Ämne: Re: Late sunday evening..
Datum: den 1 september 06:28
Liebe Marlena
Montag
um 6pm fliege ich von Newark. Und gleichzeitig ist der Montag der Tag
der Arbeit in den USA, also frei. Ich hoffe, es gibt ein paar Busse nach
New Jersey. Aber ich habe ja den ganzen Tag Zeit, ich koennnte fast zu
Fuss gehen.
Heute war ich den ganzen Tag im Metropolitan Museum. Es
war herrlich. Ich habe mir nochmals die Malerei Europas des 19.
Jahrhunderts angeschaut. Letztes mal war ich natuerlich schon ein
bisschen abgelenkt durch die kolumbianische Begleitung.
Pissaros und
Sileys gibt es einige. Pissaro hat ja irgendwie eine milde, fast
mystische Palette, und auch Sisley ist immer sehr harmonisch. Man sagt
von Pissaro, er waere der Vater der Impressionisten gewesen. Und das ist
in dem Sinne gemeint, dass ihn alle akzeptiert haben. Und dass er
einige von diesem Malstil ueberzeugt habe. So auch Monet, wenn ich mich
richtig erinnere. Ein Vorbild Monets in den fruehesten Jahren war
Boudin. Er lebte auch an der Kanalkueste. Boudin hat wunderschoene
kleine Strandbilder gemacht, die ich sehr schaetze. Ich glaube, Boudin
hat Monet zur plein air Malerei gefuhert.
Und was Du sagst ich
wahr. Wenn man Impressionisten anschaut, sollte man an das Jeu de Paume
denken, nicht an das Musee d'Orsay. Das ist die richtige Umgebung fuer
die Impressionisten, die einen anziehen. Es gab ein sehr schoenes
Fruehlingsbild von Monet, das ich noch nie, auch nicht in Reproduktionen
gesehen habe. Es ist ganz leicht, von einem fruehlingshaften und
luftigen Gruen. Es ist sehr schoen. Und wenn ich sowas sehe, dann denke
ich, ich sollte doch auch in der Lage sein, ein aehnliches Bild zu
malen. Aber die Leichtigkeit, die aus dem Bild strahlt, ist eben die
Kunst. In wirklichkeit ist es ziemlich schwierig und erfordert langes
Studium der Pinselfuehrung und der Farbwahl.
Heute, in der
U-Bahn, ist mir wieder aufgefallen, wie intensiv das amerikanische
Englisch eigentlich ist. Vor allem bei Frauen faellt es mir oft auch.
Natuerlich gibt es auch Maenner mit einer tiefen Stimme, die aehnlich
durchdringend klingen. Aber bei den Frauen ist es einfach ganz
erstaunlich, was sie mit ihrem Organ produzieren. Es ist geradezu ein
eroberndes Organ, mit kolonialistischen Zielen. Ich meine, die Sprache
klingt manchmal so scharf und durchdringend, dass sich Italienisch
daneben wie ein Schlafliedchen neben einer Polizeisirene anhoert.
Hoer
mal, wie sie "really" sagen! Kein Mensch kann das im Erwachsenenalter
noch lernen, wie die Amerikanerinnen really sagen. Dazu muss man von
Kindsbeinen an trainiert werden. Da ist sowas Schillerndes drin, eine
Koloratur, die sich fast ueberschlaegt, aber doch nicht. Ich glaube, man
hoert schnell, ob einer ein echter Amerikaner oder bloss ein
Zugewanderter ist.
Und Zuwanderung scheint ein bliebtes
Konversationsspiel hier zu sein. Jeder hat irgendwelche Vorfahren in
Europa. Und Randy Rosenthal im Kurs behauptete, die seinen waeren vor
400 Jahren aus der Schweiz ausgewandert. Na ja, vielleicht wollte er
besonders nett sein zu mir. Aber aus der Schweiz kamen sie mit grosser
Wahrscheinlichkeit nicht. Doch fuer einen Amerikaner ist das dort
drueben ohnehin einerlei.
Ich merke, dass ich Abschied nehme.
Heute ist mir im MET, auf dem Buffet im grossen Wintergarten, eine
Platte mit einer Kreuzbeige von Toblerone-Verpackungen aufgefallen. Du
kennst doch Toblerone. Das ist diese Schweizer Schokolade, die ausschaut
wie die Schweizer Alpen in ihrer schoensten Auspraegung. Sie ist
dreieckig und sie schmeckt ein bisschen nach Honig. In der 5. Ave bin
ich in einen Lindt-Laden geraten, um zu sehen, wie teuflisch teuer diese
Schokoladen in NY sind. Und schliesslich bin ich wieder in der
Empfangshalle des Hyatt Hotels gestrandet, wo sie gerade Tennismaetche
aus dem US open gezeigt haben. Ich habe mindestens 1.5 Stunden gewartet
und gehofft, sie wuerden unseren Roger Federer mal zeigen. Sie haben ihn
ein paarmal erwaehnt. Aber beim Spielen habe ich ihn nicht gesehen. Du
siehst, ich bin schon auf dem Heimweg. Die Amis sind in sportlichen
Dingen recht grosse Chauvinisten. Sie zeigen vor allem ihre eigenen
Stars, und die anderen nur, soweit sie das muessen, weil sie
beispielsweise im Final spielen. Aber auf den Fotos an den Waenden,
riesengross, oder in den Vorspannst am Fernsehen sind es immer die
amerikanischen Koepfe. Das faellt uns Schweizern natuerlich besonders
auf, denn bei uns am Fernsehen sind es ja meist die Auslaender, die wir
sehen. Wir haben nicht soviele Stars, die bis in die vordersten Raenge
kommen.
Ja, ich muss langsam ans Packen denken. Das ist fuer mich
ein Horror. Ich habe noch nicht mal meine Karten auf die Post gebracht.
Ich muss meinen Gastgeber darum bitten. Aber ich habe morgen ja noch
Zeit bis gut ueber den Mittag. Sie haben mir gesagt, dass sie um 10am
losfahren, um den Brooklyn Carneval zu besuchen. So werde ich den
Schluessel hier lassen und allein losziehen. Ich will noch rasch in
einem Indischen Laden ein moeglichst scharfes Gewuerz suchen. S. mag
heisse Gerichte.
Na ja, das Packen ist eigentlich nicht so
kompliziert. Ich habe vor allem schmutzige Waesche, ein paar neue
Buecher, eine kleine Souvenir-Freiheitsstatue, einen Hut, einige Tuben
Hautcreme und ein dickes Buendel Postkarten. Ich habe zwar eigene Fotos
gemacht mit einer kleinen Kamera. Aber die Postkarten sind oft
signifikanter. Deshalb kaufe ich mir immer welche, die ich zuhause in
einer grossen Schachtel aufbewahre, wahrscheinlich, um sie in Zukunft
einmal meinen Enkelkindern mit den entsprechenden Geschichten
geschmueckt wieder zeigen zu koennen. Ich habe heute einige Zeichnungen
gemacht. Weisst Du, Marlena, ich habe mir fuer NY einen Block zusammen
gestellt. Ich habe dabei abwechslungsweise ein duennes Papier und ein
dickes Zeichenpapier genommen. Auf dem duennen habe ich meine
Tagebuchgedanken niedergeschrieben. Und auf den dicken wollte ich
zeichnen. Und jetzt habe ich festgestellt, dass die duennen praktisch
vollgeschrieben sind, die dicken aber noch mehr als zur Haelfte leer. So
muss ich mit der rechten Hirnhaelfte etwas aufholen!
Im
Starbucks an der 5. Ave habe ich einen Kaffee getrunken. Es gibt ja
dieses kleine Tischchen daneben, wo man Zucker und Milch dazumischen
kann. Man muss dazu den Deckel des Bechers abnehmen. Und der haelt
ziemlich gut. Wenn man ungeschickt ist, kann man dabei den ganzen Becher
auskippen. Und meist fuellen sie ihn so sehr, dass man kaum noch Milch
dazu giessen kann. Und wenn der Becher zu voll ist, bringt man den
Deckel kaum noch drueber. Du siehst, diese amerikanische Trinkart hat
ihre Tuecken. Es sieht zwar aus wie ein Baby-Drink, erfordert aber die
Fingerfertigkeit eines Taschendiebes. Man kann allerdings aus diesem
Kaffee auch bei idealsten Beimischungen bestenfalls eine Art warme
Limonade erreichen. Mehr wird nicht daraus. Er war schrecklich, der
Starbucks-kaffee aus der 5. Avenue. Und ich bin wirklich nicht
sonderlich empfindlich in diesen Dingen. Aber ich habe dann zu diesem
schrecklichen Kaffee einige Skizzen gemacht. Das war ganz unterhaltsam.
Skizzieren ist gut, weil man sich dann die Dinge wirklich gut anschaut.
Und zum Schluss konnte ich noch Schlange stehen, um auf die Toilette zu
gehen. So laeuft das bei den Amis.
Es ist kuehl geworden jetzt.
Man merkt, dass der Herbst kommt. Ich mag diese Zeit. Man zieht wieder
was Richtiges an und geht in die Stadt spazieren. Eine Pfeife wuerde
jetzt fantastisch gut schmecken.
Die Leute hier halten mich echt
fuer einen NYer. Immer wieder fragen mich Menschen nach dem Weg. Die
ersten paar Male habe ich mich entschuldigt, ich sein hier auch nur
Tourist. Aber jetzt nehme ich meinen Stadtplan zur Hand und helfe
weiter. Ich habe den Verdacht, dass mich sogar Amerikaner nach dem Weg
fragen. Heute in der U-Bahn musste ich jemanden aufklaeren, dass es
local und express Zuege gibt. Und sie war bestimmt eine Amerikanerin.
Und im Starbucks half ich einem Kanadischen Paar weiter, das Empire
State Building zu finden. Na ja, ich muss zugeben, mein Fuehrer ist
sehr praktisch. Ich habe mir eigentlich gar nicht soviel
gedacht, als ich ihn in Basel gekauft hatte. Ich dachte mehr, er sollte
vielleicht nicht zu dick sein. Aber er ist wirklich super-praktisch. Die
meisten Touristen gehen hier mit grossen Karten herum und sehen aus wie
Pfadfinder auf einem Orienterungslauf. Ich habe mein kleines Buechlein
und finde sofort alles. Es ist ganz logisch aufgebaut und bestimmt
empfehlenswert.
Im MET habe ich nochmals eine Sammlung von 30
alten Fotos ueber NY gekauft. Ich mag sie sehr, und es gibt sie bestimmt
zu Tausenden. Sie zeigen die Stadt im letzten Jahrhundert, meist wohl
aus der Vorkriegszeit. Ich werde wohl einige davon rahmen und mir eine
NY Ecke in der Bibliothek einrichten. Dazu kommt auch die kleine
Freiheitsstatue. Sie ist natuerlich ein bisschen kitschig. Aber vieles
ist hier kitschig. Ich wollte zuerst sogar dieses kleine Spielzeug
kaufen, Du weisst sicherlich, was ich meine. Es ist eine Glasglocke.
Darin ist eine farbenfrohe Szenerie aufgebaut, hier beispielsweise ein
paar Wolkenkratzer. Und wenn man schuettelt, wirbelt Schnee in der
Gegend herum. Das ist der totale Kitsch. Das ist aber so eindeutig
kitschig, dass man es sich schon wieder leisten kann. Habe ich aber dann
schliesslich doch nicht. Ich fand die Szenerien, die darin zu sehen
waren, immer sehr duerftig. So habe ich mich schliesslich fuer die
Statue entschieden. Sie ist immerhin aus Europa, ein Geschenk der
Franzosen, das die junge Demokratie arg in Verlegenheit gebracht haben
soll, weil man nicht wusste, wo dieses Moebel aufzustellen waere.
Schliesslich hat man diese Insel vor Manhattan gewaehlt. Vielleicht
haben die Franzosen die Statue als trojanisches Pferd gedacht? Immerhin
haette man darin eine gute Hundertschaft an Soldaten unterbringen
koennen. Und sicherlich haetten die Amerikaner diese Dame mit dem
Soft-Ice, welches sie dem lieben Gott hinstreckt, damit er auch mal
kosten kann - dann und wann am liebsten den manchmal etwas arroganten
Franzosen wieder nach Paris zurueckgeschickt. Aber geschenkt ist
geschenkt. Ein solches Geschenk wird man nicht so schnell wieder los.
Jetzt
fange ich an zu froesteln. Ich glaube, ich muss schliessen und werde
mich dran machen, das wichtigste zu packen. Dann wird es morgen etwas
ruhiger zu und her gehen. ich habe heute noch Eier und Wasa/Brote
gekauft. Ich kann die armen Leute hier ja nicht mit leeren Schraenken
zuruecklassen. Ich habe wirklich noch nie in meinem Leben soviele Eier
gegessen. Ich koennte, wenn man es von mir verlangte, die amerikanische
Nationalhymne zweistimmig gackern. Dagegen hatte ich wenig Fleisch
waehrend der zwei Wochen. Heute hatte Ch. zu meinem Abschied ein
japanisches Fondue gemacht. Aber ich kam - wegen der Tennismaetche im
Hyatt - ein bisschen spaet. So ist nur sehr wenig Fleisch uebrig
geblieben. Doch das macht nichts. Ich hatte oben beim Central Park schon
eine Pizza gegessen und das eigentlich als Nachtessen gedacht.
Nun
wuensche ich Dir einen guten Wochenanfang. Und ich hoffe, bei mir geht
es auch gut. Das naechste Mail kommt wieder aus der Schweiz. Ich danke
Dir wirklich, liebe Marlena, fuer Deine nette Begleitung. Ich glaube,
wenn ich erzaehlen kann, bleiben mir viele Dinge viel leichter. Man
weiss das von der Schule. Man sollte den Schulstoff am gleichen Abend
nochmal rasch durchgehen. Dann bleibt er im Langzeitgedaechtnis.
Empfiehlst Du das Deinen Schuelern auch?
Mit lieben Gruessen und
amerikanischen Kuessen (wohin auch immer; Du hast recht, in den
Schlaefen ist man sehr sensibel, da gehen sie direkt ins Blut: aber Hals
ist auch nicht schlecht, oder ins Ohr...)
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