Sonntag, 31. Mai 2015

eine Geliebte?


Pygmalion und andere Metamorphosen

Liebste blutrote Marlena
Die Farbe gefällt mir sehr. Da ist was dran, das glüht von innen. Da ist Substanz, auch Kraft und Wärme. Ich finde es ist wunderschön, blutrot, und wenn man dich als blonde Schwedin so anschaut, würde man es vielleicht nicht ahnen. Aber ein bisschen sieht man es schon. ...
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Deine Frage, ob ich eine Geliebte hätte, hat mich noch den ganzen Tag begleitet. Die Frage hat mich gerührt, weil sie mir zeigt, dass du viele Gefühle für mich hast. Nur dann wird eine solche Frage fällig. Und ein bisschen musstest du dich auch überwinden, es zu fragen. Verstehe ich. Vielleicht auch aus Angst vor der Antwort? Und die Frage hat mich ganz nah zu dir gerückt. So etwas fragt mich nur meine Geliebte oder meine Frau. Was würde ich wohl sagen, wenn S. mich fragen würde. Sie merkt schon was, wenn ich auch in letzter Zeit etwas fröhlicher und aufgeräumter geworden bin zu Hause.
Aber die Frage hat mich noch in einem anderen Sinn beschäftigt. Und zwar so: ich selbst hätte dir niemals im Leben eine solche Frage gestellt. Wenn ich all die schönen Worte und die Liebesgedichte und deine gefühlvollen Sätze mir durch den Kopf gehen lasse, so denke ich, es ist einfach unmöglich, dass du einen Geliebten daneben hast. Und wenn du ihn hättest, so würdest du mir nicht auf diese Art schreiben.
Und so habe ich mir gedacht, wie kannst du denn an mir zweifeln? Meinst du denn, meine Worte sind nur gespielt? Denkst du, ich könne am nächsten Tag dieselben Wort zu einer anderen Frau sagen? Wirken denn meine Worte nicht echt, dass du daran zweifelst. Denkst du denn, ich würde so lange Mails schreiben einfach so dahin, vielleicht daneben noch für andere (ach, ich könnte sie ja kopieren und nur den Namen wechseln!). Ich verwende wirklich sehr viel Zeit, noch mehr als am Anfang, mit dir, meine Liebe. Und daneben habe ich einen Chefjob, wo man etwas mehr als bloss 8,5 Stunden arbeiten sollte. Und dann ist da noch eine Familie. Und ich habe knappe 24 Stunden pro Tag zur Verfügung. Wie stellst du dir vor, eine Geliebte daneben. Ich bin doch kein professionelller Dandy. Vielleicht ein Casanova, der sich nie satt bekommt. Ach, wie du unsicher sein kannst, ist so rührend und so erstaunlich in einem. Das hat mich echt ein bisschen erschüttert. Und ich habe es ins Kapitel Geschlechterrollen gelegt. Ich meine damit, bei den Männern hält man es für möglich, dass sie mehrere Geliebte haben können, bei den Frauen glaubt man das weniger. Und deshalb wolltest du vielleicht sicher gehen und einfach fragen. Oder vielleicht war deine Frage nur ein Zeichen unserer Intimität. Und wenn es eine solche Frage war, dann umarme ich dich, dass dir die Frage nie mehr aufkommen wird. Ich würde sogar weiter gehen, als bloss umarmen, meine Liebe. Ich würde dann wirklich untreu werden. Und ich stelle mir jetzt das blutrote Feuer dabei vor. Weißt du, meine Liebe, manchmal, wenn ich deine Mails lese, ...

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So weißt du nun, dass du meine einzige und grosse Geliebte bist. Und damit du sicher bleibst, schreib es irgendwo auf, vielleicht an die Decke? Oder auf die Hinterseite des Pragerbildes? Oder ganz einfach in dein Herz! Weshalb denkst du denn, wollte ich dich unbedingt sehen? Ich wollte bloss wissen, ob ich hier meine Gefühle nicht auf was Falsches verwende.
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Ich wünsche meiner blutroten Geliebten einen wunderfollen Muttertag, das wünsche ich ihr von Herzen
K
U
S
S

Freitag, 29. Mai 2015

Nietzsche ... und Freud



Ämne:  Late night show

Liebe Marlena
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Zur Zeit lese ich Nietzsche. In meiner katholischen Mittelschule war er natürlich ein absoluter Teufel und eine persona non grata. Was immer ich über ihn gehört hatte, ich musste zum Schluss kommen, dass er nicht ganz richtig im Kopf sei. Und jetzt, wenn ich ihn lese, muss ich feststellen, dass er doch sehr intelligent und auch ein guter Psychologe war. Ich weiss, dass Freud ihn bewundert hat. Und er war Professer der Altphilologie in Basel. Und er soll ein sehr scheuer Mensch gewesen sein. Er hatte auch Stunden im Mädchengymnasium in Basel. Und als die Mädchen ihm in einer Stunde einen Blumenstrauss auf das Katheder gestellt hatten zu seinem Geburtstag, da soll er sein Pult während der ganzen Stunde gemieden haben, als ob er alles nicht gesehen hätte. Er war ein wunderlicher Kerl. Und später, in Turin, soll er weinend ein Pferd umarmt haben, weil es vom Kutscher geschlagen worden war. Aber zu jener Zeit war er schon hinüber.
Nein, er ist wirklich sehr intelligent, unser Herr Nietzsche. Und er ist ein echter Philologe. Die Art, wie er argumentiert, ist wirklich so sehr am Text haftend, wie man es heute selten mehr sieht. Diese gewisse Flüchtigkeit und Verbalität der Argumentation, das liest man nicht mehr heutzutage. So wenigstens habe ich das Gefühl. Und ich glaube, ich habe ein ziemlich gutes Gefühl für Sprache.
Wie könnte man seine Erkenntnisse zusammenfassen? Ich würde im Moment sagen, dass sein Hauptsatz heisst: unsere Welt ist ein Kunstwerk. Wir machen die Welt selbst. Es ist nicht so, dass sie da wäre, und dass wir sie uns anschauen oder zu Gemüte führen müssten. Nein, unsere Welt ist soviel wie ein Traumgebilde. Und wir sind die Träumer, das heisst, wir sind Künstler. Wir hängen viel zu sehr an der Realität, denn eigentlich hängt ja die Realität von uns ab. Das waren schon ziemlich revolutionäre Gedanken am Ende des letzten Jahrhunderts. Wir sind der Grund der Realität. Und nicht die Welt.
Das heisst doch wohl, wenn wir an der Welt verzweifeln, dann verzweifeln wir an uns selbst. Und das, meine liebe Marlena, ist nicht neu.
Er war wirklich genial, Nietsche. Ich muss noch etwas mehr lesen von ihm.

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Ja, unsere Vorstellungen von Glauben sind vom modernen Wissen geprägt. Und wenn Du sagst, Du beneidest Menschen, die einen starken Glauben haben, so meine ich dasselbe. Aber ich meine darüber hinaus, dass man einen solchen Glauben haben kann, ohne religiös im kirchlichen Sinne zu sein. Es gibt vielleicht junge Menschen, die ein bestimmtes Lebensziel haben. Und sie glauben daran und erreichen es damit auch. Ich meine diesen starken Glauben, dass man Wünsche hat, dass man glaubt, die Wünsche werden wahr, und dass sie schliesslich auch wahr werden. Man sagt dann, diese Menschen seien "willensstark", sie "wissen, was sie wollen" und so weiter. Aber eigentlich haben sie doch bloss in sich einen starken Glauben an das, was sie sich wünschen, und dass sie es schaffen werden. Wahrscheinlich fühlen sie diese gewünschte Zukunft als Teil von sich, und nicht äusserlich wie jene Menschen, deren Wünsche dann nicht erfüllt werden. Sie wünschen sich also beispielsweise nicht, dass sie einen Lottogewinn machen werden. Denn so was liegt nicht in der Möglichkeit ihrer Selbstwirksamkeit. So was hängt allein vom Zufall ab. Aber gesund zu sein, ein berufliches Ziel zu erreichen, einegute Ehe zu führen, Rom zu besuchen (um dann zu sterben, wie die Redensweise sagt), all dies sind solche Dinge, an die man glauben kann. Die Psychologen haben einen Begriff, der diese menschliche Kapazität auch einigermassen meint. Es ist die "Selbstwirksamkeit". Menschen sind überzeugt, dass das, was im Leben geschieht, letztlich auf sie selbst und ihre eigenen Bemühungen zurückgeht. Und das erlaubt letztlich, ihnen "mein" Leben zu sagen. Ach, ich glaube, das ist schon wieder ein wenig existenzialistisch gedacht. Aber natürlich ist es trotzdem richtig. Der Existenzialismus hatte ja doch Einsichten, die immer noch richtig sind. Und wenn ich Nietzsche lese, merke ich, dass er sie vorher schon gehabt hat. Es gibt doch diese merkwürdige Bemerkung Freuds, der gesagt, und vielleicht sogar irgendwo geschrieben haben soll, dass er nicht mehr Nietzsche lesen könne, weil der Philosoph viele der Einsichten schon gemacht hatte, die Freud mit seinen langsamen undgründlichen Überlegungen in seinen Schriften dann schliesslich auch mache.Ich bin überzeugt, dass das auch wirklich so war. Ich glaube, dass die Psychoanalyse damals "in der Luft" gelegen hat. Die Leistung Freuds liegt vielleicht weniger in der Erfindung der Psychoanalyse als in der fleissigen Sammel- und Schreibarbeit. Es gibt jene hübsche Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, die mir sehr psychoanalytisch vorkommt. Sie glaubt an dieselben Mechanismen, an die auch die PA glaubt.

Sigmund Freud muss sehr ehrgeizig gewesen sein. Das sieht man an jener Denkfigur über die dreifache Kränkung der Menschheit. Die Figur ist gut, aber sie zeigt auch seine Ambitionen. Freud meint, der erste Kränkung, welche die Menschheit zu verkraften hatte, sei die Erkenntnis Kopernikus' gewesen. Er habe damals - mit dürftigen Mitteln übrigens - bewiesen, dass sich nicht etwa die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne drehe.Das hatte man zwar schon in der Antike gewusst, aber wieder "vergessen". Die Beleidigung des menschlichen Selbstbewusstseins lag ja wohl darin, dass wir einsehen mussten, dass wir und unsere Welt nicht das Zentrum des Alls sind. Wir hausen auf irgend einem "Nebenstern". Und die zweite Beleidigung dann kam von Darwin und seiner These der Evolution, --  Darwin hat übrigens nicht behauptet, wir stammten vom Affen ab. Und er konnte seine Theorie auch nicht so genau beweisen, weil da noch das sog. "missing link" fehlte. Es war ein reiner Indizienprozess. Aber die Beleidigung bestand darin, dass wir Menschen eben auch bloss gut entwickelte Tiere seien. Und auch mit dieser Aussage hatte der Vatikan seine grosse Mühe. Und schliesslich kam noch Freud und behauptete, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus sei. Viele seiner Gedanken, Wünsche und Taten sind nicht besonders rational, wie es scheint,sondern sie sind beeinflusst vom Unbewussten, welches sozusagen ein eigenes trübes Regime führt. Aus der dunkeln Suppe des Unbewussten also handelt derMensch, und er ist nicht (vielleicht nicht nur?) dieses animal rationale, das man immer behauptet hatte.

Ist deutlich, dass das eine hübsche Denkfigur darstellt. Man könnte sich natürlich fragen, wer denn sei "die Menschheit"? Gibt es da eine Kollektivseele, die sich beleidigen lässt? Lassen sich gut entwickelte Affen auf dem Nebenstern, die aus biologischen Urgründen handeln und denken, lassen sie sich wirklich beleidigen? Und wenn ja, welches wäre die nächste, die vierte Beleidigung? Vielleicht jene von Präsident Bush, der immer wieder in die Welt schreit, dass es neben den Menschen auf unserer Welt noch wilde Tiere gebe, die sich darauf spezialisierten, Terror zu treiben? Ich meine, das allein bestätigt schon Darwin, dass wir hier mehr oder weniger in einem Affenhaus leben.

---Mlgukua

Donnerstag, 28. Mai 2015

"eine heilige Pflicht"



Liebe Malou
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Vor 1 - 2 Jahren hatte ich ein Büchlein gelesen mit dem Titel 'Die Sieger'. Es ist eine Sammlung von Kurzbiographien über die bekanntesten und tüchtigsten Leute in Europa, natürlich vor allem jene der Vergangenheit: Dichter, Musiker, Wissenschaftler, Politiker, Erfinder etc. Ich habe die Aussagen nicht mehr genau im Kopf, doch als Quintessenz konnte man festhalten: je berühmter und je tüchtiger desto unglücklicher. Viele haben sehr gelitten unter Depressionen, unter Krankheiten, unter körperlichen Missbildungen. Irgendwie kommt nur noch Goethe als Ausnahme in den Sinn. Goethe war sozusagen unser Sunyboy, ein von den Göttern verwöhnter. Goethe hat seine Möglichkeiten gut ausgeschöpft, und hat sich auch in der Frauenwelt mit viel Leidenschaft ausgetobt. Aber all die anderen! Ich glaube, wenn man die Biographie von eurem Herr Nobel studiert, kann man zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Er war wohl auch nicht ein sehr glücklicher Mensch.
 
Darum haben wir als Mittelmässige die heilige Pflicht, glücklich zu sein. Es ist eine Aufgabe, nicht ein Geschenk. Ich weiss, dass es Spezialisten gibt, die eine Technik empfehlen. Ich glaube, das kommt aus dem NLP. Der Rat lautet: Durchsuche dein Leben. Finde die besten Momente heraus. Vergegenwärtige sie dir ausführlich, dh. träume von ihnen, schau sie dir an, fühle sie, höre sie, wie auch immer. Gib jeder Situation einen Namen. So kommst du zu einer Liste von persönlichen Highlights. Nimm diese als die Perlen und die Merkpunkte deines Lebens. Ruf sie dir immer wieder in Erinnerung. Je öfter du das tust, desto stärker werden die Glücksgefühle, die mit jenen Situationen zusammengehen. Und desto stärker werden die Glücksgefühle das allgemein Lebensgefühl überfluten.
Klingt doch leicht und einfach. Und funktioniert mit oder ohne Börse.
 
MLG

Mittwoch, 27. Mai 2015

Jeder vernünftige Mann


Ämne:  Wirklich und total
Datum: den 3 juni 2004 07:35

 
Liebe Malou

"Ich hatte doch schon in allen Ecken nach dir gesucht und dachte dabei: "He's done it again"! Es ist mir dabei wie einer Frau, deren Gatte plötzlich nach der Arbeit nicht nach Hause kommt. Man wundert sich wo er bleibt, ob was passiert ist oder ob er abgehauen ist. Aber nun bist du wieder "zu Hause" und alles ist comme il faut.. :-)"

Was meinst Du mit He’s done it again?
Klar, jeder vernünftige Mann tritt auf dem Heimweg abends über jene „Kreuzung-der-Versuchung“, wo er sich entscheiden muss, ob er „Heim-zu-Muttern“ oder hinüber in die „Lolita-Bar“ gehen will. (Lolita ist gut, nicht wahr, vielleicht etwas pädophil ??). Es gibt natürlich viele männliche Exemplare, die das teuflische Problem mit einem geradezu genialen Kompromiss lösen. Sie kommen dann einfach ein paar Stunden später heim. Und es gibt jene wilden Jäger, die zwar rasch auf ein bürgerliches Abendessen heimkehren, dann aber gleich wieder losrasen zur Versammlung des Fussballclubs, des Schiessvereins oder auch bloss zum Fitness-Training. Aber heute gibt es ebenso viele Frauen, die jede freie Minute ins Fitness footen. Da lobe ich mir jene abgeklärten Leute wie mich, die sich am mittleren Nachmittag bereits ziemlich erschöpft nach Hause schleppen, die dann noch eine zeitlang bei einer Tasse Kaffee herumhängen, um nach dem letzten Schluck gleich abzutauchen in ein Schläfchen, das gut und gerne zu einem stattlichen Schlaf werden kann. Das ist die Variante Morpheus.

Hier regnet es Fäden. Schon die ganze Nacht wollte es nicht aufhören. Vielleicht war vorher die Erde etwas trocken? Doch jetzt müsste es doch genug sein! Es ist kühl und unfreundlich, niemals so, wie man sich einen anständigen Juni nach Pfingsten erhofft hatte. Nächstes Wochenende kommt der Papa in die Schweiz. Hast Du das gewusst? Ich glaube, er kommt nach Bern. Und es ist eine einigermassen hitzige Diskussion entbrannt, ob der arme alte Mann nicht doch besser in Pension gehen sollte. Einige gutkatholischen Kreise haben das vorgeschlagen. Sie werden jetzt aber von der offiziellen Kirche geprügelt und geschlagen. Der Bischof von Basel hat sich beim Papst persönlich für diese Ideen, die in seinem Sprengel aufgekommen sind, entschuldigt. Und auch die Jugend findet es gut, wenn Papa bleibt. Er will uns zeigen, dass man auch im Alter dabei ist, dass man durchhalten muss bei Blut, Schweiss und Tränen.

Ich glaube, ich muss Dich lassen, Du hast wirklich viel zu tun.
Mlgukundso

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Sonntag, 24. Mai 2015

"till death do us part".


Ämne: RE: tour de suisse..

Lieber ...,
Deine Mails sind ein richtiges Aufputschmittel. Sie steigern meine Lebensgeister bis in den Himmel hinein. Deine lustige Beschreibung über den Tour de Suisse im Wallis ist so, dass ich sie an die ganze Welt versenden möchte. So was Perfektes kann man doch nicht als sein Eigentum verstecken. Aber ich weiss, wenn ich es nach Brasilien schicken würde, dann würde der alte Walliser verrückt werden, denn sicher hat auch er dort gestanden und dasselbe erlebt wie du.
Ja, wir haben noch Kontakt miteinander. Aber nicht täglich und auch nicht Wöchentlich. Er hat sich nun auch eine Digitalkamera gekauft und schickt wunderschöne Bilder von seiner Umgebung. Ich glaube wirklich, dass F..  das Paradis von Brasilien ist. Weil die Kriminalität dort im Verhältnis zum übrigen Land sehr gering ist möchten Leute, die Geld haben, gern dort wohnen. Und das Wetter soll auch idealisch sein. Vielleicht kommst du mal dorthin mit deiner www-gruppe. Klingt schön ein solches Projekt.
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Ja, offen gesagt bin ich auch etwas ängstlich, was unsere Zukunft betrifft. Nicht vielleicht für das kommende Jahr, wenn ich noch allein hier wohne in den Wochen. Aber dann später wenn ich immerzu jemanden um mich herum habe. Aber wir werden es überleben. Was mich besonders freut in deinem Mail ist deine Aussage:
"Ich war oft erstaunt, wie knapp Deine Mails ausgefallen waren immer dann, wenn ich mir ein besonders ausführliches gewünscht und ausgerechnet hatte, weil ich dachte, Du hättest viel Zeit."

Ich meine die Tatsache, dass du dir lange mails gewünscht hast. Ich glaube es ist auch so bei mir. Manchmal, wenn ich ganz sicher war, dass du mir sofort mit einem langen Mail antworten würdest, hast du ganz geschwiegen und meine Mailbox konnte sogar mehrere Tage leer sein.
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Ja, du hast recht. Ich verlasse diese Stelle nun ganz. Denn wenn ich noch halbzeit weiterarbeiten würde, bekäme ich, wie ich dir sagte, "halben Lohn" und würde mich doch voll beschäftigen. Als ich den Beschluss fasste, wusste ich noch nicht, wie richtig es war dies zu tun. Ich dachte ich würde mit einem neuen Angestellten, von dem wir wissen, dass er für Qualität und Ordnung sorgt, zusammenarbeiten. Aber ich glaube unser Direktor hat diesen Mann als eine Gefahr gesehen und hat stattdessen einen "nicht-Sprachlehrer", für den es nicht genug Stunden gab in seinen eigenen Fächern, als Deutschlehrer eingestellt.
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So werde ich in Zukunft das Gras wachsen sehen und Kartoffeln ernten, wie du so lustig sagst. Und ich werde vor allem aufräumen. Stell dir vor, hier liegen Dinge in den Schränken und Schubladen, die bis zu 30 Jahre alt sind. Ich muss Platz schaffen für Ks Sachen, wenn er nächstes Jahr hier einzieht. Ach, das wird eine grosse Umstellung werden. Aber ich hoffe dass wir eine "friedliche Koexistens" haben können.
Eigentlich beginne ich mich erst jetzt richtig zu freuen auf mein neues Dasein. Ich kann es noch nicht richtig fassen... aber langsam gewöhne ich mich an den Gedanken. Und irgendeine Beschäftigung werde ich schon finden, die mich auf Trab hält.. wie du es ausdrückst.

Ich muss bald zur Schule. Ich habe schon eine grosse grüne Mülltonne dort stehen, die ich füllen werde. Ich muss meinen Platz räumen, weil ihn vielleicht jemand schon im August braucht. Sonst arbeite ich ja noch bis zum 1. September. Auch meine beiden nächsten Kollegen werden das tun.
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Weisst du eigentlich wie sehr ich an dir hänge??? Du brauchst dich nicht zu ängstigen wegen der zukünftigen Mailerei. Ich bin ein treues Geschöpf, "till death do us part". :-) Und wenn die Gegenwart zu öde ist, so werde ich aus meinen Erinnerungen schöpfen und über meine alternative Leben erzählen, so wie du es letzthin getan hast. Reden mit dir werde ich immer wieder, die Frage ist nur ob du mir aufmerksam zuhören wirst. Männer werden mit dem Alter etwas taub. ;-)

Ich muss jetzt los. Sende dir liebe grüsse und wünsche dir einen schönen angenehmen Tag,
Mit S und K,
Malou

Samstag, 23. Mai 2015

Re: Blütenfrische


Subject: ein Tea Room im alten Visp 

Liebe Marlena
Die Blütenfrische hält an. Sie hält schon deshalb an, weil ich, ohne ein kleines Mail zu schreiben, gar nicht richtig in den Tag hineinkomme. Es ist wie ein dicker Vorhang, der da hängt. Und er ist schwer und träge und gibt kein Zeichen, was sich dahinter alles verbergen könnte. Es braucht in der Tat ein kleines Ritual, um um diesen schweren Vorhang herumzukommen.
Das erinnert mich an ein Tea Room im alten Visp. Tea Rooms waren zu meiner Jugendzeit im Wallis nocht nicht entdeckt. Es gab jede Menge Wirtschaften, die Wein und Bier ausschenkten. Und es war üblich, dass jeder mündige Bürger mindestens einmal im Tag dort vorbeiging. Besser nocht mehrere Male. Aber das war nichts für Frauen, vor allem nicht für Frauen, die allein ein Lokal aufsuchen wollten.
Aber in Visp gab es ein Tea Room. Es hiess Jäger, was ein häufiger Name war. Ursprünglich eigentlich aus Turtmann. An das Tea Room Jäger kam man geradewegs heran, wenn man vom Bahnhof an der Post vorbei herunterkam. Es lag an prominenter Stelle. Aber es war nur eine Fensterreihe. Man konnte nichts sehen. Und hinter der Eingangstüre hing ein schwerer Vorhang, so dass man nicht einfach hineinschauen konnte.
Für mich als Junge war das ein sehr geheimnisvolles Lokal, und wohl auch etwas anrüchig. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer dort drinnen sass. Etwa zwei oder drei mal stand ich an diesem Vorhang, aber ich konnte nichts sehen und wagte nicht, den dicken schweren Stoff - es muss ein lederartiger Filz gewesen sein - zurückzuschieben. Ich machte mir einfach bloss hocherotische Vorstellungen. Ich wusste, das hat etwas mit Erotik zu tun, etwas, wo sich die Frauen eher verstecken als zeigen, und wo die Männer unerkannt bleiben wollen. Das war bestimmt sehr übertrieben. Aber das Café Jäger sah ich als so eine Art Venus-Falle.

Erst viele Jahre später wurden zwei oder drei andere Tea Rooms eröffnet. Sie kamen richtig in Mode, nicht nur in Visp, überall. Und sie sahen alle ziemlich ähnlich aus und waren abends soviel wie leer, denn die Männer gingen weiterhin in die Wirtschaften. Und nur ab und zu sassen zwei oder drei Frauen, die nach dem Vereinsabend noch einen Schwatz wollten, nur dnn gingen sie in solch ein Tea Room.
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Immer noch ...

Freitag, 22. Mai 2015

Mittwoch, 20. Mai 2015

Perforationen




Subject: Perforationen...
Date: Mon, 28 Feb


Liebe Marlena

Heute ist Montag Morgen. Ich bin – halte dich fest – um 0600h auf den Zug gegangen. Es war noch stockdunkel. Die Fahrt nach L dauert ungefähr 10 Minuten. Alle im Zug haben noch gedöst oder geschlafen. Es waren vor allem Arbeiter, nehme ich an. Die Büroleute fahren erst um 0700 oder 0730h. Um diese frühe Zeit aber fahren die Arbeiter. Als ich in L. ausgestiegen bin, war es immer noch dunkel und etwas kühl. Neben dem Bahnhof liegt ein altes Haus mit Garten. Dort haben Vögel gepfiffen, als ob Frühling wäre. Wahrscheinlich haben sie sich gegenseitig Mut gemacht angesichts der kühlen Morgenluft. Das kann man eben anthropomorph anschauen. In der Tat ist der biologische Sinn des schönen Vogelgezwitschers die Rivalität, die Konkurrenz, das grosse Prinzip der Evolution, kurz the struggle of life.

Aber zurück ins stockfinstere L. Ich habe also diese Vögel in den muntersten Tönen singen gehört und die goldene Morgendämmerung über den Bergen gesehen. Dazu ergab sich das Gefühl, einer der ersten zu sein (The first bird catches the worm, pflegte mein Englischlehrer zu sagen). Das ist kein schlechtes Gefühl für den Montag Morgen. Ich hasse es, der letzte zu sein. Das kann ich nicht ausstehen.

Wenn ich so früh um 0615h ins Büro komme, dann mache ich mir als erstes einen dunkeln Kaffee. Vorher geht gar nichts. Und als zweites habe ich dann deinen schönen Brief aus dem PC gezaubert. Das war wirklich ein feiner und auch ein lieber Brief, eine schöne Überraschung an einem verzwitscherten, mit Morgenrot gesegneten Februarmorgen! Es ist absolut fantastisch, so früh schon einen freundlichen Brief öffnen zu können! Ich danke dir dafür, liebe Marlena, er hat mich sehr erhellt und positiv gestimmt. Er hat geradezu gegen meine Erkältung gewirkt wie Alkazyl. Alkazyl ist mein Standardmedikament bei Halsweh, Erkältung, Fieber, Kopfweh und so weiter. Es wirkt fast gegen alles. Vielleicht nicht gegen Liebeskummer (maladie d'amour, wie du so schön gesagt hast). Im Grunde habe ich zwei Standardmedikamente: Alkazyl und Alkaseltzer. Zweiteres wirkt gegen Magenverstimmung, wenn man zum Beispiel zuviel getrunken hat. Mit diesen zwei Mitteln komme ich praktisch durch das Leben. Damit kann ich mich meistens retten. Und langsam werde ich in Zukunft nun also Alkazyl durch Marlenas Mails ersetzen. Die Apotheken werden protestieren, und die Ärzte werden bedenklich ihre Stirn in Falten legen. Aber das ist gut so. Du hast gesagt, mein Brief wäre eigentlich ein trauriger Brief. Ich habe weder bemerkt noch gewollt. Ich glaube nicht, dass ich wirklich traurig war. Dieser Vanitas-Gedanke ist eher intellektuell, nicht sehr gefühlsmässig. Ich war einfach ein bisschen krank und reduziert. Dass du mich angesteckt haben könntest, war ein Scherz. Und ein Glückspilz war ich eigentlich auch nicht, denn am Wochenende krank zu sein ist eben so schlimm, wie während der Sportferien krank zu sein. Wahre Glückspilze aber sind während der Arbeitszeit krank. Aber es war ziemlich gut, einen Moment in deinen Armen zu liegen. Ich habe den Brief eben nochmals durchgelesen. Vielleicht weiss ich, was du meinst. Doch darin ist vielleicht eher ein weltanschaulicher Pessimismus als eine wirkliche Traurigkeit. Camus war ein philosophischer Pessimist, aber bestimmt kein trauriger Mensch. Oder irre ich mich da? Nun, ich bin natürlich kein Camus. Ich bin nicht in der mediterranen Sonne Algeriens aufgewachsen, die dir Vitamine gegen die Traurigkeit einzuimpfen pflegt. Nein, das bin ich wirklich nicht. Und sicherlich habe ich auch gelegentlich meine kleinen Depressionen, die habe ich sicher. Aber bei diesem Schreiben habe ich es kaum bemerkt. Doch das will ich gerne zugeben, dass andere Menschen manchmal mehr sehen und mehr merken als der Betroffene selbst.

Das Bild Bruegels hat es mir sehr angetan. Ist es nicht eines der schönsten Bilder europäischer Kultur? Ich glaube, Bosch hat auch irgendwo so ein Riesending gemalt. Und es ist ästhetisch in diesem Zweifel zwischen Optimismus und Pessimismus. Ist es eine Ruine oder bloss eine Baustelle? Wird noch gebaut oder wird schon abgebrochen? Geht's hinauf in den Himmel oder geht's doch eher zur Hölle? -- Manchmal, wenn ich Zeit habe, zeichne ich gelegentlich Cartoons. Und eine meiner Ideen war es vor einiger Zeit, diesen Turm Bruegels zu zeichnen, den fast jeder kennt, und dahinter ein riesiges Hochhaus, das noch um Einiges höher ist und weit über die Wolken hinausragt, auf dem die Reklame leuchtet: CONSULTING. Das finde ich einen guten Einfall, und du? Ich habe das Bild damals einem Freund geschenkt. Er ist Professor an der Universität Zürich und hat ein eigenes Institut zur Integration der Fakultäten und fachlichen Perspektiven. Er war begeistert und hat meine Zeichnung auf einen Regenschirm kopieren lassen, um sie jetzt den Leuten zu verteilen. Ich muss zwar sagen, dass die Zeichnung auf dem Schirm wirklich nicht mehr gut aussieht. Aber seine Begeisterung hat mich doch gefreut.

Der Turm Bruegels ist schon ein Renaissance-Turm, gross und die Welt sprengend. Eine wahre Attacke gegen Gott, gotteslästerlich, wie die Aufklärung auch, in ihren letzten Konsequenzen. Die mittelalterlichen Türme der Gotik sind dagegen bescheiden und brav, sehr menschlich und subaltern, runde Türmchen meist, die den Anschein des endlosen gottergebenen Zerfalls haben. Sie sehen in unseren modernen Augen ziemlich romantisch aus. Die Türme der Renaissance dagegen sind wie Capes Canaverals, hybride Installationen, die die Welt aus den Angeln zu werfen gedenken. Eigentlich sind sie skandalös. Aber schön! Ich liebe das Bild sehr, denn es gibt den Eindruck einer göttlichen Übersicht. Vom Himmel schauen wir hinunter auf diese Welt (dieser Gesichtspunkt ist vielleicht noch mittelalterlich und traditionell). So muss die Sache für den lieben Gott ausgesehen haben, als der Montag morgens das Fenster öffnete, um sein Bettzeug zu durchlüften und sein Nachthemd auszuschütteln. Wahrscheinlich ist er ziemlich heftig erschrocken, eine solchen Backsteinhaufen vor seinem Schlafzimmerfenster vorzufinden. „Skandalös", muss er in den langen Bart gemurmelt haben, und irritiert nach Petrus geleutet haben. Die babylonische Sprachverwirrung kann man durchaus als Rache Gottes gegen die menschliche Hybris verstehen. Aus Sicht des Allmächtigen ist wirklich nicht einzusehen, warum die kleinen Dinger, die Menschen, jetzt plötzlich in den Himmel klettern sollten?

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Habe ich dich wirklich mit Fragen bombardiert? Ich weiss ich weiss, ich hätte noch viele mehr davon gehabt. Anfangs dachte ich, du magst das nicht, wenn ich direkte Fragen stelle. Aber dann hast du dich doch gewundert, warum ich zur Bemerkung, deine Mutter wäre das „schwarze Schaf" gewesen, nicht gefragt hätte. Also, abgemacht, ich frage, soviel ich Lust habe. Ich perforiere dich wie in einem Western-Film, wenn ich Lust dazu habe. Und du antwortest, soviel du Lust hast. Und das ganze umgekehrt. Ich habe viele Fragen, weil mich das Leben interessiert. In den letzten Jahren habe ich viele Biographien gelesen, um irgendwie ein Verständnis für das Leben, dh. das biographische Leben zu bekommen. Ich habe mir vor allem Biographien von Malern angeschaut. Denn bei den Malern kann man das Leben und ihre Arbeit noch im Nachhinein vergleichen. Man hat die Biographie und man hat die Werke. Und das ergibt doch irgendwie ein ziemlich umfassendes Bild. Nicht wissenschaftlich habe ich das studiert, nur so, halb zum Zeitvertreib. So habe ich natürlich auch zu deinem Leben viele Fragen. Geschichten und Lebensgeschichten sind natürlicherweise interessant. Geschichten sind das Leben. Die Perser können tagelang Geschichten erzählen. Manchmal fragt man sich, warum sie es erzählen, denn viele haben für unser Empfinden keine Pointe. Doch wenn es gute Geschichten sind, wird allen klar, warum sie erzählt werden. Geschichten können sogar heilen, haben wir von Scheherzade gelernt. Und wir beide – du und ich - haben den Vorteil, dass wir uns nur per Mail kennen. Beim Mail kann man sich die Fragen auswählen, die man beantworten will. Die anderen übergeht man einfach. Im Gespräch wäre das nicht gar so einfach. Dort wäre es geradezu ein Affront, aber im Mail ist es ok!

Im Moment lese ich ein Büchlein von einem Landsmann von dir. Es ist für Jugendliche geschrieben, und ich soll eine Rezension verfassen. Der Originaltitel heisst „Meningen Med Livet", ist von Ragnar Ohlsson geschrieben und bei Alfabeta Bokförlag AB Stockholm 1998 erschienen. Der Autor ist offenbar Professor für politische Philosophie und normative Ethik an der Universität Stockholm. Er beschäftigt sich unter anderem mit Philosophie für Kinder, was ja auch dein Thema ist! Ich kann dir noch nicht viel über dieses Büchlein sagen, denn ich habe mit der Lektüre erst angefangen. Es scheint mir ziemlich gut kalkuliert und klar aufgebaut. Es geht dabei um Willensfreiheit, also um menschliche Verantwortung, um Ethik also, aber auch um den Sinn des Lebens. Aber ich werde mich sicherlich hüten, über einen schwedischen Professor eine schlechte Kritik in die Welt zu setzen. Dir zuliebe! Vielleicht kann sich Herr Ohlsson dann einmal bei dir bedanken, vielleicht!

So komme ich bei meinem Montags-Brief langsam zum Ende. Ich weiss noch nicht, wie die Woche laufen wird. Ich fühle mich immer noch krank. Vielleicht brauche ich noch ein oder zwei Alkazyl. Also sieh dich vor, Marlena. Vielleicht bin ich bis Mittwoch wirklich im Bett und damit endgültig ein Glückspilz. Vielleicht.

Ich wünsche dir eine gute Zeit und sende einen lieben Gruss
...

Dienstag, 19. Mai 2015

Pausenbild

gestern im Garten



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Freitag, 15. Mai 2015

ein Nicht-Ereignis im Wallis



Ämne:  Tour de Suisse

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Gerade habe ich auf der Frontseite der NZZ, die bei mir immer als 1. Seite im www erscheint, gesehen, ...  dass die Tour de Suisse gestern hier vorbei gefahren war. Ich habe davon auch nicht den leisesten Eindruck erhalten. Aber ich erinnere mich an Tour de Suisse Durchfahrten im Wallis. Im beschaulichen Tal war ja eigentlich nicht viel los. Und wenn schon mal ein nationales Ereignis von dieser Grössenordnung angesagt war, waren alle, und besonders wir Kinder aus dem Häuschen. Und so standen wir dann stundenlang an der Kantonsstrasse, schauten staunend den plärrenden Lautsprecherfahrzeugen nach, die vorbei glitten, und warteten auf die Fahrer, die noch kommen sollten. Immer hiess es, dass sie gleich kämen. Und jedes neue Lautsprecherfahrzeug jagte uns den Puls wieder in die Höhe, nachdem man die Hoffnung schon ein wenig aufgegeben hatte. Und dann, nach vielleicht 2 Stunden, als man wirklich nichts mehr erwartete und nur noch herumstand, weil alle anderen Leute auch herumstanden, als man sich schon wieder auf den Rest des Tages zu konzentrieren begann, erst dann kam mäuschenstill und in Windeseile ein Schwarm von Velofahrern. Die älteren Leute, die wussten, worum es sich hier handelte, klatschten, riefen vielleicht hopp schwiiz, hopp schwiiz, und in aller Stille war dieser farbige strampelnde Schwarm vorbei. Man konnte es nicht glauben, dass das jetzt die Tour de Suisse gewesen sein sollte. Ich meine, hör Dir doch mal diesen Namen an: TOUR DE SUISSE. Ich meine, das klingt doch nach etwas. Aber es war das absolute Nicht-Ereignis, ‚much ado about nothing’ würde der olle Shakespeare sagen. Ich habe das als Junge vielleicht zwei- oder dreimal erlebt. Und ich war jedes Mal bis über die Ohren frustriert und habe schwer an der Vernunft der Erwachsenen zu zweifeln begonnen. So bestand keine Gefahr, dass ich hier in Liestal an die Strasse stehen würde, um auf die Tour de Suisse zu warten. Wirklich keine Gefahr.

Donnerstag, 14. Mai 2015

Sonntag, 10. Mai 2015

Für dich ...






Liebe Marlena
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Ich habe dir meine erste Liebesgeschichte versprochen, ich glaube nicht, dass ich sie sonst je schon jemandem erzählt hätte. Für dich Marlena mach ich das und ein bisschen auch für mich. Hier ist sie. Sie endet eigentlich ein bisschen traurig. Und sie spielt in Lenzburg.
Leider kann ich dir nicht sagen, wie sie hiess. Hiess sie Vreni? Es könnte sein. Doch als ich älter war, hatte ich immer eine gewisse Abneigung gegen diesen Namen. Ihren Familiennamen aber weiss ich noch. Sie war damals ungefähr ein Kopf kleiner als ich, hatte wundervolles kastanienbraunes Haar, das hinten zu einem Schwänzchen zusammengebunden war. Mein Leben lang sollte ich dann für solche Schwänze eine Schwäche haben. Fast die ganze Jugendzeit unterschied ich zwischen Kameradinnen mit Schwänzchen und Kameradinnen ohne Schwänzchen. Es grenzte an Rassismus!
Meine Vreni besuchte wie ich die zweite Klasse im grossen Schulhaus bei Frau H. im Zentrum der Stadt L, wo wir damals wohnten. Wir selbst wohnten am Fusse des schönen Schlossbergs, in einem riesengrossen Haus mit einem unendlich weitläufigen Garten, der am Schlosshang auf mehreren Etagen angeordnet war. Hier, im Nachbarhaus, hatte früher einmal der grosse Dichter Frank Wedekind gewohnt. Dessen Vater war um die Jahrhundertwende noch Besitzer des Schlosses gewesen und Wedekind hatte die Schulen im Ort und schliesslich die Kantonsschule von Aarau besucht. Aber Wedekind war ein schwieriger Sohn mit heftigen pubertären Ausbrüchen und wilden erotischen Fantasien. Ich habe mich nie überwinden können, wirklich etwas von ihm zu lesen. Obwohl er im Grunde ein Zeitgenosse Rilkes gewesen ist. Beide lebten sie am Ende des letzten Jahrhunderts. Wahrscheinlich war Wedekind etwas jünger?
Ein Junge mit wüsten erotischen Fantasien war ich nun ja in der zweiten Klasse noch nicht. Mein Problem war allerdings, dass Vreni am anderen Ende der grossflächigen Ortschaft wohnte. Ich wusste damals, als kleiner Zweitklässler, nicht, wo das war. Aber später konnte ich feststellen, dass sie täglich einen ziemlich ähnlich weiten Schulweg zu gehen hatte, wie ich ihn auch ging. Ich musste den alten Markt hinunter, dann über den Kirchplatz und an der Post vorbei, um den kleinen Weg zu erreichen, der dann über den Aabach direkt und geradewegs zum Haupteingang des grossen Schulhauses führte. Das grosse Haus, das man in gut zwei Stunden bestens als Militärkaserne hätte einrichten können, stand erhöht am Ende dieses Weges, der schliesslich über eine Treppe auf dem Schulhof endete. Und wenn man diese hohe und disziplinierte Fassade anschaute, so konnte einem kleinen Zweitklässler schon ein Schauer über den Rücken gehen. Wenn ich heute ein Schulhaus zeichne, so zeichne ich dieses Schulhaus mit dieser monströsen Fassade, die wenig Erbarmen zeigte.
Vreni kam nun aber von der Aarauerstrasse her, von der Hinterseite also, und musste kurz vor dem Schulhaus noch die bewachten Geleise der Seetalbahn überqueren. Die Seetalbahn konnte man oft während des Unterrichtes hören, denn bevor sie diesen Übergang passierte, pflegte sie einen fröhlichen Pfiff in die Luft zu lassen. Und wenn wir im Unterricht der zweiten Klasse sassen und schwer mit Buchstaben und Additionen bis etwa 100 kämpften, so war so ein Pfiff wie ein rettender Beweis, dass es die Welt draussen auch noch gab. Es war wie der aufmunternde Zuruf, dass dieser unendlich lange Vormittag doch irgendwann zu Ende gehen würde, und dass wir dann wieder hinaus in die Welt konnten, um richtig durchzutamten. Es hatte auf diesem grossen Pausenhof riesige rote Buchen, die ja sehr schöne Bäume sind. Und im Spätsommer pflegten diese kleinen Nüsschen auf dem Boden zu liegen, mit den drei Kanten. Man biss sie auf einer seite auf und konnte darin ein wintzigkleines Nüsschen finden. Winzigklein, zugegeben, schmeckte aber prächtig.
Ich mochte Vreni, und ich glaube sagen zu können, dass sie mich auch mochte. Das war schon einmal ein wunderbares Gefühl. Sowas Feines hatte ich bis dahin im Sandkasten und in unserem grossen Garten noch nicht erlebt, diese wunderbare Übereinstimmung mit einem anderen Menschen. Es war das selige Gefühl, dass da ein anderer Mensch war, der ebenso fühlte, der ebenso in die Schule gehen musste, der Ähnliches im Sinn hatte.
Ich war kein besonders guter Zweitklässler. Manchmal war ich etwas Vorlaut. Ich erinnere mich, dass ich der Lehrerin einmal "Viel Vergnügen" wünschte, als sie vorzeitig aus dem Unterricht weg musste. Und sie klärte mich kurz auf, dass diese Formulierung schlecht passte, wenn jemand zu einem Begräbnis gehen musste. Ein mal las die Lehrerin ein Gedicht vor, und wollte uns Kinder fragen, ob wir es auch verstanden hatten. Wir waren etwa 40 Schüler in dieser Klasse. Und keiner hatte es wirklich verstanden. Aber ich hob keck die Hand und gab eine Interpretation. Sie muss ein bisschen eigenwillig gewesen sein. Wenn ich mich richtig erinnere, hat die Miene der Lehrerin nicht angezeigt, dass sie meinen Lichtblick bewundert hätte. Aber immerhin hatte ich den Mut, denn all die anderen 39 sassen mausestill und wollten dieses kleine Gedichtlein (...) Reni und ich üblicherweise noch ein Stück zusammen, obwohl wir ja nun absolut nicht den gleichen Schulweg hatten. Als Gentleman begleitete ich sie in ihre Richtung bis zum Turnplatz. Der Platz war wunderbar. Er war umgeben von Linden und wenn es regnete oder kurz vorher geregnet hatte, so war hier alles tropfnass und klebte, wohin man trat. Auf diesem Rasen verbrachten wir noch ein paar Minuten, oder waren es Viertelstunden? Wir vergnügten uns am Reck, machten Überschläge und hangelten an den Stangen herum, sprangen in die Erdkissen, bis die Schuhe voller Sand waren. Und irgendeinmal, vielleicht nach einer halben Stunde trennten wir uns dann. Sie ging die Aarauerstrasse hinaus mit ihrem kecken Schwänzchen, das lustig hin und her baumelte, in eine unbekannte Welt, die ich nicht kannte. Und ich ging dann eben die Aarauerstrasse hinein Richtung Stadt. Beim Kino konnte ich so noch die grossen Fotoauslagen anschauen. Sie waren schwarz-weiss, aber sehr eindrucksvoll. Man konnte auch sehen, dass die Frauen, mit ihren dunkeln Lippen, ziemlich dick aufgetragen hatten.
So hatte ich mit Vreni eine stille Freundschaft, und wahrscheinlich wusste ausser uns zweien niemand auf der Welt davon. Allerdings, das sollte anders kommen. Einmal, an einem freien Nachmittag schickte mich meine Mutter in die Wisa-Gloria, wo ich unser Dreirad-Velo holen sollte, das man dort wieder in Stand gestellt hatte. Das war eine interessante Aufgabe, fand ich, denn einen solch weiten Weg mit dem Velo zu fahren, das versprach einige Abenteuer. Auf dem Rückweg von der Fabrik mit meinem kleinen Velo nahm ich nicht gleich den direkten Weg. Und irgendwie landete ich in der Nähe der Post. Neben der Post lag zu dieser Zeit ein grosses Lager an Bauholz. Hier wurde irgendwie gearbeitet. Und mein Glück wollte, dass auch Vreni hier war. Meine Erinnerungen um diese Situation sind sehr dunkel. Aber irgendwoe taucht da so ein Licht auf. Und meine kleine Geliebte lud mich ein, mit einem riesigen gelben Lastwagen mitzufahren. Erst später erfuhr ich genauer, dass ihr Vater ein grosses Baugeschäft hatte. Unter seinem Namen fuhren in Lenzburg etliche Lastwagen und Baumaschinen und Walzen umher. Eine solche Einladung konnte ich mir nicht entgehen lassen. So stellte ich mein Velo rasch unter eine kleine Holzbeige und kletterte hoch hinauf in diese riesige Fahrerkabine des laut ratternden Lastwagens. Das war ein strammes Gefühl! Alles rundum war zwar ein bisschen gross und ein bisschen grob, man konnte sich kaum halten, und alles wackelte und vibrierte und lärmte und man konnte kaum hinunter auf die Strasse sehen. Wir zwei Kinder wackelten auf dem riesigen Ledersitz hin und her und rutschten bei jeder Kurve in eine andere Ecke. Vreni gab sich so, als ob sie tagtäglich solche Fahrten unternehmen würde. Sie war aber ganz und gar nicht überheblich, zeigte keinen Ansatz von Überlegenheit, sondern half mir da und dort, informierte mich wie selbstverständlich, zeigte mir dies und jenes. Und ich war einfach Auge und Ohr und schaute diesem Chauffeur zu, wie er auf der schmalen Strasse hoch oben vorankam und schaute in die grüne Landschaft hinaus, die schüttelte und so unwirklich daherkam. Wir fuhren in irgend eine Kiesgrube in der Nähe Lenzburgs. Und ich vergass mich völlig und staunte rundum und - wenn ich ehrlich sein sollte - vergass auch ein bisschen meine Vreni, die galante junge Gastgeberin.
Keine Ahnung, wie lange dieses grosse Ereignis gedauert hatte. Doch als wir wieder zuruckkamen, fand ich mein kleines Velo verbogen und kaputt unter der Holzbeige. Es war nicht mehr zu fahren. Irgendwelche älteren Buben, wohl die aus der berüchtigten Eisengasse, sie mussten es benutzt und kaputtgefahren haben. Ich hatte keine Ahnung, ob dieser Defekt schlimm war oder nicht so schlimm war. Auf jeden Fall war es nicht mehr zu gebrauchen. Ich musste es zu Fuss heimschleppen. Und das war schon ein Stück weg und es hatte bestimmt schon vier oder gar fünf Uhr geschlagen. Klammheimlich versorgte ich den Schrott im Schopf hinter dem Haus, ohne auch nur irgend jemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen. Dass dieses Velo gleich wieder in die Wisa-Gloria zur erneuten Reparatur musste, das stellte meine Mutter erst ein paar Tage später mit Erstaunen und einigem Ärger fest. Man muss annehmen, dass sie mich bei dieser Gelegenheit unter ein hartes Verhör genommen hatte. Doch daran kann ich mich nun ganz und gar nicht mehr erinnern.
Kurz vor Weihnachten in der zweiten Klasse zogen wir dann von L. ins Wallis, in diese wilde Landschaft mit viel Schnee und Häuser mit steinigen Dächern. So habe ich meine Vreni aus den Augen verloren.
Später, viele Jahre später, als meine Mutter bereits tot war, habe ich zufällig in einer Zeitung die Meldung gelesen, dass diese Vreni auf der Aarauerstrasse von einem Auto angefahren und tödlich verletzt worden war. Damals wurden in den Zeitungen noch Namen genannt. Ich war geschockt, diesen Namen in diesem traurigen Zusammenhang wieder lesen zu müssen. Ich, und auch sie folgedessen, muss etwa im Pubertätsalter gewesen sein. Unsere Mutter war gestorben, meine erste Freundin war gestorben. Ich hatte eine zeitlang die Vorstellung, was immer ich liebe, es würde zugrunde gehen müssen.
Das ist ein trauriges Ende. Doch die kleine Liebe war schön und frisch und kindlich vergnügt gewesen.
Erzähl mir bei Gelegenheit von deiner Trauer? Ich bin deswegen ein bisschen in Sorge, obwohl ich keine Ahnung habe, was da zum Vorschein kommen könnte.
Ich wünsche dir eine wunderschöne Zeit mit deinen Lieben, Marlena.
Mit einem schönen Gruss
...

Freitag, 8. Mai 2015

im Beyeler Museum


Liebe Marlena
---
Ich war vorgestern im Beyeler Museum. Das ist jenes Privatmuseum in der Nähe Basels, ein wunderschöner Bau mit meist ausgezeichneten Ausstellungen. Doch es hat nur so gewimmelt von Leuten. Das mag ich nicht. Wenn man sich schon in der Garderobe gegenseitig in die Quere kommt, och, das mag ich überhaupt nicht. Aber schliesslich haben sich die vielen Leute in den grossen Räumen verteilt. Und es war eigentlich nichts Aussergewöhnliches zu sehen. Die Standardausstellung Beyelers mit einigen Giacomettis, ein paar Impressionisten, Picassos, Klees etc. Aber dann gab es da noch eine Ausstellung der Kunstsammlung der UBS. Die hatte ich noch nie gesehen. Es gab ein grosses Bild von Lucian Freud, du kennst ihn. Ich mag ihn eigentlich nur wegen seiner Technik. Die Bilder könnte ich zuhause nicht aufhängen, obwohl seine Porträts sicherlich nicht schlecht sind. Aber diese Nackporträts mag ich nur, weil ich sein Können und vielleicht noch ein bisschen seinen Mut bewundere. Er hat einen guten Dreh gefunden, Fleisch darzustellen. Und das ist bestimmt nicht allzu leicht. Stell dir vor: Fleisch, das bloss so rosa aussieht. Wie kann man es plastisch darstellen, so dass das Knochengerüst durchscheint, und dass man neben den Licht und Schatteneffekten auch noch die Adern darunter sieht. Das macht er nicht schlecht. Und die Leute, die er malt, sind auch keine schönen Menschen. Und dann liegen sie so ausgebreitet da wie die Tiere. Da steht er vielleicht in der Tradition seines grossen Onkels?

Kurz und gut, ich habe diesen Lucian Freud mehr oder weniger übergangen und habe mir die anderen Stücke der UBS angeschaut.



(30 December 2005)


Donnerstag, 7. Mai 2015

unser Kontrakt


Liebe Marlena
Weißt du, was es ist? In der normalen Alltagsehe vermisst man die Komplimente. In einer virtuellen Mausfreundschaft gibt es jede Menge davon. Vielleicht ist dies eines der Geheimnisse?
Ich hoffe, dass unser Kontakt uns beide von innen erleuchtet, so dass wir, du in Stockholm und ich hier, für unsere Familien und unsere Leute der Umgebung eine geheinmisvolle Serenität (Heiterkeit, ich hab das deutsche Wort im Wörterbuch nachgeschaut) ausstrahlen können. Das ist doch ein guter Zielparagraph für unseren Kontrakt, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das blendend!
Mit einem lieben Gruss und zwei Küssen
...

Re: Warum denn auch?

Lieber Mausfreund!
Ist das ein Kontrakt für unsere "Internetfreundschaft"? Diesen
Paragraphen kann ich voll akzeptieren :-) Es darf nie etwas
Negatives für unsere Nahstehenden bedeuten. Tut es ja auch nicht.
Im Gegenteil, es ist wie du sagst, wenn man Liebe erhält kann man
auch Liebe verschenken.

Den einen Kuss schicke ich dir hiermit zurück!
Brauche doch nur einen ;-)

Wünsch dir noch einen schönen Abend und vergiss nicht
deiner Tochter zu gratulieren! War es nicht heute?

Machs gut, mein Mausfreund

PS Der Brief mit der ûberschrift: Narcissmen enthält deine
Sturmwarnung. Natürlich habe ich sie missverstanden.
War doch nur platonisch gemeint. Oder vielleicht
platonisch getarnt?
Marlena




(den 28 mars 2000)



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Mittwoch, 6. Mai 2015

Beichte?


Oh, du mein lieber Mausfreund!
Was habe ich nur angestellt!? Deine wunderschönen Briefe, die ich über alles schätze .. und du glaubst dass sie mir nicht gefallen? Eigentlich fühle ich mich im Moment sehr eingeengt. Weiss nicht richtig wie ich mich aus dieser verstrickten Situation retten soll.

Soll ich es mit Spass versuchen?

Also, ich bin sehr monogam. Aber du hast es etwas falsch verstanden. Monogam für mich bedeutet: nur ein Ehemann, ein Geliebter und ein Mausfreund. Gern würde ich natürlich diese drei in einer Person sehen - und vielleicht wäre es sogar möglich in einer "Internet-Ehe" wie du sie nennst. Du wirst vielleicht protestieren und sagen dass es bei 2000 Km eine Unmöglichkeit ist. Nun, ich weiss nicht..

Ich kann natürlich die "Lady-rolle" wählen.
Die Rolle der Hohen Fraue oder wie es hiess. Mich von dir besingen lassen (beschreiben in diesem Fall) und immer in meinem Turm bleiben. (Schon wieder einer!!! ;-))
Kennst du übrigens das schöne mittelalterliche Gedicht:

Du bist min
Ich bin din
Des sollt du gewiss sin
Du bist beslozzen in minen Herzen
Verloren ist das Slüzzelin
Du musst immer drin sin

Ich weiss nicht mehr ob es so geschrieben wird. Es hat mir schon immer gefallen.


Oder soll ich ernst sein und dir verraten was du vielleicht (als guter Psychologe) schon lange weißt? Auch ich habe angefangen, dich zu lieben.
Hörst du die Sirenen?


Es gibt noch die vierte Möglichkeit: Die seriöse Studienrätin zu spielen die an eurem Schulsystem und vielleicht etwas an Rilke interessiert ist.

Aber weißt du, mein lieber Mausfreund. Eigentlich kannst du alle vier zusammensetzen und du bekommst vielleicht das wahrste Bild von mir.

Es gibt so viel was ich dir noch erzählen möchte. Z.B. von dem schwedischen Sommer oben im Norden wo es nie Nacht wird, von den Wolken am Rande meines Lebens und von allen alltäglichen Dingen die mir so in den Sinn kommen..

Ich habe heute etwas mehr Zeit denn eine meiner Klassen ist diese Woche in Belgien. Würde dir gern mehr schreiben (vielleicht heute Abend) aber schicke dir nun zuerst dieses kleine Mail was vielleicht mehr sagt als alle vorherigen..

Hast du deinen Nachmittagskaffe mit mir getrunken?
Schreib mir ein paar Zeilen bitte
Marlena


(den 27 mars 2000)

Montag, 4. Mai 2015

ein Männerclub


Liebe Marlena,
...
Dieses ist einer der interessantesten Aspekte in einem solchen
Männerclub: Zu sehen, wie Männer unter sich sind und alt und
älter werden. Das ist ein schlagendes Argument, zu dem Du mir
sicherlich Recht geben wirst. Ein solches Männerexperiment ist
interessant und rührend, bisweilen lehrreich, manchmal angenehm,
oft bemerkenswert, fast immer sehr kalorienreich. Man könnte
behaupten, es sei extrem altmodisch, einer mono-geschlechtlichen
Vereinigung anzugehören, ähnlich dem katholischen Klerus oder der
Fremdenlegion. Und vielleicht ist es das auch. Die amerikanischen
Clubs haben meist auch Damen in ihren Reihen. Und in den Statuten
unserer Vereinigung ist vor einigen Jahren sichergestellt worden,
dass wir Damen nicht ausschliessen. Das wäre eine Menschenrechts-
verletzung oder ähnlich, haben die Amerikaner gedroht. Wir haben
dann auch in unserem Club abgestimmt darüber, ob wir ihn für Damen
öffnen sollten.
Ich war damals eigentlich dafür, denn ich habe gedacht, dass die
Atmosphäre sich nur verbessern könnte, wenn noch einige tüchtige,
interessante und womöglich hübsche Damen unter uns sässen. Doch
meine älteren Kollegen haben blendend dagegen argumentiert. Sie
sagten, sie wären für die Aufnahme von Damen in den Club, doch
unseren eigenen Frauen sei das nicht zuzumuten. Sie würden
eifersüchtig werden, beleidigt, empört oder wie immer. So haben
wir beschlossen, in unseren Club die Sessel für Damen vakant zu
behalten und uns stattdessen für einen separaten Damenclub
einzusetzen. Es gibt ihn mittlerweile, und gelegentlich besuchen
wir uns gegenseitig. Und ich konnte feststellen, dass sie nicht alle
so tüchtig, so interessant und so hübsch sind.
*
Ich wünsche Dir einen schönen Tag.
Mit einem lieben Gruss
...

Sonntag, 3. Mai 2015

Herbst ... (des Lebens)


Ämne: Late again..


Lieber ...,
Du beobachtest also deine alternden Clubfreunde, nimmst sie richtig unter die Lupe und spiegelst dich vielleicht auch in ihnen. Ich weiss nicht ob ich mich so gern von dir beobachten lassen würde. Ich denke manchmal du bist hart in deinem Urteil über die Menschen. Vielleicht haben sie sogar Angst vor dir und deinem forschenden Blick. Das würde ich sie gern fragen.
Aber es ist so. Ich tue es ja auch. Studiere die anderen und sehe wie sie älter werden, ich möchte sagen wie schnell sie altern. Aber vielleicht sind sie gerade in einem Alter wo sich Leute wirklich verändern. Der Herbst ihres Lebens beginnt. Bei meinen Kollegen glaube ich auch dass der grosse Stress dazu beiträgt dass sie manchmal grau und müde aussehen. Und wie schön jung sie aussehen können wenn sie lachen und sich ein bisschen entspannen.
Morgen Abend werde ich sie wohl so sehen. Da treffen sich wieder alle Surströmmingsenthusiasten bei Åke zu einem stinkenden Fest. Hast du schon einmal den Geruch erlebt? Vielleicht sollte ich dir eine Dose schicken? Aber der Zoll würde reagieren - denn die Büchsen können ziemlich explosiv aussehen. Die meisten Leute lassen morgen Abend das Auto stehen und kommen per Bus oder Zug. Warum wohl?
---
Nicholson hat angerufen. Er und ein anderer meiner früheren Kollegen wollen anscheinend "nicht ins Glas spucken" und haben gefragt ob ich sie eventuell nach dem Fest zum Bahnhof bringen könnte. Und da ich sowieso da vorbeifahre und M absetze, die gleich gegenüber vom Bahnhof wohnt, ist es kein Problem. Wir haben uns auch ein wenig über Literatur unterhalten. Die grossen Russen, Updike, de Botton.. Von dem letzteren hatte er noch nichts gelesen. Von Updike erzählte er es sei der absolute Favorit von D, dem Chefredakteur der Kulturseite. Ich hatte D fast vergessen. Er gehörte damals zu meinem Freundenkreis und war mit in dem Festkommitté von dem ich dir mal erzählt habe. Er ist ein sehr sympathischer Mensch und war rundum beliebt. Dass er denselben Geschmack hat wie du erhöht natürlich seinen Status noch mehr.

Die Einstellung der Frauen der Clubmitglieder kann ich schon verstehen. Dabei erinnere ich mich dass wir an dem ersten Gymnasium wo ich arbeitete ein monatliches Treffen hatten das unter dem Namen "Samuel" ging. In diesem Samuel trafen sich die weiblichen Kollegen und die Frauen der männlichen Kollegen. So hatten die späteren die Möglichkeit zu sehen welchen Gefahren ihre echten Hälften ausgesetzt waren. ;-)

Ach, das ist wirklich ein komisches Mail geworden. Und der Whisky? Von dem hätte ich jetzt gern einen Schluck getrunken.

Ich muss ins Bett denn morgen beginne ich sehr früh. Sei herzlich gegrüsst, mein lieber Mausfreund, und lass mich nicht hungern.
Marlena

Samstag, 2. Mai 2015

Ach nein ...


Lieber ...,
---
Ach nein, du langweilst mich doch nicht. Im Gegenteil. Ich finde es interessant, was du mir von Petrarca erzählst. Ich bin dann auch zu unserem alten Lexikon gegangen und habe nachgesehen, was sie über P schreiben. Und wenn ich dieses alte Buch konsultiere dann glaube ich zu verstehen was du meinst. Denn obwohl das Buch so spät wie 1915 geschrieben ist, so überrascht es mich immer, wie anders man damals mit den Worten umging. Alles scheint so ganz konkret und ohne Verstellung geschrieben. Man nennt Dinge bei ihrem richtigen Namen. Heutzutage muss man den geheimen Code kennen um die wirkliche Bedeutung eines Textes verstehen zu können.
Ich lese u.a. ”Nach dem Vorbild von Cicero und Seneca hob er das Briefschreiben zu einer wirklichen Kunst; man schätzte sich glücklich Briefe von ihm zu erhalten ...” Ich glaube du bist ein moderner Petrarca. Weisst du übrigens, dass P. und sein Bruder beide geistliche waren. Aber das war zu einer Zeit, wo man als Geistlicher keineswegs auf weltlichen Genuss verzichten musste.
Nein, mein lieber Maufreund, ich habe nichts dagegen, dass du mich ins späte Mittelalter zurückführst und mit P bekannt machst. Ich verstehe deine Begeisterung.

(---)

Es gibt übrigens eine deutsche Übersetzung von Petrarcas Gedichten an Laura. Aber sie soll nicht besonders gelungen sein. Ich wäre bereit Italienisch zu lernen nur um sie im Orginal lesen zu können. So sage ich auch manchmal meinen Schülern: der äusserste Sinn des Sprachenlernens ist, dass man Poesi in der Originalsprache lesen kann. Andere Dinge kann man meistens gut in Übersetzungen lesen.


Ich grüsse dich lieb und wünsche dir einen schönen Wochenanfang.
Marlena

Etwas Schockierendes


Liebe Marlena
...
Ich habe kürzlich ein Bildband gekauft über Lucian Freud. Vielleicht
hast du von ihm gehört. Er ist ein Enkel des berühmten Sigmund Freud,
lebt in England, und hat sich einen Namen als Porträtmaler gemacht.
Und dabei macht er seinem Grossväterchen grosse Ehre. Er malt seine
Figuren so nackt, wie man sie kaum je gesehen hat. Das Fleisch springt
einem aus den Bildern derart entgegen, wie es bloss noch bei Sigmund
aus seiner Psychoanalyse geschehen ist. Die Gemälde haben etwas
Schockierendes an sich. Sie versetzen den Zuschauer in die Rolle des
vorwitzigen Voyeuristen, weil die Modelle derart offen daliegen.
Vielleicht ist es das erste Mal, dass auch Männer sich derart exponieren
und ihre Dinger zeigen, wie man das noch niemals auf Bildern gesehen
hat. Im ersten Moment wirkt es widerlich. Bei weiblichen Figuren sind
wir das mehr gewohnt, denn da führt die Malerei eine lange Tradition
fort. Aber das Männer derart die Beine spreizen, das ist unerhört,oder
besser unersehen (kein gängiges deutsches Wort). Ich glaube, zur Zeit
hat Freud eine grosse Ausstellung in der Tate in London. Und einen
Moment lang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, nach London zu
fliegen, um das anzuschauen. Vielleicht findest Du im Internet ein
oder zwei Beispiele von diesem Maler.
Ist er nicht gerade 80 geworden?
*
Oktober 2002

Re:  Ja, es gibt viele Bilder von ihm im Internet,
z.B.  hier

Freitag, 1. Mai 2015

O wie herrlich die Maisonne lächelt




O wie herrlich die Maisonne lächelt

 doch heute nur ein sparsames Lächeln







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