Freitag, 24. Februar 2023

5 Jahre später...

 

Liebe Malou
Wahrscheinlich denkst du immer noch, ich würde deine Mails nicht lesen. So schickst du mir Kopien und Kopien von Kopien. Was ist denn los Malou? Das ist doch keine Mauserei mehr. Ja, das ist eher eine Überlebensübung mit Notproviant !!! 

Und dabei esse ich gar nichts aus der Büchse. Ich habe - seit ich allein wohne - Tiefgefrorenes entdeckt. Stell dir vor! Früher, als Student, war mein Lieblingsmenue Leber mit grünen Erbsen aus der Büchse. Einfach so, sonst nichts. Und jetzt, in meinen alten Jahren, bin ich wieder auf diese Urmahlzeit zurückgekommen. ---
In nächster Zeit werde ich mal versuchen, eine Pizza zu backen. .. meinen Backofen austesten.
...
Ja, ich kriege gleich Hunger, wenn ich davon erzähle. Dabei lebe ich eigentlich sehr bescheiden. Meine Mahlzeiten sind frugal, wie du zu sagen pflegst. Wenn ich einmal in Pension sein werde, will ich mir ein Lokal aussuchen, wo ich als Stammgast essen kann. 


Dabei erinnere ich mich an diesen Film mit Nicholson, den man kürzlich sehen konnte. Spielte er nicht diesen paranoiden Schriftsteller, der im Restaurant zu essen pflegte und dabei alle Leute gegen sich aufbrachte? Das wäre doch auch eine Rolle. Du machst die halbe Welt verrückt und ziehst dich dann zurück in deine Schreibstube und schreibst einen schönen, honigsüssen, romantischen, sähmigflüssigen Roman.  Na ja, ich weiss noch nicht, was kommen wird!  ...

Ich wünsche dir einen schönen Tag. Und ich habe eine kleine Bitte: schreib mir wieder mal ein Mail!
Liebe Gs und Ks
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Ein psychologisches Meisterstück

 




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Ich habe gestern einen Film gesehen mit Nichelson (oder schreibt man Nicholson, vielleicht Nikolson, oder ähnlich?), und habe dabei oft an Dich gedacht. Es ist - weiss Gott - lange her, seit ich einen Film von Anfang bis Ende angeschaut habe. Nikolson spielte einen zwangsneurotischen Schriftsteller, der sich ein bisschen - eben soweit ein Zwangsneurotiker das überhaupt kann - ein bisschen in eine Serviererin verliebt. Und daneben lebt sein Nachbar, eine Tunte (homo) und Maler mit seinem Hündchen und seinem schwarzen Lover und Bodyguard.

Es war in der Tat eine extravagante Geschichte, ein psychologisches Meisterstück. Die Schauspieler, darunter eben Dein geschätzter Nikolson, haben ausgezeichnet gespielt, wirklich ausgezeichnet. Und auch die Kombination von Homosexualität und Zwangsneurose fand ich gut gewählt, denn die beiden Typen ergänzen sich bestens: während der eine seine Gefühle zuinnerst versteckt und gefangen hält, trägt sie der andere offen zur Schau. Der eine ist in jeder Hinsicht und immer wieder verletzend, weil er in seiner egomanen Manier keinen Zugang zu einem Sensorium für das Zwischenmenschliche findet, während der andere wie ein Seiltänzer jederzeit Harmonie und Balance sucht. Man konnte den Eindruck haben, Freud hätte das Stück gleich selbst geschrieben. Und bei aller Komik war der Film doch rundum traurig, zuzusehen, wie diese Personen an sich selbst und gegenseitig aneinander litten.

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Donnerstag, 16. Februar 2023

"ein wunderschönes Büchlein"

(R)

Re: Tagebuch..

Liebe Marlena

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Ich habe ein wunderschönes Büchlein, das ich gerade lese. Das wollte ich längst tun, ist mir auch schon von vielen Seiten empfohlen worden. Doch erst gestern habe ich es zufällig im Laden entdeckt. Wahrscheinlich eine Wiederauflage. Und ich empfehle es Dir, Marlena, entweder um es selbst zu lesen, oder aber K unterzuschieben, als Vorbereitung für seine Portugal-Reise. Autor ist Antonio Tabucchi, ein Italiener, Professor für portugiesische Sprache und Literatur. Der Titel heisst "Erklärt Pereira...". 

Ich gebe Dir den Klappentext:
"Portugal unter Salazar. Pereira, ein in die Jahre gekommener, bequem gewordener Lokalreporter, redigiert die Kulturseite einer kleinen regimetreuen Lissabonner Abendzeitung. Pereira kümmert die Politik nicht, bis er eines Tages einen jungen Mann kennenlernt, den er als freien Mitarbeiter für die Zeitung gewinnen will und der sich als Widerstandskämpfer erweist. Der Ästhet Pereira wird immer mehr in das Treiben von Monteiro Rossi und seiner schönen Freundin Marta verwickelt .."


"Das Wunderbare an Tabucchis Parabel ist, dass sie eine moralische Geschichte erzählt, ohne eine Moral von der Geschichte zu haben. Ein Denk-, Spiel- und Rätselstück, wie Tabucchis frühere Bücher - nu mit mehr Bodenhaftung." (Die Wochenppost)

"Ein Glanzstück .... wunderbar schwebend erzählt, als bedürfe es dazu keiner Mühe und Kunstfertigkeit." (Rheinischer Merkur)

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Ich habe vor knapp einem Jahr die Verfilmung gesehen, mit Marcello Mastroiani in der Hauptrolle. Das ist einer der wenigen Fälle, wo ich das Buch schätze, obwohl ich den Film schon gesehen hatte. Allerdings wusste ich damals noch nicht, dass die Geschichte von Tabucchi geschrieben worden war. Der in der südlichen Sommerhitze schwitzende Mastroiani hat mir einfach gefallen. Und vielleicht noch ein bisschen die altmodische Kleidungen der Leute. Der Roman spielt zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges, zu Zeiten also, da es auch in Europa noch Diktaturen gab. Das Büchlein ist die 10. Auflage erschienen, sehe ich gerade, also sehr erfolgreich. Und Pereira sitzt in jenen berühmten Cafés Lissabons herum, schwitzt, schnauft und trinkt Limonade. Oder er spricht zuhause ans Bild seiner verstorbenen Frau, entschuldigt sich, dass er zu spät kommt, rapportiert ihr den vergangenen Tag. Ich glaube, wenn ich selbst schreiben könne, würde ich sowas in diese Richtung schreiben. Ich meine vom Ton her, und von der Philosophie. Der Roman hat wirklich eine vibrierende Athmosphäre, die mir sehr liegt. Sie flackert so ein bisschen zwischen Leben und Tod.

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Die Geschichte eines Sommers im Jahre 1938, die Geschichte des unscheinbaren Lissabonner Kulturredakteurs Pereira, der ganz unversehen zum Helden wird...

"Was der Italiener Antonio Tabucchi ... mit seinem Roman "Erklärt Pereira" an feinsinniger Gespanntheit erzeugt, übertrifft alle Erwartungen... Eines der schönsten und lesenswertesten Bücher unserer Zeit." Hans-Jürgen Schmitt in der "Frankturter Rundschau"