Freitag, 30. Dezember 2022

Hotel Krone in Lenzburg

 


                                  Schloss Lenzburg                   Foto: Chris

Liebe Marlena
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So haben wir den Silvester Nachmittag in der Krone verbracht.
Vielleicht muss ich dir dazu erklären, dass das Hotel Krone, das beste Haus in Lenzburg, gerade unterhalb unseres ehemaligen Wohnhauses steht. Als Junge habe ich aus dem Fenster oder dem Garten immer auf diese Krone heruntergesehen. Ich war im Kindergartenalter, als sie die Gartenwirtschaft hinter dem Haus zu einem grossen Fest- und Theatersaal umgebaut haben. Ich habe stundenlang den Arbeitern zugeschaut, wie sie den Beton in diesem zweiräderigen Karren in die Höhe gefahren haben. Ich glaube damals gab es noch nicht diese grossen Kranen. Nein, sie haben überall aus Holzbrettern Fahrbahnen auf Gerüsten gebaut, um mit diesen Karren den Beton zuführen zu können. Das fand ich faszinierend. Und ich glaube, diese Erlebnisse von meinem Kinderfenster aus haben auch ein wenig mitgewirkt, dass ich dann später erst einmal Architekt werden wollte.
Gleich zwischen unserem Garten, der am Schlossberg oben erhöht lag, und der Krone führte in einer tiefen Schlucht die Hauptstrasse von Zürich nach Bern. Und die Krone war bekannt, weil hier die Strasse eine Ecke von 90 Grad schlug. Man kann nicht sagen, eine Kurve, damals war es wirklich eine Ecke. Und an Sonntagen wälzte sich eine Kolonne von Fahrzeugen um diese Kronenecke. Und wir Kinder standen mit den Nachbarn, Herr Senn, oben am Geländer und schauten hinunter. Er rauchte seine Zigarre und wir zählten die Autos oder merkten uns die Kantonswappen auf den Nummerschildern. Damals hatte man den motorisierten Verkehr noch nicht mit so viel Misstrauen betrachtet.
Und gelengentlich, wirklich nur ab und zu – aber es waren für einen Jungen die Höhepunkte – gelegentlich also kam ein Lastwagen mit einer langen Ladung Baumstämmen. Und die hatten immer ihre liebe Not, die Kurve um die Kronenecke zu krigen. Manchmal mussten sie vor- und rückwärts „sägen“, um nicht die Hauswand zu demolieren. Das war immer eine interessante Angelegenheit.
Und einmal, ich bin immer noch bei der berühmten Lenzburger Krone, einmal turnte auf dem Dach der Krone ein verrückter Mann herum. Das Dach lag etwa auf gleicher Höhe unseres Gartens. Ich war damals wohl in der ersten Schulklasse. Und so sah in vis à vis diesen Mann, und aus dem Dachfenster stieg ein zweiter, der notdürftig mit einem Seil befestigt war und sprach dem anderen zu. Ich verstand eigentlich nicht, was da los war. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, das wäre jetzt ein Kriminalfall. Die Polizei verfolgt einen Täter, der auf das Dach geflüchtet war. Aber später sagte man mir, dass der Mann verrückt sei.
Onkelchen erinnert sich auch noch an diesen Vorfall. Er war lange Jahre Kommandant der Lenzburger Feuerwehr und damals mussten sie mit einem Falltuch (nennt man das so?) ausrücken und das ganze Spektakel absichern. Immerhin ist die Krone drei Stöcke hoch. Ich kann mich bloss noch erinnern, dass ich sehr aufgewühlt war nach diesem Schauspiel. Nun ja, dass Menschen auf Dächern herumklettern und sich von anderen Menschen wieder herunterholen lassen, das war nun wirklich eine Neuigkeit. Und vielleicht hat das ja mitgespielt, dass ich später dann doch das Fach Psychologie gewählt habe. Denn neuerdings sind es die Psychologen, die andere Menschen von den Dächern herunterreden.

Siehst du Marlena, man kann immer einen roten Faden konstruieren, wenn man denn möchte. Das vielleicht, wenn überhaupt etwas, gibt der eigenen Biographie einen Sinn. Denn Sinn ist ja heute Mangelware.
Alles in allem, meine liebe Marlena, wenn du so mit Informationen aus der Krone in Lenzburg kommst, dann triffst du mich mitten ins Herz. Das vielleicht war es, was ich dir sagen wollte.
...
Ich küsse dich mit einem Ding, das sich anhört wie ein Champagner-Korken.

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Mittwoch, 7. Dezember 2022

Alltag

Lieber ..,

Faul und spannungslos, so mag ich dich vielleicht am besten. Und dein "schlappes kleines mail", wie du es nennst, hat mir ein wenig extra Wärme geschenkt in diesem immer noch ausgekühlten Haus. Die Heizung ist nur provisorisch gerichtet und hat noch nicht ihre volle Kapazität aber morgen werden Teile davon ersetzt. Dann werde ich mich wieder wohl fühlen wie eine Katze in der Ofenecke.

Es ist herrlich so frei zu sein wie jetzt und auch ich nehme die Tage wie sie kommen. Heute abend habe ich im Fernsehen etwas aus der Schweiz gesehen. Einen Dokumentarfilm mit dem Namen "Bollywood in der Schweiz". Vielleicht kennst du ihn schon. Er handelt von indischen Filmmachern die die Schweiz entdeckt haben für ihre schönen Liebesszenen. Seitdem sie nicht mehr in der Gegend von Kashmir filmen können haben sie in den Alpen eine ähnliche Natur gefunden.. Ich habe sehr aufmerksam hingeschaut um nicht ein einziges Stück von deinem schönen Land zu verpassen. Die Schweiz ist laut diesen Programms das beliebteste Reiseziel der Inder geworden. Alle wollen die Stellen sehen wo die schönen Szenen gedreht worden sind. Arme Schweiz!!! Aber die betroffenen scheinen nicht allzu traurig darüber zu sein denn es bringt viel Geld ein. Und der Buschauffeur aus Zweisimmen, der sie ursprünglich in seinem Bus herumtransportiert hat und ihnen ein wenig zurecht geholfen hat, besitzt nun ein ganzes Unternehmen das nur dazu da ist den indischen Filmherren alle ihre Wünsche zu erfüllen. Und sie haben unendlich viele.. nur eben bei 14 Tagen ohne Regen.. da muss er sich auf Gott verlassen. In einer kurzen Szene hat man auch gesehen wie es zu Konflikten kommen kann mit den Bauern wenn die Leute des Filmteams ihren Besitz unerlaubt betreten. Na ja, das ist etwas milde ausgedrückt denn eigentlich kommen sie mir vor wie ein Schwarm Heuschrecken.... 

Es hat mich auch daran erinnert dass man bei euch nicht unser "allemansrätt" (Recht zum Gemeingebrauch) habt. Hier kannst du dich überall frei bewegen so lange du nichts zerstörst.

 *

Es ist bereits nach 23.00 Uhr und ich werde noch ein wenig lesen vor dem Einschlafen. Und an einen Mann denken in Pantoffeln und Morgenrock.. :-) Aber vielleicht schläfst du schon süss.

Tschüss bis morgen



Dienstag, 6. Dezember 2022

Nikolaustag

 

(R)


Liebe Marlena
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Heute haben wir hier St. Nikolaus. Die Kinder sind ein bisschen nervös, und
die Eltern nicht minder. Aber das war ja schon immer so. Ich kann mich
erinnern, als der St. Nikolaus damals zu uns gekommen war. Wir sassen alle
auf dem Sofa und schauten in die grosse schöne Stube, die wir sonst während
der Woche nicht betreten durften. Im 19. Jahrhundert soll diese Stube als
Büro eines französischen Generals der napoleonischen Truppen gedient haben,
so hatte mir Onkelchen erzählt. Auf jeden Fall war sie für ein Kind ziemlich
eindrücklich, mit glattem Parkettboden, Täferung aus dunkelm Holz an den
Wänden. Einmal hatte ich vom Sofa, wo wir vor dem St. Nikolaus zu sitzen
pflegten, ein Geheimfach in der Wand gefunden. Das war wirklich sehr
aufgregend gewesen, und in der folgenden Zeit hatte ich oft Süssigkeit dort
versteckt.
Der St. Nikolaus kam allein, jedes Jahr wieder, hatte einen grossen Sack bei
sich und hielt jedem Kind einige Dinge vor, in denen es sich während des
Jahres verfehlt hatte. Ich habe keine Ahnung mehr, was er mir unter die
Nase gerieben hat. Aber ich erinnere mich sehr gut, wie er unser
Dienstmädchen, eine junge, hübsche Italienierin kritisiert hatte, weil sie
manchmal etwas ungeschickt und voreilig gewesen sein soll. Ich hatte den
Eindruck, dass ihr das sehr unangenehm gewesen war. Sie hiess Silvana, und
ich bin sicher, dass ich sie später darüber getröstet habe.
*
Es gibt zwei Arten von St-Nikolaus. Im Wallis, also einem katholischen Teil des Landes kommt der St.Nikolaus mit dem Bischofsstab. Er sieht wie ein Bischof aus, hat natürlich aber auch Bart und ein Gehabe wie St. Nikolaus. Und daneben kommt Schmutzlich, er ist ganz schwarz. Man könnte denken, es sei der Teufel, oder mindestens sonst ein nicht sonderlich vertrauenswürdiges Wesen.
Und dann gibt es den St. Nikolaus in reformierten Gebieten. Dort hat der Mann einen meist roten Anzug mit einer Kaputze und einen langen weissen Bart. Meist hat er auch noch ein riesiges Buch, aus dem er den Kindern die Sünden und Straftaten des Jahres vorhält.
*
Ich kann mich auch an eine Nikolaus-Szene im Kindergarten erinnern. Wir
hatten eine Bank rundum im Raum und sassen gespannt da, bis das grosse
Unikum hereintrat. Und siehe da, der Kerl hatte einen Sack auf dem Rücken,
an dem ein Sack hing. Und aus dem Sack ragte ein Bein in Strumpf und Schuh.
Natürlich wollten wir Kleinen sofort wissen, was mit dem Bein los sei. Und
der komische Kerl meint, dies sei Vreni, die eben nicht folgsam gewesen sei.

Lange Jahre konnte ich kein Mädchen ertragen namens Vreni. Ich
verabscheute sie richtiggehend, nur weil sie hiessen, wie dieses Mädchen,
von dem ich glaubte, es wäre wirklich im Sack des St. Nikolauses
weggetragen worden.



Sonntag, 4. Dezember 2022

"undefinierbar und wechselhaft"?

Lieber ... ,

Immer noch schneit es draussen und die weiche Schneedecke erinnert mich an dein schönes Winterbild aus dem Wallis. Es ist ziemlich kalt.. sowohl draussen wie drinnen. Na ja, hier im Haus beginnt es wieder warm zu werden. Aber heute Morgen als wir aufwachten war es nur 14 Grad. Die elektrische Heizung war irgendwie nicht in Ordnung. Ich habe dann viele Kerzen angezündet und den Ofen angestellt damit es wenigstens in der Küche zum Aushalten war. Und der gute Handwerker hat es provisorisch gerichtet.

Ja, heimelig.. das ist das richtige Wort, oder eben gemütlich. Wir haben mehrere Wörter dafür und manche gibt es nicht im Deutschen. Das macht mir manchmal das schreiben schwer denn ich finde nicht die richtigen Nuancen. Hier z.B. das Wort "ombonat" wird im Wörterbuch mit "gegen Wind und Kälte wohl geschützt" übersetzt. :-)

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"undefinierbar und wechselhaft"? Und ich habe das Gegenteil geglaubt.. ein Mensch der in sich selbst ruht, den eigentlich sehr wenig in seinem starken sicheren "Ich" erschüttern kann.. ein Mensch dessen Hand man gern halten würde wenn es stürmt. So hatte ich mir dich vorgestellt. Ein Mensch der Ruhe und Geborgenheit ausstrahlt... ein "de Gaulle" :-) 

Erinnerst du dich noch? Eigentlich ist es doch etwas verrückt wie ich auf diesen Gedanken kommen konnte. Und ich hab dich wirklich vor mir gesehen, dort hinter deinem Schreibtisch mit der majestätischen, etwas Pinguinenhaften Körperhaltung.. Und weißt du, auch was dein Inneres betrifft hatte ich ähnliche Vorstellungen. Ich sah dich als einen Mann der ruhig und bescheiden ein sehr anständiges Leben gelebt hatte, so wie man es jedem Menschen wünschen würde und der etwas überrascht war über diese Marlena die plötzlich unerwartet in seinem Dasein auftauchte.

Und nun warte ich gespannt darauf wie du mein Bild zurechtlegen wirst.. in der Badewanne.. ich meine Doppelbadewanne.. mit einem de Gaulle würde es wohl etwas zu eng sonst.

 

Sende dir einen lieben Gruss aus unserer zauberhaft schönen Winterlandschaft.

K

Marlena

 



Samstag, 3. Dezember 2022

Wer ich wirklich bin?


Liebe Marlena
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Ach, Du willst nach 2 Jahren herausfinden, wer ich wirklich bin. Finde ich goldig! Das klingt wirklich nach Aufbruch und nach einer neuen Aufklärung. Ich bin enorm gespannt auf diese Renaissance. Und ich bitte Dich, mich zu benachrichtigen, wenn Du es dann WIRKLICH weißt! Ich glaube, ich weiss im Moment nicht viel mehr als Du. Und manchmal bin ich überrascht, was da noch alles hervor kommt.
Es könnte ja doch sein, dass ich ziemlich undefinierbar und wechselhaft bin. Manchmal ahne ich das selbst. Ich habe zum Beispiel immer wieder Lust, Dinge völlig anders zu machen, als ich sie bisher - und durchaus erfolgreich - gemacht hatte. Ich liebe diese Abwechslung sehr. Vielleicht nicht überall, aber in den alltäglichen Pflichten, die mir sonst zu tödlich vorkommen. Und dann schaue ich mir etwa meine Bilder an, die ich vor etwa 10 Jahren gemalt hatte. Und ich muss sagen, sie schauen alle so ähnlich aus. Die Innensicht und die Aussensicht sind wirklich zwei verschiedene Aspekte. Und ihr Kontrast macht diesen grossen Riss quer durch die Welt aus, der uns so rätselhaft erscheint.
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In der Badewanne also. Doppelwanne, streng genommen!
Mit einem lieben Gruss
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