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Die Leere zwischen den DingenStrahlend und strömend - der schwedische Dichter Gunnar Ekelöf
Die letzten Fotografien zeigen ihn meist im Schlafrock. Ein schmaler Herr mit schwarzer Mütze, der sich in seinem Sessel durch einen Bildband blättert. Zwischen all den Decken und Kissen ist das hagere Gesicht kaum zu sehen, nur das Licht gibt Nase und Stirn ein wenig Kontur. Ein Schmerzensmann, ein Asket, so scheint es, der erlebt, von was die Gedichte sprechen: «Viel ist nicht / von mir übrig . . . / Ich habe kein Gefühl mehr für mein Ich, mein Gewicht / Ich verliere den Halt, ich schwebe hinaus / Ich werde allmählich unsichtbar.»
Auch wenn er über die Kunst des Verschwindens schrieb, hielt sich der schwedische Dichter Gunnar Ekelöf stets an die Wahrnehmung und an das Körperliche des Lebens, an jenen «Sinnengenuss», der für ihn zu jeder echten Literatur gehörte. Die Fülle der «Farben und Formen» war ihm Fluchtpunkt seines Schreibens, sie machte es ihm erst möglich, das Gedicht als «Magie und Beschwörung» zu verstehen, als einen Weg, das Sichtbare nach und nach zu übersteigen. «Du siehst, und sehend spürst du / wie sich alles zu Asche verwandelt / wie der Blick sich verwandelt / und aufhört zu sein / gleichwohl aber bleibt -», heisst es in einem der späten Werke.
DIE ERFAHRUNG DER SCHWEBE
Die Texte dieses grossen Dichters, die Gedichte ebenso wie die Essays, die Briefe oder die schmalen Prosastücke, entwickeln sich allesamt jenseits eines Denkens in blossen Gegensätzen. Dem «sterilen Reich» aus Licht und Schatten, Gut und Böse, Wirklichkeit und Traum hält Gunnar Ekelöf die Erfahrung der Schwebe vor, tastet sich vorwärts an Fluchtlinien und Konturen oder gibt sich in den Zwischenräumen der Wörter zu erkennen. Hier entpuppt sich das feste Ich als Chimäre und die Wirklichkeit als etwas durchweg Flüssiges. Diese «dritte Seite des Lebens» ist keineswegs mit naivem Einheitsdenken oder einer Art Natürlichkeit zu verwechseln. Vielmehr hat der ungerade, «einsame Mensch» die dualistische Welt des Rationalismus bereits durchwandert und setzt bewusst auf das Unbestimmte, Unvermessene, «jenseits aller Wahrheiten und Lügen».
So anspruchsvoll diese philosophischen Überlegungen auch klingen mögen - Gunnar Ekelöfs Gedichte sind doch angenehm frei von allen überdehnten Begriffen. In seinen leicht gebauten Versen versetzt er die Sprache in jene Schwingung, die er selbst einmal als «Radioaktivität» bezeichnet hat, als eine Strahlung, die sich erst nach Jahrhunderten, vielleicht Jahrtausenden abschwächt: «Diese Radiowellen hat das Gedicht weniger durch den Inhalt erhalten als durch das Spannungsverhältnis zwischen den Wörtern, die den Inhalt ausmachen, durch die Fähigkeit des Dichters, die Wörter und Bedeutungen in ein solches Reibungs- und Nuancierungsverhältnis zueinander zu setzen, dass die Leere weiter nachbebt, lebt, ausschlägt, ‹sendet›, eine Art von magnetischem Gewebe aus unsichtbaren Fäden, Kraftlinien, die sich gegenseitig anziehen oder abstossen.»
Die Leere zwischen den Dingen, seinen «Singsang vom anderen» hat Gunnar Ekelöf immer wieder in grossen Meeresbildern oder Ausflügen in karge Landschaften ausgebreitet. Am Grunde vieler Gedichte wird die schwedische Natur mit ihrer stets gleichen Folge von Hochwäldern und Tundra erahnbar. Und so wie dort die monotone Dünung der Telegrafenmasten im Vorbeifahren sinkt und steigt, sinkt und steigt, so schneiden auch die Verse den Strom des Lebens immer wieder in handliche Augenblicksbilder. Doch nicht nur in seiner Heimat konnte der 1907 geborene Ekelöf die Bekanntschaft mit den elementaren Formen der Landschaft machen. Schon in jungen Jahren nimmt ihn die Mutter mit auf Reisen, wie überhaupt das Leben jener Zeit einer unruhigen Wanderschaft gleicht: 1911 geht es nach Deutschland und in die Schweiz, einige Jahre später sind die beiden in Frankreich unterwegs.
IM KINDERHEIM
Dazwischen liegt der Tod des Vaters, der seinen Beruf als Bankier wegen einer «geheimen Krankheit» vorzeitig aufgeben musste. In der äusserst detailgenauen Prosaskizze «Eine Photographie» beschreibt ihn Ekelöf als «lebenden Leichnam», der in seinem Sessel zwischen Stapeln von Polstern und Decken vegetiert. Ebenso prägend für Ekelöf dürften die Aufenthalte in Heimen gewesen sein, auch wenn sie im Rückblick zunächst ihre hellen Seiten offenbaren: «Ich meinerseits wurde häufig in Kinderheime verschickt, wo es mir rein materiell nie schlecht erging. Im übrigen ist es durchaus so, dass die Kindheit, selbst die schutzloseste und schmerzlichste, stets genügend lichte Erinnerungen aufweist, denn man braucht ja so wenig: eine sonnige Lichtung, unbekannte Blumen und Tiere, das Land, das Vergnügen am Badestrand können die Fremdheit rasch überdecken.» Die nächtliche Einsamkeit mit mancherlei angsteinflössenden Bildern lässt sich gleichwohl nicht verleugnen, ebenso wenig die bohrende Seh!
nsucht nach Briefen oder einem Lebenszeichen.
Trotz diesem «Kindheitstrauma», wie Ekelöf es in einer autobiografischen Notiz nicht ohne Koketterie nennt, findet er seinen eigenen Weg, der ihn zunächst nach London und Uppsala führt. Die Studien in Orientalistik und Persisch bricht er bald schon wieder ab, beschäftigt sich aber weiterhin mit östlichen Weisheitslehren und islamischer Dichtung. Überhaupt sind es die Erfahrungsweisen der Mystik, die ihn nachhaltig beeindrucken. Dazu kommen die somnambulen Nachtbilder der Romantik und jener Surrealismus, den er während seiner Zeit in Paris Ende der zwanziger Jahre kennen lernt. Mit dem geplanten Musikstudium will es nicht recht klappen - «ich hatte das Pech, in eine Wohnung mit papierenen Wänden zu geraten, in der ich der Nachbarn wegen nicht wagte, ein Instrument zu spielen». Auch verliert er seinen Anteil des familiären Vermögens im Wirrwarr der Weltwirtschaftskrise. Unterkriegen lässt sich Ekelöf freilich nicht. Zurück in Schweden, gründet er eine avantgardistische Zeitsch!
rift und arbeitet an den eigenen Gedichten. Sein lyrischer Erstling «spät auf erden» erscheint 1932.
Als Dichter ist Gunnar Ekelöf erst recht spät bei uns angekommen. Hans Magnus Enzensberger hatte einige Gedichte in sein «Museum der modernen Poesie» aufgenommen, ehe Nelly Sachs 1962 unter dem schlichten Titel «Poesie» eine kleine Auswahl bei Suhrkamp herausbrachte. Seit 1991 arbeitet man beim Kleinheinrich-Verlag in Münster an einer bibliophilen Werkausgabe, deren Übertragungen von Klaus-Jürgen Liedtke besorgt werden, einige wenige auch in Zusammenarbeit mit Manfred Peter Hein. Bisweilen hat Liedtke die Ruppigkeit der Verse im Deutschen allzu sehr abgemildert, seine Übersetzungen überzeugen aber dank der grossen rhythmischen Kraft. Mit dem Erscheinen der letzten beiden Bände ist die Edition nun vollständig.
Von Beginn an als zweisprachige Leseausgabe konzipiert, lässt sich über Auswahl und Anordnung naturgemäss streiten. Vielleicht hätte man auf das eine oder andere von Ekelöfs Nonsens- Gedichten verzichten können, vielleicht der berühmten «Mölna-Elegie» mit ihren vielen Flüsterstimmen ein wenig mehr Platz einräumen müssen. Auf jeden Fall hätte eine Ausweitung des Kommentarteils nicht geschadet. Die bei aller Kürze doch kundigen Nachworte des Ekelöf-Forschers Anders Olsson sind einzig um eine Handvoll Anmerkungen ergänzt, die meist noch vom Dichter selbst stammen. Bei einem derart belesenen Autor wie Gunnar Ekelöf, der sich auch in den Sprachwelten von Comics bestens auskannte, reicht das nicht immer aus.
Umso raffinierter scheint die Gesamtstruktur der sieben Bände, die sich vom grossen Spätwerk, der mystisch durchströmten «Akrit»-Trilogie, hin zu den ersten Lyrikbüchern zieht. Dazu gibt es einen eigenen Band mit Essays, Skizzen und Briefen, der zeigt, wie genau Gunnar Ekelöf auch das Prosafach beherrschte, die Kunst vor allem, Gedanken über das eigene Schreiben in kleine Szenen und Schilderungen einzulagern. So kann man sich als Leser zurückarbeiten zu den Anfängen des Werks - dem Spiegelpoeten Ekelöf hätte diese Verkehrung der gewohnten Ordnung gewiss gefallen. Am Ende der Ausgabe stehen die Texte aus dem Nachlass und jene Gelegenheitsgedichte, die Ekelöf in Zeitschriften oder Tageszeitungen veröffentlichte; sie sicherten ihm lange Zeit gemeinsam mit Rezensionen und Stipendien ein Auskommen.
Es ist ein weiter Weg, der nach mehr als einem Dutzend Gedichtbänden im reifen Triptychon des Akrit-Zyklus mündet. Gleichwohl werden schon früh einige bleibende Motive in den Windungen der Ekelöfschen Verse erkennbar. In seinem Début «spät auf erden» versucht sich der Dichter noch als lyrischer Wanderer, der die «buchstabennissen zwischen den zähnen knackt». Fast im gleichen Atemzug sieht er sich aber als «blinder Sänger», der zwischen allerlei Erinnerungen jene «grosse Gebärerin Nacht» erwähnt, die im Spätwerk so strahlende Bedeutung gewinnen wird. Hier entwirft Ekelöf das Bild einer gütigen, allmächtigen weiblichen Gestalt, die einmal als Jungfrau, einmal als Mutter erscheint. Ihre Anrufung verspricht die ersehnte Einheit der «dritten Seite des Lebens», eine mystische unio. Die Suche nach «Nicht-Begierde», nach einem «anderen Licht» ist nicht in einem weltfremden Jenseits angesiedelt. Mit Paradoxien, Fragen und überaus sinnlichen Bildern beschwören Ekelöfs Gedichte ein ums!
andere Mal das, was er «Lebensekstase» nennt: «In meine Seele / grubst Du die Spuren / kleiner Füsse, kleiner Zehen / wie in den feuchten Sand / eines Strands.»
HÖLLENBILDER UND MEERESSTÜCKE
Zu den motivischen Spuren, die sich schon in den frühen Gedichtsammlungen entdecken lassen, gehören neben zahllosen Höllenbildern vor allem die Augen, das genaue Sehen, das nach und nach in den gnostischen Blick übergeht. «Gib mir die Augen der Sepien / die sanften nach innen blickenden / als hörten sie Musik», heisst es 1941 in einem der vielen Meeresstücke dieser Zeit, die einen schön schwingenden Freivers kultivieren. So ist der Lyrikband «Fährgesang» tatsächlich die Überfahrt in die Welt einer anderen poetischen Wahrnehmung, in die des «einsamen Menschen». Dort angekommen, versucht sich Ekelöf auch in der leichteren Kunst von Unfug-Gedichten, wobei er seine poetische Linie nie aus den Augen verliert: «Wenn man es soweit gebracht hat wie ich in der Sinnlosigkeit / wird jedes Wort erneut interessant: / Fundstücke im Erdreich / die man mit archäologischem Spaten wendet.»
Als man Gunnar Ekelöf 1966, zwei Jahre vor seinem Tod, den Literaturpreis des Nordischen Rates verlieh, konnte er wegen Krankheit schon nicht mehr anreisen. In einer verlesenen Dankesrede lässt er seine späten Werke vor den Augen und Ohren der Zuhörer noch einmal aufleben - doch der resignative Grundton dieser Zeilen ist überdeutlich. Die Strahlung seiner Verse indes wird noch lange spürbar sein, sie mag nun Radiowellen gleichen oder der Strömung eines Ozeanriesen, der weit draussen vorüberzieht: «Und wir wissen nichts von ihm / ehe die Bugwelle uns am Ufer erreicht, / erst die eine, und noch eine und immer mehr / die anbranden, sich brechen, bis alles geglättet ist / wieder wie vorher. - Und doch ist alles verändert.»
Gunnar Ekelöf: Färjesng/Fährgesang. Gedichte 1932 bis 1951. Schwedisch - deutsch. Ausgewählt und übersetzt von Klaus-Jürgen Liedtke. Kleinheinrich-Verlag, Münster 2004. 317 S., Fr. 54.25.
Gunnar Ekelöf: En trasig liten ask av trä / Ein zerbrochenes Kästchen aus Holz. Gedichte aus dem Nachlass. Verstreute Gedichte. Schwedisch - deutsch. Ausgewählt, übersetzt und mit einem Nachwort von Klaus-Jürgen Liedtke. Kleinheinrich-Verlag, Münster 2004. 293 S., Fr. 54.25.
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