Montag, 29. Dezember 2014

Urbi et Orbi


Ämne : urbi et orbi
Datum : Wed, 26 Dec 2001 13:14:30 +0000

Liebe Marlena

Beinahe habe ich bei Euch mitgegessen. Vom Schinken habe ich bestimmt mehrmals gekostet, und die Haut, deren Produktion Du so detailliert beschrieben hast, esse ich bestimmt fürs Leben gern. Und nachher einen Malteser Reis, der die restlichen Luftlöcher im Magen endgültig schliesst. Ach ja, und dies dopp i grytan, kann ich mir auf der Zunge wirklich sehr plastisch vorstellen. Muss in der Kälte, die Ihr habt, wie Götterspeise munden.
Aber dass Ihr mit Heringen und Schnaps vorher Préludes spielt, das hatte ich nicht erwartet. Das ganze klingt ziemlich opulent. Zum Schluss des Essens ist man, wie ich vermute, ziemlich geschafft?
*
Ja, das schwedische Haus zur Weihnachtszeit hast Du mir stimmungsvoll geschildert. Das Licht ist nicht heimlich (das Wort kommt von "geheim" = secret) sondern heimelig. Vielleicht ist das schon beinahe Umgangssprache. Aber ich kann mir das alles ziemlich gut vorstellen. Es ist besonders eindrücklich, wenn man von der Winterkälte draussen in die Fenster hineinschaut. Das erinnert mich an meinen Militärdienst. Auf Märschen und Verschiebungen habe ich abends, in der Dämmerung, stets in die Häuser hineingeschaut und habe mich in Sehnsucht nach dieser heimeligen und warmen Atmosphäre verzehrt. Ich habe die Menschen wirklich mit all meinen Fasern benieden, die im gemächlichen zivilen Leben sich frei in einer gemütlichen Wohnung bewegen konnten, während ich hier schwitzend oder frierend mit meinen Soldaten unterwegs war. Aber es war - alles in allem - doch eine ziemlich nützliche Erfahrung.
Den Papa habe ich im TV nur kurz gesehen. Er hat auf Deutsch die Weihnachtsgrüsse Urbi et Orbi ins Mikrophon gehaucht. Und alles hat sich angehört wie bei mittlerer Trunkenheit. Entschuldige mich, ich bin grässlich. Aber seine Sprache ist wirklich sehr verwaschen. Aber lustig war, dass ich in jenem Moment dachte, dass Du zur gleichen Zeit ihn auch sehen würdest. Ich musste schmunzeln. Den choreographischen Trick, den Du beschreibst, finde ich gut und elegant. Meine Sorge betraf nicht so sehr seine Lektüre, sondern ich habe mir überlegt, ob er denn wirklich genügend warm angezogen ist, um die beissende Kälte auf der Arkade vor St. Peter zu ertragen. Wahrscheinlich haben sie ihn mit Infrarotstrahlern nur so eingekesselt.
*
Ja, unser Onkelchen ist ein grosser Diplomat. Das merke ich immer wieder. Ich kenne das bei Männern hier sonst nicht sehr. Onkelchen beweist immer wieder, dass der soziale Kontakt eine Realität eigener Würde ist. Die Geselligkeit ist eine Kunst, deren Bedeutung die pure und sachliche Wahrheit in vielen Aspekten bei weitem übersteigt. Es ist eine Art Respekt für die Menschen, der jenem für die Dinge vorgeht. Das kann ich manchmal sehr gut und manchmal sehr schlecht.
*
Ach, Du willst nach 2 Jahren herausfinden, wer ich wirklich bin. Finde ich goldig! Das klingt wirklich nach Aufbruch und nach einer neuen Aufklärung. Ich bin enorm gespannt auf diese Renaissance. Und ich bitte Dich, mich zu benachrichtigen, wenn Du es dann WIRKLICH weißt! Ich glaube, ich weiss im Moment nicht viel mehr als Du. Und manchmal bin ich überrascht, was da noch alles hervor kommt.
Es könnte ja doch sein, dass ich ziemlich undefinierbar und wechselhaft bin. Manchmal ahne ich das selbst. Ich habe zum Beispiel immer wieder Lust, Dinge völlig anders zu machen, als ich sie bisher - und durchaus erfolgreich - gemacht hatte. Ich liebe diese Abwechslung sehr. Vielleicht nicht überall, aber in den alltäglichen Pflichten, die mir sonst zu tödlich vorkommen. Und dann schaue ich mir etwa meine Bilder an, die ich vor etwa 10 Jahren gemalt hatte. Und ich muss sagen, sie schauen alle so ähnlich aus. Die Innensicht und die Aussensicht sind wirklich zwei verschiedene Aspekte. Und ihr Kontrast macht diesen grossen Riss quer durch die Welt aus, der uns so rätselhaft erscheint.
*
In der Badewanne also. Doppelwanne, streng genommen!
Mit einem lieben Gruss
..

Samstag, 27. Dezember 2014

27. Dezember


date 27 December 2004 09:44
subject Re: Danföredanföredopparedan..


(ungekürzt)

Liebe Malou
Ist das wirklich ein Wort, respektive ein Name:
'Danföredanföredopparedan'. Das dürftest Du keinem Femdsprachler
erzählen, denn das bewirkt ein Schock und eine Höllenangst vor dem
Schwedischen. Damit kann man ganze Armeen in die Flucht treiben.

Wir haben ruhige Weinhachtstage gehabt. Ich war mehrheitlich krank und
habe im Bett gelegen, gelesen, geschwitzt und dazu auch heissen Tee
getrunken. Na ja, es war nicht so übel. Ich habe mich nicht sooooo
schlecht gefühlt, dass es eine Qual gewesen wäre. Und am 24., als wir
mit unseren Jungen unser Fondue Chinoise gehabt haben, ging es ganz
gut.

Heute sind ja die Läden schon wieder offen und es scheint, das Leben
geht seinen gewohnten Gang. Zu Mittag sind meine Eltern eingeladen.
Und nachmittags kommt noch mein Patenkind, der Architekt aus Berlin
mit seiner Frau und den Zwillingen dazu. Der Tag ist besetzt, darüber
besteht kein Zweifel.

Und dann geht es in eilenden Schritten dem Neujahr zu. Ich glaube, je
älter ich werde desto rascher gehen diese Tage und diese Jahre. Aber,
das zu sagen ist bestimmt nichts Neues. Man sollte bloss die Techniken
verfeinern, womit sich die Zeit dehnen und strecken lässt. Wie kann
man Zeit vermehren?
Ich glaube, früher hatte ich immer gedacht, die Zeit fliesse am
langsamsten, wenn einem langweilig ist. Das Wort Langeweile heisst ja
schon, dass darin die Weile lang sei. Um also viel Zeit zu haben,
müsste man alles vermeiden, was aufregend und interessant sei. Bloss
müde herumhängen, das mache die Zeit am längsten, so glaubte ich. Und
ich kann Dir sagen, Malo, daran ist was Richtiges. Die Zeit ist dann
wirklich lang, manchmal endlos lang. Wenn man im Moment drin steckt,
dann geht sie endlos zähl und schneckenhaft über die Bühne. Es ist
mehr oder weniger die Art, wie Zeit auf dem Dorf vergeht.
Aber diese Art der Dehnung hat einen grossen Haken. In der Erinnerung,
im Blick zurück verschwindet jene Zeit, die damals so endlos lang war,
in ein pures Nichts. Damals viel und heute nichts, das ist die
Quintessenz jener Technik, die man im Dorfe übt.
Die Stadt arbeitet mit anderen Mitteln. Die Stadt sorgt für viel
Ereignisse im Moment, für Kurzlebigkeit und Rasanz. Die Zeit vergeht
im Fluge. Doch später hat man viele Erinnerungen und Erlebnisse, auf
die man zurücksehen kann. Sie erscheint dann als mehr, als sie
wirklich war.
Ist daran nicht was Wahres.
Und gleichzeitig sind diese zwei Methoden, wie mir scheint, zwei
biologische Notreaktionen. Ich glaube, Freud erwähnt sie irgendwo. Es
gibt Tierarten, die erstarren bei Todesgefahr zur unbeweglichen Figur.
Sie gleichen sich sozusagen der unbelebten Natur an. Es ist natürlich
eine Art Mimikry mit dem Ziel, so unsterblich zu werden wie der Stein.
Und der andere Reaktionstyp ist der Bewegungssturm, der die
Lebensgefahr in einem Übermass an Bewegung und Reaktionsvarianten zu
überwinden versucht.
Ist das nicht ein guter Vergleich?
Du siehst, Malou, wenn ich etwas Zeit habe, bricht meine
philosophische Seite durch. Dann werde ich gänzlich kontemplativ und
hänge in den Wolken.
Dann gehe ich in der Stube auf und ab, trinke Kaffee und wühle in den
Papieren. Und wenn ich noch ein paar Jährchen jünger wäre, würde ich
dazu Pfeiffe paffen, dass der ganze Raum im Nebel verschwinden könnte.
Das mindestens hat man mir früher immer vorgeworfen. Im Studentenheim,
später im Büro oder in meinem 'Rauchzimmer' zuhause.
Wie geht es bei Euch. Habt ihr den Weihnachtsbraten genossen? Und die
Geschenke ausgetauscht?
Da erinnere ich mich an ein Kapitel aus Kästners 'Als ich ein kleiner
Junge war'. Er erzählt, wie es bei ihm zu Weihnachten zu- und herging.
Das musst Du mal lesen, ist eine sehr intelligente psychologische
Studie. Aber dazu hast Du ja nunmal ein gutes Jahr Zeit.
Ich wünsche Dir eine schöne Zeit.
Mit lieben Grussen
...

Donnerstag, 25. Dezember 2014

Frohe Weihnachten


                                                                 Foto: Chris






.

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Unsere Weihnachten - ein interkultureller Mix



Liebe Marlena
---

Dein Julbord sieht fein aus. Es ist ja auch eine besonders festliche
Atmosphäre, wenn jedes Jahr dieselben Köstlichkeiten auf den Tisch kommen.
Und das beginnt schon in der Küche und mit dem Geruch, der durch die
Wohnung zieht, wie Du und Deine Tochter argumentiert haben.

Unsere Weihnachten ist ein interkultureller Mix. Wir sind uns nicht
schlüssig, ob wir am 24. Oder am 25. Dezember feiern sollten. Der 25. ist
doch eigentlich eher die katholische Variante. Das Glöcklein, das Du nennst,
ist unspezifisch. Ich kann mich erinnern, dass bei uns, als wir Kinder
waren, immer ein Glöcklein das Signal und die Erlaubnis gegeben hat, in die
Stube einzutreten. Un die Eltern wollten dann stets noch einen Vorhang
gesehen haben, durch den eine Bewegung, das heisst das Christkind gegangen
sei. Ich habe diesen Vorhang und den Windhauch, der ihn bewegt haben soll,
nie wirklich gesehen. Aber ich kann diese Szenerie in meinem Kopf sehr
plastisch beobachten. Man sieht nur, wie sehr man den jungen Menschen das
VL einreden kann, so dass sie RL wird. Die Grenzen sind ziemlich unbewacht.
Vor allem bei den Engeln.

Was die Moslems und Weihnachten betrifft, so ist das so, dass S an der
UNO damals natürlich jede Menge Weihnachten und Menschen, die sich um
Weihnachten kümmern erlebt hat. Es war offensichtlich auch so, dass die
vielen Armenier im Iran festlich Weihnachten feiern, und dass sie dann
wahllos Freunde, sowohl Moslems wie Juden dazu einladen. Und gerade letztes
Wochenende habe ich in einem Interview mit einem Vetter der berühmten Anne
Frank gehört, dass seine Familie, eine jüdische offensichtlich, dasselbe in
Basel gemacht hat. Sie fanden das Fest einfach schön, ohne dessen religiöse
Bedeutung mitzunehmen. Aber ich muss gestehen, dass in unserer Familie das
Weihnachtsfest kein sehr eingeprägtes und konstantes Ritual ist. S wechselt,
verziert einmal so, kocht einmal anders, mal ohne Baum mal mit.
Die Kinder sind ja auch nicht mehr so, dass sie mit grossen Augen unter dem
Baum sitzen. Sie haben oft ihre eigenen Anlässe und wollen bald wieder
gehen.

(---)

Ich muss Dich lassen und wünsche einen schönen Tag.
Mit einem lieben Gruss
...

Eure Weihnachtsfeier?


julbord

Ämne: Gute Nacht..
Datum: den 9 december


Lieber ...,

Nun muss ich dir wohl schnell etwas zurechtlegen damit ich nicht die ganze Nation blamiere. Nicht nur das Essen ist wichtig.. aber ohne das typische Essen wäre es keine schwedische Weihnachtsfeier. Es ist die grösste Mahlzeit des Jahres (am 24. Dezember). Der Schinken ist dabei das wichtigste. Aber dazu kommen noch viele andere Speisen von denen man sich, wenn man keine Gäste hat, nur das nimmt was einem am besten schmeckt. Aber hast du Gäste eingeladen so erwarten sie sich schon ein richtiges Julbord mit vielen verschiedenen Delikatessen.
K hat neulich annonziert dass er einen fertiggebackenen Schinken kaufen kann, den wir dann nur zu Hause griljieren. Aber da hättest du Anna und mich hören sollen. Ganz unmöglich!! Denn der Geruch wenn der Schinken im Ofen gebacken wird geht einfach nicht zu entbehren.

Ich werde nicht richtig klug aus euerer Weihnachtsfeier. Hat man in deiner Familie denn auf katholische Weise gefeiert? Ich meine das kleine Glöckchen kommt wohl nur dort vor. Und heutzutage.. du bist doch moslim (;-) Wie genau feierst du Weihnachten?
*
Morgen ist Nobelfest und gleichzeitig sind wir zu einem "julbord" eingeladen in der Schule. Aber viele gehen nicht hin diesmal.
So riesige Feste können manchmal ziemlich langweilig sein wenn man nicht besonders nette Leute gerade an seinem eigenen Tisch hat. Ich bevorzuge es auch in Ruhe zu Hause das Fest im Fernsehen zu geniessen. Dazu kann ich auch selbst etwas gutes essen.

Ja, ich erinnere mich noch an diese kleine Sonnenanbeterin. Sicher ist es ein Kunstwerk.. ;-) Du hast mir damals einiges versprochen was du nie gehalten hast. Ich habe es noch in guter Erinnerung. Aber es ist schon preskribiert.. :-) Übrigens habe ich ja auch noch ein Bild hier hängen was ich in Prag für dich gekauft hatte.

Warst du wieder bei Akunpunktur? Oder warum sonst beim Arzt? Was fehlt dir denn? Ja, ich würde dir gern helfen wenn immer du Hilfe brauchst. Du weisst es. Auch du hilfst mir über manchen trüben Tag hinweg mit deinen schönen Mails.
Heute war zum erstenmal seit ewig ein ganz blauer klarer Himmel. Ich hatte fast vergessen dass es sowas gibt. Aber trotzdem bin ich so müde dass ich keine Energie zu nichts habe. Schlafen möchte ich. Ein paar Monate lang und erst mit der Frühjahrssonne aus meiner Höhle herauskommen.
Vier Minuten gibst du mir noch.. und darum sage ich dir nun
Gute Nacht,
wünsche dir einen schönen Tag morgen,
Marlena

Dienstag, 23. Dezember 2014

23 Dezember



Lieber ...,

Jetzt ist alles fast fertig. Der Weihnachtsbaum ist geschmückt und ich bin mit meinem Werk zufrieden. Wunderschön sieht er aus! Ich tue es jedes Jahr und dabei gehen meine Gedanken zurück in meine Kindheit wo man mir und meiner Kusine diese "wichtige" Aufgabe anvertraute. . Wir bemühten uns den allerschönsten Baum zu machen und hatten einen riesigen Spass bei der Arbeit. Es gab schöne farbige Kugeln, Lametta u.s.w. Unten hängten wir dann noch kleine Körbe mit Gebäck und anderen Süssigkeiten, damit die Katzen auch was gutes bekommen sollten. Mein kleiner Tusse war ganz vernarrt in Weihnachtsgebäck und sogar Feigen ass er mit grossem Genuss.
Eigentlich habe ich nie einen typisch schwedischen Baum gemacht sondern etwas mehr wie ich sie mal als Kind in Wien gesehen hatte. Und wenn wir Besuch bekamen staunten die Leute darüber und beschlossen in Zukunft ihren Baum auch so zu schmücken.

Und nun bin ich also fertig mit dem Kunstwerk und habe Zeit meine e-post zu erledigen. Leider ist es auch Weihnachtspost. Eigentlich liebe ich es nicht so sehr e-cards statt richtige zu senden. Es ist etwas unpersönlich. Aber die Freude schöne Karten (richtige also) auszuwählen habe ich mir nicht nehmen lassen.. Sie liegen hier und erinnern mich an mein Versäumnis. Nächstes Jahr vielleicht.. ;-)

...


An alle lieben Leser





God Jul



Frohe Weihnachten



Merry Christmas



Joyeux Nöel




22. Dezember


Danföredanföredopparedan


Ja, so heisst er dieser Tag.:          
Der-Tag-vor-dem-Tag-vor-dem- Eintunktag...   

Es hat mit dem Weihnachtsschinken und der
Brühe zu tun, in die man Fladenbrot (?) eintunkt.
Ich bin froh, dass ich alles, oder fast alles, was mich aus dem
Haus treibt, hinter mir habe. So spät wie gestern Abend haben
Anna und ich noch an mehreren Tankstellen in der Region
nach einem Baum gesucht. Und schliesslich haben wir zum
Glück einen akzeptablen gefunden. Es gab sonst nur noch
schreckliche Monster.
Heute werden wir Weihnachtsgebäck machen. Ein Stollen,
ein Rosinenpfefferkuchen und Vanillekipferl (altes
österreichisches Rezept) gehören dazu. Das Saffronsgebäck
habe ich ja schon zu Lucia gebacken. Und morgen wird dann
der Baum geschmückt. Wir setzen immer eine Ehre darin
den "Allerschönsten" zu haben.. *s*
Ich schicke dir ein paar Bilder mit von aktuellen Dingen.
Der Baum (von vorigem Jahr), das Schneebild, weil es
wahrscheinlich am "julafton" (Weihnachtsabend) so hier
aussehen wird.. *hoffentlich* und dann der Schinken, ein
absolutes "muss" auf jedem schwedischen "julbord".
....

Montag, 22. Dezember 2014

Re: von zu Hause

Subject: claro che si

Liebe Malou
Ihr habt in Schweden lustige Institutionen! Es gibt sogar einen Nobelpreis für 'Kommunevorsitzende', wie du sie nennst! Sowas haben wir noch nicht in der Schweiz, obwohl die Zeit der Rangreihen und der Schönheitswettbewerbe durchaus begonnen hat. Darum vielleicht sind wir so durchschnittlich hier in Mitteleuropa, weil wir Schweizer solche Wettbewerbe nicht besonders mögen. Sie erscheinen uns in gewisser Hinsicht als oberflächlich. Aber die Ideen erreichen auch uns  langsam. Wer ist der grösste, der fleissigste, der reichste, der gescheiteste, der dümmste, der schnellste, der höchste, der albernste Schweizer? Bislang haben wir uns in solchen Vergleichen bloss auf die Berge und ihre Höhe beschränkt. Da konnten wir in der Welt einigermassen mithalten. Mindestens in der westlichen Welt. Aber bei den schnellsten, dümmsten, höchsten ..., ich weiss nicht, da wissen wir nicht wirklich, was mit anfangen. 

Ja, ich glaube, ich werde mal mit einem solch direkten Zug ins Wallis fahren. Ohne umzusteigen, das ist gut. Da kann man sitzenbleiben und ein dickes Buch lesen. Bloss weiss ich in Visp nicht besonders viel anzufangen. Ich glaube, in einer Stunde habe ich gesehen, was dort los ist. Sie haben ein riesiges neues Bahnhofgebäude gebaut. Und dahinter beginnt gleich das Dorf. Ja, ich merke, ich habe etwas gemischte Gefühle. Die ganze Jugendzeit kommt mir hoch. Wir sind damals oft in den Restaurants umhergezogen, wie man das im Wallis unter Männern eben so macht. Es war eigentlich eine Welt und Zeit ohne viel Ereignisse. Wirklich provinziell. (...)

Weihnachten rückt näher Malou. Ich werde am 25. meinen Vater betreuen. S hat mich instruiert, wie man das tun sollte. Offenbar schläft er viel tagsüber, bleibt aber bis spät in die Nacht vor dem Fernseher. Das heisst doch eigentlich, dass sein Tag-Nacht-Rhythmus gestört sei, nicht wahr? Man sollte ihn morgens ins Licht bringen, habe ich mal gehört. Mittags erhält er sein Essen von Spitex. Das ist ein Mittagessendienst für die Alten. Und für den Abend stellt S etwas hin. So werde ich vielleicht um 20h wieder zuhause sein. Das ist nicht schlecht. 

Wie meinst du 'hier ist nicht viel passiert'? Aber Malou, es passiert doch immer etwas, entweder draussen in der Welt, im Quartier, im Haus, oder aber im eigenen Kopf. Das gibt es doch nicht, dass 'nichts passiert'. Das muss eine optisch-akustisch-taktile Täuschung sein.
Jedenfalls wünsche ich dir eine gute Zeit, in der was läuft.
Liebe Gs und Ks
...

Von zu Hause...


Subject: Von zu Hause.. :-)

Date: 18 December 2007 at 14:47

Lieber
Nochmals ein paar Zeilen, wie ich gehofft hatte.
Wie schön, dass du nun einen schnellen Weg nach Visp hast. Und
vielleicht freust auch du dich auf den Aufschwung für die Region, die
das bedeutet. Oder hättest du es gern wie früher, nur dass du
schneller hingelangen kannst?
Zum Schweden des Jahres hat man diesmal den Kommunevorsitzenden von
Haparanda gewählt. Ihm muss man es verdanken, dass Kamprad ein IKEA
dort etabliert hat. Und damit folgte ein unerhört grosser Aufschwung
auf allen möglichen Gebieten. Eine immer mehr verfallene und
entvölkerte Region hat wieder Leben bekommen. Der Umsatz bloss bei
IKEA war im ersten Jahr doppelt so hoch als man erhofft hatte. Und das
freut mich alles sehr, denn jeden Sommer fahren wir mal dorthin,
eigentlich auf dem Weg nach Tornio in Finnland das an Haparanda
grenzt.
Ja, mach es, fahr bald einmal hin und nimm deine Digitalkamera mit.

Hier ist sonst nichts Neues passiert von dem ich dir erzählen könnte.
Am Donnerstag oder Freitag hole ich Anna ab. Dann muss ein Baum
gekauft werden. Das ist immer eine aufregende Geschichte.

Wie schön, wenn du meine Mailbox als zu Hause siehst. Das ist sehr
lieb gesagt. Ja, ..., bei mir sollst du immer zu Hause sein. Stell
dir vor, nie im Leben brauchst du dich einsam zu fühlen, weil ich immer
bei dir bin.. irgendwie bin ich das wirklich.

So, ich lasse dich wieder. Geniesse diese kleine Praline zu deinem Kaffee.
Mit lieben Gs und Ks
Malou

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Visp



date: 18 December 2007 at 11:32
subject:  Visp

Liebe Malou

Ja, deine ausführlichen Antworten sind soooo lang, dass man sie fast nicht mehr überblickt. Manchmal sieht man sie kaum ;-)

Aber ich schreibe dir sehr gerne. Irgendwie ist es für micht, wie wenn ich einen Brief nach Hause schicke. 

Stell dir vor: heute Morgen bin ich in Basel in einen Zug gestiegen, für den an der Anzeigetafel   V I S P  angeschrieben war. Fand ich ganz komisch. Mit dem neuen Lötschbergtunnel ist man von Basel - glaube ich - in weniger als 2 Stunden in Visp. Und Visp ist als Umsteigestation nach Zermatt und Saas Fee wichtiger geworden. Sie fühlen sich neuerdings den Brigern, die früher immer etwas überheblich waren, heute überlegen. Offenbar rechnen sie auch mit neuen Firmensitzen in Visp. Ich glaube, ich werde mal diesen Zug um 6.30h nehmen und sitzenbleiben bis Visp.  Denke mal, als ich noch in Zürich studiert hatte, ganz am Anfang, dauerte die Heimreise am Wochenende mindestens 4 Stunden. Es dauerte eine ganze Ewigkeit. Man konnte die ganze dicke deutsche Zeitung DIE ZEIT lesen. Und das will schon was heissen. Und heute ist Visp ein Vorort von Bern, so nennen sie es. Sosehr verändert sich die Geographie in der Schweiz.

Gestern abend bin ich quer durch die halbe Stadt marschiert. Es war kalt. Ich hatte keine Lust, auf den Schützenmattpark zu gehen, wo es dunkel ist wie in einem Kuhmagen. Durch die Stadt ist es unterhaltsam. Aber ich hatte keine Stöcke mitgenommen. Bloss meine Juke Box, und habe philosophische Überlegungen zu den Vorsokratikern von diCresenzo gehört. Aber so genau habe ich oft auch nicht hingehört. Es gab, nach dem regen Wochenende, nicht allzu viele Menschen in der Stadt. Und viele der Restaurants und Cafés, die nicht gerade zentral liegen, waren geschlossen. Die Leute sitzen eben leider alle vor dem Fernseher und schauen in die Welt hinaus, dazu alle in die gleiche Kanal-Richtung.

Heute wollte ich mich mit Walo treffen. Doch er antwortet nicht am Handy. Wahrscheinlich hat er viel Arbeit. Ich werde sehen, was sich ergibt.

Ich wünsche dir einen schönen Tag

Liebe Gs und Ks
...

Schnellstens


 

date: 17 December 2007 at 10:43
subject: Schnellstens

Lieber ...,
Wenn du wüsstest, wie ausführlich ich deine beiden Mails beantwortet
habe.. leider nur in Gedanken, denn ich bin nicht dazu gekommen sie
niederzuschreiben. Aber hab Trost. Sie kommen sobald ich Möglichkeit
habe.
Jetzt verbreitet sich ein herrlicher weihnachtlicher Duft im Haus. Ich
backe einen Rosinenkuchen mit Zimt und Nelken. Will den Alten heute
etwas Gutes mitbringen, denn geniessen tun sie immer noch mit dem
Gaumen.

Ich kann deine Bilder vor mir sehen. Sie sind sehr lebendig und du
hast damit sowohl meine Sehnsucht nach und meine Angst um diese Stadt
gesteigert. Nie hätte ich mir das Castel Sant' Angelo mit einem
solchen Vordergrund vorstellen können. Es bestätigt alles was mir Lou
und N darüber erzählen. Armes Rom!!!

Siehst du, ein kleines Mail ist es schon jetzt geworden. Aber ich
möchte dir viel mehr schreiben.

Bis dahin alles Liebe und Gute für diesen Tag
mit Gs und Ks
Malou

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Ja doch...

Datum: den 28 mars 2004 19:52

Lieber ...,

Ja doch, ich weiss, dass du froh bist, dass ich Katholikin bin. Ich glaube auch, dass die Tatsache, dass wir in einem katholischen Milieu gelebt haben uns irgendwie verbindet. Wenn du davon erzählst, kann ich mir alles ziemlich genau vorstellen und spüre noch die Atmosphäre von damals. Ich glaube deine Eltern waren klug, dass sie dich in diese Schule gehen liessen. Aber vielleicht gab es auch keine andere Wahl.

Du hast mir eine riesige Beilage mitgeschickt und ich habe sie auf Schirmgrösse verkleinert. Werde sie dir in fotofolder reinlegen. Machst du diese Zeichnungen nun aus dem Gedächtnis oder hast du sie damals in NY gemacht? Wenn ich sie ansehe, dann bilde ich mir ein zu sehen, was in den Leuten vorgeht. Sie sind sehr ausdrucksvoll.
*
Jetzt habe ich mir ein bisschen Hintergrundmusik eingestellt am PC. Es war mir plötzlich zu still hier. Es ist ein wunderbarer "Song" von meinem Lieblingssänger Corneelis Vreeswijk. Er ist wohl unser bester Trubadur oder vielleicht sollte ich sagen "war" denn er ist schon gestorben. Ich wünsche ich könnte es dich hören lassen. Seine Lieder haben schöne Melodien und wunderbare Texte. Viele sind sehr humoristisch, andere tiefsinnig. Ich liebe die, die von Vergänglichkeit handeln. Das tun viele.

*
Gestern war ich mit I in einer kleinen Boutique, wo man schöne Textilien und anderes Kunsthandwerk verkauft. Es liegt 15 Kilometer von hier direkt auf dem Lande in einer umgebauten Scheune und wir mussten auf schmalen Waldwegen dorthin fahren. Ich hatte mir K's Auto geliehen und nachher sah es aus als hätte es eine Lehmeinpackung erhalten. Keine Angst, ich habe es ihm (automatisch) gewaschen. Sah aus wie neu nachher.

Inga ist, wie du weisst sehr künstlerisch begabt und ich bewundere sie sehr. Früher hat sie auch gemalt aber jetzt macht sie meist Textilarbeiten und Puppen mit zeitgemässen Kleidern und persönlichen sehr lebendigen Gesichtsausdrücken. Aber du erinnerst dich villeicht nicht mehr. Sie ist die Mutter von Sebastian, Annas "Brüderchen" und hat Anna betreut, während sie bei ihrem kleinen Sohn zu Hause war. Sie ist jetzt die Sekretärin von unseren zwei Direktoren auf den theoretischen Linien. Früher hatte jeder Direktor seine eigene Sekretärin, aber auch in der Administration muss man neuerdings sparen und so hat I jetzt beide Posten übernommen. Die Arme! Denn unser Direktor ist ein richtiger Wirrkopf, der sicher eine Sekretärin verrückt machen kann.

Eigentlich bin ich zu dem Geschäft gefahren, weil ich ein Geschenk brauchte für eine Kollegin, die morgen zu einer kleinen Geburtstagsfeier eingeladen hat.
*
Interessant was du von A's Studium erzählst. Mir geht es auch so, dass plötzlich meine kleine Anna Dinge kann, die mir ziemlich unbegreiflich sind. Es wäre natürlich gut, wenn ich das auch könnte. Dann könnte ich ihr ab und zu behilflich sein. Aber zu unserer Zeit gab es noch keine Computer und wenn es sie gab dann füllten sie die ganze Wand aus in einem riesigen Zimmer. Wir hatten unseren ersten als Anna so 5-6 Jahre alt war und sie schrieb ein paar Worte und malte auch ein kleines Vögelchen. Ich kann sie noch vor mir sehen. Und nun baut sie sich ihren eigenen PC zusammen von Teilen, die sie separat gekauft hat und programmiert schon selbst. Für mich wird diese Welt immer unbegreiflicher. Doch muss ich sagen, im Vergleich zu meinen Kollegen bin ich fast ein Experte. Das habe ich natürlich Anna zu verdanken. Sie ist auch sehr stolz auf mich und ihre Freunde sind nicht wenig erstaunt, wenn sie hören, dass wir uns per ICQ verständigen. Du merkst, jetzt werde ich plötzlich richtig aufgeblasen.. ;-))
*
Ich habe mich früher oft gefragt, was eigentlich passieren könnte, das unser Jahrhundert als sehr veraltet und unwissend erscheinen liesse. Und jetzt haben wir es schon da.. und wir sehen noch nicht das Ende davon. Ach, manchmal traure ich den alten Zeiten nach, wo man noch die Welt begreifen konnte.
Weisst du, dass es sehr gefährlich ist ein Handy im Auto zu gebrauchen? Die Strahlung ist um 1000 (tausend) mal erhöht. Auch in Zügen wird sie gefährlich hoch.
*
Nun werde ich mich oben beschäftigen. So lasse ich dich wieder und wünsche dir
einen guten Start in die neue Woche.
Mit lieben G's und K's,
Malou

Dienstag, 16. Dezember 2014

Re: Tauben, Kraniche, Abfall


Ämne: samstag
Datum: den 27 mars 2004 09:20


Liebe Malou
Nein nein, Kompost separieren wir schon lange hier in der Schweiz. Das ist das Hobby vom Samstag Morgen für die meisten Menschen hier. Aber es sind eben nicht alle, die es tun. Und ich vermute, dass speziell die Immigranten davon keine Ahnung haben und eben auch über Merkblätter nicht zu erreichen sind, weil ja einige nicht mal lesen können. Deshalb hat man in Basel beschlossen, solche Trainer auf die Menschen loszulassen. Nun, sie machen das im Nebenjob, vielleicht Pensionisten oder unausgefüllte Hausfrauen, die wirklich noch ein bisschen Kontakt brauchen?

Und die Kraniche habe ich gesehen. Es sind für mich fremde Vögel, die mir nicht sehr bekannt vorkommen. Ich glaube zwar, dass man hier ab und zu vereinzelte Kraniche sieht. Aber doch eher selten. So denke ich auch immer an Schiller, wenn ich den Namen höre. Und das ist doch schon ziemlich abstrakt.

Und nun schlägst Du mir vor, ein Taubenbuch zu machen? Das ist lieb gedacht. Doch für mich ist es noch ein bisschen weit weg. Es gibt in Isfahan alte Taubenschläge, wo um die 10'000 Vögel Platz finden. Es sind riesige Türme, und wenn man hineingeht, fühlt man sich wie in einem Kamin. Rundum gibt es Nischen, wo die Tauben festsitzen können. Es muss ein enormes Geflatter sein, wenn sie abends von der Arbeit heimkommen ;--) Und als Arbeit haben sie bloss die Pflicht, ihren Abfall hinaus in die Landschaft zu tragen. Das ist alles. Ist ein guter Job, nicht wahr: natural fertilizer. Aber ich glaube nicht, dass die paar Tauben, die ich hier in Liestal kenne, in einer solchen Kolonie leben könnten. Das ist die reine Massenhaltung, schon ziemlich kommunistisch.

***

Das war mein Briefchen von gestern. Ich glaube, ich hatte es noch nicht abgeschickt. Und jetzt haben wir schon wieder einen wunderschönen Samstagmorgen Himmel. Es ist zwar noch kühl, aber das Wetter gibt sich Mühe. Und am Montag Morgen wechseln wir wieder auf die Sommerzeit. Das ist schade, denn es war angenehm, um 6.00 aufzustehen, wenn es schon ein bisschen dämmerte.

Ja, ich mache Dich katholisch. Sei froh, dass ich Dich nicht gleich zu Maria mache. Ich erinnere mich, in der Gymnasialzeit gab es ein wunderhübsches Mädchen, das auch täglich von Visp nach Brig in die Schule fuhr. Na ja, eigentlich waren es zwei, die sehr hübsch waren. Aber die eine war es besonders. Ihre Eltern waren von Italien eingewandert. Und wenn Italienerinnen hübsch sind, dann sind sie umwerfend hübsch, nicht wahr. Und ein Schulkollege, um ihre Schönheit in Worte zu fassen, meinte, sie wäre ‚schön wie Madonna’. (damals bedeutete ‚Madonna’ noch keine Zweideutigkeit) Ich als Protestant hätte nie einen solchen Gedanken gehabt. Aber ich habe ihn akzeptiert und ich habe mir immer vorgestellt, dass die stillen Wünsche der Jungen in jenen pubertären Tagen nicht zuletzt auch von den vielen schönen Marienbildern in den Kirchen beeinflusst war. Der Professor für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in Zürich hatte meinen Gedanken später bestätigt, indem er betonte, dass die Wangenlinie in den Madonnenbildern eine spezielle Bedeutung hätte, eine Demut sublimierter Erotik. Natürlich hatte ich mir auch vorgestellt, dass Maria - laut Theorie - unbefleckt empfangen hätte. Und das war natürlich für pubertierende Boys genau die richtige Technik, Liebe zu machen.
Wenn ich Dich so katholisch mache, dann ist darin viel Projektion, das weiss ich wohl. Es ist aber auch viel Sympathie mit dabei, das weißt Du schon, Marlena, nicht wahr? Ich bin doch so froh, eine katholische Mausfreundin zu haben. Und ich hätte nichts dagegen, wenn sie weit dogmatischer und strenger wäre. Sie könnte päpstlicher als der Papst sein, denn das wäre für mich sehr spannend und informativ. Schon Deine Bedenken gegen die Evolutionstheorie finde ich süss! Wirklich so süss, dass ich Dich auf die marienhafte Wangenlinie küssen könnte.

Und jetzt muss ich los.
Ich wünsche Dir einen ebenso sonnigen Tag.
MlGuK

Montag, 15. Dezember 2014

Tauben, Kraniche, Abfall u.a.m


Ämne: Schneeflocken, Tauben, Kraniche, Abfall u.a.m
Datum: den 25 mars 2004 18:15

Lieber ... ,
Wie ich sehe hat mein Gottesvertrauen schliesslich doch geholfen und auch die Flaschenpost hat ihr Ziel erreicht.
*
Gestern Abend kam ein Anruf. "Bist du das Marlena?" sagte eine greisenhafte Stimme, die ich nicht richtig einordnen konnte unter meinen Bekannten. Einen kleinen Moment hoffte ich es könnte Jan sein. Er war mal mein bester Freund (Bruder, Vater und alles was man sich noch wünschen kann zugleich). Ich habe ihn schon lange für tot gehalten, weil er mir sonst sicher mindestens einmal im Jahr von irgendeinem Kontinent ein Lebenszeichen geschickt hätte.

Es war leider nicht Jan, sondern Lennart, ein früherer Kollege, der auch Deutsch gab und der schon ein paar Jahre in Pension ist. Jetzt hält er ab und zu Vorträge für andere Pensionisten über alles mögliche. Er gehörte zu den äusserst gebildeten Studienräten, die noch eine gediegene klassische Bildung erhalten haben. D.h. Leute, die so 10 Jahre älter sind als meine versäumte Generation. Nun wollte er einen Vortrag über den zweiten Weltkrieg halten und dabei suchte er die "Briefe aus Stalingrad", von denen er dem Publikum einige vorlesen wollte.

So habe ich heute ein wenig in unserer Institution herumgestöbert auf den Büchergestellen, wo wir alte Bücher aufbewahren, von denen wir uns bisher nicht trennen konnten, die wir aber längst vergessen haben. Leider gab es sie nicht, die Briefe aus Stalingrad. Dagegen habe ich ein paar wunderbare Anthologien mit deutschsprachigen Schriftstellern gefunden, zum Teil auch solche, die ich bisher nicht kannte. Und da ich weiss, dass heutzutage niemand mehr so viel Deutsch kann, dass er sie lesen würde (darin sind auch die Lehrer einbegriffen) so habe ich sie mir mit nach Hause geliehen. Ich werde fast traurig, wenn ich sehe auf welch hohem Niveau einmal der Deutschunterricht gestanden hat. Heutzutage wären diese Bücher sogar für die Studenten an der Uni zu schwer. Und es tut mir auch leid um die Schüler, die nicht richtige Literatur zu lesen bekommen sondern nur ziemlich alltägliche, kindische Texte ohne grossen Sinn.
OK... ich muss das Thema verlassen.

(---)

Wenn du so deine Tauben beschreibst, dann weckt das viele schöne Erinnerungen an Bücher, die ich als Kind gelesen habe oder dann später mit Anna. Bücher in denen Tiere die Hauptpersonen sind und es uns Menschen nachmachen. Ach wie sehr ich diese Bücher mochte. So viele schöne Bilder sind auf meiner Netzhaut hängengeblieben.. denn es gab sie, die schönen Illustrationen dazu.
Fast möchte ich mir ein Buch von dir wünschen, wo du über deine Tauben schreibst. Und ich möchte Illustrationen dazu sehen mit dem Gartenhaus, wo sie durch die Luke einsteigen können, um es sich in der Ecke auf den Stuhlpolstern gemütlich zu machen und ihre Orgien zu feiern?
Das wäre doch was, oder? Hat doch noch niemand vor dir gemacht. Und Kinder werden sich ewig freuen, wenn sie eine Taube erblicken und an deine schönen Geschichten denken. Mach es doch!
Hast du übrigens die schönen Bilder von den tanzenden Kranichen gesehen, die ich dir mal beigelegt hatte?
Wenn ich an Kraniche denke, muss ich wieder zurückdenken an Uppsala, wo der alte blinde Mann (dem ich manchmal die Zeitung vorlas) in seinem Rollstuhl mir das Gedicht "Die Kraniche des Ybikus" (von Schiller glaube ich) vorsagte. Und wie ich entdeckte, dass sich in einem kaum mehr funktionierendem Körper eine ganze Welt von Schönheit verbergen kann.

*
Ach, erst jetzt beginnt ihr euren Abfall zu sortieren? Das tun wir schon seit ein paar Jahren. Flaschen, Dosen und Kartons sowie Zeitungspapier wird in dafür aufgestellte Behälter gelegt. Und hat man einen Garten, dann gibt es da meistens auch einen Kompostbehälter.
*
Nun muss ich schliessen und hier ein wenig Ordnung bringen. Auch einen Test korrigieren, den eine Klasse heute geschrieben hat.
Ich grüsse dich lieb und wünsche dir einen schönen Abend bzw einen schönen Tag morgen,
K+S
Malou

Tropfnasserdonnerstagmorgen...


Ämne: tropfnasserdonnerstagmorgenumsiebeninderfrüh
Datum: den 25 mars 2004 08:10


Liebe Malou
Höre ich richtig? Du hast wieder ein Mail in den Wind gesetzt? Das hört sich an wie Flaschenpost, die man, wie Du weisst, irgendwo und irgendwann aussetzt, in der Hoffnung, irgendjemand würde sie dann finden. Nein, soviel Gottvertrauen sollte verboten sein.
---
Heute habe ich um 10 eine Sitzung in Basel, deshalb bin ich mit dem PW hergefahren. Und so konnte ich auch vermeiden, all zu lange durch die Nässe zu gehen. Als ich früher ab und zu bei meiner Oma in Liestal in den Ferien weilte, war ich stets erfreut über die feuchten Strassen nach dem Regen, die kleinen Weglein, die oft mit Moos und oder feuchtem Laub belegt waren. Das fand ich ganz ausserordentlich angenehm und komfortabel weich, denn vom Wallis her waren wir Feuchtigkeit nicht gewohnt, dort war alles trocken, hart und spitzig
---
Von den Tauben heute morgen natürlich keine Spur. Wo wohnen sie bloss? Ich meine, haben sie eine feste Adresse? Vielleicht in einem Gartenhaus, wo sie durch die Luke einsteigen können, um es sich in der Ecke auf den Stuhlpolstern gemütlich zu machen und ihre Orgien zu feiern? Oder in einem Dachstock, rundum behangen von Spinnennetzen, wo es trocken ist, was Tauben bestimmt mögen? Übernachten sie in grösseren Gruppen oder bloss zu zweit? Gibt es auch Singles, die sich jede Nacht woanders verkriechen und Wärme suchen? Ach die Tauben, man weiss so wenig über sie.

In Basel ist man dran, Abfalltrainer auszubilden. Sie werden später die Aufgabe haben, die Bevölkerung aufzuklären, besonders auch fremdsprachige Menschen, wie man mit dem Abfall umzugehen hat. Abfall ist ja bekanntlich geradezu zu einer Wissenschaft geworden. Die Pet-Flaschen, die Glasflaschen, die Büchsen, das Papier, die Küchenreste: alles wird separat gesammelt und recyclet. Ach, die guten alten Zeiten sind vorbei, wo man die Dinge einfach so wegwerfen konnte. Heute überlegt man sich die Probleme schon beim Einkauf, und man zögert.

Jetzt habe ich die Tauben erspäht. Es ist eine Gruppe von 15 bis 20 Tieren. Und sie fliegt in unregelmässigen Kurven grosse 8-förmige Figuren über verregneten Ort. Wahrscheinlich werden sie sich später auf dem Dach gegenüber am Wasserturmplatz über diese Frühgymnastik brüsten und sich dabei die Schnäbel zerreissen. Sie fliegen alle so überzeugt. Keine scheint zu zögern. Keine will ausbrechen und sich ausruhen. Es sieht aus wie ein eine gut verabredete Sache.

Ach, es ist schon spät. Ich muss mich meinen kleinen Sorgenkindern widmen, die hier auf dem Pult und überall im Büro herumliegen. Die armen Waisenkinder warten nur darauf, dass man sich mit ihnen beschäftigt.
Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit lGuK
...

Samstag, 13. Dezember 2014

Mehr spassig als feierlich



Lieber Mausfreund,
Heute ist Lucia. Ich bin früh aufgestanden und habe mir im Fernsehen
die Luciafeier angesehen. Es ist immer sehr feierlich.
Dann habe ich mir einen guten Kaffee gemacht und schliesslich
nachgeschaut (im Netz) ob Anna schon aufgestanden war.

Ja doch, sie wurde schon um 5 Uhr morgens geweckt von ein paar
Freunden mit Luciagesang und Saffransgebäck, Lussekatter,
(Luciakatzen) wie wir sie nennen. Und nun ist schon der dritte
Advent. Fast nicht zu glauben. Draussen sieht es aus wie im Frühling.
...
13. Dezember 2005

 und nur feierlich:

Lucia 13. Dezember





"Semblable à une apparition céleste, Sainte Lucie vient illuminer les
ténèbres des nuits de décembre. À travers tout le pays, aux premières
heures du jour, les écoles, les hôpitaux, les maisons de retraite et
les lieux de travail reçoivent, dans une atmosphère baignée de magie,
la visite d'une Sainte Lucie et de son cortège. Vêtues de longues robes
blanches, précédées de la Sainte coiffée d'une couronne de bougies, les
jeunes filles s'avancent solennellement, chacune portant une bougie à
la main et chantant des refrains traditionnels. "

Besonders die Worte ".. dans une atmosphère baignée de magie.."
gefallen mir daran, denn diese Feier hat etwas Magisches an sich.  


das Lied "Sankta Lucia"  hier

Freitag, 12. Dezember 2014

Ivana



date 2 June 2005 07:11
subject Re: *s*


Liebe Malou
Na ja, ich hatte bloss gedacht, du hattest mir doch vor Jahren das
entscheidende Stichwort "BUEGELN" geliefert. Bestimmt erinnerst du
dich. Was dir jetzt zum Namen Ivana einfällt, ist schon sehr gut. Ich
habe mittlerweile eine Zeichnung. Wenn ich Zeit habe, schicke ich dir
eine Kopie. Die Kolorierung gefällt mir zwar nicht besonders, und ich
bin heute echt früh aufgestanden in der Meinung, ich mache eine neue
Zeichnung. Aber als ich sie heute morgen nochmals angeschaut habe,
dachte ich, das sei doch ok. Ich meine, der Aufwand wäre einfach zu
gross. Und als Amateur muss man eben ein Auge zudrücken. Man neigt ja
dazu, zuviel Arbeit zu machen, zu detailliert zu arbeiten, die
Grosszügigkeit vermissen zu lassen. Das merke ich immer wieder. Die
besten Dinge kommen unter einem gewissen Zeitdruck zustande, und nicht
dann, wenn man beliebig Zeit hat. Das finde ich merkwürdig und
irgendwie auch tragisch. Aber es ist nun einmal so.



Na ja, schau mal das Bild. Dein dynamischer Rock ist schon mal
richtig. Das Bild erinnert vielleicht ein bisschen an den Rattenfänger
von Hameln. Bestimmt kennst du die Geschichte. Aber diese Assoziation
ist gut. Die vielleicht beste Gabe Ivanas ist ihr Fingerspitzengefühl,
ihre sorgfältige Arbeit und ihre rücksichtsvolle und vornehme Art der
Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und bestimmt auch mit Eltern und
Kindern. Sie war während ungefähr 20 Jahren als Logopädin in Liestal
tätig. Und Liestal ist bestimmt ein ziemlich holperiges Pflaster. Wer
das ohne grosse Blessuren schafft, der ist kommunikativ sehr geschickt
und muss wohl auch da und dort bloss leer schlucken und nichts sagen.
In den vielen langen Jahren sind Hunderte, wenn nicht Tausende von
Liestaler Kindern an die Seestrasse gekommen, und Ivana hat diesen
stotternden, polternden, stolpernden, spuckenden und geifernden
Kindern eine anständige Sprache beigebracht. Vielleicht deshalb gibt
es hier in Liestal oft so ein grosses Gerede und Geschnorre, weil sie
heute alle reden können und sich keiner mehr scheut, den Mund
aufzumachen. Die Adresse des Logopädischen Dienstes hier ist die
Seestrasse. Das ist ein wenig merkwürdig, denn es gibt weit und breit
keinen See in Liestal. Doch früher hat es dort unten bei den Bäumen,
was heute Allee heisst, einen kleinen Feuerwehrweiher gegeben. Davon
ist der Name geblieben. Der Platz ist unter den Platanen schön gelegen
und ich würde behaupten, es sei der zweitschönste Parkplatz Europas
(der schönste ist der Münsterplatz in Basel). Und es gibt in Liesal
das Gerücht, so meine Behauptung, dass - wenn es in Liestal - wie auf
dem Bild - einen See gäbe, und wenn es in diesem See Fische gäbe -
dann hätte Ivana bestimmt noch diesen stummen Fischen das Reden
beigebracht. Im Hintergrund sieht man den Turm der katholischen
Kirche, von dem meine Grossmama immer gesagt hatte, dies sei der
Besenschrank des Spitals (der gleich nebenan steht). Und dahinter
sieht man den Aussichtsturm oben auf dem Berg, von dem ich im Moment
nicht einmal mehr weiss, wie er heisst. Na ja, ich bin ja schliesslich
auch kein Liestaler.
Meine Sekretärin hat mich eben informiert, dass der Berg Schleifenberg
heisse. Richtig, das wusste ich doch eigentlich einmal.
Du siehst, es gibt einiges zu sagen über Liestal und über Ivana. Sie
wird überigens in Zukunft in Basel arbeiten, im selben Haus, wo jene
Bibliothek untergebracht ist, bei der ich die Bücher zum Rezensieren
hole.

Ach, was ich noch sagen wollte. Du bist ein guter Kumpel, wie du mir
hilfst, eine Zeichnungsidee zu finden, obwohl du keinen Deut über die
Person oder ihre Umstände weisst. Dafür hast du einen wirklich
schweren Kuss verdient. Ich meine 'schwer' ungefähr in dem Sinne, wie
man auch von schweren Weinen oder von schweren Trauben spricht.

Einen schönen Tag und MLG
...

date 2 June 2005 07:44
subject ;-)


Lieber ...,
So ein schönes Bild!!! Da liegt aber viel Liebe und Arbeit dahinter
und ich denke Ivana wird sich riesig darüber freuen. Vielleicht wird
sie es einmal so tun, wie die Geliebte von Picasso, die nun im hohen
Alter hervortritt und die Zeichnungen zeigt, die er von ihr gemacht
hat. Eigentlich wollte sie sie mitnehmen ins Grab aber dann hat sie
sich doch von jemandem überreden lassen, sie zu veröffentlichen.

Und einen schweren Kuss bekomme ich sogar? Du weisst, dass ich von
einem schweren Wein nur ein halbes Gläschen brauche um berauscht zu
werden.

Hier ist das Wetter im Moment gut, aber ich glaube doch es hängt Regen
in der Luft und so sollte ich mich wohl beeilen und schnell etwas im
Garten erledigen, das ich in den letzten zwei Wochen nicht habe tun
können. Überall stehen Pflanzen herum, die ich in die Erde bringen
muss. Und das Gras wächst.

Ich komme also später wieder, wenn es angefangen hat zu regnen. ;-)

Mit lieben Grüssen,
Malou

Wieder mal


date 1 June 2005 06:52
subject Re: ?


Liebe Malou

(---)

Und morgen werden wir wieder mal eine Logopädin verabschieden.
Erinnerst du dich noch an die Dame, die Wortblasen bügelt? Ich stehe
wieder vor der Aufgabe. Das heisst, ich vermute, Iwana wird auch eine
Zeichnung erwarten. Oder irgend ein Zeichen. Entweder lässt sie sich
nichts anmerken, weil sie sehr rücksichtsvoll und vornehm ist. Oder
sie würde sich enttäuscht zeigen und die Enttäuschung ein bisschen
spielerisch zur Schau stellen. Und so habe ich gedacht, ich würde eine
Zeichnung in Reserve halten, warten, bis alle darauf warten, ungläubig
und naiv dann die Augenbrauen hochziehen und den Überraschten und
Unvorbereiteten spielen, konsterniert, dass man so etwas von mir
erwarte, wo doch niemand auch nur ein Sterbenswörtchen davon
gesprochen hatte, aber dann, nachdem sich die Thematik vom Tisch
verzogen hätte, würde ich dann doch mein Bildchen herausziehen und
umständlich aus meinem Unterlagen hervorkramen. Na ja, vielleicht
lässt sich das machen. Aber erst muss ich noch eine Zeichnung
hervorbringen. Das geht ja nicht so einfach. Und nochmals plätten, ich
weiss nicht?

Wenn du mir also eine Idee hast, ich bin sehr empfänglich.
MLG

***

Lieber ...,
Ach, welche Erwartungen du hast. Ich soll dir helfen eine Person zu
charaktärisieren, die ich nie gekannt habe und von der ich auch nichts
anderes weiss als den Vornamen. Und doch, dieser Vorname verlangt
irgendwie einen schwingenden Rock.. so wie man mit leichten frohen
Schritten durch die Tür hinausschreitet und einen Blick zum Himmel
sendet, wo einen die Sonne begrüsst und Willkommen heisst, sie fortan
nicht nur durch ein Bürofenster zu betrachten.

Aber es ist auch möglich, dass ich da ganz falsch geraten bin.. :-)

...

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Wasser und Feuer


PAUL CELAN
1920 bis 1970


*

Wasser und Feuer

So warf ich dich denn in den Turm und sprach ein Wort zu den Eiben,
draus sprang eine Flamme, die maß dir ein Kleid an, dein Brautkleid:

Hell ist die Nacht,
hell ist die Nacht, die uns Herzen erfand
hell ist die Nacht!

Sie leuchtet weit übers Meer,
sie weckt die Monde im Sund und hebt sie auf gischtende Tische,
sie wäscht sie mir rein von der Zeit:
Totes Silber, leb auf, sei Schüssel und Napf wie die Muschel!

Der Tisch wogt stundauf und stundab,
der Wind füllt die Becher,
das Meer wälzt die Speise heran:
das schweifende Aug, das gewitternde Ohr,
den Fisch und die Schlange –

Der Tisch wogt nachtaus und nachtein,
und über mir fluten die Fahnen der Völker,
und neben mir rudern die Menschen die Särge an Land, 
und unter mir himmelts und sternts wie daheim um Johanni!

Und ich blick hinüber zu dir,
Feuerumsonnte:
Denk an die Zeit, da die Nacht mit uns auf den Berg stieg,
denk an die Zeit,
denk, daß ich war, was ich bin:
ein Meister der Kerker und Türme,

ein Hauch in den Eiben, ein Zecher im Meer,
ein Wort, zu dem du herabbrennst.

Dienstag, 9. Dezember 2014

Blick durchs Fenster


9 dec 2014

ja doch.. ein Fuchs

:-) Happy week-end

7 March 2008 at 08:00 

Ach du, mein wunderbarer sprachbegabter Mausfreund, ich finde nicht
Worte schön genug um dir für dein Mail zu danken. Wie du schreiben
kannst, ...!

Ich muss heute früh mit einem alten Mann zum Krankenhaus in --.
Hoffe dann später nochmals vorbeizukommen hier.

Mit lieben Gs und Ks in M
Malou


 7 March 2008 at 12:58
 Happy Week-end

Lieber ...,
Nun bin ich wieder zu Hause. Es ging alles sehr schnell und "Opachen" war bester Laune. Der Arzt hat ihn gefragt ob er irgendwelche Medikamente nehme und da er nicht die Namen kannte, meinte die Schwester, dass es seine Tochter (ich) vielleicht wüsste.
Na ja, Tochter bin ich zwar nicht, aber irgendwie habe ich doch diesen Mann adoptiert.

Wie sehr ich es mag wenn deine Gedanken "völlig vom Weg abkommen" und wie wunderbar du diese Erinnerung an Visp erzählst. Ich würde es allzu gern dem Visper zeigen. Er würde vor Sehnsucht weinen.. (ist mir auch beinahe passiert) und wieder ganz verrückt nach dir werden. Aber du willst das wohl nicht?

Die Kulturbeilage des SvD hat mehr als 20 Seiten und es gibt meist mehrere Artikel, die mich darin interessieren. Die Besten scannere ich hier ein und verschicke sie auch manchmal an Bekannte, von denen ich weiss, dass es sie interessiert. Wenn ich die ganze Zeitung so lesen würde wie K (sie umfasst 75 Seiten) hätte ich den ganzen Vormittag zu tun. Ich lasse mir von K sagen was interessant ist. Eines haben wir gemeinsam: unsere Einstellung zur Politik. So können wir uns zusammen ärgern oder freuen über die Ereignisse im Land. Das ist nicht schlecht.

Hast du nicht auch einen Lieblingssessel in dem du mit einem Buch versinken kannst? Nur fehlt eben noch der Hund zu deinen Füssen. :-)

Ich habe gemerkt, dass ich dir nur den halben Tagesverlauf beschrieben habe. Was ich nach dem Lunch tue, weiss ich meistens nicht mehr am Tag darauf. Die Zeit fliegt nur so dahin. Doch so um 17 Uhr ruft K zu Tisch. Kochen ist wirklich sein Lieblingshobby geworden. Und er kann es ausgezeichnet und verwöhnt uns beide mit den allerleckersten Speisen. Manchmal fühle ich mich als wohnte ich in einem Pensionat, wo abends ein wunderbares Essen auf den Tisch kommt. Nur manchmal, meist wenn er eine "wichtige" Sportsendung sehen muss, werde ich mit dem Kochen betreut. Ich kann es auch, komme aber bald aus der Übung, wenn es so weitergeht.

Die tägliche Runde über die Felder geht nicht durch einen Wald. Nur hier und da ein kleines Gehölz, wo man jetzt schon die ersten Frühlingsblumen sieht. Es erinnert mich so sehr an meine Kindheit, wo ich durch ähnliche Natur täglich zur Schule ging. Gestern haben wir die längere Runde gemacht. Ich schicke dir ein paar Bilder mit davon. .5,7 km sagte K's pedometer.. rund 10.000 Schritte.
Sag, ist unsere Welt nicht verrückt??? Dass man sogar seine Schritte zählen kann (und so was tut).

Bist du denn heute im Büro? Oder tust du nur so??? ;-))
Ich hoffe, dass dich mein Mail noch erreicht, denn ohne einen schönen week-end-Gruss kann ich dich doch nicht gehen lassen.

Also, alles Liebe und Gute
mit Gs und Ks
Malou

 




Montag, 8. Dezember 2014

Turnschuhe und ähnliche Dinge


Date: 6 March 2008 10:32
Subject: Turnschuhe und ähnliche Dinge 

Liebe Malou
Merci für die Fortsetzung. Du beschreibst deinen Alltag. So detailliert und abgerundet, wie noch nie vorher. Inklusive P1 am Morgen. Merci Malou.

Liest du Zeitungen nur online? Das versuche ich auch, aber ich mag es nicht recht. Meist drucke ich die Artikel aus, damit ich dann etwas Papier in der Hand habe. Dieses Papier passt doch dann besser zum Morgenkaffee. Diese Variante finde ich atmosphärisch besser. Aber ich gebe gerne zu, dass sie auch Nachteile hat. Insbesondere liegen bei mir, im Büro wie zuhause, unzählige solcher Artikel und Reportagen und Studien herum.  Ich versuche zwar, jene Texte, die ich besonders gut finde, rot mit "sic" zu markieren. "Sic" ist ein altes Bettler- und Hausiererzeichen. Damit haben sie Haustüren braver Bürger mit Kreide markiert, um ihren  Mitbettlern zum signalisieren, dass man an dieser Adresse wohl ein warmes Süppchen und einen Bissen harten Brotes bekommen kann. Und die übrigen, dh. all jene ohne 'sic', die müsste ich dann eigentlich wegwerfen. Und das tue ich eben nur sehr inkonsequent. Voilà!

Da fällt mir etwas Lustiges auf. Du sagst, du schaust die Kulturbeilage von Svenska Dagbladet durch, um sie erst später zu lesen. Ich glaube, dass ich sowas nicht tun kann. Wenn ich einen interessanten Artikel sehe, muss ich ihn gleich lesen. Und wenn ich ihn ungelesen beiseite lege, verliert sich mein Interesse ein wenig.  Ist das nicht merkwürdig. Erst, wenn ich den Artikel später wieder und unerwarteterweise finde, dann ist das Interesse wieder hoch. Ist das nicht merkwürdig? Ich muss irgendwie das Gefühl haben, es sei eine Trouvaille. Solch gute Artikel lese ich dann durchaus zweimal, mach mir manchmal Notizen dazu, oder unterstreiche zentrale Begriffe.
K hat einen Lieblingssessel. Finde ich auch lustig. Nun ja, jeder hat vielleicht seine bevorzugte Ecke in einem Wohnraum. Aber es erinnert mich an die alten Witze, die man im Zusammenhang mit dem Haushund gemacht hat. Jedem neuen Gast musste man signalisieren, welches der Stuhl, auf den er sich auf keinen Fall niederlassen sollte, weil es ja nun eben der Platz des Hunde sei. Dieses Privileg hatten Haushunde und Grossväter, notabene.

Und ihr macht jeden Tag einen 45 Minuten Spaziergang? Finde ich prima. Ist es immer diesselbe Runde, oder wechselt ihr. Es geht durch den Wald und über Feld, nicht? Das ist ja schon ein bisschen kantianisch? Weisst du, was ich damit meine? Der grosse Philosoph Kant war bekannt dafür, täglich um dieselbe Zeit seinen Spaziergang durch die Strassen von Königsberg und hinaus vor die Stadt zu machen. Die Leute, sofern sie denn eine hatten, stellten ihre Uhren danach. Und - wie mir gerade einfällt - Sigmund Freud war auch ein solcher städtischer Wanderer. Ich dagegen habe mir in den letzten Wochen angewöhnt, abends noch rasch einkaufen zu gehen. Der Laden beim Bahnhof schliesst um 22h. So gehe ich zwischen 21h und 22h. Es ist ein 10 Minuten Spaziergang. Das Walken mit den Stöcken habe ich in der kalten und nassen Jahreszeit unterlassen. Es ist schlecht für meine Lunge. Ich kaufe Jogurt, vielleicht Käse und Brot, Früchte etc. Was man eben so braucht.

Ich gratuliere zu den neuen Joggingschuhen. Klar, gute Schuhe sind wichtig. Und heute gibt es soviele Modelle zur Wahl, alle mit diesen modernen Textilien. Man kann sich kaum mehr vorstellen, wie schwer und unbequem Schuhe einmal gewesen waren. Hallo, und da kommt mir gerade eine uralte Erinnerung hoch. In der Sekundarschule in Visp pflegten wir in der alten Turnhalle der Gemeinde zu turnen. Sie war uralt und stand auf der anderen Seite des Dorfes. Um sie zu erreichen, musste man durch die alten Gassen gehen. Ich erinnere mich gut an dieses befremdliche Gefühl, das ich immer wieder hatte, wenn ich durch diese ärmliche Gegend ging. Beidseitig des Weges standen Steinmauern. Sie schützten die Gärtchen der Visper. Die Gassen selbst waren eng und ein bisschen düster. Man ging beim Schuhmacher vorbei. Dessen geistig behinderter kleiner Sohn sass vor dem Laden auf dem Mäuerchen in der Sonne und lallte vor sich hin. Gleich ein paar Schritte weiter der Schreiner, der eine alte Scheune zur Werkstatt umgebaut hatte. Dazwischen und daneben kleine Ställe. Darin hörte man das unbestimmte Geräusch von Schafen, oder vielleicht da und dort ein Kühlein. Verschiedenste Gerüche lagerten in diesen Gassen. Auf dem Asphalt Kuhdreck. Ein bisschen Unordnung, aber nicht zuviel. Frauen mit hochgekrempelten Ärmeln, Kopftuch und Schürze kamen einem entgegen. Sie machten offensichtlich die Arbeit im Stall, während ihre Männer in der Lonza arbeiteten. Oben dann bei der 'Müüra' der Brunnen, wo sie die Tiere zu tränken pflegten. Und dahinter der Platz, der heute ein Autoparkplatz ist. Damals war er nicht asphaltiert gewesen. Und irgendeinmal an einem Markttag im Herbst, vielleicht ist es Martini? - fand dort der grosse Schafmarkt statt. Die Walliser sind grosse Schafliebhaber. Und sie haben eine eigene Rasse, die Walliser Schwarznase.

Nun aber, dort oben, bei der Müüra stand diese alte Turnhalle gleich neben dem Pausenplatz der katholischen Schule. Sie wirkte verwittert und düster, eine Mischung aus Theatersaal und Kaserne. Und gleich im Eingangsraum, also im Gang gab es links und rechts ein Bänklein und Haken, wo man sich umziehen musste. Dort war es kalt im Winter, denn jedesmal, wenn sich die schwere Eingangstüre öffnete, ging ein frischer Luftzug durch den Raum. Die Bänke waren kalt. Der Boden war kalt. Und eben, meine sperrigen Turnschuhe waren ebenso kalt. Ich hasste diese Situation und dieses Gefühl der kurzen Turnhose und des kühlen Lüftleins rund um die nackten Beine. Es war mir alles so fremd und ärmlich und eckig und düster. Ich hatte auch  dort den Eindruck, in einen falschen Schwarzweiss-Film geraten zu sein. Siehst du Malou, all diese Erinnrungen und Gefühle hängen mit einem dünnen Faden an meinen damaligen Turnschuhen. Die waren ein bisschen zäh, passten nur so ungefähr an die Füsse und sahen bei allen genau gleich aus. Es hatte damals vielleicht zwei Modelle gegeben. Und eines davon war völlig unmöglich. Schuhe kaufte man in Visp beim Zerzuben, gleich vor dem Bahnhof. Er hatte alles, was Füsse sich wünschten. Aber damals waren Füsse eben noch fast wunschlos. Ich betrachtete lieber die Schaufenster von Zerzuben. Dort sah man diese schönen glänzenden Eishockey-Schlittschuhe. Daneben ganze Ausrüstungen in den besten Farben: Schienbein-Schoner, Tiefschutz, Brustschutz, Handschuhe. Und natürlich jede Menge Eishockey-Stöcke. Das waren unsere Wünsche. Aber die Stöcke, die waren nun mal das allerwichtigste und kamen vor all den Ausrüstungssachen, die waren teuer. Ich glaube, ich habe bei Zerzuben nie einen Stock gekauft. Ich habe sie immer von Kollegen bekommen. Und sie hatten sie von den Spielern der ersten Mannschaft. Es gab Stöcke für Links- und solche für Rechtshänder. Ich war als Rechtshänder, wie Richard Truffer von der damaligen ersten Mannschaft, ein Exot. Richard Truffer - nebenbei gesagt - war ein einfaches Gemüt. Er kam mit seinen Brüdern, alle in der 1. Mannschaft, aus einem kleinen Nachbardorf und wurde schliesslich Polizist. Das war schon eine beachtliche Karriere. Es kursierte der Witz, dass Richard bei der Aufnahmeprüfung in Sitten hätte rechnen müssen. Er sei dann vom Unterwallis zurückgekehrt und habe gross angegeben, weil er die Prüfung bestanden habe. Sie sei nicht allzu schwer gewesen. In Mathematik hätte man ihm die Aufgabe 4 + 3= ? gestellt. Sofort hätte er natürlich 8 gesagt. Die Kollegen lachten und meinten, 4+3 mache doch niemals 8. Richard brüstete sich noch eine Spanne mehr und meinte, das möge schon sein, aber er sei mit seinem Resultat dem richtigen Ergebnis am nächsten gekommen.

Soweit der Rechtshänder Richard Truffer, Mittelstürmer der ersten Mannschaft des EHC Visp, die damals sogar Schweizermeister geworden waren. Insider behaupteten zwar, Richard hätte kaum das Schlittschuhlaufen beherrscht. Und das ist richtig. Oft ist er auf dem Eis wie ein Handballer herumgelaufen, mehr gerannt als wirklich gegleitet. Ach ja Malou, schau mal die alten Zeiten.  Es kommt mir alles hoch.

Und weisst du, was ich sehe. Auf dem Dach gegenüber ein Taubenpaar. Sie tänzeln in der Sonne, drehen sich um die eigene Achse. Das muss das Vorspiel sein. Stelle dir vor Malou, auf dieser Höhe über der Strasse, in luftiger Höhe, Liebe zu machen. Na ja, sie machen eigentlich nur Quickies, wie man so sagt!

Nun sind meine Gedanken völlig vom Weg abgekommen. Ich muss an die Arbeit.
Wünsche dir einen schönen Tag.
Liebe Gs und Ks
...

Sonntag, 7. Dezember 2014

Wein, Weib und Gesang


Subject: Wein, Weib und Gesang
Date: Tue, 08 Feb 2000 11:58:19 GMT


Liebe Marlena

„Du reichst mir Melonen unter die Arme". Das ist ein persisches Sprichwort. Es meint, du machst mir Komplimente oder Geschenke, aber das verpflichtet mich auch. Denn wer zwei von diesen grossen Melonen unter den Armen hat, der hat seine Hände nicht mehr frei. Der ist gebunden. Die Perser haben viele schöne Sprichworte und Redensweisen. Und meine Frau erzählt mir ab und zu davon.

Dein Kompliment, dass Du meine Briefe mehr geniesst als die Lektüre eines Buches, ist natürlich enorm und baut mit förmlich zu einem babylonischen Turm auf. Es ist übrigens so, dass meine Frau behauptet, ich hätte sie nur mit meinen Briefen gewonnen, von der und für die Liebe überzeugt. Das ist natürlich eine pointierte These, die ich nicht überprüfen kann und so stehen lassen muss. Aber mindestens siehst du, dass man in Persien für die Liebe noch hart arbeiten muss ;-). Meine Frau hatte sogar gedacht, dass ich vielleicht Drogen nehmen würde, während ich Briefe schreibe, Opium womöglich, oder so was ähnliches. Als ob man in der Schweiz Opium kaufen könnte, wie damals noch in Persien!! Wenn ich Dir Briefe schreibe, liebe Marlena, sieh dich vor! Binde Dich an den Mast wie weiland Odysseus vor den Sirenen, und stopfe Dir die Ohren zu, verbinde die Augen!

Natürlich wirst Du schon wissen, dass ich Dir nicht täglich bis an mein Ende einen Mail schicken können werde. Im Moment sind wir in einer Art „korrespondenzialer Verliebtheit", in einer „mail-induzierten folie à deux", könnte man sagen. Da ist man ganz hingerissen und schüttet die eigene Seele aus und über Ozeane hinweg. Doch das ist noch nicht der Alltag. Der Alltag ist weit nüchterner und monotoner. Wir sind beide reif genug zu wissen, was das ist und was es nicht ist. Nicht wahr? Wir wissen das, wenngleich auch viele unbewusste Sehnsüchte und Wünsche dabei mitspielen können und es sicherlich auch tun.

So klammere ich also Deine zwei Melonen unter meinen Armen fest und stelle mir vor, wie ich sie aufschneiden werde in der Wüste, wo ich vor Trockenheit am Verdursten sein werde. Ich danke Dir dafür. Ich weiss, um offen zu sein, gar nicht, wo man in Schweden Melonen her kriegt. Die müssen doch irgendwie aus südlicheren Gefilden stammen? Vielleicht aus irgendwelchen schwedischen Kolonien früherer Tage?

Nicht dass ich zu Tisch gesessen wäre! Nein, soweit wäre ich nicht gegangen. Aber aus dem Hintergrund habe ich Euch zugeschaut, habe beobachtet, wie diese kleine Familie, wie deses Wochenend-Ehepaar mit der blonden und blauäugigen Tochter am Tisch diese Bouillabaisse gelöffelt hat, nicht ohne dem zufriedenen Koch vielerlei Komplimente zu machen. Der Vater hat es sichtlich genossen und auf seine Marlena das Glas erhoben. Wer bloss das Wochenende mit seiner Familie verbringen kann, der geniesst in fast fürstlicher Manier die Umstände. Er ist dann auch „Hahn im Korb". Und die beiden Damen haben an dieser Freude teilgehabt, haben sie sozusagen „auf Händen getragen" und sie liebevoll gepflegt, mit einer winzig kleinen Wehmut im Herzen, warum das nicht jeden Tag so sein sollte.

Vielleicht ist es nur meine Fantasie, doch ich hatte den Eindruck, Marlena sei in diesem letzten Brief eine Spur glücklicher, lockerer, nicht ausgelassen, aber doch vergnügt? Das war eine Art Lichtblick, während man sonst in Deinen Zeilen die täglichen Pflichten und Obliegenheiten im Hintergrund mitspürt, den Ernst des Lebens, all das nämlich, was ich den „harten Granit des Alltags" zu nennen pflege. Doch dann denke ich wieder daran, wie du dich an einem schönen, sonnigen Tag freuen kannst und vermute, was ich da alles heraushöre, sei wohl bloss Hirngespinst.

Nebenbei gesagt weiss ich, liebe Marlena, wie Männer kochen. Ich mach das heute eigentlich kaum mehr. Aber früher habe ich auch ab und zu gekocht, so, wie Männer eben kochen. In der einen das Weinglas, in der anderen den Kochlöffel, dass ist die klassische Pose. So was gehört sich. Ohne das wäre Kochen Galeerenarbeit und die Küche die wahre Hölle. Mit dem Wein aber schon ein bisschen anzufangen, das gibt der Küche jenen Glanz, die sie überhaupt erträglich, ja vielleicht gar wohnlich macht. Man muss aber auch wissen, dass das nicht freiwillig ist. Es herrschen hier ziemlich verbindliche Regeln und Gesetze: Es geht darum, dass man den Wein rechtzeitig zu öffnen hat. Es geht darum, dass man zu prüfen hat, ob denn der Zapfen nicht riecht. Es geht nicht zuletzt darum, dass man sich für ein Vorhaben solcher Grössenordnung – nämlich ein Essen auf den Tisch zu bringen – dass man sich für ein solches Wagnis etwas Mut antrinken muss. Denn wenn man daran denkt, was dabei alles schief gehen könnte! Also, meine liebe Prinzessin, alle Männer der Welt kochen auf diese Art und Weise. Nicht alle kochen sie vielleicht eine Bouillabaisse, aber alle fuchteln sie mit Weinglas und Kochlöffel herum. Das ist – darwinistisch gesprochen - das Resultat stammesgeschichtlicher Evolution. Soweit die Summe soziobiologischer Erkenntnis! Und was auch erkannt ist: Männer kochen mit doppelt bis dreifachem Budget als ihre Frauen. Und sie waschen nicht ab post festum und überlassen die schmutzige Küche dem Personal. Wer auch immer dieses Personal sein mag. Gott möge sie segnen und behüten, diese Männer der Welt!!!

Ich selbst bin heute soweit, dass ich mir erlaube, mit dem Weinglas in der Luft herum zu fahren, ohne dabei gleich kochen zu müssen. Das mag jetzt etwas überheblich klingen, Marlena, ist es ja vielleicht auch. Aber es braucht doch viel Arbeit an sich selbst, zu trinken, ohne zu kochen. Das ist sozusagen eine Trapeznummer ohne Netz. Du weißt, ich bin in einer Weingegend aufgewachsen. Und während des Gymnasiums haben wir jede Menge Zeit und Gelegenheiten gehabt, diese Trapeznummern zu üben. Ach, was haben wir damals getrunken! Dagegen war die schwedische Eishockey-Nationalmannschaft, die wir damals am Fernsehen beobachtet hatten, eine bescheidene Gruppe von braven Primanern. Und dabei hat man diesen kecken schwedischen Spielern schon nachgesagt, sie würden zwischen den Matches ganz ordentlich „hinter die Binde kippen". Also, meine liebe Marlena, in Sachen Wein fühle ich mich ganz und gar im Element und als Fachmann. Wein inspiriert mich, Wein ermutigt mich, Wein bringt meine Fantasien in Bewegung, aber Wein tröstet mich auch, wenn es sein muss, in dunkleren Zeiten. Ein richtiger Malvoisie (ein raffinierter Weisser aus dem Wallis) ist für mich wie eine zarte Geliebte, mit üppigen Rundungen und sinnlichen Lippen. Man kann ihr nicht widerstehen. Es wäre gegen das Gesetz des Lebens und der Liebe. Sie ist einfach nur da, um umarmt zu werden, hinreissend.

Und all das erzählt Dir einer, der mit einer Moslema verheiratet ist. Sie, seine Frau, ist zwar nicht doktrinär, ganz und gar nicht fundamentalistisch. Aber sie nippt doch in der Regel bloss am Glas, während er daneben deutlich austrinkt. Vielleicht machen sie zusammen einen guten Durchschnitt? Doch es gibt in Persien eine Gegend, da gab es in alten Zeiten viel Wein. Und die grossen Dichter stammten von dorther, vom Süden, aus der Gegend von Shiraz. Es ist nicht so, dass die Perser den Wein nicht kennen würden. Und auch dort hat er zu grossen poetischen Leistungen verholfen. Aber heute wollen die Iraner davon wenig mehr hören!

Aus meinen früheren Tage habe ich noch Bekannte, die eng mit dem Wein verbunden sind. Einige davon haben eigene Rebberge, und wenn man zu Besuch ist, kredenzen sie einen Tropfen aus eigener Kelterung. Einer meiner Bekannten ist sogar Weinhändler von Beruf, verkauft Wein und kann dich in seinem Keller zu jedem Kauf überreden, während er wieder einschenkt. Wein ist nicht bloss ein Getränk. Wein ist eine Philosophie, eine Geisteshaltung zwar, mit sehr katholischem Hintergrund. Alle grossen Weinlandschaften sind heute noch katholisch. Das Dionysische, das in diesen Gegenden etwa zur Zeit der Fastnacht weiterlebt, das alles hat mit dem steifen Protestantismus nichts zu tun. Wer den Wein liebt, der ist katholisch, behaupte ich. Die Protestanten schütten sich Bier hinunter. Nun ja, vielleicht machen die Bayern hier eine kleine Ausnahme?

Ich glaube, ich muss ein Ende finden mit diesem Thema, sonst kommst du auf falsche Vermutungen, liebe Marlena, spekulierst du in bedenkliche Richtung, denkst du vielleicht, ich würde schon beim Frühstück mit meinem Schöpplein den Tag anfangen. Doch ich kann dich beruhigen: soweit bin ich noch nicht. Dazu habe ich eine solide Moslema neben mir. Das schützt mich. Aber vielleicht ist es doch etwas abwegig, in einem Brief an eine ferne nordische Frau den Wein zum Briefthema zu machen. Vergib mir.

(---)

Nun denn, meine liebe Marlena, ich habe mich wieder vergessen während ich geschrieben habe. Vor allem im Wein habe ich mich vergessen! Doch nun muss ich aufhören. Nur noch ein kleines Gedichtlein von Rilke wollte ich dir zeigen. Ich habe es gestern abend (es muss schon nach Mitternacht gewesen sein!) gefunden. Du siehst, ich habe, seit ich mit Dir korrespondiere, wieder meine Rilke-Sammlung auf dem Tisch und blättere gelegentlich darin. Das geht so:

So lass uns Abschied nehmen wie zwei Sterne

durch jenes Übermass von Nacht getrennt,

das eine Nähe ist, die sich an Ferne

erprobt und an dem Fernsten sich erkennt.

Ist doch wunderschön gesagt und klingt auch ziemlich passend für uns zwei, die wir bloss zwei ferne Koordinatenpunkte auf der Weltkarte zu sein scheinen. Es muss in Paris, im Frühsommer 1925 entstanden sein.

Damit grüsse ich Dich, 
...

Freitag, 5. Dezember 2014

Do-Mo - zwischen den Stäben




Ämne:  Do-Mo
Datum: den 29 april 2004 06:36


Liebe Malou
Nein, Deine Komplimente über meine Bilder betrüben mich absolut nicht. Sie freuen mich und helfen mir, dass ich auch selbst meine Bilder mit weniger strengen Augen ansehen kann. Ich glaube, die Vorstellung, sich als Maler durch das Leben zu bringen, ist ein fantastisches Alternativprogramm. Ich glaube, es wäre ein harter Job. Und man müsste sich seiner Leidenschaft sehr sicher sein. Denn man muss sie auch gegen das Publikum betreiben können.
Aber wir wissen doch, dass das Alternativprogramm in der Phantasie mehr oder weniger dazu dient, dich im normalen Leben bei der Stange zu halten. Versteht man diesen Satz als Fremdsprachlerin? Ich will sagen: es ist leichter, einen Weg zu gehen, wenn man weiss, dass es auch noch einen Umweg gäbe. Auch wenn der Umweg gelegentlich als attraktiver erscheinen würde. Gut gesagt, nicht wahr?
Allerdings muss man sagen, dass es eine Zeit gab, da Maler neben ihrem bürgerlichen Beruf gemalt, und mit internationaler Wirkung gemalt haben. Jan Steen - so glaube ich mich zu erinnern - war ein solcher Typ. Erinnerst Du Dich? Die Holländer sprechen von einem „Jan Steen Haushalt“. Ich müsste von einem „Jan Steen Büro“ reden. In seinen hübschen Genrebilder liegen immer viele Dinge auf dem Boden herum. Ich glaube, er hatte Angst vor der leeren Fläche, eine Art Horror Vacui. Stehen hatte einen bürgerlichen Beruf und hat daneben gemalt. Und das war damals wohl eher üblich.
Aber heute ist der Künstlerberuf zu einem intellektuellen Turnprogramm erster Güte geworden. Mindestens für jene Künstler, die vorne mit dabei sein wollen. Alle andern sind Epigonen.

Bei uns ist der Frühling durchgebrochen. Der gestrige Tag war ziemlich warm und ich war abends durstig, ohne zu wissen, woher das eigentlich kam. Und viele leiden schon an Heuschnupfen. Und auf der Strasse siehst Du die Jungen ziemlich intensiv küssen. Es wird jedes Jahr intensiver und sie werden jedes Jahr jünger! Nun ja, ich kann mich eigentlich noch ziemlich gut an jene Zeit erinnern. Und wahrscheinlich hat auch uns der Frühling damals das Blut in Wallung gebracht. Wir hatten uns niemals erlaubt, auf der Strasse zu küssen. Aber man stand doch stundenlang an irgend einer Ecke und schäkerte herum. Und man war gut drauf und wusste nicht mal so echt, woher das alles kam. War es vielleicht das schöne Wetter? Und die Erwachsenen, die vorbeigingen, schauten mit einem gewissen Verständnis hin. Wussten sie vielleicht, woher das kam, dass man sich so gut fühlte? Na ja, gelegentlich schauten sie auch eher kritisch. Die wussten sie bestimmt, woher das kam.

Ach, Du siehst, ich verstehe sie schon, die Jungen. Und in kurzen Momenten, wie in Rilkes Gedicht vom Panther, sehe ich zwischen den Stäben meines Käfigs durch und fühle ein kleines Stechen, welches man Neid nennen könnte.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag
Mit lGuK
...


Donnerstag, 4. Dezember 2014

Nicht mehr Rilke ..



Lieber  ...,

Gerade heute habe ich ein Buch gekauft, mit einer Auswahl der "schönsten Gedichte" der Welt. Und darin habe ich dann besonders diejenigen (wenige) von Rilke angeschaut, und wie sie in Übersetzung klingen. Dazu möchte ich nur sagen: Das ist nicht mehr Rilke.
Rilkes Grösse liegt neben den tiefen Gedanken auch besonders in dem Reim und in der Musikalität der Sprache.

                      Der Panther

Sein Blick ist vom vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein groser Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf - dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille --
und hört im Herzen auf zu sein.


                                                     Rainer Maria Rilke



Beispiele von Übersetzungen des Gedichtes  hier.