Ämne: O..
Datum: den 9 september 20:41
Lieber ...,
Eine
solche Frage? Ich habe gestutzt als ich sie sah. Und du stellst sie so
ganz ohne Bedenken - schwarz auf weiss. Man kann sie beim besten Willen
nicht übersehen. Weisst du, diese Frage kommt mir öfters in den Sinn und
ich versuche sie so schnell wie möglich beiseite zu schieben. Und nun
willst du plötzlich, dass ich sie beantworten soll.
Wenn du sie
vor drei Jahren gestellt hättest, wäre es vielleicht noch etwas leichter
gewesen. Aber irgendwie wird man alt und klug und sieht ein, dass man
zwar noch träumen kann, aber dass es dabei bleibt. So überspringe ich
hier, diese Sorte von Träumen und gehe über zu einigen, die ich
vielleicht doch verwirklichen kann.
Wenn ich aufhöre zu arbeiten,
will ich wieder einmal in die Welt hinaus reisen. Ich denke vielleicht
doch einmal Wien. Ich habe dort gute Freunde, die ich gern wiedersehen
würde und ich weiss schon wo man sich günstig für ein paar Wochen
einmieten kann ohne ruiniert zu werden. Und dann möchte ich in aller
Ruhe eine Zeitlang Wienerin sein. Ich möchte die Stadt so kennenlernen
wie ich einst Paris kennegelernt habe. Mit dem Herzen und nicht nur mit
den Augen. Ich möchte in den Wiener Cafés sitzen und einen Schlagobers
bestellen. Ja, Wien ist einer Meiner Träume, die ich verwirklichen
möchte.
Und dann später auch Rom. Diese Stadt ist so gross und
schön und ich habe fast ein bisschen Angst vor ihr, weil sie mich mein
Leben lang gelockt hat. Und wenn ich einmal dorthin fahre, werde ich mir
deine "Römerbriefe" herausssuchen und sie als Guide mitnehmen.
Ich
musste noch einmal nachschaun wie du die Frage formuliert hast. Und nun
wo ich sie genau lese, sehe ich noch mehr als vorhin.
"..dein
grösster Traum im Leben, auf dessen Erfüllung du noch wartest..." Du
weisst also, dass mein grösster Traum noch unerfüllt geblieben ist. Ach,
..., du führst mich in Versuchung. Ich beantworte es vielleicht
später einmal. Es ist ja auch keine JA/NEIN - frage. Wie
würdest du selbst darauf antworten? Kannst du es?
*
Ja, es war
schön, immer am frühen Morgen ein schönes langes Mail von dir zu
erhalten, von dem man wusste, dass du es in Ruhe und ohne Stress
schreiben konntest. Und es waren Abend-mails. Die sind eine Sorte für
sich. Das konnte man sogar spüren. ;-)
*
Es ist doch
gut, wenn du das Nachher vergessen kannst. Wäre schlimm gewesen
wenn du jeden Tag in NY an alle Arbeit gedacht hättest, die in deinem
Büro liegen bleibt. Du bist ganz einfach ein Lebenskünstler. Ich
hatte sogar manchmal den Verdacht, dass du es wie der bekannte
Mathematikprofessor in Paris machen würdest. Er hat das akademische
Leben verlassen und hat sich als Clochard unter die Brücken
gelegt.
*
Du spielst also wirklich auch Golf? Ich dachte das war
nur sowas womit Harro damals versuchte den Damen im Chat zu imponieren.
*s* Schade, dass du es so weit hast zu Golfbahnen. Ich habe zehn Minuten
mit dem Auto zu der einen und 20 Minuten zu zwei anderen. Das sind
Golfbahnen mit 18 Löchern. G. ist übrigens ein eifriger Golfspieler.
Ich werde mal die Frage an ihn stellen, die du mir als Witz geschickt
hast. A. (der andere Kollege) wird wohl dabei vom Stuhl fallen..
Ich kenne auch einen
Golfwitz. Fragt ein Kind die Mutter: Du Mutti, wann ist Pappa gestorben?
Sagt die Mutter: Er ist nicht tot.. er hat angefangen Golf zu spielen.
*
Ich
fühle mich heute Abend frei und zufrieden. Zufrieden, weil ich das Gras
gemäht habe und einen Pflaumenkuchen für die Konferenz morgen gebacken
habe. Ich bin wieder einmal dran. Jede sechste Woche. Dazwischen lässt
man sich von den anderen mit allerlei Leckerheiten verwöhnen. Es ist gut
diese kleinen informellen Treffen zu haben, denn man kann alle
eventuellen Probleme ohne grosse Umstände lösen und es sieht auch gut
aus auf dem Papier, dass man sich in den Fächern trifft und diskutiert.
Der Direktor kann auch kommen, wenn er will. Aber ich denke er traut
sich wohl kaum.. :-)
*
Im Moment läuft ein Naturfilm im Fernsehen
über Elefanten. Diese Tiere haben mich schon immer fasziniert und als
Kind wünschte ich mir sehnlich einen eigenen Elefanten zu haben. Einen,
der auf mich aufpassen würde und mich lieben würde. Und immer noch kann
ich mich nicht satt sehen an diesen Tieren. In Stockholm auf Skansen
(das Freilichtsmuseum) durfte ich mal auf einem Elefanten reiten. :-)
*
Hattest
du dich verschrieben in deinem Mail, wo du sagtest Ronda ist etwas für
das VL? Sicher hast du gemeint RL, oder? Wie könnte es für das VL sein?
Und so komme ich zu meiner Frage, am Ende des Mails:
Warst du schon einmal mit einer Geliebten in Ronda?
Ich grüsse dich lieb und sende dir ein wenig von unserer sommerlichen Wärme, die wir immer noch geniessen.
S+K
Marlena
Re: Mein Traum
Liebe Marlena
Du bist doch ein Mensch von praktischem Format. Du bist zufrieden, wenn
Du Gras gemäht und Pflaumenkuchen bereit hast. Du stützest Dich auf
handfeste Dinge, auf sichtbare Resultate. Du wärst glücklich und
zufrieden, Dich im RL einzurichten. Ich glaube, Du lebst vor allem von
der sinnlichen Welt: Natur, Menschen, Blumen. Nicht wahr? Na ja, das
geht uns allen wohl mehr oder weniger ähnlich.
Aber ich habe gemeint, Ronda sei eher für das VL, weil man dort oben
kaum 14 Tage - nachdem man die Frau entführt hat - wirklich froh und
zufrieden leben könnte. Ronda ist ein abstrakter Traum, und Hemingway
hat es auch ein bisschen so gemeint. Na ja, vielleicht war er selbst ein
bisschen ein abstrakter Typ, der irgendwo auf dieser Welt sich in
Handgemenge einlassen konnte. Abstrakt würde dabei heissen, dass es
keine Rolle spielt, wo und wofür.
Nein, ich spiele kein Golf. Ich habe mich damals mit dem starken
Gedanken getragen, anzufangen. Und es hätte nicht viel gefehlt, dass ich
wirklich in einen Club eingetreten wäre. Das war die Zeit, als ich noch
mit dem Bon von 10 Schnupperstunden herumgegangen bin. Aber heute bin
ich ein abgeklärter After-Golfer. Ich habe überigens eine gute -
psychoanalytische - Definition, was Golf sei, wenn es denn jemand
unbedingt wissen wollte: Golf ist der sublimierte libidinöse
Triebwunsch, den Ball ins Loch zu bringen. Na ja, vielleicht ist das
wirklich nur für einen Psychoanalytiker lustig. Sofern ein solcher
überhaupt zum Lachen zu bringen wäre.
Du hast also Städtewünsche? Und wenn die Reisebüros heute jede Menge
Städtereisen auf den Markt werfen, liegen sie bei Dir richtig. Und den
grössten Wunsch hast Du Dir immer noch nicht erfüllt. Ich kann mir schon
denken, in welche Richtung er geht. Und ich wünsche Dir, dass er sich
erfüllen möge. Du weisst doch, Marlena, dass Wünsche, wenn man sie sich
wirklich und von tiefstem Herzen wünscht, auch erfüllt werden. Wenn das
nicht geschieht, dann ist man vielleicht ambivalent. Man will und
gleichzeitig will man auch nicht. Wir sind ja solche Wundergeschöpfe,
die sowas können. Solches sind Operationen, die man in der Mathematik
mit +/- bezeichnen würde. Aber das trifft auch nicht zu. Dort heisst es
entweder oder, hier bei uns heisst es zugleich + und - . Sowas
Kompliziertes kann wahrscheinlich nur unser Kopf. Wenn man wirklich das
Herz fragen würde, wäre es immer entweder eindeutig ja oder eindeutig
nein.
Ich glaube, ich habe auch Städtewünsche. Aber es sind für mich nicht so
grosse Wünsche, dass sie sozusagen lebensentscheidend wären. Ich würde
auch gerne Madrid sehen. Ich würde- wie ich schon gesagt habe - gerne 2
Jahre in Isfahan leben. Auch in Rom wollte ich eine längere Zeit sein.
Und mit Wien könnte ich mich sofort auch einverstanden erklären. Ich
glaube nicht, dass Rom so gross ist, dass man es sich für die Ewigkeit
aufheben sollte. Das Zentrum Roms ist klein. Es gibt zwar eine Unmenge
zu sehen. Aber es ist nicht wirklich gross. Und das finde ich schön. In
14 Tagen kennt man sich schon gut aus.
Ich würde am liebsten meine Existenz verwandeln. Du weisst, mein Traum
ist irgendwie eine Kombination von Porträtist und psychologischem
Berater. Leute kommen, weil sie irgendwie mit irgendwelchen Problemen
oder Lebensfragen nicht zurande kommen. Und ich diagnostiziere sie
sozusagen in einem Porträt. Und die Dauer des Porträtierens ist
gleichzeitig die Beratung. Sie ist keine so gezielte Sache, sondern ein
produktiver Prozess, der sich einfach aus dieser Situation ergibt. Ich
will niemandem etwas aus- oder einreden. Ich will - so könnte man es
vielleicht sagen - jemanden erkennen, wie er wirklich im tiefen Inneren
ist. Und das wird ihm gleichzeitig helfen, seinen Weg im fraglichen
Problem zu finden. Natürlich stelle ich mir vor der Staffelei nicht
kleine Penner und Nichtsnutze vor, sondern durchaus respektable Leute
mit respektablen Problemen. Na ja, entweder muss die Person, oder es
muss das Problem respektabel sein. Es gibt ja Menschen, die glauben,
sich mit Hilfe eines respektablen Problems zu einem respektablen
Menschen hinaufarbeiten zu können. Sie wollen am Problem in die Höhe
klettern. Aber sowas lasse ich auch gelten.
Du siehst, mein Traum geht in die Richtung von Magie. Wenn ich das
könnte, würde ich vielleicht auch Hypnosen anbieten. Aber das kann ich
nicht wirklich. Und vielleicht wäre es auch ein bisschen zu zauberisch.
Überigens würde ich auch gerne noch einmal Moskau sehen. Wir waren mal
dort während eines Tages. Aber damals war man als Tourist nicht frei.
Und alles schien mehr oder weniger kontrolliert und verschlossen. Ich
würde auch gerne in die russische Provinz reisen, dh. in Dörfer, die
noch so sind wie im 18. Jahrhundert. Dort könnte man in der Tat in die
Vergangenheit reisen.
Aber ich glaube, Städte sind für mich kleine Träumereien, nicht wirklich
Träume. Mein Traum: Ich würde gerne ein Buch schreiben oder einige
Bilder machen, mit denen ich zufrieden wäre. Ich glaube , dass es
wunderbar ist, wenn man später solche Dinge wieder hervornehmen und
geniessen kann. Ich merke das bei den Bildern, die ich vor etwa 20
Jahren gemalt habe. Ich schaue sie anders an als damals. Damals hatte
ich sie zu kritisch betrachtet, hatte überall Dinge und Stellen gesehen,
die man hätte besser malen können. Aber heute nehme ich sie einfach so,
wie sie sind. Und sie sind durchaus geniessbar. Und sie zeigen mir eine
Welt, die mir damals wichtig gewesen ist. Im Vergleich zu jener Zeit
vor 20 Jahren würde ich heute mehr das VL betonen. Ich meine, in diesen
alten Bildern war mir wichtig gewesen, die Dinge so zu malen, wie sie
sind. Ich habe zum Beispiel einige kleine Bilder, die Situationen im
Wallis zeigen. Es sind Stimmungsbilder. Sie erinnern mich an den Sommer
im Wallis. Heute würde ich vielleicht eher meine Fantasien, meine Ideen,
meine Innenwelt darstellen, und mich dabei weniger nach der äusseren,
sichtbaren Realität richten.

"Nachempfindung von Rubens' Höllensturz"
Habe ich Dir erzählt von meinem grossen Bild 'Höllensturz'? Na ja, es
ist eine Nachempfindung - so würden die Leute heute sagen - eine
Nachempfindung von Rubens' Höllensturz. Auf dem Bild stürzen Hunderte
von nackten Menschen und unglücklichen, wohl irgendwie schuldigen
Kreaturen durch graue Wolkengebilde und blaue Wolkenfenster hindurch in
die Tiefe. Es ist eine bodenlose Situation. Man weiss wirklich nicht, wo
sie schliesslich landen werden. Und dabei versuchen einige dieser
Sünder, sich an sehr weltlichen Dingen festzuklammern, an einem
Lampenschirm, an Tüchtern, an Papieren usw. Sie schaffen neben soviel
Fleisch einige Farbtupfer im Bild. Und durch das ganze Bild weht ein
steifer Wind. Man sieht das an den Körpern, deren Dynamik sich als
grosse Bewegung durchs Gewölk zieht. Die menschlichen Leiber wirken wie
abgefallene Blätter im Herbstwind.
Die Komposition hat mir damals sehr gefallen. Und ich habe tagelang an
der Komposition der Wolken gearbeitet. Das war vielleicht das
schwierigste. Es sieht auf dem Bild eher wie zufällig aus, aber es ist
sehr viel Kalkulation dahinter.
Solche oder ähnliche Bilder würde ich gerne malen. Aber es fehlt mir ein
bisschen die Zeit. Man muss da wochenlang dahinter sein, damit es
vorwärts geht und damit man den Anschluss nicht verpasst. Denn wenn das
Zeug mal trocken ist, ist es sehr schwer, wieder anzufangen. Die
Farbpalette stimmt nicht mehr, und auch die Striche im Bild wirken
plötzlich wie Fremdkörper. Es ist, wie wenn man eine alte Liebe wieder
aufwärmen wollte.Das geht selten gut.
Das wäre ein Traum: selbstvergessen in irgend einem atelier-ähnlichen
Raum tagelang zu werken, bei Musik, bei ab und zu einem Espresso. Früher
hätte ich gesagt, bei einer Gauloise ab und an. Aber heute würde ich
den Tabak mit einem kleinen Besuch einer Person eintauschen. Aber es
wäre schön, wenn die Situation offen wäre, wenn also Leute zufällig oder
gewollt vorbeikommen zu einem kleinen Schwatz oder zu einer längeren
Unterhaltung. Das wäre schön.
Walter hat überigens ähnliche Fantasien. Er ist ja ein passionierter
Bastler und kann alle möglichen elektrischen oder elektronischen Dinge
flicken. Er spricht davon, eine offene Werkstatt zu führen, wohin Leute
ihre kaputten Staubsauger, defekten Bügeleisen oder pfeiffenden Radios
bringen können, damit er sie ihnen flicke. So wie ich ihn kenne, würde
er es den Leuten überlassen, wieviel sie für die Reparatur bezahlten.
*
Elefanten mag ich auch. Ich liebe besonders Filme mit Menschenaffen.
Ach, sowas mag ich sehr. Ich bin - da bin ich Dir ein Antipode - ein
begeisterter Anhänger des Darwinismus. Und ich weiss, dass sich Euer
Papst dazu überwunden hat, hinter mich in meine Reihe zu stehen. Na ja,
er ist kein glühender Verehrer von Darwin. Aber er meint, respektive der
Vatikan meint, es wäre eine ernst zu nehmende Hypothese. Ich finde, der
Darwinismus ist eine gute Theorie, die mich immer wieder schwindeln
lässt. Der Schwindel ist vielleicht ähnlich, wie in jenem
rubens-ähnlichen Bild. Ach, Marlena, wie gerne würde ich Dir mal meine
Dinge zeigen, an denen ich hänge: Bilder, Bücher, Ideen, Zeichnungen,
Projekte, kleine und grössere Träumchen. Weshalb können wir das nie in
jener sinnlichen und RL Form, in der es so schön und einsichtig wäre?
Wir bewegen uns - notgedrungen - immer auf dem abstrakten VL-Niveau von Ronda.
Ich wünsche Dir einen wundervollen Tag.
Mit lieben Grüssen