(R)
date 22 May
Und heute abend haben wir unser Spargelessen. Es findet in Bad-Bellingen, also in Deutschland statt. Ältere Kollegen finden es ein Witz, nach Deutschland zu fahren, um Spargeln zu essen. Das müsse man im Elsass tun, meinen sie. Aber D ist natürlich bedeutend billiger. Und ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb unser guter Ch. das so organisiert hat. S bestellt sich jedes mal beim Spargelessen ein gutes Steak oder so ähnlich. Sie behauptet, mit Spargeln hätte man nicht wirklich gegessen. Und so falsch hat sie nicht dabei.
date 23 May 07:41
subject: ???
Liebe Malou
Fantastisch, ich schreibe als Antwort auf mein eigenes Mail. Aber oben erscheint deine Adresse. Das System scheint sich schon daran gewöhnt zu haben, dass ich hier in die frische Luft hinaus monologisiere. Man sieht das doch im Theater. Die Helden gehen auf der Bühne auf und ab und schreien ihre Monologe hinaus in den Publikumsraum. Zu niemandem direkt. Einfach so, damit es mal wieder richtig hallt. Und wenn es gut kommt, sterben sie nachher, ich meine nach dem langen und wunderschönen Monolog.
Gestern also das Spargelessen. War ziemlich weit bis Bad Bellingen. Ich würde schätzen 40 km auf Nebenstrassen und im Regen. Aber es gab eine gute Beteiligung. Viele waren da. Es ist irgendwie eine alte Tradition, dass man zu diesem Spargelessen geht, und noch dazu seine Mammeselle mitbringt. Früher ist nach dem langen Essen W aufgestanden und hat mit ein paar netten Worten jeder Dame einen Kuss auf die Backe und ein Sträusschen Maiglöcklein in die Hand gedrückt. Das war eine hübsche, vielleicht etwas altmodische Geste allen einen guten Sommer zu wünschen. Und viele Kollegen waren natürlich eifersüchtig, dass einer allein alle Damen abküssen darf. Aber jetzt ist W alt geworden. Und sein Nachfolger hat eine eigene hübsche junge Frau, eine Italienerin nota bene. So ändern sich die Sitten und die Eifersüchteleien, wie man sieht.
Wir sind etwas später eingetroffen, haben aber noch glücklich einen Parkplatz gleich vor der Garage des Besitzers gefunden. Jedenfalls hat er uns erlaubt, unser Gefährt dort stehen zu lassen. War ja auch wichtig, nicht noch zu weit im Regen gehen zu müssen. Und dann fanden wir am Ende des Mitteltisches noch zwei gute Plätze. Plätze sind gut oder weniger gut je nachdem, in welcher Runde man sitzt. Manchmal ist es ein bisschen langweilig. Dieses Mal sassen wir in einer Gruppe junger Leute. Und es gab lebhafte Diskussionen, die natürlich, Glas um Glas, immer leidenschaftlicher wurden. O, der Arzt, behauptete, es gäbe keine Beweise, dass Sport wirklich gesundheitsförderlich sei. Wirklich nicht. Du kannst dir vorstellen, dass eine solche Behauptung, noch von einem Arzt, einen gut und gerne eine halbe Stunde vor dem Spargelessen beschäftigen kann. Na ja, es gab noch andere Thesen, die in die Luft geworden wurde. Aber diejenige den Sport betreffend war wohl die verwegendste.
Und dann kamen die Spargeln. Wir sagen in der Schweiz ja 'die Spargel', während die Deutschen 'der Spargel' sagen. Jedenfalls haben sie gut geschmeckt zusammen mit der Hollandaise, Mayonnaise und Bärlauchsauce. Und daneben gab es verschiedene Arten Schinken zusammen mit kleinen Brötchen. Ich habe kürzlich gehört, dass man Spargeln nicht im Wasser kochen sollte, sondern gewürzt und eingepackt in eine Alufolie im Backofen etwa 30 Minuten sozusagen backen sollte. So bleibe der Geschmack beisammen und werde nicht im Sud ausgekocht. Aber ausprobiert habe ich diese gloriose Idee noch nicht. In deutschen Fernsehstationen sind Kochsendungen Mode geworden. Und wenn man sich ungeplant, wie ich das tue, ab und zu in die Programme hängt, gerät man leicht in solche Studieküchen hinein. Sie sind manchmal ganz unterhaltsam. Und man denkt natürlich, man lerne ein bisschen etwas dabei. Aber der Haupteffekt ist bloss, dass man zum Schluss mit einem riesigen Hunger im Bauch aufsteht und gleich in die eigene Küche eilt. Dort ist man dann enttäuscht, wie wenig sie auf einen Bärenhunger wirklich vorbereitet ist.
Und jetzt muss ich ans Werk. Ich hoffe, ich überstehe diesen tristen Tag. Weiss noch gar nicht, womit ich mich aufheitern kann? Vielleicht doch bloss mit dem Gedanken an den freien Auffahrtstag.
MLG