Subject: Iran III
Liebe Marlena
Unser Programm ist es, den Iran zu schmelzen, wie Du so schön gesagt hast. Lass mich noch ein bisschen schmelzen.
Eigentlich hätte ich gerne mit viel mehr Leuten im Iran geredet und diskutiert. Aber das ist nicht so leicht. Einerseits habe ich das Hindernis der Sprache, denn ich kann nur mit Leuten reden, die Englisch oder Französisch oder Deutsch reden. Und da gibt es nicht so viele. Die Kusine von S und ihr Mann haben zum Beispiel in Lausanne und Paris studiert. Aber ihr Französisch war wirklich kaum mehr verständlich. Und ob es meines war, kann ich Dir nicht so genau sagen. Ich habe auch gar keine Übung und die Worte kommen mir nicht ohne Anstrengung über die Zunge. Und neben der Sprache gibt es das Hindernis des Geschlechts. Ich kann nur mit Männern diskutieren. Mit Frauen kaum, vielleicht mit jenen aus der Verwandtschaft. Aber auch da ist es nicht so leicht. Sie sind es nicht gewohnt, so offen und direkt zu reden wie wir das tun. Und ganz allgemein reden sie so wenig über Politik, sondern meist ausschliesslich über private Dinge.
Aber immer wieder haben mich Männer angesprochen, weil sie gesehen haben, dass ich ein Ausländer bin. Und sie wollten mit mir reden. Einige konnten kaum ein paar Worte formulieren, andere waren ziemlich intelligent und ich hatte einige ausführliche Gespräche. Schon auf dem Flughafen, als ich am Förderband auf mein Gepäck wartete, wollte ein Perser mit mir plaudern. Da war ich noch nicht wirklich offen und bereit, und ich habe keine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Aber ich habe ihn beobachtet. Er war ziemlich gut gekleidet und bewegte sich selbstbewusst. Es gab Leute vom Flughafen, die ihn grüssten. Er musste also ein ziemlich bekannter Kopf gewesen sein. Ich sah ihn später, wie er mit einer älteren Frau in einem Rollstuhl eine lange Plauderei hatte.
In Isfahan war man besonders interessiert an den Fremden. Die Jungen wollten, so glaube ich, ein bisschen ihr Englisch üben. Manche haben wohl auch gedacht, es würde sich aus dem ganzen vielleicht ein Geschäft entwickeln. Einige waren im Tepichhandel tätig. Aber im allgemeinen war es irgendwie einfach Kontaktfreude. Sie wollten mit jemandem plaudern. Sie hätten auch mit einem Perser plaudern können. Aber ein Ausländer schien vielleicht ein bisschen interessanter. Doch im allgemeinen blieb die Diskussion auf einem einfachen Niveau. Sie wollten wissen, ob die Schweiz besser sei oder Iran. Ich war natürlich nicht so dumm zu behaupten, die Schweiz sei besser. Oft habe ich gesagt, die Schweiz sei zu teuer, oder sie sei zu klein. Das stimmt ja wohl auch.
Viele Gesprächspartner haben mir angedeutet, dass sie mit ihrem System nicht zufrieden sind. Mit dem Bademeister am Kaspischen Meer habe ich mich ziemlich lange unterhalten. Er schien mir ein gescheiter Mann von etwa 30, und nach den Gesichtszügen zu urteilen, wäre er in der Schweiz sicherlich eine Person mit einer höheren Ausbildung gewesen. Ich meinte, es sei doch schlecht, diesen Zaun am Strand aufzubauen, das sei doch läppisch. Und er gab mir zu verstehen, dass er das eigentlich auch finde. Aber es sei eben sein Job, das jetzt zu machen. That's Iran, so meinte er, und verwarf die Hände, um zu zeigen, dass man dagegen nichts machen kann.
Einen jungen Burschen aus der Verwandtschaft, etwa 20 Jahre, der soeben die Prüfung zur Universität bestanden hatte und deshalb sehr glücklich war, habe ich gefragt, warum er Khatamy gewält habe. Er konnte es mir nicht eigentlich sagen. Er meinte nur, Khatamy sei gut, er mache viel für die Jungen. Aber was er denn wirklich für die Jungen machte, das konnte er mir nicht sagen.
Die Leute sind natürlich nicht so genau informiert. Sie lesen kaum Zeitungen und hören wohl auch kaum Nachrichten. Meine Schwiegermutter hat sich Mühe gegeben, immer um 23h abends die englischen Nachrichten einzustellen. So konnte ich ein bisschen mitverfolgen, was los war. Die Nachrichten haben aber immer wieder über dieselben Dinge berichtet. Da war der Aussenminister aus Georgien, der zu Besuch war. Man wollte irgendwie die gegenseitigen Beziehungen pflegen, Handelsabkommen treffen. Aber was das wirklich sollte, wurde nicht gesagt. Man sah
Rafsanjani, der offensichtlich immer noch sehr gerne redet. Es gibt Leute, die behaupten, er sei immer noch der mächtigste Mann im Land. In den Parlamentswahlen hätte er zwar fürchterlich wenig Stimmen gemacht. Deshalb wurden sie ja teilweise wiederholt. Aber man hatte ihm dann irgendwie einen Posten als graue Eminenz gegeben. Und in der sonnt er sich offensichtlich. Er spricht wirklich wie die Weisheit in Person. Und dabei kannst Du an seiner Mimik und an der Stimme bemerken, dass er nicht gerade eine Leuchte sein kann. Er ist vielleicht clever, aber nicht wirklich gescheit. Er ist ein Fuchs. Und man sagt, er sei steinreich. Er produziert Pistazien. Und seinem Sohn gehören die Anlagen auf der Insel Kish im persischen Golf.

Von Khatami hatte ich einen ziemlich positiven Eindruck. Schon im Flug habe ich seine Rede gelesen, die er in Weimar Deutschland gehalten hatte. Dabei sprach er vom Dialog der Kulturen und vom Austausch zwischen Traditionalität und Modernismus. Es war natürlich alles ein bisschen wolkig, wie die Perser gerne reden, wenn es um nichts direktes geht. Aber es war eine gute und versönliche Rede, und er forderte auch vom Islam, die bornierten Positionen aufzugeben. Später habe ich vernommen, dass Khatami zwei Jahre in Hamburg gelebt hatte und dort ein islamisches Zentrum geführt hat. Offensichtlich hatte er dort mit verschiedensten Leuten Kontakt und sie zu Diskussionen eingeladen. Er ist ein ziemlich offener Geist mit einem freundlichen Wesen, wenn man seiner Erscheinung glauben kann. Und, ich muss es sagen, er sieht mit seinem Turban und seiner Kleidung als Geistlicher ziemlich elegant aus. In den letzten Parlamentswahlen hatte er ja eine überwältigende Mehrheit für sich gewonnen. Aber im Justitzdepartement sollen seine konservativen Gegner schon die nächsten Gegenmassnahmen aushecken. Aber das Parlament steht mehrheitlich hinter ihm. Und auch das konnte aber nicht verhindern, dass die Diskussion um das neue Pressegesetz nicht hat stattfinden können, weil Khameney, der Staatspräsident dies verhindern wollte. Das Parlament habe sich eine Schlägerei geliefert, habe ich gehört. In den Zeitungen habe ich über Tätlichkeiten kein Sterbenswörtchen gelesen.
Ich denke, im allgemeinen meinen die Perser, im Ausland sei es besser. Es sind seit der Revolution auch wirklich viele Menschen emigriert. Aus S's Familie sind heute etliche in Amerika. Und sie haben grosse Entbehrungen und Mühen auf sich genommen, um in den USA ein neues Leben zu beginnen. Einige haben dabei auch viel von ihrem Besitz verloren. Sie haben das meist für ihre Kinder gemacht, damit sie einmal mehr Lebensmöglichkeiten hätten, als sie es ihnen im Iran hätten bieten können.
Es soll nicht leicht gewesen sein, aus dem Iran auszureisen und den Besitz mitzunehmen. Mein Schwiegervater hat seinem ehemaligen Chef, dem Direktor der UNO Niederlassung in Teheran geholfen, seinen Besitz ins Ausland zu bringen. Er konnte es tun, weil er ja oft Teppiche nach Europa geschickt hatte. Und natürlich ist er heute der Familie sehr dankbar und alle Familienmitglieder könnten jederzeit zu ihm nach Amerika, und er würde sie gastfreundlich in seinem Haus aufnehmen. Er ist überigens Jude.
Auffallend war, wie sehr sich die Fernsehnachrichten mit der PLO und den Palästinensern beschäftigt hat. Das war das wichtigste aussenpolitische Thema. Es war nicht offen aggressiv gegen die Juden, aber doch klar für die Palestinenser. Und daneben gab es noch Meldungen aus Afrika. Die Amerikaner haben sie links liegen lassen. Von ihnen war einfach keine Rede. Und auch von Europa hörte man praktisch nichts. Ich hatte wirklich den Eindruck, ich sei weit weg und auf einem anderen Planeten.
Als wir dort weilten, waren gerade die Aufnahmeprüfungen zur Universität. Es gibt sie jedes Jahr, und sie finden im ganzen Land am selben Tag statt. Hunderttausende von Persern und Perserinnen würden gerne an die Universität gehen, um zu studieren. Aber nur ein kleiner Prozentsatz kommt hin. Wer in Teheran studieren will, muss bessere Prüfungsresultate haben. Wer sein Fach auswählen will, muss bessere Resultate haben. Die zwei jungen Männer aus S's weiterer Familie, die die Prüfungen bestanden hatten waren zwar überglücklich. Aber sie hatten noch keine Ahnung, was sie denn wirklich studieren würden. Im Grunde ist es wohl nicht so wichtig, was man studiert. Denn auch nach dem Examen, wenn man eine Stelle sucht, wird man weniger aufgrund der Studienrichtung angestellt, sondern eher aus anderweitigen Motiven (Beziehungen wohl in der Regel). Bei diesen jährlichen Prüfungen gibt es auch viele Menschen im fortgesetzten Alter, die immer noch versuchen, ihren Wunsch nach einem Studium zu erreichen. Die Menschen dort haben wirklich noch Wünsche und Ambitionen. Und das Wissen liegt noch nicht auf der Strasse.
Ach Marlena, das hört sich wohl alles ein bisschen hölzig an. Hoffentlich habe ich dich nicht gelangweilt. Man sollte das ein bisschen spannender und farbiger schreiben.
Ich schicke Dir also dieses ausgetrocknete Mail und hoffe, dass Du dich dabei nicht verschluckst.
Ich küsse Dich ziemlich eingehend
...