Samstag, 29. Juni 2024

Nach Teheran

Subject: Ti voglio molto bene: Abschiedsküsse

Liebste Marlena
Wie geht es Euch denn dort oben im hohen Norden? Bei uns ist es ziemlich kalt. Vielleicht ist bei Euch ja noch schlimmer, ein Rückfall in den Vorfrühling? Ich sitze zuhause und versuche, meine sieben Sachen fertig zu packen. Eigentlich habe ich keine grosse Lust. Und ich kann es mir kaum vorstellen, dass ich heute Abend schon in der Luft sein sollte.
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Mit anderen Worten, heute abend um 1930h fliegen wir ab von Basel nach Zürich. Dort haben wir eine ganze Stunde Auftenthalt. Und dann geht es um 2100 ab nach Teheran, wo wir morgens um 430 ankommen sollen. Inshallah. Und Du weißt, meine Liebste, ich habe Dein Auge mit im Gepäck. Ich werde Dir alles zeigen, was von Interesse ist.
Ich küsse Dich meine Liebste, und ich wünsche Euch noch weiterhin schöne Ferien.
...
PS: Ich habe mir einen 5-Tage-Bart wachsen lassen, damit mich die Moslems dort drüben wie einen Bruder empfangen. Let us hope for the best and expect ..


That's Iran

 Subject: Iran III


Liebe Marlena
Unser Programm ist es, den Iran zu schmelzen, wie Du so schön gesagt hast. Lass mich noch ein bisschen schmelzen.
Eigentlich hätte ich gerne mit viel mehr Leuten im Iran geredet und diskutiert. Aber das ist nicht so leicht. Einerseits habe ich das Hindernis der Sprache, denn ich kann nur mit Leuten reden, die Englisch oder Französisch oder Deutsch reden. Und da gibt es nicht so viele. Die Kusine von S und ihr Mann haben zum Beispiel in Lausanne und Paris studiert. Aber ihr Französisch war wirklich kaum mehr verständlich. Und ob es meines war, kann ich Dir nicht so genau sagen. Ich habe auch gar keine Übung und die Worte kommen mir nicht ohne Anstrengung über die Zunge. Und neben der Sprache gibt es das Hindernis des Geschlechts. Ich kann nur mit Männern diskutieren. Mit Frauen kaum, vielleicht mit jenen aus der Verwandtschaft. Aber auch da ist es nicht so leicht. Sie sind es nicht gewohnt, so offen und direkt zu reden wie wir das tun. Und ganz allgemein reden sie so wenig über Politik, sondern meist ausschliesslich über private Dinge.
Aber immer wieder haben mich Männer angesprochen, weil sie gesehen haben, dass ich ein Ausländer bin. Und sie wollten mit mir reden. Einige konnten kaum ein paar Worte formulieren, andere waren ziemlich intelligent und ich hatte einige ausführliche Gespräche. Schon auf dem Flughafen, als ich am Förderband auf mein Gepäck wartete, wollte ein Perser mit mir plaudern. Da war ich noch nicht wirklich offen und bereit, und ich habe keine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Aber ich habe ihn beobachtet. Er war ziemlich gut gekleidet und bewegte sich selbstbewusst. Es gab Leute vom Flughafen, die ihn grüssten. Er musste also ein ziemlich bekannter Kopf gewesen sein. Ich sah ihn später, wie er mit einer älteren Frau in einem Rollstuhl eine lange Plauderei hatte.
In Isfahan war man besonders interessiert an den Fremden. Die Jungen wollten, so glaube ich, ein bisschen ihr Englisch üben. Manche haben wohl auch gedacht, es würde sich aus dem ganzen vielleicht ein Geschäft entwickeln. Einige waren im Tepichhandel tätig. Aber im allgemeinen war es irgendwie einfach Kontaktfreude. Sie wollten mit jemandem plaudern. Sie hätten auch mit einem Perser plaudern können. Aber ein Ausländer schien vielleicht ein bisschen interessanter. Doch im allgemeinen blieb die Diskussion auf einem einfachen Niveau. Sie wollten wissen, ob die Schweiz besser sei oder Iran. Ich war natürlich nicht so dumm zu behaupten, die Schweiz sei besser. Oft habe ich gesagt, die Schweiz sei zu teuer, oder sie sei zu klein. Das stimmt ja wohl auch.
Viele Gesprächspartner haben mir angedeutet, dass sie mit ihrem System nicht zufrieden sind. Mit dem Bademeister am Kaspischen Meer habe ich mich ziemlich lange unterhalten. Er schien mir ein gescheiter Mann von etwa 30, und nach den Gesichtszügen zu urteilen, wäre er in der Schweiz sicherlich eine Person mit einer höheren Ausbildung gewesen. Ich meinte, es sei doch schlecht, diesen Zaun am Strand aufzubauen, das sei doch läppisch. Und er gab mir zu verstehen, dass er das eigentlich auch finde. Aber es sei eben sein Job, das jetzt zu machen. That's Iran, so meinte er, und verwarf die Hände, um zu zeigen, dass man dagegen nichts machen kann.
Einen jungen Burschen aus der Verwandtschaft, etwa 20 Jahre, der soeben die Prüfung zur Universität bestanden hatte und deshalb sehr glücklich war, habe ich gefragt, warum er Khatamy gewält habe. Er konnte es mir nicht eigentlich sagen. Er meinte nur, Khatamy sei gut, er mache viel für die Jungen. Aber was er denn wirklich für die Jungen machte, das konnte er mir nicht sagen.
Die Leute sind natürlich nicht so genau informiert. Sie lesen kaum Zeitungen und hören wohl auch kaum Nachrichten. Meine Schwiegermutter hat sich Mühe gegeben, immer um 23h abends die englischen Nachrichten einzustellen. So konnte ich ein bisschen mitverfolgen, was los war. Die Nachrichten haben aber immer wieder über dieselben Dinge berichtet. Da war der Aussenminister aus Georgien, der zu Besuch war. Man wollte irgendwie die gegenseitigen Beziehungen pflegen, Handelsabkommen treffen. Aber was das wirklich sollte, wurde nicht gesagt. Man sah Rafsanjani, der offensichtlich immer noch sehr gerne redet. Es gibt Leute, die behaupten, er sei immer noch der mächtigste Mann im Land. In den Parlamentswahlen hätte er zwar fürchterlich wenig Stimmen gemacht. Deshalb wurden sie ja teilweise wiederholt. Aber man hatte ihm dann irgendwie einen Posten als graue Eminenz gegeben. Und in der sonnt er sich offensichtlich. Er spricht wirklich wie die Weisheit in Person. Und dabei kannst Du an seiner Mimik und an der Stimme bemerken, dass er nicht gerade eine Leuchte sein kann. Er ist vielleicht clever, aber nicht wirklich gescheit. Er ist ein Fuchs. Und man sagt, er sei steinreich. Er produziert Pistazien. Und seinem Sohn gehören die Anlagen auf der Insel Kish im persischen Golf.



Von Khatami hatte ich einen ziemlich positiven Eindruck. Schon im Flug habe ich seine Rede gelesen, die er in Weimar Deutschland gehalten hatte. Dabei sprach er vom Dialog der Kulturen und vom Austausch zwischen Traditionalität und Modernismus. Es war natürlich alles ein bisschen wolkig, wie die Perser gerne reden, wenn es um nichts direktes geht. Aber es war eine gute und versönliche Rede, und er forderte auch vom Islam, die bornierten Positionen aufzugeben. Später habe ich vernommen, dass Khatami zwei Jahre in Hamburg gelebt hatte und dort ein islamisches Zentrum geführt hat. Offensichtlich hatte er dort mit verschiedensten Leuten Kontakt und sie zu Diskussionen eingeladen. Er ist ein ziemlich offener Geist mit einem freundlichen Wesen, wenn man seiner Erscheinung glauben kann. Und, ich muss es sagen, er sieht mit seinem Turban und seiner Kleidung als Geistlicher ziemlich elegant aus. In den letzten Parlamentswahlen hatte er ja eine überwältigende Mehrheit für sich gewonnen. Aber im Justitzdepartement sollen seine konservativen Gegner schon die nächsten Gegenmassnahmen aushecken. Aber das Parlament steht mehrheitlich hinter ihm. Und auch das konnte aber nicht verhindern, dass die Diskussion um das neue Pressegesetz nicht hat stattfinden können, weil Khameney, der Staatspräsident dies verhindern wollte. Das Parlament habe sich eine Schlägerei geliefert, habe ich gehört. In den Zeitungen habe ich über Tätlichkeiten kein Sterbenswörtchen gelesen.
Ich denke, im allgemeinen meinen die Perser, im Ausland sei es besser. Es sind seit der Revolution auch wirklich viele Menschen emigriert. Aus S's Familie sind heute etliche in Amerika. Und sie haben grosse Entbehrungen und Mühen auf sich genommen, um in den USA ein neues Leben zu beginnen. Einige haben dabei auch viel von ihrem Besitz verloren. Sie haben das meist für ihre Kinder gemacht, damit sie einmal mehr Lebensmöglichkeiten hätten, als sie es ihnen im Iran hätten bieten können.
Es soll nicht leicht gewesen sein, aus dem Iran auszureisen und den Besitz mitzunehmen. Mein Schwiegervater hat seinem ehemaligen Chef, dem Direktor der UNO Niederlassung in Teheran geholfen, seinen Besitz ins Ausland zu bringen. Er konnte es tun, weil er ja oft Teppiche nach Europa geschickt hatte. Und natürlich ist er heute der Familie sehr dankbar und alle Familienmitglieder könnten jederzeit zu ihm nach Amerika, und er würde sie gastfreundlich in seinem Haus aufnehmen. Er ist überigens Jude.
Auffallend war, wie sehr sich die Fernsehnachrichten mit der PLO und den Palästinensern beschäftigt hat. Das war das wichtigste aussenpolitische Thema. Es war nicht offen aggressiv gegen die Juden, aber doch klar für die Palestinenser. Und daneben gab es noch Meldungen aus Afrika. Die Amerikaner haben sie links liegen lassen. Von ihnen war einfach keine Rede. Und auch von Europa hörte man praktisch nichts. Ich hatte wirklich den Eindruck, ich sei weit weg und auf einem anderen Planeten.
Als wir dort weilten, waren gerade die Aufnahmeprüfungen zur Universität. Es gibt sie jedes Jahr, und sie finden im ganzen Land am selben Tag statt. Hunderttausende von Persern und Perserinnen würden gerne an die Universität gehen, um zu studieren. Aber nur ein kleiner Prozentsatz kommt hin. Wer in Teheran studieren will, muss bessere Prüfungsresultate haben. Wer sein Fach auswählen will, muss bessere Resultate haben. Die zwei jungen Männer aus S's weiterer Familie, die die Prüfungen bestanden hatten waren zwar überglücklich. Aber sie hatten noch keine Ahnung, was sie denn wirklich studieren würden. Im Grunde ist es wohl nicht so wichtig, was man studiert. Denn auch nach dem Examen, wenn man eine Stelle sucht, wird man weniger aufgrund der Studienrichtung angestellt, sondern eher aus anderweitigen Motiven (Beziehungen wohl in der Regel). Bei diesen jährlichen Prüfungen gibt es auch viele Menschen im fortgesetzten Alter, die immer noch versuchen, ihren Wunsch nach einem Studium zu erreichen. Die Menschen dort haben wirklich noch Wünsche und Ambitionen. Und das Wissen liegt noch nicht auf der Strasse.
Ach Marlena, das hört sich wohl alles ein bisschen hölzig an. Hoffentlich habe ich dich nicht gelangweilt. Man sollte das ein bisschen spannender und farbiger schreiben.
Ich schicke Dir also dieses ausgetrocknete Mail und hoffe, dass Du dich dabei nicht verschluckst.
Ich küsse Dich ziemlich eingehend
 ...

Zu später Stunde ...

 

Liebster Mausgeliebter,

Wenn du nur sehen könntest wie sehr ich mich über deine Briefe freue. Du würdest nie auf den Gedanken kommen dass es mich langweilen könnte. Nein, auch dein zweites Mail (Iran III) finde ich hochinteressant und es hat mir sehr gut gezeigt wie sich die Leute dort fühlen müssen. Es steht eigentlich in jeder Zeile von dir.
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Weißt du, als ich dein vorletztes Mail gelesen hatte wollte ich mich sofort an den PC setzen und antworten. Dann wäre es spontan und echt geworden. Ich hatte dir so viel zu sagen zu diesem Brief und dann musste ich erst eine Menge andere Pflichten erfüllen und war am Ende so todmüde dass ich um acht Uhr einschlief. Wenn nicht eine Kollegin angerufen hätte, hätte ich sicher weitergeschlafen.
Ich musste u.a. noch schnell auf die Post um eine verspätete Rechnung zu bezahlen. Dabei merkte ich erst was für ein wunderschöner Tag heute war. Ich ging da mit flatterndem Haar die Strasse entlang und dachte an deinen schönen Brief. Die Sonne strahlte und ein warmer wind wehte. Ich liebe es wenn ich diesen sanften Wind im Gesicht spüre. Vielleicht sah man es mir an dass ich glücklich war denn ich hatte den Eindruck dass mich die Leute etwas länger anschauten als man normal tut. Du machst mich wirklich glücklich mit deinen schönen Mails und manchmal möchte ich dich bitten du sollst vorsichtig sein. Du bedeutest so viel für mich und damit hast du auch die Möglichkeit mich tief unglücklich zu machen wenn du aus meinem Leben plötzlich verschwinden würdest. "... on devient responsable de ce qu'on apprivoise" weißt du doch noch.
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Samstag, 22. Juni 2024

Nostalgie

 


  mein Bild  - Sierre

...
Wenn ich an die Zeit im Wallis zurückdenke, werde ich ganz und gar melancholisch. Es geschieht mir immer wieder. Und es ist mir nicht klar, ob das gut oder ob das eher schädlich ist. Es ist diese spezielle Landschaft, die eine ästhetisch sehr schöne und übersichtliche Welt damals gewesen ist. Aber es ist natürlich auch die Erinnerung an die eigene Jugend, diese grossen Erwartungen und Hoffnungen ans Leben, die ich damals gehabt habe. Es sind die starken Gefühle und die Vorstellungen von einer weiten, wunderbaren offenen Welt, an die wir damals geglaubt hatten.

Das Land, woraus wir vertrieben worden sind, das ist das Paradies. Die Vertreibung produziert die Paradiese. Die Jugend ist ein Paradies, allermeist. Ich habe dann auch neue Paradiese gesucht. Den Orient einerseits, die Psychologie andererseits. Beides waren für mich unbekannte, geheimnisvolle Landschaften, die mit meinem bisherigen Leben und der Philosophie meiner Familie wenig zu tun hatten.

Lange Zeit habe ich versucht, mit Malen diese alten Welten und alten Zeiten wieder zurückzuholen. Ich habe einige Landschaftsbilder im Wallis gemalt. Eines davon hängt in unserer Stube. Es ist eine Ansicht vom lac de Géronde in Sierre, das ich sehr liebe. Ich glaube, ich habe Dir schon einmal über diesen wunderbaren See inmitten der Hügel von Siders erzählt. José, mein Freund aus dem Club, der Moderedaktor, meint, das Bild sei in mystischen Farben gehalten. Ich sei ein Mystiker, meint er.

Nun ja, Marlena, Du siehst, wie leicht ich mich in eine solche romantische Psychose hineinmanövrieren kann. Ich kann wirklich schwelgen in meinen alten Erinnerungen. Aber eigentlich nur, wenn ich darüber schreibe. Sonst schwinden sie vorbei wie Wolken im Sommerwind.

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende und ich hoffe, dass ich bald von Dir höre.
Mit einem lieben Gruss

...


Freitag, 21. Juni 2024

Midsommarafton

  

Glad midsommar!






Midsommar

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 bei Tag


 und bei Nacht



Sonntag, 16. Juni 2024

... ein Sehnsuchtsort

 



Aber Ronda stand auf meiner Liste.
Marlena


Liebe Marlena
...
Es gibt Sehnsuchtsorte. Elias Canetti betrieb einen Kult mit den Städten, die er aufsuchen wollte. Je heiliger ihm eine Stadt war, desto länger schob er den Besuch hinaus.

Da kommt mir eine kleine Sache in den Sinn. Ich habe dir erzählt, dass wir vor ein paar Jahren in Andalusien waren. Es waren sehr schöne Ferien in diesem schon ziemlich afrikanischen Klima. Und eines Tages sind wir mit unseren spanischen Freunden nach Ronda gefahren. Nun ist Ronda ein ganz speziell romantischer Ort. Rilke war dort und hat im Hotel Reina Victoria logiert und ein bisschen über seinen Duineser Elegien geschwitzt. Und vor allem Hemingway war da, der grand old man, über den die Spanier reden als wie über den eigenen Grosspapa. Hemingway war ja bekanntlich ein begeisterter Stierkampfbesucher, ein afficionado oder so ähnlich, dh. ein Fan. Und er hat ein interessantes Buch über den spanischen Stierkampf geschrieben, das ich damals in den Ferien nochmals gelesen habe. Nun bin ich sicher, dass du Marlena, als Nordländerin und als sensible Frau, den Stierkampf ganz und gar nicht bejahen kannst. Schliesslich bringt es dich schon in Aufregung, ein paar Ameisen im Hause zu Leibe zu rücken. Doch es geht mir nicht um den Kampf. Nein, Hemingway hat Ronda, diese alte und malerische Stadt in den Bergen, an einer tiefen Schlucht gelegen, ebenso lebendig und poetisch beschrieben wie Rilke. Nein, eigentlich nicht ebenso, sondern eben a la Hemingway. Die zwei sind ja nicht gerade Brüder im Geiste. Der eine war ein Spring-ins-Feld, der andere ein hochsensibler Schöngeist. Nun denn, Hemingway sagte über Ronda, er empfehle es jenem Mann, der gedenke, mit einer Geliebten auszureissen und durchzubrennen. Das fand ich schön gesagt, echt Hemingway, der Macho, wie er ja wohl im Privatleben nicht nur war mit seinen Depressionen.

By the way: Ronda habe ich nicht in unsere Liste aufgenommen, vorsichtshalber. Aber in meinen Gedanken war schon Hamburg drin. Ich lass DICH mutmassen, weshalb!
Ich habe nun - weiss Gott - noch ein paar weitere Gedanken und Fantasien gehabt. Und ich kann dir sagen, sie waren nicht schlecht, wir müssten uns ihrer nicht schämen. Allein, sie lassen sich nicht alle mit unserem §5 vereinbaren.

Gottseidank also haben wir zusammen bloss eine feine Mausfreundschaft mit Fachgesprächen über Rilke, über die Spurbreite der Champs Elysées und über das gegenwärtige Potential an valablen Schwiegersöhnen. Was ist denn schon dabei! Zumindest werden wir dir deine Trauer vom Gesicht wegretouchieren. Ich helfe dir dabei, soweit ich kann. Keiner soll mir vorwerfen, ich könne nicht retouchieren!

Gibt es irgendwelche Worte, die man jetzt sagen könnte?? Ich glaube nicht.

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A propos Reisen: "Ich bin ein Seemann im Verkennen meiner selbst" schreibt Fernando Pessoa, "ich habe überall gesiegt, wo ich nie gewesen bin. Reisen? Existieren ist Reisen genug".




Samstag, 15. Juni 2024

Soulagement

 

Lieber..

Ja, .., ich weiss schon. Du bist etwas asozial hinter der Fassade. Sind wir ja beide sonst würden wir uns nicht schreiben. Und dieses wertvolle Foto von dir, dieses einmalige habe ich nicht genug gelobt. Also muss ich es wohl nochmals versuchen. Vielleicht geht es ohne S und M einzumischen.

Erstens siehst du auf dem Bild sportlich aus. Du könntest sehr gut einer dieser hormonstrozenden Harros sein, die man im heutigen ST finden kann. Vielleicht ist es das T-shirt das es macht. Dann liebe ich dein Kinn. Es sieht sehr männlich aus. Ich habe schon immer eine Schwäche für diese Art von Kinn gehabt. Darüber deine schön geformten weichen Lippen. ...(Zensur)... Deine Nase ist fotogenique. Und deine Augen. Es hat mich etwas überrascht dass sie so hell sind. Ich würde sie gern live sehen. Und wenn ich dir so in die Augen schaue dann bin ich mir bewusst dass ich das im real life kaum wagen würde. Und dann versuche ich das Bild von dir, das ich in mir trage, mit dem auf dem Foto in Einklang zu bringen. Ich weiss doch dass du aus Fleisch und Blut bist aber trotzdem kann ich es nicht richtig fassen, dass du wirklich bist. Es ist fast als hätte ich vergessen dass hinter den Mails ein richtiger Mensch steht.. Übrigens siehst du auch poetisch aus und wenn ich nicht wüsste, dass es sich um eine Magenverstimmung handelt hätte ich glatt geglaubt du leidest an Weltenschmerz. ;-)

Schau mal zu was du mich mit deiner kleinen ironischen Bemerkung verlockt hast. Aber natürlich fühle ich mich geehrt dieses "Einzelstück" von Foto zu besitzen. Das letzte sozusagen das du nun auch verschenkt hast. ;-) Oder besitzen die übrigen 59 Mailpartnerinnen auch dieses Bild???


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RE:

Liebe Marlena 

Trotz des tristen Wetters und Deiner nach Eukalyptus lechzenden Erkältung kannst Du solch ein Mail schreiben! (ein!)   Manchmal muss man Dich wirklich etwas kitzeln, damit Du aus Dir rausgehst und Deine Genialität in der Sonne zu gleissen geruhst!! (zwei!!) Es ist schon länger her, dass ich über eines Deiner Mails so sehr geschmunzelt habe. Und das hängt nicht bloss daran, dass Du Dir dieses Mal meine Nase vorgenommen hast!!! (drei!!!) 

Es ist eigentlich mehr, WIE Du schreibst. Und Du kannst es meisterhaft. Die Gedanken und Dinge nach Deiner Art in überraschende Zusammenhänge zu bringen, das ist echt zum Schmunzeln. Und manchmal klingt es ein wenig mammahaft! Auch das hat Charme.  Zumindest hat es meinen baudelairschen Weltschmerz etwas aufgehellt.

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Klar, ich hätte auch mit einer der 59 Frauenzimmer (oder muss ich sagen Adressen) abgehauen sein können! Nach einem unendlich langen und qualvollen Würfelprozess, welche denn Opfer dieses romantischen Anfalls sein dürfe. Und nach diesen dämlichen Qualifikations- und Selektionsprozessen hätte ich die Schönste am Handgelenk genommen und wäre hinunter nach Ronda durchgebrannt. Hemingway meint, Ronda eigne sich für ein solches Unternehmen besonders. Ronda also hätten wir uns geleistet und wären im Hotel gleich neben der tiefen Schlucht abgestiegen, dort wo man vom ehemaligen Strassenräubernest in die waldige und hügelige Landschaft hinunter sieht. Und wir hätten zum spanischen Wein diese riesengrossen und etwas groben Plätzchen gegessen, die sie in Spanien den Stieren praktisch lebendigen Leibes aus den Lenden schneiden. Inkognito wären wir auf Rondas Flaniermeile Arm in Arm auf und ab gegangen, hätten auf die Welt und ihren unglücklichen Lauf gepfiffen und stattdessen in der wunderhübschen kleinen Arena ein paar blutig-schöne Corridas besucht.

Und zwischendurch hätte ich mit meiner schönsten Rothaarigen im Hotelzimmer die Decken aufgewühlt und Bettgestelle flachgelegt. Ein bisschen barock alles, zugegeben. Ungefähr so wie ein gute Flasche Malvoisie, prickelnd, komplex und lebenslustig.

Doch, meine liebe Marlena, wie kann ich erklären, dass ich nach drei Tagen bereits wieder zurück bin?? Der romantische Anfall berücksichtigt nur den explosiven Entschluss, die hastige Abfahrt, den brennenden Wunsch, wegzukommen. Doch wie kommt man wieder zurück? Reuigen Herzens? Asche auf dem Haupt? Triste und voller Schuldgefühle? Oder einfach so, indem man morgens wieder im Büro sitzt und die aufgelaufenen Pendenzen angeht? Die Rückkehr ist ziemlich heikel, nicht wahr? Die Romantik denkt nicht an Rückkehr, wenn sie denn überhaupt denkt! Sie denkt nämlich auch nicht daran, lebenslänglich in Ronda auf und ab zu gehen. Man müsste dann ja gelegentlich mit der nächsten der 59 zum nächsten Ort abhauen. Vielleicht nach Rom mit einer Blonden, nach Paris brunette und Casa Blanca schwarz?

Ich bin also von Ronda zurück!

Mit einem lieben Gruss 

...

Freitag, 14. Juni 2024

Ravitaillement - kleiner Picknickkorb

 

Ronda

Ämne : Ravitaillement... 

Lieber ...,
Eigentlich hätte ich dir ein langes Mail senden wollen. Das versuche ich immer am Donnerstag, weil ich nicht weiss wann ich demnächst ungestört schreiben kann. Es soll sozusagen ein kleiner Picknickkorb sein um deinen ärgsten Hunger zu stillen. Aber vielleicht hast du garnicht mehr so grossen Appetit dass es nötig ist - oder (was noch schlimmer ist) du wirst von anderen gefüttert. Nun ja, von S erwarte ich es ja - es ist doch die Pflicht einer guten Ehefrau ihren Mann zu pflegen, aber nun dachte ich eben an die anderen. Die rothaarige und die Brunette. Obwohl ich glaube dass du Spass machst kann ich es doch nicht verhindern dass ich ein wenig eifersüchtig werde dabei. Ich möchte dich mit allen teilen und gleichzeitig für mich allein beanspruchen. Du siehst mein Dilemma. ;-)

Du schreibst wieder so schön von Ronda und wenn ich noch einmal eine Liebesaffaire haben werde, werde ich wahrscheinlich diesen Ort dafür wählen. Aber vielleicht doch nicht, denn ich will nicht meine grosse Liebe betrügen: Rom.
Siehst du, nun bist du so klug geworden dass du auch die Gefahren sehen kannst. Und du hast sie sehr gut beschrieben. Man kann nicht ewig Hand in Hand herumspazieren... und das Gefühl nachher, wenn man es nicht mehr kann. Wie wäre unsere Relation jetzt wenn wir Rom hinter uns hätten? Ach, das Leben ist wirklich nicht nur ein Fest. Würde man sowas überhaupt aushalten? Wir würden uns wahrscheinlich vergessen.. ups ich meine veressen. Aber auch da bin ich nicht richtig sicher. Was dich betrifft bin ich nie richtig sicher was und wie...
Nur eines weiss ich mit 100%iger Sicherheit. Du machst mein Leben schön mit deinen Mails und wenn ich mich wegen irgendetwas glücklich fühle so hat es immer auch mir dir zu tun.
Sieht es wieder aus wie eine Art Liebeserklärung? Ach, ich bin doch nur aufrichtig.
*
Heute haben wir (WIR, wie das klingt!) den Nobelpreis in Literatur verliehen. Und du weisst ja schon an wen. Man fragt sich ob das irgendwie politisch begründet sein könnte und ob man vielleicht heute nicht jemand anderen hätte wählen sollen. Aber es freut mich dass man einmal nicht eine völlig ungelesene Person irgenwo ausgegraben hat sondern einen Schriftsteller gewählt hat dessen Werk von einem grossen Publikum geschätzt wird. Und der Mann scheint etwas scheu zu sein. Als er die Nachricht erfuhr versteckte er sich in einer Ecke seines Gartens und man hat bis jetzt noch keinen Kommentar aus seinem Mund gehört.
Ich werde mir ein Buch von ihm besorgen. Das versuche ich meistens zu tun mit Preisträgern die ich noch nicht gelesen habe. So kam es auch dass ich damals Singer las. Und sein Buch hat mein Bild von Amerka, das ich bis dahin hatte, sehr verändert.
*
Man hört so viel Elend in allen Medien und ich denke wie eine Schülerin heute sagte: man muss sich ein wenig abschirmen um es überhaupt ertragen zu können. Vor einer Weile habe ich "al Jazira" angesehen, das arabische Gegenstück zu CNN. Es war interessant. Kennst du das Programm?
*
Eigentlich geht es mir nicht allzu gut im Moment und ich hoffe dass ich es nicht werde büssen müssen dass ich zur Arbeit gegangen bin. Es schmerzt im Hals und in der Brust (Luftröhre und Lunge) und ausserdem höre ich kaum. Das ist wirklich kein Vorteil für einen Sprachlehrer. Oder vielleicht doch? ;-)
*
So, nun habe ich den Korb gepackt. Fehlt nur noch eine kleine Süssigkeit als Nachspeise. Vielleicht ein paar von den italienischen "bachis", du weisst die mit einem Spruch auf dem Papier. Ja, die magst du sicher gern.
Ich wünsche dir eine gute Nacht und einen schönen Freitag.
Love
Marlena

Altes Tagebuchblatt

 


Wandteppich


Lieber ...,
Ich kenne es nur allzu gut dieses Gefühl. Man hat ein paar Tage vor sich auf die man sich riesig freut und man weiss genau was man damit tun wird.. und dann sind sie da und plötzlich ist es ganz anders als man es sich vorgestellt hatte und die kostbare Zeit rast nur so dahin und ist bald vorbei ohne dass man sie richtig geniessen konnte. Ich denke manchmal ”diesen Tag würde ich gern an ein Second-Handgeschäft verschenken”. Es gibt Tage die wirklich nur Transportstrecken sind.. wohin fragt man sich..
Du tust mir leid, chéri. Sogar auf ein schönes Fest musst du verzichten. Aber du wirst sehen, bald bist du wieder der alte ... voller Energie und Pläne für die Zukunft. Und sicher freust du dich schon auf die Reise in den Iran. Dann kommen Tage an denen du doppelt und dreifach leben wirst. :-) Wolltest du mich denn nicht auch ein wenig einweihen und mir dein Programm zeigen? Ich würde mich sehr darüber freuen.
Wir haben einen stillen Familienabend, d.h. so still wie er eben bei uns sein kann. K und A diskutieren laut und ich denke wie wenig Respekt die Kinder heute vor ihren Eltern haben. So hätte ich nie mit meinen reden können. Und dann dröhnt die Musik von unten herauf und ich kann mich nicht wehren. Die Geräuschschützer (?), die ich mir zu Weihnachten gewünscht habe, habe ich immer noch nicht erhalten. Aber ich will nicht allzu viel klagen. Die meiste Musik die K spielt gefällt mir sehr gut. Gerade war es Leonard Cohen. Kennst du ihn?
Und gestern nachmittag kam eine totmüde Anna nach Hause von dem verregneten Ausflug. Sie hatte kaum eine Stunde geschlafen und um drei Uhr morgens waren sie noch über einen See gerudert um eine Biberhüte (heisst es so?) die sie am Tag vorher entdeckt hatten zu besichtigen. Trotz des Regens haben sich alle sehr gut amüsiert. Und nun sitzen sie sicher alle zu Hause (einige ziemlich erkältet) und bereiten sich vor auf die grosse nationelle Probe in Mathematik die Anfang nächste Woche stattfindet.
Spätestens Montag muss ich alle Noten der Abiturienten abgeben und dann folgen noch ein paar Abschlussprüfungen für die 17-jährigen. Ach, wenn ich denke wieviel ich in kurzer Zeit noch tun muss dann werde ich ganz müde. Übrigens, wenn ich von müde rede: Anna hat sich gestern nachmittag um vier hingelegt und bis 7 Uhr heute morgen durchgeschlafen. :-)
*
Ich muss ein wenig schmunzeln wenn ich lese was du zu dem Bild vom Esstisch schreibst. Ordnung und bürgerlich und was es noch war .. und ich lasse dich gern in dieser schönen Vorstellung weiterleben. ;-) Weisst du, wir hatten schon ein Heim eingerichtet bevor ich hierher zog. Damals liess ich alle Möbel in der alten Wohnung stehen die K übernahm. Und was ich Anfangs für meine Wohnung hier kaufte war immer nur für eine kurze Zeit gedacht bis wir die beiden Wohnungen zusammenschlagen würden. Und dann haben wir diese Villa gekauft und da wir eingesehen haben dass wir getrennt weiterleben würden haben wir eben dieses Haus weiter in dem hellen Möbelstil eingerichtet.. ist ja auch typisch schwedisch. Mir gefällt es jedenfalls.. und mein lieber Schwiegervater machte mir immer Komplimente für die schönen Farben ..
Übrigens, der Wandteppich oder wie man es nennen soll ist etwas Typisches für den hohen Norden. Nur sieht man sie gewöhnlich in sehr starken Farben die hier zu dominant gewesen wären.. Als wir beim Begräbnis meines Schwiegervaters waren leuchtete der Abendhimmel in all diesen Farben - rosa, orange und lila - und ich kann noch die schwarzen Silhuetten der Bäume sehen die keine Blätter mehr trugen. Nachher gingen K und ich durch die Stadt und in einem Schaufenster sah ich diesen Himmel wieder auf dem Wandschoner und wir kauften ihn als Erinnerung an die vielen schönen Sommer die wir bei ihm in Luleå verbracht hatten.
Und daneben das Bild von Anna. Es ist wirklich so ausdrucksvoll dass es mich stark berührt wenn ich es betrachte. Das kleine Aquarell mit der Karlsbrücke in Prag, auch im Abendlicht, erinnert mich an so viel. Ach es war so schön dort. Ich glaube ich muss noch einmal hinfahren.

M. gefällt es sehr gut an der Uni. Er arbeitet ein Zehntel von dem was er hier tun musste und verdient mehr. Auch das Arbeitsklima ist ganz anders mit netten Kollegen die zusammanhalten. Er versucht mich immer noch zu überreden auch hinzukommen.
*
Sicher ist es ein interessantes Buch das du liesst über Oscar Wilde. Ich kannte schon seine Geschichte und habe auch einen Film darüber gesehen vor langer Zeit. Jetzt habe ich aber trotzdem nochmal nachgeschaut. Wir haben ein sehr altes Nachschlagewerk, ”Nordisk familjebok”, (ein Erbstück ;-) und da die ersten Bände schon Anfang 1900 herauskamen ist es wirklich interessant darin zu lesen. Alles ist sehr eingehend beschrieben und oft auf eine Weise wie es heute undenkbar wäre. Jedenfalls wird über Oscar Wilde gesagt dass er vor allem ein sehr spiritueller Redner war und die Leute mit seinem französischen Esprit fesselte. Oder wie du es so schön ausgedrückt hast: ”ein Genie in seiner Fähigkeit, eine verbale Realität heraufzubeschwören.” Gerade diese Eigenschaft ist es, die mich so sehr an dir fasziniert und süchtig macht nach deinen Worten. :-) Weiter steht dass er sich äusserst elegant kleidete, in einem etwas veralteten Stil und er soll sehr schön gewesen sein (was ich nicht verstehe wenn ich sein Bild betrachte).
*
Es ist Samstagmorgen. Ich habe viel vor und somit wird es sicher ein ”lebenswerter” Tag werden. Aber du hast recht. Einige Tage würde man gern ”einkochen” so wie es deine Mutter wahrscheinlich mit Fleisch und ähnlichen Dingen getan hat und wie ich es mit den Multbeeren und Heidelbeeren mache. Meistens werden es 15 - 20 Liter, die wir von Norrland mit nach Hause bringen. Dann haben wir Vitamine und gute Nachspeisen fürs ganze Jahr und auch etwas zu verschenken. Die Multbeeren gibt es ja nicht hier im Süden und sind sehr gefragt. Es kommt auch vor, dass K einen Liter davon gegen südländische Spezialitäten eintauscht, die seine Freunde von ihren Auslandsreisen mitgebracht haben. Ich werde dir einmal eine kleine Kostprobe senden müssen.

Ich hoffe dass es dir inzwischen wieder ein wenig besser geht und sende dies nun ab damit du es heute Abend siehst wenn du allein zu Hause bist. Oder ist A. schon wieder zu Hause? Wie geht es B.? Gefällt es ihr gut in Südamerika? Hast du nicht Angst um sie? Aber vielleicht weisst du dass sie in guten Händen ist.
Schreib mir bald wieder. Ich bin wirklich ein wenig süchtig geworden und ohne eine Dose Harroin komme ich kaum aus. ;-)
Und ich sende Dir viele liebe Grüsse
Marlena

PS Kennst du das Buch von Alain de Botton ”Trost bei 6 Philosophen” oder so ähnlich? (Es ist neulich ins schwedische übersetzt worden.) Und Nietsche mag er ganz besonders. Ich glaube ich würde mich von Schopenhauer trösten lassen. ;-) Leider hat man keinen Philosphen gefunden den man gegen Teknologiestress nehmen könnte. Alain ist z.B. überzeugt davon dass Sokrates das Internet geliebt hätte und alle aufgefordert hätte in Chaträume zu gehen.
Wusstest du dass Alain in der Schweiz geboren ist und erst als 8-jähriger ”sehr schüchterner Junge der nicht physische Aktivitäten liebte” nach England kam?

Ach ...

 


Blauer Geiger Marc Chagall


LIEBESLIED

(Capri 1907)

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich
der aus zwei Saiten e i n e Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süsses Lied.




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Montag, 10. Juni 2024

Noch ein paar Minuten..


...bis meine Freundin hier erscheinen wird.

Liebster Mausfreund
Heute ist Neustart in unserem Italienischkurs.. von mir geleitet, wie mir scheint. Weiss nicht wie es kommt, aber alle scheinen immer auf meine Initiative zu warten. Auch bin ich es, die den Kurs leitet.. S. ist sozusagen meine Schülerin. Naja, ich kann es ja.. ;-))


Lieber ...

(---)

Am Dienstag Morgen hat S  angerufen. Ich kann schon an ihrer Stimme hören, dass sie wieder mal faul gewesen ist und nicht ihre Aufgaben geschafft hat. (Das ist im Spass gesagt) Und wenn sie dann so ganz vorsichtig andeutet, dass es vielleicht besser wäre, wenn wir unseren Termin ein oder zwei Tage verschieben, bin ich sofort bereit dies zu tun. Das ist nämlich das herrliche in diesem Leben, das ich mir nicht gern nehmen lasse: Die Lust bestimmen zu lassen, ob und wann man etwas tut.
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Also ist S  gestern gekommen, und ihre ersten Worte waren: "Hast du einen Spaten?" In einem Plastikbeutel hatte sie - soll ich dir gleich verraten was? Sie hatte eine Pfingstrose die sie aus ihrem Garten ausgegraben hatte. Wohl ein Teil von ihrer eigenen. Ach, war ich freudig überrascht! Aber auch etwas überrümpelt. Denn seit Jahren träume ich davon eine zu pflanzen und ich hatte mir schon Anweisungen aus dem Internet geholt, wie und wann man sowas tun soll. Du kannst dir garnicht vorstellen wie kompliziert das alles klang. Das Loch sollte so und so tief sein. Dann sollte man es mit verschiedenen Schichten von Humus, Düngemitteln und weiss Gott was noch füllen und die Pflanze sollte so und so tief gesetzt werden und in einer besonderen Lage stehen u.a. gegen die frühe Morgensonne geschützt... Ich denke du kannst gut verstehen, dass mich all das etwas abgeschreckt hat.
Und nun gestern stand Siv plötzlich da mit dieser Pflanze, die wir sofort in den Boden bringen mussten. So habe ich mit dem Spaten ein Loch gemacht.. ein minimales im Vergleich zu den Anweisungen, und das Ding hineingedrückt. Ein bisschen Wasser darauf und fertig war es. Und jetzt steht sie dort und ich werde täglich sehen, wie sie sich entwickelt. Es soll eine von dieser rosa Sorte sein, die ich besonders mag. Und wie Siv meinte: Wenn es nicht gut geht dann bringe ich dir eine Neue.

Hah, so viel Worte über eine kleine Pflanze. Aber ich weiss, dass auch du sie sehr magst, diese Pfingstrosen.. Und ich werde dich auf dem laufenden halten. Wieder wie ein neues Baby.. ;-)) Diesmal ist es eine Sie.
Ja doch, ich sehe, dass unser ABBaby gut gedeiht. Ich meine mit solchen Eltern.. wie könnte es anders sein? Vielleicht kaufe ich noch welche dazu, da du mir ja so grossen Gewinn versprichst.

Ich glaube ich muss nun hinaus in die herrliche Sonne. Ich schreibe dir mehr später.
Wünsche auch dir einen schönen Frühlingstag,

MlG
Malou



Mittwoch, 5. Juni 2024

Schulabschluss und alternative Leben


Ämne: saturdaymorningintheoffice


Liebe Malou
Ach, gestern war ein hektischer Tag. Von allen Seiten kamen die Anforderungen und Bedürfnisse. Jeder wollte etwas. Und am liebsten sofort. Nein, das mag ich nicht, solche Situationen, in denen man total vom Hand in den Mund lebt. Es gibt Typen, die das lieben, diese Krisensituation, dieses Notfallsyndrom. Ich glaube, es hängt damit zusammen, was jener Journalist in Italien über den Chaotismo geäussert hat. Das ist der Moment, da man sich als Deus ex machina fühlen kann. Und das ist es, was sie wünschen. Ich hingegen bin so sehr bescheiden, dass ich das nicht mag.

Der Regen hat sich gelegt. In den letzten Tagen hat es echt gekübelt. Und die Natur sollte jetzt wieder für 2 oder 3 Wochen satt sein und sich zufrieden geben. Die Temperatur ist ziemlich zurück gegangen. Aber nächste Woche soll sie wieder steigen. Und dann wird der Sommer wohl endgültig angekommen sein?

Ihr habt den Abschluss des Schuljahres und die Abitur-Feier? Das ist schön. Es ist das Fest der Jugend, und es erinnert gleichzeitig an eigene und die damaligen Feste der eigenen Kinder. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich selbst an jene Feier, die es ja auch bei uns gibt, nicht mehr genau erinnern kann. Nun, die Verhältnisse an der Schule in Brig waren einfach. Feiern fanden jeweils im Theatersaal statt. Ein Theatersaal war kein Luxus, denn das Theater gehört zur jesuitischen Ausbildung. Das gehört sozusagen zum Barock der Gegenreformation, während dessen auch die Oper entwickelt worden ist. Ich habe eine merkwürdige Erinnerung. Stets an diesen Gelegenheiten, Festen, Feiern, speziellen Gelegenheiten, hatte ich ein Auge für jene Wandskulptur, die unser Zeichnungslehrer an die Wand des Theatersaales geschaffen hatte. Während des Alltages schaute ich kaum dort hinauf an die Wand, wo diese merkwürdige, etwas verkürzte Figur herunterschaute. Sie sah aus wie ein Engel. Mindestens, so glaube ich, war es eine religiöse Figur, eine Figur aus dem biblischen Kontext. Unser Zeichnungslehrer war im Wallis ziemlich bekannt, hat viele Skulpturen, Brunnen, Gedenksteine geschaffen. Aber er war auch ein stiller Mann. Im Unterricht hat er uns kaum etwas erzählt und uns kaum etwas Neues beigebracht. Bei einem anderen Lehrer wäre ich vielleicht Künstler geworden. Denk Dir mal so was, Malou! Ich würde jetzt in einem dunkeln Atelier im Kreis 4 Zürichs unter Huren und Türken dahinvegetieren, würde mich notdürftig von Büchsenbohnen und kalten Buffets an Vernissagen ernähren, und mich an letzteren auch gelegentlich wieder mal richtig besaufen. Ich hätte vielleicht 2 oder 3 heisse Freundinnen, eine blonde, eine brunette und eine schwarze, wie ich wohl annehme, und ich würde mein kleines Harem notdürftig pflegen und zufrieden stellen mit viel Scherereien, zugegeben, und Streitigkeiten. Und daneben hätte ich in meinem Alter all meine Illusionen verloren über Kunst und den Idealismus. Ich würde mit Misstrauen beobachten, wie die junge Künstler von den Behörden grosse Auftrage zugewiesen bekommen, und wie sie sich dann bei jenen bourgeoisen Ärschen noch mehr anbiedern und einschleimen. Widerlich! Vielleicht würde ich im Stillen immer noch nach meinem grossen Jahrhundertwerk gieren, jenem Bild, oder jener Statue, jenem Meisterwerk, welches endlich allen Menschen die Augen öffnen kann. Und von diesem zehrenden Leben wäre ich mit diesem Alter bereits heruntergekommen. Ich hätte meine Anfälle, meine Magenkämpfe oder so, und trotzdem würde ich regelmässig meinen Dôle trinken und dazu Gitanes rauchen. Ach, ich würde mich langsam zugrunde richten und würde das alles noch geniessen. Ich wäre wie die Kerze, die an beiden Seiten brennt.

Ist es nicht schön, sich alternative Leben auszudenken? Frisch hat sich in der ‚Biographie’ mit diesen Fragen beschäftigt. Man kann sich damit sehr glücklich, oder aber - zweifellos - auch unglücklich machen. Ich selbst bin darüber eher glücklich. Ich meine, ich erlebe dabei die Weite des Lebens. Ich empfinde, wie gross die Möglichkeiten der Existenz eigentlich wären, und wie viel anders mein Lebenslauf auch hätte ausgehen können. Ich glaube, es macht irgendwie zufriedener mit dem, was man hat. Man fühlt sich dann so ordentlich und zufrieden in der Mitte all dieser wilden und abenteuerlichen Spuren und Wegzeichen in der weiten Landschaft. Man weiss sich auf einem ordentlichen, gesicherten Wanderweg, der zwar nicht wirklich irgendwo hin führt, aber zumindest sich nicht allzu gefährlich ausgibt. Und dazu trifft man auf dieser kleinen, gut ausgebauten Avenue jede Menge netter Menschen, die auch unterwegs zu sein scheinen, die aber auch nicht wirklich wissen, wohin der Weg führt. Das ist der wesentliche Unterschied: bei den Menschen auf dem Weg entscheidet der Weg über die Gehrichtung. Bei jenen, die eigenmächtig durch die wilde Natur gehen, entscheidet jeder selbst. Das macht ihn wohl wacher für die Situation. Vielleicht kommt er nicht wirklich an einem selbst gewählten Ziel an, aber mindestens er hat seinen Weg selbst gewählt. Er fühlt sich heroisch, denn er hat immer wieder den Eindruck, in einer Krisensituation zu sein, in einer Situation, die über Tod und Leben entscheidet. Und gerade das macht, dass er sich so lebendig fühlt. Wir hingegen wandern ruhig auf dem Strässchen wie auf einem Sonntagnachmittagspaziergang. Und jedes Kind weiss doch, wie langweilig Sonntagnachmittagspaziergänge sein können!! Und so ist es nicht erstaunlich, dass wir ein bisschen schläfrig dahin gehen und nicht wirklich wach zu sein brauchen. Das einzige, was wir benötigen, ist die Motorik der Beine. Und sie arbeitet bekanntlich routinemässig und völlig automatisch. Wir brauchen bloss zusehen, dass sich an den Füssen keine Blasen entwickeln!!

Ich muss jetzt zurück auf mein langweiliges Strässchen und die Sitzung für Montag vorbereiten. Dann fahre ich nach Basel.
MlGuKusw
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Montag, 3. Juni 2024

Early morning

 (R)


Lieber ...,
Eigentlich schon vorbei.. ich meine der "early morning". Doch ich war schon um 5.30 auf und klein Pojki hat mich vorwurfsvoll angesehen, weil er neues Futter brauchte. Er ist ganz still bis man das Radio anstellt. Dann beginnt er zu singen und zu schwatzen.

Und im Radio hört man die sensationelle Nachricht, dass man nun in Schweden schon in der 7. Klasse Zeugnisse einführen will. Jetzt bekommt man sie erst in der 8. Klasse. Da man in Schweden mit 7 Jahren die Schule beginnt bedeutet das, dass man erst als 15- jähriger seine ersten Zugnisse erhält. Bisher war es sogar verboten für einen Lehrer sich in den "Elterngesprächen" so zu äussern, dass es an Zeugnisse erinnern könnte. Kein Wunder, dass schwedische Schüler in allem absacken und in grossen Untersuchungen schon ganz unten liegen. Ausserdem will man, höre und staune, schon in der 5. Klasse gewisse Ziele aufstellen in Mathematik und Schwedisch. Unglaublich! Womit hat man sich denn bisher beschäftigt???
*
Ach, so viel Adrenalin schon am frühen Morgen. Der Himmel ist grau, aber noch regnet es nicht. Zum Glück habe ich gestern das Gras gemäht und so dürfen ruhig ein paar Tropfen vom Himmel fallen. Doch Anna hat heute einen ganztägigen biologischen Ausflug in irgendeinem peripheren Fach, das sie dazugewählt hat. Sie ist wirklich allseitig, die Kleine. Am meisten sticht natürlich ihr Lyrikkurs ab von ihren technisch-mathematischen Studien. Doch wie es scheint "gibt" er ihr sehr viel, sogar logisches Denken. Das finde ich etwas lustig, denn nie habe ich Lyrik mit Logik verknüpft.

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Ich schick dir das nun ab.. damit du es gleich bekommst, wenn du deinen Computer anstellst.
Wünsche dir einen schönen Tag,
mit lG,
Malou