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Habe ich dir erzählt, dass wir musulmanisch geheiratet haben. Also, das muss ich dir zum Schluss noch rasch erzählen:
Ich weilte als junger Student in Persien. Und wir entschieden uns, zu heiraten, damit S. überhaupt nach Europa kommen konnte. Ich wollte eine ganz einfache Geschichte. Damals war die Zeit der 68er, der studentischen Formlosigkeiten. Ich hätte auf einer Parkbank heiraten können, oder in einer Waldlichtung. S's Eltern gaben aber zu bedenken, dass man schon ein paar Verwandte einladen sollte. Ich war mit "ein paar" einverstanden. Und dann begann die Schwiegermutter, eine Liste zu schreiben. Das dauerte mehrere Tage, kannst du dir vorstellen. Es waren schlussendlich mindestens 100 Personen, die sie einluden, zumindest für den zweiten Teil in einem Hotel Teherans. Zuhause war nur die nähere Familie zugelassen, doch das waren auch um die 50 Leute. Der Mullah, der persische Geistliche redete und redete, und ich sass da wie ein Zuschauer. Einzig ein deutscher Experte, der damals in der Uno in Teheran arbeitet, war mit seiner deutschen Frau dabei. Es waren die einzigen, denen ich in dieser orientalischen Atmosphäre zuzwinkern konnte. Ab und zu musste ich irgendwo unterschreiben. Der Mullah hat mich dann in Englisch kurz angesprochen. Und anschliessend haben die vielen Tanten und Kusinen von S. Reis über uns zerstreut, was uns Fruchtbarkeit bringen sollte, und haben mit vier Farben Garn in einem Tuch genäht, was den Mund der Schwiegermutter schliessen sollte, und haben zwei Zuckerstöcke aneinander gerieben, was unsere Ehe versüssen sollte, und alle haben gelacht und Spässe geäussert. Nur ich habe kaum ein Wort verstanden.
Das war meine Hochzeit. Ein Schwager Svon S., der Fotograf Faramars, hat unendlich viele Fotos geknipst und Videos gedreht. Und die persischen Frauen sind mit ihren tiefen Décoltées und ihren schwarzen Frisuren, dunkeln Augen mit langen Wimpern wie himmlische Wesen aus 1001 Nacht herumgeschwebt. Und wir mussten den Kuchen schneiden und meine Frau hat die Gabel in meinem Munde stecken lassen und alle haben sich amüsiert. Und ich stand da mit der Gabel im Mund.
Einige Tage musste ich zum Mohammedanismus übertreten. Aber ich habe das nur mit einem Bein gemacht. Auf jeden Fall habe ich mich nicht beschneiden lassen, das denn doch nicht. Soweit ist meine Liebe nicht gegangen. Der Übertritt war sehr einfach und sehr formlos, zuhause, bei einer prächtigen Wassermelone und in Anwesenheit eines Mullahs wiederum. Er hat mich gefragt, ob ich wirklich daran glaube, oder ob ich bloss so tue, damit ich heiraten könne. Und ich habe minutenlang mit S. diskutiert, was ich ihm denn sagen solle, denn eigentlich habe ich nicht daran geglaubt und wollte es ihm auch so sagen. Aber das wäre in Persien natürlich völlig deplaziert gewesen. So ehrlich sind die Perser nicht. Für sie ist die Realität immer interpretationsfähig. Sie hätten vielleicht gesagt "er ist auf dem guten Weg" oder vielleicht "im Moment steht er Allah sehr nahe", damit der Mullah die Version hätte annehmen können, die er hätte annehmen wollen. Aber all das habe ich damals noch nicht gewusst und war auf und dran, dem Mullah die nackte Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Damit, und mit der Entrüstung der Moslems, hätte ich glattweg die Revolution um ein paar Jahre vorverschieben können. So bin ich eigentlich im Jenseits Doppelbürger. Ich habe bei Allah ein Plätzchen und beim lieben Gott auch, sofern sie mir überhaupt eines reservieren. Ich bin sozusagen überversichert. Aus dem Wallis und vom Gymnasium her bin ich ja auch noch fast katholisch. Du siehst, Marlena, ich bin kein Weltenbummler, sondern ein Himmelsbummler, ein Vagabund in allen Glaubensrichtungen. Aber sicherlich kein besserer Mensch. Vielleicht ein schlimmerer?
So lasse ich Dich (das kommt vom französischen Abschied: je te laisse ...etwas colloquial, mein Bruder pflegt das zu sagen in Valais). Erzähl mir von deiner protestantischen Hochzeit, Marlena, und von deinem Grossvater mit den veilchenblauen Augen, und auch vom Onkel, dem Charmeur. Lebt er noch? Oder vielleicht lieber vom eichernen Schreibtisch? Oder von deinem Leben als Igel!!
Ich umarme dich, meine Schwester
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