Sonntag, 28. Juni 2015

ein Mausleben - Rilke


Ämne: Du, mein Uneigentum.. :-)

Lieber ..,
Wieder ist ein Weekend vorbei. Bei dir war es sicher anregend und abwechslungsreich. Hier war es still aber doch angenehm und erholsam.
...
Ich habe im Internet nach Gedichten von Rilke gesucht, die ich für G haben wollte. Sie gibt nämlich einen Poesikurs und da meine ich, sollte Rilke nicht fehlen. Und dabei habe ich neue Dinge von Rilke gefunden, die mir sehr gefallen haben. Ich habe dir diejenigen geschickt, die ich besonders mit dir (oder mit uns) verknüpfe. Du musst sie langsam lesen und jede Zeile begründen und du wirst verstehen was ich meine. Ich glaube Rilke hätte gern ein Mausleben gelebt. Er weiss von ihren Gefahren und ihrer Schönheit. Er kennt unser Turmzimmer. Kein Gestern und kein Morgen, nur Gegenwart. Ich habe schon oft gedacht, dass du für mich eine Tür bist zu anderen Welten. Und du bist für mich auch derjenige, dem ich, obwohl ich dir fast täglich schreibe, am öftesten nicht geschrieben habe. Welch lustiger Einfall, es so zu formulieren. Ich liebe Rilke.
Und die Beschreibung des Kleinstädtchen, das nur einen Tag auswendig kann u.s.w. Rilke kennt die schreiende Monotonie eines Kleinstädchens..
Ich habe mich wirklich gefreut über diesen Fund. Hoffentlich wird es dir auch gefallen.



Liebesnacht

...denn die Zeit ist eingestürzt.

Die Turmstube ist dunkel.
Aber sie leuchten sich ins Gesicht mit ihrem Lächeln. Sie tasten vor
sich her wie Blinde und finden den Andern wie eine Tür. Fast wie
Kinder, die sich vor der Nacht ängstigen, drängen sie sich in einander
ein. Und doch fürchten sie sich nicht. Da ist nichts, was gegen sie
wäre: kein Gestern, kein Morgen; denn die Zeit ist eingestürzt. Und
sie blühen aus ihren Trümmern.
Er fragt nicht: »Dein Gemahl?«
Sie fragt nicht: »Dein Namen?«
Sie haben sich ja gefunden, um einander ein neues Geschlecht zu sein.
Sie werden sich hundert neue Namen geben und einander alle wieder
abnehmen, leise, wie man einen Ohrring abnimmt.

Aus der Dichtung «Cornet»

Zueignung

O wie doch alles, eh ich es berührte,
so rein und leicht in meinem Anschaun lag.
[...]
Um jeden Gegenstand nach dem ich griff,
war Schein von deinem Scheine,
doch plötzlich ward aus ihm und meiner Hand
ein neues Ding, das bange, fast gemeine
Ding, das besitzen heißt. Und ich erschrak.


O wie doch alles, eh ich es berührte,
so rein und leicht in meinem Anschaun lag.
Und wenn es auch zum Eigentum verführte,
noch war es keins. Noch haftete ihm nicht
mein Handeln an. Mein Mißverstehn. Mein Wollen
es solle etwas sein, was es nicht war.
Noch war es klar
und klärte mein Gesicht.
Noch fiel es nicht, noch kam es nicht ins Rollen,
noch war es nicht das Ding, das widerspricht.
Da stand ich zögernd vor dem wundervollen
Uneigentum.

 Aus: Weihnachten 1914 (ein Fragment)
(1914)

Kleinstädte

Man muß sie gesehen haben, diese kleinen und ganz kleinen Städte in meiner Heimat. Sie haben einen Tag auswendig gelernt; den schreien sie immerfort wie große graue Papageien in die Sonne hinein. Nah an der Nacht aber werden sie namenlos nachdenklich. Man sieht es den Plätzen an, daß sie sich bemühen, die dunkle Frage zu lösen, die in der Luft liegt.


"...in der engsten Zahl derer, denen ich am öftesten nicht geschrieben habe..."

Mein lieber Freund,
Sie sind sicher in der engsten Zahl derer, denen ich am öftesten nicht geschrieben habe in all der Zeit, in der ich (von geschäftlichen Briefen und ganz knappen fälligen "Ja" "Nein" oder Dankworten abgesehen) gar keine Korrespondenz fortgesetzt habe, aus dem besten, aus dem endgültigen Grunde: Arbeit...

Brief an Karl von der Heydt, 12. Dezember 1908

Donnerstag, 25. Juni 2015

ein Aphrodisiakum?


Ämne: Claro

Liebe Malou
Na na na, meine Mails als Aphrodisiakum? Wie wirst Du nur anspringen, wenn Du einem wirklichen Aphrodisiakum begegnest?
Aber in Tat und Wahrheit ist es wirklich komisch, an einem feinen Essen zu sitzen und sich gegenseitig zu erzählen, wie schlecht es uns geht. Nicht ich bin komisch, die Situation ist komisch. Aber oft ist es S, die solche Aspekte bemerkt. Im Iran ist man nicht sehr an solchen Sadomaso-Gesprächen interessiert. Die Perser reden lieber über hübsche Dinge und machen gegenseitig raffinierte Komplimente. Das ist ihre Welt. Und die schweizerischen Eidgenossen geniessen die Tatsache, dass sie es in dieser Welt verdammt schwer haben.
Na ja, ist alles halb so wild. Natürlich geniesse ich es auch, meinen Club ein bisschen komisch darzustellen. Aber der Gerechtigkeit zuliebe muss man sagen, dass die Spargeln ganz in Ordnung waren, die drei Saucen prima (eine davon war eine Art Zabbaione, ganz ausgezeichnet, die zweite mit Bärlauch, die dritte war eine normale Maionnaise). Und auch der Schinken war in Ordnung. Ich habe mich auf den Rohschinken konzentriert. Und mein Gegenüber, der mit der Fleischfirma, hat sich auch lobend geäussert und erwähnt, dass das alte Schweine gewesen sein müssen. Alte Schweine machen Schinken mit mehr Geschmack! Und dazu gab es neben dem Spargel eine dünne Omlette. So habe ich das zum ersten mal gegessen. Diese Omlette hat gut dazu gepasst, weil mild im Geschmack, und doch eine kleine Antithese zum Spargel. Wenn ich so zurückdenke, so muss ich sagen, es war eigentlich ausgezeichnet. Es sind die eigenen hohen Ansprüche, die es mit den Jahren immer schwerer machen, die Dinge einfach so zu geniessen, wie sie nun mal sind.

Heute bin ich ein bisschen später ins Büro gekommen. Gestern war ziemlich warm, und heute morgen hatte ich den Eindruck, dass ich mich wohl gestern im Durchzug ein wenig verkühlt habe. So habe ich mir am Morgen etwas Zeit genommen, eine Tablette geschluckt und bin nicht gleich losgedüst. Normalerweise ist es in der Früh immer hektisch. Vor allem, wenn man einen Zug erreichen muss, ist jede Minute entscheidend. Und das ist hart bloss eine knappe halbe Stunde, nachdem man sich aus dem Bett erhoben hat. Man muss sich nur vorstellen, wie man aufstehen wird, wenn man einmal in Pension ist. Vielleicht wäre es dann gut, auch einen Zug erreichen zu müssen. Lustig, ich habe im Bahnhof Basel ein Café entdeckt, dass mit einer langen Bar aus schönem Holz wirkt wie diese französischen Bistros. Und in der Früh, wenn die Züge ankommen, gehen vor der Glasfassade Tausende von Menschen hektisch vorbei, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen. Ich habe mir vorgestellt, wenn ich mal in Pension bin, mich dort mit ein paar anderen alten Knackern zu treffen, und zwar wirklich morgens früh, um den Vorbeimarsch der jungen Arbeitssklaven bei einem feinen Kaffee zu geniessen. Das wäre doch herrlich. Und dann, vielleicht um 9.00h oder halb Zehn, würden wir zitterigen Typen die Karten hervorklauben und einen tüchtigen Jass spielen. Ich bin zwar kein guter und kein leidenschaftlicher Kartenspieler, aber die Vorstellung ist ein Genuss, nicht wahr. Wenn man diese Morgenstunde zuhause im Bett verbratet, hat man doch nichts davon. Hingegen im morgendlichen Cafè, wenn die ganze Welt zur Arbeit hastet, wäre es, wie soll ich sagen, wäre es vielleicht wirklich ein Aphrodisiakum.

Soviel zu den Aphrodisiaka!
Ich wünsche Dir einen aufregenden Tag.
Mit lGuK

Montag, 15. Juni 2015

Donnerstag, 11. Juni 2015

Wir treffen uns ...





Liebe Malou

Lustig, wir treffen uns in den Pfingstrosen. Es sind irgendwie prächtige
Blumen, nicht wahr? Sie machen grosse Versprechungen für den Sommer. Ich
mag sie auch ganz gerne, wenn sie schon völlig offen und in Blüte stehen.
Als Rubensblüten sozusagen! Aber ich weiss nicht, welches Klima sie mögen.
Bestimmt sind sie nicht so heikel und sicherlich verlangen sie auch nicht
zuviel Hitze. Schweden müsste ideal sein dafür. Sie haben offensichtlich
süssen Saft, wie die Ameisen zeigen, die sie ebenso lieben wie ich das tue.

...


Dienstag, 9. Juni 2015

Immer noch..



Date 8 June 2005 08:13
subject Immer noch..


Lieber ...,

Ach, wie schön du mir von zu Hause geschrieben hast. Solche Abendmails
haben einen etwas anderen Ton als die Büromails - obwohl du dich auch
von dort leicht in eine andere Welt versetzen kannst.

Ja, die lieben Maikäfer. Hier bei uns kennt man sie kaum, aber als
Kind habe ich sie mal von einem Baum geschüttelt. Und natürlich kenne
ich sie auch aus Max und Moritz. Doch wenn ich von deinem Spiel mit
den Maikäfern lese, dann graut mir ein wenig, weil ich mich erinnere
wie wir mit Fliegen gespielt haben.  ...  Wie grausam Kinder sein
können.

Hier ist das Wetter wieder schön, wo es doch mehrere Tage geregnet hat
- sogar an unserem ersten offiziellen Nationaltag (am Montag). Wir
haben ihn nur mit einem guten Essen gefeiert und ich hatte den Tisch
mit einem Fähnchen und einem kleinen Strauss mit den schwedischen
Farben (gelb und blau) geschmückt. Doch trots des schlechten Wetters
haben viele Leute draussen gemeinsam gefeiert. Besonders die "neuen
Schweden" sind stolz darüber, daran teilnehmen zu können und ihr neues
Heimatland zu ehren.

(---)

An diesem Wochenende beginnen hier die Schulferien und die
Abschlussklassen machen das Abitur.

Sonst passiert hier nicht viel. Das Leben geht seinen stillen Gang und
nach der Feier unseres Nationaltages kommt jetzt bald die
Midsommarfeier. Eigentlich kam mir die Feier am 6. so wie eine kleine
blasse Kopie der Midsommarfeier vor. Man hat noch keine richtige Form
dafür gefunden.

In der Politik geht es wild zu hier. Die kommunistische Partei, von
deren Stütze die regierenden Sozialdemokraten abhängig sind, ist am
zerfallen und die Feministen machen sich unmöglich mit ihrem
Männerhass. Weisst du wie sie Männer nennen? Herumwandernde Dildos.
Und diese Frauen findet man sogar in unserer Regierung. Sie sind
überzeugt davon dass Ritualmorde vorkommen, wo kleine Kinder geopfert
werden. Sag, ist die Welt noch normal???

Ach, du Armer! Eine Revision. Aber du hast noch einige Zeit alles
richtig zu stellen.. ;-) Und jetzt kommen wohl auch bald deine Ferien,
oder? Wann ist das?

Ich vermisse dich schon sehr. Hoffentlich lässt du mich bald von dir hören.
Wünsche dir einen schönen Tag mit herrlichem Wetter,
MlG
Malou

Sonntag, 7. Juni 2015

Singelleben, Maikäfer, Rosen und Adrenalin




date 5 June 2005 13:13
subject so kompliziert ist das hier ....



Liebe Malou
Nach langer Zeit versuche ich wieder mal ein Mail von zuhause zu
schreiben. Ich sitze hier bei einem feinen Espresso in der guten Stube
und versuche, meine Gedanken zu ordnen an diesem faulen, ereignislosen
Sonntag Nachmittag. Na ja, wir hatten eine Abstimmung heute, mussten
Stellung nehmen, ob die Schweiz dem Vertrag von Schengen beitreten
soll oder nicht. Und daneben steht das neue Partnerschaftsgesetz zur
Diskussion, das gleichgeschlechtlichen Liebespaaren gewisse Regelungen
ermöglicht, die ich jetzt nicht alle kenne, weil ich ja auch nicht im
Sinn habe, mich jemals gleichgeschlechtlich zu verbinden. Na ja, man
weiss nie. Es gab schon Verwandlungen von Saulus zu Paulus, dh. auch
von Familienvätern zu waschechten Homos. Aber ich glaube nicht, dass
mir so was blühen könnte. Eher noch würde ich ein eingefleischter
Single werden. Single stelle ich mir nicht so schlecht vor.
Singledasein denke ich mir als ruhiges Leben in einer kleinen
vielleicht 2 oder 3-Zimmer-Wohnung, meinetwegen gleich unter dem Dach,
mit vielen Büchern, ziemlich viel Unordnung und schmutzige Wäsche
herumliegend, aber natürlich auch leere Flaschen und schmutzige Gläser
von Besucherinnen und Besuchern. Und die Verbindung zwischen den 2
oder 3 Zimmern würde ich mit schwerer Opernmusik überbrücken. Na ja,
vielleicht würde ich ein Zimmer für den Besuch bereit halten, so wie
man ehemals eine gute Stube hatte. Damals, als wir in Lenzburg
wohnten, hatten wir eine solche Stube. Sie war gross, mit einem
schönen Parkett-Boden und Getäfer an der Wand. Hier pflegten wir mit
pochendem Herzen den St. Nikolaus zu empfangen. Und wenn Besuch kam,
drückte man sich hier verlegen auf den grossen Fauteuils herum. Und
später hörte ich von Onkelchen, dass diese Stube damals, nach der
Französischen Revolution, als die Franzosen die Schweiz besetzten und
auch die zwinglianischen Zürcher zur neuen Ordnung zwingen wollten,
dass damals General Massèna in diesem Raum residiert hatte. Und als
ich dann ungefähr im Kindergarten alter war, hatte ich im Getäfer ein
Geheimfach entdeckt. Ich konnte es nur knapp erreichen, denn es war
gleich über dem Sofa platziert. Und eigentlich, so hatte ich mir
damals gedacht, hätte man ein Bild davor aufhängen sollen. Ich
benutzte diesen Safe für gewisse Dinge, aber ich will jetzt nicht wie
Mark Twain behaupten, dass es tote Mäuse oder ähnliche Dinge gewesen
wären. Höchstens vielleicht ein paar phlegmatische Maikäfer. Ich
liebte damals Maikäfer, sammelte sie in einem Marmeladenglas,
bereitete ihnen ein angenehmes Zuhause mit grünen Blättern und kleinen
Ästchen, damit sie sich ernähren und zur Verdauung etwas herum
klettern konnten. Und am nächsten Tag, welche Enttäuschung, steckten
die meisten Maikäfer Schwanz in Schwanz. Der eine schaute nach oben,
der andere nach unten. Ach, wie unästhetisch! Und wie ungerecht! Der
eine lag hilflos auf dem Rücken, während der andere vielleicht noch
herum krabbelte. Ich versuchte oft, sie zu trennen. Doch dann trat
gelber Saft heraus und ich stellte mir vor, dass dies wohl das Gedärme
sei und dass sie jetzt wirklich qualvoll sterben müssten. Nein,
Maikäfer waren bloss am ersten Tag dankbar und interessant, wenn die
Tiere noch eifrig und mit Energie versuchten, das Glas hoch zu
krabbeln, und wenn sie versuchten, sich startklar zu machen und
fliegend hochzukommen, was natürlich niemals gelang. Und dann, wenn
sie sich wirklich erschöpft hatten, verschwanden sie unter den
Blättern. Ich gönnte ihnen die Ruhe. Aber ich wusste, am nächsten
Morgen würde das Chaos mit den ineinander gesteckten Käfern vollkommen
sein. Diese kleinen Käfer waren mein Nervenkitzel in jungen Jahren.
Wo waren wir? Ach ja, bei der guten Stube. Ich habe im Garten gesehen,
dass die Rosen anfangen, zu blühen. Ich betrachte sie als meine Rosen.
Ich habe sie mit viel Aufwand gleich hinter dem Thuja-Baum gepflanzt
und dafür gesorgt, dass sie als Kletterrosen im Baum hoch wachsen. Und
jetzt schauen sie oben heraus und blühen dem Himmel entgegen. Schöner
wäre, wenn sie wie ein römischer Brunnen zur Seite wieder herunter
hängen könnten. Dann würden die Blüten noch besser in Erscheinung
treten. Aber vielleicht haben wir nächstes Jahr diesen Effekt. Ich
habe erst kürzlich den Thuja geschnitten und getrimmt, so dass er
jetzt wie ein frisch trainierter Rekrut im Garten steht. Die Rosen
sind weiss, mit einem Hauch Rosa. Aber sie sind nicht zu gross,
jedenfalls nicht so gross wie jene blutroten Rosen, die man der
Geliebten im Rausch an den Busen drückt. Sie sind sozusagen
calvinistische Rosen, sehr aufgeklärt, eher nüchtern und nicht gerade
betörend. Na ja, man könnte auch sagen skandinavische Rosen.
Und dazu höre ich mir einen Mozart-Mix an. Das kann man immer hören,
ist beruhigend und leicht beschwingt, das verschafft einem eine gute
Mittellage. Jetzt singt gleich ... ich weiss nicht, wie sie heisst.
Morgen werde ich mehr oder weniger den ganzen Tag unterwegs sein. Und
in 2 Monaten werden wir durch die interne Revision geprüft. Da muss
ich noch etwas Ordnung schaffen, im Büro und im Betrieb. Ich hoffe, es
wird nicht allzu schlimm herauskommen. In all den bald 25 Jahren waren
sie nie bei uns. Und jetzt, bei meinem Schluss kommen sie und treiben
mir das Adrenalin die Adern hoch. Na ja, wir werden auch das noch
überleben.

Jetzt muss ich sehen, ob ich von hier noch irgendwie in die Box
gelange. Ich war es schon ewig nicht mehr.
Halt mir die Daumen.

MLG

Samstag, 6. Juni 2015

Vor 10 Jahren


6 Juni 2005


date 6 June 2005 06:31
subject Merci


Lieber ...,

Heute feiern wir unseren Nationaltag, zum ersten Mal als roten Tag im
Kalender. Anstatt den Pfingstmontag haben wir nun diesen als offiziellen
Feiertag.

Dienstag, 2. Juni 2015

Perserkriege - Reise in den Iran


Ämne: Perserkriege
Datum: den 7 maj 2002 07:54

Liebe Marlena

...

Ja, ich habe mich schlussendlich entschlossen, diese zwei Wochen auch in den
Iran zu reisen. S meint, es wäre für sie zu anstrengend, alles allein
in die Hand zu nehmen. Und wenn man sich vorstellt, dass sie mitten in
Teheran irgend etwas organisieren muss, was im Iran jederzeit vorkommen
kann, dann würde die ganze Reisegruppe bloss herumstehen und würde sich
langweilen. Meine Aufgabe wird also sein, die Leute ein wenig zu unterhalten
und ihnen Dinge zu zeigen, wenn kein Reiseführer zur Verfügung steht. Ich
weiss natürlich einigermassen, woran Schweizer interessiert sind und was sie
freut. Wir werden quer durch das ganze Land reisen, von Teheran in den Norden
ans Kaspische Meer, dann hinunter nach Schiras und nach Isfahan. Das sind
repräsentative Orte. Und ich habe darauf bestanden, dass wir in Isfahan
insgesamt vier oder fünf Tage bleiben. Denn ich glaube, für einen Europäer
ist Isfahan die Stadt, die den europäischen Fantasien des märchenhaften
Orientes am meisten entgegenkommt. Und zugleich ist Isfahan klein,
übersichtlich, sauber, also darauf, was wir bei uns Tourismus nennen, am
besten vorbereitet. Es gibt dort auch viele Reisende, aber die meisten von
ihnen sind Perser selbst. Und dann werden wir auch nach Schiras fliegen. Ich
war damals, auf meiner ersten Reise, man könnte sagen im Honey Moon,
erstmals in Schiras. Aber damals war ich ziemlich übermüdet und heute habe
wenig Erinnerungen übrig. Man nennt Schiras die Stadt der Rosen und des
Weins, wie sie Hafez besungen hat. Ich bin gespannt, wie es heute dort ist.
Im Reiseführer, den ich studiert habe, klingt es ganz attraktiv. Aber darauf
kann man sich nicht immer verlassen. Und Wein gibt es sicherlich keinen mehr
dort heute. Den haben die Revolutionsführer den Schirasi gründlich
ausgetrieben. Damals, vor 30 Jahren, war Schiras der Ort für
Hochzeitsreisende. Die jungen Paare haben sich am Grabmal des grossen Hafez
fotographieren lassen und sich dabei die ewige Liebe versprochen.
Und natürlich ist nicht weit von Schiras Persepolis, das alle Touristen
gerne sehen. Meine Erinnerungen daran sind aber sehr rudimentär. Wir hatten
damals ein Taxi genommen, um hinaus zu den Ruinen zu fahren. Allein schon
die Tatsache, für einen Tag einfach ein Taxi zu mieten, fand ich damals
ausserordentlich. Und es war heiss wie Anton. Ich hatte einen riesigen Durst
und litt unter der Vorstellung, dass man in diesem heissen Land nicht
einfach Wasser trinken durfte. Das war beinahe unterträglich für einen
Walliser, der normalerweise mitten unter besten und trinkbaren Quellen lebt.
Persepolis war vor 30 Jahren noch kaum für die Touristen arrangiert und
vorbereitet. Es lagen Steine und Architekturreste wild herum. Es gab keine
Informationen, kein Restaurant, gar nichts. Nur alte Steine mitten in der
Wüste. Ich war also nicht sonderlich beeindruckt, obwohl die Anlage sehr
gross ist.
Du siehst, es gibt viele gute Gründe, endlich wieder einmal in den Iran zu
reisen und diese Dinge anzuschauen. Ich habe mich kürzlich mit dem Bild
Alexanderschlacht von Altdorfer beschäftigt, ein riesiges Gemälde, das heute
in der Alten Pinakothek in München hängt. Es wurde nach 1400 gemalt und
zeigt vor der Insel Zypern und dem 7-armigen Nil im Hintergrund die beiden
Heere Alexanders und Darius'. Auf einer Art Tafel, die vom Himmel hängt, ist
das Bild beschrieben und erklärt, wie gross die beiden Heere waren, um zu
unterstreichen, dass Alexander im Grunde einer riesigen Übermacht gegenüber
gestanden hatte. Die Perserkriege sind europäische Urgeschichte. Durch den
erfolgreichen Abwehrkampf der Griechen gegen die Perser sind erstere gross
geworden, ähnlich wie später die Römer durch die Punischen Kriege. Und die
grossen Griechen muss man ja wohl als Urzelle Europas betrachten, die mit
ihrer einzigartigen Kultur Europa bis ins Innerste geprägt haben.
Spasseshalber erzähle ich gelegentlich, dass bei uns heute der Bosporus
mitten über den Tisch und durchs Bett geht, und dass wir abends zum Spass
Perserkriege spielen. Vielleicht weißt Du das nicht, aber ich bin immer noch
dabei, Europa gegen diese absolutistischen Mächte aus dem Orient zu
verteidigen ;--))

Mit einem lieben Gruss

Kleine Pause



                                              Foto: Anna