Datum : Thu, 11 Oct 10:01
Liebe Marlena
Trotz des tristen Wetters und Deiner nach Eukalyptus lechzenden Erkältung kannst Du solch ein Mail schreiben! (ein!) Manchmal muss man Dich wirklich etwas kitzeln, damit Du aus Dir rausgehst und Deine Genialität in der Sonne zu gleissen geruhst!! (zwei!!)
Es ist schon länger her, dass ich über eines Deiner Mails so sehr geschmunzelt habe. Und das hängt nicht bloss daran, dass Du Dir dieses Mal meine Nase vorgenommen hast!!! (drei!!!)
Es ist eigentlich mehr, WIE Du schreibst. Und Du kannst es meisterhaft. Die Gedanken und Dinge nach Deiner Art in überraschende Zusammenhänge zu bringen, das ist echt zum Schmunzeln. Und manchmal klingt es ein wenig mammahaft! Auch das hat Charme.
Zumindest hat es meinen baudelairschen Weltschmerz etwas aufgehellt. Und dazu kommt das feine Herbstwetter hier. Es ist zur Zeit, wenn die Morgennebel sich verziehen, alles sehr klar und himmelblau und herbstwarm. Es ist eine wunderbare Zeit. Ich habe stets rundum behauptet, der Herbst wäre meine Zeit. Jedes Jahr muss ich dies neu bestätigen. Und wenn dazu noch Früchte kommen, die feinen Chasselas-Trauben beispielsweise, die mein Bruder vor ein paar Tagen in einer Kartonschachtel vor die Türe gestellt hatte! Zwetschgen liebe ich besonders. Das war nicht immer so. Aber in den letzten 10 Jahen haben sie sich zu meinen Lieblingen aufgeschwungen. Jetzt könnte man lange Jura-Wanderungen machen. Es wäre die beste Zeit. Im Wallis würden wir in die Gegend von Zeneggen hinauf wandern, um dort eine Raclette zu bereiten. Die goldleuchtenden Lärchen, der Geruch des trockenen Waldes und die gepfefferte Raclette zu ein paar Gläsern Fendant, und das alles unter dem klaren Walliser Himmel, das wäre was vom Schönsten.
Klar, ich hätte auch mit einer der 59 Frauenzimmer (oder muss ich sagen Adressen) abgehauen sein können! Nach einem unendlich langen und qualvollen Würfelprozess, welche denn Opfer dieses romantischen Anfalls sein dürfe. Und nach diesen dämlichen Qualifikations- und Selektionsprozessen hätte ich die Schönste am Handgelenk genommen und wäre hinunter nach Ronda durchgebrannt. Hemingway meint, Ronda eigne sich für ein solches Unternehmen besonders. Ronda also hätten wir uns geleistet und wären im Hotel gleich neben der tiefen Schlucht abgestiegen, dort wo man vom ehemaligen Strassenräubernest in die waldige und hügelige Landschaft hinunter sieht. Und wir hätten zum spanischen Wein diese riesengrossen und etwas groben Plätzchen gegessen, die sie in Spanien den Stieren praktisch lebendigen Leibes aus den Lenden schneiden. Inkognito wären wir auf Rondas Flaniermeile Arm in Arm auf und ab gegangen, hätten auf die Welt und ihren unglücklichen Lauf gepfiffen und stattdessen in der wunderhübschen kleinen Arena ein paar blutig-schöne Corridas besucht.
Und zwischendurch hätte ich mit meiner schönsten Rothaarigen im Hotelzimmer die Decken aufgewühlt und Bettgestelle flachgelegt. Ein bisschen barock alles, zugegeben. Ungefähr so wie ein gute Flasche Malvoisie, prickelnd, komplex und lebenslustig.
Doch, meine liebe Marlena, wie kann ich erklären, dass ich nach drei Tagen bereits wieder zurück bin?? Der romantische Anfall berücksichtigt nur den explosiven Entschluss, die hastige Abfahrt, den brennenden Wunsch, wegzukommen. Doch wie kommt man wieder zurück? Reuigen Herzens? Asche auf dem Haupt? Triste und voller Schuldgefühle? Oder einfach so, indem man morgens wieder im Büro sitzt und die aufgelaufenen Pendenzen angeht? Die Rückkehr ist ziemlich heikel, nicht wahr? Die Romantik denkt nicht an Rückkehr, wenn sie denn überhaupt denkt! Sie denkt nämlich auch nicht daran, lebenslänglich in Ronda auf und ab zu gehen. Man müsste dann ja gelegentlich mit der nächsten der 59 zum nächsten Ort abhauen. Vielleicht nach Rom mit einer Blonden, nach Paris brunette und Casa Blanca schwarz?
Ich bin also von Ronda zurück!
Mit einem lieben Gruss
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