Dienstag, 31. März 2020

IRAN - private Einladungen

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Vielleicht noch ein Wort zu den privaten Einladungen. Wir sind ja da und dort eingeladen worden. Eine solche Einladung im Privaten hat einen standardisierten Ablauf. Perser gesetzeren Alters halten ihn minutiös ein, Jüngere machen da und dort heute kleine Abweichungen. Wenn du hereinkommst, servieren sie dir nach der Begrüssung ein Glas eiskalten Sirups, meist Kirschensirup. Obwohl du natürlich danach lechzst, weil du gerade über eine halbe Stunde im Auto geschwitzt, und nun endlich die staubigen Schuhe abgestreift und dich auf eine kühle Erfrischung gefreut hast, solltest du diesen Sirup dankend ablehnen. Sie mischen den Drink nämlich mit Hahnenwasser, und davor solltest du dich hüten. Du kannst darauf bestehen, dass sie dir einen mit Mineralwasser bringen. Aber meist haben sie kein Mineralwasser. Es ist hier sündhaft teurer, weit teurer als Benzin. Also lässt du den Sirup einfach stehen. Das ist auch insofern gut, also du dann auf keinen Fall gierig wirkst. Schnell zu trinken oder zu essen wäre ziemlich daneben. Etwas stehen zu lassen gilt eher als schick denn als unhöflich. Es zeigt, dass du sehr wählerisch bist, und dass sie sich sehr anstrengen müssen, um deine Wünsche zu erfüllen. Du lässt dich nicht mit dem Erstbesten abspeisen. Nach dem Sirup bringen sie dir einen Tee. Da kannst du jetzt getrost zugreifen. Er ist ohnehin brandheiss, so dass du ihn mit deinem Wüstendurst nicht gleich hinuntergiessen kannst. Du musst daran nippen wie im Damenkränzchen. Sie servieren den Tee in einem kleinen Glas. Heute sind sie etwas bequemer geworden und bringen manchmal für Männer ein grosses Glas. Und das Gläschen steht auf einer tiefen Untertasse, oft recht hübsches chinesisches Porzellan. Wenn der Tee zu heiss ist, darfst du die ersten Schlücke in die Untertasse giessen, damit er schneller kühlt. Diese Prozedur machst du aber sehr besonnen und mit unendlicher Langsamkeit. Sie zeigt trotzdem, dass du sehr durstig bist und nicht warten kannst, bis das Glas auf Genusstemperatur abgekühlt hat. Zum Tee nimmst du einen kleinen Zuckerbrocken und legst ihn auf die Zunge. Er ist ein bisschen unförmig und eckig, sperrig im Gaumen und sehr hart, damit er sich nicht schon beim ersten Schluck ganz auflöst. Der erste Schluck ist dann praktisch ohne Süsse, guter und etwas bitterlicher Schwarztee, wirklich meist ausgezeichnet und belebend. Der zweite Schluck ist schon etwas süsser, der dritte sehr süss, weil sich der Zucker mittlerweile aufgelöst hat. So schmeckt jeder Schluck ein bisschen anders. Und wenn du den Tee einmal so genossen hast, dann findest du einen Schwarztee aus dem Beutel, der einfach so gesüsst wird und von oben bis unten gleichermassen schmeckt, dann findest du das einfach so monoton und reizlos wie Büchsennahrung oder wie Unterwäsche aus dem letzten Jahrhundert.
Zum Tee oder nach dem Tee bringen sie einige Süssigkeiten, Gebäck, Schokoladestücklein oder sowas. Vielleicht zweifelst du jetzt an deiner Wahrnehmung und du bist nicht sicher, ob du in die richtige Einladung geraten bist. Denn eigentlich hast du dich auf ein Essen vorbereitet, und es scheint eine Teeparty geworden. Aber keine Bange. Du liegst schon richtig. Du musst jetzt einfach diese Süssigkeiten dankend ablehnen, weil du dir damit den Appetit versaust. Du kannst, wenn du äusserst höflich sein willst, einen kleinen Bissen naschen und den Rest liegen lassen. Diese Süssigkeiten gehören einfach dazu. Allah weiss warum. Sonst kaum jemand.
Und dann, irgendwann, wenn du schon lange nicht mehr daran glaubst, tragen sie auf und bitten zu Tisch. Meist stehen vier oder fünf verschiedene Speisen da, auf grossen Platten und schön arrangiert. Und dazu immer Reis und Brot und oft wieder Zwiebeln und Limetten, meist Mastchiar, die Yoghourt-Speise. Und natürlich Cola. Wenn du dir einen Sitzplatz gesichert hast, kannst du gleich loslegen. Jeder nimmt selbst, es wird nicht so förmlich serviert, einer nach dem andern, so dass nur noch der Allerletzte, nämlich der servierende Gastgeber, wirklich ein warmes Essen geniessen kann, wie wir dies in Europa machen. Jeder nimmt, was er mag und fängt gleich an zu essen. Es geht manchmal ziemlich wild durcheinander. Aber alle geniessen es so, und es ist sehr unkompliziert.
Nach dem Essen, wenn der Tisch aussieht wie ein Schlachtfeld, dann bringen sie die Melone. Sie ist kalt und in grosse Stücke geschnitten. Du kannst mit deiner Gabel gleich lospeilen und diesen Melonenbrocken, wenn du magst, direkt und nonstop zum Mund führen und abbeissen. Meist sind sie saftig und zuckersüss, genau das Richtige nach dem Essen. Du kannst sie auch, etwas ladylike, auf dem Teller mit der Gabel zerkleinern und die schwarzen Kerne der Henduné, der roten Wassermelone, herausstochern. Es gibt in Persien etwa 8 Melonensorten. Und jede hat einen eigenen Namen. Wenn sie nicht sehr reif sind, sind sie etwas fade. Aber man kann sie immer auch als Getränkersatz sehen und essen, anstatt Wasser zu trinken.
Nach dem Tisch gibt es sofort wieder Tee. Und nach ein paar Malen bist du so konditioniert, dass du darauf nicht mehr verzichten möchtest. Es gibt extravagante Leute, allermeist Westlerinnen, die fragen, ob sie einen Lindenblütentee oder einen Hagebuttentee haben können. Sie haben Angst, dass sie später nicht einschlafen könnten. Sie werden natürlich angesehen wie Extraterrestrians. Aber die Perser werden sich nichts anmerken lassen. Ich erinnere mich, S wollte bei ihrer Tante irgend so einen Tee. Und diese sagte, sie müsse in der Küche nachsehen, ob sie diesen Tee hätte. Ich hätte schwören können, dass sie keinen solchen Tee in der Küche hat. Sie hat auch wirklich keinen gehabt. Wenn ich richtig verstanden habe, wollte sie nicht einfach schon so zu Beginn nein sagen und die Hoffnung zerstören. Eine Schweizer-Hausfrau hätte wohl umgekehrt vorerst direkt die Hoffnung gemindert, indem sie Zweifel an der möglichen Erfüllung des Wunsches formuliert hätte. Oder sie hätte direkt gesagt, so ein Tee führe sie nicht in ihrer Küche. Klipp und klar und hart, wie wir in Europa sind. Aber das ist nicht Sache der Perser. Sie lassen dich lieber noch eine Zeitlang in deinen falschen Hoffnungen schwelgen. Es wird sich ja dann schon irgend eine Lösung finden. Weshalb also die Leute gleich frustrieren?

Montag, 30. März 2020

Iran I - Teheran



Subject: Iran I

Liebe Marlena
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Ich weiss gar nicht mehr, wie wir drauf gekommen sind, ich sollte irgendwelche Ähnlichkeiten mit Proust haben. Er ist doch wirklich von der anderen Seite, der Kerl. Aber ich muss sagen, seit ich ein bisschen mehr weiss von ihm, ist meine Wertschätzung gestiegen. De Botton hat ihn mir ziemlich gut vermittelt.
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Ich will Dir ein bisschen über unsere Ferien im Iran erzählen. Das war ja bekanntlich ein grösseres Unternehmen, und es ist deshalb nicht einfach, dieses 4-Wochen.Projekt in Worte zu fassen. S ist ja schon einige Wochen früher abgeflogen und hat einiges für uns organisiert. Sie hat auch unsere Wohnung für meinen Neffen und seine Freundin bereitgemacht. Ist recht schön geworden, unsere Wohnung. Sie liegt im 8. Stock eines hohen Hauses in einem sehr "bürgerlichen" Quartier, dh. umgeben von Villen in 2 Stockwerken. Wir haben also eine wundervolle Aussicht auf den nördlichen Teil Teherans, an diesen Gebäudemoloch, der sich an den Hängen des Elburs Gebirges in die Höhe frisst. Ich glaube, die ganze Stadtgrenze ist seit meinem letzten Besuch wieder um einige Meter gestiegen. Die Berghänge sind in ein helles Ocker getaucht. Tagsüber sieht das heiss und staubig aus. Aber abends, wenn die Sonne leichte bläuliche Schatten in die Halden wirft, dann wirkt dieser Hintergrund sehr schön und plastisch. Wir waren mal bei einer Kusine von S zu Besuch. Sie und ihr Mann haben in Paris Architektur studiert und sind jetzt sehr erfolgreich in Teheran. Sie haben eine Attika-Wohnung praktisch zuoberst. Dahinter, so sagte man mir, lebt nur noch Chamenei, der erzkonservative Staatspräsident. Und Komeinis Witwe lebt in naher Nachbarschaft. Es ist wirklich eine ganz heisse Gegend, und im Stillen habe ich mir beim Essen vorgestellt, dass die nächste Revolution wohl in dieser Gegend ausbrechen und in heimlich deponierten Bomben explodieren würde. Vom Dach ihres Hauses hatte man eine wunderbare Aussicht über die ganze Stadt, die sich wohl an die 50 km in den Süden hinunterzieht. Dort unten, in down-town ist es sündhaft heiss und nur für Ärmste noch gerade zu ertragen. Es gibt im Stadtbild drei Elemente. Die traditionellen Häuser sind in der Regel höchstens zweistöckig. Und die engen Gassen sind nicht sehr geometrisch geordnet. In der Nacht wirken diese Quartiere unstrukturiert mit zahllosen kleinen und feinen Lichtlein, wie ein völlig ausverkaufter und überfüllter Sternenhimmel. Dann gibt es die grossen Expressstrassen. Sie sind mit grossen Strahlern beleuchtet, die ein etwas orangenes Licht ausstrahlen. Sie geben dem nächtlichen Bild einigermassen eine Struktur. Und schliesslich gibt es einige Gebiete, wo Hochhäuser in die Höhe schiessen. Sie haben wohl etwa 30 Stockwerke. Ganz in unserer Nähe war so ein Haus, der Borghe sefid, der weisse Turm. Zuoberst ein Restaurant, voll verglast, das sich im Kreise dreht, wo man guten Kaviar bekommen soll. Dort trifft sich die Jugend, saugt stundenlang an einer Cola-Büchse und wirft dem anderen Geschlecht vielsagende Blicke zu. Die Mädchen sind zwar mit Kopftuch und Cape, aber hier oben streifen sie das Tuch ein bisschen weiter zurück, um ihr schönes Haar ein bisschen mehr versprechen zu lassen. Aber sie sind für unsere europäischen Verhältnisse immer noch sehr zurückhaltend und kontrolliert und höflich. Unsere B. war auf diesem Hintergrund geradezu frech und auffallend locker und unkontrolliert. Sie wirkte wirklich machmal ungezogen, was sie hier in Europa nicht eigentlich ist. Es war für uns Eltern gelegentlich ein bisschen peinlich. Aber ich glaube, sie wollte auch gerne etwas provozieren. Meine Schwiegermutter hat Todesängste ausgestanden, wenn sich B. mit jemandem getroffen hat und sich dann - was ja eigentlich im Iran völlig normal ist - etwa um eine Stunde verspätet hat. Und sie hat sich geschminkt, wie ich sie hier in der Schweiz nie gesehen habe. Ich hatte das Gefühl, sie müsste sich mit ihren Signalen auf diese kleine Gesichtsfläche beschränken und wollte diese "Werbefläche" voll ausnutzen. Mit Kleidern oder Haaren war ja sonst nicht viel zu machen. Doch sie hat mir erklärt, dass sich die Perserinnen so intensiv schminken würden, und dass sie - wohl oder übel - doch mithalten müsse. Ist möglich, dass sie Recht hat. So genau studiere ich bei den jungen Mädchen jeweils nicht mehr, was nature und was artificiel ist. Aber manchmal sehen sie wirklich unverschämt schön aus. Das muss man ihnen zugestehen. Und B war in der oberen Spielklasse gut mit dabei, muss ich ihr auch zugestehen. Sie mag es, wenn ich ihr Komplimente mache. Sie bedankt sich manchmal so postwendend, dass ich den Eindruck habe, sie hätte förmlich darauf gewartet. Das heisst, sie zieht sie mir geradezu aus dem Mund. Na ja, vielleicht weißt du, wie Töchter sind.
Teheran hat um die 20 Millionen Einwohner. Der Iran insgesamt 65 Millionen, haben wir gehört. Ein Drittel der Bevölkerung wohnt also in Teheran. Das ist das Resultat der riesigen Landflucht in den letzten 20 Jahren. Das Staatsgebiet liegt, im europäischen Vergleich, etwa zwischen Madrid und der zentralen Sahara Südalgeriens. Teheran liegt auf demselben Breitengrad wie Gibraltar (ich weiss jetzt wirklich, warum es Simine immer dort hinunter nach Andalusien zieht: Klima, maurischer Einschlag, Flamenco etc.). Aber Teheran liegt als Stadtzentrum auf etwa 1200 m ü.M, die nördlichsten Teile steigen bis 1700m, also so hoch, wo bei uns etwa die Waldgrenze liegt. Das macht also einen Höhenunterschied von ca. 700m, der sich aber auf diese 50 km verteilt. Aber es ist doch im oberen Teil, wo die reicheren Bürger wohnen und wo auch die ehemaligen Gebäude und Paläste des Schahs sich befinden, doch deutlich ansteigend. Die grossen Strassen sind mit riesigen Bäumen gesäumt, die tagsüber Schatten spenden und im Grunde ein schönes Bild abgeben. Sie stehen allesamt im Graben, wo häufig Wasser wie ein Bächlein in einem offenen Kanal hinunter fliesst. Früher gab es kaum noch Randsteine, und wenn du beim Parkieren mit einem Rad deines Wagens in diesen Kanal gesackt bist, dann konntest du den Abschleppdienst rufen. Und das konnte man da und dort beobachten. Natürlich hat Teheran Kontinentalklima, dh. trocken, mit grossen Temperaturunterschieden, im Winter manchmal Schnee für ein paar Tage. Und sonst mindestens Schnee auf dem Elburs, wo die Perser gerne Skifahren gehen.
Wir haben unsere Ferien dreigeteilt. Am Anfang sind wir für ein paar Tage ans Kaspische Meer gefahren. Nach ein paar Tagen im Ferienhaus im Elburs und in Teheran eine Woche in Isfahan. Und zum Schluss wieder in Teheran.
Die Tage am Kaspischen Meer waren gut, wenn auch nicht gerade überwältigend. Wir haben im Hotel Enghelab gewohnt, was soviel wie Revolution heisst. Es ist ein ziemlich grosszügig konzipiertes Hotel mit einer riesigen Lobby über alle 6 Stockwerke, mit zwei Glasliften als die Attratkion dieser riesigen Halle. Wenn noch ein Araber mit zwei oder drei Frauen herumflaniert ist, dann hat das Bild gestimmt. Wir hatten drei Zimmer, und S musste bei der Rezeption schummeln und mit einem guten Trinkgeld nachhelfen, damit sie glaubten, all die jungen Leute (auch mein Neffe und seine Freundin) seien ihre Kinder. Nur so kamen sie in den Genuss, auch mit Rials bezahlen zu können. Die Dollar-Preise sind sehr hoch. Man spürt in den Preisen noch förmlich den Hass gegenüber den den Amerikanern, den das Regime damals geschürt hatte. An der Nordseite des Elburs gibt es tropisches Klima, sehr feucht und warm, mit etlichen Mücken. Sie haben hier den Steigungsregen vom Meer her (das eigentlich ein See - mässig salzig - ist, und nota bene keinen Abfluss hat), und die Berge sind bis zum Horizont hinauf grün bewaldet. Es soll Bären geben und Leoparden, hat man uns gesagt. Das Kaspische Meer ist bekannt für den Stör und den Kaviar, den man von ihm gewinnt. Wir haben dort oben in der Provinz Gilan am Meer jede Menge Fisch-Kebab gegessen. Der Stör hat ein festes Fleisch, und er schmeckt ein bisschen - nur ganz wenig - bitterlich. Er hat mich ein an den Geschmack des Tintenfischs erinnert, den ich sehr mag. Kaviar haben wir keinen gegessen. Ich mag ihn auch nicht so besonders.
Und dann gab es vor dem Hotel den Strand. Zum Baden haben sie für Frauen und für Männer mit Planen je ein Geviert abgegrenzt. Die Frauen mussten rechts vom Hotel, die Männer links. Das ganze war etwa 500 m voneinander entfernt. Als Familie konntest du also nicht gemeinsam baden. Und die Tuchplanen haben auch jede Sicht verdeckt. Das hat mir wirklich nicht gefallen. Normalerweise ist am Meer doch das Schönste die Weite des Strandes und des Wassers, und das Spiel der Familien und der Kinder und das Promenieren der Allerschönsten. Hier war alles in ein 50 mal 50m Karre eingesperrt, voller Männer und Söhne und eine lausige Dusche und in der Mitte ein Gestell, wo alle die Kleider aufhängen sollten. Der Bademeister hat registriert, aus welchem Hotelzimmer du kommst, weiss Gott respektive Allah, wozu. Und wenn du etwa 20m im Meer draussen die Abschrankung ignoriert hast, haben sie bereits mit der Pfeife getrillert. Das haben sie wohl in Bay-watch gelernt. Es war echt mittelalterlich, solches Baden. Und auch meine Schwiegermutter war enttäuscht. Sie war als junge Mutter zu Zeiten des Schahs jedes Jahr während ein oder zwei Monaten mit ihren Kindern hier am Meer gewesen. Und ich habe diese offenen sandigen Strände damals, vor der Revolution, auch noch erlebt. Aber wir haben versucht, das Beste draus zu machen. Ich ging beispielsweise gerne abends nach 1900h baden. Dann haben sie nämlich ihren Tuchzaun schon geschlossen und teilweise aufgerollt. Aber ganz legal war mein Tun nicht, und ich wurde mit Mistrauen beobachtet. Und auf den Märkten haben wir uns die vielen Handarbeiten angeschaut, die hier vornehmlich aus Holz sind. Es gibt alles Mögliche, und alles für uns sehr billig. Mein Neffe hat ein hübsches Dais-Spiel gekauft, ein Backgammon aus Holz mit Intarsien. Backgammon ist sozusagen der Nationalsport. Doch das Regime hat verboten, es in der Oeffentlichkeit zu spielen. Aber im Privaten kann man es durchaus finden, und es ist ein gutes Spiel, das man sehr einfach aber auch ziemlich raffiniert spielen kann. Es ist also gut für alle Generationen. Mein Neffe musste schon Runden Eiscreme bezahlen, weil er in diesem Würfelspiel wirklich noch kein Meister war, auch nicht sein konnte.
Ein besonderes Erlebnis war die Fahrt per Auto über das Elbursgebirge. Das kann man sich eigenttlich nur vorstellen, wenn man weiss, wie die Perser autofahren. Sie interpretieren die Verkehrsregeln wirklich sehr grosszügig und sind nicht kleinlich, nein, sie sind sogar echt erfinderisch. So kann es vorkommen, dass du in einer Kolonne hinter einem Lastwagen den Berg hinauf kriechst. Und dann überholt einer links, weil die Strasse im Moment mehr frei scheint als wirklich ist. Und der nächste überholt rechts, auf dem Grienstreifen über Stock und Stein praktisch, indem er eine riesige Staubwolke hinter sich nachzieht. Für europäische Augen sieht sowas einfach abenteuerlich und unglaublich aus. Du denkst du spielst hier in einem Triller mit, einem Streifen, wo du jede Szene, wenn sie quer herauskommen sollte, nochmals spielen kannst. Doch es gibt nicht viele Unfälle, weil alle wissen, dass man sich nicht sosehr auf Regeln verlassen kann. Wenn du überholst und es reicht nicht ganz, dann weicht der Entgegenkommende eben etwas aus, geht notfalls auch auf den Grienstreifen hinaus. Diese Fahrt über die Berge dauerte etwa 5 Stunden insgesamt. Und wir haben alle ein bisschen gezittert und geschwitzt.
Die Tage in Teheran waren zwar sehr warm, aber angenehm, weil wir zuhause Essen und nachher ein Schläfchen nehmen konnten. Mit der Air Condition ist es in der Wohnung sehr bequem. Wir konnten ausruhen, unsere Reiseführer studieren, Tee trinken und Hendune essen, die rote Wassermelone, die, wenn sie wirklich reif ist, ausgezeichnet schmeckt. Allerdings muss man sie vorher im Kühlschrank lagern, so dass sie kalt ist. Man kann sich daran wirklich zu Tode essen, oder trinken, müsste man eher sagen. Denn sie besteht ja wohl zu 99% aus wasser. Wenn das Fleisch leicht bricht, tiefrot ist, und fast trocken wirkt, dann ist sie wirklich süss. Die Kunst ist, auf dem Markt eine solch süsse Nummer herauszufinden. S hat sie jeweils aufschneiden lassen und sie dann nur genommen, wenn sie wirklich reif schien. Die Grossen schmecken in der Regel süsser als die Kleinen. Wir haben Apparate von 10 bis 15 kg heimgeschleppt. Gegen ein kleines Trinkgeld trägt sie dir ein Bursche bis zum Auto. Wir haben in Teheran natürlich den Bazar besucht, der eher im Süden liegt, und auch die Golestan Palastanlage, die ehemaligen Paläste der Katscharen, die sehr schwach und sehr europafreundlich waren. Damals hat Persien grosse Gebiete im Norden, Azerbeitschan, Georgien, Armenien, Turkmenistan an die Russen verloren, und hat die 0elrechte an die Engländer verschachert. Sie waren eine schwache Dynastie, und ihre Paläste sehen ein bisschen aus wie europäische Fabriken des 19. Jahrhunderts in Backstein, von den Dimensionen her. Aber sonst sind sie natürlich mit wunderbaren Fliessen verziert und noch recht gut erhalten und es gibt einen Marmorthron, auf dem sich sicherlich gut leben liess, weil er etwas kühl ist, und milchig-grünlich.

Ich bin ein bisschen in Eile. Ich werde Dir die Isfahaner Phase das nächste mal erzählen. Ach, ich sollte dir das alles zeigen, damit du es mit eigenen Augen sehen kannst. Mit einem lieben Gruss
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Samstag, 28. März 2020

Wie Proust Ihr Leben verändern kann




Ich habe für mich - du wirst schmunzeln Marlena - ein kleines Taschenbuch für die nächste Zeit gefunden. Es heisst "Wie Proust Ihr Leben verändern kann", von einem Schweizer namens Alain de Botton. Du weißt ja sicher, wie Proust in der Vergangenheit gerührt hat. Nichts anderes hat er gemacht. Noch seine Madelaine hat er in der Vergangenheit gegessen. De Botton hat in Cambridge studiert und lebt in London. Er schreibt ein bisschen maniriert und intellektuell. Das mag ich. Das Buch fängt so an: 1. Wie man das Leben heute liebt
"Es gibt wenig, dem sich der Mensch mit grösserer Hingabe widmet als mit dem Unglücklichsein. Hätte ein böser Schöfper uns nur in die Welt gesetzt, damit wir leiden, dürften wir uns zu Recht damit brüsten, diese Aufgbabe mit Begeisterung erfüllt zu haben. Dabei gibt es wahrhaftig genug Gründe, untröstlich zu sein: die Vergänglichkeit des Fleisches, die Unbeständigkeit der Liebe, die Verlogenheit im Alltag, die Kompromisse zwischen Freunden, die lähmende Wirkung der Gewohnheit. Angesichts derartiger Misstände sollte man meinen, dass wir nichts sehnlicher herbeiwünschen müssten als unsere eigene Auslöschung."
Du siehst, ich bin auf dem Weg der Besserung.

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Jetzt habe ich mein de Botton zu Ende gelesen. Und nun, was kann ich zum Schluss sagen. Ich glaube, Marlena, alles in allem, könnte ich dir dieses Büchlein empfehlen. Sicherlich weißt du natürlich mehr über Proust als ich es gewusst habe. Doch ich finde, de Botton führt auf geschickte und leicht lesbare Art und Weise in das Denken und die Literatur Prousts ein, und erwähnt daneben biographische Aspekte, die ja zum Verständnis der Literatur nicht absolut notwendig sind, aber oft eben doch erhellend. Er hat sein Projekt einfach und gut angepackt. Er baut es wirklich fast wie ein Ratgeber auf und gibt dann Proust das Wort. Und die Kapitel hören sich auch an wie zentralen Fragen des Lebensberaters: Wie man das Leben liebt? Wie man richtig liest? Wie man sich Zeit nimmt? Wie man erfolgreich leidet? Wie man Gefühlen Ausdruck verleiht? Wie man Freundschaften pflegt? Wie man in der Liebe glücklich wird? Er hat nichts ausgelassen, dieser gute Proust. Und offenbar war er nicht nur der Unglücksrabe, als den ich ihn anfangs angesehen habe. Die Theorie sozusagen, die sich aus seinen Ausführungen ergibt, finde ich ziemlich intelligent und sie hat was an sich. Vielleicht könnte man sie so zusammenfassen: der Wert des Lebens entsteht durch die Art der Erinnerung. In der Erinnerung entsteht dieses vergoldete Lebenskunstwerk. Und nicht etwas das reale Leben wäre schon so ein Kunstwerk. Das reale Leben ist voller Kompromisse und Unvollkommenheiten und Grautöne und auch Leiden. Aber die Erinnerung kann dann alles ins rechte Licht rücken und das Leben als einzigartig und schön und ideal erstrahlen lassen. Und davon, Marlena, das muss ich zugeben, bin ich selbst nicht so weit entfernt. Ich könnte ja direkt Proustianer werden. Doch es gibt auch Aspekte an diesem Typen, die mir unsympathisch sind. Seine neurotische Lebensweise etwa, seine vielen Leiden, die er hatte. Es wimmelt offenbar in der Recherche von Leiden und Leidensgründen: seine Mutter, die Homosexualität, verhinderte Liebschaften, gescheiterte Theaterkarriere, Unverständnis der Freunde, Asthma, Nahrungsunverträglichkeiten, Verdauensprobleme, irgendwelche Komplikationen mit den Unterhosen, überempfindliche Haut, Angst vor Mäusen, Kälteempfindlichkeit, Höhenangst, Hustenanfälle, Angst vor Reisen, Flucht ins Bett, Lautempfindlichkeit. Es will gar nicht enden. Und Proust muss in dieser Hinsicht wirklich ein sehr eingeschränkter Mensch gewesen sein. Er erzählt offenbar in diesem Zusammenhang von Noah, der für ihn ein symbolisches Vorbild ist. Noah hat die Welt aus seiner Arche, also einem geschlossenen Raum wahrgenommen. Er hat sie in der Erinnerung wahrgenommen. Und Proust tut dasselbe von seinem Bett aus. Er hat offenbar meist im Bett gearbeitet. Das muss ziemlich unbequem gewesen sein.
Er war also absolut neurotisch und krankhaft. Und doch hat er seine Situation irgendwie intelligent genutzt und einige bemerkenswerte Erkenntnisse daraus gemacht. Virginia Woolf muss offenbar eine grosse Verehrerin Prousts gewesen sein. Sie habe ihn mit grossem Interesse gelesen, und sei ob dem Eindruck, den er auf sie gemacht habe, geradezu verstummt. Er muss ihr grosses Vorbild gewesen sein, und eigentlich wünschte sie zu schreiben wie Proust schreibt. Und offenbar treffen sie sich auch in der homosexuellen Ausrichtung, wenn ich bei Woolfe richtig orientiert bin.
Ich war froh, bei de Botton auch die Szene mit der Madeleine zu finden, denn darüber habe ich schon mehrmals gelesen, und ich wollte immer gerne wissen, was es damit auf sich hat. Ich kann dir die ganze Passage nochmals zitieren, dann kann ich sie gleich auch nochmals lesen:
"Was das Backwerk anbetrifft, so schildert Proust, wie sein erkälteter Erzähler an einem Winternachmittag zu Hause sitzt, als seine Mutter in sein Zimmer kommt und ihm vorschlägt, er solle, entgegen seiner Gewohnheit, eine Tasse Lindenblütentee zu sich nehmen. Er lehnt erst ab, besinnt sich aber aus unerfindlichen Gründen eines Besseren. Zum Tee lässt seine Mutter ihm eine Madeleine servieren, ein dickes, ovales kleines Sandtörtchen, das aussieht, als habe man es in der gefächerten Schale einer Jakobsmusschel gebacken (schön gesagt!!). Der verschnupfte Erzähler bricht, bedrückt durch den trüben Tag und die Aussicht auf den traurigen folgenden, ein Stückchen ab, tunkt es in den Tee und trinkt einen Schluck, als etwas Seltsames geschieht:
,,In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack vermischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein Unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Mit einem Schlage waren mir die Wechselfälle des Lebens gleichgültig, seine Katastrophen zu harmolsen Missgeschicken, seine Kürze zu einem blossen Trug unserer Sinne geworden...Endlich fühlte ich mich nicht mehr mittelmässig, hilflos, sterblich. ,,
Um wleche Sorte Madeleine handelte es sich? Um dieselbe, die seine Tante Léoinie jeden Sonntag in ihren Tee tunkte und dem Erzähler anbot, wenn er das Schlafzimmer in ihrem Haus in dem Provinzstädtchen Combray betrat, wo er als kleiner Junge mit seiner Familie die Ferien zu verbringen pflegte, und ihr einen guten Morgen wünschte. Der Erzähler kann sich, wie an so vieles aus seinem Leben, nur undeutlich an seine Kindheit erinnern, und das, woran er sich entsinnt, erscheint ihm reizlos und uninteressant. Was nicht heisst, dass seine Kindheit tatsächlich trist und öde war, sondern dass er sie einfach nur vergessen hat - und diese Erinnerungslücke schliesst jetzt die Madeleine. Durch eine Laune der Natur versetzt ein Stück Gebäck, das er seit seinen Kindertagen nicht mehr gegessen hat und mit dem sich daher auch keine späteren Assoziationen verbinden, ihn in seine Zeit in Combray zurück und erschliesst ihm eine Fülle köstlicher und ganz persönlicher Erinnerungen. Mit einem Mal erscheint ihm seine Kindheit weitaus schöner als zuvor, und mit neu gefundenem Staunen erinnert er sich an das alte graue Haus von Tante Léonie und mit dem Haus an ganz Combray und seine Umgebung, den Platz, auf den man ihn vor dem Mittagessen schickte, die Kirche, die Strassen, die Blumen in Léonies Garten und die Seerosen auf der Vivonne. Und dabei erkennt er den Wert dieser Erinnerungen, die ihm zu dem Roman inspirieren, den er schliesslich erzählen wird und der in gewissem Sinne einen einzigen langen kontrollierten "Proustschen Moment" darstellt, weil er über dieselbe Sensibilität und dieselbe sinnliche Direktheit verfügt.
Das Erlebnis mit der Madeleine heitzt den Erzähler auf, weil es ihm zu der Erkenntnis verhilft, dass nicht sein Leben mittelmässig war, sondern das Bild, das er sich in der Erinnerung davon gemacht hat. Dies ist eine der zentralen Proustschen Unterscheidungen und für ihn von ebenso grosser therapeutischer Bedeutung wie für den jungen Chardin-Betrachter (hier referiert do Botton auf eine frühere Episode eines jungen Mannes, der durch die Betrachtung von Chardins Bilder seine bescheidene Situation seines Elternhauses zu schätzen gelernt hat).
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Soweit Proust. Ich glaube, ich bin diesem monumentalen Werk jetzt ein bisschen näher gekommen. Ich denke zwar nicht, dass ich es wirklich lesen werde - wann sollte ich auch - aber ich weiss jetzt besser, was es damit auf sich hat. Insofern war de Botton doch ziemlich informativ für mich. Wie ich vermutet habe. Der Anfang ist einnehmend, aber es hält sich einigermassen durch bis zum Schluss. Offenbar hat er sich eingehend mit Proust beschäftigt. Und er kann die zentralen Aspekte herausheben, das heisst klarer machen. Das ist ja nicht ganz einfach, angesichts der Tatsache, dass ich einer bin, der ich Proust noch nie gelesen habe. Das Büchlein de Bottons ist gehobene Unterhaltung. Walter hat schon sein Interesse angemeldet, und ich werde es ihm dann wohl ausleihen müssen. Oder soll ich es zuerst dir schicken, Marlena? Das würde ich so gerne, es dir geben, um dann mit dir darüber zu diskutieren und sehen, wie du es gelesen hast, was du daraus nehmen wirst. Das wäre doch echt schön. Und zur Diskussion würden wir einen Lindenblütentee trinken und eine Madeleine darin tunken, wie es sich für Proustianer gehört. Für einmal würden wir unseren Kaffee beiseite lassen, und in solch einen Lindenblütentee hineinbeissen wie in den sauren Apfel. ;--)
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Mittwoch, 25. März 2020

Re: Was ist los? ...



Lieber ...,
Warum glaubst du an eine Depression? Ist Trauer und Depression dasselbe? Nein  doch, ich glaube gestern hat das ganze schwedische Volk getrauert über unsere TV-moderatorin Ulla-Carin.


Wenn man eine sympathische Person jahrelang fast täglich sieht, dann hat man ein bisschen den Eindruck sie persönlich zu kennen. Und dass die Sendung des Filmes über ihre schwere Krankheit und letzte Zeit mit ihrem Todestag zusammenfallen sollte hat das ganze noch trauriger gemacht. Sie war eine tapfere Frau und es war mutig von ihr dieser Krankheit "ein Gesicht zu geben" mit ihrem Film und einem Buch, das sie über diese Zeit geschrieben hat.

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Nein, im Moment sind keine Tauben zu sehen. Aber ein paar Elstern spazieren hier ab und zu herum und holen sich Reisig für ein Nest irgendwo in der Nähe. Es ist unglaublich wie grosse Zweige sie tragen können. Man möchte sie fast anstellen um die Zweige wegzutragen, wenn man die Bäume beschneidet. Auch Dohlen sitzen hier ab und zu. Gegen Abend sieht man sie in grossen Scharen vorbeifliegen.
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Ja, ich sehe sie vor mir, diese typischen amerikanischen Villenviertel mit den schönen Alléen davor. Auch die englischen Häuser mag ich gern. Du weisst, die eng nebeneinander stehen mit einem langen schmalen Vorgarten. K's Schwester und ihr Mann wohnten früher in einem solchen Wohnviertel am Rande von Stockholm. Und wenn man dort zu Besuch war, fühlte man sich sofort zu Hause, denn man hatte die Wohnung schon in vielen englischen Filmen gesehen. Ich weiss eigentlich nicht, warum man damals ein solches typisch englisches Wohnviertel gebaut hat. Jedenfalls ist es so originell bei uns, dass man es sogar in unserem grossen alten Lexikon abgebildet sieht.
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Sag, kannst du mir eine Site hier im Internet von den Fernsehprogrammen zeigen, bei denen du jeweils schläfst? ;-) Es wäre interessant zu sehen was das schweizerische Fernsehen bringt. Wir haben mehrere solche Sites. Eine davon ist http://www.TV.nu  Dort kannst du sehen was gerade im Moment in den verschiedenen Kanälen gezeigt wird. Schau mal hin.
Wenn ich etwas mehr erfahren will über die Programme kann ich bei http://svt.se nachsehen.
Dort kannst du ein bisschen herumklicken und sehen was gezeigt wird.
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Nun lasse ich dich wieder. Vielleicht bist du schon zu Hause. Ich weiss nicht mehr genau deine Arbeitszeiten.
So wünsche ich dir noch einen schönen Abend... wach oder in Morpheus' Armen.
Igdukdl,
Malou (was ist B?)




Montag, 23. März 2020

Kein Irrtum


Liebe Malou
Vielleicht denkst Du an einen Irrtum, dass schon wieder ein Mail dahergeflogen kommt. Aber ich wollte nur berichten, dass es mir nicht gelungen ist, das Bild - von dem ich heute morgen gesprochen habe - direkt als Attachement zu schicken. So habe ich es in den Fotofolder geworfen. Werfen ist das Wort. Du kennst doch dieses Bild aus amerikanischen Filmen, wo der Boy, der die Zeitung verträgt, frühmorgens die Zeitungen bloss in den Rasen vor die Häuser wirft. Fand ich immer ein enormes Bild. So ungezügelt können nur die Amis sein. Und genau so habe ich das Bild in Deinen Garten geworfen.
Das hat mir übrigens immer gefallen, diese amerikanischen Wohnquartiere, wo die pavillonartigen Häuser nebeneinander stehen ohne Gartenzäune. Und wenn es ganz schön sein soll, dann ist die Strasse vor dem Haus noch durch eine Allee gesäumt.

Ich habe noch ein Bild im Gedächtnis, als ich nach NY flog. Wir kreisten über New Jersey, und da bot sich ein Bild wie über einem Schachfeld: Häuschen neben Häuschen, und in jedem Gärtchen ein kleines Bassin, wirklich in jedem. Und womöglich in jedem Garten in derselben Ecke. Man hätte weinen können ob dem monotonen und fantasielosen Anblick. Stell Dir vor, welch wunderbares grosses Bad mit all dem Geld hätte gebaut werden können. Der Orient hat eine wirklich schöne Badekultur. In der Türkei konnten wir das sehen. Und dasselbe gibt es auch im Iran. Auch von den alten Römern wissen wir, dass sie viel Zeit in ihren Bädern verbracht und dort ihre Zeit genossen haben. Im Büchlein ‚Safran’ beschreibt die Autorin, wie sie als Kind mit ihrer Mama ins Bad ging, und wie sie dort einen ganzen Tag inklusive Mittagessen etc. verbracht haben.

Bei uns ist das Wetter immer noch ziemlich trüb. Es ist kühl. Eigentlich kühler als noch vor einiger Zeit. Ein Rückfall in die Eiszeit beinahe, wo wir doch schon mit Frühlings Erwachen gerechnet haben. Von Tauben keine Rede hier auf dem Dach gegenüber. Sind sie immer noch bei Dir oben?

Einen schönen Tag wünsche ich Dir oft.
MlBuK
...

Sonntag, 22. März 2020

Was ist los?



Liebe Malou
Dein Mail klingt nicht sehr zündend, eher nach dunkler Winternacht. Was ist los mit Dir? Ist das schon die Frühlingsdepression oder noch die Wintertraurigkeit, so könnte man fragen. Ähnlich wie Romeo seine Julia gefragt hat, ob das schon die Lärche sei, oder noch die Nachtigall?

(---)

Ja, irgendwie habe ich den Eindruck, das Leben sei im Moment besonders monoton. Was ist los? Ist es das Wetter? Ist es die Jahreszeit? Ist es die Arbeit? Die Familie? Das Alter? Oder bin zum Schluss wieder ich ganz allein schuld? ;--))

Ich habe ein wenig Proust gelesen, nachdem Du mich mitten in sein Schlafzimmer geführt hattest. Nun, es ist nicht Proust direkt, sondern so genannte Sekundärliteratur. Ich habe vor einiger Zeit ein kleines Büchlein gefunden, das heisst „Proust für Eilige“. Genau richtig, habe ich mir gedacht, und das Ding in aller Eile gekauft. Die Autorin, eine junge „Ostdeutsche“, hat ihn offenbar eingehend gelesen und zusammengefasst. Und sie gibt ein paar lustige Ratschläge zur Lektüre. Manchmal bezieht sie sich auch auf de Botton. So siehst Du, habe ich eine Pause von meinem alten Preussen Kant gemacht. Das Buch ist ja auch unermesslich dick und langfädig. Und ist nicht mehr so neu, also ein bisschen altertümlich geschrieben, ziemlich ausführlich und nach allen Details Ausschau haltend. Ich habe in meinem Leben, na ja, sagen wir bis etwa 45 oder 50, jedes Buch ganz von vorne bis hinten gelesen. Erst in den letzten Jahren habe ich angefangen, zu üben, Bücher nur ausschnittweise zu lesen. Aber ich bin noch nicht so gewandt in dieser kleinen Kunst. Und immer, wenn ich einen kleinen Sprung gemacht habe, finde ich, ich verstünde nicht mehr richtig, weil mir alte Informationen fehlten. Aber ich glaube, das Ziel ist trotzdem löblich. Man soll wirklich selektiv lesen lernen. Man soll sich heute nicht mehr führen lassen, sondern autonom und selbständig zusammensuchen, was man brauchen kann.

So harre ich der Zeit, da die Sonne hinter dem Nebel hervorkommen wird, und da die Tauben wieder ihre Cocktailparty halten werden. Ach, gestern habe ich noch eine Filmpassage am Fernsehen angeschaut über Störche in Masuren. Das ist jenseits Königsberg, nicht wahr, schon an der Grenze zu Polen. Dort haben sie viele Störche, während sie hier ziemlich verschwunden sind. Im Elsass gibt es noch Störche, aber in der Schweiz kaum mehr. Störche - hast Du das gewusst, sind sehr zärtliche Partner. Aber sie sind nicht monogam. Sie sind ihrem Nest treu. Sie kommen jedes Jahr zurück zum alten Nest. Und sie lieben den Partner, den sie dort im Nest finden. Meist ist es natürlich der alte. Aber es kann auch ein neuer sein. Ich war fasziniert von diesen Vögeln mit den langen Schnäbeln. Sie sind dankbar zum Zeichnen. Ungerer hat sie oft dargestellt in seinen Ansichten aus dem Eslass.



Ich wünsche Dir einen schönen Tag. Und irgend eine feine Aufhellung, meteorologisch oder anders.
Mit lGuK
...



Freitag, 20. März 2020

Mittwoch, 18. März 2020

Sonntag, 15. März 2020

The Invisible Wall



Lieber ... ,

(---)

Was ich dir eigentlich erzählen wollte ist, dass ich mir gerade ein Buch bestellt habe.

The Invisible Wall
von Harry Bernstein

 
Es ist der Debütroman eines 96-jährigen. Also noch 35 Jahre könntest du warten.

MlGuK
Malou

 
"There are places that I have never forgotten. A little cobbled street in a smoky mill town in the North of England has haunted me for the greater part of my life. It was inevitable that I should write about it and the people who lived on both sides of its 'Invisible Wall.' " 


The narrow street where Harry Bernstein grew up, in a small English mill town, was seemingly unremarkable. It was identical to countless other streets in countless other working-class neighborhoods of the early 1900s, except for the "invisible wall" that ran down its center, dividing Jewish families on one side from Christian families on the other. Only a few feet of cobblestones separated Jews from Gentiles, but socially, they were miles apart.
On the eve of World War I, Harry's family struggles to make ends meet. His father earns little money at the Jewish tailoring shop and brings home even less, preferring to spend his wages drinking and gambling. Harry's mother, devoted to her children and fiercely resilient, survives on her dreams: new shoes that might secure Harry's admission to a fancy school; that her daughter might marry the local rabbi; that the entire family might one day be whisked off to the paradise of America.
Then Harry's older sister, Lily, does the unthinkable: She falls in love with Arthur, a Christian boy from across the street.
When Harry unwittingly discovers their secret affair, he must choose between the morals he's been taught all his life, his loyalty to his selfless mother, and what he knows to be true in his own heart.
A wonderfully charming memoir written when the author was ninety-three, The Invisible Wall vibrantly brings to life an all-but-forgotten time and place. It is a moving tale of working-class life, and of the boundaries that can be overcome by love.





https://www.nytimes.com/2007/04/04/books/04grim.html

Sonntag, 8. März 2020

in Basel


Liebe Malou
Ich weiss nicht, ob der Trick mit den Kartons hier auch
funktioniert. Ich glaube, in der Stadt wird man von allen
Seiten genaustens beobachtet. Und man weiss von den
Schweizern, dass sie viel Freude daran haben, andern
Leuten die Ordnungshüter auf den Hals zu hetzen.
Wirklich, das tun sie. Und nebenbei gesagt haben wir
für diese Schachten alle bezahlt. Entweder werde ich sie
weiterverkaufen oder vorerst mal im Keller stapeln.

Ja, ich habe erstmals in Basel übernachtet. Das Bett war
sehr angenehm, doppelt so breit wie bisher. Das schätze
ich. Und das ungestörte Radiohören war prima. Ich habe
vorläufig noch keinen Fernseher, so muss ich mich aufs
Hören konzentrieren. Und auch Bilder habe ich noch keine
gehängt. Ja, ich war sehr fleissig und habe fast alles am
ersten Tag eingeräumt. Allerding noch provisorisch. Ich
habe eher auf die Grösse der Bücher als auf die Inhalte
geschaut. So findet man später rein gar nichts. ich werde
also in den nächsten Wochen immer wieder ein bisschen
genauer ordnen. Ich habe sehr viele Bücher über Malerei.
Die sind ziemlich schwer. Aber ich glaube, dass ich
genügend Platz habe. Ich habe von meinen Eltern ein
Gestell, das sehr viel Raum bietet. Du wirst es dann auf
dem Foto sehrn, das ich machen werde. Aber gib mir
noch ein bisschen Zeit.

Heute Nachmittat war ich mit Walo unterwegs. Es hat
zwar zeitweise geregnet, und ich bin als "Städter" ja
nicht angezogen, um über Land zu gehen. Aber alles in
allem war es gut und windig. Dann haben wir eine kleine
Mahlzeit bei ihm gemacht. Er ist ein grosszügiger Kocher,
dh. er denkt in grossen praktischen Zügen...

Ja, ich hoffe, dass ich es gut haben werde und ich hoffe
es auch für S.

Ich schicke dir liebe Gs und Ks in Qs
...



:-)



Lieber ...,
Ach, wie lieb von dir, mir in dieser hektischen Zeit einen
kleinen Einblick in dein neues Leben zu gewähren. Und
wie immer geniesse ich deinen Humor ...
Was das häusliche betrifft so werde ich dir gern mit Rat
(Tat geht ja leider nicht) beistehen. Ich möchte dir auch
ein paar leichte gute Rezepte zusenden, denn nun wirst
du wohl auch deine Kochkünste ausprobieren.

Wenn deine Wohnung voll leerer Kartons ist, dann bist du
schon sehr fleissig gewesen. Ich glaube bei mir würden sie
ziemlich lange wartennmüssen um geleert zu werden.
A propos Kartons. Kannst du es nicht so machen wie ich
damals? Du stapelst sie vor dem Haus und der Sturm
bringt sie dir weg. ;-))

Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Schwierigkeiten
hätte zu  wählen zwischen den beiden Welten. Mit dir
würde ich am liebsten im Urwald leben, zwischen Affen
und Elefanten.

Ach, du hast es gut, .. Aber es wird vielleicht noch einige
Zeit dauernd bevor du es richtig einsehen wirst. Klar, jetzt
musst du auch an all die kleinen Formalitäten denken, die
du vielleicht früher nicht bemerkt hast, dass es sie gab.
Aber ich denke du wirst bald auch jemanden finden, der
dir für nicht allzu viel Geld, mit diesen irdischen Dingen
behilflich sein wird.
Hast du nun schon in deiner eigenen Wohnung geschlafen?
Wie war es? Und deine neuen Bücherregale? Reichen sie
aus? (Glaube ich kaum). Hast du gemerkt welcher Genuss
es ist Bücher in ein neues Regal zu stellen?
*smile*.
Du bist am PC und so sende ich dir dies nun ab.

MlGuKuHuQs
Malou


Samstag, 7. März 2020

Zwischen Urwald und Hochzivilisation

3/3



Liebe Malou

Du bist lieb. Ja, es war viel Arbeit von morgens 530h
bis abends um 23h. Ich war fix und fertig. Und im
Moment steht die kleine Wohnung noch voller leerer
Schachteln. Es ist wie ein Bunker. Und man könnte
leicht den Höhlenkoller bekommen, wenn sich das
nicht ändert.

Ja, es ist ein anderes Leben, und ich muss an viele
praktische Dinge denken, die ich besorgen muss, oder
über die ich mich informieren muss. Das fängt bei
kleinen Dingen an wie zB. Oel & Essig einkaufen
und geht hin bis zur Info, wie man die Waschmaschine
bedienen soll. Ich werde in nächster Zeit sehr beschäftigt
sein. Und ich hoffe natürlich, dass mir das alles neuen
Schwung gibt.

Und heute morgen hat es beinahe gestürmt, und da hat
mir doch dieser Stürmische einen Elefanten-Schrei zuge-
tragen. Das fühlt sich an, als ob nebenan gleich der
Urwald wäre. Aus dem Fenster sehe ich die Flugzeuge
vom Flughafen Basel-Mülhausen aufsteigen. Und im
Rücken der Urwald. Ich befinde mich auf der schmalen
Grenze zwischen Urwald und Hochzivilisation. Und mein
Herz hat sich noch nicht entschieden, welcher Seite es
zuzuneigen gedenkt.

Ich wünsche dir ein feines ruhiges Wochenende. Meines
wird stürmisch sein.
GsKsQs

Freitag, 6. März 2020

Re: 14/2



Liebe Malou
Ich schicke dir ebenso innig einen lieben Valentinsgruss. Ich weiss nicht, ob ich das je schon einmal gemacht habe in meinem Leben. Wenn ich Valentin höre, dann denke ich an einen Schulkameraden im Gymnasium. Er hatte einen Klumpfuss und war nicht besonders geschickt in der Schule. Er hat aber später schwer aufgeholt, ist Priester geworden und gibt heute, wie ich gehört habe, Philosophie in der 6. Klasse. Ja, der Valentin. Ob er wohl weiss, was da alles in seinem Namen geschieht.

Aber wir können bestimmt unsere Valentinsgrüsse und -küsse austauschen. Nach sovielen Jahren ist ja vielleicht auch nicht mehr der heilige Valentin, sondern vielleicht der Augustin oder einer seiner Kollegen zuständig.

Ja, ich glaube, am Gymnasium haben sie an diesem Tag auch Blumen verkauft und verteilt. Und bestimmt ist das ein sehr heikler Brauch für all jene, die nicht so beliebt sind. Und dass sie dir ein Liebeslied gesungen haben, das war richtig Klasse.

Ich wünsche dir noch einen schönen, ruhigen Valentinsabend in eurem hübschen Haus. Je mehr ich hier bei uns ausziehe, desto gemütlicher stelle ich mir deine Wohnsituation vor. Ist das nicht komisch. Im Moment bin ich zwischen Stuhl und Bank, wie wir in Deutsch sagen.

Liebe V-Grüsse und V-Küsse in V-Quanten

...


Donnerstag, 5. März 2020

14/2


Lieber Mausfreund,

Ein paar Worte zu diesem speziellen Tag, der immer gewaltigere Proportionen annimmt bei uns in Schweden. Zuerst mal ein wenig aus einem Interview im Radio mit einem Blumenhändler. Es scheint ein fröhlicher junger Mann zu sein, und natürlich freut ihn ein solcher Tag, denn seine Geschäfte gehen blendend. Ein Bisschen verlegen wird er nur, wenn die Männer, es sind fast nur Männer, einen besonderen Text mitsenden möchten... manchmal sehr intim .. aber was ihn traurig und auch ein wenig wütend macht, so dass er fast geneigt ist einzugreifen, ist wenn ein Mann Blumen an seine Frau und zugleich an seine Geliebte schickt. Ich finde es schön, dass es noch junge Leute gibt, die so reagieren.

Man berichtet auch von einer Schule, die diesen 14. Februar zu einem Fortbildungtag gemacht hat, an dem die Schüler nicht in der Schule sein müssen. Dies tun sie wegen den Schülern, die keine Blumen erhalten.

Und dabei erinnere ich mich an einen 14. Februar. Plötzlich, während einer Französischstunde, klopfte es an der Tür und ein Schüler steckte den Kopf herein und fragte ob sie eine Weile stören dürften. Ich sah, dass es einer vom Schülerrat war und dachte sie hätten eine Mitteilung an die Klasse, also liess ich sie hereinkommen. Eine Gruppe von Schülern legten eine kleine Karte auf den Katheder und sangen dann ein  Lied vor... :-)

Später erfuhr ich wie das kam. Normal verkauft der Schülerrat an diesem Tag Rosen an alle die jemanden aufwarten möchten. Doch in diesem Jahr hatten sie stattdessen Kisten mit Kondomen bestellt, die sie verteilen wollten. Aus irgendeinem Grund sind diese Pakete unterwegs verschwunden und da sie auch keine Blumen hatten kam ihnen die Idee, dass sie Lieder verkaufen könnten. Zwei Schüler hatten mir ein Lied geschenkt. Natürlich fühlte ich mich geehrt. :-)

Gerade hat Anna angerufen und erzählt, dass ihre Professorin heute ihr Team, d.h. Professoren, Forscher und Doktoranden zu sich befohlen hat. Und warum? Sie wollte ihnen eine Freude machen mit Vanilleherzen und einem Kaffee dazu. Findest du das nicht lieb?

Über dein Mail muss ich etwas nachdenken, wie ich meine Antwort formulieren soll.

Doch jetzt, in diesem Moment, schicke ich dir in Gedanken einen schönen Valentinegruss mit einem extra süssen Kuss
Malou
...

We are nicedaymakers



Liebe Malou

Ach wie schön, bei diesem tristen unseligen Nieselregentag ein Mail aus einer warmen Stube zu erhalten. Also should I make a nice day? Ja, es ist ganz im Sinne der modernen Lebensführung, da man nicht mehr Opfer, sondern Täter sein soll. Man stelle sich eine Welt voller Täter vor. Das ist schrecklich, nicht wahr? Wo bleiben dann die Opfer? Vielleicht die Kinder (kennen wir ja schon ein bisschen) Die Tiere? (auch bekannt) Oder vielleicht die Natur? Am besten ist, wenn die Täter es sich selbst antun. Dann sind sie ihre eigenen Opfer. Ich glaube, das wäre ein prima Lastenausgleich.

Was tust du denn an einem so gewöhnlichen, ereignislosen, monotonen, kalten Winternachmittag? Ich würde jetzt am liebsten eine Siesta nehmen. Das ist etwas vom Besten.

Dein Gesprächston hat sich verändert Malou. Du bist etwas spitz und aggressiv geworden, unterschwellig aggressiv? Wie kommt das? Habe ich dir etwas Schlimmes angetan? Bin ich einfach bloss Opfer, oder bin ich irgendwie irgendwo Täter?

Liebe Nachmittagsküsse
...


Mittwoch, 4. März 2020

Marlenas gesammeltes Reden


an "Herrn Murkes" gesammeltes Schweigen

Lieber ...,
Möchte dir noch ein paar Zeilen aus meiner alten Jugendstilvilla senden, bevor ich zu Bett gehe. Ich bin heute wahnsinng müde. Vielleicht ist es, weil ich schon früh am Morgen zu einer Untersuchung ins Krankenhaus nach -- musste. Das hat meinen Arbeitstag dann wesentlich verlängert.

Zwar bist du manchmal ein ziemlich unaufmerksamer Schüler.. aber wenn du dann eine Arbeit schreibst so ist sie ausgezeichnet. Du hast wirklich einen nicht schlechten Vergleich gemacht - ich meine, diese Jugendstilvilla kann ein wunderbares Bild für ein (mein?) Leben sein. Ich habe nicht gebeten in einer solchen zu wohnen. Sehe manchmal mit Sehnsucht auf dein Haus, das so schön erhellt ist. Als ich von zu Hause wegzog, war es für mich selbstverständlich, dass auch ich in einem solchen wohnen würde. "Mais la vie n'est pas toujours comme on la voudrait".

VL oder RL? Was ist denn eigentlich VL für uns beide? Ich meine, früher hat man sich auch schriftlich verständigt, mit Briefen die ein paar Tage brauchten um den Empfänger zu erreichen. Und niemand sprach von einem VL. Du bist schliesslich keine Fantasiefigur in meinem Leben. Du bist ein wirklicher Mensch, der mir Zeit von seinem wirklichen Leben schenkt. Und ich tue dasselbe. Unsere Korrespondenz gehört ins RL.  Alles was ich dir schreibe stammt aus meinem RL. Es gibt Leute, die sich mit Rollenspielen beschäftigen. Bei denen würde ich sagen, dass sie nicht mehr im RL leben. Sie versetzen sich in eine Fantasiewelt. Doch sowas ist mir ganz fremd. Ich habe nicht genug Zeit um neben meinem RL noch ein anderes zu erfinden. Vielleicht bin ich zu faul dazu.

Du trennst zwar sehr dein Familienleben von deinem Mausleben. Ich meine, wenn ich es nicht wüsste, würde ich kaum glauben, dass du in einer Familie lebst. Du bist sogar am Wochenende am Arbeitsplatz. Du lässt mit anderen Worten dein Haus im dunkeln. Aber ich habe nichts dagegen. Wir bewegen uns in anderen Räumen. Und das ist gut so.

(---)

So grüsse ich dich lieb und wünsche dir einen schönen warmen Frühlingstag, wie wir ihn auch heute hier hatten.
K+S
Malou
...



14 febr
PS
Weisst du, dass es nicht mehr heisst "Have a nice day"?
Jetzt heisst es "Make a nice day". Ich glaube das ist ganz in deinem Sinn.

Also:
make a nice day, love
Malou

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Dienstag, 3. März 2020

Gute Nacht!


  12 febr      23:59

Lieber ...,
Gerade erst jetzt bin ich fertig mit all dem was ich mir hier vorgenommen hatte. Das Kind hat so viel Arbeit und ist in so vielen Projekten involviert, dass sie zu Hause nicht richtig nachkommt. Und dann habe ich ihren Kühlschrank gefüllt, der absolut leer war. 5 grosse Plastikbeutel mit Lebensmitteln habe ich heraufgeschleppt. Viel Obst, Käsen (mit n dran), Brot, Milch, Butter, Aufschnitt, Gemüse ... eben alles was man in einem Haushalt braucht. Nicht zu vergessen "propplösare" (Pfropfenlöser?), damit das Wasser wieder abrinnt in Dusche und Waschbecken. Ach, wie prosaisch das alles klingt.

Später habe ich uns beiden ein gutes Abendessen gekocht und nachher noch etwas Wäsche gebügelt. Die Zeit geht nur allzu schnell hier bei Anna.

*

Du magst also unsere alten Mails garnicht? Mir schenken sie viel Freude. Natürlich ist auch etwas Nostalgie und Trauer über die Vergänglichkeit dabei. Aber vielleicht ist dieses Erinnern "die freundlichste Art der Linderung dieser Qual". Doch das Positive überwiegt. Und deine Mails sind wunderbare Literatur. Bedeutend besser als die Kostprobe, die du mir von der Serbin geschickt hast. Ihr Text ist zu kompakt und überladen. Eine wunderschöne Bildsprache, aber eben zu viel des Guten. Man fühlt sich gemästet. ;-)

Ich habe einmal versucht herauszufinden was ich so sehr liebe an den Texten meines schwedischen Lieblingsschriftstellers und ich glaube es ist gerade das, was du bei dir als einen Fehler siehst, nämlich die Wiederholungen. Sie lassen einem Zeit das Geschriebene zu erleben, nicht nur zu registrieren.

Also, ich stelle unsere Mails zusammen und lege sie auf eine CD. Meist tue ich das am Abend, während hinter mir der Fernseher läuft. Und es kommt vor, dass ich die Zeit dabei vergesse. Was ich später damit mache kommt auf dich an. Natürlich kriegst du auch eine Kopie davon. Es gibt so viele wunderbare Erlebnisse, an die du dich in dieser turbulenten Zeit nicht erinnerst, aber einmal, so glaube ich, wirst du es geniessen sie zu lesen. Dann später, wenn du wieder ein harmonisches, ruhiges Leben haben wirst.

Unsere Reisepläne? Wir müssen wie üblich das Haus oben im Norden betreuen. Und weil es keine schönere Stelle auf der Welt gibt.. ;-) , zieht es mich eigentlich nicht woanders hin. Wir sind auch nach Wien eingeladen, nach dem Sommer, aber vielleicht werde ich allein fahren. Im Frühjahr jetzt wollten wir einmal nach Berlin mit Bekannten. Mal sehen, ob es wird. Und natürlich habe ich immer noch Rom als mein Traumziel.

*

Klar, du hast Recht mit dem was du über Familien sagst. Doch erst neulich hast du doch irgendwie das Lob des Familienlebens gesungen. Oder verstehe ich dich so falsch? Schau hier:

"Es ist wirklich wild, wenn man das Leben laufen lässt. Und es hat schon seinen Grund, dass das Bürgertum diese gute Ordnung mit Familie und Einfamilienhaus und Job von 8-12 und 14-18h erfunden hat. Das macht alles ruhig und monoton wie ein Luxusmotor."

Doch finde ich, dass der Job von 8 bis 18 das Bild etwas stört.

Ich muss dich lassen. Meine Kleine braucht Schlaf.
So grüsse ich dich lieb, zu dieser späten Stunde
mit einer lieben U und etwas S,
Malou

Montag, 2. März 2020

Turbulenter Montag


Liebe Malou

Ich glaube, du warst es, die die Bedeutung der Familie so betont hat. Man sollte aber auch berücksichtigen, dass in den Familien sehr viel Gewalt geschieht. Die Familie ist nicht nur ein Hort der Harmonie, sondern ebenso einer des Schreckens und oft der Angst. Diese romantische Sicht der Familie sollte man nicht zu sehr betonen. Das Schöne ist der Anfang des Schrecklichen ... Es ist immer beides enthalten.Und es kommt bloss drauf an, in welcher Phase man das System beobachtet.

Heute habe ich wieder einmal einen turbulenten Montag erlebt. Es gibt soviel zu tun. Und ich möchte nicht wieder in eine Hektik geraten, die nichts bringt. Mein Ziel ist eine Art produktiver Minimalismus. Das heisst, moderate Lösungen mit moderatem Zeitaufwand. Aber gut konzipierte Lösungen. Ja, ich weiss, das ist ein hohes Ziel. Aber die Ausführung sollte dann entsprechend sprarsam geschehen können. Ob ich das erreichen kann?  Mein Stellvertreter diesen Sommer hat eine andere Politik. Er neigt zur Hektik und zur Grösse. Das bringt sehr viel Aufwand. Er liebt das. Er tendiert zur Megalomanie. Ich liebe es nicht. Und ich hoffe nicht, dass er mich zu sehr in diese Richtung anstachelt. Das mag ich nicht, tut mir nicht gut, und ist auch an sich nicht gut.

Ach, du hast es gut Malou. Ich erinnere mich jener Zeiten, als du noch in der Hektik zwischen Schule und Haushalt gelebt hast. Weisst du noch. Es gab eine Zeit, da hast du schon morgens vor der Arbeit ein Mail geschrieben. Und dann bist du losgesaust.

(---)

Soviel für Montagabend. Ich will sehen, was der Dienstag bringt. Ich möchte jetzt am liebsten einen Cognac trinken und ein bisschen Chopin dazu hören. Das wäre toll. Ist aber alles weit weg.

Liebe Grüsse und Küsse
...


bei meiner Kleinen


Lieber ... ,
Jetzt bin ich richtig froh.. Könnte mich auf "mein Faulbett legen", wie es so schön heisst, in den Himmel schauen und träumen. Aber noch besser ist, dass ich jetzt Lust habe mich hier richtig nützlich zu machen. Du kennst es, das schöne Gefühl, wenn man voll von Tatendrang  ist.
---
Du hast neulich etwas erfreuliches zu dem  Thema Familie gesagt, worauf ich eigentlich reagieren wollte. Hast du neue Einsichten bekommen?
Mit lieben Gs und Ks
Malou

Sonntag, 1. März 2020

Februar



(---)

Ja, vielleicht ist schreiben einfach aus diesem Grunde gut: gegen die Zeit zu schreiben, erzählen, wie es war. Gegen diesen schleichenden Untergang anschreiben, den alles erfasst und der alles mit sich reisst. Ich werde traurig und wütend gleichzeitig, wenn ich davon rede. Du nicht, Malou? Wie das Leben vergeht, ist doch einfach ungeheuerlich, ungerecht, absolut brutal!!! All die Verstorbenen und Vergessenen, stell dir vor, wo sie sind!  Es macht mich wahnsinnig, wenn ich daran denke.

Und jetzt trinke ich einen latte macchiato. Das ist die einzige Art von Kaffee, die man mit dem Suppenlöffel einnehmen kann, pflege ich scherzhaft zu sagen. Wenn du zu mir zu Besuch kommst, Malou, dann serviere ich dir einen solchen Latte. Ob du magst oder nicht, ich werde ihn dir an der Bar vor meiner Küche servieren. Die Bar ist ein Schrank, der früher in einer Zahnarztpraxis gestanden haben muss. Er passt blendend in meine 2-Zimmer-Klause. Nur darf man sich nicht zusehr betrinken. Wenn man sich an dieses Möbel lehnt, dann fährt es davon !! Ich werde dir dann ein Foto schicken, Malou, wenn es soweit ist. Das mache ich bestimmt. Ich habe vom Mann der Zügelfirma gehört, dass im Café gegenüber riesengrosse Sandwiches serviert werden. Die seien weitherum bekannt. Seine Männer gehen immer wieder dorthin, weil sie doch beim Zügeln einen respektablen Hunger entwickeln. Ist das nicht eine wundervolle Gegend? Und heute habe ich einen weiteren Band gefunden über die Primaten und Halbaffen. Diese Literatur brauche ich unbedingt in meiner Nähe, wenn ich dann einen Steinwurf vom Affenhaus entfernt wohne. Ich glaube, ich werde regelmässig zu den Affen gehen. Die Tiere haben mich schon immer fasziniert.

Ich versuche mir vorzustellen, wie du in deinem Haus lebst, so ruhig und zufrieden in diesem winterlichen Wetter. Bei diesem Schnee ist es zuhause am schönsten. Aber hier, bei uns, wir leben bald in der Sahara hier. Hier ist alles trocken und warm, wie im Frühling. Heute habe ich Schneeglöcklein gesehen. Stell dir vor, anfangs Februar Schneeglöcklein. Und die Vögel pfeiffen wie im Frühjahr, wie man es sonst im März vielleicht hört. Es ist alles aus den Fugen, Malou, nicht nur ich !!!
(---)