Mittwoch, 29. Juli 2020

Merkwürdiges Erlebnis ...





Liebe Marlena
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Ich hatte mal ein ganz merkwürdiges Erlebnis in Isfahan. Ich hatte allein den grossen Bazar durchstreift. Und dieser reicht bekanntlich vom grossen, weltberühmten Platz bis hinunter zur alten Moschee. Und im Gassengewirr gibt es auf diesem Weg etliche Karawansereien. Ich hatte mir gedacht, dass ich einige davon entdecken könnte um dann ein paar Bilder zu schiessen. Schliesslich landete ich aber in einem grün bewachsenen Garten, in dem einige Mullahs plaudernd und diskutierend herumstanden. Offenbar war es eine Theologie- schule, und die Leute hatten offenbar gerade ihre Pause. Ich nutzte die Gelegenheit, einige Photos zu knipsen und ein bisschen herumzu- streichen, bis mich einer ansprach. Er zeigte sich sehr begeistert, mich -einen Fremden zu treffen, und er lud mich ein, dass wir uns zusammen auf eine Steinbank setzten. Er zog dabei ganz fürsorglich einen Plastiksack aus seiner Tasche, damit ich darauf sitzen könne und mir nicht die Hosen schmutzig zu machen brauche. Er sprach ein einfaches und gebrochenes Englisch. Ich weiss nicht mehr genau, worüber wir sprachen. Ich gewann allmählich den Eindruck, dass er vielleicht der Abwart dieser Schule wäre. Manchmal klang er ein bisschen irr. Schliesslich kam er auf die Regierung und Präsident Chatami zu sprechen. Er kritisierte sie vage und fragte mich, was ich denn dazu meinte. Ich erklärte, was ich in solchen Situationen immer tue, sogar in den USA. Ich erläuterte ihm, dass ich doch hier im Iran ein Gast wäre, und dass mir ein Urteil in dieser Sache ganz und gar nicht zustehe. Die Situation wurde mir auch ein bisschen ungemütlich. Ich befand mich hier in der Höhle des Löwen, und man weiss, wie fanatisch die einfachen Menschen reagieren können, wenn sie in einer Gruppe aufgeheizt werden. So verabschiedete ich mich ziemlich rasch und verzog mich aus diesem 'Kloster'. Ich wusste ja nicht einmal, ob mein Eindringen in diesen Gebäudekomplex erlaubt war oder nicht. Kurz und gut, ich verliess den grossen Hof und befand mich bald wieder im Ameisengewimmel der Bazargasse. Und nach einiger Zeit, ich hatte mich schon weit von dieser Theologischen Schule entfernt, sprach mich ein eher junger Typ an und sagte, er hätte mich beobachtet, wie ich in dieser Schule war, und er wollte wissen, wer ich sei und was ich dort gesucht habe. Ich war mir nicht sicher, was der junge Typ wollte. War er ein Schnüffler? Wollte er Kontakt mit einem Westler aus politischen Gründen? Oder war er einfach interessiert an einem Gespräch mit einem Fremden, wie man das im Iran so oft antrifft. Immerhin war ich erstaunt, wie sehr man unter sovielen Leuten, in einem solchen Gedränge, das man sich hier kaum vorstellen kann, wie man also mit scharfen Augen beobachtet wird.
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Montag, 27. Juli 2020

Nochmals...

 (5 Monate später)
 
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Hier unsere Coproduktion. Du erinnerst Dich daran. Ich meine die Zeichnung der Logopädin, die Sprechblasen bügelt. Sie hatte wirklich grosse Freude an der Zeichnung und am Kommentar darüber. Wir haben gerade gestern in der Kommission nochmals darüber erzählt und gespasst, als wir ihre Nachfolgerin wählen sollten. Es ist für mich ein wunderschönes Gefühl, dass wir, dh. Du und ich, das irgendwie gemeinsam gemacht haben. Ich glaube Deine Hilfe war, dass Du einmal vom "Protestbügeln" gesprochen hast. Das war beim Eurovisionswettbewerb, der in Schweden stattgefunden hat. Du erinnerst Dich sicherlich, Marlena? Diese Formulierung und Idee fand ich lustig und originell, so dass ich überhaupt erst dieses Bügeln in meine Gedanken aufgenommen habe. Vorher fand ich Bügeln absolut uninteressant und öde. Aber beim Protestbügeln ist mir irgendwie der penny gefallen. Aha, habe ich mir gesagt, Bügeln ist was ganz Spezielles. Bügeln kann man mit einer Haltung. Mit Bügeln kann man sogar die Welt verbessern. Mit Bügeln kann man Politik machen. Man kann damit protestieren, demonstrieren, reklamieren, warum nicht auch reformieren, initiieren, sanieren, therapieren? So ungefähr ist mir dann wohl diese Vorstellung gekommen, dass eine Logopädin Sprechblasen bügelt.

Sonntag, 26. Juli 2020

Gestern abend ...





Liebe Marlena
Was kann ich dir erzählen von gestern abend. Es war eine langweilige Sitzung. Der Präsident ist ein Arzt und ein bisschen ungeübt, eine grössere Runde zu kontrollieren. So gibt es zum Teil wilde Diskussionen um reine Spekulationen. Ich halte mich in solchen Situationen zurück, denn es bringt eigentlich nicht viel. Es heizt nur die Diskussion noch mehr an, und dann kommt man überhaupt nie zu einem Ende.
Die Logopädin wurde verabschiedet. Und nach der Sitzung habe ich ihr, vor dem Essen noch, unser Bild übergeben. Ich habe natürlich daraus eine ziemliche verbale Geschichte gemacht und die Leute haben es genossen. Und die Betroffene war echt gerührt. Sie hat mich nachher abgeküsst, obwohl wir erst an diesem Abend von Sie auf Du gewechselt hatten. Vorher hat der Arzt sie schon verabschiedet und ihr ein paar Komplimente gemacht. Aber die unseren waren noch eine Klasse konzentrierter. Sie war wirklich Auge und Ohr und nahezu in Tränen. Und das Bild fanden natürlich alle gerissen mit dieser Idee des Bügelns von Sprechblasen. Und ich habe ja auch erwähnt, dass mir jemand aus Schweden diese feine Idee geschenkt hat. Du siehst, Marlena, du bist hier schon ziemlich präsent. Und bald werden sie anfangen, nach dir zu fragen.
Und nachher hatten wir ein gemütliches Essen zusammen mit lustigen Diskussionen. Der Arzt und ich waren die einzigen Männer. Sonst war es eine echte Frauenrunde. Und wir haben viel gelacht und einander auch etwas geneckt. Es war wirklich sehr angenehm und auch das Essen war ausgezeichnet. Vielleicht ein bisschen teuer, aber es was in Ordnung.
Und schliesslich bin ich doch etwas früher als erwartet wieder zurückgefahren.  ...

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Weißt du, was mir in den Sinn gekommen ist, nachdem im Antonioni Film wieder von den Seelen die Rede war, auf die man warten muss. Ich habe gedacht, für den Fall, dass wir zwei uns mal treffen würden, dass wir dann hingegen auf unsere Körper warten müssten, weniger auf die Seelen, die ja nun ihren Ort bereits erreicht haben, aber auf die Körper, die noch weit zurück zu sein scheinen. Wir werden dann unsere Seelen mal vorläufig an irgendwelchen Kleiderbügeln aufhängen, damit sie hängen und warten, bis auch die Körper eingetroffen sind. Das gäbe auch einen hübschen Cartoon mit den hängenden Seelen, hängend, aber doch nicht schlapp, bitte sehr! Und wenn die körper eingetroffen sein werden, dann müssen wir wohl noch auf die 20kg Gepäck warten. Alles braucht seine Zeit.

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Ich hoffe, du hast meine Adresse bekommen. Ich werde mein Büro informieren, dass ich mit meiner Kusine Marlena, einer Kusine zweiten Grades, um exakt zu sein, dass ich mit ihr eine Wette abgeschlossen habe, wer sich gegenseitig aus den Ferien die schockierendere Postkarte zustellen können wird. Sie werden mich sicherlich alle unterstützen und der Meinung sein, deine Karte sei wirklich nur halb so schockierend, wie sie in Wirklichkeit sicherlich sein wird ;-----))).
Deinen Scherz fand ich sehr lustig und pfiffig. Das mag ich sehr, meine Liebste. Ich könnte dich dafür umarmen.
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Ich wünsche dir eine gute Zeit.
Mit liebsten Grüssen
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Donnerstag, 23. Juli 2020

Tod eines Mitarbeiters


                   "ich staune darüber, wie sehr tote Seelen Macht über uns haben"

Liebe Marlena
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Am Freitag haben wir ein kleines Bürofest organisiert. Ein ehemaliger Mitarbeiter hat eine schöne Stelle am Waldrand ausfindig gemacht. Er organisiert Tische und Bänke und wird zusehen, dass wir einen Grill und ein Feuer zur Verfügung haben werden. Ich habe mich bereit erklärt, die Getränke zu organisieren.
Doch vorher kommen wir in der Kirche zusammen, um unseres Mitarbeiters zu gedenken, der Ende Juli verstorben ist. Ich glaube, ich habe Dir davon erzählt. Ein ehemaliger Kollege spielt auf der Orgel. Ich soll unseren lieben Hans mit Worten würdigen. Und sein Freund wird auch noch ein paar Dinge sagen.
Es ist merkwürdig, was geschieht. Seit ich mich mit unserem Hans beschäftige, kommt er mir immer näher. Er war gebürtiger Oesterreicher und kam aus der Nähe Tirol. Und die letzte Woche habe ich versucht, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Ich habe mit seinem Chef gesprochen. Und ich werde versuchen, nächstens noch mit seinem Freund Kontakt aufzunehmen.
Aber alles in allem staune ich darüber, wie sehr tote Seelen Macht über uns haben. Ich versuche, ihn zu verstehen, und ich merke dabei, dass er mir näher gestanden hat, als ich es je bemerkt hatte. Ach, das ist schwierig zu erklären.
Hans war ein guter Psychologe, aber er war schwach in Administration. Ich meine, er hat viele Probleme verursacht, weil er oft die administrativen Dinge nicht berücksichtigt hat, die notwendig gewesen wären. Sein Chef oder ich selbst hatten immer wieder Probleme deswegen. Das hat mich nicht sonderlich geärgert, aber ich hatte Angst, dass einmal ein Skandal entstehen könnte. Das wollte ich natürlich vermeiden.
Doch heute, da Hans tot ist, denke ich, er war wirklich ein sehr menschenfreundlicher Typ. Oder müsste man sagen „human“? Und die Tatsache, dass er alle administrativen Dinge vernachlässigt hat, finde ich im Nachhinein geradezu sympathisch. Es betont seine Menschlichkeit. Und wenn ich die Briefe nachlese, die er geschrieben hat, sehe und höre ich, wie poetisch und sensibel er war. Das wusste ich eigentlich schon immer. Aber heute fällt es stärker ins Gewicht.
Kurz und gut: ich versuche, einige Gedanken zu formulieren, die ich in der Kirche vor Mitarbeitern, vor Geschwistern und Freunden von Hans sagen könnte. De mortuis nihil nisi bene. Das ist mir klar. Aber es fällt mir nicht schwer, Gutes zu sagen. Es fällt mir erstaunlich leicht!!

Im Hintergrund läuft der Fernseher mit einem spanischen Programm. Das heisst viel Musik und dramatische Posen, wie es die Spanier lieben. Sie haben manches gemeinsam mit den Persern. Die Islamische Kultur ist seit dem Mittelalter in Spanien eingedrungen.

Ist das Leben nicht merkwürdig? Ich habe mir nie vorgestellt, dass es so wechselhaft und gelegentlich so dramatisch sein kann. Ich kann es kaum in Worte fassen. Und ich hätte mir nie vorgestellt, dass mich der Tod eines meiner Mitarbeiter so traurig machen könnte. Es ist schliesslich nicht zufassen. Ich habe in den Akten ein altes Foto von Hans gefunden. Da sieht man ihn mit knapp 30 Jahren. ... Hans neigt sich schräg ins Bild hinein, und sein optimistischer Blick verrät, dass er sich zutraut, alle Probleme dieser Welt zu lösen. Ach, ich weiss, wie es damals war, nach den 68er Jahren. Und jetzt ist er tot, unser armer Hans.
Wenn ich diese Zeiten zu überblicken versuche, werde ich ziemlich melancholisch. Es erinnert mich an Baudelaire und sein hochempfindliches Sensorium für die Vergänglichkeit. Man sollte fähig sein, das Leiden in Worte zu fassen. Das kann ich leider nicht.

Es gibt ein kleines Gedicht von Rilke, das mir immer durch den Kopf geht:

Der Tod ist gross.
Wir sind die Seinen
Lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

Du wirst es kennen. Rilke hat viel über den Tod nachgedacht. Er war ein Existenzialist avant la lettre. War nicht Rilkes Mutter Oesterreicherin. Ich glaube, dass sie nach der Scheidung mit ihrem Sohn nach Oesterreich zurückgekehrt ist. Ist das so?

Ich wünsche Dir ein gutes Wochenende
Mit lieben Grüssen

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Sonntag, 19. Juli 2020

Ein gelungener Tag



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Und jetzt bin ich eben von unserem Ausflug in Basel zurückgekommen. Das war nicht übel. Das Wetter zeigte sich von einer angenehmen Seite. Die Führung im Zoo war exzellent. Ein Verhaltensforscher sprach über Gorillas. Und dahinter konnte man eine Kolonie mit einem Männchen und etwa 4 Weibchen mit ebensovielen Jungtieren beobachten. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass das Erbmaterial der Schimpansen und der Menschen zu 99% übereinstimmt, und dass die Distanz der Primaten zu übrigen Affen 1000x grösser ist als die Distanz der Menschenaffen zum Menschen. Wir sind die gleiche Familie. Die Tiere haben Einsicht, können lernen, haben eine hohe Sensibilität, sind individuell erkennbar und haben damit so etwas wie eine Persönlichkeit. Das war wirklich hoch interessant. Ich hatte früher einmal einen solchen Vortrag gesehen, von demselben Forscher. Aber er erzählte völlig andere Dinge. Interessant war es vor allem, die Erklärungen gleich am Verhalten der Tiere im Hintergrund überprüfen zu können. Beispielsweise wurde das Männchen, das eigentlich die Führung der Gruppe übernehmen sollte, noch nicht allzu lange in die Gruppe eingeführt. Doch er ist noch nicht voll erwachsen, obwohl er schon Junge zeugen kann. Erst wenn er sich in einem vernünftigen, beschützenden und beruhigenden Verhalten in der Gruppe bestätigen kann, dann wird er als Chef anerkannt werden. Im Moment hat er zeitweise noch Flausen im Kopf, neckt andere Jungtiere, so dass die Weibchen sofort auf den Plan treten, um sie zu beschützen. Und dabei war dieses Männchen bei weitem das grösste und stärkste Tier im Käfig. Es wäre also für einen blossen Zuschauer ohne Erklärung nicht verständlich, weshalb dieses Männchen zwar einzelne Tiere vom Platz verweist, aber doch die Gruppe nicht dominieren kann. Ich muss mal ein Buch von diesem Jörg Hess lesen. Er kann die Dinge auch sehr gut beschreiben und plausibel machen. Und ich glaube in unserem Beruf ist es gut, den Menschen gelegentlich als Affen anzuschauen, dh. ihn völlig äusserlich zu beobachten, ohne gleich die psychische Seite mit in die Überlegungen zu bringen. Anschliessend haben wir auf dem Rhein eine kleine Fahrt gemacht und einen Apero getrunken, um den Nachmittag mit einem kleinen Spaziergang zu beschliessen. Ich hatte es nicht erwartet, aber es war alles ziemlich angenehm und gut geplant. Und dazu hat uns der Arbeitgeber sogar einige der Kosten übernommen. Kurz und gut: ein gelungener Tag.
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Montag, 13. Juli 2020

Re: Ankunft im hohen Norden


Liebste Marlena
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Ich weiss, dass Du diesen Norden sehr liebst und dass er Dir alles bedeutet. Im Iran ist es im Moment 42°, wie mir mein Neffe gester gemailt hat. Also, sei glücklich mit Norrland. Im Iran muss man ständig in der Nähe der Air Condition liegen und darf sich kaum bewegen tagsüber, um nicht gleich in einem Schweissbad zu enden. Doch es gibt auch dort einige Ausweichmöglichkeiten. Man kann in die Berge fahren, wo unsere Schwiegermutter ein Wochenendhaus hat. In den letzten Jahren waren sie während des Sommers meist dort oben. Und die Nàchte sind dort geradezu kühl. Oder man kann in die höchsten Lagen der Stadt fahren, wo die superreichen Leute wohnen. Dort oben gibt es etliche Restaurants und auch Pärke, wo man spazieren kann. Und dann haben wir das Bassin im Garten. Die Schwiegermutter hat zwar nur eine Wohnung in einem Block. Aber letztes Jahr hat sie das Wasser für das Bassin finanziert, weil sich das sonst kaum jemand leisten konnte. Und dieses Jahr wird es ähnlich sein, und dann ist das Bad für uns reserviert. Sie hat eine Rente der Uno, weil Nasser Khan bei der Uno in Teheran gearbeitet hatte. Und weil die Inflation im Iran recht hoch ist, steigt ihre Rente praktisch jeden Monat. Sie kann sehr gut damit leben. Aber sie hat auch ein gutes Herz und gibt viel für Verwandte und arme Leute. Sie ist gläubig, und im Islam ist man verpflichtet, einen Teil seines Vermögens an die armen Menchen zu geben. Und sie tut es sogar für uns auch, hat mir S einmal erzählt, dh sie verschenkt auch soviel, wie wir - wenn wir denn islamisch leben würden - geben müssten.
Sei also zufrieden, Marlena, nach Norrland gehen zu können. Und es ist doch gut für Euch als Familie. So wie du es schilderst ist es ein richtiges Auftanken von Lebensenergie dort oben. Und so wie ich dich kenne, meine Liebe, wirst du das nicht so leicht aufgeben können. . Auf den Fotos konnte ich sehen, wie K den Deckel vom Kamin hebt. Und auf einem älteren Foto wart ihr gerade am Gras mähen und heuen. Und dann eben sieht es aus wie in einem schönen Park und man fühlt sich wohl und zufrieden. Es ist sehr erholsam, das einfache Leben. Es ist sozusagen wie eine kulturelle Fastenkur. Man findet zu den Menschen zurück, nimmt sich Zeit für Kontakte und für die Erinnerungen an alte Tage. Und wenn K dort aufgewachsen ist, wird er das natürlich alles tief in sich hineinnehmen. Ja, das kann ich mir alles ein bisschen vorstellen.
Unsere Mutter hat auch oft diese einfache Lebensweise gesucht in den Ferien. Wir sind dann in irgend eine Ferienwohnung in einem Bergdorf gewesen. Und einmal hat sie mit den jüngeren zwei Geschwistern einen ganzen Sommer in einer Alphütte oben in den Bergen gelebt. Das muss ungefähr so gewesen sein, wie man es in der Geschichte von "Heidi" lesen kann. Kennst du diesen Kinderroman?



Und wenn du dabei "Nicht ohne meine Tochter" liest, so - verzeih mir diese Bemerkung - so passt das nicht ganz in diese Umgebung. Ich glaube, ich habe dir erzählt, dass ich es nicht gelesen habe. S. hat immer wieder geschumpfen wärend der Lektüre und sie hat gedacht, das sei eine absichtliche Verunglimpfung der Perser und ihrer Kultur. Ich habe nur den Film gesehen. Und danach habe ich mir gesagt: doch, so oder ähnlich kann es schon gewesen sein. Es ist möglich, dass ein Perser, ein Arzt in Amerika ganz anders denkt als dann, wenn er nach Hause kommt. Dann gliedert er sich wieder in seine Familie und den Clan ein. Und dann ist er nicht mehr frei zu entscheiden.
Wir haben gelegentlich überlegt, ob wir nicht im Iran leben sollten. Ich aber wollte nicht zuletzt aus diesen Gründen nicht. Die Familie hat absolute Priorität. Sie können Dich jederzeit besuchen und du musst dich so verhalten, als ob du seit Wochen auf sie gewartet hättest. Alles musst du fallenlassen, nur für sie, und du musst ihnen alles offerieren, was du gerade im Haus hast. Und wenn du erfolgreich bist, fängt es an, ihnen so zu gefallen, dass sie gar nicht mehr heimwollen. Und dann offerierst du ihnen auch noch ein Bett. Ach, du kannst dich ruinieren dabei. So ein Leben hätte ich mir schwerlich vorstellen können. Ich brauche viel Ruhe und eine ungestörte Atmosphäre.
Die Familie ist wirklich eine Macht, und sie bildet ein enges Netz, innerhalb dessen du dich bewegen musst. Man muss wirklich rundum Rücksicht nehmen. Damit fühlt man sich vielleicht geborgen und sicher, man nimmt Anteil an den Sorgen und Freuden der anderen Familienmitglieder. Aber man ist nicht mehr frei, wie wir es hier in Europa sind. Und schliesslich sind die Familie nicht nur Eltern und Kind, nein, auch Grosseltern, Tanten und Onkel, Vetter und Basen. Ach ja, es hat gar kein Ende. So war es bei uns auch noch vor ein oder zwei Generationen. Damals hatte man vor allem Kontakt mit den eigenen Verwandten. Man hat sich besucht und man hat sich gegenseitig unterstützt und man hat auch leidenschaftlich gestritten.
Wenn ich also S erzählen würde, dass hier eine nette Schwedin Iran über das Buch von Mahoody kennen lernen will, dann wäre sie hell entsetzt. Und sie würde dir Bücher vorschlagen von Saadi, von Hafez, von diesen alten Klassikern oder vielleicht auch von ein paar jungeren Schriftstellern. Aber bestimmt nicht dieses Buch. Sie würde denken, du lernst Persien von der schlechtesten Seite und auf eine falsche, dh nicht sehr wahre Art kennen. Sie meint, wenn denn etwas daran wahr sei, dann sei es eine sehr einfache, sehr fundamentalistisch religiöse und unkultivierte Familie.
Aber wie gesagt, ich behaupte, es kann wahr sein. Und ich weiss auch, dass eben alte Gesellschaften sehr hart sein können, dass sie strenge Mechanismen haben, um den Zusammenhalt zu schffen. Es ist fast wie der Kampf in der Natur, der ja auch brutal sein kann. Wenn ein persisches Ehepaar scheidet, dann kommen die Kinder zum Mann. Das ist islamisches Gesetz. Und eine Ausnahme kann nur der Mann selbst entscheiden.
Ich habe ein anderes Buch über den Iran gelesen. Es ist von einer jungen Perserin geschrieben, die in den USA studiert hatte und dann zurück in den Iran ging. Sie hat dort die Revolution erlebt. Sie hat sehr schlimme Dinge erlebt. Aber sie hat das alles beschrieben mit einer unerhörten Gelassenheit. Das fand ich sehr kultiviert. Vielleicht kann ich herausfinden, wie der Titel dieses Buches ist. Vielleicht für nächsten Sommer in Norrland?
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Ich glaube, das ist eines der letzten Mails, das du hier und jetzt in Stockholm bekommst. Du weißt, ich weiss nicht, was ich im Iran ausrichten kann. Am besten rechnest du mit gar nichts. Und sollte mal was ankommen, dann ist es eine Überraschung. Ich hoffe einfach, dass ihr eine gute Reise habt. Es ist ja lange, zwei Tage. Und dass ihr es schön habt und Energien und Lebensfreude tanken könnt in Norrland. Die Natur ist ja doch eine der wirksamsten Quellen der Energie. Und ich hoffe, dass alles gut läuft und dass ihr jede Menge Fische bekommt.
Und natürlich, liebste Marlena, hoffe ich, dass wir uns Mitte August wieder treffen. Und dass wir uns viel zu erzählen haben und wieder voller Freude Kontakt haben werden.
Und dass ich mich kürzlich "daneben benommen" habe, dafür bitte ich Dich um Entschuldigung. Ich schäme mich wirklich ein bisschen dafür, weil ja auch etwas Alkohol im Spiel war. Das ist nicht gerade gentleman-like!! Es ist wahr, wenn du sagst, du hättest das nicht verdient. Das hast du wirklich nicht. Du hast dich wirklich noch nie "daneben benommen", auch wenn du dich kürzlich für irgendwas entschuldigt hast.
Ich umarme dich und küsse dich über das ganze Gesicht
Bleib meine Marlena
Dein ...

Samstag, 11. Juli 2020

Ankunft im hohen Norden

Pure Nostalgie




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Wenn wir am zweiten Tag der Reise so gegen 14.00 Uhr ankommen, haben wir sofort unsere bestimmten Aufgaben die schnell erledigt werden müssen. Wenn das Gras sehr hoch ist (es kann einen halben Meter sein im schlimmsten Fall) nimmt K die Sense. Erst verstauen wir natürlich all unser Gepäck im Haus. Dann trage ich alle Matratzen hinaus in die Sonne da sie vom Winter etwas feucht sind und schliesslich klettert K aufs Dach um den Deckel vom Schornstein abzunehmen damit wir im Ofen Feuer machen können. Wasser wird im Brunnen geholt. Die alte Wanduhr wird aufgezogen. Sie tickt so gemütlich. Die Vögel werden auf ihren Platz gestellt. Es scheint ihnen sehr gut zu gefallen in der grossen hellen Bauernküche wo von allen Seiten das Licht hereinstrahlt. Und dann zuletzt, pflücke ich auf der Wiese den Blumenstrauss, der in einem kleinen Korb neben der Tür verkünden soll dass wir nun zu Hause sind und alle herzlich willkommen heissen. Und man kommt. Von nah und fern. Die meisten jungen Leute sind doch in den Süden ausgewandert. Aber im Sommer kommen sie ”nach Hause” und dann tauchen sie auf, Ks Freunde aus seiner Kindheit u.a. (einige haben auch in Uppsala studiert) und man erzählt sich bei einer Tasse Kaffee was man in dem vergangenen Jahr erlebt hat oder spricht von Erinnerungen aus der Kindheit. Jedes Jahr werden wir auch von Kusinen und Nachbarn eingeladen und mein Verehrer ;-)) steht immer bereit wenn ich die Post hole um ein paar Worte zu wechseln. Manchmal kommt auch jemand aus dem Süden zu Besuch und bleibt dann meistens so eine Woche. Es ist ein stilles erholsames Leben und es ist komisch, obwohl man fast nichts zu tun hat, fliegen die Tage nur so dahin. Übrigens haben wir früher auch immer Tennis gespielt in Kalix aber im letzten Jahr sind wir etwas faul gewesen. Vielleicht auch das Alter ;-))


Ich darf nicht vergessen zu sagen dass wir auch viel am Fluss unten sind. Anna schwimmt jeden Tag in dem meistens eiskalten Wasser und K geht abends runter um ein paar ”Harre” (wie sie nun wieder auf Deutsch heissen können?) zu fischen. Es ist ein kleiner Lachsfisch der sogar den Lachs übertrifft im Geschmack. Nur soll man ihn so frisch wie möglich essen und manchmal können wir es nicht lassen und braten sofort ein paar, leicht paniert in Butter, wenn K damit vom Fluss kommt. Ich habe früher auch viel gefischt und vielleicht werde ich es diesen Sommer wieder mal versuchen.


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Freitag, 10. Juli 2020

Mittwoch, 8. Juli 2020

Warum nicht "Maladi"?


den 13 april 2000 23:53

Lieber ...
Ich suche vergebens nach einem schönen Wort das "LIEBE" ersetzen könnte. Warum nicht "maladi"? Niemand würde je verstehen um was es geht und ausserdem ist es inhaltlich verwandt mit "maladie" Es ist eine Zusammenschmelzung von unseren Namen. ... Maladi ist ein schönes Wort, klingt wie Musik und passt gut zu unseren Gefühlen.
Sollen wir unsere LIEBE mit einem Glas Champagner taufen? Oder hast du Einwendungen gegen diesen Namen, Chéri?"




den 14 april 2000 17:37

Liebe Marlena
Maladi finde ich absolut super. Wir sollten dieses schöne Wort wirklich begiessen bis es pudelnass ist, wie bei einer grossen Schiffstaufe. Man muss gar nicht viel erklären zu diesem Wort. Wir zwei wissen alles, was drin steckt. Es ist grandios, ich gratuliere der Patin, die den Namen gefunden hat. Er wird uns wie Honig auf der Zunge liegen. Maladi wird wie ein Turm vor unseren Augen aufragen. Und sie wird sich als fröhliche Melodie durch unsere Jahre ziehen. Ich finde, wir sind wirklich ein fantastisches Team, Marlena, und eine solche Maladi, wie wir sie hier pflegen und geniessen, wird es auf dieser Welt keine zweite geben. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und dazu hat Maladi eine Affinität zum Französischen, das ist auch sehr gut getroffen. Und die Silben machen, wie du zeigst, einen Sinn. Ach, es ist praktisch ein Zauberwort. Und dass auch ein Hauch von maladie drin ist, eine kleine melancholische Note, finde ich besonders reizend, bricht die Farbe um eine Nuance. Ich kann uns nur zu diesem Kunstwerk beglückwünschen. Und wenn ich irgendwann und irgendwo auf dieser Welt über Ostern ein Weinglas in der Hand haben werde, so werde ich mit dir anstossen. Du wirst es hören am schönen hellen Klang der Gläser. Ich bin sicher, du wirst es hören. Und natürlich werde ich auch meinerseits genau in die Lüfte horchen, ob ich irgendwann einen solchen kleinen Kristallkuss höre. Und ich werde dir später die Uhrzeit sagen.




Montag, 6. Juli 2020

Narzissmen


den 6 mars 2000 14:05

Liebe Marlena
Ich danke dir für den lieben Brief. Ich bin froh, dass du meine Ironie verstehst und nicht alles ernst und 1:1 nimmst, was ich schreibe. Das gäbe nur böses Blut. Ich habe natürlich nicht mehr ...
(---)
Magst du die Einsamkeit? Warum denn das? Du sehnst dich nach Einsamkeit, wenn du in Gesellschaft bist? Und du träumst von Zweisamkeit, wenn du einsam bist? Ist das vielleicht so? Ich kann mich erinnern, wie du ziemlich heftig protestiert hast, als ich deine Single-Lebensweise als "trendy" bezeichnet habe. Ich bleibe natürlich bei meiner Analyse. Es ist trendy, was immer deine Gefühle und deine Einstellung dazu sind, es ist und bleibt trendy, da kannst du gar nichts gegen machen, meine Liebe. Vielleicht lebst du gegen deinen Willen so, aber es ist eben nun mal trendy. Du kannnst sagen, der Trend ist nicht der Grund, warum du so lebst. Du könntest auch sagen, du lebst so, obwohl es ein moderner Trend ist. Ach, ich quassele (umgangssprachlich für reden) zuviel. Entschuldigung meine Liebe. Langsam fange ich an, dich zu lieben. Pass auf Marlena. Platonisch natürlich, das haben wir ja so vertraglich abgesprochen, nicht wahr, obwohl ich mit meinen barocken Gefühlen das Platonische oft nur als "Knochen ohne Fleisch" empfinde. Doch das ist auch schon eher wieder ironisch. Vergib mir.
Ich muss arbeiten jetzt, es ist 0805, das Pult ist voller Papier und schaut mich an wie ein zerzauster, hungriger Löwe. Wenn ich in seine Nähe gehe, bin ich verloren. Er wird mich mit Haut und Haaren verschlucken, soweit ich ihn kenne. Ich werde bis abends nicht mehr loskommen. So ist das bei Löwen, bei hungerigen.
Ich wünsche dir eine gute Woche. Hat jetzt deine Arbeit wieder angefangen? Oder hast du immer noch Ferien, du Glückspilz? Wir Schweizer haben die längsten Arbeitstage in Europa, sagt man hier immer wieder. Und wenn es nicht wahr ist, so ist es mindestens gut erfunden! S'e non e vero e ben trovato, oder so ähnlich in italiensich.

Mit einem schönen Kuss (Handkuss natürlich, was in der Schweiz völlig unbekannt ist und hier sehr nach k&k und süsslich aussieht und worüber alle schmunzeln würden). Macht ihr das in Schweden, als alte Royalisten, den Handkuss? In der Schweiz gibt es bloss den Wangenkuss (beidseitig bitte sehr, oder sogar dreifach vor allem in der Romandie), den Lippenkuss (repräsentativ für die bürgerliche Liebe und sehr verräterisch wegen des vielbenutzten Lippenstiftes), den Zungenkuss (die bürgerliche Intensivvariante, sehr leidenschaftlich und tiefgehend und feucht) und den Negerkuss (wieder ironisch und auch kalorienreich). Letzteres ist eine Süssigkeit, eine mit dünner Schokoladenschicht überzogene weisse und klebrige Zuckermasse, die du sicherlich auch kennst, vielleicht einer der süssesten Küsse, die man auf der Welt applizieren kann, abgesehen vom Intimkuss vielleicht, auf den ich aber jetzt nicht näher eintrete. Also, meine Liebe, ich lass dich, sonst werde ich zu frivol.
Mit einem lieben Gruss von deinem Mailpartner
(klingt wie eine offizielle Funktionsbeschreibung zuhanden der Steuerbehörde. Hat mich sehr erstaunt, deine Anrede! Wie bist du dazu gekommen?)

...


Sonntag, 5. Juli 2020

Beginn einer Mausfreundschaft



 (R)

Liebe Marlena
Weißt du, was es ist? In der normalen Alltagsehe vermisst man die Komplimente. In einer virtuellen Mausfreundschaft gibt es jede Menge davon. Vielleicht ist dies eines der Geheimnisse?
Ich hoffe, dass unser Kontakt uns beide von innen erleuchtet, so dass wir, du in Stockholm und ich hier, für unsere Familien und unsere Leute der Umgebung eine geheinmisvolle Serenität (Heiterkeit, ich hab das deutsche Wort im Wörterbuch nachgeschaut) ausstrahlen können. Das ist doch ein guter Zielparagraph für unseren Kontrakt, nicht wahr? Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das blendend!
Mit einem lieben Gruss und zwei Küssen
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Re: Warum denn auch?

Lieber Mausfreund!
Ist das ein Kontrakt für unsere "Internetfreundschaft"? Diesen Paragraphen kann ich voll akzeptieren :-) Es darf nie etwas Negatives für unsere Nahstehenden bedeuten. Tut es ja auch nicht. Im Gegenteil, es ist wie du sagst, wenn man Liebe erhält kann man auch Liebe verschenken.

Den einen Kuss schicke ich dir hiermit zurück! Brauche doch nur einen ;-)

Wünsch dir noch einen schönen Abend und vergiss nicht deiner Tochter zu gratulieren! War es nicht heute?

Machs gut, mein Mausfreund

PS Der Brief mit der ûberschrift: Narcissmen enthält deine Sturmwarnung. Natürlich habe ich sie missverstanden. War doch nur platonisch gemeint. Oder vielleicht platonisch getarnt?
Marlena

(den 28 mars 2000)

Mittwoch, 1. Juli 2020

neue Verbindung Dänemark - Schweden






Date: Sat, 01 Jul 2000 08:38:38 GMT

Liebe Marlena
Heute oder morgen wird die Verbindung zwischen Dänemark und Schweden eingeweiht, nicht wahr, oder dem Verkehr übergeben? Wie heisst es, Öresund oder so. Dann brauchen die Elche nicht mehr nasse Füsse zu bekommen, wenn sie nach Dänemark auswandern wollen. Dann können sie in Kolonnen über diese Brücke wandern und in der Mitte noch ein schönes Picknick machen ;--)
Wenn ich dich jetzt in Stockholm besuche, könnte ich dies trockenen Fusses. Nun ja, das wäre ja schon bisher möglich gewesen, aber mit einem grossen Umweg, nicht wahr? Aber jetzt könnte ich wirklich gleich meine Pantoffeln anbehalten. Das ist doch ein gutes Gefühl. Ich werde es mir überlegen.
Bis dahin wünsche ich euch allen eine gute Zeit
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heute 20 Jahre alt 


Klagelied


Lieber ...

Heute hatten wir eine Abendkonferenz. Na ja, du weisst schon wie das meistens zugeht. Es ist total sinnlos und eine grosse Zeitverschwendung. Man hat uns über die Umorganisationen informiert und auch das Gymnasium wird bald wieder ganz verändert mit neuen Programmen, Stundenplänen und Zweigen. Sofort, wenn etwas zu funktionieren beginnt wird es abgeschafft und mit etwas neuem ersetzt. So haben die Papierträger immer wieder neue Beschäftigungen, die ihre Existens rechtfertigen.

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