...
Kürzlich habe ich einen Artikel einer
schweizerischen Stiftung gelesen, die behauptet, wir müssten die Schweiz
urban verstehen. Ich glaube, ich habe das schon früher erwähnt, wenn Du
Dich erinnern kannst. Die Leute beziehen sich auf einen Architekten,
der ungefähr in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gelebt hatte.
Dieser Architekt hatte die Idee, aus der Schweiz eine moderne Stadt zu
machen. Vielleicht geht es den Leuten vor allem um das, was wir im Kopf
haben. Es ist natürlich so, dass wir uns die gute alte Schweiz denken
als eine mehr oder weniger natürliche Landschaft mit Bergen, Tälern,
Felder, Wäldern und Seen. Und darin finden sich Dörfer und Städte. Nun
ja, es sind viele Dörfer geworden, und sie sind grösser geworden mit
ihren neuen Quartieren ausserhalb. Und viele Dörfer und kleine Städte
sind so gross geworden, dass sie sich heute berühren und dass sie, für
uns Touristen, zu einer einigen Agglomeration geworden sind. Immer noch
sagen wir aber, wir fahren aufs Land, wärend mit diesem Land nicht mehr
viel Natürlichkeit übrig geblieben sind. Diese Landschaften kann man
wirklich auch verstehen wie grosse Parks, die man ein wenig pflegt, wo
man - als Attraktion für die Bewohner - noch einige Kühe und zwei oder
drei Pferde hält. Aber eigentlich sind diese Landschaften umzingelt. Und
sie sind in der Defensive. Insofern, so meinen diese Leute, sei die
Schweiz der Prototyp einer modernen Stadt, die vom Boden- bis zum
Genfersee reicht.
Das ist natürlich alles ein bisschen gelogen
und geflunkert, der schönen Idee zuliebe. Und meine Theorie ist darin
auch nicht mehr heimisch. Ich habe nämlich immer behauptet, man könne
den Leuten in der Schweiz anmerken, ob sie in der Stadt oder im Dorf
aufgewachsen sind. Ich habe also einen Gegensatz gesehen zwischen Stadt
und Dorf. Wenn Du die Dorfleute anschaust, dann sind sie nett. Sie
lächeln, sie zeigen Interesse an Dir, sie geben sich sehr freundlich und
hilfreich. Vor allem die Affekte und die freundlichen Gesichter, das
ist typisch für ein Dorf. Schliesslich müssen die Dörfler zusammen
leben, und sie sind darauf angewiesen, dass alle liebt miteinander sind.
Diese Liebe ist natürlich ein Zwang. Und wenn einer aus dieser Ordnung
ausbricht, wenn er sich davon abwendet, bekommt er diesen ganzen Zwang
zu spüren. Da können dann Dörfler sehr hart sein.
Die Städter
dagegen sind kühl. Sie zeigen Fassade. Sie zeigen kein Interesse, keine
Emotion. Sie wollen cool sein und bleiben. In der Stadt geht es immer
darum, den eigenen Vorteil zu erhaschen. Jeder rundum ist ein kleiner
Konkurrent, sei es im Tram, wo die Sitzplätze beschränkt sind, im
Kaufhaus, wo man in der Warteschlange an der Kasse vorwärts kommen
möchte, auf dem Gehsteig, wo der Platz beschränkt ist. Man sucht die
eigenen Vorteile, aber man zeigt das nicht. Die Anstrengung soll
verdeckt bleiben, wie das ganze Innenleben überhaupt. Das Private bleibt
tief verborgen. Und ein Lächeln hat so ohne weiteres keiner verdient.
Städter lassen sich schwer in die karten schauen. Sie setzen ihre
Emotionen instrumentell ein, damit sie ihnen Nutzen bringen, während die
Dörfler ihre Emotionen dazu verwenden, die soziale Kohäsion zu
stabilisieren.
So ungefähr meine Theorie. Wenn man jetzt aber
sagt, die Schweiz sei eine einzige landesweite Stadt, dann verwischt
dies den Unterschied zwischen Städtern und Dörflern. Und da bin ich
nocht nicht ganz einverstanden mit. Na ja, neben den Städtern und den
Dörflern gibt es noch die Hinterwäldler. Die sind eine Kategorie für
sich. Sie sind wie überreife Pflaumen, sozusagen von höherer Wesensart
;--))
*
Städter sind ja doch häufig Menschen, die gewandt
reden, die sich mit dem Mund verteidigen und ausdrücken können. Ich
glaube, alle grossen Städte haben ein Image in diese Richtung der
grossen Maulhelden ihrer Einwohner: Die Berliner, die Pariser, die
Römer, die Madrider, auch die Londoner, oder die Wiener? Und von den
Menschen aus den Dörfern sagt man gerne, sie seien langsam, sie seien
etwas dumm, etwas naiv und gutgläubig und so weiter.
*
Vielleicht
ist diese Idee, die vom Architekten stammt, dieser kühne Akt, aus der
Schweiz eine moderne Stadt zu machen, ein Angriff im Sinne der
Verteidigung. Die Schweiz hat keine wirklich grossen Städte. So ist es
vielleicht die einzige Möglichkeit, eine 7 Millionen-Stadt
zusammenzubringen, wenn wir alle unsere Schweizer und die Zugewanderten
aufrufen, zusammenzustehen, um die Stadt "Schweiz" zu machen. Von einem
Stadtrand zum anderen sind es dann um die 4 Stunden zu fahren. Und
dazwischen gibt es diese grossen Parks, wo man noch echt wandern kann
und Durst bekommt, ohne dass man gleich eine Schenke sieht. Je mehr ich
davon schreibe, desto besser finde ich die Idee. Wir sind eine riesige
Stadt mit ungefähr 6 Flughäfen und ebensovielen Atomkraftwerken. Die
Stadt unterscheidet sich zwar von Quartier zu Quartier. Und die
Polizisten haben nicht in allen Quartieren dieselbe Uniform. Sie
sprechen auch ziemlich unterschiedliche Dialekte oder gar Sprachen. Die
einen sogar französisch oder italienisch. Aber dennoch, es gibt ein paar
grosse Quartierstrassen in Form von Autobahnen, die alles miteinander
verbinden. Und das Urzentrum dieser grossen Stadt gäbe es im Grunde gar
nicht. Die Quartiere haben mehr oder weniger alle dasselbe Gewicht.
Ausgenommen vielleicht der Fall, die Zürcher wollten unbedingt das
Zentrum bleiben. Sollen sie so, und den Lärm ihres Flughafens ertragen!
Basel wäre dann ein Aussenquartier, eine elegante Wohnlage ausserhalb
des Flughafenlärms. Basel ist das Quartier der Chemiker und der
Apotheker. Hier werden Medikamente gemacht.
Und dann soll sie mal
kommen, die Welt, und sich anschauen, wie eine grosse Stadt wirklich
aussieht. Noch Teheran ist dann ziemlich klein und überschaubar, wenn
man es mit uns vergleicht. Na also, was sagst Du dazu, Marlena?
Mit einem schönen Gruss
...
Dienstag, 27. Juni 2017
"Fremdkörper"
Liebe Marlena
Dienstag Morgen, was sagst Du dazu? Na ja, Du bist in den Ferien, da spielt es keine Rolle, in welcher Phase der Woche man dümpelt. Das spielt erst einen Faktor, wenn man sich, wie auf einer Hängebrücke, von einem Pfeiler zum nächsten durchhangeln muss. Erst wenn man wieder festen Boden unter den Füssen hat, kann man sich sicher wähnen. Aber solange das Seil hängt und schlingert im Wind, ist noch alles möglich. Ich jedenfalls habe jetzt den Pfeiler vor mir. Bald wird er mir halt geben.
*
Ja, da staunst Du, der Gedanke, nach NY zu fliegen, ist auch für mich so fremd wie eine Beule, die man plötzlich kriegt. Sie stellt sich irgendwie als Fremdkörper dar, als ein Ding, das nicht zu mir gehört und nicht zu all dem passt, was bisher zu mir gehört hat. Und doch ist es mein Fleisch. Ich versuche, den Gedanken zu assimilieren, indem ich ihn kaue wie Whrigleys, diesen amerikanischen Kaugummi. Am liebsten tue ich es vielleicht mit dem immer noch attraktiven und ewig jungen Peppermint. Ich stelle mir vor, wie es dort ist und wie ich mich in dem Getümmel zurechfinden könnte.Man ist ja eigentlich in den Häuserreihen wie eine Maus im Labyrinth. Und wenn man sich die Fotos anschaut, so sind sie immer von oben, aus hoher Distanz, von Flugzeugen oder von Wolkenkratzern. Da sieht alles immer ganz niedlich aus. Aber tief unten in diesen Schluchten, die wahrscheinlich den ganzen Tag nie Sonne sehen, was soll ich dort tun? Man kann ja bloss ein bisschen Schaufenster anschauen, herumstehen, angerempelt werden durch eilige Passanten?
Nein, ich stelle es mir noch nicht schön vor. ...
*
Gut dass Du zu Deinem Ausflug kommst. Es ist ja jetzt auch eine schöne Zeit zu reisen und das eigene Land anzuschauen. Die Wärme und der Sonnenschein stimmt alle Menschen ein bisschen milder, nicht wahr? Ich auf jeden Fall geniesse es, in Basel zu flanieren und mich ein bisschen zu fühlen, als ob ich ein Tourist wäre. Ich wäre wirklich ein exzellenter Flaneur, das kann ich Dir verraten, der stundenlang dahinwandert und immer wieder stehen bleibt, wenn es irgend etwas zu sehen oder zu hören gibt. Ich glaube, ich würde mich kaum langweilen.Vielleicht würde ich bedauern, dass man die Szenen nicht wirklich festhalten kann, nicht per Biild und nicht mit Worten. Aber es gibt soviele bemerkenswerte Szenen in einer Stadt, die für sich allein, ohne weiteres Zutun, irgend einen Wert haben. Vielleicht ist es blosse Unterhaltung. Vielleicht ist es bloss das Wunderliche zu sehen, wie sich das Leben auch noch darstellen kann, also die Variation und die Unvermutetheit.
*
Kürzlich habe ich einen Artikel einer schweizerischen Stiftung gelesen, die behauptet, wir müssten die Schweiz urban verstehen. ...
Samstag, 24. Juni 2017
Donnerstag, 22. Juni 2017
Sonntag, 18. Juni 2017
Frequenzen und Sequenzen?
Foto: Chris
Ämne: Frequenzen und Sequenzen?
Datum: den 3 juni 15:45
Liebe Marlena
Habe ich an der Frequenz gedreht? Ist mir nicht bewusst. Aber ich weiss,
dass ich im Moment ziemlich in der Weltgeschichte herumdüse und wenig Ruhe
habe. Vielleicht liegt es daran. Manchmal kann ich abends noch ein paar
Zeilen einhacken und muss dann plötzlich wieder aufhören, weil noch etwas
ansteht.
Ist es das, was Du meinst? Ich bin im Moment ein gehetzter Mensch und ich
hoffe, dass es bald wieder ruhiger wird. Die zwei Wochen Abwesenheit fallen
stark ins Gewicht.
Was den Lateintext betrifft, so kann ich damit schon zurecht kommen.
Allerdings wäre die Hilfe von einem Fachmann gut gewesen. Persönliche Dinge
will ich dort allerdings nicht zuviele vorbringen, denn ich kenne die
Burschen nicht mehr so gut. Auf jeden Fall sind keine Damen zugegen, ein
Umstand, den ich an sich kritisiert habe. Aus den Erfahrungen früherer
Zusammenkünft kann ich sagen, dass die Tendenz zur Regression gross war. Das
heisst, nach einer Stunde haben sich die alten Gruppierungen mit den alten
Sprüchen wieder hergestellt. Und das war bisweilen ziemlich pubertär.
Deshalb habe ich vorgeschlagen, ein Treffen mit den Damen zu machen. Aber
das wollten sie nicht.
Und wie Du richtig geraten hast, war ich gestern zum Mittagessen bei
Onkelchen. Wir sind zusammen an den See gefahren und haben dort, in einer
gemütlichen Gartenwirtschaft, Fisch gegessen. Das war sehr gut und sehr
unkompliziert. Unter Männern gehen gewisse Dinge eben doch leichter als mit
Damen, die dann manchmal gerne hochtakeln. Ich glaube, er hat es auch
genossen, an diesem schönen Sommersonntag, durchs Land zu fahren und sich
an alte Dinge in seinem Leben erinnern zu lassen.
Und abends bin ich dann nach Luzern gefahren, um ein Konzert zu hören.
Eigentlich wäre dieser Konzertbesuch ein Geschenk meiner Mutter für S
gewesen. Aber weil sie nun noch im Iran weilt, musste ich allein hingehen.
Die Plätze waren ziemlich teuer, und ich dachte, ich könne vielleicht den
zweiten Platz auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Aber das gelang nicht. Es war
ein Gala-Abend mit Montserrat Caballé, der bekannten spanischen Sopranin.
Und der neue Saal im Kultur- und Kongresszentrum Luzern KKL war nicht voll
besetzt. Lustig war, dass die Sängerin, die Du Dir umfangmässig gar nicht
gross genug vorstellen kannst, erschien. Sie kam mit zwei Krücken auf die
Bühne. Das sah aus, als rudere sie ein riesiges Boot von hängenden Stoffen
über das glatte Parkett, denn ihre Robe schleifte sie mit. Sie erzählte dann
auf lustige Art und Weise von ihrem kleinen Unfall. Meniskus, so meine ich
gehört zu haben. Der Arzt hätte ihr Ruhe verschrieben. Sie hätte ja gesagt.
Und schliesslich zog sie ihren schweren Rock bis übers Knie hoch und zeigte
dem amüsierten Publikum einen dicken Verband, damit es ihr auch jeder
glauben würde. Die Leute waren begeistert.
Und dazu kam natürlich dieses neue Gebäude in Luzern, ein supermoderner
Konzertsaal mit allen technischen Möglichkeiten. Die Wände sind perforiert
wie im Musiksaal Ali Qapu, dem Empfangspalast des Schahs in Isfahan aus dem
17. Jahrhundert. Der Architekt ist ein Franzose, so glaube ich. Und in der
Schweiz hat man natürlich viel gesprochen über die 50 Millionen, die das
Gebäude gekostet hat. Aber ich muss sagen, es ist ein ausserordentliches
Gebäude und die Luzerner können stolz darauf sein. Man hat dort als
internationalen Anziehungspunkt die Musikfestspiele. Und da bauchen sie
einen solchen Magneten. Caballé Montserrat (klicke hier)
Ich lass Dich, denn ich habe hier noch viel zu tun. Es scheint eine volle
Woche zu werden. Ich hoffe, ich schaffe das.
Mit einem lieben Gruss
...
What a wonderful day..
Ämne: What a wonderful day..
Datum: den 2 juni 21:15
Lieber ...,
Es ist Sonntagabend, ein Zeitpunkt wenn ich normal mein Kollektiv verlasse um mich in Richtung Schweiz zu begeben. Aber in letzter Zeit scheint die Kommunikation irgendwie gestört - es knastert ziemlich und ich kann die Stimme meines Mausfreundes nicht hören. Sag ..., bist du daran Schuld? Du stehst unter starkem Verdacht an der Frequenz gedreht zu haben (was du mir doch selbst streng verboten hast). Hoffentlich kriegst du es wieder hin.
Hier hatten wir ein wunderschönes sonniges Wochenende und wäre es nicht wegen der kommenden Woche so hätte ich es sicher noch mehr genossen. Nur noch eine Woche geht meine kleine ins Gymnasium. Ich kann es kaum glauben dass es so weit ist. Ich habe nachgegeben. S hat schon begonnen das Bild zu machen unter dem Anna ihre Gratulationen empfangen wird. Ich habe ihr Kleider zurechtgemacht für den Abiturtag (immer weiss) und für den Ball am Abend. Jetzt muss ich noch das Haus in Ordnung bringen und das Buffet ausdenken für Freitag. Daneben habe ich noch Unterricht in den anderen Klassen die kommenden zwei Wochen. Dieses Jahr liegt der Midsommarabend etwas früher als normal. Es ist unser grösstes Fest neben Weihnachten und Ostern und vielleicht ist es die schönste Zeit des Jahres.
Ich habe nochmals versucht eine Übersetzung zu finden.. aber leider. Und weisst du, vielleicht waren einige deiner Schulkameraden nicht so gut in dem Fach und sie werden sich wieder fühlen wie damals wenn sie im Text steckenblieben und ziemlich frustiert sein. Aber alle die anderen lustigen Dinge die du in deinem Mail erwähnt hast, musst du mitnehmen. Ich habe noch nie jemanden gekannt der sich so detailliert an seine Jugend erinnern kann wie du. Hoffentlich sind nicht allzuviel Damen im Publikum – denn du wirst ihnen – wie einst mir – den Kopf verdrehen mit deinen schönen Worten. ;-)
Was machst du so als Strohwitwer? Nur Arbeit und Kummer? Oder angenehmere Erlebnisse, die man normal mit diesen Zustand verknüpft? Du hast so viel angedeutet von dem du mir erzählen wolltest.. nach und nach...wie du schriebst .. und ich warte schon dauernd darauf. Aber ich denke du hast im Moment dein Herz im Wallis und kannst vielleicht garnicht an anderes denken. Du hast mir auch nicht die Frage beantwortet wann ihr euch treffen werdet.
---
Ich habe an dich gedacht an diesem schönen warmen Tag und dass du vielleicht (wie ich es gern getan hätte) mit Onkelchen in die Natur hinaus gefahren bist.
Zum Schluss wünsche ich dir einen schönen Abend und einen guten Start in die nächste Woche.
Mit lieben Grüssen
Marlena
Samstag, 17. Juni 2017
Re: Vorbereitungen
(---)
Ich verstehe schon wozu du den lateinischen Text brauchst. Du wirst sicher sofort alle damit in die Stimmung von damals versetzen. Ich weiss dass du in Gedanken mit deiner Rede beschäftigt bist und du bist sehr bescheiden wenn du fragst warum sie gerade dich gewählt haben dazu.
Ja, genau so wie du es mir erzählt hast sollst du ihnen die Dinge in Erinnerung bringen. Wenn sie sich nur die Hälfte so sehr amüsieren wie ich (wo ich es doch nicht einmal selbst erlebt habe) dann ist es schon ein grosser Erfolg. Wann wird das treffen denn stattfinden?
Aber wie respektlos du über die armen Gottesmänner herziehst.. Manchmal bist du wirklich schrecklich...
Du fragst nach Annas Prüfungsvorbereitungen. Na, weisst du, so wie in der Schweiz war es einmal auch bei uns. Aber jetzt haben wir seit langem nur Kurse in verschiedenen Fächern (das amerikanische System)und nach jedem Kurs bekommt man eine Note die dann im Abschlusszeugnis steht. Also kein Abitur wo man geprüft wird. Zwar geben wir am Ende der Kurse einen etwas umfangreicheren Test aber die Angst vor den Abschlussprüfungen fällt ganz weg.
Anna hat gestern ihre letzte grosse Physikprobe gehabt. Vier stunden lang hat sie geschrieben und doch fand sie die Zeit etwas kurz angemessen. Und was hat ihre böse Mutter dazu gesagt? Wenn du es besser gekonnt hättest, wärest du mit weniger Zeit ausgekommen.
Natürlich bin ich stolz auf sie. Aber nicht so sehr über die Noten (was bedeuten die schon?) wie über ihre Vielseitigkeit und ihren Humor.
Unsere Schulbibliothekarin hat mir den kleinen Prinzen auf deutsch verschafft. Ach wie schön weich es auf deutsch klingt wenn man mit unserer Sprache vergleicht. Aber an manchen Stellen überrascht mich die Übersetzung ein wenig.
"Du bist zeitlebens für das verantwortlich was du dir vertraut gemacht hast." Steht es wirklich so im Original?
Ich muss noch ein bisschen an die Arbeit. Vorbereitungen für morgen. Deswegen verlasse ich dich nun.
Nein, ich bin nicht streng mit meinen Küsschen.. ich küsse dich oft und gern und sogar ohne Gegenleistung.. ;-) Genau wie jetzt.
G+K
Marlena
Ich verstehe schon wozu du den lateinischen Text brauchst. Du wirst sicher sofort alle damit in die Stimmung von damals versetzen. Ich weiss dass du in Gedanken mit deiner Rede beschäftigt bist und du bist sehr bescheiden wenn du fragst warum sie gerade dich gewählt haben dazu.
Ja, genau so wie du es mir erzählt hast sollst du ihnen die Dinge in Erinnerung bringen. Wenn sie sich nur die Hälfte so sehr amüsieren wie ich (wo ich es doch nicht einmal selbst erlebt habe) dann ist es schon ein grosser Erfolg. Wann wird das treffen denn stattfinden?
Aber wie respektlos du über die armen Gottesmänner herziehst.. Manchmal bist du wirklich schrecklich...
Du fragst nach Annas Prüfungsvorbereitungen. Na, weisst du, so wie in der Schweiz war es einmal auch bei uns. Aber jetzt haben wir seit langem nur Kurse in verschiedenen Fächern (das amerikanische System)und nach jedem Kurs bekommt man eine Note die dann im Abschlusszeugnis steht. Also kein Abitur wo man geprüft wird. Zwar geben wir am Ende der Kurse einen etwas umfangreicheren Test aber die Angst vor den Abschlussprüfungen fällt ganz weg.
Anna hat gestern ihre letzte grosse Physikprobe gehabt. Vier stunden lang hat sie geschrieben und doch fand sie die Zeit etwas kurz angemessen. Und was hat ihre böse Mutter dazu gesagt? Wenn du es besser gekonnt hättest, wärest du mit weniger Zeit ausgekommen.
Natürlich bin ich stolz auf sie. Aber nicht so sehr über die Noten (was bedeuten die schon?) wie über ihre Vielseitigkeit und ihren Humor.
Unsere Schulbibliothekarin hat mir den kleinen Prinzen auf deutsch verschafft. Ach wie schön weich es auf deutsch klingt wenn man mit unserer Sprache vergleicht. Aber an manchen Stellen überrascht mich die Übersetzung ein wenig.
"Du bist zeitlebens für das verantwortlich was du dir vertraut gemacht hast." Steht es wirklich so im Original?
Ich muss noch ein bisschen an die Arbeit. Vorbereitungen für morgen. Deswegen verlasse ich dich nun.
Nein, ich bin nicht streng mit meinen Küsschen.. ich küsse dich oft und gern und sogar ohne Gegenleistung.. ;-) Genau wie jetzt.
G+K
Marlena
Vorbereitungen?
Liebe Marlena
Ach, Du bist wirklich ein bisschen streng mit Deinen Küsschen. Aber wie auch
immer, ich suche immer noch den deutschen Text von "die Pflichten", de
officiis. Bisher hatte ich geglaubt, dass man im Internet alles finden kann.
Aber das scheint nun wirklich ein Aberglaube. Es gibt Dinge und Texte, die
findet man immer wieder, obwohl man sie gar nicht gesucht hat. Und andere
fehlen schlichtweg. Ich finde, es ist wirklich ein vulgäres Medium, nicht
wahr?
Weißt Du, es handelt sich dabei um den Text, den wir anlässlich der Matura
zu übersetzen hatten. Und so habe ich gedacht, es wäre lustig, ihn für
unsere Klassenzusammenkunft vom Juni nochmals anzuschauen. Es sind 35
Jahre her und ich frage mich, wer von meinen Kameraden in der Lage ist,
einen Satz aus diesem Text zu übersetzen. Wir sind zwar alle wie Jesuiten
ausgebildet worden, aber wir sind nicht Jesuiten geworden. Es gibt einige
Priester, wenn ich mich nicht irre. Zwei vielleicht. Einer ist ziemlich dumm.
Dem traue ich eine Übersetzung überhaupt nicht zu. Der andere war ein
sanftes Früchtchen und ein Streber. Vielleicht kann er es? Ich frage mich, wie
er sich entwickelt hat. Damals war er wirklich eine kleine Memme. Aber das
soll sich - wie man hört - im Leben gelegentlich ändern. Er war im Turnen völlig
unfähig und hat keinen Ball fangen können, der arme Kerl.
Ich stelle mir vor, dass wir zusammen einen Satz aus diesem Text übersetzen.
Und dazwischen kann ich - anstelle einer Rede - komische und ironische und
romantische Bemerkungen machen, Erinnerungen auffrischen, an irgendwelche
komischen Ticks von Lehrern erinnern. Na ja, ich weiss zwar noch nicht, ob
das hinhaut. Aber so ähnlich denke ich es mir im Moment.
Jetzt ist das Wetter hier besser geworden. Der Himmel ist blau und die Sonne
scheint, wie es sich im Mai gehört. Heute abend muss ich rasch den Rasen
mähen. Er ist schon ziemlich hoch, und wenn ich noch zuwarte, hat er Mäher
Mühe. Er verstopft dann leicht.
Wie geht es Deiner Anna in den Prüfungsvorbereitungen? Sie ist ja
Spitzenschülerin, und wird sich nicht zuviel Sorgen machen? Das war lustig,
was sie über Eure Familie gesagt hat. Ja, die Jungen haben ein feines Auge
und eine gute Nase. Sie sehen mehr, als wir oft denken. Aber Anna weiss
bestimmt, dass sich ihre Eltern sehr freuen über ihren schulischen Erfolg.
Solch ein Abschluss ist das beste, was die Schule zu bieten hat. Im Übrigen
sind ihre Erfolge und Wirkungen ja mehr als fraglich.
Jetzt fahre ich heim und koche mir etwas. Ich habe seit zwei Tagen nichts
Warmes gegessen. Vielleicht sollte ich mir heute Teigwahren vornehmen. Ich
glaube, ich brauche so was ähnliches.
Ich wünsche Dir einen schönen Abend.
Mit einem lieben Gruss
...
Dienstag, 13. Juni 2017
"Lili Marlen"
...
Im Garten blüht meine kleine "Lili Marlen". Sie ist eine Freude fürs Auge. In der Woche, als du weg warst, zeigte sie ihre Knospen und ich bin erschrocken, denn sie waren fast schwarz. Eine schwarze Rose als Symbol für unsere, wie soll ich sagen, "Mausliebe"?
Doch dann als sie zu blühen begann wurde sie blutrot und leuchtet den Garten auf.
"Leise Dialoge mit der Ewigkeit".. heisst es nicht so bei Rilke? Ich denke daran, wenn ich meine stillen Dialoge mit dir führe. :-)
...
Montag, 12. Juni 2017
Helle Nächte
Lieber... ,
Na, da siehst du, nach Regen kommt Sonne. Sage ich doch immer.
Und diese Tatsache hilft mir über so manches hinweg. :-)
Wir haben wunderschönes Wetter hier und ab Samstag soll die
richtige Sommerwärme hier eintreffen. Alles leuchtet herrlich grün
und die Tage sind lang. Wenn du sehen willst wie hell es abends sein
kann, kannst du hier auf der webcam sehen.
K ist draussen im Garten und tut, was ich auch schon getan habe.
Er jätet Unkraut. Eine Menge kleine Disteln zwischen den Blumen
am Rand gegen das Feld. Und dort stehen auch die neuen Rosen-
sträucher, die wir im Herbst gepflanzt haben. Eine "Ingrid Bergman"
und eine "Lili Marlen" u.a. Ich bin schon neugierig auf die Rosen.
Ausserdem gibt es eine neue Friesia, eine gelbe Rose die ganz
wunderbar duftet.
Jemand hat neulich im Fernsehen gemeint die europäischen Länder
wären Kulturnationen während Schweden eine Naturnation sei. In
den Kulturnationen ist der Umgang mit anderen Menschen wichtig.
In Schweden ist man mehr Einzelgänger. Das ist nicht ganz falsch
gedacht. Ich denke auch mehr an alle kulturellen Gebäude, die man
in den anderen Ländern finden kann, während sie hier dünn gesät
sind. Ganz einfach aus dem Grund weil bei uns alles aus Holz gebaut
wurde.. und früher oder später niedergebrannt ist. Aber wir haben die
schöne Natur. Die hellen Sommernächte. Doch das weisst du schon.
Ich versuche einen dieser Krimis zu lesen, die du mir genannt hast.
Aber Literatur ist es nicht. Geschrieben wie eine Einkaufsliste. ;-)
Und wenn man an Texte von dir gewöhnt ist, findet man nicht so
leicht etwas was taugt.
...
Morgen sind hier die Abiturientenfeiern. Meine letzten Schüler
verlassen das Gymnasium. Ich habe ihnen ein paar Bilder geschickt,
die ich in meiner letzten Französischstunde von ihnen gemacht habe.
Wir haben französische Volkslieder gesungen und verschiedene Sorten
von französischem Käse gegessen. Jemand hatte eine Gitarre dabei und
es war sehr gemütlich.
So, ich lasse dich jetzt.
Wünsche dir alles Gute und schöne sonnige Tage.
MlG
Malou
Lustige Zeit in England
date 8 June 07:33
subject: Ups!
Liebe Malou
Wolkenloser, blauer Himmel. Noch etwas kühl am Morgen. Aber schon ziemlich Wärme versprechend. Es ist ungefähr so, wie man sich Pfingsten vorstellt. Während ja Pfingsten war wie ein unruhiges Wochenende im April. Kurz und gut: mit dem Wetter geht es aufwärts.
Ich habe versucht, mit Walter wieder mal einen Termin zu vereinbaren. Schliesslich muss doch seine Lili ab und zu mal was loswerden. Aber es ist schwierig. Offenbar hat er viel Arbeit an seiner neuen Stelle, die ich ihm eingebrockt habe. Und dazu ist er - weit mehr als ich - Fussball-Fan. Ich bin das ja nun eigentlich nicht, obwohl ich vielleicht mal 10 Minuten am TV zuschaue. Beim Tennis sind es dann schon 15 Minuten. Ich erinnere mich, wie ich mir in England bei meinen Gastgebern abends stundenlang Wrestling angeschaut habe. Ich war beeindruckt. Allerdings hatten wir damals, wenn ich mich recht erinnere, zuhause noch kein Fernsehen. Das kam spät ins Wallis, denn der Empfang war ja nicht ganz einfach. Es ist erstaunlich, wie mich diese grobe Sportart Wrestling damals beeindrucken konnte. Es ist ja doch eher eine Show als eine Sportart. Vielleicht habe ich das damals noch nicht ganz durchschaut. Und offenbar haben auch meine Gastgeber, die alten Leutchen, interessiert zugeschaut.
Das war eine lustige Zeit in England. Ich war ja erstmals im Leben wirklich weg von der Schweiz und auf eigenen Füssen. Die ersten paar Tage hatte ich mit einem älteren Kameraden aus unserem Gymnasium in London verbracht. Wir lebten in einem CVJM Haus, einer riesigen Herberge oder Pension, durch deren Gänge dunkle Gestalten, meist wohl Inder, schlichen und wo man abends umd 10 oder 11 im Nebenzimmer die Badewanne glucksen höre. Wir streiften etwas unentschieden durch die blebten Strassen Londons. Mein Kollege zeigte mir Soho. Er schien sehr vergnügt und zwinkerte den anzüglichen Frauenzimmern vergnügt zu, während ich wohl nur halb verstand, was da alles abging. Nach diesen paar etwas verwirrlichen Tagen reiste ich hinunter nach Bournemouth. Die Gasteltern waren noch auf einer Kreuzfahrt und sollten erst am nächsten Tag heimkehren. So emfping mich Dave, der Sohn, der noch zuhause lebte. Er war nett, aber einfach, arbeitete in irgend einer Getränkefirma und hatte wohl den ganzen Tag Bierkisten herumzuschleppen. Dazu hatte er eine junge Freundin, ein hübsches, aufgeräumtes Mädchen, das Zürichdeutsch sprach. Ich war sehr erstaunt, dass sie sich mit einem so einfachen Typen einliess, denn sie schien mir doch in Art und Bildung deutlich mehr entwickelt. Aber vielleicht war es der Altersunterschied, der ihr imponierte. Am ersten Morgen, es war ein Sonntag und die Gasteltern waren eben noch weg, brachte sie mir das Frühstück ans Bett. Ich war ziemlich erstaunt, auch recht geniert. Sie war ungefähr mein Alter und brachte mir in einem fremden Haus ein veritables englisches Frühstück ans Bett, während ich gerade aufwachte und wohl noch ziemlich zerknittert ausgesehen haben muss. Aber in jenem Alter konnte ich die Merkwürdigkeit der Situation nicht so rasch erkennen.
Das Zürchermädchen hatte eine Freundin, die deutlich Baseldeutsch sprach und - wie soll man sagen - ein grosses Maul hatte. Sie war etwas rundlich und war deswegen wohl auch ein bisschen empfindlich. Eines Abends lud uns Dave ins Kilt ein, eine trendige Disco mit vielen jungen Leuten. Dave bemühte sich um seine Freundin, und so blieb mir die Baslerin. Doch die Disco war damals, in den 68er Jahren, eine Knutsch-Scheune. Und ich konnte, wo ich doch frisch aus dem katholischen Wallis kam, nicht gleich mit einem Mädchen schmusen und küssen. So tanzten wir lange Zeit ziemlich decent. Und schliesslich bedeutete sie mir, dass ich durchaus auch mit anderen Mädchen tanzen sollte. Das kam mir recht. Unser Lehrer, der diese Ferienkurse für uns organisiert hatte, hatte uns davor gewarnt, uns bloss mit Deutschsprachlern einzulassen. So würden wir absolut kein Englisch lernen und der ganze Aufwand wäre wohl nur halb so nützlich. So stürzte ich mich ernsthaft auf all die englischen Zungen, die ich in dieser dunkeln Hütte finden konnte. Und das arme Mädchen aus Basel, ich weiss gar nicht, was mit ihr geschehen ist. Irgendwann sind wir dann alle vier wieder heimgefahren.
Ach, vielleicht habe ich dir schon vieles davon erzählt. Es war eine wunderbare Zeit in England. Der Strand war zwar nicht das, was ich aus Italien kannte. Neben den vielen jungen Leuten, auf die man in jenem Alter ein Auge hat, gab es mehrheitlich low-class-Engländer. Sie sassen mit ihren Tatoos imUnterhemd in den Deckchairs und lasen ihre Boulevardzeitungen. Der Strandsand war etwas grob. Und das Wasser, nicht anders zu erwarten, kühl. Aber das schöne Wetter und die gleissende Wasserfläche waren friedlich. Im Hintergrund lagen die Dünen, von denen man einen schönen Blick über die weite Uferpartie hatte. Und dann gab es natürlich das Pier (oder schreibt man Peer?). Das stand da, behäbig und faul, nicht wirklich schön, aber doch ein guter Merkpunkt in der weiten Landschaft. Meine Walliser-Kameraden aus der Klasse waren nicht sehr Strand-gewohnt. Man konnte sehen, dass sie nicht echt wussten, was tun. Und die meisten konnten auch gar nicht schwimmen. Sie sassen also nur relativ kurze Stunden da, alberten herum und verzogen sich bald wieder. Ich versuchte, mich überall umzuschauen. Besonders liebte ich die grossen parks mit diesen luxuriösen Rasen. Im Zentrum gab es so etwas wie einen Kurpark. Dort spielte nachmittags die Musik. Manchmal gab es Highländers, die über Säbeln tanzten. Das war eine hübsche Atmosphäre. Allerdings gab es dort zur Hauptsache ältere Leute, weisshaarige Pensionisten, die geruhsam daherwackelten und zur wackeren Musik mit dem Gebiss klapperten. Aber es war schön und es war Ferienstimmung. Ich liebte die Tennisplätze, und ich erinnere mich, dass ich dort meine erste Pfeife rauchte, die ich mir gekauft hatte. Irgendwie musste ich zur Überzeugung gelangt sein, es wäre der richtige Zeitpunkt, mit Rauchen anzufangen. Ich rauchte ein bisschen zu hektisch, so dass ein leichter Schwindel hockam. Und dazu las ich die Weltwoche, eine Zeitung aus der Schweiz, die ich an einem Kiosk gefunden hatte. Es war herrlich, nach soviel Englisch wieder mal ein paar schöne deutsche Sätze zu lesen. Ich glaube, damals habe ich angefangen, zu lesen und das Lesen zu geniessen.
Was mich in England am meisten beeindruckte, war die Fremdheit. Die Strassen und Häuser waren wirklich anders als bei uns in der Schweiz. Es war oft nicht wirklich schön, sondern oft etwas ärmlich, unordentlich und für meine Augen fremd. Auch die Menschen waren so. Sie faszinierten mich, aber vor allem, weil sie anders waren als wir. Es gab damals noch keine dicken Engländer. Alle waren sie schlank, häufig hochgewachsen. Und man sagte ihnen nach, sie wären trocken. Das waren sie wohl. Und die englischen Mädchen. Ach, wenn sie sprachen, waren sie so sexy. Noch heute, wenn ich englische Dialekte höre, kitzelt es mich im Bauch. Sie waren sehr höflich, sehr formell, und kannten in Fragen des Sex keine Grenzen. Na ja, es war auch die Zeit. Am Fernsehen sah man die Beatles und die Stones und dahinter eine kreischende Masse junger Mädchen.
War das nicht eine wunderbare Zeit? Man hatte das Gefühl eines Aufbruchs. Wir wussten nicht wohin, aber es lag etwas Junges in der Luft. Die Alten konnten damit nichts anfangen. Aber wir Jungen fühlten eine grosse und weite Verbundenheit. Und dass die Welt grossartig sei und uns allein gehört.
Na ja ... so oder ähnlich eben.
MLG
...
Samstag, 10. Juni 2017
Mittwoch, 7. Juni 2017
Singledasein, Maikäfer und Rosen
date 5 June 13:13
subject so kompliziert ist das hier ....
Liebe Malou
Nach langer Zeit versuche ich wieder mal ein Mail von zuhause zu
schreiben. Ich sitze hier bei einem feinen Espresso in der guten Stube
und versuche, meine Gedanken zu ordnen an diesem faulen, ereignislosen
Sonntag Nachmittag. Na ja, wir hatten eine Abstimmung heute, mussten
Stellung nehmen, ob die Schweiz dem Vertrag von Schengen beitreten
soll oder nicht. Und daneben steht das neue Partnerschaftsgesetz zur
Diskussion, das gleichgeschlechtlichen Liebespaaren gewisse Regelungen
ermöglicht, die ich jetzt nicht alle kenne, weil ich ja auch nicht im
Sinn habe, mich jemals gleichgeschlechtlich zu verbinden. Na ja, man
weiss nie. Es gab schon Verwandlungen von Saulus zu Paulus, dh. auch
von Familienvätern zu waschechten Homos. Aber ich glaube nicht, dass
mir so was blühen könnte. Eher noch würde ich ein eingefleischter
Single werden. Single stelle ich mir nicht so schlecht vor.
Singledasein denke ich mir als ruhiges Leben in einer kleinen
vielleicht 2 oder 3-Zimmer-Wohnung, meinetwegen gleich unter dem Dach,
mit vielen Büchern, ziemlich viel Unordnung und schmutzige Wäsche
herumliegend, aber natürlich auch leere Flaschen und schmutzige Gläser
von Besucherinnen und Besuchern. Und die Verbindung zwischen den 2
oder 3 Zimmern würde ich mit schwerer Opernmusik überbrücken. Na ja,
vielleicht würde ich ein Zimmer für den Besuch bereit halten, so wie
man ehemals eine gute Stube hatte. Damals, als wir in Lenzburg
wohnten, hatten wir eine solche Stube. Sie war gross, mit einem
schönen Parkett-Boden und Getäfer an der Wand. Hier pflegten wir mit
pochendem Herzen den St. Nikolaus zu empfangen. Und wenn Besuch kam,
drückte man sich hier verlegen auf den grossen Fauteuils herum. Und
später hörte ich von Onkelchen, dass diese Stube damals, nach der
Französischen Revolution, als die Franzosen die Schweiz besetzten und
auch die zwinglianischen Zürcher zur neuen Ordnung zwingen wollten,
dass damals General Massèna in diesem Raum residiert hatte. Und als
ich dann ungefähr im Kindergarten alter war, hatte ich im Getäfer ein
Geheimfach entdeckt. Ich konnte es nur knapp erreichen, denn es war
gleich über dem Sofa platziert. Und eigentlich, so hatte ich mir
damals gedacht, hätte man ein Bild davor aufhängen sollen. Ich
benutzte diesen Safe für gewisse Dinge, aber ich will jetzt nicht wie
Mark Twain behaupten, dass es tote Mäuse oder ähnliche Dinge gewesen
wären. Höchstens vielleicht ein paar phlegmatische Maikäfer. Ich
liebte damals Maikäfer, sammelte sie in einem Marmeladenglas,
bereitete ihnen ein angenehmes Zuhause mit grünen Blättern und kleinen
Ästchen, damit sie sich ernähren und zur Verdauung etwas herum
klettern konnten. Und am nächsten Tag, welche Enttäuschung, steckten
die meisten Maikäfer Schwanz in Schwanz. Der eine schaute nach oben,
der andere nach unten. Ach, wie unästhetisch! Und wie ungerecht! Der
eine lag hilflos auf dem Rücken, während der andere vielleicht noch
herum krabbelte. Ich versuchte oft, sie zu trennen. Doch dann trat
gelber Saft heraus und ich stellte mir vor, dass dies wohl das Gedärme
sei und dass sie jetzt wirklich qualvoll sterben müssten. Nein,
Maikäfer waren bloss am ersten Tag dankbar und interessant, wenn die
Tiere noch eifrig und mit Energie versuchten, das Glas hoch zu
krabbeln, und wenn sie versuchten, sich startklar zu machen und
fliegend hochzukommen, was natürlich niemals gelang. Und dann, wenn
sie sich wirklich erschöpft hatten, verschwanden sie unter den
Blättern. Ich gönnte ihnen die Ruhe. Aber ich wusste, am nächsten
Morgen würde das Chaos mit den ineinander gesteckten Käfern vollkommen
sein. Diese kleinen Käfer waren mein Nervenkitzel in jungen Jahren.
Wo waren wir? Ach ja, bei der guten Stube. Ich habe im Garten gesehen,
dass die Rosen anfangen, zu blühen. Ich betrachte sie als meine Rosen.
Ich habe sie mit viel Aufwand gleich hinter dem Thuja-Baum gepflanzt
und dafür gesorgt, dass sie als Kletterrosen im Baum hoch wachsen. Und
jetzt schauen sie oben heraus und blühen dem Himmel entgegen. Schöner
wäre, wenn sie wie ein römischer Brunnen zur Seite wieder herunter
hängen könnten. Dann würden die Blüten noch besser in Erscheinung
treten. Aber vielleicht haben wir nächstes Jahr diesen Effekt. Ich
habe erst kürzlich den Thuja geschnitten und getrimmt, so dass er
jetzt wie ein frisch trainierter Rekrut im Garten steht. Die Rosen
sind weiss, mit einem Hauch Rosa. Aber sie sind nicht zu gross,
jedenfalls nicht so gross wie jene blutroten Rosen, die man der
Geliebten im Rausch an den Busen drückt. Sie sind sozusagen
calvinistische Rosen, sehr aufgeklärt, eher nüchtern und nicht gerade
betörend. Na ja, man könnte auch sagen skandinavische Rosen.
Und dazu höre ich mir einen Mozart-Mix an. Das kann man immer hören,
ist beruhigend und leicht beschwingt, das verschafft einem eine gute
Mittellage. Jetzt singt gleich ... ich weiss nicht, wie sie heisst.
Morgen werde ich mehr oder weniger den ganzen Tag unterwegs sein. Und
in 2 Monaten werden wir durch die interne Revision geprüft. Da muss
ich noch etwas Ordnung schaffen, im Büro und im Betrieb. Ich hoffe, es
wird nicht allzu schlimm herauskommen. In all den bald 25 Jahren waren
sie nie bei uns. Und jetzt, bei meinem Schluss kommen sie und treiben
mir das Adrenalin die Adern hoch. Na ja, wir werden auch das noch
überleben.
Jetzt muss ich sehen, ob ich von hier noch irgendwie in die Box
gelange. Ich war es schon ewig nicht mehr.
Halt mir die Daumen.
MLG
Dienstag, 6. Juni 2017
Nationalfeiertag in Schweden
heute am 6. Juni 2017
und damals:
date 6 June 2005 06:31
subject Merci
Lieber ...,
Heute feiern wir unseren Nationaltag, zum ersten Mal als roten Tag im
Kalender. Anstatt den Pfingstmontag haben wir nun diesen als offiziellen
Feiertag.
Montag, 5. Juni 2017
Sonntag, 4. Juni 2017
Pfingstrosen
Siehst Du, wie die Pfingstrosen blühen? Es sind von allen Blumen die ersten, die ich in meiner Jugend irgendwie bemerkt habe. Vielleicht mal von den Hortensien abgesehen, die ich seit der Beerdigung meiner Mutter irgendwie kannte. Pfingstrosen haben Ameisen, deshalb vielleicht habe ich sie mir gemerkt. Und ich erinnere mich an ein Bild Manets mit schönen Pfingstrosen. Sie sind schön, wenn sie blosse Knospen bilden und sie sind schön, wenn sie in barocker Fülle sich offen den warmen Pfingsttemperaturen hingeben. Siehst Du Malou, ich bin ja wirklich nicht gerade ein guter Blumenkenner. Aber zu den Pfingstrosen habe ich ein kameradschaftliches Verhältnis gefunden. Und ich frage mich, weshalb wir in unserem Garten keine Pfingstrosen haben.
Ich wünsche Dir schöne Pfingsten.
MlGuK
...
Samstag, 3. Juni 2017
Pfingsten - damals im Wallis
Deborence
Liebe Malou
Die deutsche Sprache reicht nicht aus, um unser Wetter zu beschreiben. Dazu würde man eine Menge Kraftausdrücke benötigen und sie in die Luft hinaus donnern. Es ist wirklich saukalt und unfreundlich. Ich habe - habe ich das nicht schon mal geschildert, um dich zu Tränen zu rühren? - ich habe unsere Tomaten wieder zurück unter die Plastikdecke geschickt. Das will heissen: vor ein paar Tagen hatte ich den Plastik entfernt und pro Pflanze einen Stock eingesteckt. Das sind so gewundene Metallstöcke, die der Pflanze Halt geben, ohne dass man sie binden muss. Aber dann vor 2 Tagen, als ich die Wetterprognosen für Pfingsten gehört hatte, habe ich alles wieder abgebaut und zugedeckt. Das ist ein Rückzug um knappe zwei Monate. Ist das nicht wahnsinnig.
Aber ich muss gestehen, gleich heute Morgen, bei Wind und Wetter, ist mir eine Erinnerung aus meiner Jugend zurückgekehrt. Und wenn ich es mir genau überlege, hängt das mit dem Wetter zusammen. Damals, in der Zeit der Sekundarschule, hatten wir jeweils an Pfingsten ein Pfadfinderwochenende. Man zog aus mit Zelt und Kochgeschirr und hat das längere Wochenende von Pfingsten in Gottes freier Natur verbracht. So haben wir verschiedene Gegenden des Wallis kennengelernt. Ich erinnere mich an den Pfinwald, diesen altertümlichen südlichen Wald, der die Sprachgrenze bildet, und der in alter Zeit ein fast unüberwindliches Hindernis voller Räuber und Weglagerer gewesen war. Als wir dort in den Zelten lebten, war feines Wetter. Und sonntags waren die Gebüsche voller Liebespärchen, die sich auf ihren Wolldecken am Boden gütlich taten. Das Wallis war damals - ist es wohl noch heute - sehr konservativ. Und die jungen Leute durften nicht einfach so 'karisieren', wie sie es nannten. Also zogen sie sich in den Pfinwald zurück.
An einem Pfingstwochenende, eben an jenem, das mir jetzt wieder in Erinnerung ist, da fuhren wir hinauf in die Derborence. Derborence heisst ein Roman von Ramuz, dem bekannten Westschweizer Schriftsteller. Und das Gebiet ist bekannt wegen seines kleinen Sees, wegen des Bergsturzes, der sich vor längerer Zeit dort einmal ereignet hatte, und wegen der Tatsache, dass das ganze Gebiet heute unter Naturschutz liegt. Wir waren also um die 20 junge Leute dort oben. Und mindestens während eines Tages hat es geregnet und war kalt, dass wir uns entschlossen, in die Berghütte zu gehen, um uns ein bisschen aufzuwärmen und auszutrocknen. Wir stiegen also in dieses Haus hinauf. Dort war ein alter Mann mit einem Mädchen, die uns freundlich empfingen. Vielleicht war es wirklich diese Kälte, die dafür verantwortlich war, dass ich mich augenblicklich in diese charmante junge Frau verliebte. Ich weiss nicht mehr wie sie ausgesehen hat. Ich weiss nicht mehr, wie wir mit ihr und ob überhaupt gesprochen haben. Ich weiss bloss noch, dass mich die Situation an die Szenen aus dem Jugendroman 'Heidi' erinnerten. Und ich weiss noch, dass sie mir das ganze Wochenende nicht mehr aus dem Kopf gingen. Und es war kalt und unfreundlich, und die Wolken hingen tief den Berggipfeln entlang, so dass man den Eindruck hatte, man lebte unter einem Pfannendeckel.
Es gibt eine hübsche Kurzgeschichte von Heinrich Böll mit dem Titel 'Die ungezählte Geliebte'. Darin hat ein junger Mann im Nachkriegsdeutschland die Aufgabe, die Fussgänger zu zählen, die eine Brücke benutzen. Er tut das geflissentlich und genau, doch er erlaubt sich die Freiheit, jedesmal, wenn seine geheime Liebe passiert, sie nicht mitzuzählen.
Freitag, 2. Juni 2017
Kleine handliche Theorie
(R)
Liebe Marlena
Ach nein, das kann ich jetzt gar nicht akzeptieren. Es ist doch nicht so, dass man nichts zu schreiben hat, wenn nichts passiert. Im Gegenteil, je weniger passiert, desto mehr läuft im Kopf. So muss es doch sein. Es ist doch alles eine Frage des Kopfes. Das solltest Du doch weiss Gott wissen.... Es ist eher eine Frage der eigenen Aktivität. Wenn man viel zu tun hat, ist man im Schuss. Man ist auf ‚aktiv’ eingestellt, und wenn man dann eine freie Minute hat, dann ist man eben aktiv und schreibt. Hingegen in jenen entspannten Momenten, da man am liebsten auf dem Sofa herumliegt, den Kater am Bauch krault, oder die Wölklein am Himmel zählt, in jenen Momenten ist der Schalter auf passiv. Und es ist undenkbar, auch nur eine Zeile zu schreiben, obwohl man eigentlich im Moment viel Zeit hätte. Ich glaube, bei mir funktioniert das System so. Und das ist auch die Erklärung, weshalb ich früher als Schüler an jenen wundervollen katholischen Feiertagen nichts für die Schule gearbeitet hatte, obwohl ich mir es vorgenommen hatte. Ich wollte mich jeweils erst entspannen. Und als ich dann entspannt war, hatte ich keine Energie mehr, um wirklich was anzupacken.
Die Moral davon ist, dass man eigentlich die Aktivität, die man aus der vergangenen Woche noch hat, benutzen sollte, um etwas zu tun. Und dann sollte man erst entspannen. Der Freitagabend wäre dann die produktivste Zeit, theoretisch, für private Unternehmungen. Oder in der Ferienzeit wären es die ersten paar Tage, wenn der eigene Motor noch auf 150 dreht.
Ich war oft erstaunt, wie knapp Deine Mails ausgefallen waren immer dann, wenn ich mir ein besonders ausführliches gewünscht und ausgerechnet hatte, weil ich dachte, Du hättest viel Zeit. Und so war ich zum Schluss gekommen, dass meine quere Theorie eigentlich auch für Deine Verhältnisse gilt. Es gibt nichts Praktischeres, als eine kleine handliche Theorie, nicht wahr?
(---)
Ich wünsche Dir einen schönen Tag
mlguk
...
Pfingstwochenende
Liebe Marlena
Nun ja, was meinst Du, Marlena, wieviel man an einem solch heissen Vorsommerabend - oder ist es schon wirklich Sommer - wieviel man trinkt. Es war echt warm in seiner Bibliothek und seine Lili hat die halbe Zeit gehechelt, als ob sie irgendwo am Strand in Rimini an der Sonne liegen würde. Ist sie hysterisch? Auf jeden Fall ist sie ein unruhiges Tier, das immerzu mit seiner Schnauze zwischen die Beine kommt und das Allerheiligste anschubst, weil sie wohl spielen möchte. Es ist ziemlich unangenehm und ich habe W aufgefordert, sie wirklich etwas zu erziehen. Ich mag das nicht besonders, und wenn es so weitergeht, werde ich einen Lokalwechsel vorschlagen. Wäre schade um seine schöne Bibliothek.
*
Du scheinst voll im Finale Deines Schuljahres. Und, wenn ich das richtig wahrnehme, sind alle ein bisschen in Euphorie: die Lehrkräfte ebenso wie die Schüler. Na ja, ich kenne das. es sind die schönsten Stunden in der Schule. Man geniesst sie rundum, obwohl sie eigentlich in den Räumen abspielen, wo man bislang vor allem Marter erlebt hat. Es ist dieses Aufatmen, das allen so gut tut.
Bei uns gibt es das auch ein bisschen, denn Ende Juni stehen auch bei uns die Sommerferien vor der Türe. Und dann sieht man unsere Leute nur mehr sehr selten bis gar nicht, und erst Mitte August fängt dann das neue Schuljahr wieder an. Die meisten kompensieren ihre vielen Überstunden. In früheren Zeiten war das eine Zeit, wo man sorglos lesen und aufräumen konnte. Heute bleibt während des Jahres in der Regel soviel liegen, dass man (respektive ich) durcharbeiten kann. Es geht also durch, aber alles - sagen wir - im zweiten Gang.
*
So hatten wir wieder mal ein Weekly. Ws Freundin war in einem Konzert und ist kurz vor 22h auch noch eingetroffen. W hat mir seine Arbeiten in der Garage und Gartenhaus gezeigt, die er in den letzten Wochen vollbracht hat. Er hat sich eine hübsche Werkstatt eingerichtet. Und vorne dran ist ein gedeckter Sitzblatz mit einem Kamin. Ich habe sofort angemeldet, dass wir dort mal abends ein Picknick machen sollten. Und W hat freudig zugesagt. Die Ecke des Gartens ist wirklich ziemlich gemützlich und auch durch Bäume abgedeckt, so dass man aus den Wohnblöcken, die jetzt dort stehen und schon bezogen worden sind, nicht direkt in Ws Pfanne sehen kann.
*
Und dazu steht ein längeres Wochenende vor der Türe. Ich bin noch gar nicht wirklich dazugekommen, mich darauf zu freuen. Es wird hauptsächlich regnen, wenn man den Prognosen glauben will. Das ist schade, macht aber keinen besonders grossen Unterschied. Na ja, doch ein bisschen. Schönes Wetter um Pfingsten wäre doch angenehmer. Ich werde wohl ein bisschen aufzuräumen versuchen, sowohl zuhause und hier im Büro. Man fühlt sich danach einfach leichter und neugeborener. Und manchmal findet man alte Dinge, die wirklich überraschend sind. Ich liebe es, alte Texte von mir zu finden. Ich kann sie dann lesen, als ob sie aus fremder Feder stammten, und ich kann sie dann irgendwie objektiver beurteilen als jene, die ich soeben geschrieben habe. Es wäre wirklich praktisch, man hätte einen Schalter im Kopf, mit dem man die Zeiten umschalten kann. Ich wäre schon mit einer völlig einfachen Kombination zufrieden: 10 Jahre zurück, Jetzt, 10 Jahre danach. Weshalb sind wir nicht ein bisschen raffinierter konstruiert? Weshalb haben wir nicht einen solchen Vor- und Rücklauf, wie sie jedes einfache Videogerät eingebaut hat? Das sollte doch nicht so kompliziert sein!
*
Na ja, ich habe - um offen zu sein - auch nicht wirklich erwartet, dass K oder Du das Buch von Tabucchi lesen würden. Ich tue das ja im Gegenfall auch nicht. Ich glaube, ich fange erst an, mich langsam einem Buch zu nähern, wenn es mir mehrere Leute empfohlen haben und wenn ich dazu auch vielleich in der Zeitung gelesen oder am Fernsehen gehört habe. Ich warne Leute, die mir Bücher schenken, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich sie in der Regel nicht lese. Es ist merkwürdig. Doch die Lektüre eines Buches braucht einen ganz bestimmten Einstieg. Das sollte man mal wissenschaftlich untersuchen. Würde der Buchindustrie sicherlich viel nützen, wenn man darüber mehr wüsste. Es gibt doch diese kleinen Karten in den Büchern, die man neu gekauft hat. Mit ihnen wollen die Verlage herausfinden, wie man dazu gekommen ist, gerade dieses Buch zu kaufen. Aber sie fragen bloss, wer das Buch empfohlen hat: Freund/in, Buchladen, Zeitungsinserat etc. Ich glaube, es spielen sehr viele unbewusste Faktoren mit, insbesondere natürlich auch die Aufmachung des Buches, das Bild auf den Klappen, das Format, die Reihe und was auch immer. Und das literarische Quartett war bestimmt ein sehr wichtiger Faktor.
*
Wir sind hier auch im Finale, was unseren Erziehungsdirektor betrifft. Nach 12 Jahren tritt er zurück. Wir haben in nächster Zeit eine Buchvernissage. Seine interessantesten Reden sind zusammengefasst und herausgegeben worden. Er hat all seinen Chefs ein Gratisexemplar versprochen. Leider kann ich nicht hingehen, weil ich zu diesem Zeitpunkt besetzt bin. Und schliesslich findet Ende Juni ein Abschlussapéro statt. Nun ja, wir sind alle gespannt, wie die neue Phase werden wird. Für mich ist es schon das dritte Zeitalter, und man sagt, das erste Zeitalter sei das goldene gewesen. So jedenfalls hatten die alten Römer gedacht. Ich werde sehen.
*
So wünsche ich Dir ein feines Wochenende. Hoffentlich ist Dein Haus jetzt wieder einigermassen so, dass Du es geniessen kannst.
Mit lieben Grüssen
Donnerstag, 1. Juni 2017
Warum sollte .. ?
Turm von Muzot
Subject: l'essentiel est invisible
Liebe Marlena
(---)
Warum also sollte mich diese Marlena 2000 km weit weg in Stockholm so sehr interessieren? Ich kann es dir kurz oder lang erläutern. Oder auf beide Arten!
Kurz: Aus dem Artikel über Peter Bichsel hast du ein Zitat von Jean Paul zitiert, das dir gefallen hat, das dir aufgefallen ist: „Es ist verdammt langweilig, zu sein". Es ist genau der Satz, der auch mir aufgefallen ist. Auch ich hätte, wenn ich einen kurzen Kommentar über diesen Artikel gemacht hätte, dieses Zitat genommen. Darin fühle ich, dass wir verwandt sind.
Länger: Du bist in dieser europäischen Kultur zuhause, mit dir kann ich mich über vieles unterhalten. Deine Gedanken regen mich an zu weiteren Gedanken. Wenn ich von Troubadours spreche, klingt es bei dir an und du erinnerst dich an dieses mittelalterliche Liebesgedicht "ich bin dyn, du bist myn ....", wenn du Rilke zitierst, kommen bei mir Erinnerungen hoch und ich sehe den Turm von Muzot. Verstehtst du, was ich meine? Ich habe den Eindruck, wir sind im selben Schiff, wir schwimmen im gleichen Wasser (meine pubertäre Fantasie, erinnerst du dich?), du hast einen Sinn für die Natur, der mir sehr nahe kommt und der mich berührt. Du sagst im letzten Mail "Also gut" und sprichst dann mit leichter Überwindung von der körperlichen Grösse. Nur ein germanisch sprechender Mensch versteht, was das ALSO GUT hier heisst. Es gibt da noch ein weiteres, ein sehr schönes und liebevolles Beispiel. Du hast einmal gesagt, du schickst mir wieder einen Kuss zurück "ich brauche doch nur einen". Nur ein Deutschsprachler, wozu ich dich auch zähle, meine Liebe (das ist ein Kompliment, bitte nicht übersehen) nur ein Mensch mit deutscher Zunge weiss, wie wichtig dieses Wörtchen "DOCH" hier ist. Ohne dieses DOCH wäre alles offen, was du sagst. Es könnte dann auch ein Affront sein. Es könnte wirklich alles bedeuten. In diesem DOCH liegt hier das Herz des Satzes. Es hat mich sehr gerührt, als ich es gelesen habe. Ich weiss, dass du mich verstehst, weil du dieses DOCH ja geschrieben hast. Und wahrscheinlich musstest du dabei gar nicht soviel denken, wie ich hier denke.
Einmal hast du einige Zeilen von Rilke zitiert, ein Liebesgedicht, welches mit dem Bild des Geigenbogens spielt, der über zwei Saiten streicht. Das ist es! Dieses Gefühl, verstanden zu werden in diesen Dingen, die vielleicht nicht gerade das praktische, alltägliche Leben sind, das ist für mich einfach wunderbar. Darum sage ich, du bist meine Muse (ich hoffe, du findest diesen Begriff nicht eine beleidigende Zumutung? Die Muse ist die moderne Variante der minniglichen Frau, der Lady im Turm), du inspirierst mich zu Dingen, die ich sonst nicht beachten würde oder nicht tun könnte. Und natürlich hoffe ich, dass bei dir Ähnliches passiert.
(---)
Sehr lang: Du hast das schon richtig verstanden, meine Marlena, das ist sozusagen meine Liebeserklärung an Dich. Und weil sie philologisch ist, verletzt sie nicht §5. Sie ist eben platonisch. Nur mit dieser Liebe kann ich meine gegenwärtige Manie erklären, dir meterlange Mails zu schicken, mich durch dich bei meiner Arbeit ablenken zu lassen, oder nachts aufzuwachen und an dich zu denken.
(Einschub: Du sagst, du könntest meinen Traum sehr einfach und direkt interpretieren. Siehst du, genau das habe ich auch gedacht. Ich habe noch eher daran gedacht, wie du ihn interpretieren würdest, als daran, wie ich ihn denn interpretiere. Das heisst, ich habe gewusst, du würdest ihn so interpretieren (wie "so"?) Ich bin überzeugt, ich weiss, wie du ihn interpretierst. Und ich hatte gezögert, ihn dir überhaupt zu erzählen. Aber ich bitte dich, Traumdeutung ist nun wirklich mein Fachgebiet und nicht deines!! Damit wir uns richtig verstehen. Nach den Regeln der Kunst soll man den Traum nicht im luftleeren Raum interpretieren, sondern im Zusammenhang mit den Assoziationen des Patienten. Aber - und das ist schön - auch hier spüre ich diese Übereinstimmung mit dir, dieses Verständnis ohne Worte. (desshalb meine vielen Worte ;-))) Einschub Ende)
Ich weiss, ich habe dich auch etwas überrannt mit meinen Mails. Du allein für dich hast dir bestimmt einen Maus-Kontakt nicht so intensiv vorgestellt, so dass man jeden Tag ein Mail schreiben würde. (Eine strenge Reihenfolge der Gegenseitigkeit, wie du andeutest: "ich wäre an der Reihe"). Ist ja auch verrückt! Und manchmal hast du ganz einfach nicht die Zeit oder die Ruhe oder die Lust oder weiss was dazu. Diese Kadenz stammt von mir. Und sie hat dich ein bisschen in eine Sache hineingezogen, die du von dir aus nicht gesucht hast. Dafür entschuldige mich und ich hoffe wirklich von Herzen, dass du keine Probleme damit kriegst.
Aber das kommt - so erkläre ich mir im Moment - aus meiner gewissen Einsamkeit, wie soll ich sagen, platonischen Einsamkeit, geistigen Einsamkeit. Deshalb bist du mein Fyrklöver, und ich danke Gott, dass du nicht nur eines, sondern dass du mindestens vier Blätter hast. Wahrscheinlich hast du ja noch etliche mehr. Wir Katholiken sind für das Platonische sehr begabt, das ist meine Überzeugung.
Nun, meine liebe Marlena, das war "der langen Rede kurzer Sinn" wie man in Deutsch schön sagen kann. Es war die Liebeserklärung vom Sonntagmorgen, dem 2. April 2000, von ... an Marlena, unter Respektierung der Paragraphen 1 bis 5.
Ich wünsche dir noch einen schönen Tag und freue mich darauf, von dir zu hören.
Mit einem feinen Gruss
Abonnieren
Posts (Atom)