Montag, 30. Dezember 2024

Silvester

 



Liebe Marlena

Heute ist Silvester. ...
Ich habe mir für das neue Jahr versucht, einige gute Vorsätze zu machen. Das ist neu. Ich habe das in meinem ganzen Leben nicht wirklich getan. Mein Leben stand eher unter dem Motto: was kommt, das kommt. Das ist eine Art von Schicksalsergebenheit, mit der ich gar nicht schlecht gefahren bin. Aber ich glaube, das ist eine altmodische Art, das Leben zu nehmen. Ich denke, wer modern ist, der fühlt sich stärker als Regisseur seines eigenen Lebens. Man soll sich das Leben erdichten, sagen die Spezialisten. Und das werde ich tun! Ich muss bloss versuchen, mich dazu zu motivieren.
(... )


Re: Silvester


Lieber ...,
---
Wie schön, deine guten Vorsätze für das neue Jahr. Es klingt irgendwie ermutigend und schenkt sicher ein Gefühl von Geborgenheit. Vorsätze als Stützen auf dem Weg durchs Leben.
Und du sagst, das ist modern? Dann bin ich früher modern gewesen. Doch jetzt denke ich eher, wie du es früher getan hast: Was kommt, das kommt. Ich glaube, dass der Zufall unser Leben regiert. 

Vor ein paar Tagen habe ich einen interessanten Film gesehen. Anna und ich hatten ihn schon früher gesehen, aber wir wollten ihn beide nochmals sehen. Er zeigt sehr deutlich, was ich meine.

"Wie wäre mein Leben gewesen, wenn..."
In diesem Film werden zwei parallele Leben einer hübschen jungen Frau geschildert. Und alles hängt vom Zufall ab, von ein paar Sekunden. Es ist sehr geschickt dargestellt. Kennst du den Film? "Sliding doors"


Sliding doors
Two different universes unfold in this fantasy about alternate realities,
the reliability of subway schedules and fate's role in shaping lives.




Samstag, 28. Dezember 2024

Mitternachtsblues..

Liebster Mausfreund,

Danke für dein schönes Mail. Es hat mich sehr gefreut dass du mir heute noch geschrieben hast denn es ist eine ziemlich trostlose Zeit und ich brauchte ein bisschen Ermunterung. ;

Du hast mir von Sartre und Simone de B. erzählt und so habe ich eine alte Videokassette hervorgesucht mit einem Dokumentar (über Simones Leben und besonders ihre Liebesgeschichte mit einem Amerikanischen Schriftsteller, Algren. Sie hat diesen Mann sehr geliebt und vielleicht war es das erste Mal dass sie eine richtige Lieber erlebte. Und dabei hat es mich gewundert dass sie ihn nach 14 Jahren plötzlich verlassen hat um zu Sartre zurückzukehren "weil er sie brauchte". Später hat sie dann sogar zwei Liebesbriefe von Algren in ihren Memoiren veröffentlicht was ihn sehr verletzt hat. Du sagst Sartre und Simone haben sich von ihren Liebschaften erzählt. Haben wir beide je etwas ähnliches getan? Nein, das glaube ich nicht. Ich würde mich nie mit einem Mann über das Privatleben eines anderen Mannes unterhalten. Auch nicht mit einer Frau. Aber es freut mich, wenn du meinst, ihr Verhältnis erinnert dich ein wenig an unsere Mausfreundschaft. Ich glaube sie waren tief miteinander verbunden und sind es ihr Leben lang geblieben. Du hast recht. Er ist wirklich nicht schön. Muss denn ein Mann schön sein?
*
In Gedanken sehe ich dich mit der "explosiven" Torte in der Hand durch die Strassen gehen und ich muss schmunzeln. Ein so hohes ehrwürdiges Alter hat dein Onkelchen schon erreicht? Sicher habt ihr seinen Geburtstag richtig schön gefeiert.
Wenn du mir was von ihm erzählst, denke ich immer an meinen eigenen geliebten Grossvater und an meinen wunderbaren Schwiegervater. Beide waren etwas ganz besonderes und ich vermisse sie immer noch.
*
Erinnerst du dich, dass du noch vor ein paar Wochen von einer neuen "veränderten Welt" gesprochen hast? Und nie hätten wir wohl ahnen können, wie sehr sie sich mit einem Schlag verändern würde. Unsere Erde ist auf einmal eine weniger schöne Stelle geworden. Wenn ich den blinden Hass in den Augen der religiösen Fanatiker sehe, dann kriege ich Angst. Nicht nur vor ihnen, sondern vor meiner Reaktion auf diese Bilder. Warum ist es so schwer, ein guter Mensch zu sein?
(---)

So mein lieber ... Ich lasse dich nun (Je te laisse). Schreib mir bald wieder.
Ich freue mich schon darauf.
Love
Marlena


Freitag, 27. Dezember 2024

Re: ok ok

 Liebe Marlena

Oh Gott, so beginnst Du. Das verspricht einige Erschütterung, wenn nicht gar Leidenschaft. Und in der Tat wird es so etwas wie eine fulminante Verteidigungsrede.
Aber es ist doch durchaus möglich, dass etwas von innen anders aussieht wie von aussen!
Wenn ich sage, Du handelst oder schreibst clever, meine ich das nicht schlecht oder hinterlistig, sondern eben clever. Vielleicht bist Du eben unabsichtlich clever. Das ist ja durchaus möglich bei einer intelligenten Person. Ist sogar wahrscheinlich, dass man intuitiv sehr clever sein kann. Das glaube und hoffe ich. Soviel verspreche ich mir von der Intuition doch sehr. Intuition ist eine Art, sehr umfassend zu kalkulieren, dh. sehr viele Faktoren in die eigene Aktion einzubeziehen. Intuition ist oekologisch sozusagen. Ich glaube, dass ich sehr oft intuitiv reagiere. Manchmal auch mit schlechtem Gewissen und mit viel Erklärungsnot gegenüber Mitmenschen und Mitarbeiter. Wenn Du es nicht magst, ich hoffe doch sehr, ich selbst sei ein bisschen clever. Vielleicht hörst Du aus dem Wort Egoismus? Das meine ich nicht unbedingt.
*


Zur Zeit lese ich ein kleines Büchlein über Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Das sind zwar tempi passati, aber es ist doch ganz amusant, denn Sartre war in meiner Jugend DER grosse Philosoph, den wir alle bewunderten. Ich habe sein Hauptwerk "L'être et le néant" mit einiger Hingabe gelesen, mindestens doch einige Kapitel angelesen. Er war mir aber weniger verständlich als Heidegger.
Doch was ich sagen wollte: Wenn ich über das Verhältnis der beiden lese, dann geht mir da und dort unsere Mausfreundschaft durch den Sinn. Es ist mittlerweile einiges aus ihrem Nachlass aufgetaucht, was man früher nicht wusste. Die beiden haben nach ziemlich kurzer Zeit absolut platonisch zusammengelebt und sich ihre auswärtigen Liebschaften in allen Details genüsslich erzählt oder geschrieben. Sie haben sozusagen aus Entfernung Nähe hergestellt. So ist ihre petite famille entstanden. Simone musste sich allerdings für dieses Lebensprojekt von ihrer eigenen Familie loskämpfen. Und ihr adeliger Vater hat seine Tochter offenbar erotische "Hure dieses Wurms" genannt. Sartre war in der Tat hässlich wie ein Wurm. Und wer so hässlich ist, muss sich im Leben doppelt anstrengen. Hat er gemacht, mit einigem Erfolg.

*
Ja, ich habe die Flasche doch noch gefunden. Sie lag wirklich ganz zuunterst und versteckt. Deine Begründung ist "gut", um (diesmal) nicht zu sagen "clever".
Eigentlich ist es lustig. S mag es auch nicht, wenn ich irgend ein Vorgehen, eine Art, wie sie etwas angepackt hat, "clever" nenne. Sie hat genau dieselben Vorbehalte wie Du, indem sie sagt, das sei nicht Berechnung, das sei nicht (hinterlistige) Raffinesse -- was ich damit eigentlich nicht gemeint hatte. Ein Mann würde "cleverness" sofort als Kompliment akzeptieren. Why are women not more like men? (Dr. Higgins in my fair lady).
*
Heute feiern wir Onkelchens Geburtstag, sage und schreibe 95 Jahre. Er hat allerdings erst am Mittwoch seinen Tag. Aber am Mittwoch können wir nicht hinfahren. Ich habe heute morgen eine Ste Honorée Torte in Basel geholt. Das ist so was wie süsse Luft, mehr Imagination als wirklich etwas Substanzielles zwischen den Zähnen. Aber die Conditorei in Basel ist berühmt dafür. Ich musste das Ding gestern bestellen und habe es heute wie eine Bombe vor mich her haltend heimtransportiert.
*
Ich beneide Dich um die zwei freien Tage. Und wenn das Wetter so schön und mild ist wie bei uns, beneide ich Dich aus tiefstem Herzen. Es ist die Zeit für gemächliche Wanderungen in der Nachmittagssonne, in den Alleen, wenn die Blätter treiben. Oder um im Garten Laub zusammen zu rechen? Auf jeden Fall ist die Luft voller Melancholie, und ein Schluck Ermitage mit frischen Nüssen wäre echt eine Medizin.
*
Mit einem lieben Gruss von Deinem klugen Kopf
...


Dein ceterum censeo habe ich nicht übersehen, aber ich kann es von hier aus
wirklich nicht öffnen. Ich muss es zuhause versuchen. Geduld, meine liebe,
ist die Mutter grosser Dinge.

Nicht nur seelisch..


Lieber ...,

Oh Gott, wie weit du dich von meinem ursprünglichen Bild von dir entfernt hast.. das erste also. Gerade weil du so klug erschienst, so "unverdorben" ;-) bin ich hängengeblieben, oder wie man sagen soll. Und nun kommst du mir mehr harroisch vor als Harro selbst und ich weiss nicht mehr richtig, wer du eigentlich bist.
Geistesabwesend war ich vorige Woche??? Willst du mich ärgern? Oder beherrsche ich meine Sprache so schlecht, dass du nicht spüren kannst, wie anwesend ich bin??
Und clever. Wenn du damit meinst, dass ich kalkulierend bin, dann ist das ganz falsch. Ich weiss dass es Leute gibt, die sich ein Ziel vorsetzen und dann ziemlich tricksen, um es zu erreichen. So bin ich nie gewesen. Bei mir geschieht das meiste etwas unbewusst. Wenn ich mal einen Erfolg habe, was mir im Beruf öfters passiert ist, dann bin ich irgendwie darüber gestolpert und wusste meistens nicht, wie ich dazu kam. In der Liebe würde ich auch nie List verwenden. Entweder liebt man mich oder man lässt es sein. Es hat nichts mit mir zu tun. Schau, ich habe Männer gekannt, die alles hatten, was man sich von einem Partner hätte wünschen können. Ich habe es deutlich gesehen mit meinem Verstand und ich wusste, dass ihre Gefühle für mich sehr tief waren und trotzdem konnte ich mich nicht in sie verlieben. Sie hätten diese Tatsache nicht ändern können.
Aber wie bin ich denn auf dieses komische Thema gekommen? Und wenn ich sehe, was ich hier geschrieben habe, dann scheint es ja beinahe, als wäre ich richtig böse was doch nicht der Fall ist.
*
Es riecht ganz wunderbar hier. Zeit zum Abendessen. K hat schon seine Weinflasche(n) aufgekorkt. Ach, ja! Hast du sie nicht gefunden? Ich hatte sie ganz unten im Korb flach gelegt, damit du das andere auch beachten solltest...




Man rezensiert den neuen Film "Moulin Rouge". Und man sägt ihn total, "an den Fussknöcheln" wie wir sagen, nur um dann am Ende zu sagen: "Es gibt gute Gründe diesen Film nicht zu mögen. Dass man ihn trotzdem liebt beruht auf einer Variante von Einsteins Relativitätstheorie die sagt, dass die Geschmacklosigkeit, wenn sie weit genug getrieben wird, sich selbst überwindet und zu einer Qualität wird."

Ich wünschte mir dasselbe von diesem Mail.
Mit einem lieben Samstagabendgruss
Marlena

Ceterum censeo fotofolder... esse!

1 Kommentar:

  1. Ein guter Schlagabtausch!!! Wie schnell es manchmal geht, wenn Worte missverstanden werden.Aber die Ausräumung solchen Missverstehens wirkt reinigend im gesamten Gemüt, lächel... sooo fein... ich sauge deine Gedanken auf...

    Habt ein gutes Wochenende (ich schließe deine Anna mit ein!)
    LG, Edith

Dienstag, 24. Dezember 2024

An alle lieben Leser





God Jul

Frohe Weihnachten

Merry Christmas

Joyeux Nöel

メリークリスマス

聖誕快樂

.



Samstag, 21. Dezember 2024

Samstag Abend

 


Lieber ... ,

Wie schön du über die Schneelandschaft aus deiner Jugendzeit schreibst. Auch ich erinnere mich sehr gut an die Winter in meiner Kindheit. Sie waren richtige Winter mit strahlend weissem Schnee. Und im Winter nahm man nicht das Fahrrad, wenn man wohin wollte, sondern diese typisch schwedischen Schlitten. Er wurde von alt und jung benutzt. Damals streute man weder Salz noch Sand auf den Strassen und man konnte gut und schnell vorwärts kommen mit diesen Dingern. Heute sieht man sie garnicht mehr in unserer Region. Vielleicht gibt es sie noch oben im Norden.


Heute bin ich durch eine blendend weisse Winterlandschaft zu Anna hinuntergefahren. Du weisst, wenn auch die Bäume ganz von Schnee bedeckt sind. Und ich dachte, genau so sehen sie aus, die Ansichtskarten, die man so kitschig findet. Warum tut man das?

Das Zusammenpacken von all dem was Anna mitnehmen sollte nach Hause hat länger gedauert als geplant und so sind wir erst gegen halb vier, als es schon dunkel war, losgefahren. Uh, ich mag es nicht bei solchem Wetter dauernd geblendet zu werden von grossen LKWs, die einem dann außerdem die Windschutzscheibe vollspritzen so dass man ein paar Sekunden ganz ohne Sicht ist. Aber wir sind gut zu Hause angekommen... hungrig wie Wölfe. Aber ab morgen wendet es sich und die Tage werden wieder länger.

Wir werden uns morgen einen Baum besorgen. Das ist immer ziemlich harte Arbeit. Eben weil wir etwas Perfektes suchen. Habt ihr auch einen Weihnachtsbaum zu Hause bei dir?

Und dann werde ich es ruhig nehmen.. take it easy.. nur das machen wozu ich im Moment Lust habe. Vielleicht doch einen richtigen Stollen backen. Es gehört irgendwie dazu.
(---)

Ich grüße dich lieb und wünsche dir einen schönen Tag.

Malou






Freitag, 20. Dezember 2024

Ach, mein lieber Mausfreund

.. wenn du von deiner neuen Wohnung erzählst, dann spüre ich sogar das Glück, das damit verbunden ist. Ich sehe sie schon vor mir. Viele Bücherschränke, ein wunderbares Fauteuil mit guter Lesebeleuchtung und natürlich ein bequemes Bett. Und ein guter Computer für unser Mausleben. :-)

Kannst du dir Dinge von zu Hause mitnehmen? Oder musst du alles neu kaufen? Und deine Bilder?
Übrigens, in dem Film "House of Sand and Fog", den ich dir empfohlen habe, hatten fast alle Bilder des iranischen Paares solche dicke Goldramen, und auch die meisten Bilder der Impressionisten waren damit versehen.



Wenn du noch Dinge gemeinsam mit S machst, miete dir doch den Film auf DVD und sehe ihn dir mit ihr an. Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.

Ich mache jetzt eine kleine Pause. Will mir etwas zu essen machen. Doch ich komme nochmals vorbei heute Abend.

Bis dahin alles Gute,
Mit lieben Gs und Ks
Malou

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Schon spät...


Lieber ...

(---)

Gute Nacht, mein lieber Mausfreund. Lass dich nicht stören von dem Frauengelächter. Je älter Frauen werden, desto lauter lachen sie. So als müssten sie ihre Trauer über die Vergänglichkeit verbergen. Oder auch haben sie nur festgestellt, dass ihnen Lachen besser steht als Mundwinkel, die herunterhängen. ;-))

Kuss
Malou
<

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Re: für und gegen Ameisen

 


das Bild


Ämne: Re: für und gegen Ameisen
Datum: den 15 juni  08:49

Liebe Marlena
Ja, ich glaube, ich weiss doch einigermassen, was Du mit dieser Attacke der Ameisen meinst. Und ich glaube auch, dass Du recht hast. Ich merke das zwar meist nicht bei mir selbst, sondern bei meinen Mitarbeitern.Die Männer haben eine Tendenz, aus jeder kleinen Frage gleich ein Indizienprozess mit grossen Worten zu machen. Dazu kommt mir jenes Bild von Rubens in den Sinn, welches ich vor 20 Jahren einmal kopiert habe. Du hast mir davon mal ein Bild geschickt. Dort sind die Männer mit schimmernden Rüstungen und Helmen bekleidet, während die Frauen und Kinder mehr oder weniger nackt in der Natur herumstehen und agieren. Ich glaube, die Barockmalerei - und nicht nur sie - übt eine raffinierte Faszination durch diesen Kontrast zwischen kaltem Metall und warmem Fleisch. Und das ist es doch, was Du in der Diskussion beobachtest.
Nun ja, wenn ich das sehe, dann bin ich sozusagen in der neutralen und distanzierten Position des Zwitters. Als Mann unterliege ich diesen kulturellen Schemata natürlich jederzeit. Das weiss ich auch. Ich kenne die geheime Lust, eine solche Diskussion vom Zaune zu reissen. Und wenn immer es geschieht, dann erinnere ich mich im Stillen an die Zeit des Gymnasiums und der Universität, wo man diese Art des Kampfes gelernt und eingeübt und immer wieder durchgespielt hat.
Um das hübsche Bild mit den Ameisen aufzunehmen, liebe Marlena, so muss man sich die Sache doch so vorstellen: Die Ameisen, die daherkommen, und vor denen Du fliehen möchtest, um nicht gebissen zu werden, diese Ameisen kommen aus einem dunkeln Versteck. Und wenn Du genau beobachtest, siehst Du, dass sie aus der Rüstung des Mannes krabbeln. Aus allen Ritzen und Öffnungen klettern sie heraus und suchen sich ihren Weg. Und wenn Du Dich dann von Deinem Schock etwas erholt hast, dann wirst Du Dir vorstellen können, wie es sich innerhalb einer solchen Rüstung anfühlen muss. Das ist ein veritables Ameisennest dort drinnen. Das ist der Horror per se. Und trotzdem singt Prefessor Higgins in "My fair lady" "weshalb können Frauen nicht mehr sein wie Männer?".
*
Interessant, welche Eigenschaften Anna für die Zukunft empfiehlt. Das eine kann man überigens ungefähr mit "Stresstauglichkeit" übersetzen. Finde ich in der Tat eine wichtige Eigenschaft. Am meisten hat mit "Quellenkritik" verblüfft. Ich halte das zwar eher für eine Fähigkeit denn eine menschliche Eigenschaft. Aber es ist richtig und von einem jungen Menschen gedacht, der sich im Internet auskennt. Ich pflege statt dessen die Eigenschaft der Entscheidungsfähigkeit in den Vordergrund. Ich glaube in unserer Welt der zahllosen Möglichkeiten ist es eine wichtige Überlebensstrategie, rasch und instinktsicher zwischen Ja und Nein entscheiden zu können. Und ich würde jetzt - zu meiner Ehrenrettung - die Quellenkritik unter die Entscheidungsfähigkeit nehmen.
(Da siehst Du Marlena, ich brauche das Wort "Ehrenrettung". Ich habe das Wort an sich zwar spielerisch gemeint, so als eine Art zu reden, aber genau genommen kommt es aus jenem gesellschaftlichen Spiel der gerüsteten Männer und der nackten Frauen. Doch jetzt genug der Selbstbezichtigung!!!)
Im Übrigen möchte ich Anna 100% zustimmen. Und gerade die Eigenschften und Kompetenzen, der Kreativität, der Offenheit, der sozialen Fähigkeiten und der Flexibilität verlangen ein Selbst, das kohärent, aber doch nicht statuesk mit sich selbst identisch ist. Das moderne Subjekt braucht eine lockere Oberflächenstruktur, um sich in dieser verrückten Welt leicht ein- und ausklinken zu können. Die Rüstung ist dafür absolut ungeeignet. Mit einer Rüstung steht man ziemlich steif und den unüberblickbaren Kräften hilflos ausgeliefert in der lebendigen Landschaft.
*
Ach, und was Du über die Jesuiten sagst, und über die Frage des glücklichen Lebens, womit wir wieder bei Epikur wären, das kann ich im Moment einfach nicht beantworten.
Ich wünsche Dir ein gutes Wochenende. Du bist glücklich und geniesst die schöne Zeit, das merkt man durch Deine Zeilen.
Mit G+K

Lieber fliehen als schlecht kämpfen

(R) 




Ämne: Bättre fly än illa fäkta..


(ungekürzt)



Dienstag, 17. Dezember 2024

Anacapri und Axel Munthe




Lieber ...
Ich merke, dass du noch immer die Sonne des Sommers in dir trägst, und auch bei mir ist es so. Und vielleicht ist es auch dieses einmalige Buch, von dem ich mich nicht trennen kann und das ich nun schon zum dritten Mal geliehen habe. Das Buch über Axel Munthe und Capri/Anacapri. Es enthält ausser dem wunderschönen Text auch viele alte Fotos und Bilder, die verschiedene Künstler von dieser schönen Insel gemalt haben. Auch viele antike Skulpturen sind abgebildet. Du weisst dass Kaiser Tiberius das Römerreich von dort aus regiert hat.
Ich werde dir hier eine kleine Kostprobe aus dem Buch geben. Musst mir verzeihen wenn ich es nicht immer so gut übersetzen kann. Es ist etwas poetisch geschrieben und da geht leicht etwas verloren wenn man es wörtlich übersetzt:


"Wenn sich die Zugvögel im Herbst südwärts begaben, ergriff das Reisefieber auch deren alten Wohltäter, der von Krankheit gebunden in der Königsburg von Stockholm sass. Er sehnte sich, wohl mehr glühend (inbrünstig) als sich je ein lebendiges Geschöpf gesehnt hat, nach der blau schimmernden Insel im Mittelmeer, wo er zum ersten Mal als 18-jähriger an Land gesprungen war, als die Welt jung und schön war und die Sonne lächelte über das Spiel der Kinder im Wellengeplätscher. In den langen von Plagen durchwachten Nächten lag er und machte unzählige Reisepläne, die bloss in Trümmer gelegt wurden, wenn der Morgen mit seiner bitteren Wirklichkeit kam. Das Alter, welches nicht mit seiner frischen (rüstigen?) Seele fertig wurde, machte bloss seinen Körper schwerer und schwerer. Schliesslich musste auch die Sehnsucht resignieren.
Die Farben des Herbstes hatten um seine Wiege geschimmert in dem schönen Småland, aber es war im frühen Frühling, den man im Norden kaum noch ahnen kann durch die Finsternis des Winters, als er über die Grenze zu dem Unbekannten ging. Am 11 Februar 1949 starb Axel Munthe, über 91 Jahren alt. Unten in seinem geliebten Anacapri brannten schon alle Blumen des Frühlings. An den Hängen kletterte der Wildkaprifol, Millionen von Anemonen kleideten die Berge violett. Fiori belli! Die Morgensonne leuchtete über die Kapelle von San Michele, die Abendglocken in der Materia Campanile läuteten Ave Maria, während der Abendwind in den Zypressen flüsterte. Die Stimme des Meeres verstummte angesichts der Nacht, wie auch die Singvögel. Aber ihr Beschützer kam nie wieder. Er hatte eine andere Reise begonnen, die letzte."

Montag, 16. Dezember 2024

Re: Vorbild


Lieber ...,

(---)

Ja, ich habe geahnt, dass du nach einem Vorbild suchst. Deswegen habe ich dir ja auch die Portraits von Vollard * geschickt. Dort konntest du gut sehen, wie verschieden ihn die Künstler gemalt haben. 

Manet oder Monet. Ja, vielleicht haben sie sich einen Spass erlaubt. Ich hatte immer Probleme die Namen auseinanderzuhalten. Siehst du, nun hast du mich verleitet in Mark Harden's Archive zu gehen um mir nochmals die schönen impressionistischen Bilder anzusehen.
http://www.artchive.com/ftp_site.htm
Und du magst Soutine? Ich habe ihn nicht gekannt aber jetzt habe ich mir einige Bilder von ihm angesehen. Ich lege sie dir in Fotofolder. Na ja, schön???

Ich muss mich an die Arbeit machen. Es verlangt ein bisschen Selbstdisziplin um nicht einen solchen Tag in Freizeit zu verwandeln.

Ich grüsse dich lieb,
Mit G's und K's 

 Malou

*

Vollard  gemalt von  Bonnard, Picasso, Renoir und Cezanne

bonnard.jpg

picasso.jpg

Renoir.jpg

Cezanne.jpg

 

Samstag, 14. Dezember 2024

Merci Ivana

 Liebe Malou

Ich hatte bloss gedacht, du hattest mir doch vor Jahren das entscheidende Stichwort "BUEGELN" geliefert. Bestimmt erinnerst du dich. Was dir jetzt zum Namen Ivana einfällt, ist schon sehr gut. Ich habe mittlerweile eine Zeichnung. Wenn ich Zeit habe, schicke ich dir eine Kopie. Die Kolorierung gefällt mir zwar nicht besonders, und ich bin heute echt früh aufgestanden in der Meinung, ich mache eine neue Zeichnung. Aber als ich sie heute morgen nochmals angeschaut habe, dachte ich, das sei doch ok. Ich meine, der Aufwand wäre einfach zu gross. Und als Amateur muss man eben ein Auge zudrücken. Man neigt ja dazu, zuviel Arbeit zu machen, zu detailliert zu arbeiten, die Grosszügigkeit vermissen zu lassen. Das merke ich immer wieder. Die besten Dinge kommen unter einem gewissen Zeitdruck zustande, und nicht dann, wenn man beliebig Zeit hat. Das finde ich merkwürdig und irgendwie auch tragisch. Aber es ist nun einmal so.



Na ja, schau mal das Bild. Dein dynamischer Rock ist schon mal richtig. Das Bild erinnert vielleicht ein bisschen an den Rattenfänger von Hameln. Bestimmt kennst du die Geschichte. Aber diese Assoziation ist gut. Die vielleicht beste Gabe Ivanas ist ihr Fingerspitzengefühl, ihre sorgfältige Arbeit und ihre rücksichtsvolle und vornehme Art der Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten und bestimmt auch mit Eltern und Kindern. Sie war während ungefähr 20 Jahren als Logopädin in Liestal tätig. Und Liestal ist bestimmt ein ziemlich holperiges Pflaster. Wer das ohne grosse Blessuren schafft, der ist kommunikativ sehr geschickt von Liestaler Kindern an die Seestrasse gekommen, und Ivana hat diesen stotternden, polternden, stolpernden, spuckenden und geifernden Kindern eine anständige Sprache beigebracht. Vielleicht deshalb gibt es hier in Liestal oft so ein grosses Gerede und Geschnorre, weil sie heute alle reden können und sich keiner mehr scheut, den Mund aufzumachen. Die Adresse des Logopädischen Dienstes hier ist die Seestrasse. Das ist ein wenig merkwürdig, denn es gibt weit und breit keinen See in Liestal. Doch früher hat es dort unten bei den Bäumen, was heute Allee heisst, einen kleinen Feuerwehrweiher gegeben. Davon ist der Name geblieben. Der Platz ist unter den Platanen schön gelegen und ich würde behaupten, es sei der zweitschönste Parkplatz Europas (der schönste ist der Münsterplatz in Basel). Und es gibt in Liestal das Gerücht, so meine Behauptung, dass - wenn es in Liestal - wie auf dem Bild - einen See gäbe, und wenn es in diesem See Fische gäbe - dann hätte Ivana bestimmt noch diesen stummen Fischen das Reden beigebracht. Im Hintergrund sieht man den Turm der katholischen Kirche, von dem meine Grossmama immer gesagt hatte, dies sei der Besenschrank des Spitals (der gleich nebenan steht). Und dahinter sieht man den Aussichtsturm oben auf dem Berg, von dem ich im Moment nicht einmal mehr weiss, wie er heisst. Na ja, ich bin ja schliesslich auch kein Liestaler. Meine Sekretärin hat mich eben informiert, dass der Berg Schleifenberg heisse. Richtig, das wusste ich doch eigentlich einmal.
Du siehst, es gibt einiges zu sagen über Liestal und über Ivana. Sie wird überigens in Zukunft in Basel arbeiten, im selben Haus, wo jene Bibliothek untergebracht ist, bei der ich die Bücher zum Rezensieren hole.
Ach, was ich noch sagen wollte. Du bist ein guter Kumpel, wie du mir hilfst, eine Zeichnungsidee zu finden, obwohl du keinen Deut über die Person oder ihre Umstände weisst. Dafür hast du einen wirklich schweren Kuss verdient. Ich meine 'schwer' ungefähr in dem Sinne, wie man auch von schweren Weinen oder von schweren Trauben spricht.

Einen schönen Tag und MLG
...

Re: subject ;-)

Lieber ..., 

So ein schönes Bild!!! Da liegt aber viel Liebe und Arbeit dahinter und ich denke, Ivana wird sich riesig darüber freuen. Vielleicht wird sie es einmal so tun, wie die Geliebte von Picasso, die nun im hohen Alter hervortritt und die Zeichnungen zeigt, die er von ihr gemacht hat. Eigentlich wollte sie sie mitnehmen ins Grab, aber dann hat sie sich doch von jemandem überreden lassen, sie zu veröffentlichen.

Und einen schweren Kuss bekomme ich sogar? Du weisst, dass ich von einem schweren Wein nur ein halbes Gläschen brauche, um berauscht zu werden.

Hier ist das Wetter im Moment gut, aber ich glaube doch es hängt Regen in der Luft und so sollte ich mich wohl beeilen und schnell etwas im Garten erledigen, das ich in den letzten zwei Wochen nicht habe tun können. Überall stehen Pflanzen herum, die ich in die Erde bringen muss. Und das Gras wächst.

Ich komme also später wieder, wenn es angefangen hat zu regnen. ;-)

Mit lieben Grüssen,
Malou

Donnerstag, 12. Dezember 2024

9. Dezember Anno dazumal - pure Nostalgie

Basel Weihnachtsmarkt

Reiseziel Basel? - Nobelmenue -  Feierabendstunden -  Re: bald Nacht

Ämne: Malou again
Datum: den 9 december 10:53

Liebe Malou
Ja, wenn ich es nicht schwarz auf weiss gesehen hätte, weil Du es zurückgeschickt hast, so würde ich es nicht glauben. Malou zu Maou: es kann sich dabei nur um eine momentane Schwäche des rechten Ringfingers handeln. Solche Schwächen gibt es bei Menschen, wie Du sicherlich weißt.   ...

Nein, im Ernst, diesen hübschen und kompakten Namen will ich doch nicht ändern. Er hört sich an wie ein Französisch-schwedischer Mischkonzern ;-) Ich mag ihn ganz einfach, aber definitiv mit dem nötigen L.
*
Ist eine prima Idee nach Berlin zu fahren! Dort ist bestimmt einiges los. Aber es gibt natürlich noch viele andere hübsche Städte. Ich kann dir gar nicht aufzählen, welche es da noch gibt, sonst werde ich unruhig unter dem Hintern. Ich war noch nie in München. Bloss das olympische Gelände hatte ich besucht bei einer Durchfahrt. Und dabei haben wir einen Münchner, einen Bierbrauer, in unserem Club. Wir hatten schon mal darüber gesprochen, dass er für einige von uns eine Führung in seiner Heimatstadt machen könnte. Aber es ist dann doch nie dazu gekommen. Und mittlerweile ist er etwas älter geworden. Er ist klein, aber er liebt es, sich schick anzuziehen. Und dann geht er ohne seine Frau in den Strassen flanieren. Letzthin habe ich ihn an der Universität getroffen gleich nach dem K-Lunch. Ich glaube, er geht dorthin, um in irgend einer hochkarätigen Vorlesung ein kleines Nickerchen zwischen jungen Studentinnen zu machen. So was würde ich ihm schwer zutrauen. Er hat von seiner biertrunkenen Stadt natürlich auch den gewissen Charme mitgebracht. Und er möchte ihn auf universitätsniveau austesten. Ist doch - letztlich - begreiflich, nicht wahr?
*
Weshalb macht Ihr Euren Ausflug nicht nach Basel? Seit Donalds Bildervortrag in Tschechien weiss ich, dass die Stadt ein absolutes Kultur-Konzentrat darstellt. Sie haben innerhalb von 27 Quadratkilimeter 30 Museen. Stell Dir das vor! Es gibt Museen wie Pfützen. Und es gibt eine feine Altstadt, die im Moment auch mit einem Weihnachtsmarkt überfüllt ist. Es gibt um die 5 oder 6 Buchläden. Na ja, das sind die, die ich kenne. Es gibt in der Umgebung mehr, zB. jenes nette kleine Buchlädelchen in Arlesheim, wo sie alles haben und wo du eine allerbeste Beratung bekommst, wenn du willst. Es gibt das hübsche Münster ob dem Rhein, mit dem Ausblick auf Kleinbasel und den Rhein. Dort oben spielt ein Teil meines Romans, den ich im Kopf habe. Na ja, halbwegs im Kopf. Es gibt das hübsche Café Schiesser, von dem man so gemütlich auf den alten Marktplatz hinunter sehen kann. Dort trinke ich eine Schokolade zur Lektüre der NZZ am Wochenende. Und es gibt das neue Theater, das der Stadt die Millionen weg frisst. Ach, man kann sich in Basel bestimmt wunderbar die Zeit vertreiben und in irgendwelchen romantischen Altstadtgässchen verloren gehen. Und wenn ihr im Radisson, in unserem Club-Hotel, wohnt, dann ist das bestimmt keine schlechte Absteige. Es gibt sogar ein Bad im Haus. Aber das Essen, wie Du Dich bestimmt erinnerst, ist nicht grossartig. Essen müsstet ihr in der Kunsthalle, Ss Lokal. Sie haben einen exzellenten bürgerlichen Service, lange schwere Tischtücher und einen riesigen Blumenstrauss in der Mitte auf dem Tisch. Man fühlt sich dort ein bisschen wie in jenen Restaurants, die man auf impressionistischen Bildern des 19. Jahrhunderts sieht. Und es liegt alles gleich neben dem berühmten Tingueli-Brunnen,


 diesem lebendigsten aller Brunnen, der gleich neben dem Theater dahinspritzt und -schleudert und -plätschert und immer viele Besucher anzieht. Wenn er im Winter eingefroren ist, gibt er bei Sonnenschein ein märchenhaftes Bild ab. Da müsstest Du Deine Kamera zücken. Natürlich könntet Ihr auch im Drei Könige übernachten, dem noblen Hotel am Rhein, in dem schon Napoleon und auch Goethe übernachtet haben sollen. Aber dort ist es noch eine Idee teurer und das Essen, was wir mal mit dem Club dort hatten, war nicht umwerfend. Zoe Jenny, die junge Basler Nachwuchsautorin, soll ab und zu dort eine Suite gemietet haben, um schreiben zu können. Sie ist ziemlich bekannt und ziemlich jung. Ich kann sie ein bisschen verstehen, dass sie sich mit aussergewöhnlichen Atmosphären aufzuputschen versucht. Vielleicht wiegt sich immer noch das Bücherschiff im Rhein, das gleich vor dem 3-Könige anzulegen pflegt. Auf diesem Schiff macht die Bibliothek, für die ich rezensiere, jährlich eine Ausstellung mit Kinder- und Jugendbüchern für Jugendliche, Kinder und Schulklassen. Es gibt dabei Reden, Vorträge, Wettbewerbe, kleine Theaterspiele und vieles mehr. Gar nicht zu sprechen von der hübschen Umgebung Basels … etwa den wunderschönen Rokoko-Dom in Arlesheim, mein Lieblingsstück, so süss, dass ich mir echte Caries geholt habe, die römischen Ausgrabungen in Augst, die netten Dörfer im Elsass, wo man schon französische Ambiance schnuppert und einen prima Gewürztraminer trinken kann.
Ach, ich bin sicher, Ihr würdet Euren Aufenthalt noch verlängern. Ich glaube nicht, dass ihr nach 3 oder 4 Tagen wieder in den kalten Norden heimkehren würdet. Ihr würdet bestimmt zusätzlichen Urlaub eingeben, um noch mehr von dieser Brise in der Nordwestecke der Schweiz zu bekommen. Aber dafür könnte ich natürlich keine Verantwortung übernehmen.
*
Ich muss los
und wünsche Dir alles, was Du willst.
G+K
Rud

PS: Schau mal, wie das kompakt aussieht: G+K und darunter Rud. Erinnert mich an die Signatur von Schiele, diesen kleinen Block am Fusse der Zeichnung.


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Ämne: Das Menue ...
Datum: den 9 december 18:03

Nobelbankett

Der Duft von Rahmspinat, der den Gästen in die Nase steigt, führt dazu, dass der eine oder andere Nobelpreisträger seine Aufmerksamkeit nicht dem Redner auf dem Podium schenkt, sondern dem duftenden Teller, der vor ihm steht. Man schreibt das Jahr 1954 und Ernest Hemingway wurde gerade der Nobelpreis in Literatur verliehen. Einen noch größeren Erinnerungswert als die Rede an diesem Abend hat die herrliche geräucherte Lachsforelle, die Artischocken mit Trüffel und als krönender Abschluss – die berühmte Eisbombe. Auch heute spricht man enthusiastisch vom Essen am Nobelbankett, dessen Menüfolge bis zum letzten Tag geheim gehalten wird.

Um sich ein richtiges Nobelmenü schmecken zu lassen, muss man jedoch weder in Physik noch in Literatur einen Nobelpreis gewinnen. Im Stadshuskällaren in Stockholm, der unter dem Blauen Saal (Blå Hallen) liegt, in dem das Nobelbankett stattfindet, werden auch Normalsterblichen das ganze Jahr über Nobelmenüs serviert. Für 1285 Kronen können Sie sich eines der Gerichte bestellen, die der königlichen Familie im Laufe der nunmehr hundert Jahre zurückgehenden Nobelpreisverleihung serviert wurden. Meist bestellt man sich das neuste Menü. Wenn man Geburtstag hat, isst man gern die Menüfolge, die in dem Jahr serviert wurde, an dem man zur Welt kam. Firmen bestellen häufig das Menü, das in ihrem Gründungsjahr serviert wurde. Viele ausländische Besucher wählen das Gericht, das ein Nobelpreisträger aus deren Land gegessen hat. Am beliebtesten ist das Menü aus dem Jahr 1994, in dem Kenzaburo Oe aus Japan der Nobelpreis in Literatur verliehen wurde. Das Menü, das unter anderem eine würzige Roulade aus Entenbrust, Mango und Mangold sowie Kalbsfilet mit Salbei und Pilzen enthält, wurde bereits mehr als 25000 Mal serviert. Und seine Beliebtheit hat dazu geführt, dass der Stadshuskällaren das Menü auf Japanisch drucken ließ. Außer drei Gängen gehören zum Nobelmenü Champagner, Rotwein, Dessertwein, Kaffee und Mineralwasser. Als I-Tüpfelchen werden die Gerichte auf dem schönen Nobelservice serviert. Leider kann das Lokal jedoch nicht alle Nobelmenüs anbieten. Trotz umfangreicher Forschungsarbeit konnte nicht ermittelt werden, was in den Jahren 1905, 1906, 1908, 1923 und 1924 serviert wurde.

Bei einigen Menüs schiebt auch das Gesetz einen Riegel vor. Die Schildkrötensuppe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige Male als Vorspeise serviert wurde, ist heutzutage verboten, weshalb man stattdessen eine „falsche Schildkrötensuppe“ serviert. Das einzige, das im Stadshuskällaren beim Nobelmenü neben der königlichen Familie und den Preisträgern fehlt, ist die ungeheure Maschinerie, die hinter den jährlichen Festlichkeiten steht. Die Bedienungen, die beim Nobelbankett arbeiten, und zusammen eine Schlange von über hundert Metern bilden, brauchen ganze 5 Minuten und 40 Sekunden, um sämtlichen Gästen das Essen zu servieren. Hierzu kommen Zigtausend Teller und Schalen, ein halber Kilometer Tischdecken, 25000 Schnittblumen, die in üppigen Gestecken arrangiert sind, und 45 Personen, die nichts anderes tun als Weinflaschen zu öffnen. Allein der Abwasch nach dem Bankett dauert ca. 1 Woche. Trotz der unglaublichen Koordination und Planung, die das Fest erfordert, kam es bislang noch nie zu größeren Zwischenfällen. Ihnen steht heute der Sinn nach königlichen Leckereien? Pech gehabt, leider müssen Sie das Abendessen fünf Tage im Voraus buchen – auch hier ist also Planung angesagt!

Das erste Nobelmenü von 1901
Hors d´oeuvres Pochiertes Glattbuttfilet mit Trüffel und Weißweinsoße. Gebratenes Rinderfilet Imperial, gebratene Haselhuhnbrust in Madeirasoße. Nobeleisparfait, Fruchttortelette.

… und das jüngste
Hummer und Blumenkohlröschen auf Blumenkohlpüree, Krabbengelee und Meereskorallensalat. Nobelbrot. Gänselebergefüllte Wachtel mit Steinpilzragout, sonnengetrockneten Tomaten, frischem grünem Spargel, Madeirasoße und Kerbelpüree. Vanilleeis und Johannisbeerparfait auf dünnem Meringenboden mit Karamellflan. Dazu wurden folgende Getränke gereicht: Champagner Pommery, BRUT I´Hospitalet de Gazin 1998, POMEROL Bernkasteler Graben Riesling Eiswein 1999, MOSEL - SAAR - RUWER Mineralwasser, Kaffee.



Autor Josefin Ekman
Foto vorherige Seite: Gunnar Ask/PRESSENS BILD


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Ämne: feierabendstundensindnah
Datum: den 9 december  18:32

Liebe Malou

Jetzt ist kaum 17.00h und schon draussen dunkel. Drüben, im Café haben sie eine Weihnachtsdekoraton eingerichtet. Und es wirkt ganz gemütlich und freundlich von draussen gesehen. Aber ich wage mich kaum in Restaurants oder Cafés hier im Ort. Als Angestellter des Staates soll man nicht den Anschein machen, man würde in der Zeit, die einen die Bürger finanzieren, öffentlich herumtrinken. Na ja, ist ein bisschen streng gedacht, hat sich aber bewährt. Wenn ich daran denke, wie oft ich als Student in Cafès und Restaurants gesessen habe, dann reut mich schon fast das Geld. Aber ich kann mich damit trösten, dass der Kaffee damals noch Fr. 0.80 kostete (heute in Basel Fr. 3.50 bis 4.00 oder mehr).
Hier in L gab es früher eine kleine Conditorei, wie man sie sich nach dem Song (besser Schlager, wie man früher sagte) vorstellen kann. Vorne war ein kleiner Laden mit Süssigkeiten, Konfekt und Pralinen. Ich hatte mal aus dem Militärdienst meine Oma besucht und dort Pralinen für sie gekauft. Man hatte mich jungen Leutnant fast wie einen Kriegshelden behandelt und flattiert und umworben. ich kam mir merkwürdig vor, war ich doch gerade von Yverdon hergereist, aus jenem französisch sprechenden Ort, wo man das Militär gar nicht besonders mochte. Ich konnte mir das damals nicht erklären, aber heute weiss ich vielleicht, wie das gekommen sein könnte. Die jungen Offiziere der Kaserne gingen abends gerne ins Pâon, jenes Dancing, das gleich in der Nähe lag. Dort wurden sie oft von Einheimischen angepöbelt und runter gemacht. Einmal sollen die Einheimischen einem Offizier in den Hut geschissen haben, wie man hörte. Ich selbst habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich glaube, es war im wesentlichen der Neid der jungen Männer, die den Eindruck hatten, bei den heimischen Mädchen nicht mehr genügend succès zu haben. Es gab in einigen Bars und Cafès wirklich charmante welsche Mädchen, in die man sich in dieser holperigen und harten Zeit des Militärs gerne verliebt hätte. Ich kenne einen, auch einen Visper, der ein solches Mädchen später geheiratet hatte. Doch das war nicht in Yverdon, das war in Vallorbe, am äussersten Ende der Schweiz, ungefähr dort, wo sich Füchse und Hasen gute Nacht wünschen. Und er war schon immer ein merkwürdiger Typ gewesen. Vielleicht ist er heute in Südamerika? ;-()

Also, dieses Café hier war so was von altmodisch, eigentlich nur ein dunkler Gang mit kleinen Lämpchen an den Wänden und kleinen Tischchen. Es sah alles so intim aus, dass man kaum wagte, ohne eine weibliche Begleitung einzutreten. Es schien mir, dass das absolut für Einheimische reserviert wäre. Doch ich wollte ja nicht da hinein, ich wollte zu meiner Oma. Die war auch sehr stolz auf meine Uniform und ist gerne mit mir ins Städtchen gegangen. Aber an Sonntagen war da ohnehin nicht viel los.

 Ach, ich bin in diesen Abendstunden mit meinen Gedanken abgekommen. Dabei wollte ich bloss erzählen, wie die Schaufenster drüben in der Drogerie jetzt glänzen und gleissen in dieser Weihnachtszeit. Und natürlich hat man auch die Strassenbeleuchtung verändert.
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Ich muss jetzt heim, es ist Zeit geworden.
Mit lieben G+K
Rud


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Ämne: ..und die Nacht nicht mehr sehr entfernt..
Datum: den 9 december 21:53

Lieber ...,
Wie schön, dass ich nicht zwischen "Mjau" und "Muuu" gelandet bin. Kann also wieder ausatmen. Und natürlich liegt die Betonung auf der letzten Silbe. Ist ja doch französisch. :-)

Ich hatte Konferenz am Nachmittag und kam erst spät ziemlich müde nach Hause. Vielleicht auch müde, weil ich gestern so böse war, dass ich nicht einschlafen konnte vor so 2 Uhr nachts.

Die Konferenz war teilweise ein bisschen hitzig aber im übrigen benahmen sich die Anwesenden wie sont.. d.h. wie Schafe. Seitdem es gilt mit dem Direktor und seinen Ideen zu flirten um höheren Lohn zu bekommen, wagt niemand mehr eine eigene Ansicht über Dinge zu haben. Menschliche Erniedrigung würde ich es nennen. Na ja, ich habe es überlebt sonst sässe ich nicht hier.

Ach, wie schön du Basel beschrieben hast. Einmal werde ich es besuchen. Das habe ich mir versprochen. Aber wann und wie.. das weiss ich noch nicht. Wir hatten früher ein herrliches Videoprogramm, in dem man den Rhein von seiner Quelle hoch oben in den Bergen bis ans Meer verfolgen konnte. Ich habe es leider damals nicht gekauft für die Schule, was ich heute sehr bereue. Hoch oben auf der Alp sah man bauern, die Rätoromanisch sprachen. Es hatte einen schönen eigenartigen Klang. Dann sah man, wie sich der Rhein, wie ein wilder Teenager austobte um später im Bodensee wieder Ruhe zu finden. Dann kam man auch nach Basel. Da erinnere ich mich noch an die Wasserkunst und die schönen Häuser. Ich würde es sehr gern wieder ansehen, jetzt wo Basel etwas ganz besonderes für mich bedeutet. Die Stadt, auf deren Strassen mein Mausgeliebter herumflaniert.
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Diesen Ausdruck "wo sich Füchse und Hasen gute Nacht sagen" finde ich so lustig. Das tun sie nämlich gerade hier hinter unserem Haus. Die Hasen sieht man oft im Winter und im Frühjahr und die Füchse hört man in der Ferne. Du weisst, wir wohnen, obwohl sehr zentral, doch sehr ländlich. Diese Kombination hat uns immer schon gut gefallen.
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Meinst du "der" Visper wäre es gewesen, den du gekannt hast? Das glaube ich kaum, denn dieser hat in Australien und Südafrika gelebt und später in Südamerika, wo er eine Indianerin geheiratet hat.
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Ach, wie herrlich der Artikel von dem Nobelessen! Ich danke dir dafür. Und wenn du hier wärest, würde ich dir auch zeigen, wie es auf den Tellern ausgesehen hat, denn ich habe fast jedes Jahr ein wenig von diesem grossen Bankett auf Video aufgenommen. Und dann könntest du sehen wie alles strahlt und glitzert und die schönen Abendkleider der Damen bewundern. Die Unterhaltung, die wie das Essen bis zuletzt ein wohl verborgenes Geheimnis bleibt, ist auch immer erstklassig. Und dann kommen die Reden der Preisträger. Manche sind sehr humoristisch. Und da ist vor allem die grosse Freude, die alle ausstrahlen an dem Fest. Sie steckt einen geradezu an. Ich würde es gern mit dir ansehen. Ich glaube du würdest darauf reagieren, wie auf NY.
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Ach, ist das wirklich so? Du hast einen halben Roman im Kopf? und die andere Hälfte auf Papier oder PC? Das freut mich riesig. Erzählst du mir mehr davon? Oder braucht es seine Ruhe?
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Ich muss noch ein wenig für morgen vorbereiten. Mittwochs stehe ich schon um 7.50 Uhr im Klassenzimmer.

So grüsse ich dich lieb und freue mich schon auf dein nächstes Mail. Ja, das wünsche ich mir am meisten von allem: Mails von dir. Ich bin süchtig geworden.
S+K
Malou





Lucia 13 Dezember

 



das Lied "Sankta Lucia"  hier

Ja, die Nobelfeier.



Liebe Malou
Vielleicht ist sie doch interessanter am Fernsehen anstatt bloss auf Bildern. Ich kann mich erinnern, dass einer unserer Clubmitglieder einmal erzählt hat, wie er mit dem schwedischen König zusammengesessen habe. Es ging offenbar um Umweltschäden und Nachhaltigkeit der Entwicklung. Er selbst ist Biologieprofessor und ein Spezialist auf diesem Gebiet. Er hat damals den König sehr gelobt, wie offen er gewesen sei im Gespräch und wie unkompliziert.
Und morgen feiert ihr Lucia? Du hast mir davon erzählt und geschildert, wie schön dieses Fest eingangs Winter ist.
 
Ich muss im Moment darauf warten, dass ich in der kleinen Küche unseres Büros eine kleine Pfanne kriege. Es ist immer ein Gedränge rund um die Mittagszeit. Und normalerweise nehme ich Esswaren mit, die ich höchstenfalls im Wellen-Ofen rasch aufwärme ...
 
Und jetzt habe ich schon gegessen. Es geht schnell hier im Büro. Ich esse allein in meinem Raum. Früher war ich einer der wenigen, der im Büro gegessen hat. Heute, bei den vielen jungen Leuten, essen fast alle im Büro. Deshalb ist unsere Küche etwas klein geworden mittlerweile. Um 12h haben alle einen riesigen Hunger und nach 15 Minuten stehen nur noch schmutzige Pfannen und sonstiger Abfall herum. Es ist unangenehm, aber ich lass es dabei bewenden. 
 
Und sonst, was kann ich dir erzählen. Ich beschäftige mich zZ mit dem Vorhaben, ein Kinderbuch zu machen. Ich möchte eine lustige, witzige Geschichte mit eigenen Zeichnungen machen. Vielleicht brauch ich da und dort Bs Hilfe. Aber im Wesentlichen möchte ich es allein machen. Es war lange mein Wunsch, sowas zustande zu bringen. Ich hatte mal ein Büchlein für meine Töchter gemacht, als sie noch klein waren. Die Geschichte handelte von zwei Mäusen, die (in unserem alten Bauernhaus) vom Keller hinauf in den Esterich stiegen, um dort den Sternenhimmel anzuschauen. Wenn die neue Geschichte funktioniert, kann ich ja vielleicht die alte auch noch überarbeiten und produzieren. Aber ich mache mir auch nicht allzuviel Illusionen. Zeichnen ist nicht so schwer, wenn man nur eine Zeichnung machen soll. Aber ein ganzes Buch voller Zeichnungen, das muss schon ziemlich stilsicher sein. Man merkt sehr schnell, ob etwas durch einen Anfänger gemacht worden ist. Die heutigen Jugendbücher stehen auf hohem Niveau, was Gestaltung und Darstellung betrifft. Ich werde sehen, was ich erreichen kann.
 Natürlich sollte mein Plot auch witzig sein. Ich habe mir gedacht, dass ...
(--)
Es ist schön, an diesen Dingen herumzugrübeln. Wenn ich mit den Stöcken unterwegs bin, hat mein Kopf was zu tun. Und das ist gut so. Gestern Abend habe ich einen langen Spaziergang durch die Stadt gemacht. Dabei bin ich durch die Spalenvorstadt gekommen. Ich glaube, diese Strassen trägt von allen, die ich gesehen habe, den schönsten Weihnachtsschmuck. Es gibt links und rechts kleine alte, vielleicht 2 Stöckige mittelalterliche Häuser. Sie sind auf beiden Seiten in einer Reihe gebaut. Und natürlich gibt es heute im Erdgeschoss jeden dieser Häuser ein kleines Geschäft. An den Fassaden dieser Häuser links und rechts steht je ein Tannenbaum auf dem Gehsteig und an die Wand gelehnt, die mit elektrischen Kerzen geschmückt sind. Das gibt einen wunderbaren Effekt. Ich war begeistert, als ich das gesehen habe. Wirklich schön diese kleinen Tännchen links und rechts der engen Strasse. Das Tram führt auch durch diese Strasse. Und vorne, an der Ecke, ist die Station, wo man aussteigen muss, um die Universität zu erreichen. Dort habe ich mich ab und zu mit A. getroffen, als sie noch in Basel studiert hat.
 
Ich glaube, das Mail wird zu lang. Ich muss ein Ende finden. Wir haben heute ziemlich mildes Wetter. ich muss nachmittags ein Protokoll schreiben und einen Termin vereinbaren.
 
Ich wünsche dir eine gute Zeit Malou
liebe Gs und Ks

Dienstag, 10. Dezember 2024

kontemplatives peripatetisches Gehen

im  Kollegium Spiritus Sanctus Brig

Liebe Marlena

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Es ist lustig, ich habe oft ein Bild aus meinen Jugendzeiten, das mir aufkommt. Wir hatten in der Schule in Brig im alten Kollegiumsgebäude einen langen grossen Gang. Er war vielleicht mehr als 2m breit, mit einem Granitbogen. Und die tiefen Fensternischen bildeten je ein kleines Abteil, wo wir am Morgen früh, um nicht in der Kälte stehen zu müssen, am Fensterbrett lehnten und unsere Lateinvokabeln repetierten. Es ist eine Atmosphäre, wie man sie oft in den Wandelgängen der Klöster findet, einen architektonischen Typus, den ich überaus gerne mag.

Kollegiumskirche Brig

In diesem Gang, an dessen Ende eine Tür in die Sakristei der Kirche führte, wie ich annahm (durch die ich in meinem Leben aber nie gegangen bin; was sollte ich auch in einer Sakristei der Kollegiumskirche?), und durch die die Internatsschüler am frühmorgens um 0600 - vor dem Morgenstudium - wohl jeweils in Zweierkolonne in die Frühmesse geführt worden waren, in diesem Gang gingen oft einzelne Lehrer, also Patres, in gemächlichem Schritt auf und ab, um das Brevier zu lesen. Es gab gleich vor dem Gebäude und parallel zu diesem Gang im Garten noch einen mit einem Rosenspalier gesäumten Weg, den sie in den Sommermonaten benutzten. Dieses kontemplative peripathetische Gehen kam mir anfangs als Junge komisch vor. Doch insgesamt hat es mich wohl tief beeindruckt als eine Geste der Zwiesprache mit sich selbst. Und wenn ich irgend ein Problem oder eine Frage zu wälzen habe, dann liebe ich es heute überaus, auf und ab zu gehen. Ich hasse kleine Räume und bin überzeugt, dass in kleinen Räumen keine grossen Ideen entstehen können. Ich gehe auf und ab auf dem Bahnhof, wenn ich auf den Zug warte. Ich gehe im Büro, diagonal, auf und ab. Ich tue dasselbe in unserer Stube. Ich mag es, wenn ich am Donnerstag beim Weekly mit Walter zusammen sitze, plötzlich aufzustehen, und für eine Weile auf und ab zu gehen. Ja ich habe manchmal, wenn ich lese und einen spannenden Gedanken finde, plötzlich das starke Verlangen, auf und ab zu gehen. Es muss einer meiner Tics sein, dieses Auf- und Abgehen. Eine kleine Manie.
Und früher, als es noch Sekretärinnen gab, denen man Briefe und Texte diktieren konnte, da gab es die sinnvolle Gelegenheit, auf und ab zu gehen. Das waren noch herrliche Zeiten, und damals waren Briefe noch hübsch und byzantinisch formuliert. Dieses habe ich mir zwar immer als eher komische Situation fantasiert: der Chef, der im Büro auf und ab geht und die Sekretärin, die in Eile seinen Gedankenfluss protokollieren soll. "Zum Diktat", das war damals für Sekretärinnen ein finster klingender Drohruf und Grund genug, um nervös nach Stenographieblock und Stift zu suchen. Ich glaube, die Generation meines Vaters war mit solchen Situationen durchaus noch vertraut. Und meine erste Sekretärin, ich wette darauf, hatte in ihren früheren Jahren noch Diktat beim Chef. Die Männer sassen noch nicht am PC, wie wir das tun. Sie hätten so etwas als absolut "weibisch" und als eines Mannes unwürdig empfunden. Denn die Arbeitsteilungen waren absolut klar und geradezu feudalistisch.


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Montag, 9. Dezember 2024

Schöner Wintertag

 

das Stockalperschloss an einem Winterabend


Liebe Malou
Heute war ich früh im Büro. Es muss 6.30h gewesen sein. Ich hoffe, sie wählen mich bald einmal zum „Helden der Arbeit“, wie das die Sowjets in alten Zeiten getan haben. Und als Gegenleistung und schönes Privileg sollten sie mich dann für 2 Wochen an irgend ein kaltes Ostbad schicken, wo ich mir eine tüchtige Erkältung holen kann. Ach, die Zeiten sind nicht mehr, wie sie mal waren.

Aber das Wetter zeigt sich von der schönen Seite. Es ist ziemlich kalt geworden, und der Schnee, der übers Wochenende gefallen ist, ist sogar an den Bäumen hängen geblieben. Das ist bei uns selten geworden. Ich kann mich erinnern, dass es in meiner Jugend im Wallis manchmal noch echt geschneit war. Wenn das an einem Wochenende geschehen ist, pflegten wir abends lange Spaziergänge zu machen. Anfangs mit der ganzen Familie, später traf man sich mit Schulkollegen und ging hinaus durch die verschneiten Strassen zur Kunsteisbahn. Das war eine wunderbare Stimmung und die ganze Welt war verzaubert. Und viele andere Leute taten dasselbe, so dass man unterwegs diese oder jene angetroffen hat und sich fröhlich begrüssen konnte. Ich habe eine Postkarte gefunden, die Brig nachts im Schnee zeigt. Wenn ich das sehe, macht es mir noch heute das Herz warm. Ich versuche, das Foto in den fotofolder zu schieben. Es sind die Lichtverhältnisse, die mich so elektrisieren.
Ich habe das Bild schlussendlich gefunden, aber noch zwei andere dazugelegt. Das erste ist ein Gemälde über den Orient. Bestimmt stammt es aus dem 19. Jahrhundert, als sich Europa für den Orient zu interessieren begann. Ich glaube, die Darstellung zeigt einen Bazar-Raum in Kairo. Aber auch in Teheran könnte man das sehen. Es ist eine schöne Darstellung, die natürlich auch ein bisschen mit europäischen Vorurteilen und Schemata spielt. Das zweite Bild zeigt das Stockalperschloss (die Karawanserei im Wallis) an einem Winterabend. Du musst wissen, dass ich während 8 Jahren an diesem Schloss vorbei zur Schule gegangen und abends heimgekehrt bin. Diese Stimmung ist besonders lebendig in meiner Erinnerung. Unten im Tal und in den Häusern ist es schon ziemlich dunkel und kalt, und in der Höhe scheinen immer noch die Schneeberge im Abendlicht. Da hat man das schöne Gefühl, dass es mehr gibt als nur den Menschen mit seinen alltäglichen Geschäften. Und zuletzt das dritte Bild, das ich eigentlich gesucht hatte. Es zeigt Brig in winterlichen Abendstunden. Unten links der Bahnhof, der ein bisschen stärker beleuchtet ist. Rechts die helle Strasse ist eigentlich eine Seitenstrasse, die wir selten passiert haben. Die wichtige Bahnhofstrasse sieht man auf dem Bild kaum. Aber oben sieht man die Kirche, und gleich dahinter sind die grossen Gebäude des Jesuiten Kollegs. Man hat von der kleinen Terrasse vor der Kirche einen wunderbaren Blick über Brig und ins Tal hinunter bis Visp. Ich muss zugeben, dass das Bild ein bisschen Apres-Ski suggeriert. Mag sein, mag auch sein, dass auch dies die süsse Situation sei, die in meiner Seele lagert. Wir haben wirklich einige und sehr schöne Apres-Ski-Stunden und Abende verlebt, nicht nur in Brig, sondern auch in Zermatt, Saas Fee, Montana und an anderen, unbekannteren Orten.

Ach Malou, ich schwärme wieder mal vom Wallis, verzeih mir. Ich glaube manchmal, dass dies mein Heroin sei. Es ist mein Paradies, denn das Paradies ist immer der Ort, von dem man vertrieben worden ist. Eine zeitlang konnte ich meine Erinnrungen auffrischen bei meinem Bruder in D.  Er hatte in diesem prächtigen kleinen Winzerdorf am Sonnenhang eine hübsche Wohnung mit einer herrlichen Aussicht ins Tal hinunter. Leider wohnen sie jetzt nicht mehr dort,  denn D. war nur mit dem Auto oder mit dem kleinen Bähnchen nach M zu erreichen. Und das war natürlich ein täglicher Zeitaufwand, denn die beiden haben nur ein Auto. Andererseits muss man auch betonen, dass die Zeit im Wallis noch nicht so rasch läuft wie bei uns. Und eine solche Drahtseilbahn ist der ideale Ort für ein kleines Schwätzchen. Es ist die reine Lebensqualität, die mit der Langsamkeit einhergeht.

Jetzt will ich Dir diese Schwärmerei schicken. Bestimmt kannst Du sie mir ein bisschen nachfühlen, denn ihr habt doch bei Euch auch jede Menge Schnee und warme Lichter in den Häusern.
Mit lieben GS und KS
...



Sonntag, 8. Dezember 2024

Jesuiten - oder?


Marlena