Ämne: 3. Tag
Datum: den 22 augusti 07:40
Liebe Marlena
Heute hatte ich mir Midtown vorgenommen. Ich bin zu Fuss bis hinauf zur Grand General Station gepilgert. Auf dem Weg gab es einige Kleinigkeiten wie das Flatironhaus, das man immer wieder abgebildet sieht, den Washington Square Park, wo der alte George auf einem Gaul sitzt und locker-lässig die rechte Hand ausstreckt, um den nachkommenden Generationen den Weg zu weisen. Er macht es - das wollen wir nicht unterschlagen - ein wenig Marc Aurel auf dem Kapitol in Rom nach. Der Union Square scheint das Billighotel der Stadt. Es gibt auf den langen Bankreihen jede Menge Penner, die noch nicht alle so früh Tagwache haben. Oft haben sie ihre ganze Habe in Plastiksäcken rund um die Beine stationiert, was wahrscheinlich auch hilft, das Terrain abzustecken. Aber Penner, die wirklich was auf sich geben, schlafen nicht hier, sondern in der Park Avenue. Die hat ein anderes Niveau. Der kleine Gramercy Park war mit einem eisernen Geländer umgeben und noch geschlossen. Offenbar können die Anlieger mit einem Schlüssel eintreten. Zwei Damen haben dort ihren Morgenkaffee getrunken. Und rundum haben die Hörnchen gespielt und sind übermütig herumgetollt. Es ist lustig, sie ziehen den Schwanz steif hinter sich her wie eine Schleppe, die sie knapp über den ungeschnittenen Rasen schweben lassen. Sie sehen eigentlich aus wie unsere Eichhörnchen. Nur die Schwänze sind ein bisschen schlanker und ihre Farbe geht ins Grau. Am Rande des Madison Square Garden haben zwei Fensterputzer die hohen Scheiben im ersten Stock gereinigt. Das sah aus wie eine Zirkusnummer. Die Stangen aus Aluminium haben sich gebogen, und immer mussten sie diese überlangen Dinger herunterkippen, um sie im Wasser zu spülen. Die Grand Central Station habe ich mir ausgiebig angeschaut. Dort kommen die Vorortzüge zusammen und auch die Busse von Newark kommen hier an. Es gibt Läden mit allen Köstlichkeiten, Kioske, Restaurants, Bars, Schuhputzer und Refreshment Rooms. Auch die Polizei ist präsent, immer mindestens zu zweit, eine Patrouille mit Hund. Ich habe mir verkniffen, hier eine NY Times zu kaufen. Ich wollte mich nicht für Stunden beschäftigen und damit ablenken. Dann bin ich nochmals in die Public Library, die ganz in der Nähe ist, und habe mich im Lesesaal für eine halbe Stunde abgekühlt. Sie sind großzügig hier, machen nur eine Eingangskontrolle. Aber dann lassen sie dich gehen, wohin du willst. Nur, wenn du den Lesesaal verlässt, schaut einer in die Tasche, ob Du den Schwarten Krieg und Frieden nicht doch mit eingepackt hast. Hinter der Bibliothek, die übrigens gleich neben dem Eingang eine Statue von Sokrates zeigt, wie er im Nacken einer Sphinx sitzt und etwas ratlos ins Wasser des kleinen Brunnens vor sich stiert. BUT ABOVE ALL TRUTH BEARETH AWAY THE VICTORY. Der schöne Spruch stammt natürlich noch aus dem Gutenberg/Galaxy, aus jenen alten Zeiten, als Schriftliches sich noch als Wahrheitsquelle herausgestellt hatte. Das ist heute vorbei. Aber der etwas pathetische Spruch ist ganz schön. Die Astors werden irgendwo in der Bibliothek verdankt. Offenbar haben sie viel Geld gestiftet. Der erste Astor ist aus Deutschland eingewandert, hatte zwar nicht als Tellerwäscher, sondern als Verkäufer in einem Pelzgeschäft gearbeitet und nach wenigen Jahren selbst ein Geschäft geführt, mit dem er dann zu seinen Millionen gekommen sein soll.
Auf dem Platz hinter der Bibliothek ist ein Konzert im Gange. Das gilt den vielen Büroangestellten, die hier ihren Picknick nehmen und sich die blassen Wangen sonnen. Ich setze mich in den Schatten und zeichne ein bisschen, bis mich die Lust auf einen Kaffee zum Buchhändler gegenüber lockt. Meist haben sie in einer Ecke des Ladens ein kleines Kaffee, wie das ja auch der Jaggy in Basel gemacht hat. Ich lese das Gratisblatt, das dort aufliegt, und schnuppere in einer Biografie über Susan Sontag. Sie habe an der Sorbonne Vorlesungen bei Simone de Beauvoir besucht. Später wurde sie von einem Professor eingeladen, eine Vorlesung über Fotografie mitzuverfolgen. Doch das war wieder in Amerika. Sie ist ja wirklich ihr ganzes langes Leben von Europa beeinflusst geblieben und ihm treu geblieben. Ich erinnere mich, wie heftig sie sich gegen den Irakkrieg gewehrt hatte.
Im Trump Tower bin ich dann später wieder in einen tiefen Sessel gesunken und habe mich eine gute halbe Stunde mit diversen Kleinigkeiten beschäftigt. Das Trump-Gebäude ist luxuriös, mit goldenen Einfassungen überall und mit rotem Marmor. Eine Wand herunter rinnt über 3 Stöcke eine Wasserfläche, die, weil einige Steine etwas hervorgesetzt sind, unruhig spritzt und nicht aufhört, zu rauschen. Auch hier habe ich eine kleine Zeichnung gemacht. Das ist die einfachste Art, sich umzuschauen.
Kurz und gut, es war ein harter Tag und NY ist - unter uns gesagt - ein hartes Pflaster. Ich habe bestimmt 20 bis 30 km gemacht. Manchmal vergesse ich beinahe, dass es noch eine Subway gibt.
Morgen wird es regnen, wurde mir gesagt, und deshalb gehe ich in die Met. Sie liegt am Rande des Central Parks. Der wirkt übrigens so lebendig und natürlich, weil er rundum von den riesigen Häusern so bedrängt ist. Die Luftaufnahmen zeigen das noch markanter.
Abends dann ein koreanisches Essen hier bei meinen Landlords. Hat gut geschmeckt. Eine nette Japanerin war dazu eingeladen, mit der ich mich sehr gut unterhalten habe. Sie hatte ein gutes Verständnis und hat jeweils blitzschnell verstanden. Das mag ich sehr. Sie ist Kunstschmiedin von Beruf und entwirft selbst Schmuck. Der hat mir nicht so sehr zugesagt, aber Schmuck ist ohnehin nicht meine Sache.
Ich wünsche Dir noch einen guten Abschluss der ersten Woche
und küsse Dich aus den Fernen Landen.
Mit lieben Grüssen
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