Montag, 23. Februar 2015

Doppelbürger im Jenseits

Melancholie
....
Habe ich dir erzählt, dass wir musulmanisch geheiratet haben. Also, das muss ich dir zum Schluss noch rasch erzählen:
Ich weilte als junger Student in Persien. Und wir entschieden uns, zu heiraten, damit S. überhaupt nach Europa kommen konnte. Ich wollte eine ganz einfache Geschichte. Damals war die Zeit der 68er, der studentischen Formlosigkeiten. Ich hätte auf einer Parkbank heiraten können, oder in einer Waldlichtung. S's Eltern gaben aber zu bedenken, dass man schon ein paar Verwandte einladen sollte. Ich war mit "ein paar" einverstanden. Und dann begann die Schwiegermutter, eine Liste zu schreiben. Das dauerte mehrere Tage, kannst du dir vorstellen. Es waren schlussendlich mindestens 100 Personen, die sie einluden, zumindest für den zweiten Teil in einem Hotel Teherans. Zuhause war nur die nähere Familie zugelassen, doch das waren auch um die 50 Leute. Der Mullah, der persische Geistliche redete und redete, und ich sass da wie ein Zuschauer. Einzig ein deutscher Experte, der damals in der Uno in Teheran arbeitet, war mit seiner deutschen Frau dabei. Es waren die einzigen, denen ich in dieser orientalischen Atmosphäre zuzwinkern konnte. Ab und zu musste ich irgendwo unterschreiben. Der Mullah hat mich dann in Englisch kurz angesprochen. Und anschliessend haben die vielen Tanten und Kusinen von S. Reis über uns zerstreut, was uns Fruchtbarkeit bringen sollte, und haben mit vier Farben Garn in einem Tuch genäht, was den Mund der Schwiegermutter schliessen sollte, und haben zwei Zuckerstöcke aneinander gerieben, was unsere Ehe versüssen sollte, und alle haben gelacht und Spässe geäussert. Nur ich habe kaum ein Wort verstanden.

Das war meine Hochzeit. Ein Schwager Svon S., der Fotograf Faramars, hat unendlich viele Fotos geknipst und Videos gedreht. Und die persischen Frauen sind mit ihren tiefen Décoltées und ihren schwarzen Frisuren, dunkeln Augen mit langen Wimpern wie himmlische Wesen aus 1001 Nacht herumgeschwebt. Und wir mussten den Kuchen schneiden und meine Frau hat die Gabel in meinem Munde stecken lassen und alle haben sich amüsiert. Und ich stand da mit der Gabel im Mund.
Einige Tage musste ich zum Mohammedanismus übertreten. Aber ich habe das nur mit einem Bein gemacht. Auf jeden Fall habe ich mich nicht beschneiden lassen, das denn doch nicht. Soweit ist meine Liebe nicht gegangen. Der Übertritt war sehr einfach und sehr formlos, zuhause, bei einer prächtigen Wassermelone und in Anwesenheit eines Mullahs wiederum. Er hat mich gefragt, ob ich wirklich daran glaube, oder ob ich bloss so tue, damit ich heiraten könne. Und ich habe minutenlang mit S. diskutiert, was ich ihm denn sagen solle, denn eigentlich habe ich nicht daran geglaubt und wollte es ihm auch so sagen. Aber das wäre in Persien natürlich völlig deplaziert gewesen. So ehrlich sind die Perser nicht. Für sie ist die Realität immer interpretationsfähig. Sie hätten vielleicht gesagt "er ist auf dem guten Weg" oder vielleicht "im Moment steht er Allah sehr nahe", damit der Mullah die Version hätte annehmen können, die er hätte annehmen wollen. Aber all das habe ich damals noch nicht gewusst und war auf und dran, dem Mullah die nackte Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Damit, und mit der Entrüstung der Moslems, hätte ich glattweg die Revolution um ein paar Jahre vorverschieben können. So bin ich eigentlich im Jenseits Doppelbürger. Ich habe bei Allah ein Plätzchen und beim lieben Gott auch, sofern sie mir überhaupt eines reservieren. Ich bin sozusagen überversichert. Aus dem Wallis und vom Gymnasium her bin ich ja auch noch fast katholisch. Du siehst, Marlena, ich bin kein Weltenbummler, sondern ein Himmelsbummler, ein Vagabund in allen Glaubensrichtungen. Aber sicherlich kein besserer Mensch. Vielleicht ein schlimmerer?

So lasse ich Dich (das kommt vom französischen Abschied: je te laisse ...etwas colloquial, mein Bruder pflegt das zu sagen in Valais). Erzähl mir von deiner protestantischen Hochzeit, Marlena, und von deinem Grossvater mit den veilchenblauen Augen, und auch vom Onkel, dem Charmeur. Lebt er noch? Oder vielleicht lieber vom eichernen Schreibtisch? Oder von deinem Leben als Igel!!
Ich umarme dich, meine Schwester
...

Samstag, 21. Februar 2015

Rilke, Raron und ..




Liebe Marlena
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Ich wollte Dir erzählen, was mich zusätzlich noch zu Rilke hingeführt hat. Wahrscheinlich weißt Du, dass Rilke die letzten Jahre (ich glaube, es waren etwa 10) in der Schweiz gelebt hat und dort gestorben ist. Er liegt bekanntlich an der Südmauer der Kirche von Raron begraben, unter seinem berühmten Spruch „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust niemandes Schlaf zu sein, unter soviel Lidern." Raron ist ein kleines Dorf im Süden der Schweiz, im Wallis, einem sonnigen Tal in den Alpen. Und dort in der Nähe bin ich selbst aufgewachsen. Wir haben in diesem wunderschönen Tal in den Alpen gelebt in einem recht südlichen Klima. Rilke hat dort auch die archaische Landschaft geschätzt, die ihn an Südfrankreich und an Spanien erinnert hat.

Die Kirche von Raron steht auf einem Felsen und schaut majestätisch ins Tal hinunter. Von dort oben hat man eine wunderbare Sicht. Und angesichts dieses Panoramas hat Rilke gewünscht, dort begraben zu werden.
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Sie waren wunderbar, die Tage unserer Jugend. Und es war im Banne jener speziellen Aura dieser alten Kirche und des Turmes, der auch dort oben steht. Ich glaube, heute gibt es bei der Kirche von Raron ein Museum, wo man einiges über Rilke sehen kann. Oder irre ich mich da? Auf jeden Fall werde ich, falls du einmal in die Schweiz kommen solltest, werde ich dir dieses Grab Rilkes zeigen. Man muss es einfach gesehen haben. Es ist ein ganz einmaliger Ort. Und für mich ist er zusätzlich mit vielen persönlichen und jugendlichen Erinnerungen verbunden.

 Schloss Muzot Herbst 2014

Und dann gibt es noch das Schlösschen Muzot, wo Rilke in diesen letzten Jahren gelebt und seine Duineser Elegien und die Sonette an Orpheus geschrieben hat. Muzot liegt etwa eine halbe Stunden weiter unten im Tal, bereits im französischen Teil des Kanton Wallis. Wenn ich dort zu Besuch bin, dann spaziere ich gerne hinauf zu Muzot, diesen mittelalterlichen, einfachen Turm, der in einem ummauerten Garten mit einer Pappel steht. Muzot also, liebe Marlena, wenn du mal eine literarische Europareise machen wirst, werde ich dir auch zeigen. Der Turm steht vereinzelt da. Früher war er geradezu abgelegen, etwa eine gute Stunde Fussmarsch von Siders oder Sierre, wie es in Französisch heisst. Heute ist das Gebiet schon ziemlich überbaut und die Häuser schleichen sich immer näher an diesen einzigartigen Bau heran, der an unseren grossen Rilke erinnert.

Du siehst, Marlena, Rilke ist für mich sozusagen ein lokaler Dichter, mit dem ich aufgewachsen bin. Deshalb vielleicht, neben seinen grossen Qualitäten, habe ich eine enorme Schwäche für seine Texte. Deshalb schmelze ich bei seiner Sentimentalität sozusagen dahin.

Das wollte ich Dir erzählen zu Rilke. Für den Moment! Und wenn ich Dein Foto anschaue, höre ich Dich schon Rilke zitieren ;-)

Bis bald wieder und lass es Dir gut gehen, Marlena

Gruss
...

Donnerstag, 19. Februar 2015

Basler Fasnacht


Liebe Malou
Das ist unfair, mir diese semlor vor die Nase zu halten (es gibt dafür
ein hübsches schweizerisches Wort, ein deutsches kommt mir im Moment
nicht in den Sinn: ködern oder so ähnlich), ohne mich wirklich
zubeissen zu lassen. Sie sehen köstlich aus. ...
---
Wir haben hier immer noch allerschönstes Winterwetter. Tagsüber, wenn
die Sonne scheint, wird es ganz mild. Gestern bin ich schon eher ins
Schwitzen gekommen. Aber nächste Woche soll es bewölkt werden und
offenbar ist Regen zu erwarten. Das ist ein bisschen schade für die
Basler Fasnacht. Sie ist am farbigsten, wenn die Sonne scheint. Es
gibt am Mittwochnachmittag den grossen Cortège, wie sie in Basel
sagen. Und natürlich wäre die Sonne dort ein gern gesehener Gast.
Aber, wie Du weisst, schert mich das wenig. Ich lasse die Basler
allein mit ihrer Fasnacht. Es ist ja eine Art Massenhysterie. Aber das
darf man hier nicht laut sagen, ohne gleich gesteinigt zu werden. Die
Walliser haben allerdings heute ihren Aschermittwoch. Sie werden
bestimmt versuchen, ihren mit Wein übersäuerten Magen ein wenig zu
pflegen. Wenn ich zurückdenke, kommt mir in den Sinn, wie die vielen
Wirtschaften in der Fasnachtszeit ihre Theken und Räume dekoriert
hatten. Und sie hatten zusätzliches Personal angestellt, das auch ein
bisschen dekoriert war. Man konnte sehen, wie wenig all das mit der
gewachsenen Kultur verwachsen war. Es war alles etwas aufgesetzt und
'gemacht', bloss um ein bisschen mehr Umsatz zu machen. Aber ich
erinnere mich sehr wohl daran, wie die Männer darauf angesprochen
hatten. 'Die Fantasie der Männer ist die stärkste Waffe der Frauen',
dies habe ich kürzlich gehört und es stimmt natürlich auf
erschreckende Weise.

Im Büro habe ich zur Zeit eine ruhigere Zeit. Na ja, ich muss
aufpassen, dass ich nicht zu sehr ins Trödeln komme. Es gibt schon
noch einige wichtige Dinge zu tun. Aber ich hoffe, dass ich durchkomme
bis Ende nächster Woche.

Ich wünsche Dir einen schönen Tag
Mit lieben Grüssen
...

Dienstag, 17. Februar 2015

Kommst du?





Lieber ...,
Nun habe ich ihn hinter mir, den strengsten Tag der Woche und ich kann mich entspannen und ein bisschen von der Arbeit loslassen.
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Auf dem Heimweg habe ich etwas eingekauft und ich konnte nicht widerstehen, als ich sah dass man ganz frische "semlor" verkaufte, du weisst diese Semmeln mit Schlagsahne und Marzipan gefüllt, die man eigentlich erst am Fastnachtsdienstag essen sollte. Und sogar zwei habe ich gekauft, weil sie eben so verpackt waren. So möchte ich dich nun mit der einen verführen. :-) Viele legen sie in einen Teller mit warmer Milch drum aber mir schmecken sie am besten so wie sie sind. Herrlich!!
Dazu nehmen wir uns eine Tasse Kaffee. Kommst du?

Ich schicke dir dieses kleine Mail nun ab damit du es noch heute bekommst und schreibe dir später noch ein paar Zeilen.

Ich grüsse dich lieb,
Marlena

Montag, 16. Februar 2015

Ich möchte ...



Zum Einschlafen zu sagen 

Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüsste: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe gross
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.

(Rilke)

Sonntag, 15. Februar 2015

Ohne Rüstung



Ämne: Ohne Rüstung?

Lieber ...,
Immer noch muss ich schmunzeln wenn ich an deine tollen Fantasien denke. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass es so schrecklich ist ein Mann zu sein. Und wie wäre es, wenn du deine Rüstung für einen Augenblick ausziehen würdest. Ich könnte dir helfen diese Armee von Ameisen von dir wegzulocken damit du einmal fühlen kannst wie schön es ist ohne sie zu sein. :-)
---
Es ist schön um mich herum. Man kann wieder durch die Fensterscheiben sehen und die Fussböden in der Diele und Küche glänzen. Ich habe mich auf den unteren Stock konzentriert.. oben kann ich Ordnung schaffen wenn K wieder hier ist. Er kommt Anfang nächste Woche aus dem Baltikum zurück (hoffe ich). Ich wage niemandem ausser dir zu sagen dass ich nicht weiss an welchem Tag.

Und nun noch ein paar Worte zu dem Thema Identität. Ich habe doch neulich alle deine Ameisen damit mobilisiert. Und dann schreibst du mir einen Brief um alles zurechtzulegen, aber wenn ich ihn genau lese, muss ich doch zu dem Ergebnis kommen dass du eine neue Identität suchst. Du wirfst altes hinaus und möblierst neu... Darf ich dich fragen in welchem Stil du möblierst??

Ach, weißt du .., wir spielen mit Worten (und natürlich macht es Spass so etwas zu tun) aber ich möchte auch dass wir ernst sein können zu einander. Dass du nicht immer in deiner Rüstung auftrittst.. ich möchte dich sehen so wie du bist. Ich möchte deine heimlichen Gedanken, Träume und Ängste kennen.. ich möchte so viel. Und eigentlich reicht es, dass du mein lieber lustiger Mailpartner bist, der mir so viel Freude schenkt, die ich dann an meine Umgebung weiterleiten kann, und der meine Sprache mit neuen Wörtern bereichert wie Stresstauglichkeit und Entscheidungsfähigkeit.

Es ist Mitternacht geworden und vielleicht schläfst du schon.. und am liebsten möchte ich nun

".. jemanden einsingen, bei jemandem sitzen und sein.."

Ich wünsche dir einen schönen Tag
Marlena

Samstag, 14. Februar 2015

Etwas zum lachen?


NUR, WER DIE GESCHICHTE KENNT......

Am ersten Schultag in einer amerikanischen Highschool stellt die
Klassenlehrerin der Klasse einen neuen Mitschüler vor, Sakiro Suzuki
aus Japan. Die Stunde beginnt. Die Klassenlehrerin fragt: 'Mal sehen,
wer die amerikanische Kulturgeschichte beherrscht.

Wer hat gesagt: 'Gebt mir die Freiheit oder den Tod'?'

Mäuschenstill in der Klasse, nur Suzuki hebt die Hand: 'Patrick Henry,
1775 in Philadelphia.' '

Sehr gut, Suzuki. Und wer hat gesagt: 'Der Staat ist das Volk, das
Volk darf nicht untergehen'?'

Suzuki steht auf: 'Abraham Lincoln 1863 in Washington.'

Die Klassenlehrerin schaut auf ihre Schüler und sagt: 'Schämt euch,
Suzuki ist Japaner und kennt die amerikanische Geschichte besser als
ihr!'

Man hört eine leise Stimme aus dem Hintergrund: 'Leckt mich am Arsch,
ihr Scheissjapaner!'

'Wer hat das gesagt?', ruft die Lehrerin. Suzuki hebt die Hand und
ohne zu warten sagt er: 'General McArthur 1942 in Guadalcanal, und
Leelacocca 1982 bei der Hauptversammlung von Chrysler.'

Die Klasse ist superstill, nur von hinten hört man ein 'Ich muss gleich kotzen'.

Die Lehrerin schreit: 'Wer war das?'

Suzuki antwortet: 'George Bush senior zum japanischen Premierminister
Tanaka 1991 während des Mittagessens, Tokio 1991.'

Einer der Schueler ruft sauer: 'Blas mir einen!'

Die Lehrerin aufgebracht: 'Jetzt ist Schluss! Wer war das jetzt?'

Suzuki ohne mit der Wimper zu zucken: 'Bill Clinton zu Monica
Levinsky, 1997 in Washington, Oval Office des Weißen Hauses.'

Ein anderer Schüler steht auf und schreit, 'Scheiss-Suzuki!'

Und Suzuki: 'Valentino Rossi in Rio beim Moto-Grand-Prix in Südafrika 2002.'

Die Klasse verfällt in Hysterie, die Lehrerin fällt in Ohnmacht, die
Tür geht auf und der Direktor kommt herein: 'Unglaublich, ich habe
noch nie so ein Durcheinander gesehen.'

Suzuki: 'Bundesrat Hans-Rudolf Merz, Schweiz, nachdem er von seinem
Vorgänger Kaspar Villiger das Finanzdepartement übernommen hatte.


Lieber kleiner Gutenachtgruss
Malou

Freitag, 13. Februar 2015

I've learned...



Lieber... ,
Es ist schade, dass du nicht diese Site mit den kleinen Sprüchen von Andy Rooney öffnen konntest. Hier eine kleine Kostprobe. Alle beginnen mit den Worten "I've learned..

I've learned.... that being kind is
more important than being right.


Findest du das nicht auch klug und schön gesagt. So ist es doch. Es erzeugt ein bisschen mehr Harmonie auf Erden.

*


.

Donnerstag, 12. Februar 2015

Re: Malen oder schreiben?


Lieber ...,
Ich hatte eigentlich von diesem Tag nichts mehr gutes erhofft, als ich mich
an den PC setzte und in meine mailbox schaute. So kam dein Mail als eine
grosse freudige Überraschung. Ich brauchte eins. Manchmal (so heute) zweifle
ich nämlich an allen meinen guten Vorsätzen. Die Bekannten von mir,
diejenigen, die schon ihre volle Freiheit geniessen und denen ich gesagt
habe, dass ich jeden Tag etwas wichtiges tun möchte, sagen mir lachend
ins Gesicht, dass ich das vergessen kann. Es wird ganz einfach nichts
daraus. Sag, sind wir Menschen wirklich so sehr auf äusseren Zwang
angewiesen?
---
Ja doch, ich kenne diesen Houellebecque oder wie er sich nun schreibt. Ich
habe ihn hier in der Bibliothek introduziert. Wenn ich gewusst hätte, welche
Themen er behandelt, hätte ich es wohl nicht getan. Aber ich wusste nur,
dass man ihn sehr lobte und mit Sartre verglich und ich war neugierig
geworden auf ihn.

Es freut mich, dass du schreiben möchtest.  Ich meine, wenn du so schreibst,
wie du mir schreibst, dann kann es nicht besser sein. Natürlich machen sich
viele einen Namen, indem sie etwas Schockierendes bringen, das bisher Tabu
war. Aber das hast du nicht nötig.

Wenn ich einen Roman schreiben würde, dann würde er von einer älteren Frau
handeln, die von ihrem Leben enttäuscht, in eine Cyberwelt flieht. Ein Roman
mit demselben Thema, wie es Bichsel in seiner Kurzgeschichte "Ein Tisch ist
ein Tisch" verwendet. Du kennst sie sicher. Der alte Mann findet sein Leben
so öde und langweilig bis er eines Tages auf den Gedanken kommt alle Wörter
mit anderen zu ersetzen. Er glaubt, dass sich sein Leben nun ändern wird und
er hat viel Spass dabei. Doch er verlernt darüber seine eigene Sprache und
kann sich am Ende mit niemandem mehr verständigen.
Es ist eine wunderbare aber auch sehr traurige kleine Geschichte, die ich
die Jahre hindurch im Unterricht verwendet habe. Bichsel hat sie sogar
selbst für den schwedischen Schulfunk vorgelesen. Aber das habe ich dir vor
langer Zeit schon einmal erzählt.
---

In der Zeitung habe ich gerade wieder von einer Person gelesen, die das
Buch "Blonde" über alles preist und ich frage mich warum ich nicht darin
weiterkomme. Ich kämpfe wirklich damit. Am liebsten möchte ich es nur liegen
lassen, aber dann bin ich wiederum neugierig, was Leute so gut daran finden.
Aber da, wo ich mich befinde, ist M. Monroe immer noch ein Kind, obwohl ihr
tragisches Leben eigentlich schon begonnen hat. Hast du das Buch gelesen?
---
Nun verabschiede ich mich für heute.
Mit lieben Grüssen,
Malou

Mittwoch, 11. Februar 2015

Pilgerreise - New-York


Liebe Marlena
Mir ist ein lustiger Gedanke gekommen. Die Reise nach N.Y. ist für
mich sozusagen eine Pilgerreise. Die meisten Pilger gehen nach
Lourdes, nach Santiago, nach Rom. Das sind Orte der Vergangenheit.
Sehr schön, würde ich auch machen. Ich habe mal eine Pilgerreise nach
Meshed gemacht. Habe ich Dir davon erzählt. Es war ein eindrückliches
Erlebnis, obwohl ich nicht richtig daran glauben wollte. Und nun
möchte ich die Sache so drehen, dass ich eine Pilgerreise in die
Weltstadt des 21. Jahrhunderts mache. Dort hole ich die Inspiration
für meine nächsten Jahre.
...
Die Amis werden bestimmt erstaunt sein, wenn sie den ersten Pilger
kommen sehen! Sie werden bestimmt auf ihren Hockern in den
McDonalds einen Moment mit Kauen stoppen. Ich bin gespannt,
was sie mir zu bieten haben. Im Kurs wird es bestimmt Amis geben.
Und ich werde sie genau beobachten. Und ich werde sogar ein
bisschen mitbekommen, wie sie die Welt erleben, welche Gefühle
sie haben, wie sie mit ihrem Innenleben umgehen. Darauf bin ich
gespannt.

Montag, 9. Februar 2015

Sinngedicht



Das ist für dich Marlena, ...  Es ist für mich das Sinngedicht
unserer Freundschaft.

"Wer seines Lebens viele Widersinne
versöhnt und dankbar in ein Sinnbild fasst,
der drängt die Lärmenden aus dem Palast,
wird anders festlich, und du bist der Gast,
den er an sanften Abenden empfängt.


Du bist der Zweite seiner Einsamkeit,
die ruhige Mitte seinen Monologen;
und jeder Kreis, um dich gezogen,
spannt ihm den Zirkel aus der Zeit."


Rilke Berlin-Schmargendorf 1899





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Sonntag, 8. Februar 2015

ein Alltagsgast


Liebe Marlena
...
Und dann endest du mit dem Satz: "Jetzt habe ich dich aber gelangweilt, mein armer Mausfreund". Ach Marlena, wie kannst du soetwas sagen nach diesem feinen und informativen Mail. Das darfst du nicht sagen. Du darfst es gar nicht denken. Nun ja, ich weiss schon, wie so ein Satz zustande kommt. Es ist eine Redensweise. Oder es ist eine Demutsgeste. Es kann auch eine versteckte Aufforderung zum Kompliment sein?
Ich will dir etwas erzählen zu deiner Geste, meine liebe Marlena, die bei mir natürlich Widerspruch und zärtliche Beschützergefühle auslöst. Ich möchte dich drücken und dir zeigen, nicht dass ich dein Mail absolut nicht mit Langweile gelesen habe - denn das muss ich dir nicht sagen, das solltest du nachgerade wissen - nein, ich will dir zeigen, dass ich deine Geste gesehen und gehört habe. Und so möchte ich denn hinüber zu dir in diese Demut kommen oder aber dir die Hand geben, damit du zu mir kommst in meinen Zustand des reinen Vergnügens. Und das ist es doch, wenn man einem Menschen bei der Arbeit und seinem Tageswerk zuzusehen kann: das reine Vergnügen. Wenn er mich wie einen Gast schon morgens ins Schlafzimmer einlädt und mitgehen lässt, immer freundlich dieses und jenes zeigend und erklärend, bis abends spät nach elf, bis dieser Mensch dann erschöpft - und Gastgeber zu sein erschöpft wirklich - erschöpft und  müde ins Bett sinkt. Was gibt es denn schöneres, als so ein Alltagsgast zu sein? Ich habe das Mail wirklich schmunzelnd und fast mit angehaltenem Atem gelesen - es ist mir selbst aufgefallen noch bevor du zu deinem Schluss gekommen bist - so angeregt, wie man durch ein neues Quartier geht und jede Strassenecke und jede Häuserzeile neu und einzigartig findet, auf die die Einheimischen vielleicht schon gar nicht mehr hinschauen, weil man ja für den Alltag irgendwie blind zu werden droht. Ich habe das immer genossen, zum ersten Mal in einer Stadt zu sein und mich vorwärtszutasten, und später zurückzudenken, wie das alles packend und unbekannt erschienen ist.  Und wie man sich leicht verlaufen konnte, was später - in der Rückschau, fast undenkbar erscheinen musste.
Du Marlena  wirst denken, er ist ein typischer Psychologe; ich schreibe einen schönen langen Brief und er pickt ein kleines, nebensächliches Detail heraus und macht daraus einen riesigen Auftritt. Und recht hast du Marlena!
Aber ich sage es nicht nur dir. Bei dir sage ich es mit Liebe und mit Sympathie und weil an dir für mich fast nichts lanweilig sein kann. Der höchste Grad der Langeweile entsteht vielleicht, wenn du keine Zeit hast, ein Mail zu schreiben. Dann wird meine Weile lang. Dann sehnsuche ich dich, meine liebe Mausfreundin.
---

Mein Alltag


Lieber ...!

(...)

Ich wollte dir einmal ganz konkret meinen Alltag schildern:
Also, ich habe mein Schlafzimmer oben im ersten Stock- Es ist ein schönes Zimmer mit Schrägdach. Die Farben sind grün und altrosa.
Um 6.15 beginnt jemand im Radio zu sprechen. Manchmal ist es was das mich interessiert aber meistens strecke ich schnell die Hand aus und stelle es wieder ab. Nach zehn Minuten geht es dann wieder in Gang. Fast immer wünsche ich mir, dass ich noch eine Stunde schlafen könnte aber da es nicht möglich ist, versuche ich mir schöne Dinge vorzustellen, die mich aus dem Bett locken könnten. Der Geruch von neu gebreuhtem Kaffee oder warum nicht die Mailbox? Jemand hat mir vielleicht gestern zu später Stunde noch ein Mail geschickt. Ich gehe in die Küche und mache das Frühstück für Anna und mich, dann wecke ich sie (nicht immer so leicht). Meistens sitzen wir dann mindestens 20 Minuten zusammen beim Frühstück und unterhalten uns, kommentieren die Nachrichten im Radio und besprechen den kommenden Tag.
Um 7.35 verlässt Anna das Haus und radelt zur Schule. Ich nehme zu dieser Jahreszeit das Auto und starte 5 Minuten nach ihr. Auf dem Weg zur Schule fahre ich an grossen alten Villen mit schönen Gärten vorbei. Bald wird alles beginnen zu blühen und in Gedanken sehe ich es schon vor mir. Vielleicht habe ich gerade wegen den schönen Bäumen damals diese Schule gewählt. Ich hatte 5 verschiedene Stellenangebote bekommen (hoch im Norden und ganz im Süden) aber ich wollte in der Nähe von K bleiben. Es war zu Pfingsten als wir das erste Mal diese Strasse entlang fuhren. Überall blühten die Obstbäume und auch der Flieder. Es war wie ein Traum. So ländlich und doch so zentral. Ich konnte nicht widerstehen.
Es ist nicht mehr viel Verkehr und ich kann etwas schneller fahren als erlaubt. Doch halte ich ein bisschen Ausschau nach Polizeikontrollen. Ich weiss wo sie meistens stehen.
So um 7.50 betrete ich mein Arbeitszimmer. Mein Kollege, der den Schreibtisch neben meinem hat, ist schon lange da und korrigiert Prüfungen. Er ist (genau wie der andere Kollege in dem Zimmer) seit vielen Jahren geschieden. Sie sind beide in deinem Alter aber sehr verschieden.
Åke (neben mir) ist ein sehr warmer sympatischer Mensch. Er ist von allen beliebt, immer freundlich und hilfsbereit. Niemand kann wie er bei einem Fest die Leute mit Witzen und Musik unterhalten. Er ist nämlich auch "trubadur". Singt und spielt Gitarre und hat oft Auftritte. Er hat auch einige schwedische Poeten (u.a. Bellman ins Englische übersetzt).
Oft arrangiert er Feste (für so 20 Personen) in seiner Villa und ich bewundere ihn wie er das fertigbringt allein Essen für so viele zu kochen. Er ist immer sehr lieb zu mir. An den Tagen, wo er weiss dass ich erst sehr spät Mittagspause habe, wartet oft ein "wienerbröd" auf meinem Schreibtisch,wenn ich schnell zwischen zwei Unterrichtsstunden das Material wechsle. Über den anderen will ich nicht so viel Worte verlieren. Er sieht ziemlich gut aus mit einer grossen schlanken Figur. Aber etwas fehlt. Meine Freundin (die, du weisst) hat ihn mal "eindimensional" genannt. Das ist ein hartes Urteil und vielleicht tut sie ihm Unrecht denn wenn dieser Mann ein paar Gläser getrunken hat dann ist er sehr lieb und charmant und man erkennt ihn kaum wieder.

Schnell raffe ich meine Bücher zusammen und verschwinde hinaus in den Korridor wo meine Schüler schon eifrig auf mich warten ;-)) Sie sind sehr lieb wenn man es ihnen nur nicht zu schwer macht.

Eine Unterichtsstunde ist 60 bis 70 Minuten lang. Oft habe ich drei solche nacheinander mit nur 10 Minuten Pause dazwischen. In dieser Zeit muss ich neues Material holen für die nächste Klasse.
Manchmal esse ich in der Kantine. Da treffe ich immer verschiedene Kollegen die ich sonst kaum sehe und die Unterhaltung ist meist sehr ausgelassen. Es ist vielleicht die schönste Stunde am Tag. Heute erzählte eine Kollegin etwas von gestern Abend. Mehrere von den Englischlehrern waren zu einem Verlagsabend gefahren. Das kennst du sicher auch. Man lockt mit interessanten Vorträgen u.s.w und will eigentlich nur Werbung machen für seine Bücher. In einem schönen Lokal wurde auch ein gutes Essen serviert.
Schon beim ersten Vortrag schlief Åke ein (er sass übrigens mit uns beim Tisch und lachte herzlich als sie es mir erzählte). Er schläft leicht ein wenn es ihn langweilt. Nun, ich pflege ihn bei solcher Gelegenheit zu wecken. Erstens weil mir der Vortragshaltende leid tut und dann weil ich nicht will, dass sich Åke blamieren soll. Christina resoniert anders: er schläft, also lass ich ihn schlafen. Jedenfalls ist er dann doch aufgewacht kurz vor dem Ende des Vortrags. Der Vorträger fragte gerade: "Gibt es noch etwas, was sie gern haben möchten?" (Er dachte wohl dabei an irgendetwas in der englischen Grammatik). Und Åke antwortete: Eine Lebensgefährtin!

Neben unserem Arbeitszimmer haben wir noch einen Aufenthaltsraum. Er dient als Konferenzzimmer für uns Sprachlehrer und natürlich auch wenn wir uns nur eine Weile bei einer Tasse Kaffee entspannen wollen. Man kann dort auch mitgebrachten lunch essen. Es gibt Kaffeekocher und Kühlschrank.
Wenn ich am Schreibtisch sitze und zum Fenster hinausschaue, sehe ich links eine grosse Eishalle (mit Kunsteis) und rechts eine Sporthalle mit u.a. einem Schwimmbad. Wir haben so rund 2000 Schüler an unserem Gymnasium, die meisten zwischen 16 und 19 Jahre alt aber auch Erwachsene.
Nach der Schule (meist um 15.20 ) fahre ich noch schnell einkaufen bevor ich mit Anna zu Hause zusammenstrahle. Um fünf Uhr meistens koche ich das Mittagessen. Wir essen immer warm am Abend. Dann gibt es noch so einiges im Haushalt zu tun (später auch im Garten). Nach dem Essen bereite ich noch Stunden vor für den nächsten Tag, sehe vielleicht ein Fernsehprogramm und schreibe ein Mail bevor ich zu Bett gehe (oft erst nach elf Uhr).

Neben dem Alltag gibt es auch noch mein Mausleben. Aber das gehört ja nun nicht zum Alltag. ;-)

Jetzt habe ich dich aber gelangweilt, mein armer Mausfreund. Es gibt noch viel in deinem Brief zu beantworten, aber heute ist es schon wieder spät geworden und so muss ich es für später aufheben.
Ich wünsche dir einen schönen Tag (und mir ein Mail von dir :-)

Sende dir noch liebe Grüsse
Marlena

PS Ich lege dir ein Bild bei mit dem Blick von meinem Arbeitszimmer.

Sollen wir ...?


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Hast du bemerkt, welch schönes Wort Sehnsucht ist, das du gebrauchst. Man sollte es auch als Verb brauchen können, doch das gibt es nicht: SEHNSUCHEN. Ich sehnsuche dich, Marlena, ein transitiver Gebrauch wäre sehr gut möglich. Sollen wir zwei das in der deutschen Sprache einführen? Wir müssten uns wohl bei der Académie allemande anmelden? Und beim Herr Duden!
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Freitag, 6. Februar 2015

Wie versprochen


Ich hab dir ein Rilke-Gedicht versprochen. Das ist vielleicht ein bisschen törricht, weil du sie bestimmt ja auch irgendwo hast und bei dir nachlesen könntest. Aber es ist einfach so schön, diese Zeilen zu zitieren und rezitieren und erneut zu rezitieren. „Die Schwestern" habe ich im Moment nicht gleich zur Hand, aber habe ein anderes, das ist sehr schön, pantheistisch schön und sehr „rilkisch" oder „rilkesk" oder vielleicht gar „rilkoid". Nein, rilkoid bestimmt nicht! (Kann man das sagen?? Bei Kafka gibt es das Wort „kafkaesk". Du wirst wissen, was das bedeutet?). Es liegt ein wunderbarer Rhythmus und eine Melodie darin. Die Evokation ist die des Gebetes, also der Anrede an diesen Gott:

„Ich finde dich in allen diesen Dingen,

denen ich gut und wie ein Bruder bin;

als Samen sonnst du dich in den geringen

und in den grossen gibst du gross dich hin."


So komme ich zum Ende, meine Marlena

Gehab dich gut und glaube wenigstens an die Engel Rilkes!!


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Dienstag, 3. Februar 2015

Was ist der Mensch?


Liebe Marlena

Ich nehme mir die Freiheit, ein kurzes Mail zu schreiben. Das kann ich, weil ich heute morgen den Kurs schwänze. Du weisst sicherlich, was "schwänzen" heisst. Die Schüler verstehen sich darauf vortrefflich. Ich muss meine Sparuebung noch zu Papier bringen, und dazu brauche ich etwas Zeit. So kommst Du in Genuss eines Mails, das Du eigentlich nicht bekommen kannst, weil ich heute gar nicht im Büro bin. Siehst Du, so virtuell ist auch das RL geworden. Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht.

Schnee. Ich kann ihn mir noch nicht vorstellen. Es ist wirklich noch etwas früh, sich mit einem Buch in die warme Stube zurückzuziehen und der Welt den Rücken zu kehren. Aber das ist auch sehr schön. Es ist eigentlich wunderbar. In unserer alten Wohnung hatten wir einen uralten grossen Holzofen. Darauf konnte man sitzen und sich den Hintern versengen, wenn man gerade dran war, Brot zu backen. Wunderbar! Heute ziehe ich mich wirklich in meinen Sessel zurück, einen Ohrensessel aus Leder, englisches Modell, musst Du wissen. Sehr chique (schreibt sich das so?) und sehr introvertiert. Eigentlich fehlte nur noch ein Jagdhund, der einem zu Füssen liegt, um die englische Atmosphäre voll zu machen.

Na ja, was ist der Mensch? In meinem Studium war ich ganz wild darauf, das herauszubekommen. Deshalb behaupte ich auch, ich hätte eine der interessantesten Studienrichtungen gewählt. Als Job ist es dann nicht mehr immer so spannend.

Der Mensch ist eine merkwürdige Affenart, der seine ganze darwinistische Vergangenheit in sich trägt und im Wesentlich aus Sternenstaub zusammengeklebt ist. Ein Prototyp! Eine Wundermischung! Eine Fehlkonstruktion? Und es gibt darunter ein paar ganz wunderbare Exemplare, wie Dich zum Beispiel, oder wie ein paar andere Bekannte. Den Rest könnte man getrost zurück in die afrikanische Savanne schicken. Man muss ja annehmen, dass der Mensch ursprünglich dunkelhäutig gewesen sein muss. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie sie bei Dir die Vollbleichung angestellt haben. Aber auf jeden Fall haben sie es hingekriegt. Man könnte dann ja fast sagen, die Blonden dieser Welt seien evolutionsmässig weiter als die schwarzhaarigen, und noch weiter als die wirklich Schwarzen. Na ja, wir wollen kein Wettrennen veranstalten.

Der Mensch ist nur so wunderbar, weil wir, die wir ihn beurteilen, auch Menschen sind. Wir sind sozusagen von derselben Partei. Ich kann mir eine Konferenz der Tiere vorstellen, die heftigst gegen diese menschlchen Ungeheuer höhnt und sie zum Erbfeind erklärt. Aber wir Menschen sind naiv, wir merken das alles nicht, sitzen gemütlich in einem englischen Ohrensessel und lesen Zeitung, während Armeen von Tieren sich aufrüsten, um sich für den Endkampf vorzubereiten.

Ich habe in den Ferien am Strand von Side ein Buch von Tom Wolfe gelesen. Vielleicht kennst Du dieses amerikanische Grossmaul? Er hat zwei Bestseller geschrieben: "Im Fegfeuer der Eitelkeiten" sowie "Ein ganzer Kerl". Ich habe nur das erste gelesen. Und jetzt eben dieses neue Büchlein, das eine Sammlung von kleineren Texten zusammenfasst. Der Kerl findet, dass mit der Computerisierung und mit dem Internet ein neuer Abschnitt der Weltgeschichte begonnen habe. Er zitiert sogar Teilhard de Chardin, was mich sehr erstaunt hat, und meint, der hätte mit seinem Begriff der Noosphäre die Verkabelung und Vernetzung, die Globalisierung mittels Elektronik vorausgesagt. Solch ein Unsinn. Meines Erachtens meinte Teilhard mit Noosphäre die Spiritualität des Menschen als eine neue Qualität der Schöpfung. Eine solche Behauptung über Teilhard ist echter Unsinn und mehr oder weniger Wortakrobatik. Wolfe meint auch, die Amerikaner seien an der Spitze der Entwicklung und die Herren der Welt, sozusagen. Ist doch alles dummes Geschwätz, wirklich dumm und einfältig, effekthascherisch und auf Verkaufszahlen aus, aber - leider - ziemlich gut geschrieben. Es ist unterhaltsam zu lesen, besonders an einem heissen Strand im Süden der Türkei, wo einem die fettleibigen deutschen Elefantinnen und Elefanten vor der Nase tanzen und und sich im Sonnenlicht aufblasen, um ihre hemmungslosen Dimensionen zu rösten.

Was ist der Mensch?

Das ist wirklich eine gute Frage. Mit 20 hätte ich Dir eine Antwort geben können.

Vielleicht nächstes Mal.

Mit lieben grüssen
...

Montag, 2. Februar 2015

Ich verstehe dich


Lieber ..,
Ich merke, dass du dich geärgert hast und glaub mir, ich verstehe dich. Eine Menge Psychologen auf einmal muss eine Prüfung sein, schon diese 13 Lehrer gestern Abend waren ein Grenzfall für was man ertragen kann. Und wenn jeder dann seinen klugen Mund öffnet, und man dabei die Absicht merkt.. na ja, dann wird man verstimmt.

Aber natürlich müssen deine jüngeren Kollegen Ausschau halten nach Katastrophen. Sie leben ja davon. Und gäbe es keine, so würden sie glatt welche erfinden. ;-) Ich denke dabei an den Zahnarzt einer meiner Bekannten, den wir stark verdächtigt haben Löcher zu bohren wenn er keine gefunden hat.

Ach, du beneidest uns Lehrer wegen der Arbeitszeiten? Das solltest du nicht tun. Jedenfalls nicht mit den schwedischen. Wir sind wirklich vollzeitig beschäftigt. In Deutschland arbeiten sie ja nur den halben Tag und in Frankreich fast nur das halbe Jahr. Aber ich glaube nicht die Zeit, sondern die Tatsache, dass wir fast alle Schüler auf dem Gymnasium haben, macht die Arbeit so schwer. Man muss immerzu Arbeitsmaterial konstruieren, weil die Lehrbücher immer noch für homogene Gruppen geschrieben sind. Ach, ich langweile dich und auch mich selbst mit diesen Dingen.
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Gestern habe ich dir (in dem verlorenen Mail) erzählt, dass ich einen Film über den Meisterfotographen Lennart Nilsson gesehen habe. Du weisst sicher wen ich meine, denn er ist weltberühmt. Diesmal ging es nicht um die Entstehung des Lebens sondern um verschiedene Krankheitskeime u.a. Poliovirus, Aids- und Sarsvirus, die er mit mehreren millionen Vergrösserung fotografiert hat. Er hilft damit den Forschern sehr.
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Ab und zu sehe ich mir eine Serie an mit dem Titel "Was ist ein Mensch?" Jedesmal wird ein Wissenschaftler oder ähnliche Person eine Stunde lang interviewt. Einmal ein Biologe, das nächste Mal ein Theologe.. Es ist sehr interessant zu hören was uns ihrer Ansicht nach so speziell macht und von den anderen Lebewesen unterscheidet. Was würdest du wohl sagen?
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Und du? Musst du dich nochmals einen Tag mit der jungen Garde abgeben? Mach es wie ich. Studiere sie. Es ist oft eine Show von menschlichen Schwächen, die da über die Bühne geht. Etwas deprimierend anzusehen aber der schlechte Nachgeschmack ist meistens gemischt mit einem Gefühl von der eigenen Vortrefflichkeit... ;-)))
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Was tust du nun? Du sitzt in deinem Lieblingsfauteuil und schlummerst vor einem Fernsehprogramm oder liegst du sogar und schläfst? Ich werde das RL anfassen. Es wartet schon auf mich.

So grüsse ich dich lieb.
À bientôt j'espère,
Je t'embrasse, mon chéri,
Marlena

schon Feierabend


Liebe Marlena

Der Kurs heute ist etwas früher beendet worden. Schon um 16h Uhr Feierabend. So etwas Schönes kennen doch eigentlich nur die Lehrer. Wir armen Schweine arbeiten mindestens bis 17.30h oder länger. So geniesse ich den langen Vorabend und werde mich jetzt rasch heimbewegen, um meine Kaffees zu trinken und mich ein bisschen auszustrecken. Ich habe mich ein bisschen über Psychologen geärgert. Soviele von diesem Schlag am selben Ort, das ist einfach zuviel. Ich würde gerne ab und zu wechseln, und - zum Beispiel mit einem Zauberstab - mich in einen Zahnarzt oder einen Ingenieur verwandeln. Diese Psychobrüder, na also ... Sie sehen überall die fürchterlichsten Dinge voraus und ahnen Katastrophen an jeder Strassenecke. Man müsste diesen Pessimismus verbieten!

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Aber was soll es. Sie meinen es alle gut und wollen warnen, damit keiner ins Unglück läuft.

Deshalb fahre ich jetzt heim.

Ich wünsche Dir einen schönen Abend.

Mit lieben Grüssen

Sonntag, 1. Februar 2015