Freitag, 30. September 2016
Für die liebe Patientin
Ämne: Für die liebe Patientin
Datum: den 19 oktober 13:06
Liebe Marlena
Ach ist das schön, wenn Du krank bist, dann hast Du ein wenig mehr Zeit um Mails zu schreiben. Die sind ja wirklich so lang wie lange nicht. Aber naktürlich ist es schade, dass Du wichtige Dinge verpasst, die Du später nachholen musst.
Ach ja, Mats, jetzt erinnere ich mich. Ich wusste, ich habe den Namen schon gehört. Dann dachte ich an Mats Wylander. Der konnte es ja nicht sein. Ach ja, Dein Mats. Ich bin sicher, er verehrt Dich. Das darf er auch und das tut Dir auch gut. Ich hatte auch den Eindruck, dass Du die paar Tage in Prag so gut genossen hast auch wegen ihm. Auf jeden Fall hast Du damals anders erzählt als später in Bratislava mit Deinhem Bodyguard. Und er lockt Dich ein bisschen, sagst Du. Weshalb probierst Du nicht, an die Uni zu wechseln. Wäre doch vom Alter her eine gute Sache!
Und dann schwärmst Du von unserem Alois. Ach, wenn Du von sowas schwärmst, wieso ist denn Dein Ehemann so völlig anders? Metallblau ist doch genau gegenüber auf der Farbskala?
Also mit unserem Alois hättest du ein anstrengendes Leben, respektive Du würdest wohl zuhause sitzen, während Du wartest, bis er endlich kommt, ohne zu wissen, ob er überhaupt noch kommt. Er hat soviele Freunde und Kollegen und Geschäftspartner und Dinge zu tun. Ich glaube, er ist sehr unruhig. Und in den letzten Jahren, so hat man mir erzählt, trinkt er etwas viel. Er konnte schon in jungen Jahren Unmengen hinuntergiessen. Aber heute hat er noch kaum abgegeben.
Nein, ich habe etwas Spass gemacht mit der Aufforderung, nichts zu erzählen. Ich hatte den Eindruck, dass es Dir nicht gut geht. Und meist erzählst Du ja nicht viel davon. Nur das habe ich gemeint.
*
Ja, ich glaube, in der Schweiz haben Jugendliche auch sehr oft Selbstmordgedanken. Wir sind da wohl sehr in der Nähe Schwedens. Ich glaube, es ist schon unser Lebensstil. Früher hatten die Menschen viele Ziele im Leben, was sie erreichen wollten. Meist waren es materielle Dinge, ein Haus, ein Auto, eine gute Erziehung und Bildung für die Kinder. Und heute hat man das alles. Was kann man noch wollen, wenn man alles wollen kann. Das heisst, früher waren es Mittelkrisen, an denen die Menschen litten, und heute sind es Zielkrisen, das heisst Sinnkrisen. Wenn man zuwenig zu essen hat, weiss man, was man im Leben zu tun hat. Aber was soll man tun, wenn man praktisch alles hat? Ich glaube, das ist der Hauptfaktor, der Wohlstand eigentlich.
Man kann ja auch beobachten, dass viele tüchtige Leute, die Karriere machen, aus eher bescheidenen Verhältnissen kommen. Sie sind natürlich hoch motiviert und haben ehrgeizige Lebensziele, während diejenigen, die eine leichte Jugend gehabt haben, niemals soviel Energie und Zielfestigkeit, man kann auch sagen Borniertheit aufbringen können. Man sieht es in der Politik, in der Wirtschaft. Ich glaube es ist ziemlich häufig.
*
Ach, mir ist nochmals Dein Kollege in den Sinn gekommen, der Deine Klasse so schlecht unterrichtet. Weshalb kannst Du nicht die Schulaufsicht zu ihm schicken. Es gibt doch irgendwie ein Inspektorat, das die Schule zu beaufsichtigen hat. Man muss es ja nicht als Kritik formulieren, sondern als Hilfe. Es soll ihm geholfen werden, damit er bei seiner Klasse nicht unter die Räder kommt, wenn die Schüler so unzufrieden sind. Oder man soll ihm einen erfahrenen Lehrer beigeben, der ihm hilft, seinen Standard zu verbessern. Man kann doch annehmen, dass der Lehrer auch darunter leidet. Der merkt doch auch, dass etwas nicht rund läuft. Ich finde, die Lehrer haben die Pflicht, sich gegenseitig zu helfen. Und wenn das auch heisst, dass ein schwacher Lehrer weg kommt oder sein Pensum reduziert oder was immer.
*
Ich beneide Dich, Marlena, dass Du zuhause herumsitzen kannst, während wir hier bei Regenwetter und tropfender Nase ins Büro müssen. So, nun habe ich es doch noch gesagt, nicht wahr. Aber ein bisschen meine ich es auch.
Doch ich wünsche Dir eine rasche und gute Besserung. Das wünsche ich Dir mit meiner Liebe und einem geblasenen Kuss (wegen der Viren, die ich auch haben könnte, denn ich Huste ziemlich stark)
MMM
...
Ämne: Heissen Preiselbeeren, mit einem "S"
Datum: den 19 oktober 17:59
Liebste
ich will Dir doch kein allerschlimmstes Deutsch beibringen.
Entschuldige mich.
KkkKKkkKKkkKK
...
Mittwoch, 28. September 2016
Re: Early morning tea
Subject : Re: early morning tea
Date : Thu, 19 Oct
Lieber ...,
Ja, ich habe Gondo im Fernsehen gesehen, und es tut mir schrecklich leid um alle die Menschen die von einer solchen Naturkatastrophe betroffen werden. Sogar um die schöne Landschaft bange ich. Es hängt sicher mit der Erwärmung der Erde zusammen und wird immer häufiger vorkommen. Du kannst dich sicher an die furchtbaren Überschwemmungen bei uns diesen Sommer erinnern, wo Häuser, Landstrassen und Brücken weggeschwemmt wurden. Sowas hatten wir noch nie erlebt. Es hat ungefähr so ausgesehen wie in der Sendung aus dem Wallis.
Heute bin ich zu Hause. Mein Kopf schmerzt und mein Hals ist geschwollen. Mit anderen Worten, ich habe eine richtige Erkältung erwischt. Nun wirst du mich wieder beneiden, glaube ich. Aber ich würde viel lieber arbeiten. Wir haben ausserdem eine wichtige Konferenz auf der Europalinie, die ich eigentlich nicht verpassen sollte, da man erwartet, dass ich die nächste grosse Reise organisieren soll. Nun, ich kann nichts dafür, dass es so ist und werde mich eben nachher informieren müssen.
Es klingt sehr dramatisch, wenn du sagst ich soll schweigen und nichts andeuten. Es gibt doch nichts zu verheimlichen. Manchmal wundert es mich dass du mich so wenig kennst.
Nun, falls du Mats vergessen haben solltest, so ist er der Lehrer mit dem ich deine Tochter in Prag gesucht habe. Wir waren zusammen Klassenlehrer in der Klasse die im Juni ihr Abitur gemacht hat. Er ist sehr froh nun an der Universität zu arbeiten und erzählt mir ganz offen davon wie wenig er dort tun muss im Verhältnis zu hier. Aber er ist doch kein Verehrer von mir ;-) Er ist vielleicht ein guter Freund geworden mit der Zeit. Jetzt wenn ich so an Prag zurückdenke muss ich zugeben dass wir eine ziemlich gemütliche Woche dort verbracht haben und es war schön ihn etwas näher kennezulernen. Und dann diese "secret mission" deine Tochter zu treffen, hat das ganze noch ein bisschen spannend, ich möchte sagen fast surrealistisch gemacht. Es scheint schon Ewigkeiten her..
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Wie schön du von diesem Alois erzählst. Ich hätte mich wahrscheinlich blitzschnell in ihn verliebt. Denn ich habe immer eine Schwäche gehabt für diese Sorte *lacht* Das mit dem Sohn, erinnert mich an unseren Nachbarn oben in Norrland. Als er nach zwei Mädchen endlich einen Sohn bekam nahm er sein Gewehr und schoss Salut sodass es über die ganze Gegend schallte und jeder wusste dass es nun die richtige Sorte war. :-) Und der arme Mann musste die Welt verlassen als der Sohn kaum 10 Jahre war. Er starb an Krebs und es war wirklich sehr traurig.
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Gerade heute morgen habe ich im Radio gehört wie es den Kindern in Schweden immer schlechter geht und von den Psychologen die viel zu wenige sind (einer kann 6.000 Schüler haben) und von denen 90% mit Kindern in Kontakt gekommen sind die mit Selbstmordgedanken umgehen. Ich glaube es hängt mit dem neuen Lebensstil zusammen. Die frühen Paarbildungen die ihnen schon als Kind Probleme geben für die sie noch nicht reif genug sind. Wie ist es denn bei euch in der Schweiz? Ich denke ein so katholisches Land müsste noch nicht diese Probleme in so grossem Ausmass haben.
Ach, mein Schatz, von Wachsein war doch nicht die Rede. Die Sehnsucht nach einem tiefen Schlaf hat mich in die Höhle gelockt. Und wenn ich dazwischen einmal aufwachen sollte dann wäre es schön deine warme Nähe zu spüren und wissen dass alles gut ist.
Dieses schöne Liebesgeflüster möchte ich gern jeden Abend vor dem einschlafen mit dir austauschen. Dann wäre die Welt schön.
Ich mache mir nun noch einen warmen Tee und krieche wieder unter die Decke. Schreib mir, wenn du eine Weile Zeit hast. Deine Mails sind besser als Alvedon, Curadon und Echinagard..
Ich will dich nicht anstecken. Deshalb umarme ich dich nur..
mit viel S und H
Marlena
Dienstag, 27. September 2016
Early morning tea
Ämne: Early morning tea
Datum: den 19 oktober 07:01
Liebe Marlena
Die Woche war bisher ziemlich streng. Und ich muss zusehen, dass nicht zuviel auf dem Pult liegenbleibt. Heute Nachmittag hatten wir einen Kurs über Neuropsychologie. Das ist ein ziemlich weites Feld, und man fühlt sich mehr oder weniger unsicher, weil nie klar ist, ob die Störungen somatisch, dh. neurologisch oder psychisch bedingt seien. Nun ja, sie sagen, es gäbe da eine Interaktion zwischen den beiden Bereichen. Aber eben, es ist nie ganz klar. Aber bei den Kindern ist auch das neurologische System noch einigermassen elastisch und kann etliche Ausfälle, die sich vor, während oder nach der Geburt ergeben haben, wieder kompensieren. Immerhin haben die Kinder manchmal schon erhebliche Probleme im Lernen und in der Schule insgesamt. Aber die kommen wohl nicht bis zur Dir ins Gymnasium.
*
Und jetzt sitze ich noch ein wenig im Büro und sollte noch einen Bericht schreiben. Ich bin so faul und bequem, dass ich zuerst Dir schreibe und dazu ein Gläschen Wein trinke. Ich habe die Hoffnung, dass mich das ein wenig stimulieren könnte.
Hast Du die Bilder aus dem Wallis gesehen? Es ist eine riesige Katastrophe, und die Leute sind dort schon ziemlich bescheiden und leben bloss mit dem Nötigsten. Gondo ist das Dorf, das am schlimmsten betroffen wurde. Das ist das Dorf gleich vor der italienischen Grenze jenseits des Simplonpasses. Ich hatte im Gymnasium eine zeitlang einen Schulkameraden aus Gonde. Er ist ein sehr begabter und lustiger Kerl. Ich glaube, er hat etwas italienisches Blut, denn er kann Arien singen wie ein Italiener, kann reden und flunkern wie ein Italiener, kann handeln und geschäften wie ein Italiener. Ich glaube, sein Name ist das einig Schweizerische an ihm. Er ist dann Jurist geworden und war eine zeitlang im Walliser Kantonsparlament als Abgeordneter. Und daneben hat er grosse und kleine Geschäfte gemacht, dafür hatte er schon immer eine Nase, schon im Gymnasium. Immer, wenn er mit der Cravatte in die Schule gekommen ist, wusste man, dass er abends noch eine Versicherung abschliessen wird. Er war wirklich ein lustiger Kerl und hat viel gemogelt in der Schule. Oft hat er von mir abgeschrieben. Denn zum Lernen hatte er kaum Zeit. Aber er hatte immer ein grosses Maul, unser Alois. Man hat mir erzählt, dass er, als seine Frau einen Sohn geboren hatte, hupend durch Brig gefahren sei, um es allen und jedem zu erzählen.
Und jetzt, als man im Fernsehen einige Leute von Gondo zeigte, konnte ich seinen Bruder sehen. Er war ganz niedergeschlagen. Es war das erste mal, dass ich ihn gesehen habe. Aber er gleicht dem Alois aufs Haar.
Das zweite Dorf im oberen Teil des Wallis ist Baldschieder, gleich ein Nachbardorf von Visp. Auch dort sind etliche Häuser verwüstet worden, wenn es dort auch keine Tote gab.
Nun ja, die Bergbevölkerung ist sich an ein hartes Leben gewohnt. Und die Leute sind ja oft noch sehr katholisch und so irgendwie in der Lage, auch schwere Schicksalsschläge zu ertragen. Es gab ja vor eineigen Jahren einen harten Winter mit vielen Lawinen und grossen Schäden. Und diesmal ist es das Wasser gewesen. Man weiss noch nicht genau, was denn die Gründe sind. Es hat für eine lange Zeit ziemlich viel geregnet. Aber dass gleich ganze Schuttlawinen den Berg herunterkommen, das habe ich doch in meinem Leben noch nie so gesehen. Das scheint mir irgendwie neu.
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Du schreibst von Mats, Marlena. Wer ist denn Mats, der Dich irgendwo hin locken will? Sollte ich ihn kennen? Hast Du ihn mir mal vorgestellt? Ist er auch einer Deiner Verehrer? Ist doch beineidenswert, rundum Verehrer zu haben. Das behält das Herz jung und warm!
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Im Moment höre ich Chopin valses, das ist schön, aber es ist eigentlich Sommermusik für mein Gefühl. Sowas sollte man in lauen Sommernächten anhören, wenn die Fenster weit offen stehen und wenn man draussen den Brunnen plätschern hört. Habe ich Dir mal erzählt, dass wir vor dem Haus einen Brunnen haben, wo sie früher die Kühe getränkt haben. Jetzt braucht man ihn nicht mehr für Kühe, aber er steht immer noch vor dem Haus. Und im Sommer, wenn ich tief in der Nacht noch gelesen habe, habe ich sein Plätschern immer sehr genossen. Ein solalter Brunnen gibt einem das Gefühl, an einer grossen und langen Zeit teilzuhaben. Man hat das Gefühl, da waren früher Leute, das sind jetzt Leute, und da werden in Zukunft wieder andere Leute sein. Ach ja, es ist ein wenig melancholisch.
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Es geht Dir im Moment nicht gut, Marlena. Aber Du erzählst Deinem Mausfreund kein Sterbenswörtchen. Aber das kennen wir ja. Und ich will Dich auch warnen, mir auch nur die leisesten Andeutungen zu machen. Ich wanre Dich, Marlena, mach sowas nicht. Es würde viel zu viel herausbrechen. Also schweig mein Schätzchen, schweige wie das Grab.
*
Aber ich stelle mir gerne vor, mit Dir zusammen in einer warmen Höhle zu liegen und Liebesgeflüster auszutauschen. Es gibt hier keine Pritsche, die ächzt. Es ist alles in der warmen Erde.Und wenn man genau hinhört, kann man die Tiefe ahnen.
*
Ich küsse Dich, meine Liebste, und ich wünsche Dir morgen einen frohen Tag.
...
PS Gestern war das Netz blockiert. Deshalb dieses Mail erst heute Morgen, zum Frühstück.
Montag, 26. September 2016
Abendgruss
lingon
Ämne: Abendgruss
Datum: den 18 oktober 22:29
Lieber ...,
Es war wie ich geglaubt hatte und nun sitze ich hier warm eingehüllt mit einem heissen Tee neben mir und versuche mich zu kurieren. Gerade habe ich noch einmal dein schönes Mail durchgelesen, was mich gleich ein bisschen wohler zumute macht. Ich habe in letzter Zeit beruflich viel extra zu tun gehabt und gestern nach der Arbeit hatte ich mit "dem" Mitarbeiter ein persönliches Gespräch. Es sollte so zwischen 15 - 30 Minuten dauernd aber es wurden fast zwei Stunden daraus. Es ist gut wenn man sich ausspricht aber das Schlimmste kann ich ihm doch nicht deutlich sagen, nämlich dass die Schüler meinen dass er sein eigenes Fach nicht beherrscht, dass er immer alles falsch macht und ihnen bisher noch nichts gelernt hat. Nun, das können ja ab und zu unintelligente Schüler von ihren Lehrern sagen. Aber wenn eine ganze Klasse diese Auffassung hat dann ist es schon schlimm. Wenn ich nicht Mentor wäre für die halbe Klasse dann brauchte ich mich ja nicht darum zu kümmern. Aber ein Mentor ist dazu da den Schülern zu helfen wenn sie irgendwelche Probleme haben. Wie ein Klassenlehrer, Kurator und ein wenig Psychologe zugleich. Ich würde dich gern um Rat fragen. Jedenfalls habe ich versucht ihnen zu sagen, dass man immer seine Fragen und anderes auf eine freundliche Weise vorbringen soll u.s.w. Aber dies wird dir vielleicht schon zu langweilig, chéri.
*
Am Montagabend habe ich viel an dich gedacht. Als hätte ich gefühlt dass du mit deinen Gedanken in Schweden bist. Allzu gern hätte ich deinen Tischnachbarn zugehört als sie von Schweden erzählten. Und du, chéri? Es muss doch ein komisches Gefühl gewesen sein nicht auch von hier sprechen zu können. Du hast Fragen gestellt und vielleicht hat man doch gemerkt dass du nicht ganz fremd bist in diesem Land. Oder hast du ihnen auch erzählt von einer Schwedin, die in dich vernarrt ist seit einem halben Jahr? Du weißt doch, mein Liebling, dass wir diese Woche ein halbes Jahr gemailt haben? Ich wundere mich manchmal dass es nicht schon länger her ist. Wir haben uns unendlich viel geschrieben in dieser Zeit. Und doch bin ich immer noch hungrig nach deinen Worten. Ich kann nie genug von dir hören. Du beschreibst alles so genau und so schön .. z.B. von den Eiszapfen im Wallis. Ich hatte mein Leben lang nicht mehr an Eiszapfen gedacht und plötzlich sah ich sie wieder vor mir, ich fühlte sie und ich erinnerte mich sogar wie sie riechen und schmecken ;-)
Als ich die schwärmerischen Berichte deiner Clubfreunde über Schweden las, wurde ich fast melancholisch. Sie haben recht.. es ist etwas besonderes mit diesem Land.. etwas das mit den Jahreszeiten und der Natur zu tun hat. Ich bin froh dass mich meine Mutter damals wieder hierher geschickt hat. Aber der Journalist hat natürlich ein bisschen übertrieben. Nicht ganz Schweden leuchtet von "lingon". Sie wachsen an bestimmten Stellen im Wald und man muss schon wissen wo, bevor man sie leuchten sieht. Es ist möglich dass sie in Südschweden etwas offener wachsen als bei uns hier. Oben in Norrland haben wir sie auf dem Hof hinterm Haus. Aber schade dass wir nicht dort sein können wenn sie reif sind.
Du weißt es ist eine sehr nützliche Beere. Sie konserviert dich von innen sodass du nicht älter wirst ;-) Ein Geheimnis das ich dir hiermit verraten habe.
*
Bei uns ist es schon stockdunkel zur Zeit. Aber ende des Monats stellen wir dann unsere Uhr eine Stunde zurück. Man sollte sich nicht beschweren. Ich war mal im Dezember oben in Luleå, um Weihnachte zu feiern bei meinem Schwiegervater. Der Tag dauerte ungefähr eine Stunde und bestand aus einem rosa Streifen über dem Waldrand.
Eigentlich glaube ich nicht, dass ich zu den Menschen gehöre die leicht vom Wetter beeinflusst werden.. Wenn ich mich wohl fühle aus anderen Gründen dann kann mich das Wetter kaum stören. Du bist lieb, dass du meine Sonne spielen willst. Ja, tu es Liebling. Denn diese Art von Sonne kann ich schon sehr vermissen. :-)
*
Ich liebe es in die Sauna zu gehen und dazwischen ein paar Längen zu schwimmen. Zu Hause in Uppsala hatten wir unsere eigene Sauna in der Villa und ich vermisse es sehr. Hier fehlt mir leider oft die Zeit dazu aber ich werde doch versuchen ab und zu hinzugehen. Wir haben übrigens seit kurzem freien Zugang zum "Gym". Brauche mir nur den Schlüssel zu holen. Das ist doch eigentlich fantastisch. Daneben liegt das Solarium, das Schwimmbecken und die Sauna. Und alles nur kaum 100 Meter von meinem Büro. Da staunst du wohl, chéri.
Wie ist es bei dir? Gehst du auch in die Sauna? Ich bin manchmal eifersüchtig auf meinen Bruder der sich nachher noch ganz durchmassieren lässt. Diese Möglichkeit haben wir leider nicht hier bei uns (obwohl Åke, der eine Masseurausbildung hat, mir öfters seine Dienste anbietet) ;-))
Nun, chéri, ich werde mit deinen guten Ratschlägen und lieben Briefen schon noch die dunkle Jahreszeit überleben.
Wenn ich so zum Ende eines Mails komme dann muss ich mich immer ein wenig zurückhalten dass ich dir nichts unpassendes schreibe.. Mein Wunsch dich einmal so ganz glücklich zu sehen und zu machen..
Oh, nein Schatz.. Ich sage dir nun gute Nacht.
Bitte lass mich nicht verhungern
Marlena
Mildernde Umstände ...
Ämne: mildernde Umstände des Winterschlafs
Liebste Marlena
Ach, ein paar Monate zusammengerollt mit Dir, der grossen weisen Bärin, das würde mir doch zusagen, in einer dunkeln, aber geschützten Höhle. Und dazu die Stille, so dass man nur das leise Liebesgeflüster hört. Das wäre doch wunderbar.
Es war ganz lustig gestern. Ich meine, der geschäftliche Teil ging einigermassen gut über die Bühne. Sie haben zwar wieder mal intensiv über Geld diskutiert, die Herren Direktoren und Bosse und Chefs. Aber die Beschlüsse waren dann ganz vernünftig. Und der neue Präsident hat eine kurze Antrittsrede gehalten und sein Dreipunkteprogramm vorgestellt. Weißt Du, welches sein erstes Ziel ist: dass keiner aus dem Club austritt. Ein reines Negativprogramm. Aber er meint es nicht so. Er ist ein Kunstmaler und ein ziemlich origineller Kopf. Es wird ihm in diesem Jahr schon was lustiges einfallen.
Und dann gab es ein essen. Und ich hatte zwei interessante Tischnachbarn. Beide waren mehrere Jahre in Schweden gewesen und waren begeistert. Und ich glaube, bei beiden ging die Liebe zu Schweden über schwedische Frauen. Der eine, heute ein älterer Gentrleman, immer sehr schick gekleidet, Modejournalist, erzählte mir von seiner schwedischen Freundin, eine Adelige, mit der er in Sörland oder so ähnlich gelebt hatte. Er konnte sogar aus der schwedischen Literatur zitieren und die ersten Takte eines Liedes singen. Och, er hat richtig geschwärmt von den Schweden, ihrer Naturmystik, ihrer Liebe zur Geschichte und zur Literatur. Aber zwischen den Zeilen konntest Du sehen, dass er immer noch an seine adelige Liebe denkt. Und er meinte, sie hätten bloss nicht heiraten können, weil sie keinen Bürgerlichen heiraten konnte.
Und der andere Kollege, ein Klavierbauer, und sonst eigentlich ein stiller Typ hatte ganz leuchtende Augen, als er von den schwedischen Mädchen erzählte. Wenn er abends von der Arbeit nach Hause gekommen sei, hätten sie schon zu mehreren auf der Treppe gesessen und auf ihn gewartet. Als Ausländer hätte er auch an der Bar Alkohol bekommen können. Und wenn man den Mädchen eine Flasche zeigte, dann wären sie überall hin mitgekommen. Oder an einem Fest hätte er immer gefragt, woher die Mädchen kommen, und sich dann mit derjenigen beschäftigt, die 50km weit hergekommen ist, um sie anschliessend mit dem Auto wieder heimzubringen.
Du siehst, Marlena, die schwedischen Frauen haben einen Ruf, der durch ganz Europa weht. Man weiss ja nie so genau, was man davon halten kann, denn wir haben auch ziemlich Wein getrunken gestern Abend. Aber eines ist sicher: beide waren von den schwedischen Frauen tief beeindruckt. Und sie haben die intensiven Erlebnisse auch in Zusammenhang gebracht mit der langen Dunkelheit im Jahr, und der kurzen und intensiven Vegetationszeit. Es hat so geklungen, als ob man die paar sommerlichen Monate bis zur kürzesten Sekunde auskosten muss, weil sie bald vorüber sind.
Und José, der Journalist, hat von den roten Preisselbeeren geschwärmt und wie die Landschaft zur einer bestimmten Zeit einfach total rot sei von diesen Sträuchern. Ist das nicht das, was Du mir auch geschildert hast? Auf jeden Fall waren diese Preisselbeeren der initiale Punkt, weshalb wir überhaupt auf Schweden zu sprechen kamen. Und du kannst Dir vorstellen, dass ich natürlich immer weiter gefragt habe und mehr und mehr wissen wollte, was denn dort oben so besonders sei. Und so sind die beiden älteren Knaben noch einmal richtig ins Schwärmen gekommen. Das war doch eigentlich recht köstlich, ganz abgesehen von den schmackhaften Preisselbeeren auf dem Fleisch.
*
Du klingst ein wenig erschöpft, meine Liebe. Ich würde Dir gerne in der Höhle den Rücken massieren und Dir neue Energie geben. Aber die länge meiner Arme reicht nicht ganz. Weshalb gehst Du nicht in die Sauna, oder vielleicht in ein Solarium. Ich glaube, dass das fehlende Licht auf das Gemüt schlägt. Ich jedenfalls habe in den letzten Jahren bemerkt, wie ich im Herbst gewöhnlich etwas mehr melancholisch werde. Das heisst, ich habe es nicht mal selbst realisiert, sondern S hat mich darauf aufmerksam gemacht. Und ich glaube, sie hat recht. Ich habe immer Weihnachten bis Neujahr eine Art Baisse, so dass ich die Zeit und das Fest gar nicht richtig geniessen kann. Bisher hatte ich es immer mit der Tatsache des Jahresende in Zusammenhang gebracht. Es ist aber schon möglich, dass ein Sonnenenergiemangel auch eine Rolle spielt. So lass mich denn Deine Sonne spielen, Marlena.
Ich wünsche Dir einen sonnigen Tag
...
Iran ist megasonnig, nebeibei gesagt. Deshalb haben dort alle lachende Gemüter.
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Ämne: Re: mildernde Umstände des Winterschlafs
Ach, mein Liebster,
was hast du für wunderbare Ideen. :-) Aber ein Winterschlaf ohne dich ist nicht schön.. und deshalb komme ich eben wieder aus meiner Höhle heraus und sehnsuche dich.
Ich war sehr beschäftigt die letzte Zeit aber später heute Abend schreibe ich dir noch ein Mail. Möchte dir nur schnell ein paar Zeilen senden, damit du sie hast bevor du nach Hause gehst.
Wenn du mehr Zeit hast als ich im Moment, dann schick mir doch ein kleines Mail (ein wenig Sonne). Ich könnte es wirklich brauchen ..und du weisst doch.. es hilft gegen alles.
Mit einem lieben Kuss
Marlena
Blauer Montag - oder grau?
Liebe Marlena
Ja, das Essen mit Onkelchen war ganz schön. S. hat sich grosse Mühe gegeben. Und er war ganz gerührt, dass wir uns erinnert hatten, dass Coq au vin sein Lieblingsessen ist. Er hat es wirklich genossen und er hat S. viele Komplimente gemacht. Und zum Pariserring gab es einen Irish coffee, den mag er ganz besonders, auch wenn draussen noch kein Schnee liegt. Alles in allem war es ein nettes Festchen, und über die schönen Blumen hat er sich besonders gefreut.
*
Heute abend habe ich meine GV im Club. Da muss ich schon um 18h nach Basel. Die Sitzung ist eigentlich eine Routineangelegenheit. Aber manchmal gib es doch noch Diskussionen , meist um Geld. Die vielen Chefs und Bosse und Direktoren wollen alle beim Geld mitreden, auch wenn die Beträge nicht so hoch sind. Es ist manchmal etwas lächerlich. Aber sie sind nun mal so. Und anschliessend gibt es ein feines Nachtessen zur Feier des Anlasses. Und dann sitzt man noch bis etwas 22h zusammen und erzählt die neuesten Geschichten, na ja, ungefähr so, wie die Frauen es am Gartenzaun auch machen. S. meint, die Männer seien noch schlimmer mit ihrem Gossiping. Das würde ich aber vehement bestreiten. Na ja, schon wegen der Symmetrie würde ich es bestreiten. ;--)
Ich wünsche Dir einen schönen Abend und schicke Dir einen hochkarätigen Kuss
...
Re: blauer Montag
Lieber ...,
Ich würde eher sagen, dass er grau ist, dieser Montag. Grau draussen und grau im Herzen oder im Sinn. Ich habe eigentlich im Augenblick zu nichts Lust. Nicht dass ich schlecht gelaunt wäre, das kommt sehr selten vor aber ich habe etwas Kummer. Eigentlich auch keinen grossen sondern nur eine Menge kleine Irritationsmomente, die dann auch den Becher füllen bis er eben droht überzulaufen.
Vielleicht ist es auch eine Müdigkeit die mit einer beginnenden Erkältung zu tun hat. Ich weiss nicht. Manchmal wünsche ich ich könnte es nun wie die Bären machen, mich zurückziehen und einen Winterschlaf halten. Dann im Frühjahr, wenn es wieder etwas hell wird und die Blumen anfangen zu spriessen, würde ich froh und zufrieden herauskommen und sofort nach dir Ausschau halten. Oder vielleicht kommst du mit? Das wäre doch am allerschönsten. Wir könnten ein paar Monate schön warm zusammen schlafen. Ich würde mich ganz dicht mit dem Rücken an deinen Bauch legen und mich dort zusammenrollen.
Aber es hilft nichts. Morgen früh, wenn es noch stockdunkel ist muss ich wieder mein warmes Bett verlassen und den täglichen Kampf aufnehmen.
Aber es muss auch so gehen. Ich bin schon immer gut im Improvisieren gewesen.(ein Versuch vermildernde Umstände zu finden;-) Es wird mir etwas einfallen.
Du hast nun noch eine Stunde in deinem Club und gern möchte ich kurz hineinschaun und sehen was du dort machst. Erzähl mir ein wenig davon morgen, chéri. Und verzeih mir das kurze Mail.. es kommen wieder bessere Zeiten.
i M
Marlena
Ich habe heute ein liebes Mail von Mats erhalten, wo er mir von seiner Zeit an der Uni erzählt und versucht mich hinzulocken. So aus Entfernung scheut er nicht unser Milieu hier ein wenig unter die Lupe zu nehmen und es freut mich meine eigenen Gedanken aus seinem Mund zu hören.
Weisst du Schatz, es gibt nichts schlimmeres, als gegen Dummheit kämpfen zu müssen..
Schreibe mir bald, chéri, ich bin hungrig nach deinen Worten.
Sonntag, 25. September 2016
Sunday evening blues ..
Lieber ...,
Nun ist sie endlich da, die lange ersehnte Stunde wenn ich mich eine Weile zu dir setzen kann. Sicher weisst du, dass ich an dich denke auch wenn ich aus irgend einem Grund nicht zum Schreiben komme. Aber ich weiss dass es trotzdem nicht schön ist eine 0 in der Mailbox zu finden. Das Leben ist im Moment ein wenig hart zu uns Mausfreunden.
Ja, es ist schon so, wie du sagst. Eigentlich ist es schön wenn Leute unerwartet zu Besuch kommen. Hier im Süden kommt das ja nicht so oft vor wie oben in Norrland, wo es fast zur Regel geworden ist. Man taucht ganz einfach auf wenn man den Weg vorbei hat.
Gestern kamen eine Freundin von mir und ihr Mann mit denen wir seit Jahren gut befreundet sind. Wie immer hatte K auch an diesem Samstag ein gutes Essen vorbereitet und so konnten wir ein paar gemütliche Stunden miteinander verbringen. Aber dann hat mir doch die Zeit gefehlt und ich musste heute den ganzen Tag fest arbeiten. Nur manchmal habe ich mir eine kleine Pause gegönnt und wenn es möglich war, in die Mailbox geschaut nach einem Lebenszeichen von meinem Mausgeliebten. Und wie immer hat es mich sehr gefreut als ich dann schliesslich ein Mail fa
Und nun, chéri, sehe ich dich vor mir wie du dich nett mit deinem lieben Onkel unterhältst und ihm einen schönen Geburtstag machst. Ach, wie hat er es gut, der alte Onkel und ich beneide ihn, weil er in deiner Nähe sein darf. Es ist schön, was du sagst über seine Freundinnen. Ja, die Männer die ein hohes Alter erreichen haben es meistens ganz gut und werden von vielen Frauen verwöhnt. So war es auch mit meinem lieben Schwiegervater. Aber er hatte wohl sein ganzes Leben lang Verehrerinnen gehabt. ;-) Sicher habt ihr zu diesem Coq au vin auch einen guten Rotwein getrunken. :-)
...
Zu deinem Artikel über die Ehe möchte ich dir sagen dass in Schweden mehr als 50% der Haushalte "Singels" sind. Und in Stockholm bestehen sogar 2/3 aller Haushalte aus nur einer Person. Es scheint ein neuer Lebensstil zu werden.
Aber bei euch gibt es doch diesen "Zeitabschnitt-partner" und das finde ich wirklich ein wenig schockierend. Man sagt sich also schon wenn man zusammenzieht, dass es nur für eine Zeit gedacht ist. Sag, wer tut denn sowas, wenn die Liebe mit im Spiel ist?
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Samstag, 24. September 2016
Besuche
Lieber ...,
Ich habe unerwarteten Besuch bekommen und komme im Moment nicht zum schreiben. Wünsche dir einen schönen Abend.
Auf bald, hoffe ich
Marlena
Ämne: Sunday morning
Liebe Marlena
Der Abend gestern war nicht ein Superlativ. Wir haben zuviel über Geschäfte und EDV und Diebstahl und solch profane Dinge diskutiert. Das hat mich nicht sosehr interessiert. Und um übrigen war ich den ganzen Tag im Büro gewesen und ein bisschen müde.
Wir sind dann erst um 2 Uhr ins Bett gekommen. Ich habe noch das Geschirr gespühlt und alle Gläser gewaschen. Die kann man ja schlecht einfach in die Maschine stellen. Und heute bin ich an der Traktandenliste für Montag. Sie ist ziemlich lange, weil wir einen 14 Tage Unterbruch hatten.
Und bald fahre ich ab zu Onkelchen. S. hat nochmals ihre Freundin im Spital Chur besucht. Wir treffen uns am Bahnhof in Lenzburg. Und dann gibt es ein kleines Geburtstagsessen: Coq au vin. Das mag er am liebsten. Und nachher einen Pariserring von Beschle. Auch den mag er sehr gerne. Der Geburtstag ist dann aber erst am Dienstag. Aber dann haben wir kaum Zeit hinzureisen. Dann kann er seine vielen Freundinnen empfangen, die ihn besuchen werden. Es ist lustig, weil ja die Frauen etwas länger leben als die Männer, hat er wirklich sehr viele ältere Damen, die er kennt. Und weil er sehr lieb ist, besuchen sie ihn gerne. Er kann sehr gut mit Leuten reden.
Schön, einen unerwarteten Besuch zu erhalten. Ich hoffe, ihr habt das genossen.
Ich wünsche Euch noch einen schönen Sonntag.
Mit einem grossen Kuss
Donnerstag, 22. September 2016
Nur dir sage ich ...
Ämne: In Eile..
Hello love,
Gestern kam ich nicht an den PC ran weil A und K ihr neues Program ausprobieren. Ich glaube beide werden in Zukunft viel hier am PC zu tun haben mit ihren Sajts. Aber das gilt ja nur am Wochenende.
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So viele Illusionen hast du gehabt, dass du einen ganzen Karren dafür brauchtest? ;-) Ja, das Leben eines Menschen ist meist etwas anders als es die Umwelt sieht. In den Augen meiner Umgebung gelte ich als stark, selbstbewusst, stolz, offen und glücklich (vielleicht auch als etwas abenteuerlich :-)
Die mich näher kennen glauben ich bin ein Engel weil ich viel Mitgefühl für meine Umwelt habe. Und du mein Schatz, dir sage ich wie mein Leben wirklich ist.. wie ich es erlebe.. meine Gefühle und Gedanken. Es ist schön einen Menschen zu kennen, dem man das sagen möchte.
Nun, ich muss schon weg. Schreib mir doch du noch ein Mail falls du Zeit dazu findest. Es macht mein Leben so schön..
Ich umarme dich, mon chéri
Marlena
Dienstag, 20. September 2016
Illusionen?
Ämne: die Illusionen auf dem Kartoffelkarren
Liebe Marlena
Wo ich meine Illusionen verloren habe? Illusionen über die Menschen?
Na ja, das ist wie wenn Du mit einem Karren voller Kartoffeln über einen holperigen Weg rollst. Sie fallen ja nicht gleich alle zusammen vom Karren, sondern springen einzeln da und dort herunter.
Aber ich habe nicht ein schlechtes Bild von den Menschen. Das bestimmt nicht. Und ich habe im Leben wirklich eine Menge Menschen kennengelernt.
Weißt Du Marlena, ich habe den Eindruck, dass es sehr von der Distanz abhängt, wie man Menschen wahrnimmt. Kennt man sie nur aus Entfernung, oder kennt man sie in einem sehr persönlichen Rahmen. Das ist die Frage. Es gibt doch auch diesen merkürdigen Riss durch die Welt, den jeder von uns selbst erleben kann, diese unüberbrückbare Diskontinuität zwischen meiner Innenwelt und der Aussenwelt. Man könnte grob sagen, das eine sei die private, das andere die öffentliche Welt. Aber es stimmt hier auch nicht ganz. Die Sprache, nota bene, wie Wittgenstein nachweist, ist eine durch und durch öffentliche Angelegenheit. Es gibt nicht die Privatsprache, nur für mich selbst, so, wie sie Bichsel in der Kindergeschichte "Ein Tisch ist ein Tisch" vorgeführt hat. Das ist keine Sprache mehr.
Ich habe in den letzten Jahren einige Biographien gelesen und ein wenig studiert. Am liebsten hatte ich die Lebensgeschichten von Malern, die auch illustriert waren mit ihren eigenen Gemälden. So konnte ich irgendwie die Werke mit dem Leben des Malers in eine Verbindung bringen. Kunstgeschichtlich ist ja das Leben des Malers ziemlich irrelevant. Aber psychologisch ist es interessant. Und wenn man dann diese Lebensläufe, diese Krisen und Stürme und Liebschaften und Katastrophen und Höhepunkte und Seligkeiten sich anhört, und daneben die öffentliche Rolle sieht, die sie gespielt haben und die mit Gemälden belegt ist, dann gibt es doch sehr erstaunliche Phänomene.
Schau mal Dali an, dessen Biographie ich gerade auf meinem Nachttischchen habe! Er war ein armer Wurm. Er hatte soviele Ängste und Unsicherheiten. Er war ganz und gar von seiner Frau Gala abhängig, die ja auch in seinen Bildern immer wieder auftaucht, eine Russin, die ein sehr extravagantes Sexualleben geführt haben soll, während von Dali gesagt wird, er wäre ein Autoerot gewesen. Das heisst wohl, er hat sich meist selbst mit sich selbst befriedigt. Das ist ja doch schon eine echte Kunst, würde ich sagen. Und er muss seiner Gala echt hörig gewesen sein. Sie haben viele Bilder gemeinsam signiert, obwohl er sie gemalt hat, er im engeren Sinne sozusagen. So ist der arme Kerl stets am Trichterrand zur Psychose gewandelt, hat diese Tatsache genutzt für seine Bilder. Aber ich bin sicher, das war nicht das reine Vergnügen. Er war ein echter Spinner und hat sich mit seinem Vater schwer verkracht und hat offenbar auch enorm darunter gelitten.
Und wenn man bloss Dalis öffentliches Leben anschaut, hat man den Eindruck, er wäre ein berühmter Maler gewesen, der sein Leben geschäftstüchtig inszeniert hat, jede Menge vor dem Publikum der Oeffentlichkeit Theater gespielt, aber alles in allem ein genialer Held, der diese fantastischen und eindrücklichen Bilder gemalt hat, die jeder im Gedächtnis hat. Man denkt, er sei der grossartige und selbstbewusste Schöpfer dieser Ikonen des frühen 20. Jahrhunderts.
Was jetzt nun, ein genialer Held oder ein armer Wurm? Ist eben eine Frage der Distanz der Wahrnehmung. Und in der Oeffentlichkeit verzerren vielleicht die öffentlichen Vorurteile und Legenden unseren Blick und im Privaten sind es dann wohl unsere persönlichen Gefühle und überwertigen Ideen und familiären Neurosen, die das Bild trüben.
Ich habe kein schlechtes Bild von den Menschen. Und ich bin immer wieder berührt und beeindruckt von der Liebe der Mütter zu ihren Kindern. Ich glaube, das ist die stärkste Kraft auf unserer Welt. Bei Vätern merkt man gelegentlich auch viel Liebe, aber nicht so oft wie bei den Müttern. Und wenn diese Mutterliebe nicht wäre! Stell Dir die Welt vor. Es wäre der wahre Dschungel und Krieg und Egoismus! Die Menschen hätten kein Feingefühl und keinen Respekt und auch keinen Zusammenhang. Es sind bestimmt die Frauen, die dieses Positivum in der Welt vertreten und unterstützen und pflegen. Und es ist wohl in allen Kulturen so. Die Leistungen der Frauen für den Bestand unserer Welt sind bei weitem höher einzuschätzen als diejenigen der Männer. Wenn man das mal so auf eine einfache Buchhaltung reduzieren will. Und es ist, nach all dem, was wir hier unten wahrnehmen, überhaupt nicht einzusehen, weshalb der liebe Gott denn nun unbedingt so etwas wie ein Mann sein sollte.
Wir haben in unserem Dienst vor Jahren mal eine Fortbildung gemacht mit einer Feministin. Und sie hat erzählt, dass sie mit ihrer kleinen Tochter abends "zur Göttin" betet. Fand ich lustig, instruktiv und auch mutig.
*
Kurz und gut, meine Illusionen liegen an den Rändern meines Lebensweges wie Kartoffeln, die vom Karren heruntergekollert sind. Aber ein paar sind wohl immer noch oben geblieben. Und das spricht doch auch für den Karren, oder nicht?
Ich küsse Dich innig, meine barocke Mausfreundin
...
PS: wollen wir doch keinen Indizienprozess beginnen, wer wem zuerst die Liebe angedeutet habe. Es geht mir da wie den alten Römern, die in ihren Zitaten immer sehr ungenau waren, einfach weil sie die Mühe scheuten, ihre Pergamentrollen aufzurollen und das Zitat wörtlich zu suchen und nachzulesen. Es ist einfach schön, sich zu erinnern, wie das ganz zart und sachte entsteht, und wie man auf jede Geste und Wendung achtet, die auf ein Mehr hindeuten könnte. Und wenn solche Ahnungen und Gefühle entstehen, ist man ganz zufrieden und hell. Aber es ist doch nicht Geschichte, Marlena! Es ist die nackte Gegenwart, bloss ein paar Monate her. Ich küsse dich nochmals.
... schon Geschichte???
Ämne: Nur ganz kurz..
Ach... , es ist so spät geworden heute und ich finde nicht die Zeit ein längeres Mail zu schreiben. Aber einen kleinen "Gutenachgruss" möchte ich dir trotzdem schnell senden.
Danke für dein schönes langes Mail. Ich bin ganz auf deiner Seite was Englisch betrifft. Aber später dann, wenn die Schüler älter sind, sollten sie auch Französisch lernen.. aber nur die, die eben eine gute theoretische Ausbildung haben wollen. Klingt das fair?
Morgen ist Freitag der 13. Viele meinen das ist ein spezieller Tag. Man muss etwas aufpassen :-)
Ich habe heute ein wenig gesucht nach dem Mail wo ich dir eine Liebeserklärung gemacht haben soll.. aber im März gab es noch keine. ;-) Doch man merkt dass ich schon nach ein paar Wochen "Harroinsüchtig" gewesen bin..
Nicht ich.. sondern du hast das erste mal von Liebe gesprochen.. :-) Erinnerst du dich? Damals wollte ich schnell die Feuerwehr holen..
Wir reden manchmal als wäre alles schon Geschichte.. ist es so?
Jetzt muss ich noch etwas arbeiten aber morgen werde ich dir hoffentlich mehr schreiben können.
Wünsche dir alles gute
Marlena
Wo hast du deine Illusionen verloren? Erzählst du mir davon?
Zu dem Wort barock sagt mein Duden: "seltsam, verschroben"...
Montag, 19. September 2016
Englisch oder Französisch?
Ämne: Re: rather longsized mail ...
Liebe Marlena
Vielen lieben Dank für Dein barockes Mail. Sie sind in der Tat wunderschön geworden, Deine Mails in letzter Zeit. Ich geniesse sie wie ein Festschmaus, jedes von ihnen.
*
Ein bisschen unfair bist Du darin, dass Du Dich nicht zwischen mir und meinem Chef entscheiden willst. Du sagst, klar, alle müssen Frühenglisch haben. Aber auch Französisch. Was jetzt nun, beides?? Das ist wohl nicht gut möglich, mit den Grundschülern schon mit zwei Fremdsprachen anzufangen, schliesslich müssen sie auch noch Hochdeutsch lernen, was sie im Alltag ja auch nicht brauchen. Das wären sozusagen drei fremde Sprachen, wie einige behaupten.
Nein, ich glaube, es geht wirklich um die harte Entscheidung: Französisch oder Englisch ab 2. Klasse? Ich bin, wie gesagt, für Englisch. Und ich habe gute Argumente:
Erstens: Englisch bietet, wie Du sagst, Anschluss zur Welt, zur Welt des Kommerzes, des Computers.
Zweitens: Kinder haben mehr Motivation, Englisch zu lernen als Französisch.
Drittens: Englisch ist leichter als Französisch, vor allem in der Anfangsstufe.
Viertens: Schüler auf dem praktischen Bildungsweg erreichen in 7 Jahren eine Kompetenz in Englisch, die ihnen im Beruf nützlich sein kann. In Französisch kommen sie kaum soweit, dass sie praktisch sprechen könnten.
Fünftes: Mein Chef behauptet, Sprache sei mehr als ein Verständigungsinstrument weltweit, mehr als eine lingua franca. Klar, hat er recht, aber auch das moderne Englisch ist Teil einer Kultur, der postmodernen, internationalistischen, übernationalen Kultur. Es ist ja nicht ein Queens-Englisch, das hier zur Diskussion steht, sondern eine Art Strassenvariante in hunderten von Akzenten. Wie nennt man dieses neue Englisch, das man überall spricht, mit einem sehr reduzierten Wortschatz? Es hat doch irgendwie einen Namen, den ich schon gehört habe?
Sechstens: Der Kulturstreit in der Schweiz wird nicht so heiss werden, wie mein Chef prognostiziert, weil auch die Romands Englisch lernen, und dann können wir mit ihnen Englisch reden, wenn es denn sein muss. Das geschieht schon heute gelegentlich im Militär beispielsweise.
Siebtens: Der Kulturstreit könnte sogar gemildert werden dadurch, dass wir uns nicht mehr zwischen Italienisch oder Französisch entscheiden müssen. Es wäre doch denkbar, dass die Tessiner enttäuscht sind, wenn wir Französisch wählten, und dass die Romands enttäuscht sind, wenn wir Italienisch wählen. Mit Englisch sind wir von beiden gleich weit entfernt, oder gleich nah respektive.
Achtens: Und die Romands und Tessiner können sich auch auf die Weltsprache Englisch konzentrieren, und müssen nicht zuerst noch Deutsch lernen, einfach, weil man in der Schweiz ohne Deutsch keine Karriere machen kann. In Zukunft wird man auch in der Schweiz die Karriere in Englisch machen.
Neuntens: Wenn alle Englisch können, wird es wieder geschätzt und exklusiv werden, Französisch auch noch zu können. Dann wird der Wert von Französisch bestimmt wieder steigen, vielleicht nicht für alle, aber für diejenigen, die sich auf Marktlücken vorbereiten.
So:
Findest Du denn nicht, Marlena, mein Chef sei längst k.o.? Seine Argumente sind doch ideologischer Natur, ein wenig nostalgisch. Und unter uns gesagt, ich vermute, dass er selbst kein Englisch kann. Aber das weiss ich nicht. Er ist sonst sehr kompetent und intelligent. Auf jeden Fall muss man doch konstatieren, dass, wenn man ein wenig herumreist, zu aller erst auf das Englische fällt, und kaum je auf Französisch. Sogar mit meiner belle soeur aus Paris spreche ich Englisch, wobei es bei ihr ja sünd und schade ist. Ich könnte nämlich viel von ihr lernen.
Also, meine liebe Marlena, ich hoffe doch sehr, dass Du Deine Pflicht tust und das Match entscheidest Er oder ich, das müssen wir jetzt wissen ;--))
*
Nein, wenn ich regressive Trance sage, meine ich nicht, dass ich es bereue. Ich fand bei der Lektüre bloss, es wäre sehr schlecht formuliert, nachlässig und undiszipliniert. Vielleicht so, wie man auf der Couch des Psychiaters spricht? Nein, es ist keine Reue, eher etwas unwohl Dir gegenüber, wo Du doch immer perfekte und korrekte Sätze schreibst.
*
Ja, wenn Du Dich richtig erinnerst, habe ich den Begriff Internet-Ehe erfunden und Dich damit ziemlich erschreckt! Kannst Du Dich erinnern? Damals warst Du noch sehr "korrekt" und als ich erzählte, ich träumte, mit Dir in Paris zu sein, hast Du Dich etwas indigniert gewundert, was den meine Frau dazu denke und dass sie sowas bestimmt nicht möge. Du hast mich praktisch zurechtgewiesen. Remember?? Es war köstlich. Es war wohl noch vor Deiner feinen und vorsichtigen Liebeserklärung, die ich immer noch in schönster Erinnerung habe. Und Du warst es, die das Symbol des Turmes erkannt und thematisiert hast. Das fand ich auch sehr schön, nun ja, ist es immer noch.
*
Jetzt muss ich abschliessen. Noch kurz zu Dir, meine Liebe. Ich habe nicht Angst, dass Du zuviel von mir erwartest. Deine Art von Konzentration ist sehr schön. Du wirkst auch nicht zerrissen in Deinen Briefen. Vielleicht über die Zeit hinweg hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass die Kontinuität leidet. Ich meine, Du hattest manchmal sehr merkwürdige Phasen, und ich wusste nicht und weiss nicht, was wirklich los war. Und dann bist Du wieder sehr präsent und manchmal scheinst Du glücklich, fast überglücklich gelegentlich. Aber so sind wir doch alle, Marlena. Die ruhigen und ausgeglichenen Menschen, wenn man sie näher kennt, sie sind meist auch noch ein bisschen anders. Diese Eindrücke sind doch meist die Folge der Distanz die man zu ihnen hat. Ich bin da sehr illusionslos geworden. Ich bin sicher, Menschen sind sehr menschlich.
Ich küsse Dich meine Liebe
...
Sonntag, 18. September 2016
Hello ...
Lieber ...,
Es ist schön dass du mich so lieb zu Hause Willkommen heisst. Ich habe es überstanden. Nur das Maulhalten ist mir nicht 100 %ig gelungen. Aber natürlich habe ich versucht deinen Rat zu befolgen. Ich würde dir gern erzählen was mich so stört aber ich möchte es lieber vergessen
Ach, weisst du, ich bin eigentlich etwas zu müde heute um zu schreiben. Die Worte wollen nicht richtig kommen.
"Schau mal hier!" bildet keine Realität ab aber es vermittelt eine Realität, nämlich meinen Willen dir etwas zu zeigen. Der sanfte Stoss und der Zeigefinger sind nur da um meinen Satz zu unterstreichen und dich darauf aufmerksam zu machen. Nein, ich habe nie Wittgenstein gelesen. Aber ich verstehe dass er seine Argumente auf eine sehr intelligente Weise vorbringt, sonst würdest du, mein lieber Schatz, dich nicht davon verführen lassen. ;-))
Es gibt doch so viel Realitäten die nicht unbedingt durch das Rohr der Sprache müssen. Wenn ich z.B. die Schönheit in der Natur geniesse oder ein gutes Musikstück. Ich kann es ganz ohne Worte tun und es ist Realität für mich. Es existiert ohne dass ich es erst mit Worten schaffen muss.
Dagegen glaube ich Gefühle kann man mit Worten schaffen und am Leben halten. Vielleicht nicht "schaffen" aber vermitteln. Und es ist wichtig dass man sie vermittelt...
*
Die Verzögerung deines Briefes hat wohl nicht mit den grossen Mengen Luft zwischen uns zu tun, sondern eher mit dem schweizerischen Postwerk. Ein Brief aus Zimbabwe nimmt ungefähr dieselbe Zeit wie ein Brief aus Basel. ;-) Nein, er war natürlich nicht geöffnet. Und Post von dir wird auch nie in falsche Hände geraten. Aber wozu überhaupt "snail-mails" senden wenn man sich doch hier so schnell und gut (und kostenlos?) verständigen kann? Nur wenn du mal etwas gezeichnet hast das du mich sehen lassen willst kannst du es mir zum Ansehen schicken.Ich kann es nachher wieder zurücksenden, falls du willst.
Ich habe heute Nacht ein paar Stunden wach gelegen und dabei habe ich dauernd deine lustigen Illustrationen zu deinem Artikel vor mir gesehen. Das Mobil hat sich vor meinen Augen gedreht und die Eltern in dem "Laufställchen?" haben unruhig Ausschau gehalten nach ihren Abkommen. Und dann unser Turm..
und der dahinter, in dem man nie Sprachverbisterungen finden wird da ja alle nur Englisch sprechen.
*
Liebling, ich hoffe dass du verstehst wenn ich manchmal ein wenig mit Worten spiele. Dieses "Internetehe" z.B. warum sollte man es nicht so bezeichnen können? Viele Männer im Swisstalk sprechen sicher viel mehr mit anderen Frauen als mit ihren eigenen. "Seelische Emigranten" wie du es einmal genannt hast. Manchmal habe ich Angst dass du glaubst ich will zu viel von dir.. Es ist wahr.. ich möchte dich nie aus meinem Leben verlieren und wie man das Verhältnis zwischen uns nennt ist eigentlich egal. Du bist zwar nicht mehr dieser ruhige, ausgeglichene Mann, den ich anfangs zu kennen glaubte, aber ich schenke dir trotzdem immer mehr Vertrauen. Ich weiss, ich suche viel in dir.
Sag, warum bezeichnest du deine wunderschöne Schilderung deiner Kindheit plötzlich "regressive Trance"? Es hat mich sehr gefreut dass du mir so geschrieben hast. Dann fühle ich dass du mir wirklich nahe bist .. und nun scheinst du es fast zu bereuen.. warum?
*
Eine "zufriedene, in sich ruhende Frau" würde ich gern sein. Dazu brauchte ich wohl ein anderes Schicksal :-) Aber vielleicht machst du auch nur Spass und merkst wie "zerrissen und disharmonisch" ich eigentlich bin. Und vielleicht ist es doch ein veritables Kunststück von mir der Umwelt ein solches Bild vermitteln zu können. Ja, sie kennt mich nicht, die Welt. Nach vielen Jahren sagte mir eine Kollegin, die ich sehr schätzte, sie hätte sich lange vor mir gefürchtet weil sie nie herausfinden konnte wer ich eigentlich sei.
*
Ach, chéri, wenn ich alle Dummköpfe in ein Schliessfach stecken müsste, dann wären die längst schon alle überfüllt. Wir lassen sie herumlaufen. Man kann ihnen ja meistens aus dem Weg gehen. Leider nur "meistens".
Draussen schmettert der Regen nur so gegen die Fensterscheiben. K hat an diesem Wochenende fleissig im Garten gearbeitet und Anna hat zufrieden festgestellt: "Jetzt tut Pappa etwas, was Väter tun sollen". Es war ein vielsagender Satz.
Ich verlasse dich nun für heute. Bitte, lass mich bald wieder von dir hören.
In Liebe
Marlena
Samstag, 17. September 2016
Text als Text
Liebe Marlena
Es hat mich wirklich sehr gefreut zu sehen, wie Du Dich gefreut hast über die Post. Sie hat ja echt ewig gedauert. Aber man sieht daran nur, wieviel Luft zwischen uns ist. Und Luft ist nicht nichts. Das ist ein riesiges Kissen. Und durch dieses endlose Kissen schicken wir unsere Mails. Sie müssen in der Tat vorne spitz sein, sonst kommen sie kaum vorwärts.
(---)
Ja, Deine barocke schriftstellerische Statur ist wunderbar. Sie hat wirklich etwas Glänzendes und man denkt an eine zufriedene, in sich ruhende Frau, die rundum Liebe und Sicherheit ausstrahlt. Du solltest wirklich mehr schreiben, nicht nur für mich, für uns alle!!
Bevor Du aber anfängst, müssten wir vielleicht nochmals eine kleine Diskussion über den Text als Text machen. Ich habe schon Hemmungen, darüber zu sprechen. Und ich werde mich absolut hüten, auch nur ein Wort darüber in der Italobar zu verlieren. Was meinst Du denn wird Franco dabei denken??? Er würde zerstreut die falschen Cocktails mischen, würde irritiert doppelte Mengen Alkohol beigeben und solch schlimme Dinge. Nein, die Italobar ist nicht der Ort dazu, meine Liebe.
Weißt Du meine Liebe, wenn ich sage ein Text sei ein Text, dann meine ich nicht, es seien nur Worte oder gar Wörter. Doch warum ich es immer wieder sage, hängt schon damit zusammen, dass auch mein naiver Glaube stark in dieselbe Richtung geht wie Deiner. Das ist nämlich die Vorstellung, Wörter bilden Dinge ab. Das ist die Sprachtheorie, die Augustinus in seinen Bekenntnissen anklingen lässt. Doch ich habe mal in meinem Studium eine Arbeit geschrieben über Wittgensteins Sprachphilosophie. Kennst Du Wittgenstein? War ein Oesterreicher, aus absolut reicher Familie. Hat sein Erbe verschenkt und ist zuletzt in Cambridge als Philosophieprofessor gelandet. Ein Vertreter der "normal language philosophy". Anfangs seiner Karriere hatte er eine völlig andere Theorie. Er hat also im Laufe seiner akademischen Karriere eine 180° Wendung gemacht. Er war - überigens homosexuell - ein blendender Geist. Und seine philosophischen Untersuchungen sind ein Schatzkästlein von Ueberlegungen und Erkenntnissen. Zentral ist das, was er "Sprachspiel" nennt. Wittgenstein würde jetzt also Marlena antworten auf ihre Behauptung, Sprache bilde Realität ab:
Wenn ich sage "Schau mal hier!" Bildet denn ein solcher Satz Realität ab?? Wenn er etwas in der Realität ersetzt, dann wäre es mein sanfter Stoss an Marlenas Schultern, die sie auffordert, zu schauen. Oder meinen Zeigfinger. Bildet der Satz wirklich meinen Zeigfinger ab?
Siehst Du, so ungefähr argumentiert Wittgenstein in seinen "Philosophischen Untersuchungen". Und es ist sehr spannend, ihm auf die Schliche zu kommen. Aber es ist nicht so leicht. Mindestens damals brauchte ich noch weitere Lektüre, um wirklich zu verstehen, was er meint.
Und die allgemeinste Schlussforlgerung daraus wäre vielleicht: Was Du meinst, Marlena, welche Funktion Sprache erfüllen kann, das ist vielleicht eine Spielform. Aber es gibt daneben noch etliche andere. Und man soll die arme Sprache nicht auf eine einzige Variante festnageln. Das wäre schade.
Wenn ich sage: "Du bist mein Schatz". Ist das eine Abbildung der Realität? Nein, das ist es nicht. Es ist eher eine Generierung von Realität. Es schafft Realität. Und wenn wir daran denken, dass alles, was wir in dieser Welt wahrnehmen, durch dieses Rohr der Sprache hindurch muss, die Welt, unsere Gefühle, unsere Absichten und Aussichten und Vorsichten und Übersichten, dann kann man schliesslich doch irgendwie sagen: Alles ist Text. Es gibt nichts ausserhalb des Textes. Unser Bewusstsein ist Sprache, soweit wir es mit anderen Menschen teilen. Und das haben, wenn ich richtig verstehe, die Franzosen rund um Lacan gesagt. Die waren ja ein wenig monoman. Und sie behaupten, die Welt hat die Struktur der Sprache, glaube ich.
Ach siehst Du, jetzt habe ich mich wieder hinreissen lassen über den Text als Text zu sprechen. Du hast mich erwischt. Und dabei wollte ich eigentlich nicht. Und ich glaube, für Dich als Sprachlehrerin ist es auch nicht absolut wichtig.
(---)
Du bist sehr kritisch mit den Homines Sapentes männlicher Variante! Aushalten, Haushalten und Maulhalten klingt wie ein Durchhalteparole für den Krieg. Ach, Marlena, Du mit Deinem Charme brauchst doch nicht solch düstere Devise. Du besiegst sie doch mit Deinem Charme! Oder etwa nicht? Wenn nicht, gib mir einen Funk, dann komme ich vorbei und wir sprerren ihn auch ins Schliessfach. Damit haben wir doch Erfahrung.
*
Ich hoffe, Du hast eine gute Zeit gehabt. Und ich schick Dir dieses Mail jetzt. Dann hast du was im Box, wenn Du in die gute Stube trittst.
Ich küsse Dich, ich homo sapiens sapiens.
...
Freitag, 16. September 2016
Worte nur Worte?
Ämne: Roman-is-tik
Lieber...,
Danke für deine schnelle Antwort. Aber chéri, du musst dir wirklich keine Sorgen machen wegen deinen Fantasien. Ich liebe es wenn du so direkt drauflosschreibst ohne Korrektur und ich lache herzlich über deine manchmal etwas lustigen Gedanken. Natürlich bin ich ein wenig so wie du schreibst.. aber eigentlich nur wenn ich verliebt bin. Dann werde ich ein bisschen barock, das muss ich zugeben. ;-)
Ein Text ist ein Text sagst du wieder. Und das klingt irgendwie als ob du sagen würdest: Worte sind nur Worte. Dahinter keine Realität. Ich meine, zuerst ist die Realität und die Worte sind nur dazu da diese an einen anderen Menschen zu vermitteln. Ich kann nicht Realität mit Worten erzeugen. Oder was meinst du, mein lieber Mausfreund? Ich kann Gefühle hervorrufen damit, das stimmt sicher aber.. OK ich lasse es.. wir müssten es vielleicht mal in der Italobar diskutieren.
*
Ich schreibe dir noch heute weil ich morgen Nachmittag wegfahre mit meiner Klasse und "dem" Kollegen und erst am Mittwoch Abend zurückkomme. Zuerst war mir der Gedanke sehr zuwider aber da ich nicht davonkommen kann habe ich mich entschlossen das ganze als eine Herausforderung zu sehen und eine Möglichkeit dieses komische Exemplar von Homo Sapiens etwas näher zu studieren. Meine grösste Aufgabe wird sein nicht zu sagen was ich denke.. nach dem Motto: "Aushalten, Haushalten, Maulhalten"
*
Anna und ich waren den ganzen Nachmittag bis spät am Abend in der Stadt. Wir sind in etlichen Geschäften gewesen um ein wenig neue Kleider und Schuhe für die kalte Jahreszeit zu besorgen. Wir mussten diesen Tag dazu ausnutzen weil wir ja sonst nie gleichzeitig frei sind. Ich mag nicht die Luft der Kaufhäuser und die Leute die ihre Tage dort verbringen müssen tun mir wirklich leid.
*
Ach, ich muss immer wieder an deine lustige Schilderung von eurer Schule denken und dabei sehe ich euch unbemerkt unter den Bänken aus dem Klassenzimmer kriechen. Vielleicht war es eine sehr liebe Lehrerin, die ein Auge zugedrückt hat, weil sie euch ein wenig Freiheit gönnen wollte. :-) Jedenfalls muss ich mich beherrschen damit ich nicht plötzlich anfange zu lachen wenn ich daran denke. Es ist wirklich zu drollig.
Nun werde ich mir eine Tasse Tee machen und dann für morgen ein wenig packen. Es sieht aus nach Regen aber die Aktivitäten werden ja meist "indoors" stattfinden. Also kein Problem.
Danke nochmals für den Brief mit dem Artikel. Ich werde ihn im Bett heute Abend noch ein wenig studieren. Deine Zeichnungen sind auch so treffend. Ich gratuliere dir dazu.
Nun muss ich langsam gehen. Habe noch nicht meine Stunden für morgen Vormittag vorbereitet.
Am liebsten möchte ich dich nun umarmen weil ich dich so lieb habe.
Ganz platonisch ;-)
Ti voglio tanto bene.
Marlena
Montag, 12. September 2016
Ach ach - (12 september 2001)
Datum: den 12 september 2001 11:20
Liebe MarlenaJa, Du hast recht. Ich bin gestern abend frühzeitig vom Büro weg.
Ich hatte Auto und Koffer hierhin mitgenommen, so dass ich dann
gleich von der Arbeit zum Flughafen fahren könnte. Das habe ich
auch so gemacht, mit viel Zeitreserve, damit ich ja nicht in Zeitnot
käme. Im Zug habe ich noch einen Amerikaner aus Philadelphia
getroffen. Er hat mich gefragt, ob ich gehört hätte, was in Amerika
passiert sei. Ich wusste allerdings nicht viel. meine Sekretärin hatte
erzählt, dass ein Anschlag auf das World-Trade-Center geschehen
sei, aber sie sei während der Information am Radio durch ein Telefon
unterbrochen worden. So fuhr ich nichtsahnend hinaus zum Flughafen.
ich war so früh, dass ich meinen De Crecenzo hervor nahm, um mich
in der Lektüre zu vertiefen. Bald kamen Crista und Robert, der Zahnarzt.
Sie war käsebleich. Sie hatten kein Gepäck, das fiel mir sofort auf. Die
ersten Worte waren, dass sie nicht mitkommen würden. Ich dachte, etwas
Schreckliches wäre in ihrer Familie geschehen, ein Todesfall oder so.
Erst allmählich begriff ich, weshalb sie nicht reisen wollten. Sie hatten
sich schon mit den übrigen Teilnehmern abgesprochen. Und einzig mich
hatten sie telefonisch nicht mehr erreicht. Alle kamen, alle kamen ohne
Koffer. Nur V blieb zuhause. Sie war immer eine der änstlichsten
gewesen, schon wenn es um Kleiderfragen im Iran ging. So blieb mir
nur die Entscheidung, ob ich allein reisen sollte oder nicht. Und ich ent-
schied mich, auch nicht zu reisen.
Wir wollten sehen, wie sich die politische Situation entwickeln würde.
Das ganze hörte sich an wie Krieg. Und wenn die Perser, die ja mit den
palästinensischen Terroristen offenbar verfilzt sind, daran beteiligt wären,
dann würden wir dort in des Teufels Küche geraten. Ich für mich allein
wäre sehr wohl gereist. Aber meine Kameraden sind alle älter, im Pensions-
alter und haben natürlich ein grosses Sicherheitsbedürfnis.
Noch vom Flughafen habe ich A in Teheran erreicht und ihr die Situation
erklärt. Sie konnte es nicht glauben. S war gerade unterwegs. Sie hat
Früchte eingekauft und in die Hotelzimmer gebracht, damit die Gäste einen
schönen Empfang hätten. Später habe ich dann auch sie erreicht. Sie hat nicht
viel gesagt. Aber ich weiss, was sie gedacht hat. Sie denkt, was soll denn
diese Geschichte mit Teheran zu tun haben. In Teheran ist es absolut still
und normaler Alltag. Allerdings hatte sie erst in den Abendnachrichten von
den Ereignissen gehört.
Ich hatte Schlüssel und Auto im Büro gelassen, konnte also abends nicht mehr
heim, denn B war auch unterwegs. So habe ich bei R+C übernachtet.
Sie haben sich viel Mühe gegeben und wir haben ein einfaches Nachtessen
gehabt mit langen Diskussionen. Natürlich war auch ihr Eisschrank leer. Aber
es war gut, Brot, Fleisch und Käse mit einem Schluck roten Weines.
Und jetzt bin ich wieder im Büro, habe das Reisebüro informiert und gehe
bald heim.
Wie sagte Kästner: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.
Es ist schade, S hat sich soviel Mühe gegeben und alles perfekt
organisiert. Die Freunde sagen, wenn die Situation sicher ist, könnten wir
am Sonntag vielleicht abfliegen. Aber man denkt hier, dass vielleicht
Afghanistan von diesem Terrorkrieg betroffen sein wird, vielleicht auch Teheran.
Man weiss eben nicht viel Genaues. Allerdings wird es sonntags wohl kaum
mehr freie Plätze haben im Swissairflug nach Teheran. Es ist wirklich
jammerschade für all die Arbeit.
Das ist das Neueste. Ich werde mir jetzt ein paar Sachen zum Essen einkaufen.
Die letzten Kartoffeln und Zwiebeln hatte ich montags meinen Nachbarn gegeben.
Whatever will be will be.
Mit einem schönen Gruss
...
Sonntag, 11. September 2016
herbstlich
Liebe Marlena
Hier ein kurzer Zwischengruss. Gerade bin ich von Basel zurückgekommen. Ich hatte eine Sitzung mit meinen Leuten. Wir haben herrliches Herbstwetter, und man möchte am liebsten vor sich hin wandern und die Gedanken hinter sich am Boden nachziehen. Wie eine wunderbare farbenfrohe königliche Schleppe, die im Herbstlaub raschelt.
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Samstag, 10. September 2016
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