zeigt man
fast täglich interessante Sendungen mit Affen. Und wenn ich Affen
sehe, denke ich eben an dich. ;-)) Ich stelle mir meist das Programm
an, wenn ich irgendeine langweilige Arbeit vor mir habe. So ist z.B.
das Bügeln im Affenhaus ganz erträglich.
---
Ab und zu beschäftige ich mich mit dem Archivieren unserer Mails und
neulich habe ich dabei ein kleines Gedicht wiedergefunden, das du mir
mal geschickt hast.

Erinnern
Das ist
vielleicht
die qualvollste Art
des Vergessens
und vielleicht
die freundlichste Art
der Linderung
dieser Qual.

Erst jetzt verstehe ich den Sinn dieser Worte.

*

So lasse ich dich wieder in die gefährliche Welt hinaus,

mit lieben Gs und Ks

dein „kühles festes Anker im Norden".. ;-)

Klarissimo ...


8 February 2007 20:48
subject      Klarissimo ...


Liebe Malou
Ja, das klingt gut. Würde ich vielleicht auch lesen. Aber ich glaube
nicht, dass ich je ein ganzes Buch in Englisch gelesen habe. Irgendwie
würde ich mich dort nicht ganz heimisch fühlen. Aber es ist gut. Ich
erinnere mich dabei an mein Onkelchen und die Dinge, die er erzählt
hat. Allein die Tatsache, dass es damals ganz eine andere Welt war,
allein diese Tatsache macht einen solchen Roman spannend. Wir können
uns die Zeit nicht vorstellen. Ich habe eine Erinnerung aus der Zeit,
als ich noch nicht zur Schule ging. Wir waren in Zürich und sassen
beim Bahnhofplatz auf einer Terrasse. Man sah hinunter auf den
riesigen Platz. Es gab einige wenige Tramschienen, vielleicht das
Denkmal von Escher, daran erinnere ich mich nicht mehr. Und sonst war
der Platz einfach leeeeeeeeeeeeeeeeeeer. Einfach absolut leer,
vielleicht einige wenige Personen, Männer mit einem Hut. Frauen mit
knöchellangen Röcken.
Ja, vielleicht ist schreiben einfach aus diesem Grunde gut: gegen die
Zeit zu schreiben, erzählen, wie es war. Gegen diesen schleichenden
Untergang anschreiben, den alles erfasst und der alles mit sich
reisst. Ich werde traurig und wütend gleichzeitig, wenn ich davon
rede. Du nicht, Malou? Wie das Leben vergeht, ist doch einfach
ungeheuerlich, ungerecht, absolut brutal!!! All die Verstorbenen und
Vergessenen, stell dir vor, wo sie sind!  Es macht mich wahnsinnig,
wenn ich daran denke.
Und jetzt trinke ich einen latte macchiato. Das ist die einzige Art
von Kaffee, die man mit dem Suppenlöffel einnehmen kann, pflege ich
scherzhaft zu sagen. Wenn du zu mir zu Besuch kommst, Malou, dann
serviere ich dir einen solchen Latte. Ob du magst oder nicht, ich werde
ihn dir an der Bar vor meiner Küche servieren. Die Bar ist ein
Schrank, der früher in einer Zahnarztpraxis gestanden haben muss. Er
passt blendend in meine 2-Zimmer-Klause. Nur darf man sich nicht
zusehr betrinken. Wenn man sich an dieses Möbel lehnt, dann fährt es
davon !! Ich werde dir dann ein Foto schicken, Malou, wenn es soweit
ist. Das mache ich bestimmt. Ich habe vom Mann der Zügelfirma gehört,
dass im Café gegenüber riesengrosse Sandwiches serviert werden. Die
seien weitherum bekannt. Seine Männer gehen immer wieder dorthin, weil
sie doch beim Zügeln einen respektablen Hunger entwickeln. Ist das
nicht eine wundervolle Gegend? Und heute habe ich einen weiteren Band
gefunden über die Primaten und Halbaffen. Diese Literatur brauche ich
unbedingt in meiner Nähe, wenn ich dann einen Steinwurf vom Affenhaus
entfernt wohne. Ich glaube, ich werde regelmässig zu den Affen gehen.
Die Tiere haben mich schon immer fasziniert.
---

Liebe Grüsse und Küsse und Qs
...

Sonntag, 18. November 2012

Istanbul vielleicht?

---

Ich überlege mir in letzter Zeit, wohin ich nächstens reisen soll. Und auf dem ersten Rang liegt im Moment Istanbul. Das ist wirklich eine wunderschöne Stadt. Ich habe kürzlich mehrere Filme gesehen. Ihre Lage ist einmalig. Der letzte zeigte das Leben einiger einfacher Fährmänner, die in völlig traditioneller Art mit ihrem Boot Passagiere von der europäischen auf die aisatische Seite rudern. Einer davon, ein 80 jähriger, sympathischer Typ rudert wirklich noch, während die jüngeren oft schon mit Motor arbeiten. Lustig ist, dass ihre Lizenz ihnen nur den Transport von der einen auf die andere Seite erlaubt, nicht aber zurück. Denn auf der anderen Seite gibt es auch eine Reihe von ebensolchen Fährmännern. Und die warten darauf, in der entgegengesetzten Richtung zu transportieren. Sie haben ein kleines Clubhaus und können sich dort im Winter aufwärmen. Die etwa 10 Männer trinken eine Unmenge Schwarztte. Dazu haben sie extra einen angestellt, der ihnen den Tee zubereitet. Er hat sein Getränk sehr gelobt und behauptet, was wir in Europa an Schwarztee trinken, dass würde dort in Istambul keiner anrühren. Ich weiss was er meint. Und er hat recht! Wenn er nicht da ist, servieren sich die Männer ihren Tee selbst. Die jüngeren sind verpflichtet, ihn den älteren zu servieren. Sie haben dort drüben eine strenge Hierarchie. Na ja, das wissen wir doch seit langem.

Kurz und gut: Istambul ist eine prima Stadt. Es ist vielleicht gut, sie zu besuchen, bevor sie total europäisiert wird. Es gibt dieses Jahr sogar einen Hypnose-Kurs dort drüben. Eine Kollegin des Kurses, den ich damals in NY besucht hatte, organisiert einen in Istambul. Und sie hat mich ausdrücklich eingeladen. Aber ich glaube nicht, dass ich deswegen hinreise. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, zusammen mit Türken einen solchen Kurs zu belegen. Türken sehen die Welt wirklich ein bisschen anders als wir. Das habe ich sogar in NY bei dieser Kollegin bemerkt. Und dabei hatte sie mir erzählt, dass sie in jungem Alter ein paar Jahre in der Schweiz gelebt hätte. Ihr Vater war als Chirurg tätig irgendwo an einem Spital in der Schweiz.

Der Nachteil von Istambul besteht darin, dass ich kein Türkisch spreche oder verstehe. Es ist immer schade, wenn man eine Stadt oder ein Land aufsucht, und sich nicht mit den Leuten direkt unterhalten kann. Na ja, wahrscheinlich sprechen die meisten schon Englisch. Jedenfalls konnte man sich wirklich amüsieren, wie die Aegypter beispielsweise Deutsch gesprochen haben, oder die Türken an ihrer Ferienküste. Das hat gelegentlich sehr ulkig geklungen. Aber sie waren durchaus gewandt in ihren Fremdsprachenkenntnissen. Die Sprache also ist ein Hindernis. Na gut, ich werde sehen. Ich habe mich ja noch nicht entschieden. Portugal ist ein weiteres meiner Ziele. ...
---
Istambul oder Lisabon also. Und dann habe ich noch München auf meiner kleinen Liste im Kopf. Ich bin noch nie dort gewesen, ...

Du siehst, ich muss länger über meiner Liste brüten. Und das will ich tun in den nächsten Wochen.

MLG
...

Samstag, 17. November 2012

Möbel




date 17 March 2006 07:39
subject Re: :-)


Liebe Malou

Ich bin etwas früh und etwas nervös. Und so suche ich mich ein wenig abzulenken.

Ja, ich weiss wie schwer die IKEA-Dinger sind. Dieses geleimten Holzplatten sind verdammt schwer. Ich bin nicht so begeistert von diesen Möbeln. Sie sehen an sich nicht schlecht aus, solange sie neu sind, nutzen sich aber ziemlich rasch ab. Und wenn man umzieht, und man sie demoniteren sollte, sind sie sehr mühsam und meist nicht mehr zu gebrauchen. Es sind schon fast so etwas wie Instant-Möbel.

Der Besitzer (oder Gründer oder was weiss ich ..) ist - wie du bestimmt weisst - Schwede und lebt in der Schweiz. Kürzlich gab es wieder mal eine dieser Reichtums-Ranglisten in den Zeitungen, worin er auftauchte. Er kommt schon ziemlich bald hinter Bill Gate. Und ich finde, wenn er so reich ist, könnte er etwas besser auf die Qualität seiner Möbel achten. Aber natürlich sind sie gut im Preis.

Ich bin im Moment eher angetan von alten Möbeln. Die sind zwar umständlich gebaut und raumkonsumierend, aber sie sind doch irgendwie schön. Ich habe mir einen Schreibtisch gekauft, der ganz schick aussieht. Na ja, so alt ist er auch wieder nicht. Aber er sieht doch schon ein bisschen antik aus. Wenn man ihn betrachtet, denkt man, es wäre vielleicht Senecas Pult gewesen ;--D. Ich will ja nicht übertreiben und gleich Sokrates sagen. Na ja, Sokrates hat - wie man annimmt - auch gar nicht geschrieben. Er war sozusagen ein Schwätzer.

Was kann ich dir in meiner Nervosität noch berichten? Dass ich schlecht geschlafen habe? Ich habe
...

Freitag, 16. November 2012

Soll ich?


date 15 March 2006 07:46
subject Re: Nur kurz heute..

 
Liebe malou

Ist es nicht merkwürdig? Wenn ich schnell schreibe, so schreibe ich die Anrede immer so: malou mit kleinem Anfngsbuchstaben. Wie kommt das? die Motorik ist eine sehr stabile Angelegenheit. Sie läuft immer wieder gleich ab. Man merkt das beim Rasieren, bei der Handschrift, aber vielleicht auch bei grösseren Operationen wie dem Sex oder dem Golfspiel. Gute Auswahl von Beispielen, nicht wahr?

Ich muss also, wenn ich dies ändern will, ziemlich tief hinunter steigen in meine eigene Konstruktion und mit Hammer und Schraubenzieher nachsehen, was da unten im Keller verschoben ist. Und das braucht soviel Zeit, viel zu viel angesichts der kleinen Bedeutung des Lapsus, der daraus entsteht. Und so weiss ich nicht, ob ich mich in diesem Punkt wirklich korrigieren soll. Soll ich?

---

Ich überlege mir in letzter Zeit, wohin ich nächstens reisen soll. Und  ...

Donnerstag, 15. November 2012

Zeit zum Lesen?


Ämne: Hast du Zeit zum lesen?
Datum: den 30 oktober 2003 01:23

Lieber ...,

Wir hatten einen ganz herrlichen Tag in Stockholm. ...

Wenn man dann in Stockholm angelangt, den Zentralbahnhof durch den grossen Ausgang verlässt, sieht man sofort die schöne Klarakirche zwischen den neugebauten Hochhäusern. Diese Kirche und der Friedhof um sie herum sind die letzten Reste, die an damals erinnern als ich als neugewordener Teenager dort die Schule begann. Es war eigentlich eine Schule, die mit der Zeit zu Studien an der Handelshochschule führen sollte und in meiner Klasse gab es viele Kinder von prominenten Leuten, die wohl hofften, dass ihre Söhne und Töchter in ihren Fussspuren wandern würden und ihre Firmen und andere Geschäfte mit der Zeit übernehmen sollten. Ich habe später in den Medien gesehen dass es ihnen geglückt ist, die höchste Stufe von materiellem Glück zu erreichen..
Es war eine herrliche Zeit und ich erinnere mich sehr gut an das Leben in und um die Schule herum. Es gab viel zu tun und zu sehen, wenn man die lange Lunchpause hatte. Dann gingen wir ein Quartier hinauf auf die Drottninggatan und befanden uns mitten im Herz der Hauptstadt.



Grab von A.M. Lenngren



Übrigens, Anna Maria Lenngren (auf dem Bild in Fotofolder) haben wir damals dort an der Schule gelesen. Ich mochte sie sehr wegen ihrem Humor. Schöne (lange) epische Gedichte, aber auch kleine lustige Dinge wie dies (1793 geschrieben):

EPITAF

Min hustru vilar här till världens sista dag.
Hon är i ro - och även jag.

Meine Gattin ruht hier bis zum letzten Tag der Welt.
Sie ist in Ruh - und so auch ich.

oder dieses hier:

REFLEXION

C o r n e l i u s T r a t t   är död (en liten rödlätt man,
gick gärna med syrtut, igår begravdes han).
Jag kistan såg och processionen
och gjorde denna reflektionen:
”Bror Tratt, du levde glatt och kort,
förr bars du alltid hem, nu bärs du äntlig bort.”

Cornelius Trichter ist tot (ein kleiner rötlicher Mann
ging gern in bonjour, gestern wurde er begraben. (bonjour= langer Mantel)
Ich sah den Sarg und die Prozession
und machte diese Reflektion:
”Bruder Trichter, du lebtest fröhlich und kurz,
früher wurdest du immer nach Hause getragen,
jetzt trägt man dich endlich weg.”

Aber ihre bekanntesten langen Gedichte sind zu lang um hier zitiert zu werden.
Liebe, moralische Themen mit viel Weisheit und Humor. Sie war eine bedeutende Frau für ihre Zeit.

So, das wär’s wohl für heute. Mehr Zeit wage ich nicht von dir zu stehlen.
Ich grüsse dich lieb und wünsche dir einen schönen Tag.
Morgen habe ich frei. :-)
Marlena

Mittwoch, 14. November 2012

In English this time


date 16 March 2005 11:07
subject In English this time..



Dear ...,
All your wonderful plans for the future seem to me absolutely doable.
And you don't have to chose between them.. I think you will manage to
realise them all. The only thing that worries me a bit is that you will
probably find less time for your mouse life.
Your idea to go and see your "lost friend" sounds very nice and makes
you appear to me as a kind and considerate person.

Actually I should now be on my way to O.. with S. but it has been
snowing this night and she is afraid to drive their car in this
weather. But maybe her husband is preventing her to drive, and I
can understand him because S (as most of my female friends) seems
a bit nervous and doesn't feel at ease behind the wheel. So we decided
to go tomorrow. That's the good thing with being free. You can change
your plans without any problems.
But at one o'clock she will be here for lunch and our Italian afternoon.

Yes, it´s funny, this "roman circle" as you call it. Actually I had no
such intentions, and I didn't expect to have this close contact with
my roman friends. But as so often in my life, regarding the
circumstances, I've got the impression that things happen to you
without your calling for them. As they say: "Life is a matter of
coincidences". What if I never had found you in swiss-talk? I
sometimes wonder what kind of person I would have been without you.
Without this "serenity" you mentioned.
Maybe that's the reason why my friends regard me as a kind of
'Drahtzieher' as you call it. You make me feel alive in a way I
wouldn't be without you. You even make me feel young and beautiful.
I wish I could have the same effect on you. :-)

WelI... I hope I didn't give you a hard time with my English, which by
the way, is far from correct. But anyhow...
Love
Malou

Dienstag, 13. November 2012

Gedanken ..

am frühen Morgen
 
9 November 2007 07:48
 
Liebe Malou
Weisst du, wie merkwürdig es ist, wenn man früh morgens um sieben
durch die dunkeln windigen Strassen geht und von allen Seiten durch
irgendwelche Feuchtigkeiten eingeweicht wird? Puh, es ist ein
unangenehmes Gefühl. Aber in der Eisenbahn ist es dann schon ein
bisschen angenehmer. Man kann noch 10 Minuten einnicken bis L.
Aber eigentlich sollte man doch erst um 8 Uhr zur Arbeit gehen. Vor 7
Uhr sind es die Arbeiter, hat man früher gesagt. Und um 7 Uhr hat -
auf die Sekunde genau - in Visp das Horn der Lonza geheult.
Sekundengenau um 7, um 12, um 13 und um 17 Uhr. Das gehörte einfach
zum Dorf. Und man brauchte den Kindern auch keine Uhr mitzugeben. Sie
haben selbst bemerkt, wann sie abends um 17 zuhause sein sollten. Und
dann, um 17.10h ungefähr, kamen die Personalbusse. Sie kamen alle
ziemlich laut und einer hinter dem andern durch die
Eisenbahnunterführung herauf, fuhren geradeaus bis zur Hauptstrasse,
die Kantonsstrasse heisst, und bogen dann nach rechts Richtung Raron
Gampel Steg. Das spielte sich täglich ab und gehörte sozusagen zum
Dorfbild. Wenn der Alarm zwischendurch mal ging, dann konnte man
sicher sein, dass im Werk irgendwas Ungewöhnliches passiert war, eine
Explosion, ein Brand. Das kam gelegentlich vor. Und ich stellte mir
vor, dass all die Chemikerfrauen im Dorf, deren Männer dort drüben in
den Labors arbeiteten, den Atem anhalten würden, bis sie wussten, was
wirklich passiert war. Manchmal gab es Unfälle, meist mit
Verbrennungen oder Vergiftungen.
 
Aber ich selbst fühlte mich dieser Fabrik und ihrem Alltag nicht sehr
verbunden, denn mein Vater arbeitete nicht dort, sondern mitten im
Dorf, in einem alten schweren Steinhaus, das früher mal vielleicht ein
Hotel gewesen sein mochte. Die Walliser Kraftwerke waren eine eigene
Einheit der Lonza und hatten kaum etwas mit der Chemie zu tun. Ein-
oder zweimal im Jahr hatte mein Vater eine Sitzung in Basel, wo der
Hauptsitz der Lonza ist. Er war dann jeweils ein bisschen gespannt,
musste früher aufstehen, um in Brig den Morgenzug zu erwischen. Und
abends kam er heim und brachte den Nebelspalter mit, den er auf der
Fahrt gelesen hatte. Das war dasVergnügen von uns Kindern. Der
Nebelspalter war eine Zeitschrift voller Cartoons und Scherze, damals
noch von sehr guter Qualität. Man konnte diese Zeitschrift in den
Wartezimmern der Zahnärzte finden. Dort aber machte sie weniger Spass,
weil man ja doch den Schmerz und die Unannehmlichkeiten der Behandlung
vor sich hatte.
 
Ja, immer, wenn ich so zurückdenke, kommen auch diese Lebensgefühle
auf, die ich damals hatte. Ich war wirklich zufrieden und fühlte mich
zuhause. In Visp oder Brig kannte ich viele junge Leute, viele nicht
näher, eher so vom Sehen her. Jede Person, die man sah oder traf,
konnte man orten. Man wusste, aus welcher Familie sie kam, wo sie
wohnte und wie die privaten Umstände waren. Alles war irgendwie
übersichtlich. Die Schule lief gut. Die Lehrer wussten, was sie von
mir erwarten konnten. Und wenn die Leistung mal kriselte, drückten sie
ein Auge zu. Der Alltag ging regelmässig voran. Ab und zu hatten wir
Jungen ein Fest, eine Einladung, ein Musikfest vielleicht, was etwas
Aufregung in die katholische Kontemplation brachte. Das Oberwallis -
man sieht das, wenn man von den Bergen herunterschaut - ist wie ein
grosses Zimmer, geschützt und abgeschlossen gegenüber dem Rest der
Welt. Und in jenem Alter, so gegen das Abitur hin, fühlten wir Jungen
uns alle auch sehr gescheit und hatten den Eindruck, wir hätten den
Durchblick wo immer er nötig sein sollte. Die Schule schürte dieses
Gefühl, sprach von uns als von der kommenden geistigen Elite. Ja, es
war alles ziemlich kleinkariert und heimelig.
 
Lustig, da kommt mir ein merkwürdiges Ereignis in den Sinn. Ich war
frisch am Kollegium, vielleicht 14 Tage oder so. Ich fühlte mich dort
noch sehr fremd in diesen alten Gebäuden mit den Lehrern in Soutanen.
Da gab es an einem Mittwochnachmittag für die ganze Schule eine
Kinovorstellung im Stadtkino Brig. Es waren eine Unmenge Schüler,
grosse und kleine, die dort vor dem Eingang warteten. Und die paar
wenigen Lehrer hatten Mühe, die Übersicht zu behalten und ihre
Schäflein zu dirigieren. Jedenfalls sassen wir schliesslich in diesem
alten, etwas unterkühlten Kino und starrten auf eine flimmerne
Riesenleinwand. Der Film hiess 'Moses', oder 'die 10 Gebote' oder so
ähnlich. Ich verstand das alles kaum. Wie konnte man an einem
gewöhnlichen Wochentag einfach so in ein dunkles, leicht vergammeltes
Kino sitzen? Ich konnte mich auch nicht wirklich auf den Film
konzentrieren, denn rundum war soviel Unruhe und Getue. Und alles war
ein bisschen ärmlich und schmutzig und improvisiert. Ja, ich hatte
wirklich den Eindruck, ich wäre in dieser Schule in einen falschen
Film geraten.
 
Ich glaube nicht, dass meine Töchter je solche oder ähnliche Gefühle
in der Mittelschule hatten. Hier in L. gab es ein modernes helles
Schulgebäude. Und die Lehrer, Männer und ebensoviele Frauen, sind
moderne aufgeschlossene Leute ungefähr von dieser Welt.
 
Ja, lustig, diese Erinnerungen. Man könnte darüber Filme drehen. Und
sie würden pittoresk und romantisch wirken ungefähr so wie alte
italienische Heimatfilme.
 
Ich wünsche dir ein gutes Wochenende. Hast du eine Einladung? Lässt du
dich einladen? Du musst doch auch ein bisschen tun, was deine Seele
braucht. Das wünsche ich dir wenigstens.
Liebe Gs und Ks

Alt ....... meisterlich

Re: Alt .... meisterlich
25 September 2007 14:25
 
Hey du Marlenchen,
junges Ding, wie kannst du dich fühlen wie dieses verwunschene und verrottete Velo? Nein, sowas darfst du nicht sagen. Das ist schlecht und schlimm.
 
Er ist schön, der Wald, nicht wahr? B sieht immer soviele Dinge, Schmetterlinge, Vögel und auch ihr Pfeifen, Beeren, Pilze, besondere Blätterformationen, Holzstrukturen, Windspuren etc. etc.. Ach, es gibt wirklich immer etwas Interessantes, was sie zur Kenntnis nimmt, oft als Inspiration für ihre Bilder verwenden möchte.
Ein altes Velo ist natürlich auch inspirierend. In der Ausstellung, die ich am Wochenende gesehen habe, gab es Installationen mit durchaus alten Materalien: Holz, Metall, schön farbig und leuchtend gestrichen. Mich überfiel die Lust, auch so zu basteln. Man kann aus vielen Dingen schöne, dekorative Objekte machen. Die Künstler haben bloss auch noch den Mut, das Ganze teuer zu verkaufen.

Ich sitze im Büro und pflege meine nachmittägliche Müdigkeit, so dass ich schon beinahe einschlafen könnte. Mit Ach und krach kann ich mich noch halten. Aber es fehlt nicht viel. Ich sehe hinüber ins Café. Da sitzt eine Freu im roten T-Shirt und diskutiert heftig gestikulierend mit ihrem Gegenüber, was ich nicht mehr sehe. Nur die Hand, die mit der Zigarette zum Aschenbecher führt, sehe ich ab und zu. Ist er ein Mann? Die Hand ist kräftig, könnte sein.
---
Du hast ein gutes Herz, dich mit diesen Menschen abzugeben.
Ich gratuliere dir dafür
Liebe Ges und Kas
...

...




25 September 2007 14:09

Schau, ...,

ich habe ein Bild gefunden, das ziemlich gut illustriert wie ich mich fühle.

Wünsche dir einen feinen Tag. Hier regnet es.

Mit lieben Gs und Ks
Malou

Donnerstag, 8. November 2012

Blick durchs Fenster

 
 
"November singt in mir sein graues Lied"

 
 

Dienstag, 6. November 2012

globalisierfähig?



Ja, das verstehe ich, dass die Schweden die Vorgänge in der Türkei mit
besonderer Aufmerksamkeit betrachten. Schliesslich bleibt das
Weltgewissen nur wach, wenn man ihm auch Nahrung gibt. Ich selbst bin
der Meinung, dass wir im Westen die Welt ziemlich eurozentrisch ansehen.
Ob die Demokratie in unserem Sinne globalisierfähig ist, ist noch zu fragen,
ob die Menschenrechte es sind, ebenso. Wahrscheinlich ist auch die
Globalisierung europäischen Zivilisationsstandardes nicht wünscheswert.
Stell Dir vor, die ganze Welt fährt mit sovielen Autos herum, wie wir das
bisher getan haben. Das würde uns alle in den Tod bringen. So dürfen wir
doch nicht davon ausgehen, dass unsere Anschauungsweisen absolut richtig
sind. Das stimmt einfach nicht.
Was mich betrifft, so erwarte ich nicht eine Europäisierung der Türkei. Das
wäre doch auch schade. Stell Dir diese fantastisch schöne Stadt Istambul
vor! Soll man sie auch noch mit diesem westlich-amerikanischen Einerlei
bedecken und verschandeln? Kürzlich habe ich ein Interview mit einem
jungen türkischen Schriftsteller im Fernsehen gesehen. Und im Hintergrund
hat man auf diese Stadt hinuntergesehen. Ich bin geradezu neidisch
geworden, dass es auf dieser Welt Menschen gibt, die an einem solch
schönen und ausgezeichneten Ort leben können, während wir hier ja auch
nicht schlecht leben, aber doch nicht diese fantastische Kulisse haben. Es
gibt doch diese alte Theorie, wonach Klima und Landschaft die Einwohner
und Menschen prägt.
Ich finde nicht, dass wir Bauern hier oben auf den Alpen vom lieben Gott
allzusehr verwöhnt worden sind. Natürlich haben auch Alpen ihren Reiz.
Und es gibt Menschen aus aller Welt, die herkommen, um sie sich
anzusehen. Aber schau, wie die Alpen hier die Menschen geprägt haben.
Sie sind wortkarg, hart, eckig, praktisch, sparsam bis geizig, selbstbezogen,
misstrauisch und vieles mehr. Na ja, vielleicht gibt es neben mir noch ein
oder zwei Ausnahmen ;--).
*
Ich muss wieder an die Arbeit. S hat mir ein feines Abendessen
versprochen. Und so sollte ich mich nicht verspäten.
Ich wünsche Dir einen schönen Abend. Wenn Du ein Glas Wein findest, stossen
wir zusammen an.
Mit einem lieben Gruss
...

6. November


Ämne: 6. Nov. 02
Datum: den 6 november 2002 15:34



Liebe Marlena
Vielen lieben Dank für die Gratulationen zu meinem Wiegenfest. Es ist
wunderschön, wenn man aus aller Welt Glückwunschtelegramme und
Gratulationen erhält. Das gibt mir so ein Feeling, wie es vielleicht auch
Gorbatschow oder Clinton haben, wenn ihnen gratuliert wird, und wenn
CNN ein paar Sekunden in die ganze Welt verschleudert.

Es ist ein schöner, milder Herbsttag heute, und ich bin mehr als zufrieden
mit Petrus, dem Verantwortlichen für Wetter und ähnliche Dinge, dort oben.
Nachdem es in den letzten Tagen so sehr geschüttet hat, ist jetzt genug. Vor
meinem Fenster hängen immer noch drei Fahnen. Sie wurden zur Eröffnung
der Busstation unten vor unserem Eingang aufgehängt. Und man bat uns
damals, sie wieder hereinzunehmen, wenn sie dann trocken wären. Das
Festlein ist jetzt 14 Tage her. Und seither - ich schwöre es - sind sie noch nie
wirklich trocken geworden. Ich muss allerdings sagen, dass die Situation für
Flaggen hier etwas merkwürdig ist. Der Platz vor unserem Haus und die
aerodynamischen Verhältnisse sind so abwegig, dass diese bunten Tücher
mehr nach oben denn nach unten flattern. Und so drehen sie sich ständig um
die Stange, verwickeln sich unbändig mit sich selbst und trocknen natürlich
so mehr als langsam. Ich gebe ihnen jetzt noch bis Ende Woche, dann werde
ich sie feierlich hereinnehmen. Heute lasse ich sie wegen meinem Geburtstag
hängen.
*
Ja, das verstehe ich ...

Montag, 5. November 2012

Leider ...


... nur ein Traum


Ich habe endlich die Tulpenzwiebeln in die Erde gesteckt. Nicht
genügend tief glaube ich. Aber es wird sowieso nur Futter für unser
neues Haustier, das Reh. Gestern ist es wieder vorbeispaziert, diesmal
schon mit dem Winterpelz. Es wohnt nicht so weit weg, wie du glaubst..
dort drüben im Wald. Oft sieht man seine Ohren nur ein paar Meter von
unserem Garten entfernt aus dem Gras hervorstecken. Es schläft
scheinbar dort.
Es ist merkwürdig wie man so zentral und doch so ländlich leben kann.
Unsere Bekannten beneiden uns sehr um die Lage des Hauses.

Samstag, 3. November 2012

Sacro Monte di Domodossola






Und das ist Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.


Rilke

Montag, 29. Oktober 2012

über die Verrücktheit

(ungekürzt)

Subject: über die Verrücktheit!

Liebe Marlena

Hurrah, ich hab es gefunden. Im artchive, wie du mir es angegeben hast, habe ich das Bild von Rubens gefunden. Es heisst dort „Allegory on the blessings of peace", ist 1629-30 entstanden und hängt in der National Gallery in London. Du kannst es Dir anschauen und Dir vorstellen, Du würdest mitten in unserem Wohnzimmer stehen. Dazu kann ich Dir sagen, dass unser Wohnzimmer sehr gross ist. Wir haben eine alte Scheune umgebaut und das Wohnzimmer nimmt die ganze Grundfläche ein. Es ist vielleicht 10 x 15 m, ich weiss es nicht so genau. Auf jeden Fall kann ich, wenn ich ein Problem zu lösen habe, eine halbe Nacht lang diagnoal in diesem Wohnzimmer (dh. vielleicht 12 m eine Länge) auf und ab gehen und so viele Kilometer zurückzulegen, dass es gut und gerne einmal rund um den Erdball reichen würde. - - Allerdings ist die Küche auch ins Wohnzimmer hinein gebaut, so dass es aussieht wie eine Theke. Das ist einerseits gut, weil meine Frau dann nicht isoliert in der Küche stehen muss. Auf der anderen Seite hat es den Nachteil, dass die Gäste bis in die Pfanne hinein sehen, und auch, dass es manchmal Lärm macht oder nach irgendwelchen Gewürzen riecht. Aber insgesamt hat es wahrscheinlich mehr Vorteile.

Also, in diesem grossen Raum hängt meine Rubens-Kopie über einem Glasschrank und in einem dicken, barocken Goldrahmen. Und darüber hängt ein anderes Bild, das ich selbst entworfen habe, aber auch etwas rubens-ähnlich ist. Es gleicht dem „Höllensturz" von Rubens. Vielleicht kennst du das Bild, worauf die vielen nackten Menschen hinunter in die glühende und brennende Hölle fallen. Es sieht aus wie eine barocke Grill Party. Meine Variante ist natürlich nicht soooo dramatisch und sooooo perfekt wie die von Rubens. Aber in die Nähe komme ich schon damit. Es ist ein grosses Bild, etwa 1.5 x 2 m. Du kannst Dir nicht vorstellen, welche Gefühle man hat, wenn man vor einer weissen Leinwand mit den Massen 1.5 x 2 m steht. Das Herz fällt dir in die Halsgrube, wie du in schwedisch zu sagen scheinst. Man hat einfach Angst, den ersten Pinselstrich zu machen und man verschiebt ihn immer wieder, indem man noch einen Schluck Wein trinkt oder eine neue Pfeife stopft.

Manchmal denke ich, ich hätte nicht studieren und heiraten und Kinder haben und ein bürgerliches Leben führen sollen. Ich hätte besser Maler werden können. Das wäre ein Ding! In meinem Alter wäre ich jetzt sicherlich bekannt, vielleicht berühmt. Ich hätte ein freies Leben und könnte Nächte lang vor der Leinwand stehen und gegen sie Krieg führen. Ich könnte die Leute beleidigen und meine Leber mit Alkohol ruinieren. Ich könnte immer noch Gauloises rauchen und bei Parties mit einen leeren Whiskyglas in der Hand auf den Tischen tanzen. Natürlich hätte ich eine bildhübsche, gutproportionierte Freundin mit unwiderstehlichen Lippen und einem sensationellen Haarschopf als inspirative Muse, als inspirierende Modell und als konspirative Geliebte. Und ich würde nach Belieben in der Welt umher reisen und mal im Atelier in New York, und dann wieder in jenem in Basel arbeiten, oder vielleicht doch besser in Berlin? Leider nicht so schnell in Paris, denn Paris ist zur Zeit nicht mehr die Weltmetropole der Kunst. Das war es im 19. Jahrhundert zur Zeit der Impressionisten. Aber natürlich ist das eine sehr romantische Vorstellung des Künstlers. Die modernen Künstler sind nicht mehr romantisch. Sie arbeiten mit Video und hochtechnischen Installationen und sie verkaufen sich der Wirtschaft und machen Werbung. Sie sind nicht mehr die wirtschaftskritischen Künstler, die es noch in unserer Jugendzeit gegeben hatte.

In unserem Haus habe ich einen Raum, so etwas wie ein Atelier. Dort habe ich meine Staffelei und die Farben. Ich habe schon ziemlich lange zwei grosse Leinwandformate, wo ich meine beiden Töchter porträtieren will. Die Grösse der Leinwände ist wie die einer normalen Zimmertüre. Und ich möchte, wenn sie gelingen, nebeneinander aufhängen. Aber ich bin noch nicht dazu gekommen. Ich habe noch keinen Pinselstrich angefangen! Wie gesagt, es braucht ziemlich Mut. Beim ersten Pinselstrich fühlt man die Verantwortung der totalen Freiheit. Und je mehr Striche man macht, desto enger wird es, desto unfreier wird man, und am Schluss ist man Gefangener seines eigenen Bildes, absolut verstrickt in die eigenen visuellen Konstruktionen. Das ist ein echtes Abenteuer, ein ästhetisches natürlich, ich sag es Dir. Und die Mädchen sagen mir andererseits, sie hätten absolut keine Zeit, mir Modell zu stehen, absolut keine!

Ich gebe es ja zu, ich bin ein bisschen verrückt!

Verzeih mir und schreib mir, Marlena

Gruss und Kuss

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Sonntag, 28. Oktober 2012

Virtual life

Liebe Marlena
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Kehren wir zu unseren wundervollen, knarrenden Pritschen zurück. Du fragst dich immer wieder, liebe Marlena, ob es mich wirklich gibt. Es gibt mich nicht wirklich, sondern nur virtuell. Ich bin für dich ein Wesen dieser neuen Cyber-Kultur. Ich komme nicht aus der alten Raum-Zeit-Kultur, Raum und Zeit als PRINCIPIUM INDIVIDUATIONIS. Damals, in unseren alten Zeiten, hatte jedes Individuum und jedes Ding einen eindeutigen Koordinatenpunkt in der 4 dimensionalen Raumzeit. Etwas konnte nicht gleichzeitig sein und nicht sein, oder konnte nicht etwas sein und gleichzeitig etwas anderes sein. Heute ist das anders. Du hast es ja immer geahnt: ich bin hier in Basel, aber abends bin ich für einige Zeit in Stockholm, und gelegentlich surfe ich im Net, und dabei bin ich X und H (dieser widerliche Kerl) und wer weiss, vielleicht noch ein paar andere unapetietliche Typen? Das ist virtual-life. Es ist wie in den Nachthimmel schauen. Du siehst die Sterne, aber du kannst nicht sicher sein, dass es die Sterne gibt. Vielleicht erreicht dich bloss ein letzter Lichtstrahl und morgen ist es aus. Man kann wirklich nichts mehr genau wissen. Und es könnte immer auch anders sein.
Wir armen Seelen hängen ja so an der Wirklichkeit, ohne zu wissen, ob es sie auch gibt oder ob das nicht alles vielmehr Hirngespinste sind.
Ich glaube, es ist das soziale Leben, das soziale SPIEL sozusagen, das unsere Wirklichkeit aufbaut. Es ist wie mit den Sprachen. Andere Sozietäten haben andere Sprachen und andere Wirklichkeiten. Die Perser nicken, wenn sie nein sagen wollen. Und du könntest verzweifeln, wenn du das nicht weißt. Und wenn sie dich zum Kaffee einladen, musst du erst dreimal ablehnen und bedauern, bis du dann doch gehst und eigentlich nie was anderes gewollt hast, als einen Kaffee zu trinken. Die Perser haben echt viele §§§§ in ihrem sozialen Umgang, das kann ich dir sagen, Marlena. Bei Partys oder Anlässen machen sie Fotos, und die Menschen stehen steif nebeneinander und lächeln in die Kamera. Es gibt totlangweilige Fotos, aber sie machen sie immer wieder. Mittlerweile denke ich, es geht ihnen nicht um das Foto, es geht darum, mit der Kamera zu zeigen, dass es ein aussergewöhnlicher Moment ist, und dass man es schätzt, beisammen zu sein. Man könnte glattweg eine Kamera ohne Film dafür benutzen oder sonst eine leere Blechbüchse.
Es gibt also nichts ausserhalb des Textes. Wer hat das gesagt, Lacan, oder Derrida, es war sicherlich einer dieser elitären französichen Intellektuellen, die an der Ecole Normale Supérieure studiert haben, und die ich über alles bewundere? Sie heisst doch so, ENS, nicht wahr? Viele französischen Geistesgrössen waren an dieser Schule.
Alles, was existiert, existiert nur im Text. Und auch ich existiere für dich nur im Text. Damit musst du dich begnügen, meine Liebe. Wenn du dich verliebst, verliebst du dich in einen Romanhelden, von dem du noch nicht weißt, ob er in einem seiner verrückten Abenteuer umkommt, sich vielleicht mit einem A. oder C. duelliert und für den Rest des Romans in den Zeilen herumhinkt und den rechten Arm in der Schlinge trägt, oder ob er eher munter in einem Fortsetzungsroman alt, senil und dement wird, um ganz langweilig und monoton in einem bürgerlichen Bett dahinzuscheiden.
Ich glaube, Verlaine hat das auch begriffen. Seine Geliebte ist ziemlich deutlich eine virtuelle Geliebte. Hör mal an:
" et qui n'est, chaque fois, ni tout à fait la même
Ni tout à fait une autre".
Ist diese Unschärfe nicht genau die Virtualität? Und so bin ich für dich.
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Liebe Marlena, vielleicht liest du das jetzt so, als ob ich dir etwas erklären wollte. Ich will dir nichts erklären, ich verstehe es selbst nicht genau. Ich versuche sozusagen zu überlegen. Es ist gut, schriftlich zu überlegen, dann muss man langsamer denken! Ich versuche, mir das auszumalen. Und es ist zum ersten Mal. Es ist neu für mich. Ich weiss es noch nicht, was ich hier schreibe. Ich bin eben am Entdecken. Deshalb geniesse ich es auch, zu schreiben und zu wissen, dass ein lieber Mensch das nachher liest, begeistert vielleicht ist, vielleicht auch verzweifelt und schimpfend, dass man das Zeug kaum verstehen könne.
Ich glaube einfach, dieses real und dieses virtual ist heute eine wichtige Dimension in der Zeit der Postmoderne. Es gibt einen cultural turn. Und die Welt wird sich rapide verändern und sie wird nicht mehr sein, wie sie gewesen ist. Und das Fegefeuer vielleicht auch nicht mehr.
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"gegen die Uhr"


Ämne: Sonntag - alltäglich
Datum: den 12 januari 2003 17:48


Lieber ...,
Ach, wie sehr ich wünsche, dass sich diese 0 in meiner Inbox in eine 1 verwandeln würde. Aber du bist nicht da.
Heute früh war hier strahlender Sonnenschein und zum ersten mal hatte ich stark das Gefühl, dass nach dem Winter ein Frühling kommt. Aber der schöne weisse Schnee kann ruhig noch ein paar Wochen liegenbleiben. Ich würde so gern wieder einmal einen sonnigen Februar mit Schnee erleben. Dann laufen wir Ski auf dem kleinen See in dem nahen Wald. Und natürlich immer "gegen die Uhr" und auf dem Eis, das lange nicht mehr so dick war wie diesen Winter. Dieses "gegen die Uhr fahren" haben wir gestern beim Freitagskaffee diskutiert und alle waren erstaunt dass es sich wirklich so verhielt und man versuchte verschiedene, mehr oder weniger wissenschaftliche Gründe dazu zu finden. So hast du uns indirekt geholfen ein lustiges Gesprächsthema zu finden. Eigentlich hätte ich nicht dort sitzen sondern nach Hause fahren sollen um nach Issi zu sehen. Aber irgendwie konnte ich nicht.

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Sag ist es nicht eine grosse Qual sich im essen immer so beherrschen zu müssen? Essen ist doch schliesslich die einzige Freude (Last?) die einem in diesem Alter noch übrig bleibt. ;-) Na ja, man könnte auch trinken. Das tun leider allzu viele Leute bei uns in Schweden und es ist ein grosses Problem geworden. Und mit jedem Jahr darf man mehr steuerfrei aus dem Ausland heimbringen. Jezt sind es schon 5 Liter "starksprit". Ich glaube letztes Jahr war es 1 Liter. Und unser armes "Systembolaget", die Monopolkaufsstelle für Alkohol, verliert immer mehr Kunden. Manche brennen auch zu Hause und fast täglich kann man von jemanden lesen der dabei ertappt worden ist. Aber in diesem Klima muss man sich auch von innen erwärmen. Werde mir einen Tee machen. :-)
Ich sehe auch an meinem Kollegen A. wie er kämpft um nicht dick zu werden. Seine Methode ist nach 17 Uhr nichts mehr zu essen. Und es gelingt ihm wirklich das Gewicht zu halten.

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War das Gedicht von dir wirklich von Theodor Storm? Und natürlich weisst du wer dei Zeilen geschrieben hatte, die ich dir geschickt habe. Es ist wohl sein berühmtestes Gedicht weil man meint er hätte sein Schicksal darin vorausgesagt.
Steht das Nietzschehaus so allein da oder ist es eingedrängt zwischen anderen Häusern? Das kann ich mir kaum vorstellen.
Im RL mache ich mir nun den warmen Tee und im VL gehe ich in das schöne Waldhaus und lasse mir einen Kaffee servieren. Kommst du auch?

Ich wünsche dir einen schönen Tag morgen.
Liebe Grüsse
Marlena

Samstag, 27. Oktober 2012

"Dead Poets Society" oder TPS


Ämne: Eine kleine Nachtmusik
Datum: den 12 januari 2003 02:22


Lieber ...,
Ach wie spartanisch du lebst, nicht einmal die kleinste Süssigkeit gönnst du dir. Wäre ich S, würde ich glatt etwas misstrauisch werden obwohl du mir immer erklärst, dass alle diese neuen Ideen von ihr stammen. Aber ein süsses kleines Mail hast du mir gebracht und ich habe es langsam und andächtig verzehrt. Ich danke dir herzlich dafür.
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Ich habe einen schönen Abend verbracht mit meinen Gästen. Zuerst habe ich sie mit Glögg (Glühwein) willkommen geheissen. Das gehört zu diesem letzten weihnachtlichen Festtag und dann haben wir uns lange und gemütlich bei Tisch unterhalten. Ich glaube es hat allen gut gefallen und jemand kam schliesslich mit dem Vorschlag wir sollten doch einen Club gründen damit wir uns öfters sehen. "Torsdagsklubben", denn der Donnerstag schien allen am besten zu passen. Na ja, wir werden sehen. Aber warum nicht.

Das erinnert mich daran wie wir vor ein paar Jahren versuchten eine Gesellschaft (oder einen Club) zu gründen in unserem Kollegium. So ungefähr wie "Dead Poets Society". Wir suchten nach einem guten Namen. "Döda pedagogers sällskap" kam uns zu morbid vor aber "Trevliga pedagogers sällskap" (trevlig=nett) klang schon viel besser. Jemand meinte, OK "nette pedagogen" klingt zwar schön aber "Trötta pedagogers sällskap" wäre doch etwas mehr realistisch (trött = müde). Schliesslich blieb man bei der Abkürzung TPS und meinte ein jeder könnte sich ein passendes Wort für das T wählen. Es gab auch

tråkig = langweilig
tokig = verrückt
tarvlig = gemein,
torr = trocken

 Und was ist daraus geworden? Ich glaube mehr als 50 Personen hatten sich dazu angemeldet aber der Mann, der ursprünglich mit der Idee kam, ist ein Kerl der gute Ideen aufs Papier bringen kann aber nicht weiter. Eine Zeit lang fragten sich die Leute, wann denn nun das erste Treffen sein würde und mit der Zeit geriet das ganze in Vergessenheit. Nur an die ausgelassene Diskussion über den Namen erinnert man sich noch heute.
*
Ja, das Gedicht kenne ich. Es ist schön und ich beneide Leute, die ein stilles bescheidenes Leben geniessen dürfen. So hatte ich es mir in meiner Jugend vorgestellt. Ich glaube auch nicht dass Geld und Reichtum automatisch glücklicher machen. Für mich hat Glück immer mit menschlichen Relationen zu tun. Und auch Unglück.
Meine Nachbarin, die zu Silvester hier war ist sehr vermögend und arbeitet nicht mehr. Sie hat also alles nach dem wir streben, weil wir glauben dass es uns glücklich macht. Geld und Freizeit. Und doch glaube ich, dass sie unglücklich ist weil sie in einer schlechten Relation lebt.
*
Kennst du auch diese Zeilen aus einem Gedicht?
...
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
...
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Ich habe kein Brot im Ofen, aber es ist schon spät und so sende ich nun diesen kleinen nächtlichen Gruss ab.
A bientôt, j'espère,
Marlena

So ist es...

..
Ämne: So ist es.
Datum: den 24 september 2003 17:54

Lieber ...,
Endlich ist der Mittwoch vorüber, d.h. mein strengster Arbeitstag, und ich kann mich ausruhen und es etwas locker nehmen.
Ja wirklich, die NZZ ist eine sehr gute Zeitung. "Die Welt" ist manchmal sprachlich etwas leichter und mehr unseren Abendzeitung (wie sie früher hiessen), ähnlich. Jetzt kann man sie online lesen schon am frühen morgen. Man muss nur etwas kritisch sein dabei und nicht alles für wahr nehmen.

Weisst du, ich muss lachen wenn ich dich vor mir sehe, wie du neben dem Zollkontrollanten mit grossem Interesse den Inahlt deines Koffers studierst. Hast du dann nicht auch "oh" und "ach" und "nein, sowas?" gesagt?
Man müsste es in einer Comics-serie zeigen. Und viele Männer würden sich in dieser Situation erkennen und darüber freuen.

Ach, wie schön dass du manchmal an den PC gehen kannst. Dann kann ich dir auch in dieser Zeit schreiben. Ich denke du wirst wohl kaum Zeit haben längere Mails zu senden aber vielleicht doch ab und zu ein kleines Lebenszeichen. Darauf freue ich mich. Und du kannt mich nicht die ganze Zeit mit dem kleinen allein lassen. Er braucht dich doch auch. Hast du wieder gekauft, da du dich interessierst?

Ich muss ein bisschen Ordnung ins Haus bringen. Durch meine "Ausflüge" in letzter Zeit war ich kaum zu Hause und viel ist liegengeblieben. Du hast es gut, .. . Brauchst dich nicht um diese kleinen alltäglichen Dinge zu kümmern.
*
Ich schick dir das nun, falls du noch im Büro bist. Wünsche dir noch einen schönen erholsamen Abend,
Marlena

Freitag, 26. Oktober 2012

Geschwind


Ämne: Geschwind
Datum: den 24 september 2003 13:24

Lieber ...,
Ach, wie seid ihr schnell in eurer Presse. Gerade habe ich im Radio von der Freilassung des bisher Verdächtigten erfahren und schon steht es in der NZZ. Félicitations!

Man hat einen neuen festgenommen der unter stärkerem Verdacht steht. Dem Ton nach, scheint die Polizei nun ziemlich sicher zu sein, den richtigen gefunden zu haben, obwohl sie mit Worten nicht diese Ansicht ausdrücken wollen bevor sie noch mehr wissen.

Ach, du verschwindest bald :-(   Wann fährst du genau? und wie lange muss ich es ohne dich aushalten? Schwere Zeiten für Mausfreunde.

Das nur schnell jetzt. Ich muss zurück an den Arbeitsplatz.

Mit einem lieben sonnigen Gruss,
Marlena

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den 24 september 2003 15:59
Re: Geschwind

Liebe Marlena
Ja, die NZZ ist wirklich erste Klasse. Sie hat doch vor nicht zu langer Zeit einen Preis als zweitbeste zeitung weltweit erhalten, gleich hinter der New York Times. Und wenn ich zur Abwechslung mal die Weltwoche lese, eine Zeitung, die ich als Gymnasiast gerne gelesen hatte, dann kommt mir das alles vor wie ein dünnes Süpplein (wie Du sagen würdest). Natürlich muss man bei der NZZ aufpassen, weil sie doch ziemlich konservativ und wirtschaftsfreundlich ist. Aber ich bin eben in einem Alter, da man ziemlich 'konservativ und wirtschaftsfreundlich' ist.
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Ich kann Euch nur raten, dass ihr den Täter gefunden habt. Alles andere wäre eine herbe Enttäuschung.
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Ja, ich glaube, wir fahren am Samstag Abend. Und ich habe mir vorgenommen, dieses Mal selbst zu packen. Dann weiss ich, wieviele Socken ich mithabe. Na ja, neben den Socken noch die anderen Dinge. In NY war ich nicht sicher, was mir S. alles eingepackt hat. Und als sie mich in Kloten kontrollierten, habe ich zum ersten mal hineingesehen. ich war ebenso neugierig wie der Agent von Continental Airways.
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Wenn ich die Gelegenheit habe, werde ich im Hotel ab und zu an den Computer gehen. Na ja, ich muss doch unser ABBaby beobachten. Und ich hoffe doch sehr, dass Du es in der Zeit nicht fallen lässt.
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Hier ist es kühl geworden. Man denkt jetzt an heisse Marroni und diese Art von nahrhaften Dingen, die man gerne essen würde. Kennt Ihr das im Norden diese gebratenen Kastanien, die gut und süsslich schmecken? Sie sind herrlich, auf der Strasse zu essen. Und im Restaurants gibt es Vermisselles, das zu Würmern gepresste Kastanien-Puree. Ich glaube, ich muss gleich eines kaufen.
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Ich wünsche Dir einen schönen ABend.
Mit lieben Grüssen
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