Samstag, 26. Februar 2022

"Ich habe das Password"

 

Lieber ...,
Ach wie schön, noch ein mail von dir zu finden. Ich hatte mir vorgenommen so gegen 13.00 Uhr zu Hause zu sein und bin dann erst drei Stunden später hier gelandet. Und dabei hatte ich sogar vergessen, dass ich noch keinen lunch bekommen hatte. Jetzt habe ich gerade meinen Hunger gestillt.. meinen körperlichen.. meinen seelischen stillst du jeden Tag mit deinen Mails. Ich kann es kaum fassen, dass diese Zeit, die ich glaubte in der Wüste verbringen zu müssen, wo ich mich auf eine lange Hungerkur eingestellt hatte, so anders geworden ist.
Ich merke, dass du freier bist. Du bist auch nicht mehr geizig mit dem süssen Nachtisch. Ich glaube, ich habe noch nie eine so schöne Woche mit dir verbracht. Und obwohl ich fast in Arbeit ertrinke (glaube unsere Chefs sind wahnsinnig geworden, denn sie legen immer mehr Aufträge auf unsere Schultern) so habe ich fast den Eindruck, dass ich auf Urlaub bin mit dir in New York. Ich danke dir dafür. Du bist wirklich so lieb, dass man dich nicht für sich beanspruchen sollte..

"... und dich besitzen, nur ein Lächeln lang,
um dich an alles zu verschenken, wie einen Dank". (Rilke)

Ja, ich habe genau wie du reagiert auf die Bilder zu Rumis Gedichten. Sie sind nicht anstösslich und zeigen schöne Körper aber sie reduzieren die Texte. Ich habe auch noch nicht alle Gedichte gelesen und ich werde sie mir, so wie du, ohne Bilder zusammenstellen. Das kann ich auch für dich tun, wenn du willst. Meine Mailüberschrift "Ich habe das Password" bezog sich auf dieses kleine Gedicht:
..
Ich kann die Rätsel alle dir
der Schöpfung sagen;
denn aller Rätsel Lösungswort
ist mein, der Liebe.

..


Oder dieses:
..
Liebende sehen die Dinge so,
wie sie wirklich sind.
Denn sie sehen mit der Klarheit
des göttlichen Lichts,
und ihre Liebe spricht die Mängel frei.

..


Ist das nicht ein wunderschöner Gedanke, fern von unserer Einstellung, dass Liebe blind macht. Was meinst du?

*
Ich muss mich um das Haus kümmern. In den letzten Tagen ist alles hier liegengeblieben und in den Papierhaufen komme ich vorwärts mit der Geschwindigkeit einer Schnecke. Warum muss es so schwer sein, sich zu entscheiden ob man etwas wegwerfen soll oder nicht? Aber du bist fern von diesen Problemen im Moment und ich will dich eigentlich garnicht daran erinnern, dass es sie gibt.
*
So nun lasse ich dich (jedenfalls für eine Weile) und wünsche dir noch einen schönen Abend. Ich denke du wirst mein mail erst nach dem Kurs finden.. oder gar noch später. Falls ich dich nicht mehr erreiche so möchte ich dir nur schnell noch einen kleinen Rat geben: Schlaf bitte nicht ein bei dem Musical. ;-)

Mit lieben Grüssen,
Marlena

 

Samstag, 19. Februar 2022

Re:

 Liebe Malou

Ist schon ein bisschen merkwürdig, dass du gerade jene Mails deiner kleinen Tochter zu lesen gibst, die absolut nicht jugendfrei sind. Pass auf, dass du sie nicht verdirbst.Und ich rate dir auch ab, dieses Mail herumzureichen. Das kommt nicht gut heraus, und die Leute würden denken, du korrespondierst vielleicht mit einem südeuropäischen Pornospezialisten.
Ich habe mir nämlich die Idee mit den Sexboxes noch weiter ausgemalt. Ich meine schon der Begriff Sex-Box klingt genial, nicht war. Schon beim Wort steigt der Adrenalinspiegel ein bisschen. Aber ich habe mir auch vorgestellt, dass man in einer solch engen Box - sie ist ja nicht viel grösser als ein Sarg - dass man sich darin auch verkeilen kann. Für solche Situationen sollte ein Alarmknopf angebracht sein, den man vielleicht mit der grossen Zehe irgendwie erreichen kann, damit der Boxenmanager die Feuerwehr alarmiert und die beiden verkeilten und verklemmten Menschlein heraus schweisst. Der Aktionsradius ist einfach begrenzt. Man müsste vielleicht an der Aussenwand eine Anweisung anbringen, die zeigt, dass gewisse Stellungen darin sehr riskant und damit mehr oder weniger verboten sind.  Man sollte sich in einer Sexbox wirklich nicht auf Sex-Extravaganzen hinauswagen.
 
Vielleicht ist es das schöne Wetter, das meine Fantasie hochtreibt. Es war eine recht ruhige Nacht. Na ja, ich muss sagen, ab 2.00 war es ungefähr ruhig. Vorher war im Nebenzimmer die Hölle los. Ein Mann hat herumgealbert, geschrieen und getan. Ich dachte, es wäre ein Volksfest mit einer Menge von Personen. Und als ich ungefähr um halb zwei mal hinausging, weil der Lärm wirklich ungeheuerlich war, lag da bloss ein Männlein auf dem Bett und die Schwester war irgendwie damit beschäftigt, ihn zu betten. Ich sah nicht mal das Männlein, sondern bloss zwei dünne Beine. Na, ich durfte mir ja doch nicht erlauben, einfach einzutreten. Aber die Schwester hat mein Problem begriffen. Und ich habe die Zimmertür geschlossen. Und dann bin ich wohl bald mal eingeschlafen. Mit der Morgenschwester hatte ich ein längeres Gespräch. Sie ist ein philosophischer Typ und plaudert gerne, hatte ich den Eindruck. Und ein bisschen hatte ich bei ihr herausgehört, welchen Eindruck wir hier als Familie beim Spitalpersonal machen.
 
Und jetzt bin ich auf dem Heimweg. Zwischenhalt im Büro. Ich hätte jetzt Lust auf einen kleinen, kühlen Apero. Aber das spare ich mir für später mal auf. 
 
 

 
 Bei uns sind die Rosen in vollem Gange, sozusagen. Nein, so kann man es natürlich nicht sagen. Sie sind in Blüte. Sie sind in voller Pracht. Oder so. Ich habe kürzlich einen Film gesehen über englische Rosenzüchter. Das hat mich fasziniert, und irgendwie spiele ich mit dem Gedanken, in der Pension einen hübschen Rosengarten anzulegen. Einen schönen englischen Garten, mit diesem feinen Rasen und dem üppigen Grün rundum, das schaffe ich vielleicht nicht. Wir haben weniger Regen und etwas wilderes Klima als die Engländer. Aber annähernd wäre das schon möglich. Sie machen dort drüben jede Menge Wettbewerbe und Gartenausstellungen und Fotobände usw. Und das Schöne dabei ist, dass die Rosen in einer natürlichen Umgebung blühen. Es sind nicht diese steifen, hoch designten Blüten, die man hier kaufen kann, Baccara-Rosen oder wie sie heissen. Nein, sie wachsen in Gruppen wie Schafe und leben mitten im Grün des Gartens. Wirklich sehr schön. Da war eine Frau. Sie hat ihr gesamtes Vermögen in diesen Garten gesteckt. Ihr Mann schneidet täglich den Rasen und arbeitet nachts als Taxichauffeur, um das Vergnügen zu finanzieren. Ist das nicht faszinierend? Faszinierend nicht solche Rosen, aber einen solchen Mann ???
 
MLG

 

Zzzzzz ...

19 Jun, 03:31

Lieber ...,

Eigentlich sollte ich wohl noch schlafen.. schau mal auf die Uhrzeit. Aber weisst du, nach diesem sonnigen Tag ist es oben so warm, dass ich jetzt die Balkontür weit aufstellen musste um die frische Nachtluft hereinzulassen und während dessen kann ich dir ein kleines Nachtmail schreiben.

Ich habe mich sehr über deine Mails heute gefreut. Das erste war so lustig, dass ich es Anna lesen liess. Auch sie hat sich köstlich amüsiert über deine "Gedankenkette" betr.. der "Verrichtungsboxen". Welch ein Wort! *s*

Ich war heute (na eigentlich gestern) sehr effektiv und bin fertig geworden mit dem Aufräumen im "storehouse" und Carport. Jetzt sieht es auffällig ordentlich und sauber aus dort und ich war nach verrichteter Tat ganz zufrieden.

Hier wächst es, "dass es knackt", wie wir es nennen. Bald hat man den Eindruck in einem Djungel zu leben. Auch die Disteln auf dem Feld des Bauern sind schon ziemlich gewachsen - aber erst im Herbst werden wir darüber fluchen.

Es ist übrigens ganz hell draussen und man sieht das saftige Grün durchs Fenster hier. Bald werden auch die Rosen anfangen zu blühen. Die Knospen sind schon ziemlich gross. Es ist eine wunderschöne Zeit.

...

 

 

Mittwoch, 16. Februar 2022

Studentenzeit in Zürich

 ...

Irgend einmal - nach 2 Semester und einem Praktikum in einem grossen Zürcher Büro - bin ich von meinem Architektur-Studium abgekommen. Die Ausbildung war mir einfach viel zu technisch.  Und die ETH war mir eine zu trockene Anstalt. Natürlich mag da auch der Zeitgeist mitgewirkt haben. Ein Umbruch lag in der Luft. Die Studenten an der Uni haben viel diskutiert. In den Zürcher Strassen gab es Demos. Die gesellschaftliche Situation wurde immer heisser. Studienrichtungen wie Psychologie, Sozialpsychologie, Philosophie und Soziologie waren enorm populär. Alles, was in der Gesellschaft und in der Welt draussen geschah, wurde unter dem Aspekt dieser Sozialwissenschaften erklärt. Wenn man in diesen Fächern studierte, fühlte man sich im Zentrum des Hurrikans.

Und dabei war es ursprünglich mal Prof. Staiger gewesen, der mich an die Uni gelockt hatte. Noch zu meiner ETH Zeit ging ich jeweils montags 10-12h hinüber in seine Vorlesung. Er las anfangs gerade über Rilke, und da fühlte ich mich in diesem fremden Zürich beinahe ins Wallis zurückversetzt. Ich hatte an der ETH von 8-10 Vorlesung in perspektivischem Zeichnen, allerdings konstruiertes Zeichnen, so wie die Architekten das tun. Gegen 10h gab Prof Hess jeweils eine Übung, die man dann bis 17h abends abzuliefern hatte. Ich ging also, mit dieser Übung im Hinterkopf, hinüber in die Universität, die gleich über die Strasse liegt, in die grosse helle Aula voller entspannter und vergnügter junger Studentinnen und Studenten, mit einigen älteren Fachhöhrern - wie sie damals genannt wurden - und liess mich von Staiger in höhere Gefilde versetzen. Staiger war damals so etwas wie der deutsche Literaturpapst. Er hat irgendwie eine eigene Schule der Literaturinterpretation begründet. Aber er war eigentlich ein Idealist, ein spezialist für deutsche Klassik.
1968 hat Staiger den Kunstpreis der Stadt Zürich erhalten. Die Feier fand im Schauspielhaus statt. Und dort schimpfte Staiger in seiner Dankesrede über die moderne Literatur, die sich mit Bordellen und Kloaken und Trinkern etc beschäftige. Seine Worte kulminierten in der rhetorischen Frage, in welchen Kreisen sich die Künstler denn aufhalten würden! Das war ein Skandal. Frisch, Dürrenmatt, Loetscher - alles was Rang und Namen hatte protestierte. Ein Jahr später erhielt Varlin den Kunstpreis der Stadt Zürich. Und an seiner Stelle hat 1969 Dürrenmatt die Rede gehalten. Sie führt den Titel "Varlin schweigt". Und es ist in weiten Teilen eine Abrechnung mit Staiger. Dürrenmatt war ein guter Redner. Er konnte markante Gedankengänge finden, die ebenso kritisch wie komisch wirkten. Und seine Sprache klang mit dem berndeutsch eingefärbten Deutsch fast unbeholfen, aber auch sehr treffend. Er hatte stets die Lacher auf seiner Seite.
 
Ich habe Dürrenmatts Rede gerade vor ein paar Wochen unter meinen Papieren wieder gefunden und nach so langer Zeit nochmals gelesen. Sie war in der Tat eine würdige Antwort auf die idealistisch-klassische Position Emil Staigers. Eigentlich hätte ich schon seit Jahren Staigers Rede gerne gefunden und gelesen. ich hatte davon immer nur in der Zeitung gelesen. Aber das ist mir bisher - auch nicht im Netz - nicht gelungen.
 
Du siehst Malou, ich gleite ab in die Erinnerung meiner alten Zürcher Studentenzeiten. Und natürlich romantisiere ich sie sehr. Ich erinnere mich nämlich auch, wie ich mich damals in Zürich eher verloren fühlte. Ich war unglücklich in diesem Architektur-Studium. Die ETH an der Rämistrasse ist ein schweres, ernstes Gebäude mit grossen Hallen so dunkel wie ein Kuhmagen. Die Studenten waren - wie mir schien - technisch interessierte Menschen. Ich kannte noch kaum Leute. Alle meine Schulkameraden studierten in Fribourg oder in Bern. Nur einige wenige waren ebenso an der ETH, aber, wie sich später herausstellen sollte, auch nicht sehr lange. Hans wollte damals noch Elektroingenieur, Amadé Agraringenieur lernen. Beide haben ihr Studium abgebrochen und keinen Abschluss gemacht.
 
Aber jetzt lass ich dich mit meinen Gedanken zurück in die Jugend. Warum bloss läuft mir das alles sosehr nach? Weshalb bloss finde ich das alles so romantisch, wo ich doch weiss, dass es auch eine ziemlich schwierige Zeit war mit viel Unsicherheiten, Einsamkeit, Desorientiertheit. Du weisst ja, wie mir letztes Jahr dieses Zürich wie eine Spritze Heroin ins Blut gegangen ist!
 
Ich schicke dir liebe Gs und Ks

 

Montag, 14. Februar 2022

Varlin



Lieber ...,
Ich habe ein wenig im Internet herumgesucht und schau hier, was ich gefunden habe. Von diesem Film hast du mir doch gerade erzählt, oder?
...

Varlin
Varlin, der Clown, Varlin, der zornige Kerl, Varlin der Querschläger. Varlin, der Vagabund, der es mit knapp zwanzig Jahren nicht mehr aushält in der Schweiz, der nach Berlin und Paris geht, um Maler zu werden, später dann lange Jahre in Zürich lebt und arbeitet, ohne sich zugehörig zu fühlen. Varlin, der im Alter erst zur Ruhe und aus den finanziellen Nöten kommt. In VARLIN porträtiert Friedrich Kappeler, der sich mit Dokumentarfilmen wie «Der schöne Augenblick», «Adolf Dietrich, Kunstmaler» und «Gerhard Meier Die Ballade vom Schreiben» den Ruf eines begnadeten Dokumentar-Porträtisten holte, den Schweizer Maler, dessen Bilder von zurückgehaltener Energie bisweilen zu zerplatzen scheinen. Die gutbürgerlich geprägte Schweizer Kunstszene kann zu Lebzeiten des Künstlers mit dem figurativ malenden Juden, der zudem noch freche Sprüche klopft, nicht viel anfangen. Freunde findet er vor allem unter Aussenseitern und Schriftstellern. In den Nachkriegsjahren macht sich Varlin, stets malend, auf ausgedehnte Reisen. Der Zürcher Szene immer überdrüssiger werdend, wird nach seiner Heirat mit Franca Giovanoli das Dorf Bondo im bündnerischen Bergell zum bevorzugten Wohnsitz. Hier schafft Varlin von 1963-1977 sein qualitativ und quantitativ herausragendes Spätwerk.

In seinem Film VARLIN lässt Regisseur Friedrich Kappeler den 1900 geborenen und 1977 verstorbenen Maler in Begegnungen mit dessen Bekannten und Verwandten, in seinen Bildern und Schriften wieder zu Wort kommen. Und was man da nebst bekannten Werken wie «Die Heilsarmee» und den Porträts von Hulda Zumsteg, Max Frisch, Hugo Loetscher oder Friedrich Dürrenmatt entdeckt, ist ein Mann voller Widersprüche. Ein mutiger und scharf denkender Künstler einerseits, ein unsicherer und verletzlicher Gefühlsmensch andererseitsñein Maler, der mit Pinsel und Farbe die Pracht von Alltagsgegenständen, aber auch die Brüchigkeit der menschlichen Existenz einfing.

*

In Dürrenmatts unmittelbarer künstlerischer Nähe gab es eine prominente Inspirationsfigur, die ihn in seinen eigenen dunklen Visionen bestärkte: der Künstlerfreund Varlin, dessen böse Bilder und Abbilder der Gesellschaft (so z. B. "Die Völlerei" und "Die Heilsarmee") zweifelsfrei ihre - schwarzen - Spuren in Dürrenmatts Malerei hinterliessen.

 
Die Völlerei

 
Dürrenmatt lernte Willy Guggenheim, genannt Varlin, 1961 in der Zürcher "Kronenhalle" kennen und blieb ihm bis zu dessen Tod 1977 freundschaftlich verbunden. Künstlerisch verkörperte Varlin für ihn den Typus des hartnäckig um und mit Realität ringenden figurativen Malers, der die Welt so (finster) sah, wie er sie porträtierte. Nicht weniger wichtig war für Dürrenmatt die Art und Weise der materiellen Realisation der Varlinschen Porträts und Geschichten auf dem Bildträger: wilde, zuweilen pastos-zerklüftete, zuweilen weiche, flächige Bildhäute; beschränkte Tonvariationen, dominiert von Schwarz, das seinen Schatten auch auf alle anderen Farben wirft - alles in allem die totale Absage an jegliche Ästhetik und Vollkommenheit.

Varlins Malerbrief aus Neapel aus dem Jahr 1963 beginnt mit einer Hymne auf die Farbe Schwarz als Zeichen für moderne, ungeschminkte Wirklichkeit:

"Schwarz, diese noble Farbe, die schon seit Plato Erkennen und Vergessen bedeutet, wurde von den modernen Malern in Reaktion auf sinnlich verlogene bourgeoise Farbensymphonien zur führenden Farbe erhoben. Ganz Kühne vermischen auf unpräparierten Kohlensäcken mit der Farbe noch Schutt und Dreck. Wundert man sich da, dass ausländische Maler im patinalosen Zürich nur zum Inkasso erscheinen und nach ein paar Gesprächen in der "Kronenhalle" sofort wieder verschwinden?"

 

 

Ich suche ein Vorbild ...

fortsetzung

Und so ist mir gestern abend im Bett, um 22.30h oder später, wieder in den Sinn gekommen, dass Du auch eine Varlinistin bist. Irgendwie suche ich ein Vorbild für meine Porträtmalerei. Im Moment habe ich dafür Varlin, Bacon und Soutine vor Augen. Soutine finde ich am schönsten. Varlin war von ihm beeinflusst. Soutine hat eine wunderbare, tiefe Farbpalette und seine Bilder geben den Eindruck einer reichen Beständigkeit, auch wenn die Figuren ziemlich verzerrt sind. Ich glaube, er war Jude in Paris und ein extrem armer Schlucker. Bacon wirst Du kennen. Er war Autodidakt, Ire und Alkoholiker. Bei seinen Bildern fallen grässliche Grundtöne auf: ein scharfes Orange, ein nervenzersägendes Lila und so fort. Darin winden sich seine Figuren in imaginären Vitrinen in einem grellen Scheinwerferlicht. Man hat gesagt, er zeige damit die Abgründigkeit des modernen Menschen. Bacon war mit Luzian Freud befreundet, einem Enkel des grossen Psychoanalytikers. Dieser aber malte seine Porträts ziemlich naturalistisch und fleischig, mit einer Offenherzigkeit, die etwas schockt und die vielleicht vor allem Metzger und Fleischergesellen fasziniert. Und daneben ist noch unser Varlin, dessen Porträts interessant sind, weil wir die Menschen auch kennen oder kannten, die er gemalt hat.

Heute denke ich, ich müsse mir ungefähr schon eine Vorstellung eines Bildes machen können, noch bevor ich mit Malen beginne. Früher hatte ich jeweils einfach begonnen und zugesehen, was dabei herauskommt. Man kann bei Porträts auch nicht zu sehr subjektiv vorgehen, denn die Menschen wünschen, doch mindestens auf dem Bild einigermassen wieder erkannt zu werden. Und Frauen wünschen, noch ein bisschen schöner dargestellt zu werden, als sie schon im RL sind. Als Maler kann man sie eigentlich nur beleidigen, es geht fast kein Weg daran vorbei.

„Mildes Frühlingswetter“ meldet das Radio soeben. Das ist gut. Vielleicht hilft es mir, gerade noch an der Klippe der Grippe vorbei zu kommen.

Ich wünsche Dir einen feinen Wochenanfang. Das habe ich zwar schon mal getan, aber trotzdem.
MlKuG

... 



montagmorgenistdieweltnochinordnung

 

Datum: den 15 mars 08:10

Liebe Malou
(---)
Nächsten Montag werde ich meinen Vortrag im Club haben. Ich darf heute nicht vergessen, einige kleine Dinge zu organisieren: ein Gestell für den Projektor, Abstellfläche für den Computer, Verlängerungskabel, ein Glas Wasser ;--)) Ich habe gestern nochmals ein bisschen reduziert. Im Moment bin ich bei ca. 100 Bildern. Das ist immer noch enorm viel für 30 Minuten. Ich werde zusehen, dass ich noch bis ca. 60 bis 80 herunterkomme. Aber jedes Bild, das ich rausnehmen muss, tut mir leid. Aber ich darf die alten Herren nicht bombardieren mit Bildern. Sie brauchen Zeit und Führung. Nicht alle, aber viele von ihnen.

Vollard


Gestern Abend im Bett habe ich nochmals versucht, Vollard eine Chance zu geben. Er ist eine wirkliche Händlernatur, hat eine gute Empathie mit den Leuten und versteht, mit ihnen umzugehen. Auf der anderen Seite hat man den Eindruck, dass er sich über die Malerei kein Urteil erlaubt. Weil er bloss kleine Erlebnisse und Begebenheiten aneinanderreiht, macht mir das Büchlein nicht den Spass, den ich erwartet habe. Ausgenommen vielleicht Degas Bemerkung über Manet, seine Bilder hätten die Farbe von Backpflaumen. Das ist gut bemerkt, wenn man die ältesten Bilder Manets im Auge hat. Später ist er dann ja ziemlich impressionistisch und luftig geworden. Er ist ein gewandter Maler, Manet, und neben Monet einer der grössten. Ich hatte mich früher immer gewundert, weshalb zwei so sehr berühmte Menschen, die in einem ähnlichen Gebiet ausserordentliche Dinge geleistet haben, auch gleich noch sosehr ähnliche Namen tragen mussten. Und meine Antwort war: sie wollten uns ärgern! Die Namen hat sie gezwungen, noch besser zu werden, damit man sie wirklich nicht zu verwechseln droht. Es ist ungefähr dasselbe wie mit unseren Töchtern: ... und ... ;--)

Ich kannte mich schon im Gymnasium ein bisschen unter Malern aus. Ich erinnere mich, wie unser Lehrer für Kunstgeschichte, der ein sehr spielerischer und intelligenter Geistlicher war, manchmal irgendwelche Reproduktionen von Bildern mitbrachte. Damit wollte er von seinem ordentlichen Programm ablenken. Und sein Programm war die Architektur v.a. seit der Griechischen Antike. Die meisten Klassen sind mit ihm nicht über die griechische Antike herausgekommen. Er war zugleich Rektor, kam immer zu spät in die Stunden, oder suspendierte sie manchmal ganz, weil er offenbar wichtigere Geschäfte ob hatte.
So hielt er uns also gelegentlich einfach diese Reproduktionen in Postkartengrösse unter die Nase und sah zu, wer sich darin auskennt. Wir Buben hatten damals im Wallis natürlich - weiss Gott - wichtigere Dinge im Kopf als irgendwelche Ölgemälde vergangener Maler. Es war auch keine besonders gescheite Idee, so zu tun, als ob es wichtig wäre, zu wissen, von wem ein Bild stammt. Wichtiger wäre gewesen, es anzuschauen, zu beschreiben, zu interpretieren, vielleicht daraus abzuleiten, aus welcher Zeit es stammen könnte, was der Maler damit gemeint haben könnte usw. . Na ja, Du siehst darin die Qualität des Unterrichtes, den wir hatten. Aber die ganze Welt lief zu jenen Zeiten noch nicht so wild, wie sie es heute zu tun scheint.

Und so ist mir gestern abend im Bett, um 22.30h oder später, wieder in den Sinn gekommen, dass Du auch eine Varlinistin bist. Irgendwie suche ich ein Vorbild für meine Porträtmalerei. Im Moment habe ich  ...



Freitag, 11. Februar 2022

Pensionisten

 

 Liebe Malou
...
Gestern, als ich um vier auf dem Bahnhof stand, gab es wieder einmal
viele Pensionisten. Ich schaue ihnen mit einiger Verwunderung und auch
mit einer gewissen Befremdung zu. Und zugleich stelle ich mir vor,
dass ich in 4 oder 5 Jahren auch dazu gehören werde. Sie stehen
vergnügt in grossen Gruppen herum, reden laut und betont fröhlich -
wahrscheinlich weil viele von ihnen ein bisschen schwerhörig sind -
und zeigen in Kleidung und Haltung, dass sie längere Märsche hinter
sich haben. Sie sind braungebrannt, und sie flirten gerne. Ja, es
scheint, dass unsere Landschaften von riesigen Schwärmen von
Pensionisten bewandert werden. Sie sind natürlich einigermassen
disziplinierte Leute, geben acht auf seltene Blumen und ungemähte
Wiesen. Und sie sind voller Liebe für unser Vaterland, denn sie haben
noch den zweiten Weltkrieg erlebt. Eigentlich sollte man vorschlagen,
dass man die Schweizerische Armee abschafft, und dagegen den
Pensionisten eine kleine Uniform und ein solides Sackmesser abgibt,
damit sie unser Land verteidigen können. Sie müssten nicht viel
anderes tun als was sie bisher getan haben. Sie müssten einfach durch
unsere Landschaften wandern. Und so besetzen sie ja praktisch jeden
Quadratmeter in unserem Land. Und kein wirklicher Feind würde es
wagen, sie aus dieser friedlichen Ruhe zu vertreiben, in der sie sich
befinden. Ach, das wäre eine geniale Lösung. Und wir könnten die hohen
Budgetposten, die wir für die Landesverteidigung in Bern haben, wir
könnten sie alle streichen. Man müsste den Pensionisten nicht mal
einen speziellen Sold bezahlen, denn sie haben ja alle eine gute
Pension. Und sie sind ja ohnehin schon draussen in der Natur.





Samstag, 5. Februar 2022

Impfen oder nicht?

 ein Thema schon damals..

 (2008)

Liebe Marlena

(...)

Gestern Abend spät, nachdem ich noch rasch meine Einkäufe beim Bahnhof gemacht hatte, schaute ich mir die Gesprächssendung am Schweizer Fernsehen an. Es ging um die Frage, ob man sich und unsere Kinder vor allem gegen Masern impfen sollte. Eine solch hitzige Diskussion habe ich lange nicht mehr gesehen. Man kann es sich kaum vorstellen. Und einer der hitzigsten war ein Professor der Immunologie, der notabene in Visp aufgewachsen war. Ich habe ihn damals zwar nicht persönlich gekannt. Aber ich weiss genau, wo er wohnte und seine jüngere Schwester war eine zeitlang ein ziemlich beachtetes Wesen. Er hat die Skeptiker der Impfung (Homöopathen und Antroposophen) schwer abgekanzelt. Ich würde sagen, er war absolut unhöflich. Das würde er vielleicht sogar bestätigen, weil, wie er begründen würde, die Sache so wichtig sei. Im Wesentlichen meint er, eine Impfung sei ein Akt der Solidarität. Man impft sich, um nicht andere Menschen anzustecken. Man impft, um nicht die Erreger in Südamerikanische Länder einzuschleppen, die die Krankheit mittlerweile im Griff hätten. Nichtimpfer sei eine elitäre kleine Gruppe von Selbstauserwählten, die sich das leisten können, weil alle andern die Imfpung auf sich nehmen.
Die Skeptiker sehen in der Krankheit mehr als bloss ein Übel. Sie haben aus eigenen Erfahrungen festgestellt, dass sich bei jungen Menschen mit den Masern ein echter Entwicklungsschub ergebe, dass sich eine solide Immunität erst mit Überwindung der Krankheit einstelle. Kurz und gut, die zwei Lager waren unversöhnlich. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt anfange mich zu sorgen, ob ich mich impfen lassen soll oder nicht. 
 
Es hat geschneit letzte Nacht. Eine feine Schneedecke liegt auf den Wäldern rund um Liestal. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man annehmen, es sei November. Das Wetter macht, was es will. Aber im Moment ist es noch egal. Wichtig wird es um Ostern. Hoffentlich kommt bis da etwas Frühlingsstimmung auf. Wir haben im Sinn, ins Tessin zu fahren. Du weisst, das ist die Sonnenstube der Schweiz, wie man so sagt, vielleicht die älteren Menschen sagen. Peter und Norma haben uns eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Ich hoffe, dass das alles klappen wird.