Montag, 29. April 2024

Frühjahrsmüdigkeit, Cartoons und Engel

 

Liebe Malou
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Hier ist es deutlich wärmer geworden. Aber im Moment hat es angefangen, zu regnen. Ein echter Frühlingsregen, der dann alles ins Kraut schiessen lässt. Ich glaube, die Natur mag sowas. Die Natur lechzt nach solchen Drinks und Cocktails. Und ich hatte glücklicherweise einen kleinen Regenschirm bei mir, um die paar Schritte vom Bahnhof bis hier trockenen Hauptes zu bewältigen. Es ist schade, dass man als Erwachsener die Regengüsse nicht mehr so entgegennehmen kann, wie man dies in der Jugend tat. Dieses feuchtwarme Gefühl in den Kleidern, wenn alles nass war. Vielleicht das tropfende Gras in den Füssen, wenn man barfuss unterwegs war? Ach, damals waren wir noch irgendwie mit der Natur in Kontakt, und nicht wie heute, wo wir alle sozusagen hinter Cellophan leben. Ich habe das immer geliebt. Allerdings muss ich sagen, dass der Regen im Wallis doch eher eine Ausnahme war. Der Boden war meist trocken und - fast immer - ziemlich staubig.

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Im Übrigen fühle ich die Frühjahrsmüdigkeit. Man sagt ja doch von den Staatsangestellten, die purzelten direkt aus dem Winterschlaf in die Frühjahrsmüdigkeit. Und ich glaube, ich tue das ganz besonders intensiv. Gestern bin ich auch nicht laufen gegangen. Wenn die Pollen in der Luft sind, tut mir das nicht sonderlich gut. Dann bleibe ich lieber in den eigenen vier Wänden. Ich habe in den letzten Tagen einen Roman von Genazino gelesen. Aber den fand ich äusserst fade und schal. Er handelt von einem alternden Typen mit zwei Freundinnen, der sich nicht entscheiden kann, welche von beiden er wirklich fallen lassen sollte, um sich bei der anderen fürs Alter einzunisten. Wirklich kein grosses Kunstwerk. Das erstaunt mich etwas, denn bisher habe ich Genazinos Texte meist geschätzt. Na ja, der Titel heisst auch "Liebesblödigkeit". Vielleicht ist der Titel die Entschuldigung für das Buch?

Und dann sollte ich ein paar Cartoons zeichnen für eine Kollegin. Sie sind daran, für eine Zeitschrift ein paar Artikel zum Thema Schulschwänzen (verstehtst du das Wort), dh. Absentismus zu schreiben. Und dazu wünschen sie sich ein paar Bilder. Ich habe mir die kleine Studie einer der Leute vorgenommen und angefangen, darin zu lesen. Aber es ist ein wenig kraftlos geschrieben. Immerhin versuche ich, zum Thema ein paar visuelle Ideen zu entwickeln. Ich habe beim Schuleschwänzen sogar eigene Erfahrungen. In der Primarschule habe ich ein oder zweimal Krankheit vorgeschützt. Ich glaube, ich habe sogar den Thermometer ein bisschen in die Höhe geschraubt. Aber damals in Visp haben wir gleich neben dem Schulhaus gewohnt. Und in der 10Uhr Pause bin ich natürlich oben am Fenster gestanden und habe diskret hinuntergeschaut. Ich musste doch beobachten, wie sich das alles ausmacht, wenn ich nicht dabei bin. Es ist ein herrliches Gefühl. Man fühlt sich - kann man sagen - ein bisschen wie ein Engel. Man sieht, wird aber selbst nicht gesehen. Das ist wirklich engelhaft und insgesamt eine erstklassige Unterhaltung.

Du siehst, ich bin wieder bei den Engeln. Wirklich schade, dass sie so aus der Mode gekommen sind. Ich finde es nützlich, zu glauben, man hätte einen Schutzengel wenigstens. Oder man kann glauben, dass ein persönlicher Engel stehts für mich unterwegs ist. Das ist doch ein prima Gefühl, nicht wahr. Und wenn man nur genügend daran glaubt, so werden sich die Dinge schon eher zum Guten wenden. Garantie!

MLG

Sonntag, 28. April 2024

RE: tropfnasserdonnerstagmorgenumsiebeninderfrüh


Ämne: Schneeflocken, Tauben, Kraniche, Abfall u.a.m
Datum: den 25 mars  18:15

Lieber ...,
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Gestern Abend kam ein Anruf. "Bist du das Marlena?" sagte eine sehr greisenhafte Stimme, die ich nicht richtig einordnen konnte unter meinen Bekannten. Einen kleinen Moment hoffte ich es könnte Jan sein. Er war mal mein bester Freund (Bruder, Vater und alles was man sich noch wünschen kann zugleich). Ich habe ihn schon lange für tot gehalten, weil er mir sonst sicher mindestens einmal im Jahr von irgendeinem Kontinent ein Lebenszeichen geschickt hätte.

Es war leider nicht Jan, sondern L. ein früherer Kollege, der auch Deutsch gab und der schon ein paar Jahre in Pension ist. Jetzt hält er ab und zu Vorträge für andere Pensionisten über alles mögliche. Er gehörte zu den äusserst gebildeten Studienräten, die noch eine gediegene klassische Bildung erhalten haben. D.h. Leute, die so 10 Jahre älter sind als meine versäumte Generation. Nun wollte er einen Vortrag über den zweiten Weltkrieg halten und dabei suchte er die "Briefe aus Stalingrad", von denen er dem Publikum einige vorlesen wollte.

So habe ich heute ein wenig in unserer Institution herumgestöbert auf den Büchergestellen, wo wir alte Bücher aufbewahren, von denen wir uns bisher nicht trennen konnten, die wir aber längst vergessen haben. Leider gab es sie nicht, die Briefe aus Stalingrad. Dagegen habe ich ein paar wunderbare Anthologien mit deutschsprachigen Schriftstellern gefunden, zum Teil auch solche, die ich bisher nicht kannte. Und da ich weiss, dass heutzutage niemand mehr so viel Deutsch kann, dass er sie lesen würde (darin sind auch die Lehrer einbegriffen) so habe ich sie mir mit nach Hause geliehen. Ich werde fast traurig, wenn ich sehe auf welch hohem Niveau einmal der Deutschunterricht gestanden hat. Heutzutage wären diese Bücher sogar für die Studenten an der Uni zu schwer. Und es tut mir auch leid um die Schüler, die nicht richtige Literatur zu lesen bekommen sondern nur ziemlich alltägliche, kindische Texte ohne grossen Sinn.  OK... ich muss das Thema verlassen.
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Nein, Marieberg ist nicht was du dir vorstellst. An und für sich lustig zu sehen, was deine Fantasie damit macht. Marieberg ist ein IKEA-ähnliches Gebäude von aussen gesehen.. (siehe Bild unten) 32.000 kvadratmeter Fläche, 2.200 Parkplätze .. du siehst, es ist ziemlich gross, aber innen doch ganz schön und gemütlich. sogar mit ein Bisschen Natur in der Mitte mit plätscherndem Wasser. Und ganz in der Nähe gibt es viele andere grosse Kaufhäuser.. u.a. auch IKEA.
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Jetzt schneit es wieder. Es ist Kuschelwetter. Ich meine am liebsten würde man unter eine warme Decke verschwinden mit einem interessanten Buch. Aber vorher möchte ich noch meine frierende Seele mit etwas Tee erwärmen. Kommst du auch? ;-)
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Wenn du so deine Tauben beschreibst, dann weckt das viele schöne Erinnerungen an Bücher, die ich als Kind gelesen habe oder dann später mit Anna. Bücher in denen Tiere die Hauptpersonen sind und es uns Menschen nachmachen. Ach wie sehr ich diese Bücher mochte. So viele schöne Bilder sind auf meiner Netzhaut hängengeblieben.. denn es gab sie, die schönen Illustrationen dazu.
Fast möchte ich mir ein Buch von dir wünschen, wo du über deine Tauben schreibst. Und ich möchte Illustrationen dazu sehe, mit dem Gartenhaus, wo sie durch die Luke einsteigen können, um es sich in der Ecke auf den Stuhlpolstern gemütlich zu machen und ihre Orgien zu feiern?
Das wäre doch was, oder? Hat doch noch niemand vor dir gemacht. Und Kinder werden sich ewig freuen, wenn sie eine Taube erblicken und an deine schönen Geschichten denken. Mach es doch!
Hast du übrigens die schönen Bilder von den tanzenden Kranichen gesehen, die ich dir mal beigelegt hatte?
Wenn ich an Kraniche denke, muss ich wieder zurückdenken an Uppsala, wo der alte blinde Mann (dem ich manchmal die Zeitung vorlas) in seinem Rollstuhl mir das Gedicht "Die Kraniche des Ybikus" (von Schiller glaube ich) vorsagte. Und wie ich entdeckte, dass sich in einem kaum mehr funktionierendem Körper eine ganze Welt von Schönheit verbergen kann.
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Der Distanzunterricht ist nur dazu da, um zu beweisen, dass es dieses Fernsehstudio gibt und dass es seine Berechtigung hat. Vielleicht ist es etwas spannend für die Schüler ein paar Tage so zu arbeiten aber wie die meisten selbst sagen es "gibt ihnen nichts" und sie hätten mehr gelernt wenn sie stattdessen ihren gewöhnlichen Unterricht gehabt hätten.
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Ach, erst jetzt beginnt ihr euren Abfall zu sortieren? Das tun wir schon seit ein paar Jahren. Flaschen, Dosen und Kartons sowie Zeitungspapier wird in dafür aufgestellte Behälter gelegt. Und hat man einen Garten, dann gibt es da meistens auch einen Kompostbehälter.
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Nun muss ich schliessen und hier ein wenig Ordnung bringen. Auch einen Test korrigieren, den ein Klasse heute geschreiben hat.
Ich grüsse dich lieb und wünsche dir einen schönen Abend bzw einen schönen Tag morgen,
K+S
Malou

Donnerstag, 25. April 2024

Nochmals an diesem dunklen Abend

 

Subject: Nochmals an diesem dunklen Abend
Date: Sun, 16 Nov 21:38

Lieber ... ,
Nun habe ich dein liebes Mail gelesen und auch de Botton gesehen. Das schöne an dem Programm ist, dass er es in dem authentischen Milieu zeigt. So konnte man das Schloss bewundern, in das sich de Montaigne zurückzog um zu schreiben. Es sah, verglichen mit anderen alten Schlössern, die ich schon gesehen habe, ziemlich gemütlich aus. Auch hatte er einen wunderschönen Blick auf die Landschaft von seiner Bibliothek aus. Und auf dem Hof gab es auch jetzt allerlei Tiere zu sehen. Schweine, Schafe, Enten u.s.w. Montaigne hatte ein gutes Verhältnis zu Tieren. Er fand sie klug und meinte wir könnten einiges von ihnen lernen.
*
Ja, ich verstehe schon, dass dir der Briefwechsel, von dem du sprichst, gut gefällt. Gewiss, dieser Anthony Hopkins hat etwas besonderes, was ich sehr mag. Etwas um dessen Verlust man trauern könnte. Und wenn er gegen Emma Thompson spielt ist er am meisten zu seinem Vorteil.



Auch ein Bild aus dem Film, den du erwähnt hast. (siehe Bild unten).
Und hier der Kommentar eines Lesers zu dem Film:

Summary: For once you shouldn't read the book

When you first take a look at the story, 84CCR hasn't much going on for it. A movie about books(even worse: old books!), for 75% told off-screen and with two stars who don't share one scene together. It's a miracle that this movie has so much impact on the viewer. The atmosphere is really tense, it's like you're in that little dusty bookstore and you really like the characters, though you don't know that much about them. Great acting by all. Hopkins, playing a character that resembles the ones he played in Shadowlands and even Remains of the Day, is impossibly convincing in his role. Anne Bancroft, although sometimes slightly over the top when she talks to the viewer, makes a great match.

*

Deine Frage, ob ich mich je in einen Held (Helden?) in einem Buch verliebt habe? Soll ich es wagen, dir das zu verraten, ohne dass du, als echter Psychologe, mich gleich in ein Fach steckst? ;-)) OK. Ich war sehr verliebt in Rhett Butler in dem Buch "Vom Winde verweht". Habe das Buch als Teenager gelesen, dann später natürlich auch den Film gesehen. Und wenn ich es richtig bedenke, sind fast alle Männer, in die ich mal verliebt war, von dieser Sorte gewesen. Komisch eigentlich. Ist man vielleicht auch für sowas programmiert???

Siehst du, weil du so lieb warst und mir noch heute Abend ein mail geschickt hast, habe ich sogar Lust bekommen dir gleich ein zweites zu senden

Nun sage ich dir gute Nacht. Wünsche dir einen schönen Start in die neue Woche,
mit lieben Grüssen,
Marlena

She's in love with ...




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(R) :-)


  Game, Set ...



Kronprinzessin Victoria und Roger Federer


.. und Kuss?

                   Interview Pre Tournament 2010  hier    

                                   Artikel  2017  hier                                                               





Mittwoch, 24. April 2024

Etwas Schockierendes


Liebe Marlena
...
Ich habe kürzlich ein Bildband gekauft über Lucian Freud. Vielleicht hast du von ihm gehört. Er ist ein Enkel des berühmten Sigmund Freud, lebt in England, und hat sich einen Namen als Porträtmaler gemacht. Und dabei macht er seinem Grossväterchen grosse Ehre. Er malt seine Figuren so nackt, wie man sie kaum je gesehen hat. Das Fleisch springt einem aus den Bildern derart entgegen, wie es bloss noch bei Sigmund aus seiner Psychoanalyse geschehen ist. Die Gemälde haben etwas Schockierendes an sich. Sie versetzen den Zuschauer in die Rolle des vorwitzigen Voyeuristen, weil die Modelle derart offen daliegen. Vielleicht ist es das erste Mal, dass auch Männer sich derart exponieren und ihre Dinger zeigen, wie man das noch niemals auf Bildern gesehen hat. Im ersten Moment wirkt es widerlich. Bei weiblichen Figuren sind wir das mehr gewohnt, denn da führt die Malerei eine lange Tradition fort. Aber das Männer derart die Beine spreizen, das ist unerhört, oder besser unersehen (kein gängiges deutsches Wort). Ich glaube, zur Zeit hat Freud eine grosse Ausstellung in der Tate in London. Und einen Moment lang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, nach London zu fliegen, um das anzuschauen. Vielleicht findest Du im Internet ein oder zwei Beispiele von diesem Maler.  ...
*
Re:  Ja, es gibt viele Bilder von ihm im Internet,
z.B.  hier


Montag, 22. April 2024

Drei Kategorien von Küssen

 

Liebe Marlena

...

Ich umarme dich, wie eine dieser asiatischen mythischen Figuren mit ihren 6 oder 8 Armen es tun würde. Aber ich würde es sehr vorsichtig und sachte tun, sonst würdest du vielleicht Platzangst kriegen. --- 

Quatsch, ich küsse dich. Weiss doch jeder, wie so was geht. Aber gleichzeitig habe ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Denn ich weiss, dass du mit Worten nicht so freizügig umgehst. Aber Marlena, es sind bloss diese französischen Küsschen, die man in Richtung Ohr bläst, mit einem Höflichkeitsabstand, damit man der Dame nicht das make-up verdirbt. Diese keuschen kleinen Meringues, die sofort trocknen im Frühlingswind.

Ach, da kommt mir noch etwas in den Sinn, komisch, ich muss es dir rasch erzählen. Im Kiwanis haben wir jedes Jahr im Mai ein Spargelessen im Elsass. Das Elsass ist ja bekannt für seine Spargeln, auch wenn sie sie manchmal aus Cavaillon hertransportieren. Und werner Berger war immer verantwortlich für die Organisation dieses Essens. Er bestellt das Essen, und auch kleine weisse Blümchen, die Maiglöcklein. Und jeder Dame verteilt er nach dem Essen ein kleines Sträusschen dieser Blumen und küsst sie links und rechts, wie ein Kavalier. Und vor ein paar Jahren war ich Sekretär des Clubs und musste ein Protokoll schreiben. Und ich habe mich auf guten anderthalb Seiten über seine Küsse ausgelassen, dass er- wenn man genau hinschaut-  drei Kategorien hat, die er da verteilt. Die erste Art ist die jungfräuliche, die ich dir oben beschrieben habe. Sie sind nur hingehaucht, ohne Leidenschaft, eher mit höflicher zurückhaltung. Die Kategorie zwei sind schon ein bisschen feuchter, bleiben auf der Wange kleben, aber sind noch nicht allzu nachhaltig. Und dann hat er noch die dritte Garnitur, die schon einen Anflug von Leidenschft und stillen Träumen erkennen lassen. Und insgesamt lasse sich aus den Küssen schliessen, ob wir einen warmen Sommer haben  werden. Und so weiter und so fort. Ich habe aus seinen Gentlemans-Küssen eine echte Story gemacht und alle haben geschmunzelt und ihre Freude daran gehabt. Vor allem die Damen, die die Protokolle natürlich zuhause auch lesen, um ihren Mann zu kontrollieren.
Wir sind uns im Klaren Marlena, die meinen waren aus der Kategorie eins. Oder waren es schon Zweier, sagen wir Ribbit. 2 wood? Dann bitte ich um Entschuldigung, my lady.
IM ..
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Sonntag, 21. April 2024

Schwanitz


 Männer und Frauen und ähnlich verrückte Dinge ...

Liebe Marlena

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Gestern habe ich mir ein Buch von Schwanitz gekauft. Du wirst lachen, der Titel heisst "Männer". Ich hatte ihn am Wochenende in einer Diskussion im Fernsehen gesehen und der gute Typ war absolut faszinierend. Schon sein letztes Buch "Bildung; alles was man wissen muss" fand beim Publikum guten Anklang. Es ist im Grunde genommen ein Kondensat unserer humanistischen Bildung. Und er teilt deas Buch in zwei Teile: Wissen und Können. Er ist recht originell und auch gescheit, der gute Schwanitz, war Professor für Anglistik in Stuttgart, wenn ich mich nicht irre. Und ist, um das Paket voll zu machen, in der Schweiz aufgewachsen. Auf einem Bauernhof, wenn ich mich nochmals nicht irre.
Nun also, in dieser Sendung Sonntag morgens hat er über Männer gesprochen. Und das fand ich alles in allem so interessant und mit kulturhistorischem Blick behandelt, dass ich mir das Buch gleich am Montag holte. Ich werde es im Sommer studieren. Kommt uns ja entgegen, da die gender studies so aktuell werden und alle drüber reden.

Vielleicht kann ich für Dich die Einleitung zusammenfassen? Er vergleicht Mann und Frau mit Hund und Katze. Vielleicht weil die Katze gepflegt und diskret daherkommt, während der Hund gerne herumtollt und gerne in wilden Rudeln daherbellt. Es sind zwei unterschiedliche Wesen. "Wenn der Hund in freundlicher Stimmung ist, wedelt er mit dem Schwanz. Ist er dagegen böse, dann knurrt er. Bei der Katze ist es umgekehrt. Ist sie gereizt, dann zuckt die Schwanzspitze. Fühlt sie sich anschmiegsam und liebesbedürftig, beginnt sie zu schnurren. Nähert sich also eine Katze mit vertrauensseligem Schnurren einem Hund, fühlt sich dieser bedroht und beginnt zurückzuknurren. Das missversteht die Katze als Einladung zu Vertraulichkeiten, die der Hund wiederum als Angriff auf seine Unabhängigkeit missversteht und mit Bellen und Bissen beantwortet. Da nimmt es nicht wunder, dass die Katze dieses Verhalten als empörend empfindet.

Doch auch der Hund findet das Verhalten der Katze entsetzlich. Er hat die freundlichsten Absichten und wedelt eifrig und frohgemut mit dem Schwanz. Zu seiner Beruhigung beantwortet sie das mit einem zwar zurückhaltenden, aber deutlich sichtbaren Zucken ihrer Schwanzspitze. Als er, auf diese Weise ermutigt und uneingedenk seines betäubenden Bundgeruchs, sich ihr nähert, liest er an der Frequenzerhöhung beim Peitschen des Katzenschwanzes einen Willkommensgruss ab. Gerade will er zu einem schlabbernden Begrüssungskuss ansetzen, da springt sie ihm spuckend und fauchend ins Gesicht".

Schwanitz nennt dies einen alten Fluch der Menschheit.
Hören wir damit etwas Neues?
Mit einem lieben Gruss


Immer noch ritterlich

 

Königin Kristina


Liebe Marlena
Gestern war Montag. Morgens haben wir unsere Sitzung. Mittags habe ich Club. Und Nachmittags war ich mit einigen dringenden Geschäften unterwegs.
So bin ich heute Dienstag etwas früher ins Büro gefahren.
Nun ja, die gute "Identität". Wie gesagt, ich bin im Moment mit Schwanitz' Buch beschäftigt und denke versuchsweise seine Thesen und Gedanken weiter. Ich kämpfe also nicht nur in einer Rüstung, sondern mit einem etwas verlängerten Spiess. Nicht, dass ich damit allzu sehr in der Welt herumwütete. Nein, ich brauche ihn sozusagen als Brücke für meine Ameisen ;--).


Schwanitz sagt, wenn du das wirkliche Ich eines Mannes kennenlernen willst, dann beobachte seine Hobbies. Im Gegensatz zur Frau verdrängt der Mann seine eigenen Gefühle, projiziert sie aber in seine Leidenschften ausserhalb. Wenn Du also mit dem Mann über Gefühle reden willst, dann stösst Du auf Granit. Er kennt sie selbst nicht. Wenn Du ihn aber über seine Hobbies erzählen lassen kannst, wirst du reichlich belohnt werden.
Das ist, unter uns gesagt, keine schlechte Faustregel. Schwanitz sagt, dass ein Mann, der über seine Gefühle redet, kein Mann ist. Das heisst, er fühlt sich in diesem Moment nicht wirklich als Mann. Und das hält er nicht besonders lange aus. Es gibt kurze Momente, wo es gelingen mag. Aber im wesentlichen mag der Mann, der etwas auf sich hält, das nicht.
Sie Dich vor, Marlena, die Männer sind ganz anders, als Du es Dir immer gedacht hast. Und mein "wirkliches Ich" ist wohl diese komplizierte Kombination von Rüstung und Gefühlschaos, wie es der Autor etwas pointiert beschreibt.
*
Ich beneide Dich um Deine Situation in Schweden, da Du das Meer gleich vor der Türe hast. Es mag etwas kühl sein bei Euch, aber es ist wunderbar, so nahe beim Wasser zu leben. Das bringt eine Weite in die Gefühle und in die Mentalitäten, die uns Schweizern wohl eher fehlt.
Ich habe gestern Abend einen Artikel gefunden, den ich vor einiger Zeit beiseite gelegt hatte. Es war ein Text von einer gewissen Laure Wyss über die schwedische Barockkönigin Christina. Und ich erinnerte mich natürlich der paar Dinge, die Du mir über sie erzählt hattest. Sie war die Tochter des Königs Gustav Adolf II, und eigentlich fing alles mit einer Falschmeldung an, weil die Hebamme glaubte, sie wäre ein Prinz und keine Prinzessin. Ihre Tante hatte dann den Mut, den König über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Sie muss eine echt burschikose Prinzessin gewesen sein. Und besonders intelligent und unabhängig und mutig. Und sie war nicht hübsch, soll sogar eine schiefe Schulter getragen haben. Das erklärte sie damit, dass man es verschwörerisch auf sie als Thronfolgerin abgesehen hätte. Andere behaupten, ein herunterfallender Balken hätte sie noch in der Wiege getroffen. Auf jeden Fall gab sie sich rundum ziemlich männlich. Sie soll von Prag eine ansehnliche Ladung an Raubkunst heimtransportiert haben. Und sie hat, wie Du ja weißt, schliesslich auf den Thron verzichtet, in Rom gelebt und ist zum Katholizismus übergetreten und auch in Rom gestorben. Das würde ja - in die Zeit des kalten Krieges übersetzt - heissen, dass einer von Amerika nach Russland übersiedelt wäre. Das kann man sich wirklich bloss als "von Liebe motiviert" vorstellen. Von einer Liebe in den Vatikan hinein war aber hier nirgendwo die Rede. Doch schon möglich, dass sie im schönen und warmen Rom einen süssen femininen Priester gefunden hat.
*
Heute fahre ich nach L. Ich habe dort noch eine Beratung. Schade, dass das Wetter noch ziemlich trüb und kühl geblieben ist. Es soll sich erst in den nächsten Tagen bessern.
Und gerade höre ich im Radio, dass nach einer OECD-Studie die Bildung einer der wichtigsten Faktoren im oekonomischen Wachstum eines Staates darstellt. Höre mal an. Das wird den Druck in Richtung erhöhte Effizienz und Effektivität erhöhen. Es ist, wie wir alle wissen, das Ende der Jugend.
*
Geniesse Deine Ferien auch für mich bisschen.
Ich wünsche Dir einen schönen Tag
Mit einem lieben Gruss

Donnerstag, 18. April 2024

Aktuell: neuer schwedischer Film


Ständig unterhaltsam, wahnsinnig lustig,
 unendlich traurig und 
zutiefst zum Nachdenken anregend





Constantly entertaining,  insanely funny, 
 infinitely sad and deeply thought provoking






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Ach ..

Lieber ...

Wie sehr ich mir wünschte dass ich ein Mail hätte jetzt zu meinem Morgenkaffee. Dann wärest du fast hier und ich könnte den Tag mit dir beginnen.
Gestern Abend bin ich dann noch vor dem Fernseher hängen geblieben. Eine Reportage über die Altenpflege in Schweden. Es war ein tief erschütterndes Program und ein älterer Herr erzählte weinend von seiner alten Mutter und wie sie behandelt wurde in der letzten Zeit ihres Lebens. Die alten Leute in Schweden haben es wirklich nicht gut. Das Personal ist oft unausgebildet und so unterbesetzt dass sie ihre Arbeit nicht schaffen. Man erfuhr über die Missverhältnisse durch zwei Krankenschwestern, eine Finnin und eine Polin, die es wagten davon zu sprechen und dann sofort entlassen wurden.
Ich habe immer gedacht, dass ich mich, wenn ich nicht mehr arbeiten muss, für alte Leute engagieren werde. Viele haben niemanden, der sich um sie kümmert und kommen nie an die frische Luft, weil man keine Zeit für sie hat. Es gibt hier schon jetzt eine freiwillige Organisation, wo man sich anmelden kann falls man irgendwie behilflich sein will. Ich meine, wenn es schöne Frühlingstage gibt, würde ich z.B. alte einsame Menschen gern in die Natur hinaus mitnehmen.
*
Du hast mir wieder so schön vom Iran geschrieben. So kann man nur schreiben wenn man es mit dem Herzen erlebt hat und nicht nur als Tourist. Immer noch trage ich die Erinnerung an Paris in mir wie ein teures Kleinod. Und ich fühle mich reich.
*
Ach,  wie kannst du bei einem spannenden Film der dir gefällt einschlafen? Tut an und für sich auch K, aber er, weil er zu viel getrunken hat. Doch finde ich es irgendwie süss dich so vor dem Fernseher schlafen zu sehen.
Kennst du das Program "60 minutes"? Da, am Ende des Programmes spricht immer Andy Rooney über irgendein Thema. D.h. er raljiert (du weisst nun was das bedeutet). Und immer denke ich das könntest du gesagt haben. Er ist intelligent, humoristisch und scharf in seiner Kritik und immer findet er was alltägliches worüber er sich beklagen kann. Ich mag ihn. Du kennst meine Vorliebe für alte Männer.. ;-)) Er ist über 80 Jahre alt, genau wie dieser Kyrklund.

(---)

Gehst du immer noch ins Fitnesscenter? Und macht es dir immer noch Spass? Du wirst nicht abnehmen glaube ich, denn die Muskeln die du bildest wiegen mehr als das Fett, das du eventuell verlierst.

Jetzt beginnt es hell zu werden. Ein grauer aber windstiller Tag. Das Thermometer zeigt auf + 3 Grad, also ziemlich warm.
So lasse ich dich wieder und werde etwas arbeiten. Und falls du mir schreibst werde ich dir auch antworten. Ich habe Zeit heute.

Ich grüsse dich nochmals lieb,
Marlena

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Andy Rooney ist  einer meiner Favoriten, wenn er sich am Ende jeder Sendung von CBS über irgendetwas Dummes beschwert. "...wacky TV commentaries on life's little annoyances" wie da steht.


Dienstag, 16. April 2024

Re; Veränderte Welt




Ämne: Bättre fly än illa fäkta..


(ungekürzt)

Lieber ...,
So ist es, falls du es nicht kennst:
Du sitzt so in aller Ruhe am Flussufer und geniesst das Leben und dann siehst du wie sich eine Ameise deinem Fuss nähert. Du willst nur verhindern, dass sie darüber kriecht und versuchst, ihr den Weg zu versperren. Und plötzlich hat sie (es ist mir immer ein Rätsel, wie sie das tut) eine ganze Armee von Ameisen mobilisiert, die dich angreifen, bis du für gut findest zu fliehen.

Und so ist es hier auch passiert. Ich war vielleicht etwas unvorsichtig mit meinen Worten und schon hast du ein ganzes Heer von Argumenten gegen mich mobilisiert. Und wie sollte ich mich verteidigen können? Ich kenne meinen Gegner. Ich habe nicht seine scharfen Waffen. ;-)

Manchmal denke ich wirklich dass es einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen männlich und weiblich. Wir Frauen begnügen uns oft damit etwas intuitiv zu erkennen während ihr Männer alles auseinandernehmen müsst, um es in ihren Details analysieren zu können und zu verbalisieren. Nun, das gehört ja auch zu deinem Beruf. Du musst mit der neuen Welt vertraut sein, um den Menschen helfen zu können, einen Weg darin zu finden. Denn ein Chaos ist es, was die modernen Menschen überflutet.
Meine Meinung ist noch immer (bin ich da sehr altmodisch?) dass die Familie die grösste Bedeutung hat, um harmonische, in sich sichere Menschen zu schaffen, die diesem Chaos mit Ruhe begegnen können. Wenn sie in ihren frühen Jahren dieses Gefühl von Geborgenheit bekommen, glaube ich, dass sie sich leichter zurechtfinden können, auch in Zeiten starker Veränderung.
Wir haben da einen Text in unserem Französischbuch über eine solche moderne Familie, von der du sprichst, und bevor wir den Text lesen, machen die Schüler immer ein Interview, was ihrer Ansicht nach das Wichtigste ist für eine glückliche Familie. Und alle haben an erster Stelle "Eltern, die sich lieben". Und du als Psychologe weißt, dass es Menschen gibt, die ohne diese warme Atmosphäre aufwachsen müssen. Sicher sind es diejenigen, die euch am meisten brauchen. Und ich glaube, man sollte neben der Familie auch nicht die Religion vergessen. Denn in unserer (zumindest in Schweden) ziemlich atheistischen Welt gibt es doch junge Leute, die dort einen Halt für ihr Leben finden.
Ich habe übrigens Anna gefragt, welche menschlichen Eigenschaften für die Zukunft besonders wichtig sein werden. Und hier ihre Antwort:
Flexibilität, Offenheit (Neugier), soziale Kompetenz, Kreativität, "stresstålighet" (weiss nicht auf Deutsch, aber die Fähigkeit Stress zu ertragen), Stärke und schliesslich in dieser neuen IT-Welt : Quellenkritik, Information sieben können. Voilà!
*
Ach weißt du .., eigentlich kümmert mich diese neue Welt nur wegen Anna (also die neue Generation) und wie du sagst finden sich die jungen Leute irgendwie intuitiv damit zurecht. Was uns kümmert, dich und mich, ist wohl mehr die Frage, wie wir den Rest unseres Lebens gestalten sollen. Wir sind uns bewusst, dass es nicht ewig ist und wir ängstigen uns vor der Frage: Was habe ich daraus gemacht? Weißt du, ich finde, dass ich ein ziemlich glückliches Leben habe und trotzdem kann ich diese Frage nicht sehen, ohne zutiefst zu erschrecken. Und in zehn Jahren (falls ich noch lebe) werde ich mir die Frage stellen: Warum hast du dein Leben nicht geändert? Ich weiss dass ich sie stellen werde ...
*
Lass uns ruhig weiterlesen .., es ist doch schön Ideen (auch seine eigenen) von anderen gut ausgedrückt wiederzufinden, vielleicht neue Anregungen zu bekommen. Ich bin doch schliesslich kein katholischer Priester, der etwas gegen deine Wahl von "Vorbildern" (sorry, war nur ein Scherz) einzuwenden hätte. Übrigens gibt es meiner Meinung nach keine mehr nachsichtigen Leute als Jesuiten. ;-)

Ja, ich lese "Das Parfum" und auch ich kann nicht richtig die etwas übertriebenen Worte meiner Kollegen verstehen. Zeitweise langweilt es mich ein wenig, aber ich warte noch immer... Es ist aber ein Genuss, etwas in deutscher Sprache zu lesen und du musst zugeben, dass er sich gut ausdrücken kann. Kannst du mir etwas besseres empfehlen? Gern etwas Gutes von schweizerischen Schriftstellern. Aber es muss etwas sein, das dir besonders gefallen hat.

Nun würde ich gern dieses pretenziöse Ding von einem Mail nochmals durchkontrollieren.. aber dann lösche ich es sicher..und ich möchte doch bald wieder ein Mail von dir..

Hier ist immer noch ganz wunderbares Sommerwetter.. aber ich werde mich nun etwas nützlich machen und die Fenster putzen..
Lass mich bald wieder von dir hören.
Mit einem lieben warmen Gruss und einem Bild von ,,,,
Marlena

Mittwoch, 10. April 2024

Schlußstück

 

 


Der Tod ist gross.
Wir sind die Seinen
Lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
 
 
(Rilke
 
 
 
 

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Montag, 8. April 2024

Erich Kästner nochmals...


Subject: Kästner nochmals und viele Zitate


Liebe Marlena

Beim Umzug meiner Bücher habe ich ein paar Sachen gefunden, die ich kürzlich gesucht hatte. Beispielsweise das kleine Bändchen Erich Kästner "Briefe an die Doppelschätze".

In einem Hinweis steht zum Schluss: "Am 15. Dezember 1957 wurde Friedel Sieberts und Erich Kästners Sohn Thomas in München geboren. Im Januar 1962 muss Erich Kästner das Lungensanatorium in Agra aufsuchen. In den Jahren 1962 und 1963 entstand das Kinderbuch "Der kleine Mann", das die "Gute-Nacht-Geschichten" enthält, welche Erich Kästner seinem Sohn Thomas erzählt hatte. 1962-63 lebte Friedel Siebert mit Thomas in Küsnacht bei Zürich. Im Jahre 1963 erschien das Buch "Der kleine Mann". Im September 1963 kann Erich Kästner nach München zurückkehren, und im Januar 1964 zieht es auch Friedel Siebert mit ihrem Sohn dorthin. Vom Januar bis August 1964 kommt Erich Kästner zum zweitenmal nach Agra. Im Herbst 1964 zieht Friedel Siebert mit Thomas nach Berlin. Anfangts 1966 muss Erich Känstner noch einmal zur Kontrolle nach Agra. Ende April 1966 kehrt er nach München zurück."

Und als Einführung gibt es im Büchlein einen kleinen Kommentar von Horst Lemke. Ich glaube, das war der Illustrator seiner Bücher, nachdem der berühmte Walter Trier in der Hitler-Ära nach Kanada emigriert war, wo er genauso viel Erfolg hatte wie in Europa. Von dort illustrierte er noch einige Bücher für Kästner, das letzte war das Bilderbuch "Die Konferenz der Tiere". Dann starb er unerwartet. Lemke schreibt etwa über Kästner:

"Er liebte seine gewohnte Umgebung, sein Haus, seinen Platz am Fenster mit dem Blick in seinen Garten, die Schreibmaschine vor sich auf dem Fensterbrett, sein Café (ich glaube, es war das Café "Leopold"), in dem er jeden Tag zur gleichen Zeit erschien, um seine Korrespondenz zu diktieren, seine Taxifahrer, seine Nacht-Clubs."

"Kästner war ein stiller, ja ein schweigsamer Mensch, und es war nicht einfach, ihm näherzukommen oder gar seine Freundschaft zu gewinnen. Und je gefeierter er wurde und je mehr ihn Journalisten und durchreisende Bewunderer belästigten, desto zurückgezogener wurde er."

"Kästner fuhr nicht Auto, hat auch nie eines besessen, und als ich mir Sorgen machte, wie er zu unseren Treffpunkten kam, meinte er, ich solle mir mal keine Sorgen machen, bisher sei er immer noch dahin gekommen, wo er hinwollte. Und da er ein Gentleman war, immer sehr gepflegt angezogen und immer einen Homburg trug, und sehr grosszügig war, werden sich die Taxifahrer und Kellner von Lugano noch deutlich an ihn erinnern."

"Sein Café in Lugano, in dem er eigentlich jeden Tag erschien, las und schrieb, war merkwürdigerweise der Kursaal.

Merkwürdig, weil es ein besonders altmodisches Café war, im Stil der alten Grand-Hotels, mit einer grossen Terrasse und innen so gross wie eine besonders geräumige Bahnhofhalle. E.K. sass immer drinnen. Aber es hatte etwas von der alten Pracht der Côte d'Azur, wahrscheinlich liebte er das daran.

Den Kellnern war er in kürzester Frist vertraut, nicht nur wegen seiner Persönlichkeit, sondern auch wegen seiner fürstlichen Trinkgelder.

Ohne zu bestellen, wurde ihm ein Whisky im Teeglas serviert. Der Whisky war ihm wohl vom Doktor untersagt, aber er dachte gar nicht daran, von der liebgewordenen Gewohnheit abzugehen, genauso wenig wie er zu bewegen gewesen wäre, auf eine seiner starken Camel-Zigaretten zu verzichten".

"Wenige Jahre vorher hatte ihm seine Freundin einen Sohn geboren. Für ihn schrieb er dieses Buch, für ihn erfand er Mäxchen Pichelsteiner. Dass Mäxchen klein war, so klein sogar, dass er in einer Streichholzschachtel schlafen konnte, war auch kein Zufall: Kästner war auch klein, und er hat bei vielen Gelegenheiten betont, dass die meisten grossen Männer, Alexander der Grosse, Cäsar, Friedrich der Grosse, Napoleon, nur als Beispiele, klein von Statur waren."




"Unsere Treffen beendeten wir meistens in dem Café Ristorante San Gottardo, hundert Meter vor dem Sanatorium, das häuptsächlich von Patienten und Besuchern bevorzugt wurde. Dort war am Abend munteres Treiben, und es war schön mitanzusehen, wie beliebt Kästner bei allen Patienten war, trotz seiner stillen, zurückhaltenden Art. Und da waren sicher auch Leute darunter, die sonst nicht seine Kragenweite gewesen wären, aber er war zu allen freundlich. Und wenn er sich zu einem Gespräch nicht äussern wollte, pflegte er nur ein gedehntes "na - ja" zu sagen, und für ihn war der Fall erledigt, und er nahm noch einen kleinen Schluck aus der Whisky-Teetasse".

Soweit also Lemke, in seinem einführenden Kommentar. Und das ein Briefbeispiel Kästners vom 12. 4. 62 aus Agra:

"Meine Doppelschätze, mein Wiesengrund, verehrter Herr Napfkuchen (damit meint er spielerisch seien Sohn Thomas), liebe Frau Venusbruuust,

ich sitze beim Toni und denk an Euch. Und schreib ein paar Zeilen. Den Brief, mit einem Schein beschwert, werf ich dann am Nachmitag in den Briefkasten beim Vanini (Piazza di Riforma). Anschliessend spazier ich zu den Zitronenbäumchen im Kurpark. Dann setz ich mich in den Kursaal und mach Notizen, da stört mich die Kapelle überhaupt nicht. Na ja, und gegen 19h greif ich mir ein Taxi und rutsch wieder nach oben. Venedey ist noch krank. Stattdessen macht der Chefarzt, der "steile Erich", Visite, mit seinem vor lauter Hemmungen strengen Gesicht.

Heute war Badetag, und ich bin aufs zweckloseste sauber wie ein frisch ins Bett gebreitetes Frottiertuch.

Wenn ich mir die Notizen anschaue, die ich in den letzten Tagen gemacht habe, stell ich fest, dass man das nie im Leben drucken kann! Nun, ich mach sie trotzdem. In Stenografie. Zur Pflege des Gedächtnisses.

So. Jetzt hops ich auf den Balkon und spiele Liegekurfürst.

Viele Küsse

Euer Erich

Und Papa



Samstag, 6. April 2024

Hans Blix - eine gewissenhafte Figur



Liebe Marlena
Merci für den Artikel über Hans Blix. Lange hatte ich nicht gewusst, dass er Schwede sei. Und im Fernsehen, wenn immer ich diesen Mann mit seinem Hut und seiner durch und durch soliden, bürgerlichen Erscheinung gesehen habe, fand ich ihn lustig. Das hing auch an seinem Namen. Es klingt alles so gewöhnlich, sieht so gewöhnlich aus, und dabei geht es hier um nichts weniger als um Krieg und Frieden. Diesen Zusammenhang habe ich immer ziemlich krass gefunden. Doch wahrscheinlich müssen wir von Glück reden, dass wir eine solch unscheinbare, aber gewissenhafte Figur haben, die in diesen sensiblen Bereich zwischen den Kanonen arbeitet. Es gibt ja zwei Typen von Menschen: es gibt die Blender, die grossartig erscheinen und die Welt mit eloquenten Worten für sich einnehmen. Und es gibt die bescheidenen Typen, die sich zurückhalten, die dann aber im Hintergrund Grosses leisten. Ich glaube, Blix ist von der zweiten Sorte. Und wir hoffen alle, dass er seine Arbeit für uns alle gut macht und sich von den Iraqis nicht an der Nase herumführen lässt.

Ich kenne diese Menschen aus dem Mittleren Osten ein bisschen. Sie haben in ihrem taktischen Verhandlungsgeschick einfach ein breiteres Register, als wir Westler es tun. Das hängt meiner Meinung nicht zuletzt damit zusammen, dass sie über eine andere, integralere Logik verfügen. Wir Menschen aus dem Westen sind ja doch sehr beeinflusst und geprägt von der naturwissenschaftlichen Logik, von klaren und distinkten Ideen und der Unterscheidung wahr und falsch. Das alles haben die Orientalen viel weniger. Während wir sozusagen in grossen, autobahnähnlichen mainstreamartigen Bahnen denken, denken sie in kleinen Pfaden und Abkürzungen und Umwegen quer durch das Gelände und Gebüsch. So erreichen sie ihren Punkt schneller als wir den unseren. Wir haben immer wieder den Eindruck, sie würden uns hintergehen.

Denk an die Gefühle, die uns in einem orientalischen Bazar aufkommen.  Wir ...


(jan. 2003)

Nochmals Mr. Blix

 

Liebe Marlena 
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Gestern habe ich nochmals Mr. Blix im Fernsehen

gesehen. Er scheint ein mutiger Mann und es gefällt
mir, wenn er den Amis ein bisschen auf die Zehen tritt.
Er wird im Juni in Pension gehen, hat er offenbar
irgendwo geäussert, und hat die Absicht, sich in sein
Ferienhäuschen zurückzuziehen. Der Glückliche! Er
hatte wirklich eine Herkules-Mission zum Schluss
seiner Karriere. Und er hat als David zwischen den
übermächtigen und arroganten Goliaths sein Bestes
daraus gemacht. Jetzt geht er bald in sein Refugium.











Ich stelle mir sein Ferienhäuschen vor an einem
menschenscheuen schwedischen See mit tintiger
Wasserfläche, umgeben von schwarzen Wäldern
voller neugieriger Grizzlis. Und über dem Eingang
des einfachen Blockhauses,...  die Jagdtrophäe,
das stattliche Riesengeweih eines Elchs, das in der
Hütte die bösen Geister fernhält. Mr Blix wird nicht
daran glauben, aber er weiss, ein solches Geweih
wirkt auch bei Ungläubigen. Er wird die Zeit der
bösen Geister definitiv hinter sich haben.
*

Ich bin unterbrochen worden. Und mittlerweile ist
es schon bald 11.00h. Ich will also, wie versprochen,
diesen Text in die Mühle geben, ...
Mit einem lieben Gruss zum schönen Tag.



Re:  Nochmals ...

Lieber ...,
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Schade, dass du unterbrochen wurdest. Müsstest eigentlich ein Schild an die Tür hängen:

Marlena-time, bitte nicht stören!

 












Ich glaube nicht, dass sich Blix ein Elchgeweih aufhängen wird. Für uns sind Elche etwas ziemlich alltägliches und wir verstehen nicht die Deutschen, die ganz verrückt sind nach diesen Tieren. Sogar unsere Verkehrsschilder mit Elchen drauf stehlen sie.
Aber sicher hat Blix ein schönes Sommerhäuschen irgendwo an einem See oder an der Küste. "Il faut cultiver notre jardin!" Wie recht er hatte, Voltaire. Das ist eine Beschäftigung, die einem im hohen Alter noch Freude machen kann.

Donnerstag, 4. April 2024

Die Zeit der IRONIE und Handke ...

 (R)

...einer der wenigen Anti-Ironiker, heute mit dem Nobelpreis    ausgezeichnet

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Gerade lese ich einen Artikel, dass die Zeit der IRONIE vorbei sei. Soll ich ein bisschen ausholen? Das lenkt uns vielleicht ab.

Ironie und Moderne gehören zusammen. Sie sind ein Zwillingspaar. Es gibt im 20. Jahrhundert kaum einen Schriftsteller von Rang, der sich als unironisch bezeichnen liesse. Das vergangene Jahrhundert hat bombastische, hybride und teilweise verheerende Weltveränderungen gebracht. Aber im Geistigen war es in einer diametral entgegengesetzten Tonart. Es war ein Zeitalter der Verstellung, der Untertreibung, der Verkleinerung, kurz: der Ironie. Den programmatischen Auftakt bildete 1903 die Novelle von Thomas Mann "Tonio Kröger". Für das Adjektiv unironisch findet der junge Autor ein ganzes Arsenal von Synonymen: pathetisch, sentimental, schwerfällig, täppisch-ernst, unbeherrscht, ungewürzt, langweilig, banal. Er nennt 9 Ausdrücke für das Unironische, und das Unironische selbst steht in der Mitte zwischen unbeherrscht und ungewürzt. Die Kette ist aufgebaut nach einer Art Antiklimax, vom Pathetischen herabstürzend zum Banalen.

Aber das Ironische war schon zu Manns Zeiten ein alter Hut, gut hundert Jahre alt. Und bei Tonio Kröger fehlt der Begriff "unmodern". Denn Moderne und Ironie gehören zusammen. Ironie ist nach der Französischen Revolution in Mode gekommen. Sie war als methodisches Instrument und geistige Haltung natürlich viel älter. Wurzeln gehen zurück bis Sokrates, Cervantes, Diderot, Sterne und vielen anderen. Aber erst mit der Wende zum 19. Jahrhundert wurde Ironie zur privilegierten und beliebten Ausdrucksform der Elite. Es gab auch Skeptiker. Nietzsche meint, sie verderbe den Charakter, sie gleiche einem bissigen Hund, "der noch das Lachen gelernt hat, ausser dem Beissen". Und Kiergegaard nennt sie ein "Niezuendekommen in negativer Freieit" ein "Herumirren im Nichts". Kundera nennt den Roman als die ironische Kunst schlechthin. Und er Zitiert Sciascia: "Nichts, was schwieriger zu verstehen wäre, nichts, was weniger zu entziffern ist als Ironie". Doch jeder monderne roman zeichnet sich aus durch seine "ihm wesensgemässe Ironie". Das ist die offizielle Lesart der klassischen Moderne, von Mann über Kafka, Musil, Broch bis zu Green, Brodkey. Es ist eine Cheflinie, eine Geisteshaltung einer bildungsbürgerlichen Elite. Doch mittlerweile ist sie in die Defensive geraten. Das junge Feuilleton spricht geradezu veräntlich vom "Ironiekult", dem endlich ein Ende gemacht werden müsse.

Schön und gut, doch was ist das Gegenteil von Ironie? Man hat sich in der begrifflichen Not auf das "Pathetische" geeinigt. Sie steht bei Thomas Mann auf Platz eins. Das Pathetische, der sogenannte hohe Ton, scheint seit Schiller ziemlich ausgestorben. Das Pathetische und das Ironische unterscheiden sich vor allem in ihrem Verhältnis zum Schmerz.

Einer der wenigen Anti-Ironiker ist Peter Handke. Er hat sich in den 80er Jahren notiert: "Vermeide das Ironische; es zeigt deine Verletztheit (...) suche den Ernst". Denn Ironie ist ein Mittel, Abstand zu schaffen, sich zu verstecken, Schmerz und Verletztheit zu leugnen. Und nach handkes Dialektik zeigt man eine Wunde gerade dadurch, dass man sie geflissentlich zu verstecken sucht.

Zur Leidenschaft hat der moderne Mensch ein gebrochenes Verhältnis. Er stellt sich gönnerhaft neben sie, belächelt sie milde: das ist eine klassische Thomas Mann Attitüde. Dessen Antipode ist Kafka. Martin Walser erkennt bei ihm das Begriffspaar "Mitleid und Furcht". Bei Kafka vermischen sich pathetische und ironische Elemente auf brisante Weise. Sie provozieren Reaktionen von Lachen, Heulen bis Zähneknirschen.

"Eine unheimliche Begleiterscheinung des ironistischen Zeitalters des menschlichen Selbstverständnisses besteht darin, dass in ihm die Menschen verlernt haben, zu weinen", sagt Hermann Schmitz. Weinen befreit. Es ist in erster Linie ein physiologischer Affekt, weniger eine geistige Tat.

Lachen befreit auch. Und einer der Endzwecke der Ironie ist gerade das Lachen. Aber Ironie irritiert.

Wenn also Pathos, Ernst - im Sinne Handkes - die Nachfolge von Ironie antreten würde, wäre das nicht die schlimmstmögliche Wendung. Pathos und Ernst könnten auch Gegengifte sein gegen die Infantilisierung durch ubiquitäre Entertainment in der Gesellschaft.
...

GKH
...








Mittwoch, 3. April 2024

Blick duchs Fenster

 


3. April 2024

und 


8. April 2022



Schneeee..!