den 9 juli 2003 08:05
Re: Hilfe!
Liebe Marlena
Was mache ich in meiner freien Zeit? Gute Frage.
Gestern beispielsweise habe ich mir gleich, als ich um 17.30h nach Hause kam, ein kleines Abendessen zubereitet. S. war noch nicht da. Das war ein Salat mit Broccoli und mit Bohnen, mein Lieblingssalat. Natürlich an italienischer Sauce. Und dazu habe ich den Tennismatch von Gstaad, Federer gegen Gomez, geschaut. War ziemlich spannend. Das zweite Set habe ich dann aber verschlafen und bin rechtzeitig aufgewacht, als Federer bei seinen 2 oder 3 Matchbällen das Set noch verloren hat. Un d dann habe ich das 3. Set mehr oder weniger gesehen, denn ich habe nebenbei Zeitung gelesen. Um etwa 20h ist dann S eingetroffen und ich habe ihr beim Nachtessen Gesellschaft geleistet. Ich will ja nicht mehr essen nach 17.00h, deshalb habe ich mich zurückgehalten. Das ist nicht leicht, kann ich Dir sagen, jeandem beim Essen zuzuschauen. Ich nehme mir in solchen Momenten ein grosses Glas Wasser und halte mich daran schadlos.
Und so haben wir noch ein bisschen miteinander geplaudert. Um halb zehn ist noch B dazu gestossen. Sie wollte eine Fernsehsendung sehen und hat sich gleich den Apparat für sich gepachtet. Und so bin ich dann um 22.30 oder so in mein Bett gestiegen, wollte noch ein bisschen lesen, habe es aber nach drei Sätzen damit belassen. Das ist es, sehr unspektakulär. So gewöhnlich kann Leben sein.
Ach ja, habe ich noch vergessen. Gleich als ich nach Hause kam, habe ich die Blumen vor der Haustüre begossen. Ich hatte den Eindruck, sie liessen ihre Köpfe etwas hängen und wollte sie aufmuntern. Ich glaube, es hat gewirkt. Es sind zwei grosse Stöcke Oleander, die ich mal gekauft hatte, zwei Kisten Geranien und noch ein paar andere Gewächse, die ich nicht so genau benennen kann.
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Und jetzt sitze ich schon wieder im Büro und warte auf Dein Morgenmail. Es ist bedeckt heute, und wird wohl nicht so warm werden wie gestern. Ja, was Dir bei Pessoa aufgefallen ist, das kann ich gut verstehen. Das Wetter ist sozusagen die grösste athmosphärische Dimension. Und die eigenen Launen und Gefühle hängen letztlich ein bisschen davon ab, oder sie kontrastieren sich, sie beumen sich gegen das Wetter auf.. Das Wetter als Äusserstes und die eigene Befindlichkeit als Innerstes, das ist ein guter Spannungsbogen für ein Tagebuch. Vor allem, für einTagebuch ohne Ereignisse. Ich weiss von Bonnard, dem Maler, der auch über Jahre Tagebuch geführt hat. Er hat dazu eine kleine Agenda verwendet. Und er hat auch tagtäglich die Wetterverhältnisse registriert und niedergeschrieben. Aber bei ihm hatte ich diese Gewohnheit eigentlich interpretiert als das Interesse des Malers, der - wenn er Landschaften malt - auf die visuellen Effekte der Witterung ein besonderes Auge legen sollte. Bonnard könnte man durchaus, von seiner Statur her, als einen Verwandten Pessoas bezeichnen. Haben sie nicht zu gleicher Zeit gelebt? Ich glaube, sie könnten Brüder sein. Bonnard hatte mit seiner Frau ein äusserst kompliziertes Verhältnis, hat das aber mit wunderhübschen Interieurportärts beschönigt und verhüllt, eigentlich in ästhetische Kunst verwandelt. Ich glaube, Du kennst Ihn, unseren Bonnard? Er ist mir in den letzten Jahren lieb geworden, und ich kann nicht mal genau sagen, weshalb. Es ist eine ähnliche Art fder Poesie wie Pessoa vielleicht. Jetzt, wo ich darüber schreibe, fällt es mir auf. Die Poetisierung des normalen und banalen Alltages, das schaffen sie beide. Und beide haben natürlich in einer einzigartigen Gegend gelebt, die ihnen ihre Arbeit mit allerfreundlichstem Wetter erleichtert hat. Bonnard war an der Côte d'Azur zuhause.
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Ach ja, und dann habe ich abends noch 3 Kinderbücher rezensiert. Ich habe den Text zwar noch nicht durchformuliert, sondern mir bloss Stichworte gemacht. Ich habe gedacht, das würde genügen, um dann morgens im Büro alles gleich niederzuschreiben. Das will ich jetzt gleich tun. Braucht nicht viel Zeit.
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Und einige kleine Zeichnungen habe ich gemacht gestern abend. Es sind so Einfälle, die ich habe, und die ich dann auf Karten in Postkartengrösse zeichne und bemale. Manchmal sind sie gelungen, manchmal ein bisschen verrückt. Es ist eine Art Bildertagebuch, das ich mache. Und ich denke, dass ich später, wenn ich mehr Zeit habe, davon einige Bilder malen möchte. Es sind Bildideen sozusagen. Einige wirken recht lustig, so dass ich dagegen kämpfen muss, dass S. sie nicht als Postkarten in alle Welt verschickt. Diese Zeichnungen helfen mir, mich etwas aufzuheitern und das Gefühl zu haben, ich hätte am Tag mindestens etwas, wenngleich etwas Kleines, wirklich beendet - um nicht zu sagen 'vollendet'. Wenn ich mal sterbe, werden die Tausenden von kleinen Zeichnungen als der Nachlass eines etwas verschrobenen Spinners gelten.
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So komisch kann Leben sein.
Mit lieben Krüssen (eine patente Momentanerfindung, feucht und knallig)...