Freitag, 25. November 2022

ALS

 

 Datum: den 11 mars 2004 


Lieber ...,
Warum glaubst du an eine Depression?   Ist Trauer und Depression dasselbe? Nein doch, ich glaube gestern hat das ganze schwedische Volk getrauert über Ulla-Carin.



Wenn man eine sympathische Person jahrelang fast täglich sieht, dann hat man ein bisschen den Eindruck sie persönlich zu kennen. Und dass die Sendung des Filmes über ihre schwere Krankheit und letzte Zeit mit ihrem Todestag zusammenfallen sollte, hat das Ganze noch trauriger gemacht. Sie war eine tapfere Frau und es war mutig von ihr dieser Krankheit "ein Gesicht zu geben" mit ihrem Film und einem Buch, das sie über diese Zeit geschrieben hat.
Und heute lese ich in der Zeitung von den schrecklichen Attentaten in Madrid. Sag ist die Welt verrückt geworden? Es ist so unfassbar.

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.. und wieder trauert de Welt über ein Opfer dieser schrecklichen Krankheit.
Gestern ist Börje Salming an ALS gestorben.



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Dienstag, 22. November 2022

Sonntag, 20. November 2022

Schneee.. schon heute




 Blick durchs Fenster    20/11   16:30 Uhr
fast schon dunkel





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Samstag, 19. November 2022

Wie Proust Ihr Leben verändern kann

 



Ich habe für mich - du wirst schmunzeln Marlena - ein kleines Taschenbuch für die nächste Zeit gefunden. Es heisst "Wie Proust Ihr Leben verändern kann", von einem Schweizer namens Alain de Botton. Du weißt ja sicher, wie Proust in der Vergangenheit gerührt hat. Nichts anderes hat er gemacht. Noch seine Madeleine hat er in der Vergangenheit gegessen. De Botton hat in Cambridge studiert und lebt in London. Er schreibt ein bisschen mariniert und intellektuell. Das mag ich. Das Buch fängt so an: 1. Wie man das Leben heute liebt
"Es gibt wenig, dem sich der Mensch mit grösserer Hingabe widmet als mit dem Unglücklichsein. Hätte ein böser Schöpfer uns nur in die Welt gesetzt, damit wir leiden, dürften wir uns zu Recht damit brüsten, diese Aufgabe mit Begeisterung erfüllt zu haben. Dabei gibt es wahrhaftig genug Gründe, untröstlich zu sein: die Vergänglichkeit des Fleisches, die Unbeständigkeit der Liebe, die Verlogenheit im Alltag, die Kompromisse zwischen Freunden, die lähmende Wirkung der Gewohnheit. Angesichts derartiger Misstände sollte man meinen, dass wir nichts sehnlicher herbeiwünschen müssten als unsere eigene Auslöschung."  Du siehst, ich bin auf dem Weg der Besserung.
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Jetzt habe ich mein de Botton zu Ende gelesen. Und nun, was kann ich zum Schluss sagen. Ich glaube, Marlena, alles in allem, könnte ich dir dieses Büchlein empfehlen. Sicherlich weißt du natürlich mehr über Proust als ich es gewusst habe. Doch ich finde, de Botton führt auf geschickte und leicht lesbare Art und Weise in das Denken und die Literatur Prousts ein, und erwähnt daneben biographische Aspekte, die ja zum Verständnis der Literatur nicht absolut notwendig sind, aber oft eben doch erhellend. Er hat sein Projekt einfach und gut angepackt. Er baut es wirklich fast wie ein Ratgeber auf und gibt dann Proust das Wort. Und die Kapitel hören sich auch an wie zentralen Fragen des Lebensberaters: Wie man das Leben liebt? Wie man richtig liest? Wie man sich Zeit nimmt? Wie man erfolgreich leidet? Wie man Gefühlen Ausdruck verleiht? Wie man Freundschaften pflegt? Wie man in der Liebe glücklich wird? Er hat nichts ausgelassen, dieser gute Proust. Und offenbar war er nicht nur der Unglücksrabe, als den ich ihn anfangs angesehen habe. Die Theorie sozusagen, die sich aus seinen Ausführungen ergibt, finde ich ziemlich intelligent und sie hat was an sich. Vielleicht könnte man sie so zusammenfassen: der Wert des Lebens entsteht durch die Art der Erinnerung. In der Erinnerung entsteht dieses vergoldete Lebenskunstwerk. Und nicht etwas das reale Leben wäre schon so ein Kunstwerk. Das reale Leben ist voller Kompromisse und Unvollkommenheiten und Grautöne und auch Leiden. Aber die Erinnerung kann dann alles ins rechte Licht rücken und das Leben als einzigartig und schön und ideal erstrahlen lassen. Und davon, Marlena, das muss ich zugeben, bin ich selbst nicht so weit entfernt. Ich könnte ja direkt Proustianer werden. Doch es gibt auch Aspekte an diesem Typen, die mir unsympathisch sind. Seine neurotische Lebensweise etwa, seine vielen Leiden, die er hatte. Es wimmelt offenbar in der Recherche von Leiden und Leidensgründen: seine Mutter, die Homosexualität, verhinderte Liebschaften, gescheiterte Theaterkarriere, Unverständnis der Freunde, Asthma, Nahrungsunverträglichkeiten, Verdauensprobleme, irgendwelche Komplikationen mit den Unterhosen, überempfindliche Haut, Angst vor Mäusen, Kälteempfindlichkeit, Höhenangst, Hustenanfälle, Angst vor Reisen, Flucht ins Bett, Lautempfindlichkeit. Es will gar nicht enden. Und Proust muss in dieser Hinsicht wirklich ein sehr eingeschränkter Mensch gewesen sein. Er erzählt offenbar in diesem Zusammenhang von Noah, der für ihn ein symbolisches Vorbild ist. Noah hat die Welt aus seiner Arche, also einem geschlossenen Raum wahrgenommen. Er hat sie in der Erinnerung wahrgenommen. Und Proust tut dasselbe von seinem Bett aus. Er hat offenbar meist im Bett gearbeitet. Das muss ziemlich unbequem gewesen sein.
Er war also absolut neurotisch und krankhaft. Und doch hat er seine Situation irgendwie intelligent genutzt und einige bemerkenswerte Erkenntnisse daraus gemacht. Virginia Woolf muss offenbar eine grosse Verehrerin Prousts gewesen sein. Sie habe ihn mit grossem Interesse gelesen, und sei ob dem Eindruck, den er auf sie gemacht habe, geradezu verstummt. Er muss ihr grosses Vorbild gewesen sein, und eigentlich wünschte sie zu schreiben wie Proust schreibt. Und offenbar treffen sie sich auch in der homosexuellen Ausrichtung, wenn ich bei Woolfe richtig orientiert bin.


Ich war froh, bei de Botton auch die Szene mit der Madeleine zu finden, denn darüber habe ich schon mehrmals gelesen, und ich wollte immer gerne wissen, was es damit auf sich hat. Ich kann dir die ganze Passage nochmals zitieren, dann kann ich sie gleich auch nochmals lesen:
"Was das Backwerk anbetrifft, so schildert Proust, wie sein erkälteter Erzähler an einem Winternachmittag zu Hause sitzt, als seine Mutter in sein Zimmer kommt und ihm vorschlägt, er solle, entgegen seiner Gewohnheit, eine Tasse Lindenblütentee zu sich nehmen. Er lehnt erst ab, besinnt sich aber aus unerfindlichen Gründen eines Besseren. Zum Tee lässt seine Mutter ihm eine Madeleine servieren, ein dickes, ovales kleines Sandtörtchen, das aussieht, als habe man es in der gefächerten Schale einer Jakobsmusschel gebacken (schön gesagt!!). Der verschnupfte Erzähler bricht, bedrückt durch den trüben Tag und die Aussicht auf den traurigen folgenden, ein Stückchen ab, tunkt es in den Tee und trinkt einen Schluck, als etwas Seltsames geschieht:
,,In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack vermischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein Unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Mit einem Schlage waren mir die Wechselfälle des Lebens gleichgültig, seine Katastrophen zu harmlosen Missgeschicken, seine Kürze zu einem blossen Trug unserer Sinne geworden...Endlich fühlte ich mich nicht mehr mittelmässig, hilflos, sterblich. ,,
Um welche Sorte Madeleine handelte es sich? Um dieselbe, die seine Tante Leonie jeden Sonntag in ihren Tee tunkte und dem Erzähler anbot, wenn er das Schlafzimmer in ihrem Haus in dem Provinzstädtchen Combray betrat, wo er als kleiner Junge mit seiner Familie die Ferien zu verbringen pflegte, und ihr einen guten Morgen wünschte. Der Erzähler kann sich, wie an so vieles aus seinem Leben, nur undeutlich an seine Kindheit erinnern, und das, woran er sich entsinnt, erscheint ihm reizlos und uninteressant. Was nicht heisst, dass seine Kindheit tatsächlich trist und öde war, sondern dass er sie einfach nur vergessen hat - und diese Erinnerungslücke schliesst jetzt die Madeleine. Durch eine Laune der Natur versetzt ein Stück Gebäck, das er seit seinen Kindertagen nicht mehr gegessen hat und mit dem sich daher auch keine späteren Assoziationen verbinden, ihn in seine Zeit in Combray zurück und erschliesst ihm eine Fülle köstlicher und ganz persönlicher Erinnerungen. Mit einem Mal erscheint ihm seine Kindheit weitaus schöner als zuvor, und mit neu gefundenem Staunen erinnert er sich an das alte graue Haus von Tante Léonie und mit dem Haus an ganz Combray und seine Umgebung, den Platz, auf den man ihn vor dem Mittagessen schickte, die Kirche, die Strassen, die Blumen in Léonies Garten und die Seerosen auf der Vivonne. Und dabei erkennt er den Wert dieser Erinnerungen, die ihm zu dem Roman inspirieren, den er schliesslich erzählen wird und der in gewissem Sinne einen einzigen langen kontrollierten "Proustschen Moment" darstellt, weil er über dieselbe Sensibilität und dieselbe sinnliche Direktheit verfügt.
Das Erlebnis mit der Madeleine heitzt den Erzähler auf, weil es ihm zu der Erkenntnis verhilft, dass nicht sein Leben mittelmässig war, sondern das Bild, das er sich in der Erinnerung davon gemacht hat. Dies ist eine der zentralen Proustschen Unterscheidungen und für ihn von ebenso grosser therapeutischer Bedeutung wie für den jungen Chardin-Betrachter (hier referiert do Botton auf eine frühere Episode eines jungen Mannes, der durch die Betrachtung von Chardins Bilder seine bescheidene Situation seines Elternhauses zu schätzen gelernt hat).
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Soweit Proust. Ich glaube, ich bin diesem monumentalen Werk jetzt ein bisschen näher gekommen. Ich denke zwar nicht, dass ich es wirklich lesen werde - wann sollte ich auch - aber ich weiss jetzt besser, was es damit auf sich hat. Insofern war de Botton doch ziemlich informativ für mich. Wie ich vermutet habe. Der Anfang ist einnehmend, aber es hält sich einigermassen durch bis zum Schluss. Offenbar hat er sich eingehend mit Proust beschäftigt. Und er kann die zentralen Aspekte herausheben, das heisst klarer machen. Das ist ja nicht ganz einfach, angesichts der Tatsache, dass ich einer bin, der ich Proust noch nie gelesen habe. Das Büchlein de Bottons ist gehobene Unterhaltung. Walter hat schon sein Interesse angemeldet, und ich werde es ihm dann wohl ausleihen müssen. Oder soll ich es zuerst dir schicken, Marlena? Das würde ich so gerne, es dir geben, um dann mit dir darüber zu diskutieren und sehen, wie du es gelesen hast, was du daraus nehmen wirst. Das wäre doch echt schön. Und zur Diskussion würden wir einen Lindenblütentee trinken und eine Madeleine darin tunken, wie es sich für Proustianer gehört. Für einmal würden wir unseren Kaffee beiseitelassen, und in solch einen Lindenblütentee hineinbeissen wie in den sauren Apfel. ;--)

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Mittwoch, 9. November 2022

Tomas Tranströmer

 


date 23 November 2006 19:31

"In this, his 75th year, Tomas Tranströmer can be clearly recognised
not just as Sweden's most important poet, but as a writer of
international stature whose work speaks to us now with undiminished
clarity and resonance." /Enitharmon Press, London.
 

 
Lieber ...,
...
In dieser dunklen Zeit vor dem 1. Advent steht das Leben irgendwie
still. Es passiert nicht viel von dem ich dir erzählen könnte. Die
Zeit der treibenden Blätter ist nun vorbei und die Menschen bleiben zu
Hause. Klar, wenn ich in Stockholm wohnen würde, gäbe es viel
Zerstreuung.
G hat mir gestern Abend ein ganz euphorisches Mail geschickt. Sie
war bei einem Schriftstellerabend im Kulturhaus in Stockholm. Niklas,
der junge langhaarige Kollege (erinnerst du dich noch?) hatte
Eintrittskarten besorgt. Der Abend war eine Huldigung an einen unserer
größten Poeten, Tomas Tranströmer, der seit 1990 am halben Körper
gelähmt ist und an Aphasie leidet, doch immer noch produktiv ist. Ein
Schauspieler trug seine Gedichte vor und Tranströmer selbst beendete
die Vorstellung am Flügel. Wie das möglich ist mit einem Arm? Der
stehende Applaus nachher wollte nie enden.

https://www.youtube.com/watch?v=ApiaFYq3wZc


Gudrun  war natürlich auch froh, dass sie die Möglichkeit hatte
sich mit einigen Schriftstellern im Publikum nachher unterhalten zu
können. Auch ihren Professor von der Uni hat sie wiedergesehen.
Du siehst, man könnte neidisch werden. Und ich verstehe ihre
Begeisterung nach einem Abend mit so viel seelischer Nahrung. Hier
muss man sich hier und da einen kleinen Happen suchen, um seinen
Hunger zu stillen.

Wünsche dir alles Liebe und Gute,
mit Gs und Ks
Marlena
                              

                                  ***


Endlich weiss ich ..

 


... woher die schönen Herbstfarben kommen.




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Sonntag, 6. November 2022

6 November - Gustav Adolf Tag

 

Gustav-Adolfs-Gebäck


Subject: 6. November


Lieber ...,
Ich trinke meinen Tee hier vor dem PC und eigentlich müsste ich ein Gustaf Adolf-gebäck dazu essen. Denn heute feiern wir diesen alten König, der 1632 in der Schlacht bei Lützen im Nebel gefallen ist.
Na ja, wir feiern nicht allzu gross - ich glaube auch weil man in Schweden immer etwas Angst hat sich zu patriotisch zu zeigen. Aber es ist gut, dass es gerade am 6. November stattfindet, denn so vergesse ich nicht so leicht das wichtige Datum an dem mein lieber Mausfreund geboren ist. Und natürlich hissen wir die Fahnen.
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Aus dem Internet:
6 november is Gustav Adolf Day. Gustav II Adolf was king of Sweden from 1611 to 1632 and died on this day. There is a special pastry called a 'Gustav Adolf-bakelse' which people eat to celebrate the occasion. King Gustav II Adolf founded Gothenburg, and the pastry is especially popular there.

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Ich war heute in der Kantine. Wollte eigentlich zu Hause nur etwas leichtes essen, aber Gudrun (schwedisch und Geschichte) hat mich mit hingelockt. Und es war wieder eine herrliche Stunde mit lauter sympathischen Leuten, die alles taten um die Stimmung bis zur Decke zu heben. Dann haben sie sich auch etwas über meinen Appetit amüsiert. Es gab zwei Gerichte. Das eine war Erbsensuppe nach der man Pfannkuchen mit Sylt (eingemachte Beeren) und Schlagsahne ist. Das ist ein typisches Donnerstagsgericht in Schweden aber in der Kantine serviert man es eher selten. Das andere war ein Wurstgericht mit einem herrlichen Salatbüffé. Und was glaubst du habe ich gewählt? Zuerst die Erbsensuppe mit Speck drin, dann das Wurstgericht mit dem herrlichen Salat dazu und als Nachspeise den Pfannkuchen mit Zutaten. Dazu ein Bier (Pripps =eine gute Sorte). Und dann begann natürlich ein Gespräch über Kalorien und was man man tun muss um ein einziges Stück Torte loszuwerden. Der Trainer der Schwimmer (solche die sich für kommende Weltrekorde ausbilden) meinte 2½ Stunden intensiven Sex brauchte man dazu. Wir waren alle etwas verstummt eine Weile.. aber natürlich haben wir losgelacht und alle unsere eigenen Kenntnisse zu diesem Thema bekanntgegeben. Kalorien also.
Mir kam heute der Gedanken, dass man unser Essen in der Kantine gut mit eurem Club-essen vergleichen könnte. Aber wir sind immer zufrieden mit dem was man uns bietet. Es ist wirklich sehr köstlich und unsere Schule ist dafür bekannt. Auch die Schüler sind sehr zufrieden. Sie bekommen es frei.

(---)

Je t'embrasse,
Marlena

Sende dir ein Bild mit von dem Gebäck. Das Portrait des Königs in Marzipan obendrauf.