Liebe Mausfreundin
Soeben habe ich das Budget unterschrieben. Meine Sekretärin ist soweit und hat alles gut gemacht. Ich bin froh dass sie sich immer grosse Mühe gibt. Ich mag diese Detailarbeiten nicht alle so genau kontrollieren.
Aber ich wollte dir kurz etwas Lustiges erzählen. Kürzlich habe ich in der Zeitung die Wetteraufnahme gesehen. Das ist ein Foto vom geostationären europäischen Satelliten über dem Golf von Guinea. Man sieht Europa in seiner ganzen schönen Länge und Breite. Vorne hängt Spanien beinahe über den Bildrand hinaus, ein bisschen vorwitzig, wie die Spanier eben gerne sind. Rechts davon unser schönes Mittelmeer mit dem italienischen Stiefel. Dann kommt der Zentrale Block mit Frankreich, Deutschland, Beneluxstaaten, Oesterreich, Schweiz bis zu den Osteuropäischen Staaten. Warschau ist noch eingezeichnet und die Grenzen der Staaten. Und dann ganz oben sieht man Skandinavien in dieser unendlichen Länge. Es verschwindet schon beinahe am Horizont. Und natürlich die Britischen Inseln sind auch nicht zu übersehen, trotz der Wolken, die davor hängen. Dabei sind stets die Hauptstädte eingezeichnet: Paris, London, Rom, Zürich, Frankfurt (letztere zwei sind eigentlich keine Hauptstädte, sondern Finanzplätze). Und ganz oben kann ich genau noch bis Stockholm sehen, und gegenüber auf der anderen Seite sehe ich Helsinki, noch ein bisschen weiter. Es ist doch gar nicht so weit. Es ist ein Katzensprung von Zürich via Frankfurt nach Stockholm. Müsste doch zu machen sein! Wenn man das ganze als Grundriss eines Hauses anschauen würde, nun ja, dann wären Spanien und Italien die Veranda. Da liegen die Europäer auf dem Balkon und sonnen sich bis sie goldbraun sind. Der zentrale Teil des Hauses ist dann Frankreich, Deutschland, Schweiz und ein bisschen Oesterreich. Das ist der Korridor, sagen wir Frankreich die Stube, Deutschland das Schlafzimmer, die Schweiz der Putzraum (oder der Tresor?). Britische Inseln die Gästezimmer, etwas abgetrennt, damit sie Ruhe haben und sich nicht so leicht gestört sind. Und im Norden Skandinavien, das ist natürlich das Atelier. Ein gutes Atelier braucht Nordlicht, das ist eine klassische Bedingung. Stockholm liegt mitten im Atelier Europas. Dort oben tut sich etwas im europäischen Haus. Und ihr könnt alle auf uns heruntersehen. Wir liegen Euch zu Füssen, wie man so schön sagt. Soweit meine Beobachtung.
Aber was ich dir eigentlich sagen wollte. Von diesem geostationären Satelliten kann ich wirklich bis zu dir hinauf sehen. Und wenn du nun von Stockholm geradewegs nach Süden gehst, Marlena, immer geradeaus, so wie der Typ, der sehen wollte, ob die Welt rund ist, wenn du also mit deiner Karawane nach Süden kommst, dann wirst du in einigen Wochen direkt in Rom landen. Und wenn du schon einmal unterwegs bist, machst du auf der Höhe der Schweiz einen kleinen Schwenker nach rechts und nimmst mich auch mit, dann werden wir zusammen nach Rom weiter pilgern und uns die renovierte Sixtinische Kapelle anschauen und abends auf der wunderschönen Piazza Navona flanieren und an einem Espresso nippen, und den Latinos zuschauen, von denen ich mich unterscheide wie Fisch von einem Vogel. Und ich werde den Mund halten, weil du ja italienisch sprechen kannst und mit diesen charmanten Italienern verhandeln wirst. Ich kenne ein schönes Hotel namens Locarno bei der Piazza del Popolo, im Nordwesen der Stadt, mit einem uralten klapperigen Lift und einer schönen Bar. Da ist es ruhig und schön und gemütlich und wir werden eine wunderschöne Zeit haben.
Das wollte ich dir noch rasch sagen, bevor es dunkel wird über Europa. Es ist nicht sooo weit, Marlena, Kopf hoch.
Mit einem lieben Gruss
... i.M.
Oben links ist Grönland, das ist dann aber echt weit, da könnte man schon verzweifeln. Aber Stockholm, von da kommt man immer noch trockenen Fusses nach Zürich, wenn man denn will.